Die Solidarität der Eliten

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Die Solidarität der Eliten
Wenn sich das Verbindende aus dem Hintergrund entwickelt
Richard Schwarz
Die Frage nach einer Solidarität der Eliten ergab sich bei der Beobachtung eines Treffens
zweier ideologisch ungleich Gesinnter. Es wurde mit Handschlag eröffnet und mündete in ein
kurzes Gespräch, das sich in Grinsen auflöste. Gibt es also eine Solidarität der Eliten, die
nicht über ein gemeinsames Ziel verbindet, sondern irgendwie unscheinbarer eine
gemeinsame Basis schafft?
Auch den Forschenden sollten solche Überlegungen treffen, denn zu welcher Elite gehört er
selbst, wenn er Bourdieu ließt? Und mit wem wird er dadurch solidarisch? Eine mögliche
Antwort ist, dass dadurch einerseits das eigene Schreiben mehr Gewicht bekommt, aber auch
ein Kiesel auf den Bourdieu-Berg gelegt wird. Es entsteht eine Verbindung, die subtil die
Welt der Erklärungen in eine Richtung bewegt. Der Text wird sich auf die Spur einer
unbewussten Solidarität begeben, wodurch ein Licht auf die transparenten Fäden der
gesellschaftlichen Zusammenhänge fallen soll.
Begibt man sich auf die Suche nach den Grenzen des Eliten-Begriffs, drängt sich einem oft
der Versuch auf, über den Gegensatz eine Erklärung zu erhalten; in diesem Fall heißt das
Gegensatzpaar: Elite – Masse. Der Begriff „Elite“ wurde in einer Zeit geprägt, als das
Bürgertum im Streben nach oben noch durch die alte ständische Ordnung gebremst und
zugleich von der lohnabhängigen Schicht bedrängt wurde. „Die ‚Masse’ wurde zum
Schreckensbild, die Herrschaft der ‚Eliten’ zum rettenden politischen Konzept und die
Antithese von Masse und (elitärem) Individuum zum zentralen Topos der politischen
Philosophie bis weit in unser Jahrhundert hinein […]. So ist der Elitenbegriff von Anbeginn
an gebunden an den Gegenbegriff der ‚Masse’ […].“ 1 Für das Thema interessant ist die
Beobachtung, dass das Bürgertum den Adel in der gesellschaftlichen Führungsposition
ablöste. Es war ihm gelungen die ‚Rechte der Herkunft’ durch die ‚Rechte über Leistung’ zu
ersetzten und damit das Zugeständnis der Kompetenz zu erhalten.
Eine allgemein gültige und damit abstrakte Elitentheorie findet sich bei Gaetano Mosca, der
behauptet, dass es in allen Gesellschaften, von den Anfängen bis zur Gegenwart, zwei
Klassen gäbe: „[…] eine, die herrscht, und eine, die beherrscht wird. Die erste ist immer die
weniger zahlreiche, sie versieht alle politischen Funktionen, monopolisiert die Macht und
genießt deren Vorteile, während die zweite, zahlreiche Klasse von der ersten befehligt und
geleitet wird.“ 2 Modernere Überlegungen zur Elite erweitern diesen Gedanken gerne und
gehen davon aus, „dass es nicht eine Elite geben kann, dass man in komplexen Gesellschaften
immer von mehreren Eliten ausgehen muss. Die Ursache dafür ist darin zu sehen, dass sich
die verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme (wirtschaftlich, rechtlich, kulturell, religiös
usw.), die jeweils Eliten hervorbringen, immer mehr voneinander abkoppeln und ein
‚Eigenleben’ führen. Dennoch lässt sich häufig eine Verflechtung der verschiedenen Eliten
beobachten.“ 3 Die Bandbreite der Verflechtungen lässt sich erahnen, wenn vor dem
Kriegsverbrechertribunal Topmodels gegen Ex-Präsidenten aussagen. Und dabei stellt sich
vor allem die Frage, was sie eigentlich verbindet? Ein Essen bei Mandela erscheint nur die
erste von vielen Antworten. Vorerst soll es bei diesem allgemeinen Bild der Eliten bleiben,
1
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.11f.
Gaetano Mosca 1950, S. 53. Zitiert in: Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze.
Konstanz 2001. S.11f.
3
Barbara Wasner: Eliten in Europa. Wiesbaden 2004. S.16
2
1
um möglichst breit und im gedanklichen Experiment nach der Solidarität der Eliten suchen zu
können.
Reizvoll ist diese Suche auch, weil von Solidarität eher in Bezug auf ‚Massen’, oder
‚Massenmobilisierung’ die Rede ist, was auch einer politischen Instrumentalisierung
entspringt; beispielhaft dafür scheint folgende Aussagen: „Die Sprache der Straße ist die der
emotionellen Solidarität.“ 4 Somit wird die Kombination ‚Eliten’ und ‚Solidarität’ ein wenig
exotisch und erhält das Potenzial, dadurch etwas Neues zu erschließen. Bei der Recherche
stieß ich auf eine Studie, die vom Magazin „brandeins“ anlässlich der Diskussion zu
Eliteuniversitäten initiiert wurde, wo die beiden Begriffe sich direkt treffen. Hierbei wird die
Art der Solidarität als Merkmal der Unterscheidung verwendet, wie sich die Befragten Eliten
vorstellen. Für jene, die Elite mit Leistung rechtfertigen, ist die Solidarität eine Frage der
Verantwortlichkeit. Sie soll verhindern, dass sich ungezügelter Egoismus zum Nachteil aller
entwickelt. „Hier dient Solidarität vor allem dem sozialen Frieden.“ Eine weitere Gruppe sieht
in der Elite die Vorbildfunktion, die eine gemeinsame Motivation auslösen kann. „Für diese
Gruppe ist Solidarität folgerichtig eine Strukturaufgabe für Staat und Gesellschaft, ebenso wie
die Herstellung von Chancengleichheit.“ 5 Man sieht, dass das Begriffpaar ‚Eliten’ und
‚Solidarität’ vor allem im ‚klassenübergreifenden’ Kontext Verwendung findet, nicht aber auf
Verbindendes innerhalb der Eliten Anwendung findet.
Auch hier taucht indirekt wieder das Gegensatzpaar ‚Elite’ und ‚Masse’ auf und verweist
damit auf die gegenseitige Abhängigkeit. Nach Bourdieu unterscheidet sie der ‚feine
Unterschied’. „Sich fein zu unterscheiden bedeutet, sich als Teil vom Ganzen auszuzeichnen,
ohne sich davon abzuspalten. Dieser Teil hat den Anspruch, das Ganze zu vertreten, zu
vermitteln, zu resümieren. Gibt es den Unterschied nicht oder ist er zu groß, verlieren die
Eliten in beiden Fällen ihre Funktion und Legitimation […].“ 6 Dadurch erscheinen die Eliten
abhängig vom Zugeständnis der Kompetenz, welche sie von der Masse erhalten. Laut der
zuvor erwähnten Studie würde jedoch niemand mehr an die „Eliten, wie sie sind“ glauben.
