Reiner Becker Architekten BDA Bibliotheken am Bauhaus Dessau Projektleitung: Gerald Krüger „Das Bauhausgebäude ist vor allem eine Schule des Sehens, ein Bau mit didaktischem Anspruch. Bewusst hinsehen soll man hier, auf Proportionen, Oberflächen, Formen und Farben achten [...] Das Bauhaus war ein Werkstatt- und Schulgebäude, ein lebendiger Ort – es war nie ein Museum und ist auch heute keines.“ i – Dies schrieb 2007 Omar Akbar, der langjährige Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau in seinem Vorwort zum Buch „Bauhaus Dessau“ von Kirsten Baumann. Selten wurde der Geist und Zweck des berühmten Bauhausgebäudes so treffend auf den Punkt gebracht. Mit dem Gebäude und seiner Institution, dem Bauhaus schrieb sein Schöpfer Walter Gropius im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte. 1926 erbaut, wurde es rasch zu einer Ikone der modernen Bewegung. So sehr, dass bald schon die ganze architektonische Moderne der Zwanziger Jahre einfach mit dem Begriff „Bauhaus-Stil“ bezeichnet wurde. Da half es nichts, dass Walter Gropius bereits 1930 den Stilbegriff als einen Fehler bezeichnete, der das Lebendige des Bauhauses auf wenige Formmerkmale zu reduzieren drohte. Heroisiert und verklärt wurde danach das Bauhaus weltweit wie wohl kein anderes Gebäude der Moderne – aber auch verteufelt wie kaum ein anderes Gebäude. Die Gegner der modernen Architektur, die Nationalsozialisten, die 1933 die Schließung des Bauhauses veranlassten, als auch die Stalinisten der Fünfziger Jahre, die es als eine kapitalistische Verirrung angriffen, mehrten jedoch sogar seinen Ruhm. Wenn heute Touristen aus aller Welt Dessau besuchen, so ist es vor allem aufgrund des berühmten Bauhausgebäudes, das seit der Wiedervereinigung erfolgreich wiederbelebt wurde. Mit Seminaren, Workshops und Ausstellungen steht es wieder der Öffentlichkeit offen. Und nur wenige Meter entfernt, entstand ein neuer Campus der Fachhochschule Anhalt, der mit Architektur, Facility Management und Design als Dessauer Studienschwerpunkten das Programm des neuen Bauhauses ideal ergänzt. Die Nähe beider Institutionen, der Stiftung Bauhaus Dessau sowie der Fachhochschule Anhalt ließ denn auch Ende der Neunziger die Idee eines gemeinsamen Bibliotheksgebäudes entstehen. Die Suche nach einem Ort entwickelte sich aber schwieriger als erwartet. Schließlich sollte dem markanten Flügelgebäude keine Konkurrenz entstehen, zumal auch der neue Status als Weltkulturerbe zur Erhaltung seines solitären Charakters verpflichtete. Erst 2003 eröffnete die Schließung einer benachbarten Kaufhalle aus DDR-Zeiten eine ideale Möglichkeit für die Bibliotheken beider Institutionen. Hinter der prominenten Adresse Gropiusallee 34 verbarg sich ein Kleinod der DDR-Moderne, das jedoch mehrfach umgebaut erst wiederentdeckt werden musste. Anfang der Sechziger Jahre hatte sein Architekt Hermann Rey für eine Kaufhalle im Erdgeschoß und einem Tanzcafé darüber ein pavillonartiges Gebäude geschaffen, das sehr sensibel auf das Bauhaus Rücksichten nahm, das mit großen Glasflächen viel Transparenz besaß und mit seinen sichtbaren tragenden Elementen wieder an das Bauhaus anknüpfte. „Wir gehen ins Bauhaus“, hieß es denn auch in den Sechziger Jahren, wenn die Dessauer oft in Unkenntnis des damals arg verbauten Bauhausgebäudes im Nachbarhaus zum tanzen oder einkaufen gingen. Doch der Blütezeit des „Café am Bauhaus“ folgten eine Erweiterung der Kaufhalle in den Straßenraum hinein, in den späteren Jahrzehnten viele Umbauten und nicht zuletzt dessen Schließung. In einer Architektenkonkurrenz des Jahres 2008 fanden Reiner Becker Architekten aus Berlin die überzeugendste Lösung für die Transformation einer früheren Kaufhalle in eine Bibliothek. Dabei bewiesen Reiner Becker Architekten einmal mehr ihr Können, neue Funktionen in alte Gebäude zu implantieren. Die prominente Nachbarschaft zum Bauhausgebäude war so keineswegs ein Problem für die Architekten, hatten sie doch schon in Potsdam in Nachbarschaft einer nicht minder prominenten Architekturikone, nämlich Mendelsohns berühmten Einsteinturm gebaut und dort sensibel das Neue in den Altbestand eingefügt. In Dessau wählten Reiner Becker Architekten einmal mehr den Weg moderater Rekonstruktion und Implantation, der