Bibliotheksbau in den 80er Jahren Reimer Eck, Eckard Gerber, Elmar Mittler, Gerhard Römer, Manfred Sabatke (u.a.), Christoph-Hubert Schütte Bibliotheksneubauten Bau-Kolloquium des Deutschen Bibliotheksverbands e.V./Sektion 4 (Wissenschaftliche Bibliotheken) in Zusammenarbeit mit der Baukommission des Deutschen Bibliotheksinstituts in Göttingen Bibliotheksbauten sind in Deutschland in den 80er Jahren selten geworden. Die in dieser Zeit konzipierten Bibliotheken aber fußen auf den Erfahrungen des Baubooms der früheren Jahrzehnte und sind deshalb architektonisch wie bibliothekarisch von besonderem Interesse. So können die hier vorgestellten Bauten in Göttingen, Eichstätt und Karlsruhe wichtige Anregungen bei der Lösung von Bauaufgaben in den neuen Ländern geben, für die einige Beispiele (ÜB Jena, ÜB Leipzig, ÜB Potsdam) skizziert werden. Library buildings in the 80s Du ring the 80s, library buildings have become rare in Germany. The libraries which have been planned in this period are basedon experiences ofthe construction boom du ring the past years. Theyare ofspecial interestas well from the archl· tect's äs from the librarians's point ofview. The presentation ofthe new library buildings in Göttingen, Eichstätt and Karlsruhe can give importantstimulations forthe construction of libraries in the newcountries ofEastern Germany. Some examples for university library buildings in Jena, Leipzig and Potsdam are lined out in the following. La construction de bibliotheques aux annees 80 En Allemagne, la construction de bibliotheques est devenue rare aux annees 80. Les bibliotheques congues en ce temps sontbasees surles experiences du boom de construction des decennies anterieurs, etpourcette raison d'un interetparticulier du point de vue architecturial et bibliothecaire. Les bätiments präsentes ici pourraient contribuer ä stimuler des reflexions sur les bibliotheques ä construire dans les nouveaux Länder de rAllemagne de fest. Quelques examples comme les projets pour les bibliotheques universitaires d'Jena, Leipzig et Potsdam y seront esquisses. Inhaltsübersicht 1 2 3 4 4.1 4.2 4.3 1 Einleitung (von Christoph-Hubert Schütte). . Ein Bibliotheksbau zwischen Funktion und Historie - der Neubau für die Badische Landesbibliothek (von Gerhard Römer). . . . Die Planung und Realisierung des Neubaus der Universitätsbibliothek Eichstätt (von Manfred Sabatke u.a.) Das neue Gebäude der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Einführung (von Elmar Mittler) '. . Der Entwurf aus Sicht des Architekten (von Eckard Gerber) Ein Planungs- und Baubericht aus Sicht des Nutzers (von Reimer Eck) Einleitung 340 341 345 347 348 354 (von Christoph-Hubert Schütte) Am 17. und 18. März 1993 folgte die Sektion 4 einer Einladung der Staats- und Universitätsbibliothek nach Göttingen. Der Präsident der Universität, Professor Schreiber, wies in seiner Begrüßungsrede auf die Bedeutung der Bibliotheken für die Universitäten hin und würdigte den Beitrag für die Literaturversorgung trotz der schwierigen Haushaltslage. Er ging insbesondere auf die Leistung des Landes Niedersachsen ein, den ausgedehnten Neubau der hiesigen Universitätsbibliothek fertiggestellt zu haben. Dies war auch das Hauptthema des ersten Tages, der einem Baukolloquium galt, das von der Vorsitzenden der Baukommission des DBI, Frau Dipl.-lng. Schneider-Eßlinger, geleitet wurde. Sie wies in ihren Eröffnungsworten darauf hin, daß neue Bibliotheksgebäude inzwischen mit hoher gestalterischer und räumlicher Qualität errichtet würden. Die in den siebziger Jahren der Zeit der Bewältigung enorm großer Bauvolumina vorherschenden Kriterien der Nutzungsneutralität, Flexibilität und Funktionalität sind demgegenüber in den Hintergrund getreten. Verlangt (und gebaut) werden heute Gebäude, die neben optimaler Funktionserfüllung und zeitgemäßer technischer Ausstattung auch in gestalterischer und städtebaulicher Hinsicht überzeugen. Im Idealfall tun sie dies unter wirtschaftlich angemessenen Rahmenbedingungen, was bei öffentlichen Bauten eine ganz besondere Rolle spielt. Beispielhaft belegt wurden die Einführungsworte durch die im folgenden abgedruckten Vorträge über den Neubau der Badischen Landesbibliothek, die Planung und Realisierung des Neubaus für die Universitätsbibliothek Eichstätt und BeUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten richte aus der Sicht des Nutzers und des Architekten über den Neubau der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Die Diskussion machte doch eine gewisse skeptische Haltung der Bibliothekare deutlich, die sich vor allen Dingen mit den Fragen zur Wärmedämmung bei einem augenscheinlich hohen Anteil an Verglasung stellen. Die Architekten betonten demgegenüber, daß ihre Bauten den gültigen Vorschriften des Wärmeschutzes entsprechen und durch technische Lösungen sogar Energierückgewinnung möglich sei. Am Beispiel der Größe und Anordnung von Leseplätzen, die auf die individuellen Bedürfnisse der Benutzer (abgeschiedene Einzelplätze, Gruppentische, besondere Lesezonen) Rücksicht nehmen sollten, wurde besonders die Notwendigkeit früher Kontakte der Architekten mit den Bibliothekaren betont, obwohl diese von den aufsichtführenden Ämtern nicht immer gern gesehen seien. Bei der anschließenden Besichtigung des Göttinger Neubaus konnten sich die Teilnehmer davon überzeugen, daß sich die Aufgaben einer Staatsbibliothek (Rechenzentrum, Zentralkatalog) besonders im Hauptbereich dieses Neubaus dokumentieren. Das Sitzungsprogramm wurde am zweiten Tag fortgesetzt mit dem Thema „Hochschulbibliothek und Globalhaushalt", das von Herrn Wätjen vorgestellt wurde und in der nächsten Sitzung zu einer Beschlußfassung führen soll. Einen breiten Raum der Diskussion nahm die Aktualisierung des Bibliotheksplans '73 ein, der ja in der Zwischenzeit mit dem Titel „Bibliotheken '93" veröffentlicht worden ist. Die Herbstsitzung der Sektion 4 findet am 12. und 13. Oktober 1993 in Erlangen statt und wird zum Teil gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft der Leiter wissenschaftlicher Rechenzentren die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen Hochschulbibliotheken und Rechenzentren behandeln. 2 Ein Bibliotheksbau zwischen Funktion und Historie - der Neubau für die Badische Landesbibliothek (von Gerhard Römer) Es gibt eine böswillige, aber leider weit verbreitete Ansicht, die lautet: Einem guten Bibliothekar sähe man schon von weitem an, daß er ein solcher sei. Kann man dies auch von einem Bibliotheksbau sagen? Günter Pflug schrieb 1982 im ZfBB einen geistreichen Aufsatz zum Thema: Der Bibliotheksbau als Symbol [ZfBB 29 (1982) HeftG, S. 449-461]. Diese Gedanken zum Bauwettbewerb der Deutschen Bibliothek enden mit dem Fazit: „Eine reine Bausymbolik wird für Bibliotheken wohl immer problematisch bleiben." In der Tat, ob an der Fassade eine Schleife hängt als Kunst am Bau, die eine Bibliothek als zusammengefaßten Geist, als Geschenkpaket dekoriert, oder ob man an der Fassade ein aufgeblättertes Buch findet, ob ein Bücherturm als Magazin das Ganze überhöht, oder ob einfach hinter hohen Glaswänden Bücherregale en masse zu sehen sind: es gibt im Laufe der Bibliotheksbaugeschichte immer wieder Überraschungen. Perplex sind wir meist dann, wenn längst Vergangenes, scheinbar ad acta Gelegtes, Überholtes, wieder aktuell wird. Dann werden wir Zeugen eines Geschehens, das uns beweist, daß sich Geschichte zwar nicht einfach wiederholt, aber daß alte Formen an Faszination gewinnen und zu neuem 341 Leben erstehen können. Das heißt nicht, daß wir „neuen Wein in alte Schläuche" gießen, aber wohl, daß es die Zeiten überdauernde Architekturformen und -gesetze gibt, die ,in die Gegenwart assimiliert7 - um ein Lieblingswort von Oswald Mathias Ungers zu gebrauchen scheinbar Verblichenes neu Gestalt werden lassen. Ich denke z. B. an die Gestaltungsform Kuppel, die im 19. Jahrhundert Nationalbibliotheken krönte, und ich denke z. B. auch an die Gestalt einer Arche, die wie eine Schatztruhe Schutz für Bücher bildet. „Gelingt das, singt das", um ein Wort von Paul Valery verkürzt zu zitieren. Es ist nachzulesen in seinem „Eupalinos oder der Architekt", in der Suhrkamp-Bibliothek erschienen [Nr. 370]: Phaidros erzählt Sokrates von Eupalinos, dem Architekten, der ihm eine Beobachtung mitgeteilt habe: „Sag mir (da du so empfänglich bist für die Wirkungen der Architektur), hast du nicht beobachtet, wenn du dich in dieser Stadt ergingst, daß unter den Bauwerken, die sie ausmachen, einige stumm sind, andere reden und noch andere schließlich, und das sind die seltensten, singen sogar?" Und darüber wird dann zwischen Phaidros und dem Architekten Eupalinos ein langes interessantes Gespräch geführt, das mich persönlich an Dispute und dennoch freundschaftliche Gespräche mit Oswald Mathias Ungers, dem Architekten der neuen Badischen Landesbibliothek (BLB), erinnert. Musik und Architektur haben gemeinsame Gesetze. Doch darüber wollen wir nicht philosophieren, sondern endlich zum Thema kommen. Die Ausführungen sind in folgende fünf Abschnitte gegliedert: Das Vorspiel: Kollege Mittlers Meisterstück, in nächster Nähe zum damaligen Bibliotheksstandort einen Bauplatz zu sichern, Finanzen für ein Erweiterungsmagazin im Programm der Städtequalitätsverbesserung unterzubringen und einen Idee n Wettbewerb anzuregen. Erster Akt: Der Ideenwettbewerb 1979/80, der Architekturgeschichte schrieb. Zweite r Akt: Die Überarbeitungsphase und die Durchführung des ersten Bauabschnittes, der für eine relativ unbestimmte Zeitdauer gedacht war. Dritter Akt, nicht ohne Dramatik: Wie es gelang, obwohl die Bibliothek aus dem Städtequalitätsverbesserungsprogramm gekippt wurde, die Zweiteilung nicht zu zementieren und den zweiten Bauabschnitt in den normalen Haushalt einzubringen. Finale: Etwas über Kunst am Bau und der Versuch eines Urteils über das Karlsruher Bibliotheksgebäude. Das Vorspiel Es ist von entscheidender Bedeutung für die Akzeptanz einer Bibliothek, das wissen Sie alle, daß sie möglichst in der Stadtmitte liegt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar ist und daß Autostellplätze für die auswärtigen Benutzer zur Verfügung stehen. Diese günstige Lage hatte die alte Landesbibliothek im Nymphengarten, nur konnte der Besucher sie schwer finden, denn sie lag hinter dem klassizistischen Bau der Landessammlungen idyllisch versteckt. Bis zu Herrn Mittlers Amtszeit träumte sie im Nymphengarten still vor sich hin. Von 1975 an stieg die Benutzerzahl, der Bestand wuchs und auch die Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 342 Zahl der Mitarbeiter erhöhte sich langsam. Ausgebaut wurden für die wachsenden Bestände der Keller und das Dachgeschoß der Bibliothek im Seitenflügel der Landessammlungen. Kontakt mit Abgeordneten sorgte dafür, daß bei einem Besuch des Ministerpräsidenten in Karlsruhe im Städtequalitätsverbesserungsprogramm eine Finanzierungsspritze für einen Magazinerweiterungsbau von 8 Mio. DM vorgesehen wurde. Dabei machte sich der Geldgeber zunächst keine genaueren Gedanken darüber, wie dieser zweckbestimmte Magazinerweiterungsbau die Qualität eines Stadtquartiers verbessern sollte. In der architektonisch profilierten Innenstadt von Karlsruhe fand sich über der Straße ein unter Denkmalschutz stehendes Gebäude auf einem Gelände, das teilweise nur als Parkplatz genutzt wurde. Das Gelände gehörte dem Land, aber auch dem Bund und der katholischen Kirche. Es wurde vom Land aufgekauft. Der Bund gab allerdings das Gebiet nur unter der Bedingung frei, daß dieses nicht zu lange unbebaut bliebe. Übrigens war dies genau das Grundstück in der Mitte der Stadt Karlsruhe, auf dem vor Entstehen des Südweststaates das Landtagsgebäude für den Staat Baden geplant war. 1979 gelang es nun, außer den beiden obengenannten Aktionen auch einen Wettbewerb anzuregen, der zunächst regional für die Architekten des Landes BadenWürttemberg ausgeschrieben war. I.Akt Der Ideenwettbewerb von 1979/80, der Architekturgeschichte schrieb. Die Aufgabe Sie war nicht ganz einfach. DieZeit für die Architekten war sehr knapp bemessen. Sie hatten gerade vier Monate Zeit (10.7.-5.11.1979). Ein offener Wettbewerb war ausgeschrieben,allerdingsmitfünf Ausnahmen. Diese Ausnahmen waren sehr schicksalsträchtig. Als Gäste wurden nämlich eigenseingeladen: die Architekten und Professoren Gottfried Böhm (Aachen/Köln), Rob Krier (Wien), Gustav Peichl (Wien), Aldo Rossi (Mailand) und Oswald Mathias Ungers (Köln). Diese Entscheidung war nach Ansicht der Kritiker für manche eine Abschreckung, am Wettbewerb teilzunehmen. Denn der Ideenwettbewerb wurde damit auf ein hohes internationales Niveau gehoben. Die Wettbewerbsaufgabe war nach Ansicht auch der Architekten zwar nicht besonders schwer, doch komplizierter, als sich manche Architekten, die sich am Wettbewerb beteiligten, dachten. Dies aus folgenden Gründen: Im Kulturviertel einer Stadt, die klassizistisch und rational geprägt ist, bestimmen monumentale Bauten die Umgebung. Vorhanden ist ein Museumsbau des 19. Jahrhunderts (Landessammlungen von Berckmüller), ferner ein Gebäude in der Art des Jugendstils, nämlich der Bau des Evangelischen Oberkirchenrates, und natürlich, dominierend für das ganze Quartier, die Weinbrennerkirche St. Stephan. Auf diese Umgebung mußten sich die Architekten einstellen. Wer sich mit dieser Bausubstanz, der historisch gewachsenen, nicht auseinandersetzte, hatte von vornherein wenig Chancen. Bestimmte denkmalpf legerische Vorgaben, wie die Erhaltung von zwei Gebäuden, waren sehr wichtig. Ein zweigeschossiger, klassizistischer Eckriegel, Teile des ehemaligen Fürstenbergischen Palais, mußte unbedingt stehen bleiben. Damit war gleichzeitig die für Karlsruhe typische Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten Blockrandbebauung bestimmend. Ferner war vorgegeben, daß ein gewisser Baumbestand zu schonen war. In einem trapezförmigen, seit der Kriegszerstörung ungeordneten Gelände mußte vor allem ein erster Bauabschnitt für die Bibliothek, die von vornherein in mehreren Abschnitten gebaut werden sollte, optimal eingepaßt werden. Ein Drittel des Bauvolumens mußte im Entwurf deutlich als erster Bauabschnitt ausgezeichnet sein. Das war keine leichte Aufgabe, denn in diesen ersten Bauabschnitt waren ganz bestimmte Dienststellen und Abteilungen der Bibliothek zu legen, damit diese überhaupt zweigeteilt funktionsfähig blieb. Diese präzise Auszeichnung war für die einzelnen Architekten die schwierigste Aufgabe. Bibliothek ist nicht gleich Bibliothek. Das Charakteristikum einer Landesbibliothek mußte bedacht werden. So war von vornherein damit zu rechnen, daß es in diesem Punkt zu Mißverständnissen mit den Architekten kommen konnte. Die Badische Landesbibliothek, eine Bibliothek mit damals 20 000-25 000 aktiven Benutzern, mit über 1 Mio. Bänden und mit einem sehr wertvollen Altbestand, sollte sich präsentieren als ein offenes Haus: a) mit großen Freihandmagazinen, b) mit attraktiven Lesebereichen und c) mit einem vorzusehenden geschlossenen Magazin, um nur die wichtigsten Forderungen des Raumprogrammszu nennen. Da waren die Hauptabteilungen, die funktionsgerecht einzuplanen waren. Hier zeigten sich auch die Grenzen eines anonymen Wettbewerbes. Mancher hatte eine vorgefaßte Meinung über die Bibliothek, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmte. Zwar waren im Raumprogramm die einzelnen Funktionszusammenhänge sehr deutlich beschrieben, aber diese wurden teilweise nicht beachtet, es war eine Überforderung für die Architekten. Außerdem mußte zusätzlich zur Bibliothek noch Platz für Landesbehörden in Einzelbüros ausgewiesen werden mit einem Raumbedarf von 5 800 m2 Hauptnutzfläche. Für den Bibliotheksbereich selbst wurden 13000-14000 m 2 vorgesehen. Das war in der Kürze der Zeit die nicht sehr leichte Aufgabe. Die eingegangenen Lösungen Angefordert wurden die Wettbewerbsunterlagen von 33 Interessenten. Am Wettbewerb selbst beteiligten sich insgesamt 22 Architekten, darunter vier der geladenen Stararchitekten. Am 24.1.1980 tagte das Preisgericht unter dem Vorsitz von Prof. Fred Angerer, mit den Beisitzern Alexander von Branca (München), Prof. Fecker (Stuttgart) und Architekt Humbert (Freiburg), um nur einige Namen zu nennen. Immerhin gelang es auch, in das Preisgericht einen Bibliothekar mit Sitz und Stimme einzubringen, Herrn Mittler aus (damals) Heidelberg; Herr Fuhlrott aus Karlsruhe und der Verfasser waren als Sachverständige zugelassen. Immerhin durfte der Direktor der Bibliothek als Fachgutachter mitwirken. Die Preisrichter, so konnte man im Architekten-Journal lesen, gehörten nicht zu den „beharrlich modernen", auch nicht zu den „Funktions-Technokraten". Von den Entwürfen fielen völlig aus dem Rahmen: der „Seestern" von Reinhart Peterka aus Friedrichshafen, ein mit Grün garnierter Solitärkörper, ein konkav eingezogenes Parallelogramm. Ebenso war für die Teilnehmer am Preisgericht eine Art historisches Kuriosum Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten das historisierende Gebäude von Krier, Wien. Hier gab es heftige Diskussionen, denn an diesem Entwurf entzündete sich völlig überraschend eine grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis von Funktion und Historie. Außerdem stellte man allgemein eine Hinwendung zum Monumentalen fest. Am extremsten war z. B. die Achse zu entdecken bei Rossi in der Gegenkirche zu St. Stephan. Ein hochschlanker, gläserner Kathedralbau mit Satteldach, so hoch, so dominierend wie die Weinbrennerkirche, flankiert von Würfeln mit beängstigenden Innenschächten. Dominierend war ebenfalls eine Achse bei Assem mit seinen sieben flachsattelgedeckten Hallen, die eher Montagehallen denn einer Bibliothek glichen. Der preisgekrönte Entwurf Als Sieger wurde aber nicht einer unter den Genannten ermittelt, sondern es kamen die Entwürfe eines Bewerbers zum Zug, dessen Zeichnungen durch ihre Exaktheit bestachen: Oswald Mathias Ungers. Alle seine Pläne zeichneten sich aus durch eine überzeugende architektonische Sprache. Bei ihnen war geachtet 1. auf die dominierende Stellung der Stephanskirche, 2. auf die historische Bausubstanz des Wettbewerbsgeländes (das Fürstenbergpalais wurde Maß für das Ganze, vor allem in bezug auf Gebäudehöhe und -tiefe), 3. auf die vorwiegend klassizistisch geprägte Architektur der Umgebung. 4. Besondere Sorgfalt wurde auf die Gestaltung der Freiräume verwendet. Kurz und gut, es war dem Preigericht klar, daß hier streng auf den historischen Stadtgrundriß geachtet wurde und daß alles, was sich hier präsentierte, auch ein Vorschlag Weinbrenners sein könnte. So entstand ein geometrisch-strenger Baublock, der einen Innenhof mit einer Arkade klosterähnlich umschließt. Der Hauptkörper der Bibliothek verbindet die Erbprinzen- mit der Blumenstraße durch eine Kolonnade. In ihr befindet sich auch auf halber Länge der von der Erbprinzenstraße abgewandte Eingang, was die Betrachter zunächst verwirrte. Den ersten Bauabschnitt als geschlossenen Baukörper konnte Ungers am überzeugendsten aufzeigen. Dabei legte er mehrere Modelle vor. Imposant war zunächst die riesige Eingangshalle mit einer zentralen Kontrollstelle. Die Leseräume überhöhte er mit einer Kuppel, eingezogen, nach außen nicht sichtbar. Im Obergeschoß befanden sich eine Cafeteria und die Ausstellungsräume. Sie waren eng mit dem Lesesaal verbunden. Immerhin entschied sich das Preisgericht in der Mehrheit der Stimmen für diesen Entwurf. Den Zuschlag zur Errichtung des Baus erhielt der Preisträger jedoch nicht. Zweiter Akt Die Überarbeitungsphase und die Durchführung des ersten Bauabschnittes, der für eine relativ unbestimmte Zeitdauer gedacht war. Die Nutzung des Entwurfs mit dem 1. Preis war in der vorgelegten Form nicht möglich. Die Einwände des Preisgerichts wurden ernstgenommen. Sie lauteten im einzelnen: 343 Die Zufahrt zur Tiefgarage verlief ungünstig zwischen Post- und Packstelle. Der einzige Eingangsbereich liegt an der Westseite schwer auffindbar. Die Innenerschließung ist zwar übersichtlich, aber gekennzeichnet durch weite Wege zum Verwaltungsbereich. Die Orientierung ist leidlich gegeben, Vortragssaal und Ausstellungsräume sind ungünstig gelegen, da vom Bibliotheksbetrieb nicht trennbar. Außerdem liegen sie im Obergeschoß. Publikumskataloge und Leihstelle sind zwar in Beziehung gebracht, doch ist der bibliographische Apparat von den Katalogen getrennt. Die Freihandmagazine sind großzügig und gut kontrollierbar. Die Verwaltung auf zwei Etagen verteilt hat guten Zugang zum Publikumskatalog, liegt aber vom bibliographischen Apparat sehr weit entfernt. Die Abteilungen müssen noch in ihren Funktionen näher und kompakter zusammengeführt werden. Ungünstig liegen teilweise die Arbeitsräume der Mitarbeiter, da im Verkehrsbereich. Die Gesamtbewertung wird besonders beeinträchtigt durch die Lösung für den Hauptlesebereich (Stufen, keine funktionsgerechte Einteilung der Präsenzbestände möglich). Außerdem ist der weitläufige Flügelbau gegenüber den kompakten Grundrissen im Nachteil. Hier ist in wenigen Sätzen angedeutet, welche Überarbeitung bei dem Ungerschen Entwurf notwendig war. Es ging darum, zunächst die verschiedenen Funktionsbereiche näher zusammenzulegen, die Weitläufigkeit durch kompaktere Grundrisse zu optimieren. Außerdem mußte bedacht werden, wie Vortragssaal, Museum und Cafeteria in eine Funktionseinheit gebracht werden können, so daß sie von der Bibliothek abkoppelbar sind. Konzentriert wurde darauf hingearbeitet, gleich in der Nähe des Haupteinganges das Informationszentrum (Bibliographien und Kataloge) nahe an die Leihstelle heranzubringen. Auch war eine Garderobe auszuweisen, die mit den Auskunftsstellen den Benutzer möglichst in Eingangsnähe empfängt. In den wenigen Monaten der Überarbeitung zeigte sich die Kompromißbereitschaft des Architekten, was die genannten Schwachpunkte anging. Fast in allen Punkten kam er mit den Bibliothekaren zufriedenstellend überein. Hilfreich war ein kritisches Gutachten der Kollegen Kehr und Liebers, das sei hier dankbar erwähnt. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Konzeption des ersten Bauabschnitts gelegt. Mehrere klar konzipierte Modelle lagen im Oktober 1981 vor. Der Gesamtkomplex war mit Kosten von 79 Mio. DM veranschlagt. Es sind für die BLB 14445 m2 ausgewiesen. Mit besonderem Geschick für die künftige Entwicklung legte man den ersten Bauabschnitt in die Nähe der Stephanskirche. In einem zweiten Entwurf sind die Kosten mit 10 Mio. DM für den ersten Bauabschnitt angesetzt. Die Funktionsbereiche sind sehr klein ausgeführt, die in keiner Weise einer Zweiteilung gerecht würden. Der Riegel bis zur Achse 5 war zu schmal. Etwas günstiger ist ein weiterer Vorschlag mit dem Ausbau bis zur Achse 10 bei einem Kostenvoranschlag von 20 Mio. DM. Letztendlich einigte man sich auf einen ersten Bauabschnitt, der die ersten 13 Achsen umschloß. Damit war die Möglichkeit gegeben, einen Großteil der Verwaltung in den ersten Bauabschnitt einzubringen. Es waren dies im einzelnen: die Erwerbungsabteilung, die Titelaufnahme und die Direktion. Im Nymphengarten verblieben die Handschriftenabteilung und der Große Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 344 Lesesaal. Die Ausleihe war voll funktionsfähig im ersten Bauabschnitt untergebracht und lieferte auch die Bücher aus den Beständen aus, die im alten Magazin verblieben. Im ersten Bauabschnitt fand die neuere Literatur ab Anschaffungsjahr 1979 Aufnahme. Die ältere verblieb im Altbau. Wie exakt Ungers zeichnen kann, läßt sich an dem nächsten planerischen Entwurf erkennen, der bei einem Volumen von 45 Mio. DM den Bau des Lesesaalbereiches einschließt. Dies wurde jedoch abgelehnt, ebenso vier andere Entwürfe, die einen ersten Abschnitt im südlichen Bereich des Bauplatzes vorsahen. Dritter Akt Nicht ohne Dramatik oder wie es gelang, obwohl die Bibliothek aus dem Städtequalitätsverbesserungsprogramm gekippt wurde, die Zweiteilung nicht zu zementieren und die Finanzen für den zweiten Bauabschnitt im regulären Haushalt des Landes einzubringen. Die notwendigen finanziellen Ressourcen für den ersten Bauabschnitt standen 1983 zur Verfügung. Am 9. Dezember fand die Grundsteinlegung für den ersten Bauabschnitt der Badischen Landesbibliothek statt. Aber wie sollte es nun weitergehen? Es ist dem Engagement vieler Mitarbeiter zu verdanken, die Baulärm, Baustaub und auch eine gewisse Unsicherheit über den Fortgang der Dinge in Kauf nahmen und die Bibliothek funktionsfähig hielten. Ich bin sehr stolz über diese bibliothekarische Leistung. Sie wurde honoriert. 1984 jedoch kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel die Nachricht, daß die BLB nicht mehr aus dem Städtequalitätsverbesserungsprogramm finanziert werde. Andere, kommunale Projekte standen in Konkurrenz. Wieder mußten politische Kontakte helfen. Über Abgeordnete gelang es, den Ministerpräsidenten zu überzeugen, daß dieser Torso in der Erbprinzenstraße nicht stehen bleiben könne. Außerdem war Oswald Mathias Ungers bundesweit so profiliert, daß er nicht enttäuscht werden durfte. Sein Ziel, den Kuppelbau bald zu realisieren, rückte in greifbare Nähe. Am 18. August 1987 konnte die offizielle Einweihung des ersten Bauabschnittes der Bibliothek stattfinden. Es war dem weitsichtigen und persönlich mutigen Entschluß Lothar Späths, des damaligen Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg, zu verdanken, daß die Mittel für den zweiten Bauabschnitt im Haushalt 1989/90 bereitgestellt wurden. Dies war auch die Überzeugungsarbeit, die vor allem von Mitgliedern der Bibliotheksgesellschaft dem Ministerpräsidenten gegenüber geleistet wurde. Ebenso war es der Leistung der Bibliothek, die trotz der Zweiteilung ihre kulturelle Ausstrahlung als Kulturzentrum behielt, zu danken, daß diese Entscheidung fiel. Bereits nach vier Jahren, am 9. Oktober 1991, konnte der zweite Bauabschnitt für die Benutzer eröffnet werden. Am 17. Januar 1992 weihte dann der neue Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, Erwin Teufel, den Neubau ein. Die Kosten beliefen sich auf 76 Mio. DM. Die Gesamtnutzfläche beträgt 13 800 m2. Finale Etwas über Kunst am Bau. Die von streng geometrischen Formen geprägte Gestalt des Bibliotheksgebäudes duldet, damit ein einheitliches Ganzes werde, keine Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten „narrativen Spaße", wie Owald Mathias Ungers zu sagen pflegt. Abstraktion heißt die Devise für den vom Quadrat, dem Kreis und der geraden Linie beherrschten Ort. So paßt sich denn auch die Kunst im Bau diesem Gesetz an und findet eine einheitliche Sprache. Im Zentrum der Bibliothek, gleichsam als geistiger Mittelpunkt, ruht die Kuppel über dem Quadrat, selbst schon eine dominante Kunstgestalt. Der Kranz der 4 x 5 Tafeln unterhalb der Kuppel von Günter Förg in variierendem Grau greift den Gedanken der hohen Abstraktion der modernen Kunstform auf. Es sind harmonische Formen, die den Betrachter nicht erschrecken, sondern sich fast wie selbstverständlich ins Ganze einfügen. Hier spiegelt sich die zeitlose Ruhe, klar abgegrenzt und eingefaßt. Im Gegensatz dazu stehen die sechzehn Bibliotheksfragmente des Schotten lan Hamilton Finlay an den Pfeilern des Hauptlesesaals. Römische Zahlen in Sandstein eingraviert sind kein Stilbruch, sondern bei näherem Betrachten versteckte Hinweise auf Telefonnummern (Vorwahl) der Orte in der Welt, in denen sich eine große Bibliothek befindet: Moskau, Prag, Budapest, Wien; Madrid, Rom, Alexandria, Athen; Rio de Janeiro, Tokyo, Canberra, Washington; Paris, Bern, London und Brüssel. Deutliche, wenn auch verschlüsselte Hinweise auf die weltweite Vernetzung dieser Bibliothek mit den großen Informationszentren in Ost und West, Nord und Süd. Archaisches ist so mit den modernsten Informationsstrukturen verknüpft, um Sinn zu erschließen: die Aufgabe einer Bibliothek, Informationen aus Vergangenheit und Gegenwart weltweit zu vermitteln. Außerhalb der Bibliothek, im Garten vor dem Haupteingang, unter einem grünen Baumdach, das nachts von unten beleuchtet werden kann, findet der Besucher der Bibliothek bei aufmerksamem Betrachten eine harmonisch mit dem Gebäude übereinstimmende Skulpturengruppe. Keines der Kunstwerke erschließt sich auf den ersten Blick. Dennoch befindet sich im Areal kein Fremdkörper. Schützende und doch zugleich offene Wände aus rotem, sorgfältig gemauertem Klinkerstein, entworfen von dem Dänen Per Kirkeby, symbolisieren die Offenheit und zugleich die Geschlossenheit einer Bibliothek. Den Hinweis auf die Bibliothek nimmt auch der deutsche Bildhauer Hubert Kiecol in seinem Pfeiler ohne Kapitell, aber mit den fünf Stufen der Erkenntnis auf. Er nennt seine Skulptur „Hohe Treppe". Mit der weiß lakkierten Aluminiumskulptur als Gitter in quadratischer Grundform, den Überschneidungen und Parallelen weist der Amerikaner Sol Le Witt auf das Gesamtraster und die quadratische Grundform der Bibliothek hin. Die meisten Schwierigkeiten dürfte dem Betrachter jedoch die vierte Skulptur bereiten. Georg Herold schuf einen viereckigen Schacht, der sich nach oben verjüngt. Er besteht aus in Kupfer galvanisiertem Klinker mit einem Riß, schräg nach unten. Bei einfallendem Sonnenlicht zeichnet sich ein Lichtpunkt am Boden des Schachtes ab, gleichsam als Funken, der die Erkenntnis, die Erleuchtung bringt, die sich jedem in der Bibliothek anbietet. Daher ist es sinnvoll, dieses Gemäuer mit dem Titel „Mehr Licht" zu versehen. Hinter dem Bibliotheksgebäude, im internen Bibliotheksgarten, für den Benutzer nicht zugänglich, wird sich ein „romantischer Garten" mit einer Rosenwand, Bäumen und einer begrünten Pergola präsentieren. Daß die Bibliothek bestimmten Dichtern und Denkern, Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Ecketal.-Bibliotheksneubauten die vor allem in der Region lebten und wirkten, verpflichtet ist, drückt sich in den neu gegossenen Bronzeköpfen aus, die sich im offenen Magazin und im Lesebereich dem Betrachter präsentieren. Der Berliner Bildhauer Werner Stötzer und sein Schülerkreis aus dem Oderbruch schufen eindrucksvolle Büsten von Philipp Melanchthonf Abraham a Sancta Clara, Johann Jakob Christoffel von Grimmeishausen, Johann Peter Hebel, Joseph Victor von Scheffel und Alexander von Bernus. Diese treten als moderne Schöpfung zu den in der Bibliothek bereits vorhandenen Bronzebüsten von Alfred Mombert (Artur Zweininger 1931) und Reinhold Schneider. Sie knüpfen damit an eine Tradition an, die sich auch später weiterführen läßt. Rationalität und Vision, Zeitlosigkeit und Augenblick, sicheres Wissen und offene Fragen, begrenzte Örtlichkeit und weltweite Verbreitung spiegeln sich so im Kunstensemble in und um das Gebäude der Badischen Landesbibliothek. Zum Schluß erlauben Sie mir eine marginale Anmerkung zum Verständnis des Bibliotheksgebäudes in Karlsruhe. Wenn gelegentlich zu hören ist, daß dieses Gebäude abartig sei, so dies wohl aus dem Grunde, daß es nur im Gesamt der Karlsruher Architektur gewürdigt und begriffen werden kann. Ich bin überzeugt, daß die Karlsruher Landesbibliothek ein Gebäude ist, das nicht „nur redet, sondern singt", aber eben nur in der Weinbrennerstadt. Die internationale Fachwelt ist beeindruckt. Die nationale Fachwelt platzt teilweise vor Neid. Die Kritik der Architekten war sehr oft unsachlich, blind und auch etwas hochmütig. Diese Architektur, das ist meine feste Überzeugung, hat zeitlose Formen. Sie ist nicht nur schön, klar und feierlich, sondern auch geprägt von der einfachen Geometrie, der klaren Linie. Die Metaphern der Schönheit dieser Geometrie, die klar und ruhig den Verstand ansprechen, haben allerdings auch etwas Kühles, Strenges. Das deutsche Gemüt bleibt vielleicht auf der Strecke. Die Zauberworte dieser Architektur heißen Maß, Proportion und Ordnung. Dies ist die Bauphilosophie Ungers, die als Kunst das Gewesene nicht überspringt, sondern als zeitgenössische Architektur der Erinnerung dient und gerade darum der bibliothekarischen Arbeit sehr nahesteht. Das Ziel, ein Gebäude zu errichten, das in sich stimmig ist, dürfte gelungen sein. Aber eben nur für diesen Ort. Gute Architektur ist nie etwas Statisches, sie verändert sich. Sie verändert sich dann, wenn das Haus benutzt wird. Architektur kann zum Unterschied von anderen Kunstwerken mit Menschen, mit neuem Leben erfüllt werden und dadurch geschieht eine ständige Verwandlung. Man hat Oswald Mathias Ungers als einen Architekten apostrophiert, der im Konflikt zwischen Baukunst und Gebrauchswert steht. Ich möchte das korrigieren. Wir haben bei dem Errichten der Badischen Landesbibliothek vom Architekten das eine gelernt, daß es sich bei einem Bibliotheksbau dieser Größenordnung stets auch um einen künstlerischen Entwurf handelt, der eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt und nicht total zerstört werden darf. Es erfüllt mit Freude und Genugtuung, daß der Architekt mit der Zeit akzeptierte, daß sein Bibliotheksbau einem bestimmten Zweck dienen muß, der Abstriche auch von der ursprünglichen Konzeption erforderlich machte. Lassen Sie mich schließen mit einer Erzählung von Bertolt Brecht. Diese findet sich in den Geschichten von 345 Herrn Keuner: „Einigen Künstlern geht es, wenn sie die Welt betrachten, wie vielen Philosophen: Bei der Bemühung um die Form geht der Stoff verloren. Ich arbeitete einmal bei einem Gärtner. Er händigte mir eine Gartenschere aus und ließ mich einen Lorbeerbaum beschneiden. Der Baum stand in einem Topf und wurde zu Festlichkeiten ausgeliehen. Dazu mußte er die Form einer Kugel haben. Ich begann sofort mit dem Abschneiden der wilden Triebe, aber wie sehr ich mich auch mühte, die Kugelform zu erreichen, es wollte mir nicht gelingen. Einmal hatte ich auf der einen, einmal auf der anderen Seite zu viel weggestutzt. Als es endlich eine Kugel geworden war, war die Kugel sehr klein. Der Gärtner sagte enttäuscht: ,Gut, das ist die Kugel, aber wo ist der Lorbeer?"1 Ich darf im Blick auf die Badische Landesbibliothek sagen, diese Kugel ist groß genug, daß man gut erkennt, daß es eine Bibliothek ist. Auch von außen eine Bibliothek, die zwar Ähnlichkeit hat mit einem römischen Tempel, aber doch eine Schatzkammer für Bücher ist, die ständig wächst und im Quadrat vielfältige Chancen funktionaler Gestaltung in sich birgt, auch die, daß die Informationssuchenden keine Schwellenangst vor diesem Bau mehr kennen, sondern längst sich hier daheim fühlen wie in einer Arche für Bücher, in der Altes und Neues zu finden ist und in der man sich häuslich einrichten kann. 3 Die Planung und Realisierung des Neubaus der Universitätsbibliothek Eichstätt - Erfahrungen aus der Sicht des Architekten (von Manfred Sabatke u.a.) Der Entwurf ist als erster Preis aus einem Architektenwettbewerb hervorgegangen. Wesentlich für die Entscheidung war wohl die Frage, ob der Neubau in der Stadt stehen oder ob er, schon von seiner Größe her, mehr außerhalb der Stadt liegen sollte. Bei einer städtischen Lösung hätte der Neubau eingebunden werden müssen in die städtische Substanz. Typische Elemente wären aufgenommen und weitergeführt worden, zweifellos wäre die Situation beengter gewesen. Wir entschieden uns für eine Lage in der Auenlandschaft außerhalb der Stadt. Hier war das Gebäude mehr auf sich gestellt. Vorteile waren: mehr Freiheiten und die Möglichkeit, das Gebäude aus seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten heraus zu entwickeln. Seine Gestaltmerkmale beziehen sich auch auf den Verbund mit den nachbarlichen Elementen, den Straßen, den hohen umgebenden Bäumen, der Altmühl. Sie ordnen sich aus sich heraus, eher landschaftlich aus der Art der Teile und der Art der Beziehungen zueinander. So wie sich z. B. außerhalb einer Stadt im Walde an einer Straßenbahnhaltestelle Verkehrsstraßen kreuzen, Waldwege einmünden, Straßenbahngleise hereingeführt werden, unterschiedliche Waldsituationen zusammentreffen, wo es Sichtschneisen gibt, Einblicke in den Wald und die Blickbeziehung zum Fernsehturm. Scheinbar zwanglos bilden sich Plätze und besondere Orte. Ähnlich dieser Situation treffen im Bibliotheksgebäude zahlreiche Gestaltmerkmale zusammen, die unterschiedlichen Nutzungsbereichen zugehören. Vor allem der Hallenraum wird in dieser Art besonders interessant. Auf zwei Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 346 Seiten bilden die Gebäudeflügel der Seminarräume Raumkanten, ihnen gegenüber ist über zwei Geschosse hinweg der Lesesaal angeschlossen. Dazwischen entwickelt sich ein hoher Hallenraum mit verschiedenen Ebenen und Treppenverbindungen. Im Erdgeschoß der Halle wurden die verschiedenen Situationen zusammengeführt: Zugang, Verwaltungsteil, Vortragsraum, Benutzungsabteilung, Büchermagazin, Lesebereich mit Freihandbibliothek, die dem Lesebereich vorgelagerte Buchausgabe, ein Grünplatz vor dem Aufzugsgerüst, Vitrinen für Ausstellungen, Schränke für Garderoben; Cafeteria und Sitzmöglichkeiten liegen an der Halle und Nischen oder Buchten laden zum Ausruhen ein. Im niedrigen Bauteil markiert ein Lichtschlitz die Lage der darüberliegenden Büroräume. Eine Pflanzzone wird von oben durch Tageslicht erhellt. In den Obergeschossen bilden sich -an die Halle angelagert- Buchten und Orte, dort, wo die Gebäudeflügel der Seminarbauten zusammengeführt sind. Die Treppenläufe, die im Hallenraum die Ebenen miteinander verbinden, sind frei entwickelt. Sie sind gegeneinander verschoben, so können diese auf die spezielle An- und Austrittssituation in den verschiedenen Geschossen eingehen. Besondere Probleme bei der Bearbeitung bot die Trennwand zwischen Eingangshalle und Lesesaal. Sie trennt funktional und technisch richtig-zwei Bereiche optisch, akustisch und luftraumtechnisch, an einer Stelle, wo sie nach architektonischen Gesichtspunkten miteinander verbunden sein sollten. Diese Trennwand wird materiell. Schon dadurch fallen ihr weitere Aufgaben zu. Dieses vielschichtige Problem spiegelt sich in der Gestalt der Wand wider: Zur Eingangshalle hin präsentiert sich diese Wand in ihren geschlossenen Partien als „Farbträger" mit in kräftigen Farben lasierten Holztafeln. Dazwischengeschaltete Glasfelder öffnen die Wand, interessante Aus- und Einblicke entstehen. Zum Lesesaal hin werden die geschlossenen Felder zu Regalrückwänden. Die Glashaut darüber ist so konstruiert, daß weniger das Trennende als vielmehr das Verbindende in Erscheinung tritt. Das Herausarbeiten und Sichtbarmachen der unterschiedlichen Aufgaben, die ein Element wie die Trennwand in den unterschiedlichen Situationen erfüllt, hat es ermöglicht, sie auf vielfältige Art in den Hallenbereich einzubinden, ohne daß andere, kleinere Elemente dominiert werden. In ähnlicher Art und nach ähnlichen Prinzipien wurde die Außenhaut des Lesesaals bearbeitet. Fassaden werden heute von versierten Spezialfirmen konstruiert. Das Thema ist weitgehend ausgereizt. Die Schlüssigkeit der technischen Lösung „verschließt" die Fassaden. Gleichmäßige Raster überziehen diese: oben, unten, links, rechts - die Teilung und Elemente sind ähnlich bis gleich. So überzieht eine tendenziell monotone Haut das Ganze, wie der Curtain Wall beim Hochhaus. Diese Gesetzmäßigkeiten standen unserem Ansatz entgegen. Nun haben wir versucht, im Rahmen dieser Vorgaben (d. h. vergleichbare Kosten, anerkannte Regeln der Technik) mögliche Freiheiten und mögliche Individualität aufzuspüren. Raster und Skelett stehen für ein einfaches Verfahren, das hier jedoch nicht seine übliche Monotonie entfalten sollte. Vielmehr wurde der Versuch unternommen, Freiheiten zu suchen innerhalb des konstruktiven Systems. Das äußert sich z. B. in den unterschiedlichen Scheiben- Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten größen, im Versatz der Horizontalriegel und in den Farblinien, die als eigenständige Schicht Teile der Fassaden überziehen. Die Möglichkeiten der Freiheit dürfen aber nicht gleichgesetzt werden mit Willkür. Handelt es sich doch um eine Differenzierung, die sich erst im Zusammenspiel der Lösung unterschiedlicher Problemstellungen ergibt. Bei der Fassade waren Teilaufgaben zu lösen : Wie sehen Tragpfosten im Normalfeld aus, wo sind diese sinnvoll, wie werden die Windkräfte abgeleitet, wie sieht die Ecklösung aus usw.? Es wurden also Möglichkeiten zur Individualisierung der Teile gesucht. Es ließen sich auch andere Bauelemente aufführen, an deren Lösung ähnlich herangegangen wurde, z. B. der Natursteinboden der Halle: Ein System von Linien gliedert die Fläche. Dort wo sie sich kreuzen, liegt der Schwerpunkt der Halle. Unterschiedlich große rechtekkige Platten aus Jura-Marmor füllen die Teilflächen im römischen Verband. In den Mittelzonen entstehen Zwikkelbereiche, die aus den unterschiedlichen Winkeln der Randanschlüsse resultieren. Von besonderer Bedeutung ist auch die Art der Farbe auf Wänden, Decken und Stützen; nicht deckend, sondern in vielen abgestuften Tönen lasierend aufgebracht, aufbauend auf den Erfahrungen, die wir mit Fritz Fuchs im Studienzentrum der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart-Birkach gewonnen und beim Herbert-Keller-Haus der Diakonie in Stuttgart weiterentwickeln konnten. Die Farbe gewinnt so an Tiefe, verschließt Raum oder Fläche nicht und ist von großer Lebendigkeit. Darüber hinaus wurden andere Themen bearbeitet, die nicht direkt in den praktischen Funktionen zu begründen sind; Themen, die übergreifend jedoch das Gebäude mitbestimmen in seinen Teilen und im Ganzen. Ein solches Thema liegt im „Licht". Das Licht macht uns sehend, unsere Welt erkennend, modelliert die Dinge plastisch, läßt sie farbig erscheinen, zeigt uns die Tagesund Jahreszeiten an und vieles andere mehr. Vor allem mit Hilfe des Lichtes ist das Gebäude der Bibliothek erkennbar in seine Welt eingebunden. Und dieses Licht kann nicht nur physikalisch gesehen werden, es steht darüber hinaus für vieles andere. So ist das Licht auch eine Metapher für Geist, den Geist des Menschen und darüber hinaus für göttliche Weisheit. In der Geschichte finden wir hervorragende Beispiele für diese Zusammenhänge in den Kathedralen des Mittelalters, im Barock, aber ebenso in der Glasarchitektur unseres Jahrhunderts. Es lag nun nahe, bei der Planung dieses Bibliotheksgebäudes sich diesem Thema zuzuwenden und Lichtphänomene zu bearbeiten und ästhetisch zu überhöhen. Gleichermaßen liegt es nahe, Werke der Kunst, die der neuen Anlage zugeordnet werden sollen, auch aus diesem Bereich auszusuchen. Einerseits wird so das Thema gestärkt, andererseits wird verhindert, daß Kunst sich gegen die die Architektur bestimmenden Themen stellt. Werke von Luther, Mack, Panamarenko sind vorgesehen. Bei der Planung des neuen Bibliotheksgebäudes wurde viel investiert, an Engagement, aber auch an Risiko, an Suche nach dem „Besseren". Ohne die spezielle „Bauherrschaft", die Stiftung der Katholischen Universität, die sich ihrer „Besonderheit" sehr bewußt ist, hätte das Gebäude so nicht entstehen können. Vielleicht hat das neue Gebäude so eine Chance zu bestehen neben der Qualität der alten Stadt, ihren alten Bauwerk-Schätzen und den kunstvollen Ergänzungen durch Karljosef Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Ecketal.