Egal welches Bild von den Eliten vertreten wurde, bestand darüber Konsens, dass die Eliten
das Land in eine falsche Richtung geführt hätten. 7 Nur: Wie sind die Eliten? Oft ist zu lesen,
dass sie sich wandeln und sich stets neue Eliten präsentieren würde, die womöglich nicht
sofort als solche erkannt werden. Doch vorrangig für den weiteren Text ist die Frage, was die
‚oberen 10.000’ verbindet?
Die Annahme und These des Textes ist, dass Eliten durch eine subtile Solidarität verbunden
sind, die einer Aufrechterhaltung der Legitimation dient, da gemeinsame Werte erzeugt und
vermittelt werden. Es verbindet die Notwendigkeit, gleich zu leben, da glaubhaft vermittelt
werden muss, worin der ‚feine Unterschied’ zum ‚Rest’ besteht.
Die Elite riecht sich von Weitem
Bei den Methoden der Legitimierung können sich Personen, die sich zu einer Elite zählen, auf
bereits Erprobtes beziehen. Denn blickt man auf die (bekannte oder ältere)
Geschichtsschreibung 8 zurück, erhält man den Eindruck, dass die Vergangenheit
4
Rumen Dimitrov: Elitenlosigkeit und Postkommunismus. Fragmente zum kulturellen Hintergrund der
Mafiabildung in Bulgarien. In: Magarditsch A. Hatschikjan, Franz-Lothar Altmann (Hrsg.): Eliten im Wandel.
Paderborn u.a. 1998. S.114
5
Christiane Sommer: Auf der Suche. In: Brand Eins 02/06. S.61
6
Rumen Dimitrov: Elitenlosigkeit und Postkommunismus. Fragmente zum kulturellen Hintergrund der
Mafiabildung in Bulgarien. In: Magarditsch A. Hatschikjan, Franz-Lothar Altmann (Hrsg.): Eliten im Wandel.
Paderborn u.a. 1998. S.106
7
Vgl.: Christiane Sommer: Auf der Suche. In: Brand Eins 02/06. S.60
8
Dabei sei nicht außer Acht gelassen, dass sich viele Historiker mit Weitblick den historischen Gesellschaften
und ihren unterschiedlichen Bevölkerungsteilen widmen; siehe Selbstzeugnisforschung.
2
Tummelplatz der Eliten war. Gesellschaftlich erinnert werden die Handlungen der Elite,
weshalb die aktuelle sich auf Früher und Traditionen beziehen kann, wohingegen der Masse
dies fehlt.
In zweierlei Hinsicht kann hier das Zitat Vilfredo Paretos „Die Geschichte ist ein Friedhof der
Aristokratien“ erwähnt werden 9 . Zum einem im Sinne des einleitenden Gedankens, dass die
‚Hochkultur’ ihre Grabsteine erhält. Zum anderen steckt darin auch die Zirkulationstheorie
Paretos, der zu Folge „befähigte Glieder der unteren Klasse zu den oberen sozialen Stellungen
aufwärts klimmen. Auf diese Weise vollzieht sich in jeder Gesellschaft ein beständiger
Kreislauf einer Auslese.“ 10 Kritisiert wird an dieser Auslegung des Satzes, dass dieser Aspekt
kaum eine Rolle in der Veränderung der ‚herrschenden Klasse’ spiele; auch weil die Kreise in
der Nachbesetzung zu ihresgleichen tendieren. So ist der Deutung und der Widerlegung der
Hinweis auf die Konstanz der Eliten gemein.
Norbert Elias spricht davon, dass die ‚Spitzen’ der ‚guten Gesellschaft’ die Vorstellung vom
richtigen Leben verkörpern. Mit ihrem ‚charakteristischen Sosein’ stehen sie für bestimmte
Werte und bilden somit die Bausteine für eine symbolische Ordnung. „An den sehr
unterschiedlichen celebrities, den in den Medien präsenten und präsentierten ‚Freizeit-’ und
anderen ‚Helden’ wird deutlich, welches Lebensgefühl, welche Lebensführungskonzepte zu
bestimmten Zeitpunkten dominant sind, aber auch, wessen Werte, wessen Sichtweisen eine
Rolle spielen.“ 11 Demzufolge können die Eliten auf einen über die Zeiten entwickelten
Wertekanon zurückgreifen, der ihnen die Orientierung im jeweiligen sozialen Raum vorgibt.
Um im selben Atemzug aber die Aussage zu relativieren, soll noch kurz darauf hingewiesen
sein, dass aktuell so manch vermögenden Familie einen ‚weißen Fleck’ in der Sozialtopologie
der Gesellschaft hinterlassen würden. 12
Doch aus der Geschichte lernte die ‚herrschende Klasse’ nicht nur die positiven
Gemeinsamkeiten ihresgleichen. Schon zu Beginn der Elitentheorien kam mit den
Ratschlägen und Überlegungen Niccolo Machiavellis eine Idee auf, die Schopenhauers „Der
Mensch ist dem Mensch ein Wolf“ vorwegnahm. In seinem Werk „Discorsi“ schreibt der
Renaissancegelehrte von einem berechtigten Misstrauen innerhalb der Elite (In seinen
Überlegungen spielt die Vielfalt der Eliten noch eine untergeordnete Rolle). „Man findet in
der Geschichte, dass alle Verschwörungen von Großen oder von Männern aus der nächsten
Umgebung des Machthabers angesponnen werden.“ 13 Und deshalb empfiehlt der Autor – was
ihm wohl auch seinen gegenwärtigen berechnenden Ruf einbrachte: „Ein Machthaber, der
sich vor Verschwörungen schützen will, muß daher die, denen er zuviel Wohltaten erwiesen
hat, mehr fürchten, als die, denen er zuviel Ungerechtigkeiten zugefügt hat; denn den letzteren
fehlt es an Gelegenheit, woran die ersteren übergenug haben.“ 14 Der Rat lautet also, jenen zu
misstrauen, denen man eigentlich Vertrauen gegenüber bringt. Diese latente gegenseitige
Abhängigkeit des Herrschers von seinen Untergebenen könnte auch als eine Art Solidarität
interpretiert werden, die nicht einmal durch Misstrauen gestört werden kann.
Bei Pareto, der in die Tradition von Machiavelli gestellt wird, findet sich eine abstrakte
Übersetzung der gesellschaftlichen Machtprozesse. „In einer Gesellschaft haben wir eine
herrschende Gruppe A, ferner eine Gruppe B, die ihrerseits die Herrschaft erlangen will, und
die C, den Rest der Bevölkerung. Der Teil A läßt sich noch in zwei Gruppen aufteilen, in eine
Gruppe A a, die noch Kraft und Energie genug hat, um ihre Autorität zu verteidigen, und eine
9
Dabei auch der Hinweis auf die Anwendung Paretos Theorien unter dem zeitgleich aufkommenden
Italofaschismus; der mehrere „Eliten-Denker“ hervorbrachte.