bewusst jede Konkurrenz mit dem Bauhausgebäude vermied. Keine weitere Architekturikone, doch ein geistesverwandter Nachbar entstand, dessen Architektur ähnlich des Bauhauses als eine „Schule des Sehens“ verstanden werden will. Bar allen Vordergründigen, spektakulärer Gesten und Formen will so die neue Bauhausbibliothek mit ihren Proportionen, Oberflächen und Farben eher still und konzentriert entdeckt werden, was genuin zum Charakter einer Bibliothek als Ort intellektueller Arbeit passt. Mit einem klaren Schnitt, der Beseitigung der ausufernden Ladenbebauung späterer Zeiten legten Reiner Becker Architekten in Dessau wieder das ursprüngliche Gebäude von Hermann Rey frei. Die lange Ladenzeile verschwand so ebenso wie eine Verkaufshalle an der Ecke zum Bauhaus, die beide über Jahrzehnte hinweg den Blick auf die Stirnseite des Nachbarn mit dem berühmten Schriftzug „BAUHAUS“ verstellt hatten. Zugleich legte der mutige Schnitt den markanten, trapezoid auskragenden Betonrahmen der Eingangsfront der früheren Kaufhalle frei, wo nun wieder zwei Eingänge in der rekonstruierten Fensterzone zum Betreten des Hauses einladen. Die weitaus größere Bibliothek der Fachhochschule Anhalt mit ihren 55.000 Bänden ist im Erdgeschoß lokalisiert, während die kleinere der Stiftung Bauhaus mit etwa 25.000 Bänden im kleineren Obergeschoß des früheren Tanzcafés ihren Platz fand, zu der nun jenseits der regulären Öffnungszeiten die rechte beider Eingangstüren führt. Als Ersatz für die „verlorenen“ Flächen der abgerissenen Anbauten konzipierten die Architekten einen neuen Baukörper, die sogenannte „Bücherbox“, die sich quasi als Mediator an der Gelenkstelle zwischen Ursprungsbau und den rückwärtig erhaltenen Anbauten einfindet, aber zugleich mit ihrer Reduziertheit auch sanft zum Bauhaus überzuleiten versteht. Es ist eine Box, eine einfache Kiste nur auf dem ersten Blick, deren weißes Äußere sich klar von der Architektur der früheren Kaufhalle absetzt. Doch das umlaufende Glasband der Box weckt auch Neugier, was sich hinter ihren so verschlossen wirkenden Fassaden wohl verbirgt. Diese Neugier wird noch gesteigert, wenn man sich von Süden der neuen Bauhausbibliothek nähert und über ihre transparente Eingangsfront eines farbenfrohen Foyers gewahr wird. So grau bzw. weiß, ja fast unscheinbar sich die neue Bauhausbibliothek neben ihrem prominenten Nachbarn von Außen erst zeigt, so faszinierend vielfältig in Konstruktionen, Formen und Farben erweist sie sich danach in ihrem Inneren. Die verschiedenen Zeitschichten des Gebäudes treten hier offen wie ebenso selbstbewusst zu Tage, um ein neues Ganzes entstehen zu lassen. Weitgehend frei geräumt wurde das Erdgeschoß der früheren Kaufhalle, die nun entlang der Straßenfront in ein großzügiges Foyer verwandelt wurde. Mehr als die Hälfte des früheren Erdgeschoßes nimmt das neue Foyer ein, das verschiedene Aktivitäten in einem Raum zu verbinden versteht. Entlang der langen Glasfront finden sich die Garderobe und Gruppenarbeitsbereiche, deren Tische zur besseren Kommunikation ähnlich von Windmühlenflügeln angeordnet wurden. Entlang der Längsachse des Hauses folgt der Bibliotheksempfang bzw. –counter als ein dezidiert kubischer Körper ähnlich der Bauhausarchitektur in Weiß und Schwarz, der in den mittelhohen Kuben der Zeitschriftenauslagen eine Fortsetzung findet, hinter deren Sicht- und Lichtschutz wiederum eine dritte Raumschicht für die Internetarbeitsplätze folgt. Quasi gestaffelt nach seinen Funktionen wurde der Raum, dessen Wände und Decken weitgehend unverkleidet blieben. Wenige, aber sorgsam gesetzte Farbakzente wie das Rot des Linoleumsbodens oder die neongrünen Wandtafeln bzw. Hinweissysteme binden dabei erfolgreich die verschiedenen Aktivitätsbereiche zusammen. Das Gros der Bücher findet sich erst dahinter und daneben ein, in der „Bücherbox“ mit einer dezidiert eigenen Topographie. Unter der unverkleideten Stahlkonstruktion mit Trapezblech des Neubaus erstrecken sich hier nicht die gewohnten Reihen von Bücherregalen, sondern sich auf- und abstaffelnden Winkelregale, die in den Raum eingestellt Inseln konzentrierter Zurückgezogenheit schaffen. Der sonst so nüchterne Raum der Bücher ist hier ein Raum der Entdeckungen und unerwarteter Blickbeziehungen von