Hippokratischer Eid für die Wirtschaft? Ethische und praktische Reflexionen für nachhaltige Führungseliten Prof. Dr. Uto Meier, Kath. Universität Eichstätt-Ingolstadt 1 Der Ausgangspunkt: Davos 2003 Angel Cabrera – Ethik als Patent? Der Sitz im Leben des „Manager-Eids“: Skandal-Akkumulationen (Enron & Co-KG) Die Protektion durch das Handelsblatt Spannend: Negative Rezeption in Dtl. „Wir brauchen das nicht!“ (Vor-Siemens-Zeit!) Gemäßigt positive Rezeption in USA Damals „Distanz“ der dt. Hochschulen Heute? Ethik boomt! 2 Angel Cabreras Manager-Eid: Die Struktur Öffentlich – frei – und bewußt Auch für Absolventen Der Inhalt: Dauerhafter ökonomischer Mehrwert Rechte und Würde der Mitarbeiter achten! Nur ehrliche + transparente Transaktionen! Rohstoffe + Ressourcen nachhaltig nutzen! 3 Ein Eid – für wen? Die Chance des Eids für Eliten Mit ökonomischem Machtzuwachs nehmen Handlungsreichweiten / Verantwortungen zu: (Konzern-)Manager haben große Reichweiten – Eliten qua professione! Macht muss für Eliten begrenzt werden, wenn Sinnziele außerhalb eines Funktionierens angestrebt sind. 4 Eliten – die ungeliebte Klasse Facts: Gallup-Umfrage 2004: Weltweit 50.000 Befragte. Deutschland: 76% halten Politiker für unredlich 70 % mißtrauen Wirtschaftsführern 80 % halten ihre Macht für zu groß Die Werte entsprechen Costa Rica! 5 Der Abstieg der Superstars (Gabor Steingard 2005) Die wesentlichen Kritik-Punkte - Realitätsverlust - Nur noch ererbte, nicht erleistete Privilegien - Unglaubwürdigkeit: Wasser predigen, Wein trinken - Im internationalen Vergleich „provinziell“ - Ohne Gemeinwohlorientierung 6 Der Demokratische Generalverdacht: Orwells Farm „All animals are equal!“ „Some animals are more equal!“ Kann/darf es in demokratischen Gesellschaften Eliten geben? Der Sündenfall gegen das Gleichheitspostulat? 7 Eliten: Definitionsversuch „Bezeichnung von Personen/Gruppen, die sich von der Bevölkerungsmehrheit durch herausragende Qalifikationen, Leistungen oder pol. Einfluss abheben.“ „Eliten lassen sich in jeder hierarchisch aufgebauten Organisation finden.“ Brockhaus, Enzyklopädie 8 Ein Blick in die Geschichte: Der Elitebegriff als Privilegien-Kritik Frz. „eliser“ √ lat. eligere: auslesen Begriff der Aufklärung/Absolutismus: Die Elite definiert sich NICHT durch Privilegien/Vermögen, sondern durch Leistung und Tugend Zweifache Legitimation der Eliten: Leistungsfunktion und Loyalität, verstanden als jeweilige Tugend 9 Traditionen des Elitenverständnisses 1 Platon: Die Herrschaft der Tüchtigen und Weisen: In der „Politeia“ sollen die „philosophoi“ und die „aristokratoi“ herrschen Biblisch: Dtn 17,14: Ethisch orientiertes Königsrecht: Nur der kann König werden, der von Gott eingesetzt ist, und das zeigt sich in: - nicht zu viele Pferde /keine große Zahl von Frauen - nicht zuviel Silber und Gold - Gott und seine Gebote achten, - sein Herz nicht über seine Brüder zu erheben Ps 101: „Von Gnade und Recht will ich singen!