10
Günter Zaules: Paretos Theorie der sozialen Heterogenität und der Zirkulation der Eliten. Stuttgart 1968. S.40
11 Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.56
12
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.40
13
Niccolo Machiavelli: Discorsi. Stuttgart 1977. S.289
14
Niccolo Machiavelli: Discorsi. Stuttgart 1977. S.290
3
Gruppe A b, die sich aus degenerierten geistes- und willensschwachen Individuen
zusammensetzt. Zwischen den beiden antagonistischen Gruppen A a und B stehen die C,
denen - obwohl sie selbst unfähig sind zu handeln - doch insofern große Bedeutung zukommt,
als es in diesem Machtkampf entscheidend ist, auf welche Seite sie sich stellen. Sie spielen
die Rolle einer Armee, an deren Spitze sich sowohl die A als auch die B stellen können.“ 15
Wir befinden uns damit wieder bei der Zirkulationstheorie. Der Gedanke dabei ist, dass sich
die oben befindlichen Kräfte in ständiger Konfrontation mit nach oben strebenden Kräften
befinden und sich deshalb neu ordnen würden. Ohne nun genauer auf die Methoden der
beiden Gruppen einzugehen, wiederholt sich auch im Weiteren die Idee der ständig bedrohten
Elitenposition, die durch seines- und ihresgleichen angegriffen wird. „Nicht selten sind
Aufstände und Revolutionen von abgefallenen Mitgliedern der herrschenden Klasse
ausgeführt worden.“ Die Erklärung, warum dies so sei, gleicht der Machiavellis und führt die
Nähe der Protagonisten an. Das gegenseitige Misstrauen verbindet gegen jene, denen man
noch mehr misstraut. Dabei wird an das Beispiel Sparta erinnert, wo sich die herrschende
Elite Werte wie „hart, grausam und nüchtern“ geteilt hätten und sich deshalb lange halten
konnten. ‚Dekadente’ Mitglieder der herrschenden Klasse wurden verdrängt (um ein wohl zu
verharmlosendes Vokabel zu verwenden), damit nicht die Legitimation der gesamten Gruppe
wegbricht. 16 Pareto fügt den Beobachtungen zu andauernden Herrschaften an, dass den
„Wellenbewegungen der Zirkulation der Eliten solche der ökonomischen Prosperität folgen“
würden. Dieser Gedanke kann auch im Sinne der Forderung für eine offene Gesellschaft
gesehen werden, die vermutlich nicht ganz dem Wunsch der im Augenblick ‚oben’
Befindlichen entsprechen dürfte. Dazu verweist Gaetano Mosca auf die Unmöglichkeit
‚Erbadel’ und Demokratie als „entweder-oder“ zu denken. „Die absolute Vorherrschaft der
aristokratischen Tendenz würde voraussetzen, daß die menschliche Gemeinschaft sich in
Ideen und Umständen nie verändert; die Erfahrung zeigt, daß diese Voraussetzung absurd ist.
Die demokratische Tendenz andererseits könnte nur unter der Bedingung absolut obsiegen,
daß die Söhne nicht die Mittel, Kontakte und Bildungsvorteile erben, die ihre Väter in den
Stand gesetzt hatten, die Elitepositionen einzunehmen.“ 17
Am Ende dieses kurzen Rückblicks auf historische Sichtweisen der Eliten, stellt sich die
Frage, in wie weit sich die Ideen der frühen Denker im heutigen Alltag der Eliten
widerspiegeln? Auch mag die Ambivalenz zwischen Misstrauen und Abhängigkeit eine
Zusammengehörigkeit entstehen lassen, die selten mit Solidarität bezeichnet wird, aber bei
einem zweiten Blick womöglich verbindender ist als eine Sympathiegemeinschaft. Das macht
es vermutlich schwierig, die Solidarität der Eliten zu verorten, da die Verbindung indirekt
zum Zug kommt und nicht offen zur Schau gestellt wird; sich aber über die Vergangenheit zu
einer festgesetzten Ahnung vom Ablauf innerhalb der Elitengruppe entwickelt hat. Und
diesem sozialen Aspekt widmet sich der nächste Abschnitt.
Erneut ist der Blick zurück gefragt. Im Zentrum steht die Tradierung des elitären Habitus, der
in manchen Beschreibungen zum Stereotyp wird. Ein Element scheint die hohe
Ausdifferenzierung des sozialen Codes, der die zwischenmenschliche Ordnung in den Eliten
regelt und erst über die Zugehörigkeit bestimmt. Um zu zeigen, wie subtil die Weitergabe und
Pflege des eigenen Stils vor sich geht, bediene ich mich der gern zitierten „Feinen
Unterschiede“ von Pierre Bourdieu.
Die Angehörigen der ‚herrschenden Klasse’ können sich im wahrsten Sinne des Wortes
schmecken. „Der Geschmack für bestimmte Speisen und Getränke hängt im weiteren sowohl
15
Günter Zaules: Paretos Theorie der sozialen Heterogenität und der Zirkulation der Eliten. Stuttgart 1968. S.41
Vgl.: Günter Zaules: Paretos Theorie der sozialen Heterogenität und der Zirkulation der Eliten. Stuttgart 1968.
S.57
17
Gaetano Mosca: Endgültige Fassung der Theorie der herrschenden Klasse. In: James H. Meisel: Der Mythos
der herrschenden Klasse. Düsseldorf, Wien ???. S.391
16
4
ab vom Körperbild, das innerhalb einer sozialen Klasse herrscht, und von der Vorstellung
über die Folgen einer bestimmten Nahrung für den Körper, das heißt auf dessen Kraft,
Gesundheit und Schönheit, als auch von den jeweiligen Kategorien zur Beurteilung dieser
Wirkungen;“ 18 Und da dieses Wissen nicht mit anderen Gesellschaftsgruppen geteilt wird,
kommt es zu Unterscheidungen, wobei eine Einteilung in „untere Klassen = billige, nahrhafte
Produkte“ und „freie Berufe = gesundheitsfördernde, leichte Produkte“ nicht mehr so scharf,
wie wohl zu Bourdieus Zeiten gezogen werden kann; was wie ein Beleg für die
Vorbildfunktion der Eliten erscheint. Trotzdem erscheint mir die Idee des gemeinsamen
Geschmacks – der nicht unbedingt auf das Essen bezogen bleiben muss – als für die Theorie
einer Solidarität der Eliten hilfreich. Auch auf Grund der Nebensächlichkeit mit der sich
dieser Prozess vollzieht. „Der Geschmack: als Natur gewordene, d. h. inkorporierte Kultur,
Körper gewordene Klasse, trägt er bei zur Erstellung des ‚Klassenkörpers’; als inkorporiertes,
jedwede Form der Inkorporation bestimmendes Klassifikationsprinzip wählt er aus und
modifiziert er, was der Körper physiologisch wie psychologisch aufnimmt, verdaut und
assimiliert, woraus folgt, daß der Körper die unwiderlegbarste Objektivierung des
Klassengeschmacks darstellt, diesen vielfältig zum Ausdruck bringt.“19 Folgt man diesen
Überlegungen trägt jede soziale Tradition zur Ausbildung spezifischer Körpermerkmale bei.
