39-42 20.12.2002 13:56 Uhr Seite 39 Gesellschaftswissenschaften Feministinnen werden nicht geboren... ... sondern gemacht. Die Wissenschaftsfrage im Feminismus Anlässlich der Verabschiedung eines Studienprogramms für Gender Studies und feministische Wissenschaft sind verschiedentlich Irritationen und Bedenken der Art aufgekommen, ob es so etwas wie feministische Wissenschaft geben könne oder ob es zulässig sei, das Adjektiv feministisch mit Wissenschaft zu verbinden. Zunächst sollen aber eine Reihe von Definitionen von Feminismus, feministischer Forschung, feministischer Theorie und feministischer Wissenschaftskritik vorgestellt werden, die sich in erster Linie auf die Soziologin Regina Becker-Schmidt, die Sozialpsychologin Gudrun-Axeli Knapp und die Philosophinnen Sandra Harding, Cornelia Klinger und Elisabeth List stützen. Der Begriff „Feminismus“ ist nicht nur innerhalb des Feminismus, sondern auch zwischen dem Feminismus und seinen Kritikerinnen und Kritikern umstritten. In bestimmten Subkulturen innerhalb westlicher Gesellschaften und in lateinamerikanischen Ländern wird der Begriff Feminismus häufig wie ein Schimpfwort, ähnlich wie der Begriff „Kommunismus“, benutzt. Die dahinter stehende Absicht: Frauen sollen daran gehindert werden, sich über Klassen-, Rassen- und nationale Grenzen hinweg zu organisieren; sie werden „auf ihren Platz“ verwiesen. Auch die weitverbreitete Tendenz in den westlichen Gesellschaften, dass Frauen und Männer darauf bestehen, absolut nicht feministisch zu sein, im nächsten Atemzug aber dieselben intellektuellen und politischen Programme unterstützen, die andere unter dem Namen „Feminismus“ vertreten, ist bemerkenswert. Diese Nicht-Feministen und Nicht-Feministinnen sind auch dafür, Gewalt gegen Frauen, die sexuelle Ausbeutung, die Armut von Frauen, die Diskriminierung im Beruf, den Ausschluss von öffentlichen Ämtern, ungleiche Bildungschancen oder sexistische Anschauungen in Biologie, Soziologie und Geschichte zu beenden. Hier wird der Begriff „Feminismus“ als Etikett verwendet, um sich von bestimmten Elementen, die er auch einschließen kann, zu distanzieren. Die Feministinnen selbst wetteifern mit vielfältigen und konträren Alle Abbildungen aus: FrauenBilderLesebuch, ElefantenPress Feminismus Positionen darum zu definieren, was als Feminismus gelten soll. Liberaler Feminismus, sozialistischer Feminismus, afroamerikanischer Feminismus, Dritte-Welt-Feminismus, lesbischer Feminismus und postmoderne Feminismen artikulieren je unterschiedliche Maßstäbe für Alternativen zu den herrschenden Voreingenommenheiten der bestehenden Wissenschaften. Darüber hinaus arbeiten Feministinnen in verschiedenen wissenschaftlichen Bereichen und hierarchischen Ebenen des Wissenschaftsbetriebs und erfahren sie unterschiedlich. Elisabeth List bezieht sich auf einen Workshop in Groningen 1984, wo Feminismus als „transformative Politik“ definiert wurde, die darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Institutionen zu verändern, jede Form von Unterdrückung zu überwinden, und nicht darauf, bestimmten Gruppen von Frauen innerhalb bestehen- der Strukturen mehr Raum zu verschaffen. „Die Parteilichkeit, zu der sich eine feministische Politik bekennt, ist die Parteilichkeit für eine Gruppe von Menschen, die schwerwiegenden Formen der Diskriminierung unterworfen war und ist.