“ 10 Traditionen des Elitenverständnisses 2 Die Wende bei Machiavelli im „Principe“ In Abkehrung von den ma. Fürstenspiegeln wird der Machterhalt als solcher legitimiert (etablierte) Eliten müssen sich nicht mehr rechtfertigen Das Problem: die Aufsteiger-Eliten - Paretos Antwort: Integration 11 Traditionen des Elitenverständnisses 3 Max Webers idealtyp. Analyse von Eliten-Akzeptanzen (bottom-up-view) - Legale Eliten: Verwaltung. Auswahl durch Regelwerke - Traditionale Eliten: Konservative Werteliten (Adel, Militärs, Geistliche) - Charismatische Eliten: Akzeptiert durch Leistungen (Wissenschaftler, Künstler …) 12 Traditionen des Elitenverständnisses 4: Perversionen im Darwinismus Die zentrale Ablehnung des E.-Begriffes Deutschland: Im Gefolge des Sozialdarwinismus hat der NS den Elite-Gedanken seiner Auswahl-Prinzipien entkernt: Eliten ohne Moral, Macht ohne Ethik führte zur SS-Übermenschen-Ideologie und zum Zivilisationsbruch 13 Neuere demokratische und theologische Elite-Begriffe: LEO Die drei Dimensionen eines neuen Eliteverständnisses: LEO Eliten – legitimiert durch Leistung Eliten – legitimiert durch Einfluss Eliten – legimiert durch Orientierung • Alle drei Aufgaben müssen Eliten erfüllen, wenn Sie Akzeptanz erreichen wollen. 14 Ein Versuch über Orientierung von Eliten als Verantwortungseliten Zum Verantwortungsbegriff für Eliten: Wer trägt Verantwortung Wofür trägt er/sie Verantwortung? Vor wem wird Verantwortung getragen? Mit welcher Verbindlichkeit? Unter welchen Maßgaben hat er sich zu verantworten? 15 Verantwortungsbezüge 2 (Spaemann 1982) Verantwortungsethik / Gesinnungsethik Wer trägt wofür Verantwortung? Handlungen, deren Folgen absehbar sind! und in meiner Verantwortlichkeit liegen! Für die Gesamtheit der aller Folgen?? Verantwortungsethik in Güterabwägung? Oder muss deontologisch abgewogen werden? Gesinnungsethik als Unbedingtheitserfüllung Begrenzte Verantwortung in eingegangenen sittlichen Beziehungen: „Eudaimonia“! 16 Verantwortungsbezüge 3 Ethik als Klärung von VerANTWORTung Wovor man sich verantwortet Verantwortungsinstanzen: - z.b.: GG Präambel: „… vor Gott und den Menschen“ oder vor dem „Gewissen“ (Art.4) vor Gericht, weil Gesetze notwendig regeln? vor Vertragspartnern, weil Verträge ja gelten? vor der Öffentlichkeit, denn sie filtert?? Vor der Sinnhaftigkeit der Wert-Evidenz? Auf jeden Fall ist vor anerkannten „‘Nicht-Ich‘Instanzen“ Antwort zu geben, mit denen wir in Beziehung stehen (sollen?) 17 Die Hybris des „Feldherrnhügels“ oder: Wider das „totalitäre“ Abwägungskalkül Ist nicht alles Güterabwägung? Und wenn wir alles gut abwägen, kommen wir zum Guten? Thomas von Aquin (S.th. I-II, quaestio 19, Art. 10): Staatsanwalt und Ehefrau! Das Gute definiert sich nicht aus Optimierungsalgorhythmen, sondern aus sittlichen Verhältnissen: Der Familientyrann - eine medizinische Altlast? Die „Last der Alten“ - ökonomische Handbremsen? Rangiermasse „Versprechen“? 18 Verantwortreferenzen für Eliten heute – stoische Erfahrungen Die Verbindlichkeit von Verantwortung - hängt ab von der freien Zusage - der Legitimität der fordernden Instanz Formen in der Denkgeschichte (Cicero) Mores Sitten/Faktizität Leges Positives Recht Honestum Moral als „in sich Rechtes“ 19 Das Wieland‘sche Werte-Viereck : Güterabwägung über alles? (Wieland 2004) Leistungswerte Kooperationswerte Kommunikationswerte Moralische Werte Ethik muss Werte in Rangordnung bringen! → Moralität