Das wird umso wichtiger, wenn man den Körper als offensichtlichstes Signal für die
Mitmenschen ansieht; als ersten Schritt der Kontaktaufnahme, als verbindendes Element. Die
scheinbar ‚natürlichsten Momente’, wie Umfang, Größe, Gewicht, usw., vermitteln dem
Betrachter eine Ahnung der Lebenswelt der Person. 20
Ähnlich zum Körperbau vermittelt auch die Körperhaltung und das Verhalten die ‚Haltung’
der Person. Dabei komme „das umfassende Verhältnis zur sozialen Welt zum Ausdruck.“ 21
Zusätzlich kommunizieren auch die oberflächlichen Veränderungen und Adaptionen an das
Umfeld, wie Kosmetik und Kleidung, den jeweiligen finanziellen und kulturellen
Hintergrund. „Der Körper ist nicht nur Träger, sondern auch Produzent von Zeichen […]“ 22 .
Die Art und Weise wie man sich präsentiert, darstellt – und dabei formt und gestaltet man den
Körper durchaus auch unbewusst –, gilt als Anzeichen für die moralische Haltung der
jeweiligen Person. Und als Vorbild dient dem Körperbildenden (die Person selbst, der
Erziehungsberechtigte, …) das Umfeld und in diesem Zusammenhang spricht Bourdieu von
‚sozialer Vererbung’.
Ein wichtiger Baustein dessen ist die Erziehung, die ein bestimmtes Sozialverhalten direkt
oder indirekt auf den Weg gibt. „In der Regel genügt eine in bürgerlicher Erziehung
erworbene Gestimmtheit, Unverträglichkeit gegenüber Lärm oder zu nahem Körperkontakt,
damit sich im Arbeits- oder Freizeitbereich ein Wechsel vollzieht und man sich den im
fraglichen Moment gerade selteneren Objekten und Aktivitäten zuwendet.“ 23 In gewissem
Sinne sorgt die spezielle Erziehung dafür, dass unter ähnlichen Bedingungen Aufgewachsene
das Verständnis für die dadurch erhaltenen Eigenheiten teilen; womit rasch ein verbindendes
Element entsteht. Zusätzlich kommt bei den Eliten auch eine Überzeugung zum Tragen, dass
das ‚Distinguierte’ etwas Vorbildhaftes hat und somit die Person nicht ihr Anderssein
anzweifeln muss. Doch dieses ‚Besonders-Sein’ trifft auch jene, die in eine Elite aufsteigen
und sich dem dortigen common sense anpassen müssen. Diesen Schritt bezahle die Person
„mit einem wahrhaften Wandel seiner Natur“. Und „da er sich selbst zum Schauplatz des aller
Kultur immanenten Klassenkampfes gemacht hat, wird er von Schmach, Entsetzen, ja Haß
18
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.305
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.307
20
Vgl.: Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.307
21
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.309
22
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.309
23
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.388
19
5
gegenüber dem ‚alten Adam’ [hier ein Synonym für die frühe Form der Zivilisation]
heimgesucht, gegenüber dessen Sprache, Körper, Geschmack und Neigungen, gegenüber
allem, dem er einst solidarisch war […] - von alledem ist er nun durch eine Grenzlinie
geschieden, die totaler ist als alle Verbote.“ 24 Nun besteht diese Solidarität mit der neuen
Umgebung, die eine Verbindung durch das bewusste Anderssein praktiziert, das sich eine
moralische Höherwertigkeit einräumt.
Somit wundert es nicht, dass sich Mitglieder etwaiger Eliten schon von weitem riechen
können und wenn schon nicht ihresgleichen suchen, so doch ihresgleichen finden werden. Ein
Begleitaspekt dessen ist das Wissen von den anderen ‚Gleicherzogenen’, weshalb
Entscheidungsträger bewusst oder unbewusst in ihren Entscheidungen deren Interessen
berücksichtigen; sprich mit dem „Einfluss rechnen, auch wenn er nicht in jeder einzelnen
Entscheidung geltend gemacht wird oder zum Erfolg führt.“ 25 Die persönliche Komponente
und die geteilten Werte lassen eine Solidarität entstehen, die Entscheidungen hervorbringt, die
die ganze Gruppe in eine bestimmte Richtung führen. Damit erklärt sich auch, warum die
vielbeschworene Trennung von Besitz und Verwaltung in Eigentümer und Manager ein
Feigenblatt ist, das die wahren Verflechtungen oberflächlich bedeckt. „Wealthy families hold
shares in a large number of companies and they form a pool from which corporate managers
are recruited, though these managers may not come from families having a substantial
ownership stake in the companies which they run.” 26 Aber eigentlich dürfte die
Freunderlwirtschaft nicht verwundern, wenn man die vermutete ‘natürliche’ Solidarität der
Eliten bedenkt. Über unbewusste und bewusste Prägungen ergibt sich eine
Solidargemeinschaft, die womöglich nicht auf Sympathie beruht, sondern vielmehr auf der
gegenseitigen Abhängigkeit, den legitimierenden Schein zu wahren. Dieser abschließende
Gedanke soll an dieser Stelle noch mit einem Fragezeichen versehen werden.
Das Kapital der Eliten
Im ersten Hauptteil war oft die Rede von den gemeinsamen Werten; ohne jedoch näher darauf
einzugehen. Der folgende Abschnitt widmet sich einem speziellen ‚Wert’: Dem Kapital, in
seinen unterschiedlichen Formen. Und Eliten zeichnet aus, dass sie über diese Werte mit einer
gewissen Souveränität verfügen können, wozu nicht nur Kapital im monetären Sinn gehört,
„sondern auch Wissen, Mittel für den Einsatz von physischer Gewalt, schließlich
administrative/organisatorische Ressourcen, die es erlauben, Individuen zu organisieren und
organisatorische Strukturen zu kontrollieren, und psychopersonale Ressourcen, als da seien
Charisma, Zeit, Motivation und Energie […].“ 27 Als Beispiel für eine der letztgenannten
Kapitalarten dienen nun Auszüge aus einer Biographie, die Tomke Böhnisch in ihrem Buch
„Gattinnen - Die Frauen der Elite“ schildert.
„Anna von Jahnson (1941 geboren) ist mit einem Bankvorstand verheiratet, der aus einer
großbürgerlichen Familie kommt. […] Ihre eigene familiäre Herkunft sei ‚sehr
unterschiedlich’ und zwar insofern, als die Familie mütterlicherseits dem vermögenden Adel
angehöre, ihr Vater aber aus kleinbürgerlichen Verhältnissen komme und erst durch die Heirat
und seine spätere Position als Geschäftsführer eines Konzerns in diese Kreise
hineingekommen sei. Über die adelige Familie der Mutter blickt Anna von Jahnson auf eine
lange Tradition zurück, die sich, wie sie sagt, durch Bildung und Kultiviertheit
auszeichnet.“ 28 Soviel zur Ausgangslage.
