Ein unabgeschlossenes Projekt

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Mechthild Bereswill
Ein unabgeschlossenes Projekt
In der Werbung Puppen, Arbeit in Leichtlohngruppen. Wir sind stets nur Objekt:
Schlank sei die Hüfte, groß dafür die Brüste, auch wenn die Psyche verreckt.
Frauen zerreißt eure Ketten.
Schluss mit Objektsein in Betten.
Frauen gemeinsam sind stark. (1972)
Die Zeilen stammen aus einem der ersten Lieder, die in der westdeutschen
Frauenbewegung gesungen wurden. Geschrieben 1972 im Umfeld des Frankfurter Weiberrats, thematisieren alle sechs Strophen die Unterdrückung der Frau
im Privat- und im Arbeitsbereich der industriekapitalistischen Gesellschaft. Bei
der Gründung der feministischen studien im Jahr 1982 war das Stück also schon
zehn Jahre im Umlauf. Die Reime zur Unterdrückung und zur Befreiung von
Frauen zählten wohl auch zu diesem Zeitpunkt schon zum nostalgischen Gepäck von Feministinnen.
Das Lied, das ich selbst oft in Gruppen gesungen habe, fiel mir wieder ein,
als ich über diesen Text zum 30jährigen Bestehen der feministischen studien nachzudenken begann. Seine Polit-Reime scheinen auf den ersten Blick ewig gestrig und naiv, wenn das feministische »Wir« besungen wird, mit dessen Hilfe
der Unterdrückung von Frauen der Garaus gemacht werden soll. Bevor ich den
Text aber ins Archiv der Geschichte einer einf lussreichen sozialen Bewegung
zurück bringe oder als sentimentales Erinnerungsstück meiner eigenen politischen Biographie hüte, lohnt es sich, seine Botschaft etwas genauer unter die
Lupe zu nehmen.
Lassen wir das mittlerweile zur Genüge dekonstruierte »Wir Frauen«, das hier
konstruiert wird, beiseite und stellen uns vor, wir fänden die Strophe als Flaschenpost, beispielsweise am Ufer des Mains in Frankfurt: Wird hier eine überwundene gesellschaftliche Situation angeprangert, von der sich zu distanzieren
aus gegenwärtiger Perspektive leicht fällt? Gehören Sexismus und die mit ihm
verbundenen Herrschaftsmechanismen der Vergangenheit an? Hat sich die an
Geschlechterdifferenz geknüpfte Zurichtung von Körpern erledigt? Ist das Verhältnis von sozialer Ungleichheit, Arbeit und Geschlecht tatsächlich zugunsten
von Frauen in Bewegung geraten?
Auf jede dieser rhetorischen Fragen lautet die Antwort der an geschlechtertheoretischen Differenzierungsansprüchen geschulten Sozialforscherin anders.
In der Summe können wir uns auf allfällige Vokabeln wie »Kontextabhängigkeit« und »Ungleichzeitigkeit« beziehen, um die Widersprüchlichkeit und Komplexität gesellschaftlichen Wandels zu diagnostizieren und unser wissenschaftUnauthenticated
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Feministische Studien (© Lucius & Lucius, Stuttgart) 1 / 13
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liches Urteil gleichzeitig in der Schwebe zu halten. Sind »Frauen« also immer
noch unterdrückt? – Ja, nein oder vielleicht? Oder ist die Frage an sich schon
falsch gestellt und die Zuschreibung, im Feminismus ginge es um Frauen, ist ein
Kurzschluss, der den Blick darauf verstellt, dass selbst in dem alten Lied nicht
Frauen als homogene Gruppe, sondern gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse,
genauer Herrschaft im Geschlechterverhältnis fokussiert werden.
Folgen wir dem Lied, setzt Feminismus bei der Unterdrückung von Frauen
an und befreit diese aus gewaltförmiger Abhängigkeit (»Ketten«). Feministische
Theorie deckt solche Unterdrückungsverhältnisse auf und analysiert ihre Tiefenstrukturen – so der Anspruch feministischer Wissenschaft seit ihren Anfängen.
Betrachten wir den für die Neue Frauenbewegung in Westdeutschland grundlegenden Ansatz »Frauen befreien Frauen« nicht einfach als einen bornierten
Separatismus, sondern als starken Impuls, sich aus eigener Sicht an gesellschaftlichen Veränderungen zu beteiligen und Geschlechterverhältnisse nicht als Nebenwiderspruch zu behandeln, gewinnt die emphatische Parole »Frauen gemeinsam sind stark« ihren politischen Sinn. Wenn es weiter im Text heißt »Umsturz
ist mehr als Enteignung: Umgang von Freien mit Freien«, wird deutlich, dass
Frauenbewegungen sich weder mit dem Auf klärungsideal des freien und gleichen Bürgers noch mit den Utopien einer linken Politik abspeisen ließen.