-Bibliotheksneubauten Schattner. Schattner hat bei diesem Bauwerk die Bauherrschaft vertreten. Universitätsbibliothek und Fakultätsräume der Katholischen Universität Eichstätt Architekten: Projektarchitekten: Behnisch & Partner Stuttgart Manfred Sabatke Christian Kandzia Joachim Zürn Mitarbeiter: Helmut Dasch Jutta Schürmann Cornelia Theilig Birgit Weigel Thomas Zimmermann Bauleitung: Martin Huhn Landschaft mit: Luz und Partner Bauherrschaft: Stiftung der Katholischen Universität Eichstätt vertreten durch das Universitäts-Diözesanbauamt Eichstätt Baudirektor Prof. Karljosef Schattner 34 200 m3 Umbauter Raum (Bruttorauminhalt): 9 300 m 2 Bruttogrundrißfläche: Wettbewerbsentwurf: Mai 1980 Beginn der Rohbauarbeiten April 1984 Richtfest: 25. Juni 1985 Einzug ab: Oktober 1986 26. November 1987 Tag der Einweihung: 19 912 000-DM Kosten des Bauwerks (brutto): Gesamtbaukosten: 25 500 000 - DM Kosten pro Kubikmeter: 582 - DM Kosten der Zufahrtsstraßen, der Parkierungsflächen und des Garagengebäudes für 1 757 600,- DM Dienstfahrzeuge: Das neue Gebäude der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen 4.1 Einführung (von Elmar Mittler) Es ist für mich ein besonderes Erlebnis, ein Gebäude beziehen zu können, das ich nicht selbst geplant habe. Als ich am 1. Oktober 1990 meinen Dienst hier in Göttingen antrat, wurde wenige Monate später das Richtfest für den Neubau gefeiert: die Grundstrukturen des Gebäudes standen festgemauert oder -betoniert eindeutig fest. Bei der Gestaltung mitwirken konnte ich nur noch bei einigen Details - z. B. dem Einbau von Hohlraumboden in den Lesebereichen und der Gestaltung der Katalogbereiche. Beides habe ich mit der Zielrichtung getan, den EDV-Einsatz auch für die Leser zu erleichtern. Obwohl ich also das Gebäude kaum mitgestalten konn- 347 te, fällt es mir leicht, es fast rückhaltslos zu bejahen. Der Grund ist einfach: Es bedeutet in vieler Hinsicht die Realisierung von Grundvorstellungen des Bibliotheksbaus, die sich für mich aus meiner Erfahrung mit der Planung am Neubau in Freiburg, bei der Durchsetzung des Raumbedarfsprogramms und in der Vorbereitung der Wettbewerbsunterlagen für den Neubau in Karlsruhe 1977-791 und bei der Sanierung des alten Bibliotheksgebäudes in Heidelberg 1980-19902 ergeben haben. Bei einem Baukolloquium in Freiburg 19803 habe ich sie in lOThesen zusammengefaßt, von denen ich auf 6 hier zurückgreifen will. 1. „Zu ihrer Effektivität bedarf die Bibliothek einer günstigen Lage, übersichtlicher Gliederung mit geradezu magischer Führung des Benutzers an die einzelnen funktionalen Stellen. Das spricht für gegliederte, also nicht voll flexible Gebäude." Diese Forderungen sind alle ausgezeichnet erfüllt: - Alle Studenten, die aus der Altstadt auf den Campus kommen, gehen am Gebäude vorbei. Intensive Nutzung ist damit vorprogrammiert. Eine Verdoppelung der Bestellungen aus den Magazinen nach wenigen Wochen ist schon jetzt die Folge. - Beim Hineingehen ins Gebäude blättern sich einem die wichtigsten Funktionen wie von alleine auf: Lehrbuchsammlung und Leihtheke, Aufgang zu den Lesebereichen, Kataloge und Informationszentrum. - Das Gebäude ist klar in die Bereiche für Personal und Leser gegliedert; sie werden durch die große Halle zusammengeführt, die der Kommunikation von Bibliothekaren und Benutzern dient. 2. „Die moderne Bibliothek zeichnet sich durch klare Ausrichtung auf die Bedürfnisse ihrer Benutzer in Buchbestand und Buchaufstellung aus. Die Benutzungshäufigkeit ist der wesentliche Aspekt für die Aufstellung des Buches in den Präsenzbeständen, Freihandbeständen oder geschlossenen Magazinen." Auch diese Forderungen sind weitgehend erfüllt: So befindet sich die Lehrbuchsammlung gleich im Eingangsbereich; Präsenz- und Freihandbestände für die Lesebereiche sind allerdings vermischt. Das bringt manche Probleme; vor allem vermissen unsere Leser ein riesengroßes Freihandzeitschriftenmagazin, wie es im Altbau bestand. Wir haben uns deshalb entschlossen, durch Öffnen des großen dreiteiligen Flächenmagazins im 2. Untergeschoß mehr Freihandbestände zugänglich zu machen. Die Nutzbarkeit der Architektur zeigt sich darin, daß auch dafür eine gute Anbindung zum Treppenhaus und dem Aufzug gleich links vom Eingang besteht. 3. „Flexibilität bleibt in Buch- und Lesebereichen Trumpf, um neue technische Medien berücksichtigen, aber auch Änderungen der Interessenlage der Benutzer bei der Buchaufstellung konsequent nachvollziehen zu können." Vgl. meinen Bericht: Der Einsatz von Flächenrichtwerten bei der Programmierung von Bibliotheksbauten. Erfahrungen bei der Planung des Neubaus der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe und des Umbaus der Universitätsbibliothek Heidelberg, In: Bibliotheken bauen und führen. München 1983. S. 136-155. Bibliothek im Wandel. Ein Werkstattbericht über die Sanierung des Gebäudes der Universitätsbibliothek Heidelberg. Heidelberg 1989. Zentrale Hochschulbibliotheken. Struktur und Organisationsformen und deren Auswirkungen auf das Gebäude. In: Zentrale Hochschulbibliotheken. München 1980. S. 11-20. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Ecketal.-Bibliotheksneubauten 348 Abb. 1: Stadtbibliothek Stockholm, Querschnitt Abb.2 Stadtbibliothekstockholm Hier ist das Maximum an Möglichem geschehen: Durch den Hohlraumboden kann fast die ganze Bibliothek auf Dauer für elektronische Medien genutzt werden; die Katalogkästen sind auf Tische gesetzt, die bereits verkabelt sind. 4. „Auch Nebenbedürfnisse der Benutzer wie Möglichkeiten zur Gruppenarbeit, das Angebot von Ausstellungen und Vortragsräumen (auch zur Benutzerschulung) und Erfrischungsräume sind erforderlich. Die Bibliothek sollte so sein, daß sie der Benutzer gar nicht mehr verlassen will." Gruppenarbeitwarin den oberen Räumen der Rotunde vorgesehen, die zugunsten einer Erweiterung der Cafeteria aufgegeben wurden. Es ist aber zu hoffen, daß sie weiterhinfürdiese Funktion mitgenutztwerden. Ein Seminarraum befindet sich gleich im Eingangsbereich. In der Halle sind auch Ausstellungen möglich. 5. „Man sollte beim Bau von Bibliotheken auch an das Personal denken. Gerade bei Neubauten der 70er Jahre ist es öfters zu kurz gekommen. Die Formel dafür scheint einfach: weniger Großräume und weniger Klimatisierung." Die Forderung nach kleineren Arbeitsräumen sind exakt eingehalten; sie kommen ohne Klimatisierung aus, die es nur in den unterirdischen Magazinen und den Benutzungsbereichen gibt-übrigens gleich mit all den Problemen künstlicher Belüftung wie Zugerscheinungen oder zu große Hitze oder Kälte, wie man sie auch anderswo kennt. Deshalb nimmt die Mehrzahl der Mitarbeiter gern in Kauf, daß die Ausdehnung der Verwaltungsbereiche relativ groß ist; manche haben deshalb im Scherz schon Rollschuhe als Dienstfahrzeuge erbeten. 6. Die zentralen Bereiche sind mit besonderer Sorgfalt bedacht. Der Posthof, auf dem sich die Bücherautos aus Hessen und Sachsen-Anhalt treffen, ist auch architektonisch eine kleine Meisterleistung. Es ist deutlich erkennbar, daß man bei diesem Gebäude weitgehend „abhaken" kann, was ich mir als Bibliothekargewünscht habe. Besonders schön aber ist es, daß es auch nicht schwerfällt, sich mit der Ästhetik des Bauens des Architekten Gerber und seiner Partner anzufreunden. Es ist eine überlegte Art des Gestaltens, die man vielleicht als den Baustil einer „aufgeklärten Moderne" bezeichnen könnte - bestimmt nicht das schlechteste für eine Bibliothek, die ihrerseits als ein besonders gelungenes Kind der Aufklärung bezeichnet werden kann. 4.2 Der Entwurf aus Sicht des Architekten (von Eckard Gerber) 4.2.1 Zeitgeschichtliche Einordnung, Gebäude und Raum Mit dem Wunsch Bücher aufzubewahren, sie zu präsentieren und aus diesem Ort eine Stätte der Begegnung und Kommunikation zu machen, formuliert sich wie von selbst die Bauaufgabe einer Bibliothek. Die Bedeutung des Buches für den Menschen war durch alle Jahrhunderte so groß, daß immer wieder Bibliotheksgebäude mit besonderem repräsentativen Anspruch entstanden sind. So sind die öffentlichen römischen Bibliotheken nach dem Vorbild der Griechen in einer klassischen Dreiteilung aufgebaut, und zwar mit einem Raum zur Aufbewahrung der Rollen, einem Repräsentationsraum zum Lesen und Studieren und einer Wandelhalle. Aus der Barockzeit kennen wir den großen Gesamtraum, den Bücherfestsaal als Bibliothek, eine geschlossene Einheit von Speichern, Verwalten und Lesen in einem Raum, eine Einheit von Kunst und Buch als „Gesamtkunstwerk Bibliothek". Mit den aufklärerischen Gedanken des Klassizismus und der damit verbundenen Öffnung der Bibliothek gegenüber den Bürgern, aber auch mit der vermehrten Buchproduktion entwickelte sich wieder eine funktionale Gliederung der Bibliotheken in die Bereiche Lesen, Bearbeitung und Aufbewahrung. Der Gedanke des Präsentierens der Bücher, aber auch der Wunsch nach eigener Repräsentation durch das Buch, ließ in dieser Zeit großartige Gebäude mit beeindruckenden Räumen als Lesesäle entstehen. Dabei wird der museale Gedanke der Bibliothek des Klassizismus in ihrer Bauform deutlich. Das Aufbewahren und Präsentieren des Buches führt zu grundrißlichen Gebäudedispositionen, die den Museen dieser Zeit ähnlich sind. So könnte das Berliner Museum von Schinkel in seiner grundrißlichen Anlage als Gebäude ebensogut eine Bibliothek sein. Die um den mittigen Kuppelsaal rechtwinklig gruppierten Gebäuderiegel ergeben mit der zentralen Mitte des Kuppelsaals eine klassisch dreigeteilte Bibliothek. Der mit Statuen künstlerisch gestaltete zentrale Mittelbau wäre mit der Darstellung von Buchkunst, sprich ausgestatteten Büchern austauschbar. Der letzte in dieser Zeitschiene auf diesem Grundrißschema entwickelte Bibliotheksbau entstand in den 20er Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 349 Bibliothek 17.1993. Nr. 3Ecketal.-Bibliotheksneubauten Abb. 4: Grundriß der Staatsgalerie Stuttgart Abb. 3: Grundriß der Stadtbibliothek Stockholm Abb. 5: Grundriß der Bibliothek in Oregon (USA) von Alvar Aalto Abb. 6: Bibliothek in Oregon (USA), Lesesaal (Architekt Alvar Aalto) Jahren für die Stockholmer Stadtbibliothek von Asplund. Der große, mittige, zylindrische Lesesaal vermittelt wegen seiner zurückgenommenen Architektur weniger die Absicht der Repräsentanz, trotzdem wird nach wie vor der repräsentativ-introvertierte Ansatz als Grundhaltung für die Bibliothek hier weiterhin deutlich (Abb. 1,2 und 3). Die Grundriß-Struktur der Asplundschen Bibliothek übernahm Sterling dann in den 80er Jahren als Grundlage für seine Staatsgalerie in Stuttgart (Abb. 4). Er selbst zitierte jedoch das Schinkelsche Berliner Museum als Ausgangspunkt für seinen Entwurf, gleichwohl wird in der Gegenüberstellung der Grundrisse deutlich, daß das auf dem Schinkelschen Grundriß weiterentwickelte Asplund-Konzept in Stuttgart seine Fortsetzung fand. Jedoch ist der bisher mittige Zentralraum bei Sterling nicht mehr der repräsentative Festraum, sondern vielmehr ein Raum, der öffentlicher Weg und offener Ausstellungsraum zugleich ist und somit das Sich-Öffnen des Hauses als Stadtraum dokumentiert. Mit diesem alten und doch ganz tiefsinnigen, neuen Grundrißkonzept der Sterlingschen Staatsgalerie in Stuttgart wäre dann eigentlich ein Bibliotheksgebäude mit zentralem „Kuppelraum" als Lesesaal, wie es nochmal in den 90er Jahren in Karlsruhe entstanden ist, nicht mehr möglich gewesen. Die Karlsruher Landesbibliothek ist so ein unserer Zeit wenig angemessener Rückgriff auf alte Schemata, die dem modernen Gedanken der Bibliothek und des Ausdrucks des Zeitgeistes in dieser Bauaufgabe kaum mehr gerecht werden kann. Selbst die Ableitung des Konzeptes von der gegenüberliegenden Kuppelkirche St. Stephan von Weinbrenner ist eher eine vordergründige Rechtfertigung. Der in allen Jahrhunderten so wichtige Aspekt der Repräsentation, der sich für jeden klar ablesbar in der Formulierung der Bibliotheksbauten bisher deutlich machte, wich in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts stärker dem Gedanken des Öffnens der Bibliothek, stärker dem Gedanken des Anbietens des Buches gegenüber seinen Nutzern. Nicht die Introvertiertheit, der künstlich belichtete, geschlossene, repräsentative Zentralraum, sondern vielmehr das offene Haus, mit der Landschaft und mit dem Umfeld verbundene Leseräume sind heute Bilder für einen Bibliotheksbau unserer Zeit. Einer der wichtigsten Vertreter und Vordenker der gänzlichen Neuformulierung von Bibliotheksbauten ist unumstritten der finnische Architekt Alvar Aalto. Schon in den 30er Jahren entwickelte er diesen offenen Raum, später den gefächerten, offenen Grundriß des Lesesaales, der mit seiner Form Offenheit und Freiheit für die neue Bibliothek symbolisiert. Zwar klingt noch in seiner Bibliothek in Oregon (USA) das Zylindrische eines früheren Kuppelsaales in der Handwurzel des Fächergrundrisses deutlich an, jedoch ist die gesamte Disposition des baulichen Grundgedankens der Bibliothek weit von der Introvertiertheit des klassischen Kuppelsaales entfernt (Abb. 5 und 6). Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 350 Abb.7: Lesesaal der Bibliothek in Rovaniemi (Architekt Alvar Aalto) Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten Abb. 9: Bibliothek in Rovaniemi Das Abbauen von Zwängen in der Architektur, aber auch das Zurücknehmen falscher Repräsentation zugunsten von Privatheit sind Ansätze für Aaltos Bibliotheken. Neben der Untersuchung über die Ausleuchtung von Leseräumen hat Aalto den in sich abgestuften Lesesaal erfunden, sozusagen den Raum im Raum, der mit Abstufungen von ca. 90 cm im oberen Teil als „Brüstung" Lesetische entstehen ließ und im unteren Teil die 1,80 m2,00 m hohe Wand zur Aufnahme der Bücherregale benutzt. Mit diesem Raumsystem hat Aalto wunderschöne Bibliothekslesesäle geschaffen, wie wir sie schon bei der Bibliothek von Viipuri aus den 20er/30er Jahren kennen, aber auch bei der Bibliothek in Rovaniemi aus den 60er Jahren (Abb. 7). Dieses höhengestufte Raumkonzept haben wir bei unserer Bereichsbibliothek beim Bildungszentrum der Bundesfinanzverwaltung in Münster angewendet und so einen für die Menschen angenehmen Lesebereich entwickeln können. Daß unsere gedanklichen Ausgangspunkte für die Grundstruktur einer Bibliothek weniger auf den klassizistischen Vorbildern, sondern viel eher auf der Grundlage der Aaltoischen Gedanken aufbauen, macht der Vergleich der beiden Bilder unserer Göttinger Bibliothek mit der Bibliothek in Rovaniemi von Aalto deutlich (Abb. 8 und 9). Abb. 10: Modellfoto der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main, Entwurf Gerber Abb. 8: Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Göttingen Auf dem gleichen Gedankengut der Architekturmoderne ist auch der Entwurf der Staatsbibliothek Berlin von Scharoun aufgebaut. Der große, offene Lesesaal ist eine beeindruckende, neue Raumschöpfung; dabei spielt die Oberbelichtung des Saales eine große Rolle. Scharoun spricht hiervon einer „Himmelschaft", die an himmelartig ausgemalte Raumüberwölbungen barocker Bibliotheken erinnert und doch ein ganz anderer Raum, ein Raum unserer Zeit ist. Bei der Scharounschen Bibliothek Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 351 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten Abb. 11: Grundriß der Univeristätsbiliothek Kiel, Entwurf Gerber in Berlin wird die klassische Dreiteilung in eindrucksvoller Weise deutlich, und zwar der Teil der Benutzer, wie Katalogbereich und Lesesäle, der Teil der Verwaltung und der Teil des Magazines. Außergewöhnlich ist dieser große Magazintrakt, der sich in den Obergeschossen wie ein riesiges skulpturales Gebäudeelement im Stadtraum markiert. Bei der Berliner Staatsbibliothek wird nun der Aspekt des Repräsentierens oder besser gesagt, das Darstellen der Bedeutung des Buches in Architektur wieder deutlich. Das drückt sich zum einen in der großartigen Gebäudeskulptur für den Stadtraum aus, aber auch zum anderen in der inneren Raumgestalt, auch und ganz besonders hinsichtlich der großzügigen Wegeführung vom unteren Eingangsfoyer über den Katalogbereich, die großen Freitreppen nach oben zu den Lesesälen. Waren in den früheren Jahrhunderten die verschiedensten Bauaufgaben durch Typus und Kanon durch ihre Gebäudestruktur festgelegt, gehen heutige Entwurfskonzepte auch für Bibliotheksbauten von ganz unterschiedlichen Entwurfsansätzen aus, wobei die konzeptionellen Ansätze sowohl aus dem städtebaulichen Umfeld wie aus neuen und unterschiedlichen Interpretationen der inneren Raumfunktion entstehen. Die so entstehende Vielsprachigkeit der heutigen Architektur ist Ausdruck unseres differenzierten Zeitgeistes in allen Bereichen von Kultur und Wissenschaft. So ist die Scharounsche Bibliothek in Berlin eher eine freie Gebäude-/Raumplastik, eher ein Solitär im Stadtraum, in der Gesamtkomposition von Philharmonie und Nationalgalerie; dagegen unser damaliger Wettbe- Abb. 12: Modell des Neubaus der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen (Architekt Ekkard Gerber), auf dem Geisteswissenschaftlichen Campus der Universität werbsentwurf für die Deutsche Bibliothek in Frankfurt (Abb. 10) eher ein Konzept, das sich aus den vorhandenen städtebaulichen Gegebenheiten entwickelt und die vorhandene Stadtstruktur mit dem neuen Gebäude vervollständigen soll. Die Öffnung des Lesesaales zum Grünraum, also das Verknüpfen von Benutzungsbereich und Landschaft ist bei unserem dann folgenden Entwurf für die Göttinger Bibliothek im Ansatz ähnlich wie in Frankfurt. Auch unser Entwurf für die Kieler Universitätsbibliothek (Abb. 11) ist ein stark landschaftlich orientiertes Entwurfskonzept. Hier werden die Benutzungsbereiche in freien Formen entwickelt und dagegen ein langer, eher geometrisch linearer Gebäuderiegel gesetzt, mit den bibliotheksdienenden Einrichtungen wie Verwaltung, etc. Zwischen beiden Bereichen spannt sich eine lange, lineare aber frei geformte Benutzerhalle, von der aus alle Bibliothekseinrichtungen erschlossen werden. So ist auch der Riegel für die Verwaltung eher ein geschlossener Gebäudeteil und die Bereiche für die Nutzer im Gegensatz hierzu ein offen gedachter Raumbereich, der durch die Konzeption der schwebenden Dekken und Dächer diese Offenheit auch architektonisch formuliert. Ähnlich ist auch Göttingen konzipiert. Die Besonderheit des Standortes hat hier jedoch bei Zugrundelegung gleicher gedanklicher Ansätze eine andere Gebäudeform und so auch eine andere funktional räumliche Struktur erhalten. Dieses neue Gebäude der Niedersächsischen Staatsund Universitätsbibliothek (NSUB) in Göttingen sollte sich in der stadträumlichen Struktur des Geisteswissenschaftlichen Zentrums der 60er und 70er Jahre verankern und ist deshalb in seiner Baukörpergliederung im Osten, Norden und Nordwesten aus der vorgefundenen Orthogonalität abgeleitet und bildet so ein „Gebäuderückgrat" (s. Abb. 12). Nach Süden hingegen öffnet sich das Gebäude in einer freien, fingerartig ausgeformten Gliederung zur Stadt und verzahnt sich so mit der vorgelagerten Parklandschaft. Damit soll das neue Gebäude der Staats- und Universitätsbibliothek in Verbindung mit dem Grünbereich des Walls und des Botanischen Gartens zum Verknüpfungselement zwischen Universität und Stadt werden und so die besondere Bedeutung der Bibliothek für die Stadt- und die Universität dokumentieren. Mit diesem, aus dem städtebaulichen Umfeld, aber auch aus der Bedeutung der Aufgabe für Stadt und Uni- Abb. 13: Fingerstruktur des Neubaus der Niedersächsischen Staats-und Universitätsbibliothek Göttingen (Modell) Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 352 versität entwickelten städtebaulichen Konzept, ist in gleicher Weise eine aus den Notwendigkeiten und Wünschen der innenräumlichen Bedingungen einer Bibliothek sinnvolle Gebäude- und Grundrißstruktur entwikkelt worden. So ist dem Gebäudebereich des Rückgrates die der Bibliothek dienende Funktion der Verwaltung zugeordnet (ähnlich wie beim Kieler Konzept), die dreiseitig die Fläche des Benutzungsbereichs und die des Niedersächsischen Zentralkatalogs umgibt. In der hierzu im Kontrast stehenden eher freien und offenen Struktur der Finger ist der Benutzungsbereich angesiedelt, und zwar im Erdgeschoß der Katalogbereich und in den beiden Obergeschossen die Lesesäle (Abb. 13). Die mit der Fingerstrukturtief eingeschnittenen Lufträume mit Oberlichtern ermöglichen zum einen eine sinnvolle Strukturierung und Orientierung für den Benutzer innerhalb des Gebäudes, zum anderen eine gute Tagesbelichtung bis in die Tiefe der großen Lesesaalflächen, aber auch eine schöne Ausblickmöglichkeit zum Grün und zur Silhouette der Altstadt Göttingens. Die langen, im Schnitt dreiecksförmigen Oberlichter werden durch das Einlegen einer horizontalen Glasscheibe als gläserne Luftkanäle benutzt. Hierüber kann in direkter Verbindung zur auf dem Dach liegenden Technikzentrale die im Sommer zu warme Luft abgezogen werden, aber auch die in den Übergangsmonaten durch Sonnenstrahlung warme Luft der technischen Zentrale zugeführt und über die Wärmerückgewinnung für die Beheizung des Hauses genutzt werden. In der kalten Jahreszeit sind diese Oberlichter Wärmepuffer gegen den Kälteeinfall. In der über vier Geschosse reichenden, großen Eingangshalle sind für den Besucher in der Mitte des Gebäudes-wie ein aufgeblättertes Buch-sämtliche Bereiche der Bibliothek auf einen Blick sichtbar. Sie ist Kommunikationsbereich, aber auch durch ihre Größe und große Transparenz und die über zwei Geschosse reichende „Aalto-Treppe" räumliche Repräsentation im Hinblick auf die Bedeutung der Bibliothek und ihres wertvollen Buchbestandes. Das Gebäude zeigt sich in seiner gegensätzlichen Dualität, zum einen dem Rückgrat für die Verwaltung, zum anderen der Fingerstruktur für den Benutzungsbereich, seine Inhaltlichkeit, wobei der wesentliche dritte Bereich, nämlich das Magazin, im Gegensatz zur Scharounschen Lösung in Berlin hier in Kellergeschossen unsichtbar untergebracht ist. Das Symbol des Speicherns ist mit einem kleinen dritten Bauteil, der als Rotunde den Eingangsbereich markiert, dargestellt. Er soll im übertragenen Sinne an die Form eines Behälters zum Speichern der Bücher erinnern oder auch als Metapher an die Asplundsche Bibliothek. In dieser Rotunde sind, wie im Erker eines Hauses, Ausblickmöglichkeiten über den gesamten Hauptweg, der sich im Norden von der Mensa her an dem Hörsaalzentrum, vorbei an den Instituten und der Bibliothek bis zur Stadtmitte fortsetzt, möglich. Nach verschiedensten Funktionszuordnungen im Verlaufe der Planungsschritte wird letztlich hier nun über vier Geschosse eine Cafeteria eingerichtet, so daß hier im Eingangsbereich der Bibliothek ein Kommunikationspunkt fürdie gesamte Bibliothek entstehen wird und sich so die Bibliothek auch hier als Zentrum des Geschehens in der Universität darstellt. Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Ecketal.-Bibliotheksneubauten Die so als Eingangsbereich formulierte Rotunde soll mit dem die Altstadt beherrschenden schönen Kirchturm von Sankt Jakobi zu einer stadträumlichen Komposition werden, um so den Neubau der NSUB mit den Bauelementen der Altstadt durch die Wege- und Blickbeziehungen zu verbinden, was mit der Kunst von Professor Reusch, dem „grünen Rohr", nochmals aufgenommen wird, so daß eine Gesamtkomposition Rotunde, „grünes Rohr", Sankt-Jakobi-Kirche entsteht (Abb. 14). Abb. 14: Rotunde der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Mit den von Professor Wehberg erarbeiteten Außenanlagen wird ein Gesamtkonzept erreicht, das die sehr einfachen, aber noblen Institutsgebäude der 60er und 70er Jahre mit dem neuen Gebäude der Bibliothek zu einem homogenen Gesamtensemble des Zentrums für die Geisteswissenschaften der Universität Göttingen werden läßt. Die aufgrund ihrer Gesamtstruktur in ihrer Orientierung zwar sehr einfach begreifbare Göttinger Bibliothek stellt über das Funktionale hinaus mit einer Vielfalt verschiedenster Raumideen, Kompositionen unterschiedlicher Raumfolgen, Durchdringungen von Räumen in der Vertikalen, vielfältigem Tageslichteinfall über Dach und Wände durch die Geschosse in untere Bereiche ein gänzlich neues Raumkonzept einer Bibliothek dar. Mit dieser Vielfältigkeit der Raumfolgen bieten sich im Benutzungsbereich viele verschiedene Möglichkeiten zum Lesen an: zwischen den Regalen inmitten der Bücher, an dem Geländer stehend zum schnellen Anlesen, miteinander an den zusammenstehenden Tischen, an den Tischbrettern mit Ausblick ins Grün oder vor den Wänden (vielleicht für die Arbeit später mit dem PC) oder auch ganz vorne, abseits, im letzten Finger am Nikolausberger Weg. Über die Wendeltreppen sind die Lesesaalebenen miteinander verbunden, aber auch über unsere Lieblingstreppe im langen Finger, die bis ins Erdgeschoß zum bibliographischen Handapparat führt und von ganz oben wiederum viel Licht erhält und so zum Begehen einladen wird. Bei der abendlichen Beleuchtung öffnet sich die BiblioUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten thek wie ein Fächer oder Buch zur Stadt und präsentiert sich nicht durch äußerliche Gebäudedekoration, nicht durch aus vergangener Zeit entlehnte Strukturen von Typus und Kanon - sondern wie ein großer, leuchtender Kristall mit ihrem Inhalt, dem großartigen Schatz ihrer Bücher. Wir hoffen, daß viele Menschen gerne hierher kommen und sich in diesem lichten und offenen Gebäude gerne aufhalten zum Lesen und Arbeiten, zum Suchen und Finden, es zur Erhellung des Geistes nutzen und so dieser Ort durch den Schatz der Bücher, aber auch durch die Stimulanz des Hauses neue Gedanken und Ideen entstehen läßt und diese sich multiplizieren wie ein großes Kapital, das, wie Goethe anläßlich des Besuches der Göttinger Bibliothek sagte, geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet. 4.2.2 Bereichsgliederung und Funktion An die Funktionsabläufe innerhalb einer Bibliothek werden im allgemeinen hohe spezifische Anforderungen gestellt. Im vorliegenden Fall gilt dies in ganz besonderem Maße aufgrund der Größe der NSUB als drittgrößter Bibliothek in der Bundesrepublik und aufgrund der umfangreichen und vielfältigen Aufgaben einer Staatsund Universitätsbibliothek. Um getrennt vom Benutzungsbereich die internen Arbeitsabläufe einwandfrei zu gewährleisten, ist die Gesamtanlage in vier übergeordnete Funktionskomplexe gegliedert: - Benutzungsbereich, - Verwaltungsbereich, - Magazin und technische Dienste, - Tiefgarage und haustechnische Zentralen. Der vorgesehene strukturelle Aufbau des Gebäudes istwie schon erläutert- nicht allein städtebaulich begründet, sondern gleichermaßen abgeleitet aus der inneren Gliederung der Nutzung, aus Funktionszusammenhängen und -ablaufen. Benutzungsbereich und Verwaltungsbereich sind in dem kompakten drei- bis viergeschossigen Baukörper untergebracht. In den Untergeschossen befinden sich technische Dienste, Magazin, Tiefgarage und die Zentralen für die Haustechnik. Benutzungsbereich Der Benutzungsbereich bildet den inhaltlichen Schwerpunkt der Gesamtanlage und ist entsprechend seinen Funktionsanforderungen auf den großen zusammenhängenden Geschoßebenen im Fingerbereich angeordnet. Er ist gegliedert in die Hauptfunktionsebene und in den Lese- und Freihandbereich. Die Erschließung erfolgt über die freistehende, weithin sichtbare Rotunde und die nachfolgende großzügige Eingangshalle, die über lle Geschosse reicht und von oben natürlich belichtet wird. In der Rotunde ist oberhalb des Haupteingangs in vier Geschossen das Cafe untergebracht. Für eine Bewirtschaftung erforderliche Nebenräume befinden sich in den Untergeschossen der Rotunde. In der Eingangshalle bietet sich dem Benutzer gewissermaßen ein Querschnitt über alle Geschosse, wodurch ein Einblick in alle angelagerten Nutzungen und innerhalb der komplexen Gesamtanlage eine einfache Orientierung ermöglicht wird. Die Eingangsebene ist zugleich Hauptfunktionsebene. In direkter Zuordnung zum Haupteingang ist der 353 Tresen für das Informationszentrum mit der Zugangskontrolle in die Lese- und Freihandbereiche angeordnet. Die publikumsintensiven Bereiche Leihstelle und Lehrbuchsammlung mit einer hohen zu erwartenden Nutzerfrequenz und kurzer Verweildauer liegen unmittelbar an der Eingangshalle und orientieren sich nach außen auf das Forum. Die Katalogbereiche sind neben dem Informationszentrum eingerichtet und von hier aus gut kontrollierbar. Die einzelnen Kataloge sind entsprechend ihrer Benutzungsfrequenz mehr oder weniger dem Haupteingang zugeordnet und auf drei unterschiedlichen, leicht abgesenkten Niveaus untergebracht, um die große zusammenhängende Fläche zu gliedern und die Übersichtlichkeit zu erleichtern. Die Erschließung dieser Niveaus für Bücherwagen und Behinderte erfolgt über flach geneigte Rampen. Die Brüstungsbereiche zwischen den einzelnen Ebenen werden als Arbeitsplätze genutzt. Der Katalogbereich ist wie der gesamte Nutzungsbereich nach Süden orientiert und öffnet sich über eine großflächige Verglasung zum Grün. Entlang der Fassade bietet ein Niveausprung von innen nach außen um jeweils ca. +0,40 m Sitzmöglichkeiten für die Benutzer zum zwanglosen Verweilen. Im Anschluß an die Katalogzone befindet sich der bibliographische Apparat und ein Teil der Zeitschriftenauslage, die als bereits kontrollierte Benutzerbereiche über die Auskunft und Aufsicht zugänglich sind und sich ebenfalls nach Süden orientieren. Über die schon beschriebene offene Treppe wird der übrige Teil der Zeitschriftenauslage im 1. Obergeschoß erschlossen. Von hier erfolgt auch der Zugang für Benutzer in das Magazin im 2. Untergeschoß. Die kontrollierten Lese- und Freihandbereiche sind in den zwei Obergeschossen angeordnet und über die Haupttreppenanlage bzw. einen Personenaufzug aus der Eingangshalle erschlossen. Über tief in das Gebäude hineingezogene schmale Lufträume, die von oben natürlich belichtet sind, wird zum einen eine maßstäbliche Gliederung der großen Geschoßflächen im 1. und 2. Obergeschoß angestrebt und ein direkter Außenbezug auch aus der Tiefe des Gebäudes ermöglicht; zum anderen ist über die Lufträume die natürliche Belichtung der Kataloghalle von oben gewährleistet (s. Abb. 15). Lese- und Freihandbereiche sind in sich jeweils so organisiert, daß die geschoßweise Haupterschließung an der Peripherie zur Eingangshalle nahe der Aufsicht als Informations- und Anlaufstelle gelegen ist. Von dort führt der Weg des Benutzers an den galerieartigen Lufträumen entlang, vorbei an den Buchbeständen zu den ruhigen, hellen Arbeitszonen im Fassadenbereich. Eine Sonderstellung innerhalb des Benutzungsbereichs nehmen die Carrels als abgeschlossene Einzelarbeitsräume ein, die zusammenhängend im Osten des Lesesaals angeordnet sind. Etwa die Hälfte der Carrels liegen an der Fassade und können natürlich belichtet und belüftet werden, die andere Hälfte ist innenliegend. Weitere Sonderräume des Benutzungsbereiches befinden sich im ersten Obergeschoß als innenliegende Gruppenarbeitsräume, die durch Glaswände zur Eingangshalle hin natürlich beleuchtet sind. Diese Räume sind zusätzlich zum ursprünglichen Programm aufgenommen worden. Die Benutzergarderobe ist im 1. Untergeschoß untergebracht. Der Zugang erfolgt über die Haupttreppenanlage aus der Eingangshalle im Bereich einer Luftraumverbindung, wodurch diese Zone gleichzeitig mit Tageslicht Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten 354 Abb. 15: Lesesaalbereiche der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen versorgt ist. Sollten sich Probleme in der Benutzung der Garderobe ergeben, kann jederzeit vom reinen Schließfachsystem auf Personalbetrieb umgestellt werden. Verwaltungsbereich Der Verwaltungsbereich ist über vier Geschosse in einem Bürobund organisiert, der den Benutzungsbereich - wie schon erläutert - auf drei Seiten umschließt. An der Nahtstelle ist eine Schachtzone vorgesehen, die über alle Geschosse reicht und die installations- und betriebstechnische Haupterschließung des Gebäudes sowie etliche Nebennutzflächen wie Sanitärräume und Teeküchen aufnimmt. Die ersten drei Bürogeschosse sind niveaugleich an die jeweiligen Ebenen des Benutzungsbereichs angeschlossen, für das vierte Geschoß besteht diese Bindung nicht. Nördlich der Eingangshalle umschließt der Bürotrakt eine innenliegende Zone, in der jeweils in direkter Zuordnung zu den Abteilungen verschiedene großflächige Nutzungen der Verwaltung untergebracht sind und deren Belichtung in ähnlicher Weise wie die der Eingangshalle von oben erfolgt. Im dritten Obergeschoß liegen hier die Besprechungsräume in unmittelbarer Nähe der Direktion und die Zeitschriftenablage. Über einen großzügigen Luftraum wird die darunterliegende Fläche des Niedersächsischen Zentralkatalogs belichtet. Im ersten Obergeschoß befindet sich an dieser Stelle ein Teil des Maschinenraumes vom Bibliotheksrechenzentrum, ebenfalls umschlossen von den zugeordneten Büroräumen. Der übrige Teil des Maschinenraums ist im 2. Untergeschoß direkt unterhalb des Rechenzentrums gelegen. Im Erdgeschoß sind im Verwaltungstrakt in direkter Zuordnung die Büroräume der Leihstelle untergebracht. Aufenthaltsbereiche für die Mitarbeiter sind jeweils am südlichen Ende des Verwaltungstraktes und zum Teil in den Gebäudeecken vorgesehen. Magazin und technische Dienste Unterhalb des Benutzungsbereiches ist das Magazin auf zwei Untergeschoßebenen großflächig angelegt und le- diglich durch die erforderlichen Brandwände unterteilt. Das Magazin ist nach Süden außerhalb der aufgehenden Gebäudekonfiguration erweitert und schiebt sich unter den Bibliothekspark. Die Haupterschließung erfolgt jeweils über eine durchgehende Verkehrsachse in Längsrichtung. Unterhalb des Verwaltungsbereichs sind in zwei Untergeschossen nach Osten die technischen Dienste untergebracht. Durch die Orientierung auf das stark begrünte, weitläufig abgesenkte Gelände im Bereich von Tiefgaragen- und Lieferzufahrt ist eine normale Belichtungs- und Ausblickqualität gewährleistet. Die Anlieferung erfolgt über einen gedeckten Hof am südlichen Ende des Gebäudes auf der Ebene des zweiten Untergeschosses. Tiefgarage und haustechnische Zentralen Im Bereich des Forums befindet sich im zweiten und dritten Untergeschoß eine Tiefgarage mit einem Großschutzraum. Der größte Teil geht über die Kontur des aufgehenden Gebäudes hinaus und schiebt sich unter das Forum. Der größte Teil der haustechnischen Zentralen ist in drei Untergeschossen im Bereich der Schachtzone angeordnet. Die Lüftungszentrale für den Benutzungsbereich, deren Luftverteilung über eine Schachtzone im Bereich der Haupttreppenanlagen erfolgt, befindet sich auf dem Dach oberhalb des Freihandbereiches und prägt so wesentlich das äußere Erscheinungsbild des neuen Bibliotheksgebäudes. 4.3 Ein Planungs- und Baubericht aus Sicht des Nutzers (von Reimer Eck)4 4.3.1 Zur Vorgeschichte des neuen Gebäudes Gestatten Sie mir bitte zunächst einen Exkurs in die Geschichte, denn der alte Hörsaal aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mit seinen vier gußeisernen Säulen, in dem wir uns hier befinden, erinnert mich fatal an folgende Anekdote aus der frühesten Baugeschichte der Göttinger Universitätsbibliothek. Ich beginne also mit der Begehung einer Göttinger Bibliotheksbaustelle im Jahre 1735: Der erste Ordinarius der Philosophischen Fakultät berichtet5: „Bey dem zur Universitäts-Bibliothec bestimmten Saal fand sich, nach geschehener Untersuchung auch etwas, so mit Stillschweigen nicht wohl kann übergangen werden. Der Baumeister, der (nach dem überhaupt angenommenen Plan und Grundsatz) auch hier den leichtesten und wohlfeilsten Weg gewählet, hatte zu dessen Grundlage so schwache Balken genommen, daß der Verfaßer mit dem s. Geßner6, wenn sie auf einen solchen, Für die Frühjahrssitzung der Sektion 4 am 17./18. März in Göttingen vorbereiteter, nicht gehaltener Vortrag. Das Manuskript wurde lediglich etwas erweitert und um einige Anmerkungen ergänzt. Samuel Christian Hollmann: Fragment einer Geschichte der Georg-Augustus-Universitätzu Göttingen. Göttingen 1787. S. 78-79. Johann Matthias Gesner (1691-1761), Klassischer Philologe und erster Direktor der Göttinger Universitätsbibliothek. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten mit Dielen noch nicht belegten, Balken sich stellten, mit leichter Mühe an vielen Orten, (sit venia verbo) sich darauf wippen konnten. Man sähe also leicht ein, daß ein solches Gebälke eine so schwere Last, wie die darauf zu stellende Bibliothek nothwendig ausmachen mußte, unmöglich würde tragen können, und blieb also, da die Sachen einmal so weit gekommen waren, nichts anders übrig, als dem schwachen Gebälke gehörige Unterstützungen zu verschaffen, die denn in dem darunter liegenden größeren Auditorio sonderlich mußte angebracht werden. Man ließ daher an verschiedenen Orten große Säulen darunter setzen, die denn so gut als möglich, und dergestalt eingerichtet wurden, daß es schien, als ob sie bloß zu einer Zierde dahin gesetzet wären, und solche mit ändern, eben so verzierten Unterlagen zu verbinden: wobey denn noch das beste war, daß die guten Pauliner Mönche ihre darunter angelegten gewölbten Keller mit verschiedenen starken steinernen Trägern hatten versehen lassen, so diesen darauf gesetzten hölzernen Säulen zu einer sichern Grundlage dienen konnten; welches denn wohl einer der größten Nutzen war, den die alten Mönchsgebäude den, in so großer Eile darauf gesetzten, neuen Universitäts-Gebäuden verschaffen konnten [,..]"7 Die Geschichte des ehrwürdigen Göttinger Bibliotheksgebäudes an der Prinzenstraße geht in diesem Sinne weiter: Nach aufwendigen Aus- und Umbauten zum ersten Universitätsjubiläum im Jahre 1787 klagte schon knapp 15 Jahre später der Universitätsbaumeister Georg Heinrich Borheck: „Bei diesem großen Kostenaufwand und bei der Erweiterung des Bibliotheksgebäudes durch den neuen Flügelbau, und Zuziehung der Auditorien, hätte man glauben sollen, daß der dadurch gewonnene Raum auf eine längere Reihe von Jahren hin gereicht hätte: allein durch die ansehnliche jährliche Vermehrung der Bibliothek, waren schon im Jahr 1800 alle Repositorien so ausgefüllt, daß ein abermaliger neuer Bau unvermeidlich war[...]."8 Wie bei vielen deutschen Bibliotheken ist die eigentliche Göttinger Baugeschichte die Aneinanderreihung von einzelnen An- und Umbauschritten unter dem ständig wiederkehrenden Druck aktueller Stellraumnot - Bauschritte, die sich in der Regel sehr rasch als kurzsichtige Notlösungen erwiesen haben. Ein grundlegender Neubau war während der 250jährigen eindrucksvollen Geschichte der Bibliothek bis in die jüngste Zeit nicht erfolgt. Lediglich ein Magazinflügel mit einer Stellkapazität von ca. 750 000 Bänden aus dem Jahr 1915 mag den damaligen Ansprüchen des aktuellen Bibliotheksbaus wohlgemerkt, denen der Zeit des Ersten Weltkrieges entsprochen haben. Ausgesprochen drastisch hat sich Georg Leyh im Jahr 1949 über das nunmehr „alte" Göttinger Bibliotheksgebäude geäußert, nämlich daß es „nur seiner Fehler wegen zu Lehrzwecken dienlich sein kann" 9 . Neben dem klassischen Problem der Raumnot für Benutzer, Bücher und Mitarbeiter war es die mittlerweile völlige Unübersichtlichkeit des mit Funktionen überladenen Gebäudes, von dem Direktor Helmut Vogt in einer seiner zahlreichen Begründungen für den Neubau einmal schrieb, es stelle sich „für Benutzer wie Personal wie ein undurchschaubarer Fuchsbau dar", die schließlich zu der langersehnten Neubaumaßnahme in Göttingen führte. Außerdem weist der Göttinger Altbau an der Prinzenstraße derartig gravierende brandschutztechnische und statische Mängel auf, daß man sich nach heutigen Kennt- 355 nissen wohl hüten würde, darin eine stark frequentierte Universitätsbibliothek zu betreiben. Glücklicherweise haben wir diese Erkenntnisse erst im Vorjahr, bei der Entwicklung eines neuen Nutzungs- und Sanierungskonzeptes für den Altbau, gewonnen. Um so leichter fiel es der Bibliothek dann, hartnäckig auf den von der Staatshochbauverwaltung vorgegebenen Terminen für die Fertigstellung des Neubaus zu bestehen. Dies führte schließlich zu einer Art „Instandbesetzung einer Baustelle", was für Benutzer wie Mitarbeiter nicht immer erfreulich war. Doch genug des Jammers, denn es gibt genug Anlaß, sich nun über das neue Gebäude zu freuen. Schließlich war mit dem Beginn der Raumbedarfsplanungen Ende der 70er Jahre für einen neuen Bibliotheksbau nun Gelegenheit gegeben, die Fehler und Mängel des alten Göttinger Gebäudes zu Lehr- und Lernzwecken dienen zu lassen. Selbstverständlich haben nicht nur die dem Altgebäude in seinem damaligen Zustand anhaftenden Mängel die Planungen beeinflußt. So sei hervorgehoben, und Sie werden es bei der nachfolgenden Begehung sicher merken, daß Architekten, Bibliothek, Staatshochbauverwaltung und Senatsbaukommission der Universität gemeinsam unter anderem eine mehrtägige Reise durch Bibliotheksbauten in Schweden und Dänemark unternommen haben. Besonderes Interesse der Teilnehmer galt dem Neubau der Universitätsbibliothek im Stockholmer Vorort Frescati nach Entwürfen des in Schweden ansässigen Architekten Ralph Erskine. Daß wir einiges gelernt haben, mögen die nun in knapper Auswahl folgenden, aus meiner Nutzersicht positiv zu wertenden Aspekte des neuen Gebäudes belegen. Wieviel wir gelernt haben, mögen Sie als unsere heutigen Besucher entscheiden. Zumindest das Wippen auf Bodenbalken ist dank der heutigen Baustoffe und der großzügigen Lastannahmen der Statiker nicht mehr möglich. 4.3.2 Positive Aspekte, Lehren aus dem alten Gebäude Besonders gelungen scheint mir die Trennung von Kurzund Langzeitnutzung durch Ausbildung einer ebenerdigen Hauptfunktionsebene mit Katalogen, einschließlich OPAC-Zone und bibliographischem Apparat sowie Leihstelle und Lehrbuchsammlung. Hier zumindest konnten einige markante Defizite des alten Gebäudes abgebaut werden, zumal nun Kataloge und bibliographischer Apparat dem Benutzer während der gesamten Öffnungszeit der Lesesäle zugänglich sind. Noch gelungener scheinen mir die Nutzungsbereiche der längeren Verweildauer, die Freihandbereiche und Lesesäle. Hervorzuheben ist die Unterteilung der Lesebereiche in kommunikative und gezielt nicht-kommunikative Zonen. Die Wegeführung für den Benutzer unter7 Schließlich haben die soliden Keller des Göttinger Dominikanerklosters während des Zweiten Weltkriegs auch noch die Buchbestände der Bibliothek vor den Flammen bewahrt. 8 Nieders. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen. Bibliotheksarchiv A 1b,49. Nur wenn die Sanierung des Göttinger Altbaus zu einer Forschungsbibliothek termingerecht vorangetrieben werden kann, wird sich eine ähnliche Notsituation vermeiden lassen. 9 Georg Leyh: Die Göttinger Bibliothek in den Grundzügen ihrer Entwicklung. In: Nordisk Tidskrift for bok - och biblioteksväsen. 36 (1949). S. 81. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 356 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten Abb. 17: Lesesaal der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Abb. 16: Arbeitskabinen im Neubau der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbiliothek Göttingen stützt den normalen Benutzungs- und Leseprozeß von der kommunikativen Auskunftstheke durch die Buchbereiche, die zum Anlesen einladen, hindurch, in die nichtkommunikativen ruhigen Lesezonen in den Fingerspitzen. Auch scheint es gelungen, trotz des Baus eines großen ungeteilten Lese- und Freihandbereichs mit einer maximalen Stellkapazität von ca. 450 000 Bänden, zugleich in den fünf Fingern des Publikumsbereichs über zwei Ebenen hinweg, den Charakter, oder besser das Dienstleistungsangebot von fünf einzelnen Fachlesesälen zu schaffen. Der Benutzer findet Monographien und Zeitschriften zu den einzelnen großen Fachgebieten jeweils im gleichen Finger übereinander. Damit kommt die Bibliotheksarchitektur dem Arbeitsgang von der Standardinformation über Handbuch und Monographie zur Detailuntersuchung in einem Zeitschriftenaufsatz entgegen. Im Zeitschriften-Freihandbereich findet der Benutzer dann folglich eine Konzentration der unvermeidlichen Kopiergeräte, wogegen der höhere Anteil der Leserplätze im unteren, den Monographien zugeordneten Lesesaalbereich zusammengefaßt ist. Die interdisziplinäre Arbeit wird schließlich durch die horizontal die einzelnen Fingerbereiche verbindenden Brücken unterstützt. Ebenso gelungen und von ihren Nutzern allgemein gelobt sind die großzügig dimensionierten Arbeitskabinen (Carrels), die eben nicht den Charakter von Mönchszellen haben (Abb. 16). Hier und in weiten Teilen der Lesebereiche kommen wir dem von Bernhard Fabian auf dem Bibliothekartag in Wuppertal in seinem Vortrag unter dem Titel „Auf der Suche nach der humanen und effizienten Bibliothek" entwickelten Ideal des Benutzerarbeitsplatzes recht nahe10. Denn auch die übrigen Leserplätze bieten dem Nutzer eine Vielfalt von Möglichkeiten, sich Bedürfnis und Geschmack entsprechend sein Arbeitsfeld der intensiven - nicht kommunikativen - Bibliotheksbenutzung einzurichten. Erfindet Arbeitsplätze an den Fensterfronten, vor geschlossenen Wänden, im Regalbereich an eingeschobenen Tischreihen und an Einzelplätzen. Er findet Anleseböden in den Regalfel- dern und an den Brüstungen der Galerien. Zugleich gestattet praktisch jeder Arbeitsplatz einen Blick ins Freie. Den verschiedenen individuellen Bedürfnissen zur Gestaltung des Arbeitsplatzes Bibliothek wird so mit einem breiten Angebot entgegengekommen, auch wenn der klassische Normalplatz in der Tischreihe wohl noch sehr überwiegt (Abb. 17). Der Leser drängt zur konzentrierten Arbeit naturgemäß in die abgeschiedenen Winkel des Lese- und Freihandbereichs, aber welche gültigen Flächenstandards oder Normen lassen eine noch großzügigere Raumnutzung zu? Gerade mit der bestehenden Vielfalt des Arbeitsplatzangebots hat der Architekt hier wohl das Optimum dessen erreicht, was die öffentliche Hand zu bauen in der Lage ist. Für den einzelnen Leserplatz konnte glücklich nach zähen Kämpfen auch die individuelle Arbeitsplatzbeleuchtung durchgesetzt werden, ein anerkanntermaßen wichtiges Kriterium des wünschenswerten Arbeitskomforts. Die überwiegende Mehrzahl der Arbeitsplätze verfügt außerdem über eine zusätzliche Steckdose für den Anschluß eines Laptops oder ähnlicher aktueller Hilfsmittel. Ein direkter Anschluß des einzelnen Leseplatzes an das Datenangebot der Bibliothek ist vorgesehen und kann dank des Doppelbodens in den einzelnen Lesefingern und eines Brüstungskanals an den Außenfronten nachträglich hergestellt werden. In einem Teilbereich des Lesesaals ist bereits der OPAC installiert. Ein gutes Drittel der aufgestellten Lesetische erhielt außerdem zusätzlich eine über die Lesefläche erhobene zweite Ebene, so daß die Standardarbeitsfläche von 90 80 cm noch einmal um 20 90 cm vergrößert wird. Mit Vergnügen sehen wir, daß die Benutzer diesen Tischen durchaus reizvolle Nutzungsmöglichkeiten abgewinnen können. Aus dem Bereich der Einrichtung der Publikumsbereiche noch ein weiteres Problemkind: die Kataloge im Übergang - oder besser, im Spagat - zwischen Zetteloder gar Bandkatalog zum elektronischen Zeitalter mit dem Zauberwort OPAC. Hier sei nachdrücklich auf den von Architekt und Bibliothek gemeinsam entwickelten Katalogtisch hingewiesen, der sowohl dem gewichtigen 10 Bernhard Fabian: Auf der Suche nach der humanen und effizienten Bibliothek. In: ZfBB Sonderheft 32 (1981) S.126-138. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten ELT- und EDV-Verkabelung 357 Hohlraumboden Abb. 18: Arbeitstische mit Katalogblöcken und ausgeschobenen Leuchtenarmen Abb. 19: Arbeitstische mit PC's und eingeschobenen Leuchtenarmen Normalkatalogblock wie auch - dank Verkabelung über Doppelboden und die massiven Standbeine, die auch die Kabelführung aufnehmen kann — für Terminal und Drucker und selbstverständlich auch Fiche-Lesegeräten eine angemessen dimensionierte Arbeitsfläche bietet, ohne daß der anstehende langwierige und dornenreiche Prozeß der Katalogkonversion einen ebenso dornenreichen Prozeß der Neumöblierung der Informations- und Katalogbereiche nach sich ziehen muß (Abb. 18 und 19). Sicher ist das hier entwickelte Modell noch nicht ideal. Besonders die Beleuchtung müßte in Hinblick auf die Doppelfunktion dieses Bibliotheksmöbels noch verbessert werden. Es scheint aber, daß hier eine Lösung angedacht ist, die andernorts kopiert, oder viel besser, weiterentwickelt werden wird. Nach guter alter Göttinger Tradition habe ich bei dieser kleinen Auswahl aus den positiven Aspekten des neuen Gebäudes - immer den Lehr- und Lernzweck im Auge primär auf die Benutzung und Informationsmittel abgehoben (Abb. 20). Auch für die Mitarbeiter der Bibliothek konnten - wenn auch wieder mit großen Schwierigkeiten - gegenüber dem Altbau einige entscheidende Verbesserungen eingebaut werden. So haben wir nicht weniger als 10 Teeküchen und Sozialräume verschiedener Größe und Ausstattung, zumindest aber mit Heißwasserbereiter und Kühlschrank installieren können. In einem so großflächigen Haus offenbar eine Notwendigkeit, denn die Wege zu den diversen Kücheneinrichtungen werden auch im neuen Gebäudeteilweise noch als unangenehm lang empfunden. Die Cafeteria in der Eingangsrotunde, die vom Göttinger Studentenwerk betrieben werden soll, steht zwar noch aus, wird aber sicher den Arbeitsplatz Bibliothek auch für die Mitarbeiter noch attraktiver machen. Über die Arbeitsplätze und Diensträume des Personais, die der Benutzung oder dem Nutzerdialog nicht direkt zugeordnet sind, hat Herr Prof. Mittler schon gesprochen. Die Anordnung an den Außenfronten mit natürlicher Lüftung und Beleuchtung erlaubt selbstverständlich auch eine generelle Verkabelung über an den Fensterfronten gelegene Bodenkanäle, was eine wün- Abb. 20: Blick in den Katalogbereich, OPAC und Zettelkatalog auf einem Bibliotheksmöbel vereint Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten 358 sehenswert hohe Flexibilität bei der Einführung der neuen EDV-gestützten Arbeitsabläufe schafft. Letztlich sei unter den positiven Aspekten noch ein Vorzug hervorgehoben, in den wir eher zufällig gelangt sind. Ursprünglich war lediglich im dritten Obergeschoß im Bereich von Direktion und Verwaltung ein Sitzungszimmer mit etwa 50 Plätzen genehmigt worden, das durch eine mobile Trennwand hätte unterteilt werden können. Weiterer von der Bibliothek mit Nachdruck vorgetragener Bedarf wurde während des langwierigen Bewilligungs- und Verschlankungsprozesses, dem das Raumprogramm unterlag, mit Hinweis auf die auf dem Campus zahlreich vorhandenen Hörsäle abgelehnt. Ebenso war ursprünglich eine Cafeteria unter Hinweis auf die nahe gelegene Mensa abgelehnt worden. Nun war es ursprünglich geplant, den Rechnerraum des Bibliotheksrechenzentrums für Niedersachsen (BRZN) nicht zuletzt auch wegen Auf lagen des damaligen Herstellers des Großrechners- in unmittelbarer Nähe der Diensträume des BRZN im ersten Obergeschoß einzurichten. Im Rahmen der Bearbeitung der zweiten Haushaltsunterlage Bau wurde dann das Landeskriminalamt zu den Planungen zugezogen. Seitens des Kriminalamts wurde aufgrund von mehreren gerade erfolgten Anschlägen auf Kommunale Gebietsrechenzentren nachdrücklich empfohlen, den Rechner in den Keller zu verlegen. Dies hatte den erfreulichen Effekt, daß die Bibliothek sehr rasch für den so gewonnenen Freiraum in zentraler Lage des Gebäudes Nutzungsbedarf nachzumelden hatte. Es fiel uns leicht, hier für weitere Seminar- und Schulungsräume zu plädieren, die schließlich auch genehmigt wurden. Ohne diese Räume wäre die landesweite Umstellung auf PICA mit den zugehörigen Schulungsprozessen kaum möglich gewesen. Auch war, als die Entscheidung für zusätzliche Sitzungsräume fiel, noch nicht abzusehen, daß Göttingen plötzlich auch geographisch in den Mittelpunkt der Bundesrepublik rücken sollte. Die nunmehr angemessene Ausstattung des Neubaus mit Schulungs- und Sitzungsräumen machte Göttingen in kürzester Zeit zu einem beliebten Treffpunkt von Kommissionen und Konferenzen der bibliothekarischen Zunft, ohne daß der laufende Betrieb dadurch beeinträchtigt würde. Ein nachgezogenes Gutachten des Landeskriminalamts, das bei den Planenden zunächst durchaus einige Unruhe verursachte, hat so reiche Früchte getragen. Doch im Laufe der langwierigen Planungs- und Realisierungsprozesse für ein solches Großprojekt werden vom bauenden Bibliothekar durchaus auch negative Erfahrungen gemacht, aus denen ich wiederum nur eine kleine Auswahl vortragen kann. 4.3.3 Ein neues Gebäude als Lehrzweck In den folgenden Ausführungen wende ich mich primär an die Kollegen aus den „neuen" Bundesländern, denen außerordentlich schwierige Bauplanungsprozesse bevorstehen. Ich kann nur begrenzt auf Material- und Bauausführungsmängel eingehen, die sich zum Teil beheben lassen und zum Teil durchaus den lehrreichen Fehlern zuzurechnen wären. Aus der Sicht des letzten bei der Bibliothek verbliebenen Mitplaners der ersten Stunde möchte ich eine Reihe von heiklen Punkten zur besonderen Beachtung weitergeben. Die Flächenrichtwerte für den Bibliotheksbau in der Bundesrepublik unterschieden sich, als das Göttinger Raumprogramm im Jahr 1979 erstmalig zusammengestellt wurde, noch von Land zu Land. Glücklicherweise konnten wir schrittweise in einzelnen Punkten den DIN-Entwurf 31622, in überarbeiteter Fassung im Jahr 1988 publiziert als DIN-Fachbericht 13 mit einbeziehen, da seine Flächenvorgaben etwas üppiger waren als die des Landes Niedersachsen. In der Praxis erweist es sich, daß die Flächenannahmen des DIN-Fachberichts für die Diensträume der Mitarbeiter unbedingt eingehalten, ja wohl noch erhöht werden sollten. Schließlich sollen die EDVArbeitsplätze, wie wir sie heute brauchen, doch noch Mischarbeitsplätze sein. Eine Dienststelle für Erwerbung und Katalogisierung neuer Medien ist aufgrund ihrer umfangreichen apparativen Ausstattung in den gültigen Flächenstandards für Mitarbeiter des gehobenen Dienstes kaum unterzubringen. Hier und in anderen Fällen muß von vornherein im Detail geplant und entsprechender Flächenbedarf im Raumprogramm verankert werden. Ein weiteres Problem sind Ausbildungs- und Praktikantenplätze, die, wenn sie überhaupt eingebracht werden konnten, am Ende meist am falschen Ort liegen. Die modulare Konzeption der Diensträume im Göttinger Neubau -fast durchgehend Doppel- und Einzelzimmerließ es zwar zu, die Raumbelegung noch praktisch während des Einzugs dem neuen, ganz von den Erfordernissen der EDV diktierten Geschäftsgang anzupassen. Im Laufe des langjährigen Planungsprozesses aber war eine Eigenschaft des alten Raumbelegungsplans aufgegeben worden: Ursprünglich war für jede größere Dienststelle ein Gruppenarbeitsraum für drei bis fünf Mitarbeiter eingeplant worden. Diese wurden schrittweise-wenn auch ohne Flächenverlust-in Einzel- und Doppelarbeitsräume unterteilt. Dies hat heute das Resultat, daß an einzelnen Stellen schmerzlich die Möglichkeit vermißt wird, in Gruppenarbeitsräumen unter Aufsicht von Fachpersonal, etwa durch studentische Hilfskräfte die diversen, jetzt anfallenden Konversionsmaßnahmen durchführen zu lassen. Gruppenarbeitsräume erhöhen die Flexibilität des Personaleinsatzes und sollten, soweit die baulichen Gegebenheiten es zulassen, unbedingt mit eingeplant werden. Dieses Problem ist selbstverständlich auch Resultat des unverhältnismäßig langwierigen Realisierungsprozesses, dem der Göttinger Neubau unterlag. Der durchsetzbare Raumbedarfsplan wird sich immer eng am aktuellen Geschäftsverteilungsplan orientieren müssen, gerade dieser aber nimmt auf später notwendige Sonderaktionen und Drittmittelprojekte keine Rücksicht. Wenn dann, wie im Falle Göttingens, Planungsgrundlagen und Realisierung über zwölf Jahre auseinanderliegen, wird der damals schon knappe Planungsrahmen heute an vielen Stellen als Zwangsjacke empfunden 11 . Auch die Flächenstandards für Magazinflächen sind erst nach sorgfältiger Prüfung des eigenen Bestandes oder des zu erwartenden Bestandsprofils in das Raumprogramm umzusetzen. Wer beim Einzug keine Überraschungen erleben will, sollte sorgfältig prüfen, welcher Anteil seiner Buchbestände über die normale Rückenhö11 Zum dem Göttinger Bibliotheksneubau vorangegangenen langwierigen Planungsprozeß s. Reimer Eck: Die Programmentwicklung. In: Dokumentation des Neubaus zur Eröffnung am 30.4.1993. Göttingen 1993. S. 62-65. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Eck et al. - Bibliotheksneubauten he hinausgeht, und wie hoch jener Anteil seiner Bestände ist, den er besser in Großfolio-Regalen liegend aufbewahrt. Für neue Medien geben die gültigen Richtlinien angemessene Flächenstandards, aber die zu erwartenden Zuwachsraten sollten für eine moderne Bibliothek nicht zu niedrig angesetzt werden. Betriebstechnische Anlagen, wie Lüftung, Heizung, Alarmanlagen, außenliegender Sonnenschutz und Buchtransportanlage bilden, erst einmal installiert, eine nicht zu unterschätzende Quelle des Ärgers. Bisweilen wünscht man sich, die öffentliche Hand könnte wie ein großer Wirtschaftsbetrieb verfahren, der, wenn er sich derartig teure Technik installiert, in der Regel gleich die sachkundigen Fachingenieure oder Mechaniker von der Baustelle weg einstellen kann, um ein reibungsloses Funktionieren der Anlagen zu gewährleisten. Wartungsverträge bedeuten bekanntlich nicht, daß eine ärgerliche Fehlfunktion in der Buchförderanlage sofort repariert wird, wenn die lokale Betriebstechnik mit ihrem Latein am Ende ist. Zumindest effektive und zugleich menschenfreundliche Lüftungsanlagen für Magazine und publikumsoffene Bereiche sind in Deutschland offenbar immer noch sehr schwierig zu bauen und bedarfsgerecht zu betreiben. Dauerarbeitsplätze in Bereichen ohne natürliche Be- und Entlüftung werden so zum Dauerproblem. Ein weiteres Sorgenkind sind elektronische Buchsicherungsanlagen, die sich in der Werbung so problemlos darstellen. Bekanntlich verlangen die Hersteller für die reibungslose Funktion ihrer Durchgangskontrollen einen Abstand von fünf Metern vom nächsten elektrischen Feld. Wer also diese Kontrollen logischerweise mit einem Ausleihverbuchungsplatz verknüpfen will, muß seine Verbuchungsterminals in einen Faradayschen Käfig stellen, was in der praktischen Anwendung zu einigen Problemen führt. Erschwerend kommt hinzu, daß moderne Energiesparleuchten die Wirksamkeit der marktüblichen Kontrollsysteme ebenfalls erheblich beeinflußen. Hier scheinen die Hersteller gefordert, denn schließlich wollen wir unsere Benutzer nicht durch einen schwarzen Kasten aus der Bibliothek führen. Daß zwischen Programm und Realisierung eine Reihe von unerfreulichen Überraschungen lauern kann, sollte damit deutlich geworden sein. Aus dem laufenden Planungsprozeß möchte ich abschließend noch zwei gravierende Einschnitte herausgreifen, die sich in der Folge als ausgesprochen nachteilig erwiesen haben. Ich nenne das leidige Problem des Brandschutzgutachtens, das uns, nachdem die angenehm offene Architektur einmal ausgewählt war, nachträglich für die gesamten publikumsoffenen Bereiche, ja bis zu einem Teil der Dienstzimmer der inneren Verwaltung hinauf, eine Sprinkleranlage beschert hat. Trotz der diversen eingebauten Sicherungen gegen unerwünschte Wasserfluten ist das unerfreulich genug. Als noch unerfreulicher aber empfinde ich die Tatsache, daß die nachträgliche Unterteilung der einmal entworfenen und gutgeheißenen Architektur in Brandabschnitte uns nun in einem in seiner Grundkonzeption und Aufgabe durchaus kommunikativen Gebäude an wichtigen Stellen solche Türen beschert, wie wir sie zuhause nur von unserem Heizungskeller kennen. Der Kommunikation und dem hausinternen Buchtransport sind derartige Schotten sicher nicht dienlich. Noch unerfreulicher als die Brandschutzgutachter sind die sogenannten Streichorchester, die der Kostenoptimierung dienen sollen. Also: Kostenreduzierung, koste 359 es was es wolle, um eine bestimmte Summe zu erreichen, weil sonst überhaupt nicht gebaut werden kann. Besonders gefährlich wird eine solche Kostenoptimierungsphase, wenn die Haushaltsunterlage Bau mit ihrer griffigen Einteilung in präzise Kostenangaben für die einzelnen Ausstattungsbereiche vorliegt. Da neigt man dann dazu, sorgfältig geplante und begründete Details zu streichen, stets in der Hoffnung sie wieder einbringen zu können, wenn das träge Geldschiff wieder flott ist. Die Gefahr, bei einer solchen ,Optimierungsarbeit', die in der Regel unter großem Zeitdruck erfolgt, auf Dinge zu verzichten, die sich im neu anlaufenden Betrieb dann als dringend notwendig erweisen, ist ausgesprochen groß. Auch uns ist da so mancher Fehler unterlaufen. Ich nenne nur aus einem längeren Katalog: außenliegender Sonnenschutz in den Diensträumen, Normaluhren, Personenrufanlage und Kontrolltableau für die Buchförderanlage beim Pförtner. Alles gemessen am Gesamtvolumen kleine Einsparungen mit außerordentlich unerfreulichen Konsequenzen. Wie Sie sehen, haben nunmehr 15 Jahre Göttinger Planungs- und Bauzeit ihre Spuren hinterlassen. Man ist um Erfahrungen reicher und weiß heute vieles, das man besser machen könnte. Viel Positives über das neue Göttinger Gebäude haben auf diesem Kolloquium schon andere gesagt, der Katalog wird sich im Laufe des praktischen Betriebes sicher noch erweitern. Vielleicht war es zu früh, nach dem ersten Schock des Einzugs sozusagen aus der Handakte zu plaudern, aber ich glaube, daß auch diese Erfahrungen nicht in den Akten verschwinden sollten. Trotzdem hoffe ich, daß das neue Göttinger Bibliotheksgebäude, um Georg Leyh nochmals zu bemühen, nicht nur wegen seiner Fehler, sondern auch wegen seiner zukunftsweisenden Neuerungen für lange Zeit zu Lehrzwecken dienlich sein kann. Die Entscheidung liegt letztendlich auch bei Ihnen als unseren heutigen Gästen. Anschriften der Autoren: Reimer Eck Niedersächsische Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen D-37070 Göttingen Prof. Eckard Gerber Gerber und Partner Tönnieshof D-44149 Dortmund Prof. Dr. Elmar Mittler Niedersächsische Staatsund Universitätsbibliothek Göttingen D-37070 Göttingen Dr. Gerhard Römer Zipfeckerstr. 25 D-76275 Ettlingen Manfred Sabatke (u.a.) Behnisch & Partner Gorch-Fock-Str. 30 D-70619 Stuttgart Dipl.-lng. Christoph-Hubert Schütte Universitätsbibliothek Karlsruhe Kaiserstr. 12 D-76131 Karlsruhe Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Ekkehard Menschke, Peter Hoffmann, Konrad Marwinski, Barbara Schneider-Eßlinger Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Vorträge des Themenkreises IX des 5. Deutschen Bibüothekskongresses in Leipzig 1.-5. Juni 1993 Inhaltsübersicht 1 Die Bibliotheca Albertina als Baudenkmal und Hauptbibliothek der ÜB Leipzig (von Ekkehard Henschke) 360 2 Historische Bausubstanz und Bibliothekscontainer- unkonventionelle Zwischenlösungen der Universitätsbibliothek Rostock (von Peter Hoffmann) 364 3 Das Bauprojekt Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena - der Jenaer Bibliotheksneubau als Integrationsfaktor im universitären Bibliothekssystem (von Konrad Marwinski) . . 369 4 Ein Neubau für die Universitätsbibliothek Potsdam - Planungen, Zwischenlösungen und eine Vision (von Barbara Schneider-Eßlinger). . 375 1 Die Bibliotheca Albertina als Baudenkmal und Hauptbibliothek der ÜB Leipzig (von Ekkehard Henschke) 1.1. Zustandsbeschreibung Die Bibliotheca Albertina ist die Hauptbibliothek der Universität Leipzig. Sie ist damit der Kern des einschichtigen Bibliothekssystems, zu dem 50 Zweigstellen gehören. Diese befinden sich in unmittelbarer Nähe von Forschung und Studium und sind als Präsenz- oder bzw. und Ausleihbibliotheken ausgelegt. Die Zweigstellen hängen personell und finanziell von der Hauptbibliothek ab, die die klassischen bibliothekarischen Funktionen der Erwerbung, Erschließung und Benutzung zu steuern hat. Die Bibliotheca Albertina liegt in der Beethovenstraße im Leipziger Musikviertel. In diesem Viertel, dessen Straßen die Namen großer Komponisten tragen, finden Sie in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bibliothek die Hochschule für Grafik und Buchkunst, die Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn-Bartholdy" und das Reichsgericht mit seiner imposanten Kuppel. Dies sind alles Bauten der späten Gründerjahre. Die Verkehrsanbindung der Bibliothek an den sogenannten Ring, der den Stadtkern von Leipzig umgibt, ist günstig. Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel befinden sich in etwa 200 m Entfernung vom Gebäude. Dennoch befindet sich die Bibliotheca Albertina nicht im Zentrum der universitären Einrichtungen, die - mit Ausnahme der Medizin, der Natur-, Wirtschafts-, und Erziehungswissenschaften sowie kleiner geisteswissenschaftlicher Fächer - in einem Komplex am Augustusplatz untergebracht sind. Die Luftlinie zwischen der Hauptbibliothek und dem Universitätszentrum am Au- gustusplatz beträgt rund 1,3 km in Richtung Nordosten. Die Zweigstellen für Sport-, Wirtschafts- und Erziehungswissenschaften sind auf der Luftlinie rund 1,5 km in Richtung Nordwesten von der Hauptbibliothek entfernt, die der Psychologie und Musikwissenschaft liegen rund 1,2 km und die der Naturwissenschaften und Medizin rund 1,5 km Luftlinie in Richtung Südosten von der Hauptbibliothek entfernt. Somit liegt die Hauptbibliothek insgesamt relativ günstig innerhalb des Stadtgebietes, in dem die Zweigstellen verteilt sind. Die Bibliotheca Albertina fungiert als Hauptbibliothek zugleich als Universalbibliothek, Zentrale für das Bibliothekssystem mit den entsprechenden technischen Einrichtungen und als Standort für die Sondersammlungen. Das Gebäude wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges zu rund zwei Dritteln zerstört. Die Bestände waren jedoch zuvor ausgelagert worden. Infolge der Kriegsschäden, die in der Zeit der ehemaligen DDR nicht behoben wurden, sind auch heute noch große Bestandsteile ausgelagert, darunter rund 440 000 Bände in der Deutschen Bücherei. Diese Bestände können weder in die Hauptbibliothek noch in die Zweigstellen überführt werden, da es dort keine nennenswerten Raumreserven mehr gibt. Die Bibliotheca Albertina kann also z. Zt. nicht als Archivbibliothek tätig sein. Das gesamte Bibliothekssystem aus Hauptbibliothek und Zweigstellen hat gegenwärtig mehr als 4,1 Millionen Bände. Aufgrund der Erfahrungen der beiden letzten Jahre, in denen sich die Zahl der Erwerbungen fast verdreifachte, ist in Zukunft ein jährlicher Zugang von 70 000 bis 75 000 Bänden anzunehmen. Damit wird die steigende Zahl von Studenten (zur Zeit: 16000) und Hochschullehrern versorgt. Da die Hauptbibliothek nicht die Aufgaben einer Archivbibliothek für die Zweigstellen wahrnehmen kann und selbst keine Raumreserven mehr hat, wird noch in diesem Jahr ein Ausweichmagazin bezogen werden müssen. Dieses Magazin wird rund zwei Kilometer Luftlinie von der Hauptbibliothek entfernt liegen. Bereits im Frühjahr 1992 wurden fünf Container, mit einfachen Regalen ausgerüstet, im Westinnenhof der Hauptbibliothek aufgestellt und mit Beständen aus den Kellergewölben der Bibliothek bestückt, die geräumt werden mußten. Infolge der Arbeiten für den Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina müssen dort im Sommer dieses Jahres ganze Bestandsteile ausgelagert und in das Ausweichmagazin transportiert werden. Die Bibliotheca Albertina hat gegenwärtig eine ausgeschöpfte Kapazität von rund 2,5 Millionen Bänden. Wegen des dortigen jährlichen Zugangs, der Abgaben der Zweigstellen und der Bautätigkeit in der Hauptbibliothek sowie vor allem wegen der ausgelagerten Bestände, für die die MietverträUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern 361 Abb. 1: Hauptfassade der Universitätsbibliothek Leipzig (Architekt: Arwed Roßbach) ge ablaufen, muß in dem Ausweichmagazin in den nächsten Monaten eine Fläche von rund 3 000 m 2 für etwa 680 000 Bände geschaffen werden. Nicht minder wichtig ist eine andere Standortfrage: Mittelfristig, d. h. innerhalb der nächsten fünf Jahre, muß eine dauerhafte Lösung der Standortfrage für die gegenwärtig stark dezentralisierten geisteswissenschaftlichen Fächer und deren Literaturversorgung gefunden werden. Im Interesse des Wiederaufbaus der Bibliotheca Albertina muß entsprechend den Auflagen des Wissenschaftsrates die Konzentration der geisteswissenschaftlichen Fächer in großer Nähe zur Hauptbibliothek realisiert werden. Die Universitätsleitung bemüht sich darum im Rahmen ihrer Entwicklungsplanung. Sie merken bereits an meinen vielen „Muß-Sätzen", wie groß der Handlungsbedarf im Interesse dieser Universitätsbibliothek, im Interesse der Literaturversorgung dieser sich erneuernden Hochschule ist. Wir alle, Bibliothekare, Architekten und Bauleute, hoffen, daß bereits in den nächsten drei bis vier Jahren der erste Bauabschnitt für die Bibliotheca Albertina abgeschlossen sein wird, so daß ein guter Teil der jetzigen Probleme und Interimslösungen erledigt sein wird. 1.2 Die Konzeption für den Wiederaufbau Die Universitätsbibliothek befand sich von ihrer Gründung im Jahre 1543 bis zum Jahre 1890/91 im Paulinerkloster im Zentrum der Stadt in unmittelbarer Nähe von Forschung und Studium. Bis 1875 war der Bestand auf rund 250 000 Bände angewachsen, und der Magazinraum in diesem Paulinum reichte - trotz einer Aufstokkung um zwei Stockwerke - nicht mehr aus. Die Planungen, in unmittelbarer Nähe dazu ein neues Bibliotheksgebäude zu errichten, scheiterten an der Stadtverwaltung. Im Jahre 1885 wurde dann das Gelände in der Beethovenstraße angekauft und damit bis heute der Standort der Universitätsbibliothek entschieden. Den öffentlichen Wettbewerb für den Entwurf einer neuen Bibliothek hatte der Architekt Arwed Roßbach gewonnen. Er war Schüler Gottfried Sempers und einer der bedeutendsten Architekten in Leipzig des späten 19. Jahrhun- derts. Sein Konzept entsprach weitgehend den Vorgaben, die staatlicherseits festgelegt worden waren. Dazu gehörte die Anpassung des neuen Gebäudes an die Höhe und die Fassaden jener Gebäude (Gewandhaus, Reichsgericht), die sich in unmittelbarer Nachbarschaft bereits befanden oder in der Planung bzw. im Bau befanden. In dem Bericht von Arwed Roßbach, den er im Jahre 1895, also vier Jahre nach Fertigstellung des Baus, anfertigte, hieß es: „Nach Bestimmung der Bibliotheksverwaltung war hier von der seit Jahrzehnten nach englischem und französischem Vorgang vielfach angewendeten Magazinierung abzugehen und die Büchersammlung in Sälen unterzubringen, die gegeneinander feuersicher abschließbar, und in denen die Büchergestelle nur so hoch angeordnet sein sollten, daß die oberste Bücherreihe ohne die Benutzung eines Tritters oder einer Leiter zu erlangen sei. Die Größe der Bücherspeicher ist zur Aufnahme einer Bibliothek von 800 000 Bänden berechnet, kann aber leicht durch Anbauten vermehrt werden [...]." „Der wichtigste Leitgedanke für die Grundrißgestaltung schien dem Verfasser in der Notwendigkeit zu beruhen, den Lesesaal, die Bücherausgabe und den Katalogsaal, also alle Räume, welche von den Besuchern betreten werden dürfen, so zu legen, daß das Heranschaffen der Bücher aus den Speichern ohne Betreten öffentlicher Räume vor sich gehen konnte. Das Bauwerk gliedert sich in zwei Teile, in das an der Beethovenstraße gelegene Verwaltungs- und das sich an dieses anschließende Speichergebäude. Das Hauptgebäude enthält außer dem Keller zwei 6 m hohe Geschosse, über welche sich noch ein 3 m hohes Geschoss lagert." (Arwed Roßbach, Die Universitätsbibliothek Leipzig. In: Zeitschrift für Bauwesen, 1895, Nr. 45, S. 341.) Als das Gebäude bezogen war, umfaßte es eine bebaute Grundfläche von 4 838 m2, und die Gesamtkosten einschließlich der Innenausstattung und der Bauleitung betrugen 2 330 000 Reichsmark. Es bot Raum für 800 000 Bände. Das Gebäude ist äußerlich im Stil der Neorenaissance gestaltet und stellt ebenso wie das des Reichsgerichts ein typisches Stück Herrschaftsarchitektur der späten Gründerzeit dar (Abb. 1). Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 362 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern Das Gebäude von Arwed Roßbach erwies sich im Ganzen gesehen nicht als so funktional, so daß etwa 30 Jahre danach unter dem Bibliotheksdirektor Otto Glauning größere bauliche Veränderungen durchgeführt werden mußten. So erhielt der große Lesesaal eine Galerie, um Stellplatz für einen größeren Handapparat zu gewinnen. In den bisher als Magazin genutzten Räumen des zweiten Obergeschosses wurden Räume für Mitarbeiter geschaffen. Durch die Aufstellung von Zwischenregalen wurde die Magazinkapazität erhöht. Eine allgemeine Verbesserung wurde dadurch erreicht, daß das Haus auf Zentralheizung und elektrische Beleuchtung umgestellt wurde. Die Bibliothek blieb so bis zum Ende des Krieges. Nach dem Bombenangriff vom 6. April 1945 lag die Bibliotheca Albertina dann zu etwa 60% in Trümmern. Der Mitteltrakt mit dem großen Lesesaal und der Treppenhalle sowie der Ostflügel waren besonders stark betroffen. In den Monaten danach wurden Notdächer und Notfenster eingerichtet und einige Teile des Ostflügels sowie des Nordflügels bis 1950 so weit wieder hergestellt, daß Flächen wieder genutzt werden konnten. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet durch wiederholte Anläufe, das ruinöse Gebäude wieder aufzubauen. Insgesamt hat es wohl fünf Detailplanungen gegeben, die jedoch nicht in die Fünfjahrespläne der DDR aufgenommen wurden. Als ich im Mai 1992 meinen Dienst in diesem Gebäude aufnahm, machte es einen traurigen Eindruck. Der Ostflügel war immer noch weitgehend zerstört und im Laufe der Jahrzehnte zu einer bewaldeten Ruine geworden. Der unter freien Himmel liegende ehemals großzügige Treppenaufgang war ebenfalls von Bäumen und Sträuchern reichlich begrünt (Abb. 2). Mit Mühe hatte man die Tauben vertrieben, die auch aus hygienischen Gründen eine ausgesprochene Plage gewesen waren. Der Schein der dauerhaften Ruine trog jedoch. Bereits in der Zeit der politischen Wende war auch eine Wende zugunsten des Gebäudes der Bibliotheca Albertina eingetreten. Bereits im Jahre 1990 hatte die Universität Leipzig mit Mitteln einer Stiftung eine Anforderungsstudie erstellen lassen, die eine erste Grundlage für ein Raum- und Baukonzept darstellte. Damit wurde das Architekten- und Ingenieurbüro HJWaus Hannover und Leipzig beauftragt. Seit Oktober 1990 liegt die Verantwortung beim Staatshochbauamt Leipzig und die finanztechnische Kontrolle bei der Oberfinanzdirektion Chemnitz. Die Bestandsaufnahme durch das Architektenbüro bestätigte im Detail den zum Teil ruinösen Zustand des Gebäudes, der zu Feuchtigkeitsschäden an den Buchbeständen und drastischer Verringerung der Arbeitsmöglichkeiten für Mitarbeiter und Benutzer geführt hatte (Abb. 3). Auch die haustechnischen Anlagen befanden sich in einem Zustand, der densicherheits-und versorgungstechnischen Minimalanforderungen kaum noch gerecht werden konnte. Bei ihren Planungsarbeiten hatten die Architekten zwei Dinge zugleich zu berücksichtigen: Zum einen sollten sie für das Gebäude ein langfristiges Nutzungs- und Baukonzept entwickeln, zum anderen sollten sie den weiteren Verfall des Gebäudes möglichst kurzfristig stoppen. Nach einem Vergleich mit 40 Bibliotheken in der Bundesrepublik entstand für die Universitätsbibliothek Leipzig ein Realisierungskonzept, das Sofortmaßnahmen und drei weitere Bauabschnitte vorsah. Bei all diesen baulichen Maßnahmen war stets zu berücksichtigen, daß die Bibliothek während der gesamten Bauzeit funkti- Abb. 2: Treppenaufgang im zerstörten Mitteltrakt: seit März 1993 provisorisch überdacht onsfähig bleiben sollte. Nach intensiven Gesprächen mit der Leitung der Universitätsbibliothek über Fragen der Ablauforganisation, der Benutzung und der technischen Einrichtungen, aber auch nach weiteren Bibliotheksbesichtigungen entstand schließlich die Haushaltsunterlage Bau. Sie umfaßt sechs Plan-Ordner und 2 Text-Ordner mit insgesamt 1 300 Seiten und wurde im Dezember 1991 der zuständigen Oberfinanzdirektion Chemnitz zur Bestätigung vorgelegt. Um das Hochschulbauförderungsgesetz nutzen zu können, wurde die Bibliothekskommission des Wissenschaftsrates damit befaßt. Im Februar 1992 fand in dem großen Vortragsraum der Bibliotheca Albertina eine Anhörung des Bibliotheksausschusses des Wissenschaftsrates statt, an der neben den Architekten, der Leipziger UB-Leitung, der Universitätsleitung sowie der Bauverwaltung auch die Bibliotheksdirektoren anderer deutscher Universitätsbibliotheken teilnahmen. Das Ergebnis waren mehrere Auflagen des Wissenschaftsrates: Der Wissenschaftsrat forderte die Ansiedlung von geisteswissenschaftlichen Instituten und Fachbereichen in der Nähe der Bibliotheca Albertina, damit diese sich auch zu einer geisteswissenschaftlichen Zentralbibliothek entwickeln kann, zum anderen sollen der Anteil der Freihandbereiche und die Zahl der Benutzerplätze erheblich erhöht werden, damit aus der Forschungs- und Archivbibliothek eine moderne Gebrauchsbibliothek entstehen kann. Im Einvernehmen mit der Universitätsleitung überarbeitete die UB-Direktion daraufhin das Bibliothekskonzept. Dieses veränderte Bibliothekskonzept geht davon aus, daß nach Abschluß aller drei Bauabschnitte in der Bibliotheca Albertina 480 Leseplätze (gegenwärtig: 56), ein Freihandbereich für 220000 Bände (gegenwärtig 28 100) und eine Stellflächenkapazität für ca. 4,6 Millionen Bände vorhanden sein werden. Bei der Berechnung der Benutzerplätze wurde bereits die Projektion für das Jahr 2000 berücksichtigt, die von etwa 30 000 Studenten ausgeht und somit etwa 3 000 Benutzerplätze im gesamten Bibliothekssystem erforderlich macht. Dies entspricht ungefähr dem durchschnittlichen HIS-Faktor (10,2 pro 100 Studenten). Bei gegenwärtig 16000 Studenten verfügt das Bibliothekssystem z. Zt. über 1 553 Benutzerplätze. In der Konzeption der ÜB Leipzig wird Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Übersicht des Gebäudezustandes DACHGESCHOSS 4.OBERGESCHOSS 3. OBERGESCHOSS 2. OBERGESCHOSS 1. OBERGESCHOSS ERDGESCHOSS KELLERGESCHOSS /—// / /—-mw 363 fortsetzen. Die Sondersammlungen mit den Spezialmagazinen und einem Sonderlesesaal werden sich im 4. Stock befinden. Die Bibliotheksverwaltungs- und die Mitarbeiterräume sind im 3. und 4. Obergeschoß vorgesehen. Nicht zuletzt aus statischen Gründen werden sich die Magazinflächen in den daruntergelegenen Geschossen, im neuen, entsprechend statisch gesicherten Ostflügel zum Teil bis zum Dachgeschoß, erstrecken. Im Ostflügel wird ein zusätzliches Untergeschoß für das Magazin gebaut werden. In den geschlossenen Magazinen werden Kompaktregalanlagen installiert werden. Eine Vollklimatisierung wird nur in den Sondersammlungsmagazinen eingerichtet werden. Ein solcher Bau verlangt entsprechende Erschließungsmaßnahmen. Der Büchertransport wird von einer Kleinförderanlage unterstützt, die zu allen wichtigen Punkten des Gebäudes führt. Die Personen- und Lastenaufzüge sind Bestandteile von insgesamt 4 Erschließungs- und Sanitärkernen, in denen auch die Fluchttreppen sowie die vertikalen Medientrassen verlaufen. Darunter ist ein Publikumsaufzug, der vom Eingangsbereich mit Rampe für Behinderte zum 4. Obergeschoß führt. Natürlich wird das Gebäude mit EDV-Leitungen sowie mit einer Personenrufanlage versorgt sein. Der Längsschnitt (Abb. 4) zeigt, daß auf diese Weise ein gut versorgtes Bibliotheksgebäude mit alter bzw. renovierter Fassade, einladendem Eingangsbereich, großzügiger Benutzungsebene mit Säulengängen und von oben herabfallendem Tageslicht, einer integrierten Ortsund Fernleihe sowie teil- bzw. vollklimatisierten Magazin- und nichtklimatisierten Mitarbeiterräumen entstehen. f NICHTNUTZBARE FLÄCHEN 1.3 Abb. 3: Wiederaufbau „Bibliotheca Albertina" davon ausgegangen, daß etwa 1/6 des Bedarfs an Benutzerplätzen in der Hauptbibliothek zu decken ist, die restlichen 5/6 sollten in den Zweigstellen vorhanden sein. Mit den Architekten waren und sind sich die Bibliothekare einig, daß sich die veränderte Konzeption sehr gut mit der Grundidee von der Bibliothek als Kommunikationszentrum vereinbaren läßt: Angesichts der eher herrschaftlichen massiven Fassade soll der Eingang transparent gemacht werden, ebenso wie der ganze Ein- und Aufgang über großzügige Treppen. Unterhalb der Eingangstreppe soll ein Ausstellungsbereich mit kleiner Cafeteria eingerichtet werden. Der eigentliche Benutzungsbereich mit den Katalog- und Informationseinrichtungen soll auf der gesamten zweiten Geschoßebene eingerichtet werden. Zu diesem Zweck werden die bisher offenen Innenhöfe im Osten und im Westen, die für die Gewinnung von Magazinflächen bis zum 2. Obergeschoß hochgezogen werden, in den Benutzungsbereich einbezogen und auch transparent überdacht werden. Die Orts- und Fernleihe wird - durch eine geschwungene Theke vom übrigen Benutzungsbereich getrennt-in der Nähe des Eingangs zum großen Lesesaal liegen, der sich an alter Stelle in einem Halbrund befinden wird. Um ihn herum werden sich Freihandbereiche ranken, die - über eine Spindeltreppe verbunden - im 3. Obergeschoß sich Von der Planung zur Realisierung Entsprechend der Haushaltsunterlage Bau soll das Gebäude der Bibliotheca Albertina in drei Bauabschnitten wieder aufgebaut werden. Die Bausicherungsmaßnahmen, die als dringlichste anzupacken waren, sind bereits weitgehend abgeschlossen. Der 1. Abschnitt umfaßt den Wiederaufbau des Ostflügels. Für ihn wurden 48 Monate berechnet. Im 2. Bauabschnitt soll der Mitteltrakt wieder aufgebaut bzw. saniert werden. Hierfür wurden 36 Monate veranschlagt. Im 3. und letzten Bauabschnitt ist die Sanierung des noch funktionsfähigen Westflügels vorgesehen. Hier sind wiederum 36 Monate veranschlagt worden. All diese Baustufen sollen bei laufendem Bibliotheksbetrieb realisiert werden. Einschränkungen im bibliotheksorganisatorischen und Benutzungsbereich werden sich - das haben die Erfahrungen der letzten Monate gezeigt- auch in Zukunft nicht ausschließen lassen. Umzüge und Auslagerungen habe ich bereits im Zusammenhang mit dem Ausweichmagazin angesprochen. Auch nach Abschluß der Arbeiten an diesem 1. Bauabschnitt wird der jetzige Lesesaal als solcher weitergenutzt werden. Die Kapazitätserweiterungen werden durch die Einrichtung von Freihandbereichen mit Benutzerplätzen im 2. und 3. Obergeschoß entstehen. Somit werden wir bereits nach Abschluß des 1. Bauabschnittes voraussichtlich im Jahre 1997 rund 700 Leseplätze einschließlich des gegenwärtigen Lesesaals, 450 000 Bände im Freihandbereich (alles auf der 2. Geschoßebene) Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 364 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern Abb.4: Wiederaufbau „Bibliotheca Albertina" Vorplanung: Schnittperspektive (Endzustand) sowie eine Magazinkapazität von 3,5 Millionen Bänden haben. Damit wird die Funktionsfähigkeit des Gebäudes bereits wesentlich verbessert sein, insbesondere was die Leistungsfähigkeit für die Benutzer und die Magazinkapazität anbelangt. Auch die im Endausbau vorgesehene Orts- und Fernleihe wird 1997 weitgehend zur Verfügung stehen. Desgleichen der Bereich Sondersammlungen mit einem Speziallesesaal und die EDV-Zentrale. Wir hoffen, daß spätestens im Jahre 2002 dieses Gebäude aus der Gründerzeit äußerlich wieder ein Glanzstück des gesamten Ensembles im Leipziger Musikviertel sein wird und daß es im Inneren eine benutzerfreundliche und mitarbeitergerechte moderne Bibliothek sein wird. Der Wiederaufbau der Bibliotheca Albertina in Zahlen: Volumen, gesamt: Rossbach Endzustand davon in den Bauphasen berührt: BSS 1.BA 2. BA 3.BA überbaute Fläche: Rossbach Endzustand 105720m 3 133385m3 3 091 m3 56 290 m3 33 036 m3 40 968 m3 4 838 m 2 5 737 m 2 Netto-Grundrißfläche: Rossbach davon z. Z. nutzbar Endzustand davon in BSS 1.BA 2.BA 3.BA 18580m 2 13976m 2 25 004 m 2 532m 2 11 908m 2 4 553 m2 8011 m 2 Brutto-Grundrißfläche: Rossbach Endzustand davon in BSS 1.BA 2. BA 3. BA 26 003 m 2 31 334 m 2 596m 2 15090m 2 5 587 m2 10061 m 2 Historische Bausubstanz und Bibliothekscontainer-unkonventionelle Zwischenlösungen der Universitätsbibliothek Rostock* (von Peter Hoffmann) 2.1 Bibliotheksstruktur und Versorgungsdefekte Die im Jahre 1419 mit drei Fakultäten gegründete Universität Rostock verzeichnet in der Matrikel des 16. Jahrhunderts u. a. so berühmte Namen wie Ulrich von Hütten, David Chytraeus und Tycho Brahe. In dieser Zeit war sie die bedeutendste Universität Nordeuropas. Nach den strukturellen Veränderungen im Rahmen der Hochschulerneuerung im Jahre 1992 wird heute in 8 Fakultäten fast der gesamte universitäre Fächerkanon angeboten. Besonders zu erwähnen ist dietechnische Ausbildung in der Ingenieurwissenschaftlichen Fakultät, die mit ihrer Gründung in denfrühen 50er Jahren damit die älteste technisch orientierte Fakultät an deutschen Universitäten ist. Gegenwärtig studieren an der Universität Rostock etwa 8500 Studenten; eine Ausbauzielzahl von ca. 12000 Studenten ist vorgesehen. Fakultäten, Institute und Kliniken sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt. So ist z. B. der Universitätsstandort Warnemünde etwa 15 km vom Universitätsplatz im Stadtzentrum entfernt. Diesen Gegebenheiten muß auch das Bibliothekssystem Rechnung tragen. Mit der Eingliederung der Institutsbibliotheken in die Universitätsbibliothek im Jahre 1974 wurde zwar formal das einschichtige Bibliothekssystem eingeführt, der angestrebte zentrale Geschäftsgang jedoch nicht konsequent umgesetzt. Dafür gab es u. a. auch eine Reihe objektiver Ursachen, insbesondere die der Raumknappheit. Im Ergebnis führte das zu einem ineffizienten Geschäftsgang. Der Fakultäts- und Institutsstruktur folgend, gibt es neben der Zentralbibliothek gegenwärtig 46 Fachbibliotheken, deren Bestandsgrößen von einigen Tausend Bänden bis zu etwa 100000 Bänden variieren. Gesperrte Personalstellen und die starke Dezentralisierung bei * Überarbeitete Fassung eines Vertrages auf dem 5. Deutschen Bibliothekskongreß, Leipzig 1-5.6.93 Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Abb. 5: W. Hollar: Ansicht von Rostock um 1625. Ausschnitt mit dem heutigen Universitätsplatz von Norden gesehen. (Collegium Magnum = Weißes Colleg; hier steht heute das Universitätshauptgebäude; Position 12: etwa an dieser Stelle befindet sich heute das Palaisgebäude mit Zugang zum Magazin mit der Leihstelle; Position 11: etwa hier ist heute eine Baulükke; gedachter Zugangsbereich für den Neubau der Zentralbibliothek). überwiegend völlig unzureichenden räumlichen Verhältnissen führten dazu, daß der bibliothekarische Versorgungsauftrag in den Fachbibliotheken häufig nicht angemessen erfüllt werden kann. Wesentliche Kritikpunkte sind die zu geringen Öffnungszeiten und die quantitativ und qualitativ unzureichenden Leseplätze. In den Aufbaubereichen (z. B. Jura, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften) wird insbesondere der Mangel an Staffelexemplaren für die Lehrbuchversorgung beklagt. Aufgrund der auch in der Zentralbibliothek völlig unzureichenden Raumsituation (Überfüllung des Hauptmagazins, keine zentrale Lehrbuchsammlung, „Lesesaal" mit ca. 60 Plätzen auf einer Fläche für 30 Plätze usw.) kann diese hinsichtlich der Nutzerversorgung auch keine Entlastung für die Fachbibliotheken schaffen. Diese außerordentlich komplizierte Bibliothekssituation erfordert kurzfristige Maßnahmen der räumlichen Erweiterung, um ein Kollabieren des Bibliothekssystems an der Universität Rostock zu verhindern. 