“ Frauen- und Geschlechterforschung Regina Becker-Schmidt beschreibt das Themenspektrum, in das sich Frauen- und Geschlechterforschung in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts aufgefächert hat. (1) Obwohl sich krude Formen der Biologisierung und Ontologisierung im Laufe der Zeit abgeschliffen haben, wird die Differenz zwischen Frauen und Männern als angeblich unhintergehbares Phänomen immer aufs Neue inszeniert. So setzten sich in ihren Anfängen, das heißt in den siebziger und achtziger Jahren, „Frauenforscherinnen theoretisch und empirisch mit der Frage auseinander, ob sich denn die Geschlechter nachweisbar unterscheiden“. Die Frage war, ob wir, wenn wir von „Geschlechterdifferenz“ reden, immer noch biologischen und anthropologischen Ideologien oder Soziologemen aufsitzen, die sexuelle Fixierungen und durch Sozialisationsprozesse verfestigte Geschlechterrollen überschätzen. Nach Becker-Schmidt gab es zwei Angriffsflächen: zum einen die Ausblendung der Kategorie „Geschlecht“ in den Sozialwissenschaften, zum anderen biologische, anthropologische und soziologistische Hypostasierungen von Geschlechterdifferenzen. Die Naturalisierung von Geschlechterdifferenzen stieß auf einhellige Ablehnung. „Wir werden nicht als Mädchen geboren – wir werden dazu gemacht“, so der Titel eines 1977 erschienenen Buches von Ursula Scheu. Mit der Unterscheidung „geboren/gemacht“ grenzten sich Forscherinnen gegen Positionen ab, die soziale Ungleichheit zwischen Frauen und Männern auf Biologie oder invariante Persönlichkeitsstrukturen zurückführten. (2) Die Geschlechterforschung stellt sich als eine Ausdifferenzierung der Frauenforschung dar. In der Wendung „Geschlecht als Strukturkategorie“ deutet sich eine theoretische und methodische Verschiebung an. Die soziale Bezogenheit der Geschlechter wird relevant, und zwar im Kontext von sozialgeschichtlich situierten Gesellschaften. So differenzieren sich Frauenforschung, Geschlechterforschung und – als Weiterung – die Beschäftigung mit Geschlechterverhältnissen als Facetten feministischer Theoriebildung aus. Während die Frauenforschung sich auf die Angehörigen der weiblichen Genus-Gruppe konzentriert, um zum einen die Bedeutung ihrer Erfahrungen und ihres Wissens bei der Einrichtung von sozialen Räumen herauszuarbeiten und zum anderen ihre Rolle in der Kulturgeschichte und der Wissenschaftsentwicklung wider alles Vergessen in Erinnerung zu bringen, nimmt die Geschlechterforschung, wenn es um die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen geht, eine vergleichende Perspektive ein, wobei die männliche Genus-Gruppe konsequenterweise 39 39-42 20.12.2002 13:56 Uhr Seite 40 Gesellschaftswissenschaften der vorrangige Referenzpunkt von Aussagen über geschlechtliche Ungleichheitslagen ist. Geschlechterforschung ist keine Alternative zur Frauenforschung; es hängt von der Fragestellung ab, welcher Zugang zu wählen ist. Kritische Einwände gibt es gegen beide Ansätze. So kann die Frauenforschung Gefahr laufen, in Bindestrich-Soziologien wie „Frauen und Arbeit“ stecken zu bleiben. Aus der soziologischen Analyse fällt dann heraus, wie geschlechtliche Ungleichbehandlung, die wir in einem gesellschaftlichen Bereich vorfinden, sich mit Nachrangigkeit oder Diskriminierung in anderen verbindet. Des Weiteren werden die Bezugspunkte für die Diagnose von Frauenbenachteiligung – nämlich Männerprivilegien – nicht transparent. Auch an der Geschlechterforschung ist Kritik laut geworden: Sie verliere ihre Verbindung zu feministischen Positionen und zur Frauenbewegung, wenn das Erkenntnisinteresse zu akademisch werde, und der Stachel der Kritik, der sich gegen soziale Ungerechtigkeit wendet, abstumpfe. Mit Sicherheit können wir sagen, dass sich die gesellschaftliche Stellung von Frauen und von Männern nicht am Status in nur einem sozialen Sektor festmachen lässt. Die Positionierung qua Geschlechtszugehörigkeit in einem Sektor hat vielmehr Auswirkungen auf die Stellung in den anderen Sektoren. So bedarf es nicht nur der Klärung, unter welchen Umständen geschlechtliche Schieflagen in einzelnen gesellschaftlichen Bereichen, beispielsweise im Ausbildungssystem, zustande kommen, sondern darüber hinaus, durch welche Modalitäten sich gegen Frauen gerichtete Benachteiligungsstrukturen über einzelne soziale Sphären wie Familie, Arbeitsmarkt und Sozialstaat hinweg verketten. Zwischen der kulturellen Konstruktion von Differenz und der Hierarchisierung von Frauen- und Männerarbeit gibt es eine