24
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.391
Barbara Wasner: Eliten in Europa. Wiesbaden 2004. S.98
26
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.40
27
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.16
28
Tomke Böhnisch: Gattinnen - Die Frauen der Elite. Münster 1999. S.86
25
6
Die Autorin bemerkt die Kompetenz der Interviewten bezüglich Selbstdarstellung, wenn sie
von ihrer Biographie behauptet, dass sie keine Erfolgsgeschichte sei. So sei die Schulzeit
wunderbar gewesen – sie sei sogar dreimal sitzen geblieben. „Also ich hatte immer das
Gefühl, anstrengen? Nein, ich nicht.“ Schon zu dieser Zeit hatte sie ihr Ziel, Schauspielerin zu
werden. Doch sie brach die Ausbildung ab, wobei die „damit verbundene Unfähigkeit, sich
den Anforderungen einer Theaterausbildung zu stellen“, nicht als Versagen erscheint. „Denn
in ihrer Position als ‚höhere Tochter’ ist eine Ausbildung zweitrangig. Um eine
Berufsausbildung abzuschließen, müßte sie eine Leistung erbringen, die für ihre
gesellschaftliche Anerkennung unnötig ist. Zentral ist hingegen die Tatsache, in einem
funktionierenden Netz sozialer Beziehungen und in der ‚Guten Gesellschaft’ bekannt zu
sein.“ Dadurch, dass die Biographie nicht als Erfolgsgeschichte erscheint und dies nicht als
tragisch empfunden wird, kommt die familiäre Herkunft mehr zum Tragen. „Nicht die eigene
Leistung zählt, sondern persönliche Charaktereigenschaften, die sie aufgrund der gehobenen
sozialen Herkunft natürlicherweise besitzt. Sie ist besonders.“ 29 Diese Haltung mag in Zeiten
der Leistungsgesellschaft auch irritieren, verweist aber auf einen wichtigen Punkt innerhalb
der Eliten, nämlich dass die Art des Kapitals – hier: soziales Kapital – anerkannt werden
muss. Innerhalb der ‚Klasse’ muss eine Vergleichbarkeit der Werte bestehen, die anerkannt
wird und eine soziale Ordnung ermöglichen. Dieses System scheint stabil, doch wird laut
Bourdieu ständig darüber verhandelt, „was symbolische zu verbindlicher Macht werden
lässt“ 30 und damit Legitimation bringt.
Das ‚Kapital’ von Frau von Jahnson ist ihre kommunikative Kompetenz, das Navigieren
durch ihr Milieu; auch Netzwerken genannt. Im Rahmen der Kommunikation können zwei
Arten unterschieden werden. Einerseits jene innerhalb der Elite, wo spezielle Umgangsformen
und der Bildungsstand über die ‚Gesellschaftsfähigkeit’ entscheiden. Andererseits über die
Wirkung nach Außen, die darüber bestimmt, wie das Tun der eigenen Zunft vom Rest
interpretiert wird. „Eliten sind meist nicht das verkleinerte spiegelbildliche sozialstrukturelle
Abbild der Gesellschaft. Gerade herausragende Leistungen, höhere Bildung und Herkunft
zeichnen die Elitemitglieder aus. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit Eliten repräsentativ
für die Gesamtgesellschaft sind.“ 31 Vor allem, da sie in gewisser Weise durch den Rest ihre
Legitimation erhalten. Dabei stellt sich die Frage, woher das Selbstbild oder die Idee hinter
dem vermittelten Bild kommt? Doch nochmals zurück zur Kommunikation innerhalb der
Elite.
Ein kurzer Schwenk zur Entstehung der bulgarischen Mafia, die ein ‚handfestes’ Beispiel für
die interne Kommunikation liefert. Durch das Wegfallen der Machtstrukturen mit dem Ende
des Sozialismus blieb in Bulgarien eine Gesellschaft ohne Ordnung zurück. Doch da eine – in
dem Fall – wirtschaftliche Gruppierung nicht ohne eine solche Ordnung Werte erzeugen kann,
entwickelten sich ‚Power-Strukturen’. „Ohne diese ist keine Bewegung im ‚ökonomischen’
Raum möglich. Wo das Geld nicht vermittelt, vermittelt die Gewalt.“32 Und auch wenn die
Mafia von der Theorie nicht zur Elite gezählt wird, zeigt dieses Beispiel relativ drastisch, wie
für eine handelnde Gruppe Wertesysteme Priorität erhalten; meist sind jedoch die
Ausgangslagen viel diffiziler.
Auch sehr direkt zeigt das Beispiel der bulgarischen Mafia und dem alten sozialistischen
System das Prinzip der ‚Nomenklatura’, im Sinne einer Liste von Elitepersonen. Diese wird
immer dann herangezogen, wenn eine Stelle neu zu besetzten ist. „Das Problem ist hier nicht,
29
Tomke Böhnisch: Gattinnen - Die Frauen der Elite. Münster 1999. S.89
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.391
31
Barbara Wasner: Eliten in Europa. Wiesbaden 2004. S.26
32
Rumen Dimitrov: Elitenlosigkeit und Postkommunismus. Fragmente zum kulturellen Hintergrund der
Mafiabildung in Bulgarien. In: Magarditsch A. Hatschikjan, Franz-Lothar Altmann (Hrsg.): Eliten im Wandel.
Paderborn u.a. 1998. S.108
30
7
die Namensverzeichnisse zu erkennen, sondern sie zu erblicken. Dafür braucht man nicht
unbedingt Schnüffelhunde, sondern wiederum die Hilfe der Theorie, da die Mystifikation der
Nomenklatura gerade darin besteht, daß es solche Namenslisten - zumindest geschrieben vielleicht gar nicht gibt. Die Praxis der Nomenklatura ist genauso real wie imaginär, sie hat
mit dem mündlichen Geschick der politischen Bürokratie zu tun, über Geschriebenes zu
reden, ohne es vorweisen zu müssen.“ 33 Spannend dabei ist, dass es eine imaginierte Liste
geben könnte, die innerhalb der Elite anerkannt ist, ohne irgendwie fixiert zu sein. Dadurch
wird sie für Außenseiter zu etwas Undurchdringlichem das auch eine Orientierung innerhalb
dieser Kreise verunmöglicht.
Es zeigt sich, dass ein komplexer Austausch von Werten innerhalb der Eliten praktiziert wird,
der sich nicht mit den Grundsätzen der Restbevölkerung decken muss. Deshalb benötigen
solche Gruppen ein Wertesystem, auf das man sich verlassen kann. Das Funktionieren der
Abläufe hängt von einer gewissen Stabilität ab, die den Konservativismus der Eliten mit sich
bringt; und gleichzeitig eine Solidarität der Gruppe bedingt, dass Werte nicht spontan
gewandelt werden.
Eliten schaffen sich ihre Rechtfertigung selbst
Manches lässt die elitären Kreise wie eine Parallelgesellschaft erscheinen; womöglich stimmt
dies auch in Maßen. Gleichzeitig muss aber daran erinnert werden, dass die Eliten nicht ohne
den ‚Rest’ auskomme. Sind es doch die ‚Anderen’, die den Status wenn nicht verleihen, so
zumindest bestätigen (zurückspiegeln). Im Sinne der Henne-Ei-Problematik lässt sich fragen,
ob die Eliten ihre Werte erfinden, oder die Tendenz außerhalb erkennen und
weiterentwickeln? Ohne weiter groß auf die Ursprungssuche zu gehen, zeigt sich hierin die
Notwendigkeit, Besonderheit argumentieren zu können.