Feministische Bewegungen bekämpfen immer noch Ungleichheit, Gewalt
und Ausgrenzung weltweit. Dabei verstricken sie sich selbst in die Ungleichheits- und Ausgrenzungsdynamiken, die es zu bekämpfen gilt. Das haben unter
anderem die heftigen Konf likte über Rassismus in der deutschen Frauenbewegung gezeigt und es zeigen alle fortlaufenden Konf likte, die mit Identitäts- und
Zugehörigkeitspolitiken einhergehen.
Feminismus verweist also auch gegenwärtig auf die Kritik an Herrschaftsverhältnissen und an deren je spezifischen Ausprägungen – was würden kritische
Beobachter_innen der gesellschaftlichen Entwicklungen wohl heute in einem
Kampf lied schreiben? Worauf reimen sich gesellschaftliche Verhältnisse wie
Prekarisierung oder sprachliche Bilder wie ›sich selbst regieren, regulieren, optimieren, evaluieren‹? Wer schwimmt mit wem im Mainstream und was wird wie
ge-gendert? Wer stimmt mit ein in den Diversity-Song? Welche Stimmen setzen
sich durch? Wer will, wer darf und wer kann nicht mitsingen? Hört überhaupt
jemand zu?
Komme ich auf den alten Text zurück, ist das Subjekt des Feminismus längst
keine »Frau« mehr. Feministische Politiken sind durch antirassistische und queere
Interventionen herausgefordert worden und beziehen sich nicht bruchlos auf
Frauen als eine Gruppe, obgleich Politik, die sich auf die Lebenslagen und Anliegen von Frauen bezieht, weder verschwunden noch überf lüssig geworden ist.
Hinzu getreten sind zudem unterschiedliche Varianten von Männlichkeitspolitiken, deren pro- wie auch antifeministische Ausrichtungen spürbaren Einf luss
auf geschlechterpolitische Debatten und Ansätze nehmen. Die unterschiedlichen
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Zugänge und politischen Entwürfe korrespondieren mit unterschiedlichen
Graden der Institutionalisierung, die mit bereits hinlänglich kritisierten Ökonomisierungstendenzen gegenüber Geschlechterpolitiken einhergehen.
Die Vervielfältigung der Akteur_innen und die fortlaufenden Kontroversen
darüber, was Feminismus kennzeichnet, können einerseits als eine Erfolgsgeschichte sozialer Bewegungen gedeutet werden: Geschlecht und Geschlechterpolitik stehen mittlerweile international auf der Tagesordnung, gesellschaftliche
Ungleichheitsrelationen sind ohne einen Bezug zu Geschlecht nicht angemessen zu erfassen. Andererseits sind viele Anliegen von Frauenbewegungen längst
nicht eingelöst und müssen gegenwärtig mit anderen berechtigten Anliegen einer Anti-Diskriminierungspolitik abgestimmt werden.
Feministische Theorie übernimmt in diesem Zusammenhang zwei Aufgaben: die erkenntniskritische Ref lexion auf die Produktionsweisen von (Geschlechter-)Wissen und die Ein- und Ausschlussmechanismen von politischer
Praxis einerseits und das Bereitstellen von Wissen und Konzepten, mit deren
Hilfe Herrschaftszusammenhänge aufgedeckt und kritisiert werden können, andererseits. Diese Perspektive geht nicht von einer bruchlosen Allianz zwischen
Wissenschaft und Politik aus. Sie verortet feministische Wissenschaft vielmehr
als Projekt der Gesellschaftskritik, das fortlaufend auch die eigenen Begriffe ref lektiert und diese einer Re-Vision unterzieht. Diese Prämisse der Kritik wird
im Feld der Geschlechterforschung keinesfalls geteilt und der Begriff feministisch begegnet uns im Alltag des Wissenschaftsbetriebs selten. Vor diesem Hintergrund bezieht eine Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, die sich feministische studien nennt, Position in einem umkämpften
Feld. Die Frage »Was ist und wozu heute noch feministische Theorie?«, die die
Herausgeberinnen der Zeitschrift in den Raum gestellt haben, ist aus meiner
Sicht nie abschließend zu beantworten: Feminismus ist im besten Fall eine offene und kontroverse Dynamik, die kritisches Denken über Gesellschaft herausfordert und politische Interventionen (er)findet, die den Naturalisierungen des
Sozialen ebenso entgegentreten wie der Durchsetzung eines am Homo Oeconomicus orientierten Menschenbilds. Zudem hat das unabgeschlossene Projekt
des Feminismus sich so lange nicht überlebt, wie Gewalt-Verhältnisse und Geschlechterverhältnisse augenscheinlich korrespondieren und dies weltweit immer noch zu wenig begriffen und bearbeitet wird.
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