Wechselwirkung, die sich auf eine ungleiche Bewertung von Weiblichkeit und Männlichkeit stützt. Dass Geld als Tauschmittel mehr Wert hat als nicht marktvermittelte (Haus-)Arbeit, kann als weiterer Hinweis dafür dienen, dass es zwischen den sozialen Sphären – hier: Familie und Erwerbsbereich – eine Rangordnung gibt. Das Berufssystem kann mehr Einfluss auf die 40 privaten Lebenswelten nehmen als umgekehrt. Auf die Gesamtgesellschaft bezogen gilt: Trotz der Interdependenzen zwischen Sektoren, die arbeitsteilig zum sozialen Zusammenhang beitragen, ist unsere Gesellschaft kein ausgewogenes Ensemble von Sektoren, in dem alle Segmente das ihnen angemessene Gewicht haben. Wenn es um gesellschaftliche Entscheidungen geht, haben staatliche Politiksphären, militärische Einrichtungen und die Wirtschaft eine größere Wirkmächtigkeit als das Bildungswesen oder private Sozialisationsagenturen. Das Prestige und der Einfluss von gesellschaftlichen Sektoren entspricht nicht nur politisch-ökonomischen Logiken, sondern ebenso androzentrischen. Es sind in geschichtlicher Kontinuität die männlichen Aktionsfelder (Militärwesen, internationale Politik, Wirtschaftsmanagement, Forschung), denen vorrangig soziale Relevanz zuerkannt wird. Weibliche Praxen wurden aus dieser Perspektive entwertet. Bei der Abwertung der Hausarbeit als nicht marktvermittelter, unbezahlter und nicht professionalisierter Tätigkeit gegenüber bezahlter, öffentlicher und berufsförmiger Erwerbsarbeit konnte das männliche Geschlecht seine Maßstäbe geltend machen. Die Hierarchisierung trifft Frauen doppelt: Die Minderbewertung der Hausarbeit, ein weibliches Betätigungsfeld, färbt auch auf die Berufstätigkeit von Frauen ab – sie ist ebenfalls keine „Männerarbeit“. Die Hierarchisierung der Sektoren entspricht der Wertschätzung männlicher Machtfelder, die daraus resultierende Rangordnung ist bestimmend für die Unterscheidung der Arbeitsformen. Die Stellung der Geschlechter reflektiert solcherart sektorale Über- und Unterordnungen, mit der geschlechtliche Arbeitsteilung verflochten ist. Das Geschlechterverhältnis ist ein ideelles Gebilde, eine symbolische Ordnung und ein Sozialgefüge, das eine materielle Basis hat. Die beiden Konstruktionen sind nicht identisch, verweisen aber aufeinander. Sie stützen sich wechselseitig ab, haben eine gemeinsame Sozialgeschichte und sind beide durch übergreifende Gesellschaftsformationen vermittelt. Feministische Theorie Eine Einführung in feministische Theorie hat es heute mit einem vielstimmigen und in sich kontroversen Diskurs zu tun. „Im Singular ist feministi- sche Theorie nicht zu haben“, schreiben Regina Becker-Schmidt und Gudrun-Axeli Knapp. Das interdisziplinäre Feld feministischer Theoriebildung wird allerdings durch ein gemeinsames Band zusammengehalten: das wissenschaftlich-politische Interesse an der Verfasstheit von Geschlechterverhältnissen und die Kritik an allen Formen von Macht und Herrschaft, die Frauen diskriminieren und deklassieren. Anders als die Bezeichnungen „Frauen- oder Geschlechterforschung“, die sich eher auf den Gegenstandsbereich der Analysen richten, hebt das Adjektiv „feministisch“ den politischen Impetus dieser wissenschaftlichen Strömung hervor und kennzeichnet sie als eine Form kritischer Theorie. Gleichzeitig verweist der Begriff „feministisch“, der im 19. Jahrhundert geprägt wurde, um die Emanzipationsbestrebungen von Frauen zu beschreiben, auf ein Moment historischer Kontinuität, das auch für das Selbstverständnis feministischer Wissenschaftlerinnen in der Gegenwart bedeutsam ist. Die Geschichte der Frauen- und Geschlechterforschung und der feministischen Theorie im heutigen Verständnis beginnt mit der neuen Frauenbewegung Ende der sechziger Jahre. Schon in frühen Texten, in denen Feministinnen sich über ihre Wis- 39-42 20.12.2002 13:56 Uhr Seite 41 Gesellschaftswissenschaften senschaft äußern, deutet sich der enge Zusammenhang