2.2 Ein Blick in die Geschichte der Universitätsbibliothek Kurzfristige Zwischenlösungen müssen sich nahtlos in langfristige Maßnahmen (Bibliotheksneubau!) einordnen. Da Neues immer auch durch Fortentwicklung des Alten entsteht, ist es sinnvoll, einen kurzen Blick in die Geschichte der Universitätsbibliothek zu tun. 365 Als im Jahr 1565 ein Brand das „Collegium philosophicum" bis auf die Grundmauern vernichtete, konnte nur der dort vorhandene Buchbestand gereuet werden. An gleicher Stelle wurde 1565/67 das „Collegium album" (Weißes Colleg) nach italienischem Vorbild im Renaissancestil mit weißem Putz erbaut (Abb. 5). In diesem dreigeschossigen Gebäude wurde 1569 der Philosophischen Fakultät Platz für eine Bibliothek eingeräumt. Der damalige Dekan der Fakultät, Nathan Chytraeus (jüngerer Bruder des seit 1551 in Rostock wirkenden berühmten Theologieprofessors David Chytraeus, einem Melanchthon-Schüler), legte im August 1569 das Bücherverzeichnis der Fakultät (über facultatis) an und trug eigenhändig das von ihm mit einer Widmung versehene Buch „Platon, Opera, 1556" - eine Donation - als erstes Buch in das Verzeichnis ein. Geburtsstunde und erster Bibliothekar der Universitätsbibliothek Rostock sind damit bekannt. (Die „Liber facultatis" und „Platon, Opera" befinden sich im Besitz der ÜB Rostock.) Im 17. und 18. Jahrhundert führte die Universität Rostock - auch bedingt durch die Rivalität zwischen den beiden Unterhaltsträgern der Universität, den Herzögen in Schwerin und dem Rat in Rostock- ein Schattendasein. Erst im Jahre 1789, nach Rückverlegung des herzoglichen Teils der Universität von Bützow nach Rostock, gibt es Umbaupläne für die Bibliothek im Weißen Colleg. Obwohl ein Flächenbedarf von 6 000 Quadratfuß veranschlagt wird, der sich in der vorhandenen Bausubstanz offensichtlich nicht realisieren läßt, erfolgt ein Durchbau des Gebäudes. Unter Leitung des bekannten Orientalisten und Oberbibliothekars Olof Gerhard Tychsen werden die etwa 20 Jahre in Bützow gesammelten wertvollen Bestände mit den in Rostock verbliebenen zu einer leistungsfähigen Bibliothek mit etwa 36 000 Bänden vereinigt und in den Bibliotheksräumen untergebracht. Diese besteht aus einem sich über zwei Geschosse erstreckenden Saal einschließlich Leseplätzen, einem Zimmer für Handschriften und einem heizbaren Zimmer für Bibliothekare. Da sich die Bibliothek aber bereits nach dem Bezug als zu klein erweist, werden 1791 von Seydewitz mehrere Entwürfe für eine Bibliothekserweiterung unterbreitet. Auch ein 1795 vorgelegter Plan zur Bibliothekserweiterung durch rückwärtigen Flügelanbau kann wegen scheiternder Grundstücksrückkäufe nicht realisiert werden. Tychsens Nachfolger, der Gräzist Immanuel Gottlieb Huschke, beklagt 1817 in einer Eingabe an den Herzog, daß die großen Schätze der Bibliothek nicht genügend nutzbar gemacht werden können und „daß unsere Universitätsbibliothek, um erhalten zu werden, beinahe einer zweiten förmlichen Wiedergeburt bedarf!" (Eine Einschätzung, die auch der Verfasser aus heutiger Sicht uneingeschränkt teilt.) Erst 1827, als Großherzog Friedrich Franz l. mit der Stadt einen neuen Erbvertrag schließt, wonach er als Landesherr alleiniger Patron der Universität ist, beginnt ein Zeitabschnitt reger Bautätigkeit. 1827/29 erfolgt der Anbau eines Bibliotheksflügels an das Weiße Colleg. Nach Plänen des zweiten Bibliothekars, Friedrich Wilhelm Rönnberg, erfolgte die Neuaufstellung der Bestände, die von einer Reorganisation der gesamten inneren Verwaltung der Bibliothek, insbesondere des Katalogwesens für die etwa 70 000-80 000 Bde, begleitet sein sollte. Bereits 1835 erweisen sich die Räume als unzureichend, Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 366 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern da die Bibliothek durch Schenkungen und Vermächtnisse, insbesondere der Tychsen'schen Bibliothek, stark angewachsen war. Erst 1864/65, als die Klagen über die Unzulänglichkeiten des Weißen Collegs sich mehren, kommt ein Gutachten zu dem Schluß, daß ein Neubau unumgänglich ist. Das Weiße Colleg wird abgerissen und 1866/70 an gleicher Stelle das heutige Universitätshauptgebäude errichtet. Die Bibliothek wird in einem statisch besonders ausgelegten Flügel untergebracht. Wegen des 1. Weltkrieges wird ein geplanter Neubau der schon dringend der Erweiterung bedürftigen Universitätsbibliothek bis auf weiteres zurückgestellt. Am 9.9.37 hat der „Niederdeutsche Beobachter" in einer „Einführung zum Neubau der Rostocker Universitätsbibliothek - Beseitigung eines alten Notstandes" die Raumsituation charakterisiert, wie sie auch heute in einer Tageszeitung stehen könnte: „Alle möglichen Speicher, Kellerräume und Säle wurden für das Magazin hinzugenommen, wodurch freilich die Handlichkeit des Gesamtbetriebes immer mehr beeinträchtigt wurde [...] Auf dem Fußboden sind Bestände aufgestapelt, jede Fläche ist bis zum äußersten ausgenutzt [...] Im Keller liegen alte Stücke zuhauf, verstaubt und jahrelang unbenutzt." (Abb. 6) Abb. 6: Blick ins Hauptmagazin 1993 1938/39 wurde endlich - als erster Bauabschnitt eines geplanten eigenständigen Bibliotheksgebäudes - das Magazingebäude fertiggestellt und bezogen. Für etwa 650 000 Bände ausgelegt, wurden dorthin im Frühjahr 1939 etwa 460 000 Bände aus dem Hauptgebäude umgesetzt. Die Reservestellfläche war für etwa 15-20 Jahre vorgesehen. Heute sind dort etwa 1,1 Mio. Bände untergebracht. Nur dank der selbsttragenden sechsgeschossigen Stahlskelettkonstruktion der Fa. Pohlschröder sind bisher gravierende statische Probleme ausgeblieben. Wegen Ausbruch des 2. Weltkrieges wurde der zweite Bauabschnitt mit den Verwaltungs- und Benutzungsbereichen, der den Anschluß des Magazingebäudes zum Universitätsplatz herstellen sollte, nicht begonnen. Auch nach dem Krieg wurden diese Pläne nicht wieder aufgegriffen. Erst Mitte der 80er Jahre gab es wieder konkrete Vorhaben, die Baulücke am Universitätsplatz (heute Standort eines Bankcontainers) durch einen Neubau mit Anbindung an das Magazingebäude zu schließen. Auch dieses Projekt wurde nicht ausgeführt. So sind seit den 60er Jahren bis heute die Leitung und allgemeine Verwaltung sowie die Geschäftsgangs- und Benutzungsbereiche der Zentralbibliothek auf verschiedene Gebäude am Universitätsplatz verteilt. Die fast 425jährige Geschichte der Universitätsbibliothek Rostock belegt, daß es niemals ein eigenständiges funktioneil orientiertes Bibliotheksgebäude gab. Zentraler Bibliotheksstandort waren immer Gebäude am heutigen Universitätsplatz, der seine äußere Form seit Jahrhunderten fast nicht verändert hat (vgl. Abb. 5 und Abb. 10). Ständiger Raummangel hat dazu geführt, daß die reichen Bibliotheksschätze aus über 500 jähriger Sammeltätigkeit an der Universität zu keiner Zeit angemessen genutzt werden konnten. 2.3 Zwischenlösungen Sprunghaft gestiegene Buchzugänge seit 1990 und Restitutionsansprüche auf den durch die Geschäftsgangsbereiche genutzten „Rostocker Hof" (ein ehemaliges Hotel) haben das Raumproblem weiter verschärft. Als Ersatzund Erweiterungsflächen für den „Rostocker Hof" wurden die Objekte „Wollmagazin" und „Schwaansche Straße 3" vorgesehen und kurzfristig planungstechnisch vorbereitet. Das unproblematisch erscheinende Finanzierungsmodell „Aufschwung Ost" leistete einem ungebremsten Optimismus Vorschub, die brennenden Raumprobleme kurzfristig überwinden zu können. Die inzwischen knappen Finanzmittel und ungeklärte Rückübertragungsansprüche auf die Schwaansche Straße 3 haben wesentliche Verzögerungen in den Bauablauf gebracht und das Realitätsbewußtsein wieder gestärkt. Nahezu permanent sind die zeitlichen Ablaufplanungen zu korrigieren. Fast zeitgleich mit der Ausarbeitung dieses Ersatzflächenmodells erfolgte im Sommer 1991 durch die Universität die Anmeldung „Neubauvorhaben Universitätsbibliothek" zum 21. Rahmenplan. Eine Erörterung dieses Vorhabens mit der AG Bibliotheken des Wissenschaftsrates im Februar 1992 führte zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates an die Universität, parallel zur Neubauplanung Sofortmaßnahmen zu ergreifen, „mit denen zusätzliche Stellflächen für die Aufstellung und Sicherung der Zugänglichkeit der Neuerwerbungen bereitgestellt werden können". „Unkonventionelle LöUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern sungen" und „Interimsbauten" waren die Stichworte für mögliche Lösungsansätze. Ein Angebot des Investors „Rostocker Hof" im Frühsommer 1992 (der für die bauliche Umgestaltung des gesamten Quartiers zügig Baufreiheit erreichen wollte), der Universitätsbibliothek kurzfristig einen „Bibliothekscontainer" als Ersatzfläche zur Verfügung zu stellen, paßte genau in dieses Konzept. Knapp einjährige Planungsarbeiten und Verhandlungen zwischen den Beteiligten, die durch mehrfache Modifikationen der Interessenlage, des Zeitplanes und des Finanzierungsmodells geprägt waren, geben Anlaß zu der Hoffnung, daß dieses Konzept auch hinsichtlich der Zeitplanung aufgeht. Mit den Bausteinen Bibliothekscontainer, Wollmagazin, Schwaansche Straße 3 (zur Lage der Gebäude s. Abb. 10) und einem bisher nicht näher benannten Außenmagazin am Laakkanal läßt sich für die komplizierten Raumprobleme der Universitätsbibliothek im Sinne der Empfehlungen des Wissenschaftsrates offensichtlich die dringend notwendige „Zwischenlösung" verwirklichen: kurz- und mittelfristige Schaffung von Stellflächen für etwa 400 000 Bände, Einrichtung von ca. 100 Leseplätzen und Einführung EDV-gestützter, effizienter Geschäftsgangstechnologien. Im einzelnen sind folgende Maßnahmen vorgesehen: 367 Neben den Geschäftsgangs- und Katalogbereichen (Obergeschoß) sind Flächen für eine Freihandliteraturaufstellung vorgesehen (Erdgeschoß). Die Übergabe des Containers an die Universitätsbibliothek soll voraussichtlich Ende November d. J. erfolgen. Die im Container zu realisierenden Funktionen sind eng an das Objekt Schwaansche Straße 3 geknüpft. Deshalb gibt es für die Nutzung ein Zweiphasenmodell: Phase 1 betrifft die Nutzung vor Fertigstellung der Schwaanschen Straße 3, Phase 2 liegt zeitlich danach. Nutzung Phase l (voraussichtlich ab Dezember '93): Erdgeschoß: - Freihandaufstellung neuer Literatur (einschließlich Lehrbuchsammlung) in handverfahrbaren Kompaktanlagen (Fassungsvermögen ca. 130 000 Bde) - Ausleihbereich - Poststelle und Literaturverteilung (Anlieferung für den zentralen Geschäftsgang und Abtransport in die Fachbibliotheken) - EDV-Raum Obergeschoß: - Katalog-und Auskunftsraum - Fachreferenten - Geschäftsgangbereiche 2.3.1 Bibliothekscontainer Nutzung Phase II (voraussichtlich nicht vor '95): Der Container wird aus industriell vorgefertigten Modulen mit den Abmessungen 3 m 10 m zusammengesetzt. Seine äußere Abmessung beträgt 36 m 20 m; er ist als Zweigeschosser ausgeführt. Im Kernbereich ist der Treppenaufgang einschließlich Sanitärtrakt und Bücherauf zu g vorgesehen. Die bibliothekarisch nutzbare Fläche beträgt insgesamt 1 200 m2 (Abb. 7). Erdgeschoß: - Umsetzen der Poststelle und Literaturverteilung in die Schwaansche Straße 3 - Erweiterung der Kompaktanlage auf 175000 Bde (Schienen werden bereits bei Erstausstattung verlegt) Obergeschoß: - Umsetzen der Fachreferenten und Geschäftsgangbereiche in die Schwaansche Straße 3 - Erweiterung des Katalog- und Auskunftsraumes zum Informationszentrum - Einrichtung eines Lesesaales „Math./Nat./Technik/ Medizin". Der Container soll bis zur Fertigstellung des Neubaus der Zentralbibliothek genutzt werden. Die Ausstattung wurde entsprechend auf Flexibilität orientiert. Der Aufstellungsort wurde so gewählt, daß keine Behinderung des Neubauvorhabens erfolgt. 2.3.2 Wollmagazin Abb. 7: Bibliothekscontainer Das in unmittelbarer Nähe zum Magazingebäude gelegene Wollmagazin wurde 1480/88 als Ordenshaus der Brüder vom gemeinsamen Leben (Michaelisbrüder) das Arbeiten und Beten erfolgte unter einem Dach - erbaut. Die Michaelisbrüder begründeten in Rostock den Buchdruck, so daß das Ordenshaus als Wiege des Rostocker Buchdruckes angesehen werden kann. (Man nimmt jedoch an, daß der erste Wiegendruck in Rostock 1476 in einem der benachbarten Gebäude erfolgte.) Nach Aufhebung des Ordens 1566 war dem Ordenshaus eine wechselvolle Geschichte beschieden: 1599 brannte das Haus aus, 1619 erfolgte der Umbau zum Zeughaus (Turmabbruch); spätere Nutzung als Wollmagazin, Getreidespeicher und Anfang dieses Jahrhunderts als Station des Elektrizitätswerkes. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 368 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern Während der wieder aufgebaute Kirchenteil bis heute als Michaeliskirche genutzt wird, ist das Arbeitshaus nur im Erd-f Zwischen- und 1. Obergeschoß erhalten. Es wird durch ein provisorisches Dach abgedeckt (Abb. 8). Dieser Gebäudeteil wurde bis zum September 1992 als Sportstätte durch die Universität genutzt. Für die zukünftige Nutzung durch die DB soll das Gebäude bis zur alten Firsthöhe einschließlich des Turmes wieder aufgebaut werden. Nach den erfolgten Entkernungsarbeiten im Dezember 1992 ruhten die weiteren Ausbauarbeiten wegen ge- Abb. 8: Blick auf das ehemalige Ordenshaus der Michaelisbrüder (links die Michaeliskirche, rechts das aufzubauende „Wollmagazin") sperrter finanzieller Mittel. Es ist vorgesehen, die Ausbauarbeiten ab Herbst diesen Jahres für den 1. Bauabschnitt zu beginnen. Als Realisierungszeitraum für das Gesamtvorhaben sind die Jahre 1994/95 vorgesehen, unterteilt in drei Bauabschnitte: I.Bauabschnitt: Keller, Erd- und Zwischengeschoß (voraussichtlich Abschluß II. Quartal 1994) 2. Bauabschnitt: 1. Obergeschoß 2. Obergeschoß, Dachgeschoß 3. Bauabschnitt: Das Wollmagazin soll zunächst als Präsenzbibliothek für die Studienrichtungen der in der Innenstadt untergebrachten Philosophischen Fakultät genutzt werden. Dazu wird im Erd- und Zwischengeschoß eine zweigeschossige Freihandregalanlage mit einer Kapazität von ca. 50 000 Bänden untergebracht. Im 1. und 2. Obergeschoßwird je ein Lesesaal mit aktueller Zeitschriftenauslage, einem Freihandbestand von 10 000 Bänden und 35 Leseplätzen entstehen (Abb. 9). Abb. 9: Lesesaal im 1. Obergeschoß des „Wollmagazins" Das Dachgeschoß bleibt den Sonderbeständen vorbehalten; auch über die spätere Einrichtung eines Buchmuseums wird nachgedacht. Ein aus Nutzersicht schwieriges Problem bleibt die vorgesehene Realisierung des Ausbaus in mehreren Zeitabschnitten. Das würde bedeuten, daß sowohl fertiggestellte Bibliotheksbereiche als auch die Baustelle über nur einen Zugang verfügen. Gegenseitige Behinderungen, Staub- und Lärmbelästigungen wären unvermeidbar. 2.3.3. Schwaansche Straße 3 Dieses 1879 errichtete und unter Denkmalschutz stehende Gebäude, das sich direkt gegenüber dem Wollmagazin und in unmittelbarer Nähe des Containers befindet, wurde nach dem Krieg bis zum September 1992 durch die Universität genutzt. Gegenwärtig wird geprüft, ob das Objekt entsprechend Investitionsvorranggesetz weiterhin durch die Universität zu nutzen oder an den früheren Besitzer zurückzugeben ist. Obwohl das Gebäude für Bibliothekszwecke nicht besonders geeignet ist, wurden unter Beachtung des Denkmalschutzes Baupläne erstellt, die eine prinzipielle Umnutzung für die Geschäftsgangsbereiche/Fachreferenten zulassen. Bei positiver Entscheidung und zügigem Bauablauf wird eine Nutzung vor Ende 1994 nicht für realistisch gehalten. Erst dann könnte für den Bibliothekscontainer die Nutzungsphase 2 einsetzen. 2.3.4 Außenmagazin am Laakkanal Auch die dezentralen Fachbibliotheken stehen vor dem Problem, ältere und wenig genutzte Bestände auszulagern, um die zahlreichen Neuerwerbungen aufstellen zu können. Da das zentrale Magazin keine Aufnahmekapazität mehr besitzt, wurde bereits 1992 begonnen, in einem ehemaligen Wohnheimkomplex der früheren Hochschule für Seefahrt (ca. 2 km südlich von Warnemünde) nicht mehr genutzte Räume mit Regalanlagen auszustatten und Literatur aus den Fachbibliotheken dorthin umzusetzen. Bei voller Nutzung könnten dort etwa 150 000 Bände untergebracht werden. 2.4 Neubauplanung Die oben näher ausgeführte Zwischenlösung macht nur Sinn, wenn sie funktionell und wirtschaftlich in das Neubauvorhaben eingefügt werden kann. Der dafür angestrebte Planungs- und Realisierungszeitrahmen hat die Universität veranlaßt, noch für 1993 die Erarbeitung eines Papiers im Sinne einer Struktur- und Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben. Der Strukturentwicklung der Universität folgend, könnte die Universitätsbibliothek aus der Zentralbibliothek am Universitätsplatz und aus vier leistungsfähigen Bereichsbibliotheken an den zukünftigen Standorten der Fakultäten bestehen. Einem hochgerechneten Gesamtflächenbedarf für die Universitätsbibliothek von etwa 29 000 m 2 steht derzeitig eine zersplitterte Gesamtfläche von etwa 10 000 m 2 gegenüber. Allein für die Zentralbibliothek ist eine Gesamtfläche von etwa 15 500 m 2 erforderlich, davon sind etwa 11 500 m 2 neu zu bauen. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Der Neubau der Zentralbibliothek am Universitätsplatz ist in solcher Weise in ein Ensemble vorhandener historischer Gebäude einzupassen (s. Abb. 10), daß einerseits eine gute Funktionalität gesichert, andererseits aber Abb. 10: Lageplan der Gebäude am Universitätsplatz (Blick aus Südrichtung) Durch die ÜB bereits genutzte Gebäude Gebäude für die Zwischenlösung Vorgehaltene Fläche für den Neubau der Zentralbibliothek (teilweise Abriß Altsubstanz) auch städtebaulichen und denkmalpflegerischen Anforderungen entsprochen wird. Und nicht zuletzt soll die Universitätsbibliothek als Kommunikationszentrum dienen, das die Integration der Universität in das kommunale Umfeld fördert. Fürwahr eine Herausforderung für Architekten und Bibliothekare. Die Studie soll Ende Oktober 1993 abgeschlossen werden, so daß auf deren Grundlage eine erneute Anmeldung des HBFG-Vorhabens „Bibliotheksneubau" zum 24. Rahmenplan noch Ende 1993 auf den Weg gebracht werden könnte. 1994 begeht die Universität ihr 575jähriges Jubiläum; die Universitätsbibliothek wird 425 Jahre alt. Ein guter Anlaß und höchste Zeit, die Weichen so zu stellen, daß die Universität nach fast GOOjähriger Geschichte bald ihr eigenes Bibliotheksgebäude erhält. 3 Das Bauprojekt Thüringer Universitätsund Landesbibliothek Jena der Jenaer Bibliotheksneubau als Integrationsfaktor im universitären Bibliothekssystem (von Konrad Marwinski) 3.1 Einführung Kaum eine andere der älteren, traditionsreichen Universitätsbibliotheken Deutschlands hat so oft das Domizil wechseln müssen wie die Universitätsbibliothek in Je- 369 na. Es scheint über lange Perioden ihrer bewegten Geschichte das besondere Schicksal der Bibliothekare gewesen zu sein, in Provisorien ihre Arbeit tun zu müssen und, wenn es hart kam, auch dafür zu sorgen, daß Krieg und Zerstörung wenigstens den Beständen nichts anhaben konnten. Ein repräsentativer Zweckbau hat der Bibliothek nie zur Verfügung gestanden. Schon frühzeitig als reines Instrumentarium für Lehre und Studium angesehen, wurde ihr jeweils nur das Nötigste zugestanden, das ihr Funktionieren erlaubte. Auch im Jahre 1993 steht -wie in der Vergangenheit vorwiegend aus Kostengründen, aber auch den inzwischen gewachsenen lokalen Gegebenheiten Rechnung tragend - keine „große Lösung" in Aussicht. Das 1858 bezogene Bibliotheksgebäude wurde im Februar 1945 bei einem Luftangriff total zerstört. Nur zwei Magazinbauten von 1896 und 1914/15 blieben größtenteils erhalten. Gegenwärtig werden zum wiederholten Male alle Anstrengungen unternommen, an der gleichen, zentral gelegenen Stelle den Wiederaufbau eines zentralen Bibliotheksgebäudes zu erreichen. Die Vorbereitungen für eine Ausschreibung werden getroffen. Inzwischen hat sich jedoch die Aufgabenstellung für dieses Gebäude gegenüber den ersten Wiederaufbau-Vorstellungen von 1945/46 verändert. Anstelle des dualen Bibliothekssystems, das der Universitätsbibliothek in einem einzigen Gebäude eine besondere, nur lose mit der Vielzahl der Fakultäts- und Institutsbibliotheken verbundene Position zugewiesen hatte, ist seit 1969 ein sich immer stärker ausbildendes einschichtiges, integriertes Bibliothekssystem mit einem Gesamtbestand von 2,7 Millionen Bänden getreten, das der Streulage der Universität Jena im engen Saaletal Rechnung tragen muß. Zur Zeit integriert die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) neben der Zentraleinheit des Systems fast 60 periphere Einheiten, Zweigbibliotheken in einer Größenordnung zwischen 2000 bis 120000 Medieneinheiten, für die alle Geschäftsgangsprozesse in der Zentraleinheit konzentriert sind. Letztere ist aber seit den 50er Jahren in 13 Gebäuden an verschiedenen Stellen des Stadtgebietes untergebracht, was der Leistungsfähigkeit der ThULB zunehmend Grenzen setzt, die selbst durch EDV-Einsatz nicht in der erforderlichen Weise überwunden werden können. Damit erhält der weitgehend dezentralisierte Zustand der ThULB eine andere Dimension. Neben den genannten arbeitsorganisatorischen Gründen müssen für die Errichtung eines Zentralgebäudes der ThULB noch andere, ideelle, vor allem die integrierende Funktion der Einschichtigkeit fördernde Aspekte geltend gemacht werden, die zugleich eine mittelfristige Realisierung eines Bauprojektes unterstützen können. In allen Bereichen des Bibliotheksalltags wird daran gearbeitet, die gegenwärtig zwangsläufig bestehende Dezentralisation mit geeigneten Mitteln und Methoden weitgehend aufzuheben, um die im Thüringer Hochschulgesetz festgeschriebene Einschichtigkeit der Hochschulbibliotheken für Jena zu optimieren. Dieser Prozeß erfordert von der Universitätsöffentlichkeit und von den Mitarbeitern Geduld und Verständnis, denn ein Bibliotheksgebäude, für das 50 Jahre lang immer wieder Projekte und manchmal auch schon Modelle entwickelt wurden, ohne daß sie Wirklichkeit wurden, verliert an Glaubwürdigkeit. Neben anderen integrierenden und damit vertrauensbilUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 370 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern denden Faktoren, wie z. B. der gemeinsamen Literaturauswahl durch Fachreferenten und Institutsangehörige und der Offenlegung bibliothekarischer Arbeitsprozesse bei der Bestellung und Katalogisierung gegenüber einer ausgewählten Universitätsöffentlichkeit durch den OPAC, kommt dem Bau der Zentraleinheit eine wichtige Stellung zu: - Ihr Standort im Herzen von Stadt und Universität dokumentiert schon äußerlich die Integration der Universitätsbibliothek in die Universität. - Die Konzentration des Geschäftsgangsbereiches wird die Leistungsfähigkeit der Bibliothek positiv beeinflussen. - Die Literaturversorgung und bibliothekarische Betreuung für bestimmte geisteswissenschaftliche Disziplinen im neuen Gebäude der Zentraleinheit mit der Einrichtung von Freihandmagazinen und Speziallesesälen, denen die denkmalgeschützte Frommannschen Häuser als Institutssitze für Germanisten und Philosophen unmittelbar benachbart sind, tragen zur Integration von Instituten bei. Die Medizinische Fakultät wird Institute und Kliniken an zwei Standorten konzentrieren (Teichgraben in der Innenstadt, Campus Neulobeda), die Institute der naturwissenschaftlichen Fakultäten sollen im Landgrafenviertel und am Beutenberg zusammengefaßt werden. Diese Perspektive wird eine Verringerung der Zweigbibliotheken auf etwa 20 bis 25 zur Folge haben, die zusammen mit der Zentraleinheit und nur einem einzigen, nicht vermeidbaren Außenmagazin die ThULB zu einem weit überschaubareren System werden lassen, als dies in der Gegenwart der Fall ist. Damit wäre auch der ständigen Migration der Bestände der Bibliothek innerhalb Jenas und dem seit 1945 dauernden Provisorium ein Ende gesetzt. 