Im Rahmen der politischen ‚Arbeitsteilung’ führe das Gefühl der Inkompetenz und Ohnmacht
bei „ökonomisch und bildungsmäßig Benachteiligten zum Rückgriff auf ‚Experten’ oder zum
Glauben an die Kryptokratie, jene andere Weise der Überschätzung der anderen Klassen
[…].“ 34 Spannend an dieser Behauptung scheint die Tatsache, dass eine Gruppe auf Grund
von Nichtwissen zu entscheiden scheint, was Wissen ist. Es stellt sich also die Frage, woher
die Ahnung kommt, wer zum Experten berufen ist?
Eine Erklärung liefert die Idee, dass es weniger um das generelle Wissen im jeweiligen
Fachgebiet geht, sondern vielmehr der Überblick über das zu Wissende wichtig ist.
„’Sachkompetenz’ basiert wesentlich auf sozialer Kompetenz und dem damit einhergehenden
Gefühl, qua Status berechtigt und aufgerufen zu sein, diese spezifische Fähigkeit praktisch
umzusetzen, folglich auch über sie zu verfügen - und dies vermittels der Neigung, sie sich
anzueignen, die selbst wiederum abhängt von der gesellschaftlich anerkannten Fähigkeit und
Notwendigkeit der Aneignung.“ 35 Die Überzeugung von der eigenen Kompetenz und das
Zugeständnis der anderen schaukeln sich zur ‚Sachkompetenz’ hoch. Eine Rolle dabei spielt
auch die Gabe, Unwissenheit zu kaschieren. Bei Bourdieu findet sich diese Thematik anhand
beobachteter Unterschiede bei Mann und Frau behandelt. Dabei würden Frauen öfter an ihren
Antworten und Ansichten zweifeln, als Männer mit gleichem Bildungsstand. 36 Vermutlich
lässt sich diese Beobachtung auch auf die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft übertragen
und lässt erahnen, wie Entscheidungskompetenz zugeteilt wird; und sie erscheint in einer Art
selbsterfüllender Prophezeiung. Warum sich manche Personen mehr zutrauen als andere,
33
Rumen Dimitrov: Elitenlosigkeit und Postkommunismus. Fragmente zum kulturellen Hintergrund der
Mafiabildung in Bulgarien. In: Magarditsch A. Hatschikjan, Franz-Lothar Altmann (Hrsg.): Eliten im Wandel.
Paderborn u.a. 1998. S.133
34
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.639
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Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.641
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zeigte sich in den vorangegangenen Abschnitten, wo Ideen wie die ‚soziale Vererbung’ eine
Erklärung versuchten.
In weiterer Folge würde dies bedeuten, dass man nicht ‚Sachkompetenz’ bewertet, sondern
die Fähigkeit der Person, gerade das zu wissen, was als Wissen verlangt wird; und zusätzlich
erscheint es nicht einmal wichtig, es zu wissen, sondern möglichst gut den Schein von Wissen
zu erzeugen. Und trotzdem wird versucht, einen gesellschaftlichen Konsens zu finden, welche
Qualifikationen vermittelt und wertgeschätzt sein sollten. Wohl auch, weil ‚soziale
Kompetenz’ schwierig zu bemessen ist. Deshalb erscheint es praktischer sich darüber zu
einigen, welche „Schul- und Hochschulabschlüsse zur legitimen Ausübung eines Berufs
berechtigen und welche Ausbildung dazu legitimieren soll.“ 37 Ließe sich also formulieren,
dass es der ‚Glaube’ (an das Bildungssystem) ist, der den Stellenwert in der Gesellschaft
bestimmt? Sprich wäre es denkbar, dass ein Jusstudium zu nichts qualifiziert, wenn nicht
wiederholt werden würde, dass es einen Wert hat? Oder nehmen wir die Ökonomie und den
Glauben daran, der einer modernen Religion gleicht und ebenfalls bloß ein konstruierter Wert
ist.
Wir nähern uns damit der Frage, ob die Werte auf Grund einer solidarischen Elite entstehen,
die ihre Vorstellungen im Chor verbreitet. Gustave Le Bon bietet in seinem Werk
„Psychologie der Massen“ einen Einblick, wie sich „der Massenseele Ideen und
Glaubenssätze langsam [einflößen]“ lassen, damit diese sie für verbindlich nimmt. So gäbe es
drei Arten, die hauptsächlich zur Anwendung kommen: die Behauptung, die Wiederholung
und die Übertragung oder Ansteckung (contagion). Im Rahmen des Textes bietet es sich an,
die Wiederholung herauszugreifen. „Napoleon sagte, es gäbe nur eine einzige ernsthafte
Redefigur: die Wiederholung. Das Wiederholte befestigt sich so sehr in den Köpfen, dass es
schließlich als eine bewiesene Wahrheit angenommen wird.“ 38 Und nimmt man sich kurz
Zeit, erblickt man die Schleifen in denen das soziale Wertesystem sich vor einem dreht.
Auf ein Vielfaches an Wiederholungen trifft man in der Schulzeit. Beispielhaft könnte man
sich selbst die Frage stellen, wo man das Zeitbewusstsein her hat und ob es nicht durch die
Verstundenplanung zumindest geprägt wurde? „Damit steht zu vermuten, daß die
klassenbewußteste Fraktion der Arbeiterschaft sich immer noch tiefgreifend der herrschenden
Kultur und Sprache und den herrschenden Normen und Werten verpflichtet fühlt, daß sie also
den Einflüssen zugänglich ist, die eine Autorität auf dem Gebiet der legitimen Kultur überall,
auch in der Politik, auf sie auszuüben vermag; denn das Schulsystem – und hierin liegt eine
der gesellschaftlichen Auswirkungen der Pflichtschule – hat ihnen die Anerkennung dieser
Werte, aber nicht Kenntnis beigebracht.“ 39 Liegt darin der Hund begraben, warum die
Bildungspolitik
ein
derartiges
ideologisches
Kampfgebiet
ist?
Doch
die
Ausbildungseinrichtungen sind nicht die einzigen Möglichkeiten, Werte zur Schau zu stellen
und das ‚richtige’ Handeln einer guten Gesellschaft zu ‚verkörpern’.
„An den Personen, die zu einer Elite zählen, kann man sehen, welche Leistungen, welches
Handeln, welches Sein gesellschaftlich anerkannt und prämiiert werden.“ 40 Viele Kanäle
bieten die Möglichkeit subtil das Wertesystem zu pflegen. Dazu bietet sich ein Beispiel an,
das womöglich auf den ersten Blick ein wenig fremd anmuten mag, doch die geistigen Eliten
stehen anderen um wenig nach; auch wenn die Vorzeichen andere sein mögen. Das Beispiel
zeigt, wie ein öffentliches Zur-Schau-stellen die Lebenswelt des Einzelnen beeinflussen kann.