Insel zu Insel, wo sich hier und dort geschickt in das Regalsystem die eine oder andere Internetplattform integriert findet. Auf Schwarz und Weiß reduziert ist dieser Raum mit schwarzem Kunststeinboden und Regalen, die sich klar von der hellen Raumzone des Oberlichtbands abheben. Hell und freundlich sind auch die folgenden Bereiche des Depots und der Leseplätze, wenngleich hier das enge Budget der Baumaßnahme nur wenige Spielräume erlaubte. Obwohl dort ein Teil der späteren Anbauten der Kaufhalle erhalten bleiben musste, gelang es den Architekten geschickt alle Leseplätze mit Blick auf das Bauhaus auszustatten und so trotz intensiver Lektüre an seinem Leben teilzuhaben. Von Raum zu Raum können die Leser quasi en passant auch die wechselhafte Geschichte ihres Gebäudes erfahren, dessen unterschiedliche Konstruktionen weitgehend unverkleidet blieben und nun Massivbau und Stahlbau verschiedener Epochen sich abwechseln. Eng war das Budget des neuen Bibliotheksgebäudes, für das € 3,2 Mio. zur Verfügung standen. Neben der energiesparenden Dämmung des Altbestands wurde so etwa hier auch auf dem Dach eine Photovoltaikanlage mit effizienten mikromorphen Solarzellen und 36 kWLeistung realisiert. Über diesen energetischen, nahezu unsichtbaren Eingriffen hinaus gelangen Reiner Becker Architekten auch erstaunlich viele räumliche und haptische Qualitäten, die nicht von ungefähr nun auch in Potsdam die Stadt- und Landesbibliothek und in Hannover die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Landesbibliothek umbauen. Ihre Konzentration auf das Wesentliche, nämlich den Raum der Nutzer und der Verzicht auf kostspielige architektonische Gesten wahren stets die Integrität des Vorgefundenen, das mit gezielten Eingriffen in neue Zusammenhänge gesetzt wird. Viel von der Atmosphäre des früheren Tanzcafés blieb so im Obergeschoß des Dessauer Gebäudes erhalten, obwohl nun dort die Bibliothek der Stiftung Bauhaus einzog. Sensibel restauriert und ergänzt wurde die elegante Treppe, die zu ihr führt, deren Handlauf allein erhöht wurde. Mit viel Liebe zum Detail fügten hier die Architekten die pseudo-lateinische Sentenz „lorem ipsum c(d)olor sit amet“ ins Treppengeländer ein. Die Sentenz, welche von Graphikern bewusst unverständlich als Platzhalter für Texte benutzt wird, stimmt nun mit sehr haptischem Vergnügen auf die institutionell eigenständige Bibliothek der Stiftung Bauhaus einstimmt. Unter einem Himmel versenkter Deckenlichter bietet sie sich als ein ungemein lichter Raum dar, indem Mobiliar der Nachkriegszeit aus dem Bestand der Stiftung mit den neuen Bücherregalen eine überaus freundliche Symbiose eingeht. Zwischen einer geschoßhohen Glasfront und den Bücherregalen, dem Counter und dem restaurierten Tanzcafé-Wandbilds des Hallenser Künstlers Fritz Freitags gegenüber auf der Stirnseite erstreckt sich ein weiter, ein weitgehend stützenfreier Raum unverwechselbarer Atmosphäre. Das Alte mit seinen besten Qualitäten wieder frei zu legen und das Neue darin einzufügen, demonstrieren damit Reiner Becker Architekten erneut souverän. Ihre kluge Wahl unterschiedlicher Beleuchtungskörper im Gebäude macht so etwa wieder Blicke auf die Decken der Räume äußerst attraktiv, wo sonst oft in vielen Fällen die Gebäudetechnik nur mühsam kaschiert wird und Monotonie vorherrscht. Abgehängte oder versenkte Leuchten unterschiedlicher Ausrichtung und Dimensionen wurden hingegen in Dessau als integrale Mittel der Raumgestaltung eingesetzt, welche einerseits einer besseren Orientierung dienen, andererseits das Eigenleben jeder Einheit betonen. Diese Vielfalt der Eindrücke und Räume, die den Charakter und die Funktionen der Bibliotheken zweier Institutionen in einem Haus in souveräner Koexistenz zu vereinen weiß, macht die neue Bauhausbibliothek zu einem Ereignis. Klein, aber fein steht sie nun für Kontinuität im Wandel, für eine sehr sympathische Aufwertung und Aneignung des Vorhandenen mit wenigen genuin architektonischen Mitteln. Das Ergebnis ist ein neuer lebendiger Ort, der nicht zuletzt das Denkmal Bauhausgebäude auch stadträumlich und funktional bereichert – eine intellektuelle Werkstatt sympathischen Eigenlebens. Claus Käpplinger i Omar Akbar, in: Kirsten Baumann, Bauhaus Dessau, Berlin 2007, S.9