zwischen wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse und politischer Praxis an; ein Spannungsverhältnis, in dem sich feministische Theoriebildung trotz aller Akademisierung und Professionalisierung bis heute bewegt. Feministische Theorie bezeichnet demnach keine Festlegung auf einen bestimmten Analyseansatz, wohl aber das Festhalten an einer kritischen Perspektive in der Analyse von Geschlechterverhältnissen. In diesem engeren Sinn ist nicht jede Form der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Geschlechterthematik als „feministisch“ zu bezeichnen. Feministinnen rekurrieren inzwischen auf ein breites Spektrum theoretischer Traditionen, die unter dem Gesichtspunkt ihrer Brauchbarkeit für ihre Forschungen evaluiert werden. Aufgrund der verbreiteten Blindheit überkommener Wissenschaft gegenüber Fragen des Geschlechterverhältnisses und wegen der androzentrischen Ausrichtung ihrer Begrifflichkeit können jedoch nur wenige Theorien – und dies gilt selbst für die erklärtermaßen gesellschaftskritischen Ansätze – ohne Revisionen für feministische Fragestellungen nutzbar gemacht werden. Die Frauen- und Geschlechterforschung ist also mit beharrenden und dynamischen Tendenzen in der sozialen Strukturierung von Geschlechterverhältnissen konfrontiert. Die Betrachtung vergangener Geschlechterkonflikte kann unsere Wahrnehmung einerseits dafür sensibilisieren, wo Wandlungsprozesse stattfinden, aber andererseits auch dafür, wo androzentrische Rhetoriken unter neuen geschlechtlichen Machtdifferenzen wieder belebt werden. Die Inhalte mögen wechseln, weil die Machtmittel sich geändert haben. Aber ihre Funktion könnte die gleiche geblieben sein: Frauen in relevanten Einflusssphären zu marginalisieren. Feministische Wissenschaftskritik – feministische Erkenntnistheorie Nach Sandra Harding gibt es innerhalb des Feminismus mindestens drei verschiedene Anschauungen über die Wissenschaften. Feministinnen kritisieren nicht nur „schlechte Wissenschaft“, sondern auch die Problemstellungen, Programme, Ethiken, Konsequenzen und den Status der sogenannten „science as usual“. Diese Kritiken stehen im Zu- sammenhang mit der Forderung nach besserer Wissenschaft: Wichtige feministische Ansätze versprechen, empirisch adäquatere und theoretisch weniger voreingenommene und verzerrte Beschreibungen und Erklärungen von Frauen, Männern, Geschlechterverhältnissen und allen sonstigen sozialen und natürlichen Welten bereitzustellen. Ebenso wie sich der Feminismus als politisches Programm durchaus innerhalb des Rahmens politischer Legitimität bewegt, entspricht die kritische Frauenforschung in vielem den geltenden Regeln des theoretischen Diskurses. Der Diskussionsstand der letzten Jahre reflektiert ein wachsendes Interesse an der Kritik der etablierten Wissenschaften, und zwar zunächst als Kritik an einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen und dann als Kritik an den androzentrischen Prämissen des traditionellen Vernunftverständnisses und der modernen Kultur der Rationalität. Gerade weil Frauen als Subjekte und Objekte der Wissenschaft die Ausnahme und nicht die Regel sind, lassen sich ihre Erkenntnisinteressen, Methoden und Erfahrungsweisen nicht unhinterfragt dem „male mainstream“ wissenschaftlicher Konventionen anpassen oder einfügen. Kritik an und Abweichung von „normalwissen- schaftlicher“ Theorie und Methode sind deshalb ein charakteristisches Element aller Forschung aus feministischer Perspektive – wenngleich keinesfalls ihr Privileg. Eine angemessene Dokumentation des vielschichtigen Prozesses der Theorieentwicklung, der die jüngere Frauenbewegung begleitet, müsste nicht nur die Geschichte feministischer Reflexion, sondern auch den sozialen und historischen Kontext der Frauenbewegung selbst reflektieren. Denn die theoretischen Einsichten feministischer Analyse spiegeln jene Prozesse sozialen Wandels wider, die der Frauenbewegung als politische