Jean Paul Sartre und Simone de Beauvoir inszenierten ihr Privatleben öffentlich und prägten
damit wohl unzählige Studierende der Philosophie und der Literaturwissenschaften in ihren
Vorstellungen darüber, „wie man als Intellektuelle/r zu leben hat. Es wäre interessant
festzustellen, wann welche Eliten in ihrer privaten Lebensführung für ein breites Publikum
37
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.379
Gustave Le Bon: Psychologie der Massen. Stuttgart 1982. S.88
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Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.619
40
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.22
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eine Rolle spielen und welche Bedeutung den Medien dabei zukommt.“ 41 In diesem Sinne ein
Blick zurück zur Hofberichterstattung. „[…] wer ‚bei Hofe’ vorgelassen wurde, wem sich der
Kaiser huldvoll zugewandt hatte, welche Garderobe die Kaiserin und ihr Gefolge bei welcher
Gelegenheit trug, war Gegenstand intensivster Erörterungen in den Gazetten und eben in der
‚guten Gesellschaft’. Die Hofberichterstattung, für die wir heute nur Spott übrig haben, hatte
für die ‚gute Gesellschaft’ eine wichtige integrative Funktion.“ 42 Überträgt man den
Gedanken in die Gegenwart, sollte eigentlich der gesellschaftliche Einfluss einer Sendung wie
„Seitenblicke“ genauer untersucht werden. In jedem Fall sollte damit erinnert werden, wie
eminent die Wertevervielfältigung durch die Medien ist; die vermutlich erdrückender ist, als
zu Zeiten der Hofberichterstattung. So berichtet nun nicht nur Text über das ‚gute’ Leben,
sondern zeigen auch Bild und Bilder die ‚Spitzen der Gesellschaft. So liefert auch die
Werbung Beispiele, wenn sie „Bilder des modernen, eleganten, ‚coolen’ Managers präsentiert
oder in der Kaffeereklame Bilder von der bürgerlichen Gattin im wohlhabenden Ambiente.“
Und hinterfragt man die Sujets, wird erkennbar, dass auch damit Orientierungspunkte für das
‚richtige’ Handeln geliefert werden und der Traum einer „erstrebenswerte Lebensführung“
generiert wird. „Gerade in der differenzierten modernen Gesellschaft mit ihren divergierenden
Lebenswelten ist diese praktizierte, ‚gelebte’ Form der Vermittlung von Werten, Wünschen
und Idealen durch das ‚charakteristische Sosein’ der Personen, die als Eliten gewissermaßen
im Rampenlicht stehen, ein zentraler Aspekt der Vergesellschaftung der Individuen - und sei
es eine immer nur partielle, differenzierte Vergesellschaftung.“ 43
Doch führt dies wieder zur Frage zurück, ob die Orientierung erzeugt oder bestellt wurde.
Sprich, geben die Eliten vor, was wertemäßig geglaubt werden soll? Bisher wurde den
‚Massen’ diesbezüglich eine passive Rolle eingeräumt. Gaetano Mosca scheint ihr ein wenig
mehr zuzutrauen, wenn er über den Begriff der ‚politischen Formel’ reflektiert. „Er [der
Begriff; Anmerk. Autor] besagt, daß in allen Gesellschaften, und wäre ihr Niveau noch so
mittelmäßig, die herrschende Klasse ihre Macht zu rechtfertigen pflegt, indem sie sich auf ein
Gefühl oder einen Glauben beruft, der in der betreffenden Epoche und von der betreffenden
Gesellschaft anerkannt wird; z. B. auf den angeblichen ‚Willen des Volkes’ […]. Natürlich
muß jede politische Formel die geistig-moralische Reife des betreffenden Volkes und der
Epoche, für die sie gelten soll, berücksichtigen, und sie muß, um die moralische Einheit aller
Individuen, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzt, zu festigen, genau auf die zu ihrer
Zeit in ihrer Gesellschaft gültige Weltanschauung abgestimmt sein.“ 44 Doch sobald daran
erinnert wird, dass die Weltanschauung ein Konstrukt der Umgebung ist, das von
solidarischen Werteeliten erzeugt wird, rutscht die Mehrheit erneut in die Passivität. Auch bei
Vilfredo Pareto findet sich eine Anmerkung, dass die Herrschaft des Volkes mehr Anschein,
als wirklicher Einfluss ist. „Die Theorie, daß unsere Parlamente die Gesamtheit der Nation
repräsentieren, ist eine pure Fiktion. In Wirklichkeit repräsentieren sie nur den Teil der
Nation, der über die anderen herrscht.“ 45
Bei Robert Michels findet sich dazu sein „ehernes Gesetz der Oligarchie“ das besagt: „Ohne
Organisation ist die Demokratie nicht denkbar. Erst die Organisation gibt der Masse
Konsistenz.“ 46 Und bei dieser Organisation handle es sich um eine Tendenz zur Oligarchie.
Diese Ausgangslage verunmöglicht es, dass der ‚Wille des Volkes’ auf die ‚Organisatoren’
übergeht. Wer etwas durchsetzten will, muss sich organisieren und wer dies mache, schaffe
eine Oligarchie. „Organisation ist jedoch unabdingbar notwendig, weil sie die Waffe der
41
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.22
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.49
43
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.23
44
Gaetano Mosca: Endgültige Fassung der Theorie der herrschenden Klasse. In: James H. Meisel: Der Mythos
der herrschenden Klasse. Düsseldorf, Wien ???. S.386
45
Günter Zaules: Paretos Theorie der sozialen Heterogenität und der Zirkulation der Eliten. Stuttgart 1968. S.76
46
Michels, 1989: 24. Zitiert in: Barbara Wasner: Eliten in Europa. Wiesbaden 2004. S.51
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Schwachen gegen die Starken ist, deren Kampf sich nur auf dem Boden der Solidarität
gleicher Interessen abspielen kann.“ 47 Womit scheinbar alle Gruppen gemeinsam haben, dass
ein gemeinsames Ziel verbinden kann; und dabei sei jedoch angemerkt, dass diese Solidarität
für jeden erkennbar ist. Anders verhält es sich mit der subtilen Solidarität, die bestimmt, wer
organisieren darf. Oft wird vom politischen Desinteresse gesprochen, das in weiten Teilen der
Bevölkerung herrschen würde. Doch bedenkt man die vorangegangenen Ursachen, ließe sich
formulieren, dass Desinteresse ein Symptom fehlender ‚sozialer Kompetenz’ ist. Wem die
Qualifikationen fehlen, die – wie zuvor beschrieben – erzeugt werden, erhält gesellschaftlich
keinen Auftrag. Wer also soziale Durchmischung fordert, müsste das Aufbrechen der
Solidarität der Eliten fordern, damit auch andere Werte wertvoll werden.