ist kein Aspekt unter vielen! Nutzen/Ziele / Kompetenz / Flexibilität / Kreativität / Qualität / Innovations… Loyalität / Teamgeist / Konfliktfähigkeit / Offenheit /… Achtung / Zugehörigkeit /Transparenz / Verständigungsbereitschaft/… Integrität / Fairness / Ehrlichkeit / Vertragstreue / Verantwortung Man kann nicht tapfer und genußorientiert sein! 20 Stanislaw J. Lec 21 Acht Ausreden, die gute Elitebildung verhindern sollte (Schröer 2005) Ich habe diese Aufgabe nie übernommen Ich bin nicht zuständig Ich bin nicht rechenschaftspflichtig Ich war nicht zuständig Ich war dafür nicht zuständig Diese Instanz akzeptiere ich nicht! Es lag kein commitment vor Die Kriterien sind nicht für mich anzuwenden 22 Der Manager-Eid: Verbindliche Verantwortungsübernahme Die formale Seite des Eides Die Akzeptanz des Eides in „WerteGesellschaften“: Hippokrates-Eid: Amtseid / der Eid im Prozesswesen Der religiöse Eid Die präventive Kraft des Eides Shaming / Blaming: Reputationspfand (Wieland) Die freie Selbstverpflichtung als Person! Der Eid als Initiationsritual 23 Der Manager-Eid: Funktionen + Chance der Freien Selbstbindung Freie Selbstverpflichtungen: Die höchste Stufe der ethischen Bindung (Kohlberg) Identifikation mit Wertekanon steigt Motivationsfunktion für esprit du corps Orientierungsfunktion für ökon. Eliten Legitimationsfunktion: Der Eid als Introitusritual 24 Die Inhaltsdiskussion zum Manager-Eid Präferenz der Unterlassungsgebote Ein Blick in die Tradition: Intrinsece Mala Kein Leben zerstören Keine Unwahrheit in Beziehungsgefügen Keine Zerbrechen der Personmitte Keine Funktionalisierung von Nähe Keine Infragestellung des Seins von Sinn /¿ Implementierung ökonomischer Handlungsgebote Rentabilität- Nachhaltigkeit – Loyaltität … 25 Gegenwärtige „Management codes of conduct“ Global compact Deutscher Governance-Kodex Otfried Höffes 9 Gebote (NZZ 15.4.2004) Der wert(e)orientierte FührungskräfteKodex von Brinkmann/Tiberius Die 10 Gebote für Unternehmer (BKU) 26 Unternehmen (Warum nicht Manager?) sollen: Die international verkündeten Menschenrechte respektieren und ihre Einhaltung innerhalb ihrer Einflussphäre fördern. sicherstellen, dass sie nicht bei Menschenrechtsverletzungen mitwirken. das Recht ihrer Beschäftigten, sich gewerkschaftlich zu betätigen, respektieren sowie deren Recht auf Kollektivverhandlungen effektiv anerkennen. alle Formen von Zwangsarbeit bzw. erzwungener Arbeit ausschließen. 27 an der Abschaffung von Kinderarbeit mitwirken. jede Diskriminierung in Bezug auf Beschäftigung und Beruf ausschließen. eine vorsorgende Haltung gegenüber Umweltgefährdungen einnehmen. Initiativen zur Förderung größeren Umweltbewußtseins ergreifen. die Entwicklung und die Verbreitung umweltfreundlicher Technologien ermutigen. gegen alle Formen von Korruption, inklusive Erpressung und Bestechung, angehen. Die unterzeichnenden Unternehmen sollen einen jährlichen Bericht darüber verfassen. 28 Warum ein Manager-Eid HEUTE sinnvoll ist Die Integration von ethischen Standards in die Unternehmens braucht glaubwürdige Zeichen – Kein Ethik-Freier-Raum in der Ökonomie Der Konsens-Prozess über die Eidinhalte führt zu notwendigen Diskurses über unsere Wertebasis Verantwortungsträger finden Orientierung 29 Reflexive Konsequenzen für eine ethische Verbindlichkeitserklärung (nach Pagano 1987) 1. Legalitätsprüfung: Ist die Handlung gesetzeskonform? 