Bewegung erst zum Durchbruch verhalfen. Nach Sandra Harding kristallisieren feministische Analysen der Theorien wissenschaftlicher Erkenntnis drei differente und sich zum Teil widersprechende Herangehensweisen heraus. Erstens gibt es die feministischempirischen Versuche, die feministische Kritik an wissenschaftlichen Ansprüchen in bestehende Theorien wissenschaftlicher Erkenntnis einzubringen, indem sie argumentieren, dass sexistische und androzentrische Forschungsergebnisse lediglich das Resultat „schlechter Wissenschaft“ sind. Unter dieser Perspektive helfen Feministinnen der Wissenschaft, ihre bestehenden und anerkannten Prozeduren und Ziele besser zu verfolgen und zu erreichen. Weitreichender sehen, zweitens, die feministischen Standpunkt-Theorien das Problem. Sie gehen davon aus, dass der vorherrschende kategoriale Rahmen der Natur- und Sozialwissenschaften den Erfahrungen entspricht, die westliche Männer der führenden Klassen und Rassen mit sich selbst und ihrer Umwelt machen. Politische Auseinandersetzungen und feministische Theorie müssen diesen Feministinnen zufolge in die Wissenschaften integriert werden, wenn wir fähig sein wollen, über die bisher von den Wissenschaften generierten partiellen und falschen Weltbilder hinauszublicken. Wenn wir bei der Forschung vom Leben der Frauen ausgingen, könnten wir empirisch und theoretisch angemessenere, zumindest aber weniger voreingenommene und verzerrte Beschreibungen und Erklärungen erreichen. Die dritte Herangehensweise meint, dass auch die beiden genann41 39-42 20.12.2002 13:56 Uhr Seite 42 Gesellschaftswissenschaften 42 Abschließend seien noch kurz fünf generell als „postmodern“ bezeichnete Feminismen erwähnt, die wie sie von J. Dingler, R. Frey, U. Frietsch, I. Jungwirth, I. Klemm und F. Spottka dargestellt werden. Erstens der so genannte „Social Postmodernism“, wie ihn Linda Nicholson und Steven Seidman herausgearbeitet haben. Die Beiträge in dem Band „Social Postmodernism – Beyond Identity Politics“ sollen eine Brücke zwischen postmodernem Denken und politischer Ökonomie und sozialen Bewegungen schlagen und Potenziale postmodernen Denkens für Sozialtheorien herausarbeiten. Zweitens der „postkoloniale Feminismus“, der vor allem von Chandra Mohanty vertreten wird. Ihre Kritik richtet sich gegen Tendenzen eines neokolonialen feministischen Denksystems, das durch ethnozentrischen Universalismus geprägt und sich der Auswirkungen westlicher Wissenschaft auf die „Dritte Welt“ im Kontext eines westlich dominierten Weltsystems nur unzulänglich bewusst sei. Eine dritte Richtung stellt der postmoderne oder „neuere“ Ökofeminismus dar, den Val Plumwood entwickelt hat. Sie wirft dem „älteren“ Ökofeminismus vor, von einem essentialistischen Begriff von Geschlecht auszugehen, der eine biologische Nähe von Frauen zur Natur beinhaltet. Unter starken Anleihen an das postmoderne Denken plädiert sie für eine De-Essentialisierung von Geschlecht, argumentiert für eine De-Homogenisierung des Geschlechterbe- griffs und stellt die reduktionistische Analyse älterer Ökofeministinnen in Frage, der zufolge aus der Kategorie Gender alle weiteren Formen der Unterdrückung oder Ausbeutung ableitbar sind. Viertens gehören die „queer theory“ dazu und fünftens die von Sandra Harding und Donna Haraway vertretene postmoderne Wissenschaftstheorie. Feministische Wissenschaft Im Hinblick auf die Vielfalt der Konzeptionen von feministischer Wissenschaft seien hier nur zwei polarisierende Positionen genannt. Die Mehrheit der feministischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geht davon aus, dass feministische Wissenschaften bereits existieren, auch wenn der Begriff nicht überall, wo feministische Wissenschaft betrieben wird, bei der Benennung der Zentren, Studienfächer oder -pro- Foto: privat ten feministischen erkenntnistheoretischen Ansätze nicht radikal genug sind. Beide hielten noch zu sehr fest an dem „schädlichen Glauben“ der Aufklärung an die Möglichkeit, eine wahre Geschichte über die äußere Wirklichkeit zu schreiben, die darauf wartet, im Spiegel unseres Geistes reflektiert zu werden. Die postmodernen Tendenzen im feministischen Denken stellen die in der Vergangenheit viel zu intimen Beziehungen zwischen Wissenschaft und Macht heraus. Sie fragen, ob feministische Erkenntnistheorien nicht eine Gedankenkontrolle fortsetzen, wie sie charakteristisch ist für konventionelle, erkenntnistheoretisch zentrierte Philosophien und Wissenschaften. Die Kernfrage, die sich daraus ergibt, lautet: Können wir dieselben Wissenschaften, die offenkundig so eng mit westlichen bürgerlichen und männlichen Projekten verknüpft sind, für emanzipatorische Ziele einsetzen? Frauen erscheinen ja nicht allein als Vertreterinnen einer bestimmten Interessengruppe, die um Gehör bittet, sondern als Denkerinnen, die eine Besorgnis über Wissenschaft und Gesellschaft ausdrücken, die ihr Echo auch in anderen Gegenkulturen zur Wissenschaft hat – in antirassistischen und Dritte-Welt-Bewegungen, in antikapitalistischen, ökologischen und Friedensbewegungen. Es überrascht nicht, dass es in all diesen anderen Bewegungen auch Feministinnen gibt. Diese Verlagerung der Fragestellung spiegelt das radikale Potenzial des Feminismus. Er ist sowohl reformistisch als auch revolutionär; konventionelle politische Dichotomien treffen seine wichtigsten Tendenzen nicht. Einige sehen in ihm die jüngste der modernen Revolutionen, die weltweit alle Kulturen berühren. Die Zeit wird zeigen, wie wichtig und erfolgreich der Feminismus als soziale Bewegung sein wird; wir erleben heute nicht zum ersten Mal in der Geschichte ein „Erwachen der Frauen“, wie es die Feministinnen des 19. Jahrhunderts nannten. Unterdessen stellt die feministische Herausforderung an die Wissenschaft für uns alle wichtige neue Fragen über unsere Geschichte und über die Zukunft, die für die Beziehung zwischen Erkenntnis und sozialer Ordnung wünschenswert wäre. gramme verwendet wird; ihr Verständnis von Feminismus und von Wissenschaft korrespondiert mit gesellschaftspolitischen Einstellungen und Ideen, die wir von anderen emanzipatorischen Wissenschaftsbewegungen kennen und die in der neuen sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung geläufig sind. Demgegenüber vertritt eine Minderheit die Auffassung, dass der Begriff „feministische Wissenschaft“ für Praktiken und Institutionen der Zukunft vorbehalten sein sollte. Weitreichende soziale Veränderungen müssten eintreten, bevor sich irgend etwas entwickelt, das begründet als feministische Wissenschaft angesehen werden kann. Elizabeth Fee formuliert Gründe dafür, den Begriff feministische Wissenschaft für eine mögliche zukünftige Wissenschaft zu reservieren: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt entwickeln wir eine feministische Kritik der bestehenden Wissenschaft und nicht etwa eine feministische Wissenschaft. Die Kritik folgt aus dem, was über die Beziehung von Wissenschaft und Gesellschaft gesagt worden ist: Wir erwarten von einer sexistischen Gesellschaft, dass sie eine sexistische Wissenschaft entwickelt. Analog können wir von einer feministischen Gesellschaft erwarten, dass sie eine feministische Wissenschaft entwickelt. Uns heute eine feministische Wissenschaft in einer feministische Gesellschaft vorzustellen, ist etwa so, als fragten wir einen mittelalterlichen Bauern, er möge sich die genetische Theorie oder die Herstellung einer Raumkapsel vorstellen. . . . Es gibt keine Möglichkeit, sich im Voraus eine ausformulierte wissenschaftliche Theorie vorzustellen. Es steht uns trotzdem frei, mit Ideen zu spielen und Kriterien zu betrachten, die eine feministische Wissenschaft erfüllen sollte.“ Renate Rausch Prof. Dr. em. Renate Rausch Professorin am Institut für Soziologie Ketzerbach 11, 35037 Marburg Telefon: 0 64 21/16 17 69 E-Mail: [email protected]