Doch noch bestimmen relativ eng definierte Leistungen über die Zugehörigkeit zu einer Elite
in der modernen Gesellschaft. „Faktisch fungiert der Erfolg als Indikator für Leistung,
inzwischen vor allem – jedoch keineswegs ausschließlich – der in Geld messbare Erfolg. Die
in der naiven Wahrnehmung plausible Bindung des Elitenkonzepts an Leistung erweist sich
damit als hoch ideologische Konstruktion zur Legitimierung von Herrschaft und sozialer
Ungleichheit.“ 48 Nimmt man nun den Gedanken von vorhin auf, dass die Eliten das ‚gute
Leben’ vorlebt, es dann als ein solches von der Restbevölkerung übernommen wird und
dadurch wiederum diese die Leistungen der ‚guten Gesellschaft’ als solche anerkennt, kommt
man zum Schluss, dass sich die ‚Spitzen’ der Gesellschaft selbst definieren. „Das heißt, […]
daß die (gesellschaftlich fundierte) Illusion eines ‚natürlichen Unterschieds’ wesentlich auf
der Macht der Herrschenden beruht, kraft ihrer bloßen Existenz eine Definition des
Vollkommenen durchzusetzen, die letzten Endes nichts anderes darstellt als ihre eigene
Lebensform, und damit als distinktiv, different, folglich (da eine unter anderen) beliebig und
zugleich als vollkommen notwendig, absolut und natürlich erscheinen muß.“ 49 In diesem
Sinne muss der Gedanke von Carl Schmitt “Eliten sind diejenigen, deren Soziologie keiner zu
schreiben wagt.” 50 erweitert werden: Eliten sind diejenigen, die sich ihre Soziologie selber
schreiben.
Zwischenrufe und abschließende Betrachtungen
Der letzte Abschnitt ließ die Eliten wieder in eine äußerst aktive Phase rutschen, weshalb an
die Ausflüge des Textes in die Historie und die Soziologie erinnert werden soll, die auch
Eliten als Spielball gesellschaftlicher Prozesse sieht. Die ‚Solidarität der Eliten’ hat auch eine
stark passive Komponente, grenzt sie doch den Lebensstil relativ strikt ein, da jedes Mitglied
die vorzulebenden Werte wiederholen muss, damit die Legitimierung funktionieren kann. In
der modernen Gesellschaft spielt die symbolische Herrschaft eine wichtige Rolle und die
Erstellung der Symbole ist ein komplexer Vorgang. „Bourdieu sieht in der symbolischen
Gewalt heute den wirksamsten und mächtigsten Modus der Ausübung von Herrschaft. Sein
Interesse an den Feldern der kulturellen Produktion, die Betonung der ‚organischen
Solidarität’ zwischen den Vertretern der ökonomischen Macht und den Vertretern der
kulturellen Macht in der ‚Teilung der Herrschaftsarbeit’ gründet sich auf die enorm
gestiegene Bedeutung dieser ‚sanften’ und ‚modernen’ Form der Herrschaft.“ 51 Und was hier
mit der ‚organischen Solidarität’ beschrieben wird, könnte auch für den Begriff der
‚Solidarität der Eliten’ zutreffen. Gruppen, die mittels symbolischer Werte ihren
Führungsanspruch behaupten, müssen verstärkt solidarisch gegenüber ihren eigenen
Vorgaben sein, um nicht in Frage gestellt zu werden.
47
Barbara Wasner: Eliten in Europa. Wiesbaden 2004. S.51
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.50
49
Pierre Bourdieu: Die feinen Unterschiede. Frankfurt am Main 1984. S.398
50
Zitiert auf: German Power Structure Research (http://www.uni-muenster.de/PeaCon/psr/)
51
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.54
48
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Doch um nicht zu sehr in eine Richtung zu drängen, will ich auch noch relativierende
Gedanken einfügen. Zum Beispiel können Eliten auch zu solidarisch sein, wie die bulgarische
kulturelle Elite. „[…] anders als die russischen Marginalen […] stand die bulgarische
Intelligencija in einem engen korporativen Verhältnis zum Staat und dachte kaum daran, eine
‚zweite Öffentlichkeit’ […] außerhalb der partei-staatlichen zu gründen. Nach der Wende hat
sich herausgestellt, daß alle Schubfächer leer sind.“ 52 Somit konnte niemand einen Anspruch
auf die Führungsposition stellen, da alle Eliten den selben Werten folgten. Dadurch zeigt sich,
dass es für eine Gesellschaft durchaus dienlich sein kann, wenn nicht immer Solidarität
herrscht; vor allem dann, wenn sich die Gesellschaft verändern sollte, oder muss.
Noch eine Art der Relativierung ist der Gedanke einer Solidarität der Masse mit den Eliten.
Denn beiden ist das Leben in der Gesellschaft ein Anliegen, wozu Ralf Dahrendorf meinte:
„Gesellschaft impliziert die Übereinkunft, dass einige mit dem Recht ausgestattet werden,
sozialen Normen die bindende Kraft der Geltung zu verleihen.“ 53 Und mit dem Hinweis, dass
die komplexe Welt der Gesellschaft eine Vielzahl von Solidargemeinschaften schafft, beende
ich den ‚zwischenrufenden’ Teil.
Schon zuvor wurden ein paar Ausblicke auf die zukünftige ‚Solidarität der Elite’
angeschnitten. Eine der Fragen könnte sein, ob eine globale Elite entsteht, oder ob es sie
schon gibt? Womöglich kann in den Austauschprogrammen für Schüler und Studenten eine
Basis für etwas Derartiges gesehen werden, wo sich Werte teilen lassen. So wird davon
gesprochen, dass manche Bildungseinrichtungen Garant für eine Spitzenposition sind. Und
trotzdem geben Studien darüber Auskunft, dass die meisten Unternehmen auf nationale Eliten
zurückgreifen. „’Es fehlt bislang an dem’, fasst Hartmann seine Ergebnisse zusammen, ‚was
die herrschenden Klassen alter Großreiche ausgezeichnet hat: eine gemeinsame Kultur und
Sprache’.“ 54 Doch es stellt sich die Frage, ob eine globale ‚Solidarität der Eliten’ eigentlich
wünschenswert sei?
Die ‚Solidarität der Eliten’ ist keine händchenhaltende Solidarität, eher eine sich
selbstbedingende, die die Eliten durch die gemeinsame Notwendigkeit, die eigene
Besonderheit zu erzeugen, aneinander bindet. Und dass die Verbindung nicht unbedingt auf
Sympathie beruhen muss, erschwert es, sie zu erkennen; selbst wenn sie sich nicht in
Kaffeehaushinterzimmern abspielt. Womöglich erklärt diese Art der Solidarität, warum
gesellschaftliche Entwicklungen Zeit brauchen; denn eine große Solidargemeinschaft will
berücksichtigt werden.
52
Rumen Dimitrov: Elitenlosigkeit und Postkommunismus. Fragmente zum kulturellen Hintergrund der
Mafiabildung in Bulgarien. In: Magarditsch A. Hatschikjan, Franz-Lothar Altmann (Hrsg.): Eliten im Wandel.
Paderborn u.a. 1998. S.111
53
Ralf Dahrendorf. Zitiert in: Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz
2001. S.15
54
Beate Krais: Die Spitzen der Gesellschaft. In: Dies.: An der Spitze. Konstanz 2001. S.41
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