2. Kants Imperativ 1+2: Ist die Handlung universalisierbar? Selbstzwecklichkeit? 3.Unparteilichkeitsfil ter Was würde Dein bester Freund sagen? 4.Öffentlichkeitstest Kannst Du es authentisch im Fernsehen vertreten? (5. UtilitarismusSieb:) Bringt es für viele Menschen viel Nutzen? 6. Goldene Regel: Willst Du, dass es auch Dir geschieht? 30 „Fünf + Eins“ Ethische Mindeststandards für vereidigte Führungs-Eliten (nach Hemel 2005) Professionalität und Wertschöpfung Vertrauen Transparente Kommunikation Tue das gut, was du tust! „Unternehmungen“ müssen legitime Bedürfnisse erfüllen und rentabel sein! Erfülle das in Dich gesetzte Vertrauen aus den legitimen (Rollen-)Erwartungen an Dich und gewähre anderen Vertrauen und Anerkennung! Wahrhaftigkeit ist Voraussetzung aller gelingenden Interaktion, aber mit unterschiedlicher Zugehörigkeit in Diskursphasen! Diskretion und Offenheit in Balance! 31 Fünf + Eins“ Ethische Mindeststandards für „Führungs-Eliten“(nach Hemel 2005) Zielklarheit und Strategie Alle Eliten haben die Pflicht ihren „Kurs“ zu artikulieren und alle Betroffenen das Recht, „Kursvorgaben/Ziele“ zu bejahen / oder zu befragen Persönliche Verantwortung und Gemeinwohl Aus Achtung vor Mitarbeitern und im Dienst der Sache muss persönliche Verantwortung gelten, mit geklärter Verantwortungsreichweite und Verantwortungsstufung! Personwürde Die personale Würde ist immer zu achten: Kein Zweck heiligt die Verletzung des Personkerns! Privilegien verpflichten! 32 Ein altes Summary: Kants kategorisches Imperativ II: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“[1] [1] GMS, Akademie-Ausgabe Kant Werke IV, S. 429, 10-12 33 Neuere Literatur zur ethischen Führungstheorie 1 Ulrich HEMEL, Wert und Werte. Ethik für Manager. Ein Leitfaden für die Praxis. München (Hanser) 2005 Alexander BRINK/V.A. TIBERIUS (Hg) Ethisches Management. Grundlagen eines wert(e)orientierten Führungskräftekodex. Bern/Stuttgart/Wien (Haupt) 2005 Uto MEIER / Bernhard SILL (Hg), Zwischen Gewissen und Gewinn. Werteorientierte Personalführung und OE. Regensburg 2005 Klaus-Peter Gushurst /Gregor Vogelsang Die neue Elite. Weinheim 2006 34 Neuere Literatur zu Führung als ethischer Führung 2 Gregor VOGELSANG / Christian BURGER, Werte schaffen Wert. Warum wir glaubwürdige Manager brauchen. München (Econ) 2004 Peter Ulrich. Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethische Orientierung. Freiburg 2. Auflage (htb) 2005 Robert Spaemann, Personen. Versuche über den Unterschied zwischen ‚Etwas‘ und ‚jemand‘ Stuttgart, 2. Aufl. 1998 Christoph Mohr, Sollen Manager heilige Eide schwören? In: Ethisches Management. Hrgg. Von A. Brinkmann / V. Tieberius, Bern u.a. 2005, 43-51 35 Ist „Elite-Bildung“ studierbar: „Master of ethical Management“ Lassen Sie mich mit Goethe schließen: „Tu das Rechte nur in Deinen Sachen, das andere wird sich von selber machen! Ich danke Ihrer Aufmerksamkeit! (Für Interessierte unseres Studienganges „Master of ethical Management (MeM)“ www.ku-eichstaett.de/mem 36