3.2 sten Johann Friedrich L, des Großmütigen (1503-1557), die Bibliothek in der künftigen thüringischen Residenz der Ernestiner, auf der Weimarer Burg Hornstein, aufzustellen, ließ sich, nach sicheren Quellen zu urteilen, wegen der dort zahlreich vorhandenen Mäuse nicht verwirklichen. Die Odyssee der Wittenberger Bibliothek ging schließlich 1549 in Jena zu Ende. Das während der Reformationszeit aufgehobene, unmittelbar an der östlichen Stadtmauer gelegene Dominikanerkloster St. Paul nahm sie auf. Sie erhielt im Erdgeschoß des Südflügels ihren endgültigen Standort und zugleich eine neue Zweckbestimmung. Hier diente die ernestinische Hofbibliothek so lange den Lehrenden und Studierenden des neu eingerichteten herzoglichen Gymnasium academicum, bis dieses 1557 endlich durch Kaiser Ferdinand II. zur Volluniversität privilegiertwurde. Inmitten der Fakultäten gelegen, von Hörsälen umgeben, war sie nun integraler Bestandteil der Salana und versorgte an dieser Stelle über 300 Jahre hindurch - bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, modern gesagt, einschichtig - als „Bibliotheca publica" und „Bibliotheca academica" in Konkurrenz zu den reichhaltigen „Bibliothecae privatae" der Professoren, von denen sie später viele in sich aufnahm, die Mitglieder und Angehörigen der Alma mater Jenensis. Rasch wuchs ihr Bestand an. Ende des 17. Jahrhunderts wurde das platzaufwendige Pultsystem aufgegeben. Zwischen 1817 und 1826 fand eine grundlegende Umgestaltung der Bibliotheksorganisation und des von der Bibliothek eingenommenen Gebäudes statt, zu der der weimarische Staatsminister Johann Wolfgang von Goethe letztlich den entscheidenden Anstoß gegeben hatte2. Baugeschichte der Universitätsbibliothek Jena Verfolgt man die Baugeschichte der heutigen Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena bis in ihre Anfänge Mitte des 16. Jahrhunderts in der Saalestadt, so ist festzustellen, daß die Bibliothek nur für eine kurze Zeitspanne von 87 Jahren, zwischen 1858 und 1945, so etwas wie einen Zweckbau besessen hat. Während der übrigen fast 400 Jahre ihrer Existenz seit der Gründung 1512 in Wittenberg als Privatbibliothek des Sachsen-Ernestinischen Kurfürsten Friedrich III., des Weisen (14631525), bis in unsere Tage, war die Bibliothek stets nur irgendwie „untergebracht" 1 . Bibliothekare und Benutzer mußten sich damit abfinden. Nur gelegentlich gelang es, kleinere Verbesserungen zu erreichen. An der Bibliothek pflegten Staats- und Universitätsfiskus gleichermaßen zu sparen. Seit 1536 hatte der Urbestand der späteren Jenaer Bibliothek Professoren und Studenten der Universität Wittenberg in der oberen Schloßstube als Universitätsbibliothek zur Verfügung gestanden. Im Juni 1547 war sie im Ergebnis der Witte n berge r Kapitulation, die den Schmalkaldischen Krieg beendete, in Fässern verpackt nach Weimar gebracht worden, wo sie zunächst im ehemaligen Franziskanerkloster ungeöffnet untergestellt wurde. Die ursprüngliche Absicht der Söhne des in kaiserlichem Gewahrsam befindlichen sächsischen Kurfür- Abb. 11: Gebäude der Universitätsbibliothek, vom Teichgra- ben aus, um 1820 Der große, auf 1 200 Bände berechnete, bis 1949 geführte alphabetische Bandkatalog wurde angelegt. Die 9 Teilbestände und der Bestand der Jenaer Schloßbibliothek wurden in einer neuen, mehr pragmatischen Aspekten verbundenen Systematik zusammen aufge1 Vgl. Geschichte der Universitätsbibliothek Jena (1549-1945). Weimar 1958. 2 Vgl. hierzu u. a. Bulling, K.: Goethe als Erneuerer und Benutzer der jenaischen Bibliotheken. Jena 1932 (Reprint Leipzig 1982); Kiel, R.M.: Goethe und das Bibliothekswesen in Jena und Weimar. In: Bibliothek und Wissenschaft 15 (1981) S. 11-82; Bohmüller, L, u. K. Marwinski: Bibliotheksalltag 1820. Jena 1988. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern stellt. Vermehrungs- und Ausleihbücher wurden eingeführt. Es entstand eine an Göttinger Maßstäben orientierte moderne Gebrauchsbibliothek. Die baulichen Veränderungen, begonnen mit dem Abriß der an der Bibliothek grenzenden Stadtmauer und fortgesetzt durch Mauerdurchbrüche als Voraussetzung für zahlreiche Fenster, bannten die Feuchtigkeit und brachten frische Luft und vor allem mehr Tageslicht in die klösterlichen Räumlichkeiten. Goethe selbst bestimmte die Farbgestaltung, und der 1820 als Krönung des Ganzen gedachte Einbau eines bleigefaßten, farbenprächtigen Kirchenfensters zur Stadtseite hin ließ die Bibliothek auch äußerlich zu einer Attraktion für Stadt und Umland werden, die Besucher aus nah und fern anzog. 1852 waren die geringen Raumreserven erschöpft. Die Bibliothek platzte aus allen Nähten. In einem Gutachten vom 28. Juli 1853 über den Zustand der Universitätsbibliothek führte der Theologieprofessor und Orientalist Andreas Gottlieb Hoffmann (1796-1864) aus, daß sich in Kürze auch dem oberflächlichsten Beobachter „die gänzliche Unzulänglichkeit" der Lokalität aufdrängen werde. Der durch die Schüttböden gewonnene Stellplatz sei nur „ein Notbehelf auf begrenzte Zeit". Die Gelegenheit zu Veränderungen sei günstig: „Zufolge der Ablösungen werden nämlich, wie im ganzen Land, so auch hier, die bisherigen umfänglicheren Gebäude des Großherzoglichen Rentamtes für den bisherigen Zweck nicht mehr gebraucht." Das Ministerium beabsichtige, „das große, lange, massive Gebäude [Abb. 12], welches zeithero zur Expedition des Rentamtmanns und als Magazin für Zinsgetreide u. s. w. diente, zu verkaufen [...]. Abb. 12: Fürstenkeller, 1820, im Hintergrund der Kornspeicher mit dem Fähnchen auf dem Dachgiebel Wie es mir scheint, wäre diese Localität vollkommen geeignet, uns Ersatz für das zu bieten, was uns im Collegiengebäude abgeht. Das Aufsetzen eines zweiten Stokkes auf dieses feste, auf starkem Grunde [dem Gewölbe des Weinkellers, d. Verf.] ruhende Gebäude von etwa 160 Fuß Länge und angemessener Breite wäre ohne alles Bedenken; die dem Anscheine nach gute Bedachung würde für das mit schönen, hellen Sälen leicht herzustellende Gebäude in guter, trockener, fast isolierter und daher wenig feuergefährlicher Lage fast ganz wieder gebraucht werden können. Unsere Bibliothek, sicher verlegt, würde endlich eine würdige Behausung 371 empfangen [...] Dieß Bibliotheksgebäude läge auch nicht zu fern und hätte, zwischen dem botanischen Garten und den Sammlungen im Schlosse in der Mitte gelegen, gewiß den passendsten Raum inne, welcher hierorts möglich ist."3 Die Argumentation muß so überzeugend gewesen sein, daß am 16. November 1855 von Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818-1901) „mit Zustimmung des getreuen Landtags das zeither dem Kammerfiskus zugehörig gewesene, sogenannte alte Magazin-Gebäude zu Jena dem akademischen Fiskus zur Benutzung für akademische Zwecke, und zwar zunächst behufs der Verlegung der akademischen Bibliothek in dasselbe ohne Rückfalls-Bedingung eigenthümlich überlassen" wurde4. Zweieinhalb Jahre später, anläßlich der 300-Jahr-Feier der Universität 1858, wurde das umgebaute Gebäude der Universitätsbibliothek (Abb. 13) zur Nutzung übergeben, allerdings erst, nachdem die hier veranstalteten Festessen und Empfänge des Jubiläums vorüber waren. Der ehemalige Kornspeicher war tatsächlich um ein Stockwerk erhöht worden. Seine der venetianischen Renaissance nachempfundenen Fassaden strahlten in farbigem Glanz, was wohl auf den Einfluß des damaligen Bibliotheksdirektors, des Altphilologen und Professors der Beredtsamkeit Carl Wilhelm Göttling (1793-1863, UB-Direktor seit 1826), zurückzuführen war, der, von Goethe sehr geschätzt und gefördert, Reisen nach Italien und Griechenland gemacht hatte. Die Vorderseite zierten zwei symmetrisch angelegte Freitreppen mittempelähnlichen Vorbauten. In den Jahren 1894/95 wurde ein Anbau errichtet, der außer einem größeren, am Hartwigschen Magazinbau von 1880 in Halle/Saale orientierten Büchermagazin ein vergrößertes Lesezimmer, ein besonderes Dozentenarbeitszimmer und neben dem Katalogzimmer ein Beamtenzimmer und zwei feuersichere Räumefür Handschriften und Inkunabeln erbrachte. Der Kuriosität halber sei erwähnt, daß man Balkone eigens für die Entstaubung von Büchern angebracht hatte, die aber wohl kaum benutzt worden sind. In den Jahren 1914/15 schließlich wurde ein weiterer, von der Carl-Zeiss-Stiftung bezahlter Magazintrakt fertiggestellt, der zusammen mit den vorhandenen Gebäudeteilen einen Innenhof entstehen ließ. Es handelte sich dabei um einen Stahlbetonbau, der für die damals am Stadtrand von Jena gerade eröffneten Göschwitzer Zementwerke den Charakter eines Experimentalbaus hatte, mit dessen Hilfe man die Qualität des Baustoffes unter Beweis stellen konnte. Das Bauwerk überzeugt auch heute noch im Inneren durch die Einfachheit und Zweckmäßigkeit seiner Konstruktion, während die über seine drei Fassaden gezogenen riesigen Fenster aus Licht- und Temperaturgründen durchaus als problematisch anzusehen sind, von neuzeitlichen Sicherheitsbedürfnissen einmal ganz zu schweigen. In etwas mehr als 50 Jahren war im Herzen der Stadt Jena das Ensemble der voll in die akademische „Bannmeile" integrierten Universitätsbibliothek entstanden. Es befand sich gegenüber dem Botanischen Garten und weni- 3 UAJ,BA 630,81.1-2. 4 UAJ,BA630,BI.3f. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 372 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern ge hundert Meter vom 1908 fertiggestellten neuen Universitätshauptgebäude entfernt, dem das frühere Stadtschloß hatte weichen müssen, und in unmittelbarer Nachbarschaft zu den meisten geisteswissenschaftlichen Instituten, die in den Gebäuden längs des Fürstengrabens ihren Sitz hatten. Am 9. Februar 1945 wurde der älteste Teil der Bibliothek, das Hauptgebäude, bei einem der verheerenden Luftangriffe der Royal Air Force auf Jena durch eine Luftmine getroffen und total zerstört, der Anbau von 1894/95 wurde teilweise in Mitleidenschaft gezogen, allein der während des Ersten Weltkrieges erbaute Stahlbetonbau hielt dem Druck stand (Abb. 13). Lockemann (1885-1945, UB-Direktor seit 1926), unternahm bei den zuständigen Behörden des damaligen Landes Thüringen die ersten Schritte. Albert Predeek (1883-1956, UB-Direktor von 1947-1951) erarbeitete Studien für den Wiederaufbau. 4,5 Mio. DMOst sollte der Bau kosten (Abb. 14). Wie schon beim Umbau von 1858 ließ man auch jetzt den Fürstenkeller, der die Zerstörung des über ihm befindlichen Bibliotheksgebäudes unversehrt überstanden hatte, außer Betracht, obwohl für die oberirdische Bebauung kaum mehr als 5 000 m 2 zur Verfügung standen. Für die Beibehaltung des alten Standortes wurden ins Feld geführt, „die Nähe der Universität, die bequeme Zugänglichkeit vom Stadtzentrum her, die freie, städtebaulich reizvolle Lage gegenüber dem Botanischen Garten und vor allem das Vorhandensein des Kernstückes der Bibliothek, des Bücher-Magazins"5. Das Raumprogramm sollte zu einer Steigerung der Nutzfläche um 75%, von ursprünglich 5 900 m2 auf 10 229 m2, führen. Abb. 14: Architektur der neuen Universitätsbibliothek, 1949 Abb. 13: Westfassade des Hauptgebäudes, 1930, darunter: Seitenansicht 9. Februar 1945: Rest des Hauptgebäudes, daneben das „Stäbchenmagazin1' Für die Bibliothek, ihre Mitarbeiter und Benutzer begannen Jahrzehnte des Provisoriums, die durch Bangen und Hoffen um einen Wiederaufbau gekennzeichnet sind. Aber auch andere durchgreifende und akzeptable Ausweichlösungen wurden nicht gefunden oder nicht realisiert. Schon unmittelbar nach Kriegsende gab es die ersten Anstöße für den Wiederaufbau des zerstörten Bibliotheksgebäudes. Viktor Burr (1906-1975, UB-Direktor 1945), Nachfolger des in den Trümmern seiner Bibliothek mit 11 Mitarbeitern und 4 dienstverpflichteten Hilfskräften und Benutzern umgekommenen Bibliotheksdirektors Theodor Die Grundsteinlegung war für den 28. August 1949, zu Goethes 200. Geburtstag, vorgesehen, blieb aber aus. Als eine Art Ersatz wurde die Umgestaltung der am oberen Ende des Fürstengrabens gelegenen Rosensäle zum Hauptlesesaal der Universitätsbibliothek in Angriff genommen und 1950 beendet. Der Lesesaal wurde Anfang der achtziger Jahre baupolizeilich geschlossen und nach fast neunjähriger Sanierung im September 1990 wiedereröffnet. Mitte der sechziger Jahre wurde wiederum durch die Bibliotheksleitung, aber mit Unterstützung des damaligen Staatssekretariats für das Hoch- und Fachschulwesen der DDR, ein weiteres Konzept für einen Neubau der Bibliothek erarbeitet (Abb. 15). Drei Bauplätze wurden darin diskutiert: (1) der traditionelle historische Standort, (2) Standort hinter der Friedenskirche, (3) Standort am Philosophenweg, zwischen Mensa und einem Chemischen Institutsgebäude. Die schon sehr weit gediehenen Planungen mußten 1970 endgültig „zu den Akten gelegt werden, zur,Bibliotheksgeschichte, die sich nicht erfüllte'", wie in einem der Aktenfaszikel resignierend zu lesen steht6. Inzwischen hatte nämlich die Kombinatsleitung des VEB Carl Zeiss Jena mit dem Bau eines 26stöckigen Hochhauses für Konstruktionsbüros begonnen, dem ein grö5 ThULB, AHSf Bibliotheksarchiv 15, Niederschrift von Predeek vom Juni 1949, o.Pag. 6 ThULB, AHS, Bibliotheksarchiv 18 (handgeschriebener Zettel von Günther Steiger, der maßgeblich an den Planungen beteiligt gewesen war). Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern 373 Bibliotheksgebäude am traditionellen Standort zu errichten. Nach den Vorstellungen einer Arbeitsgruppe der Universitätsbibliothek und des zuständigen ministeriellen Bauprojektierungsbüros in Dresden sollten die besten Erfahrungen im Bibliotheksbau und die neueste Kommunikationstechnologie berücksichtigt werden. Und zum ersten Mal spielte in den Planungen die Nutzung des denkmalgeschützten Fürstenkellers als Großlesesaal oder als Kompaktmagazin eine Rolle. Aber auch dieses Vorhaben war zum Scheitern verurteilt, weil ehrgeizige Wirtschaftsinteressen den Vorrang hatten. Abb. 15: Modell der Universitätsbibliothek, 1966 ßerer Teil der Altstadt, der den Zweiten Weltkrieg noch überstanden hatte, durch Abriß zum Opfer fiel. Der runde Turm, als künftiges Wahrzeichen und sozialistische „Dominante" der Zeiss- und Universitätsstadt gedacht, wurde kurz vor seiner Fertigstellung durch Zeiss zur Disposition gestellt und auf Regierungsbeschluß der Universität als Arbeits- und Lehrgebäude für die nach der 3. DDR-Hochschulreform gerade neugebildeten Sektionen übergeben. Er diente von nun an u. a. auch dazu, alle universitären Bauansprüche an die zentralen und unteren territorial zuständigen Stellen schon im Ansatz ablehnen zu können. Die Wiederaufbaupläne für das Bibliotheksgebäude mußten wieder einmal „übergreifenden Interessen" weichen. Von den damals knapp über 50 Zweigbibliotheken zogen 9 vorwiegend an den geistes- und sozialwissenschaftlichen Sektionen angesiedelte frühere Institutsbibliotheken mit diesen zusammen in das für Bibliothekszwecke wenig geeignete Universitätshochhaus. Deshalb mußten ihre Bestände den damaligen feuerschutzpolizeilichen Vorschriften entsprechend aufgeteilt werden, da die Kapazität der wenigen für die Zweigbibliotheken vorgesehenen und über verschiedene Stockwerke verteilten Halbscheiben nicht ausreichte. Teile der Bestände verblieben außerhalb des Hochhauses in einem Außenmagazin. Die Zentraleinheit des von der Grundkonzeption her auf Integration und Koordinierung angelegten einschichtigen Bibliothekssystems befand sich (und befindet sich bis heute) aufgesplittert an 13 Stellen der Stadt. Seit Kriegsende dient ein kleines zweistöckiges Hotel an der Goethe-Allee, heute wieder Fürstengraben, dem Universitätshauptgebäude gegenübergelegen, als Mittelpunkt der Universitätsbibliothek, um den sich mittlerweile 58 Zweigbibliotheken unterschiedlichster Größenordnung gruppieren. Es beherbergt die Direktion, Fachreferate, Erwerbung und die Katalogräume. Die Anfang der siebziger Jahre unter den Jenenser Bibliothekaren gehegte Hoffnung, das Fehlen eines Gebäudes wenigstens mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung wettzumachen und auf diese Weise die Vorzüge der Einschichtigkeit zur Geltung bringen zu können, blieb eine Utopie, da sowohl die entsprechende Hardware als auch die Software dafür nicht zur Verfügung standen. Mitte der achtziger Jahre wurde wiederum ein Versuch unternommen, für die Friedrich-Schiller-Universität ein 3.3 Neue Hoffnung auf einen Wiederaufbau des Hauptgebäudes Heute, 48 Jahre nach der Zerstörung des Bibliotheksgebäudes, steht ein Wiederaufbau erneut zur Diskussion. Der Verwirklichung der Entscheidung, die FriedrichSchiller-Universität Jena in der Tradition einer Stadtuniversität weiterzuführen, steht die geographische Lage der Stadt Jena in gewisser Weise entgegen. Diese läßt eine Konzentration der Universitätseinrichtungen an einem Punkt nicht zu. Vielmehr ist damit zu rechnen, daß die in der HIS-Studie für Jena niedergelegte Verteilung der Universität auf drei Standorte realisiert wird. Ausgehend von der gegenwärtigen Verfassung beläßt sie die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften im Stadtzentrum, weist den Naturwissenschaften den Beutenberg und die Weststadt mit dem Landgrafengebiet zu und sieht für die Medizin eine längerfristig angelegte Zusammenfassung in Neulobeda an der A4 vor. Diesen noch nicht voll ausgereiften Vorstellungen muß die Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Rechnung tragen. Das erschwert die Planungen für den Wiederaufbau ihres Hauptgebäudes in besonderem Maße, da für die Raumnutzungskonzeption konkrete Aussagen zur Zweckbestimmung getroffen werden müssen. Unbestritten ist der Standort des Baues, der sich über den Bibliotheksweg hinweg noch erweitern ließe. Es kann nur der traditionelle sein, denn alle Argumente, die seit 1853 für diesen Standort vorgebracht worden sind, gelten nach wie vor. Für eine Stadtuniversität wie die Jenaer, mit den Geisteswissenschaften im Stadtzentrum, ist die Existenz einer funktionstüchtigen Zentraleinheit mit einschlägigen Freihandbeständen in den Magazinen und speziellen Fachlesesälen die wohl günstigste und effektivste Variante der studentischen Literaturversorgung, die durch eine gegenüber der jetzigen Situation deutlich verringerte Zahl von entsprechend spezialisierten Zweigbibliotheken an den Instituten ihre Ergänzung finden muß. Die endgültige fachliche Ausrichtung der Zentraleinheit wird sich jedoch erst im Laufe der weiteren Planungen festlegen lassen, wenn für die Fakultäten und Institute eine den Ergebnissen des Erneuerungsprozesses der Universität vor allem in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften adäquate Gebäude- und Raumkonzeption realisiert werden kann. Dabei kann die ins Auge gefaßte Nutzung der in unmittelbarer Nähe gelegenen Frommannschen Häuser 7 durch das Germanistische 7 Der Gebäudekomplex am Fürstengraben befand sich im Besitz der bekannten Jenaer Verleger- und Buchhändlerfamilie Frommann. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 374 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern Abb. 16: In Aussicht genommene Bebauungsfläche, 1992 und Philosophische Institut und das angedachte Projekt einer gemeinsamen geisteswissenschaftlichen Zweigbibliothek von ausschlaggebender Bedeutung sein. Feststeht, daß das neue Gebäude die Zentraleinheit des integrierten Bibliothekssystems mit allen für das System zu erbringenden Dienstleistungen aufnehmen wird. Dazu gehören u. a.: - alle Erwerbungstätigkeiten unter Nutzung von Fremddaten, - die formal-bibliographische und inhaltliche Erschließung unter weitgehender Nutzung von Fremddaten, in einem späteren Stadium auch Verbundkatalogisierung, - Orts- und Fernleihe mit elektronischer Bestellmöglichkeit und Ausleihverbuchung, - Befriedigung des allgemeineren Literaturbedarfs der unteren Semester, - Lehrbuchsammlung, - allgemeiner (Haupt-)Lesesaal und Fachlesesäle, - Informationsvermittlung aus externen Datenbanken, - Zentralmagazin, geschlossen und freihand, - Arbeitsbereiche im Rahmen der Landesbibliotheksfunktion wie Pflichtexemplarstelle, Landesbibliographie, Leiteinrichtung im Leihverkehr Thüringens und Geschäftsstelle des Mehrländer-Bibliotheksverbunds (Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) für Thüringen, Dienstleistungsverbund Thüringer Bibliotheken, Kontaktstelle für wissenschaftliche Altbestände. An diesen Dienstleistungen müssen bei einem durchschnittlichen Jahreszugang von 65 000 bis 70 000 bibliographischen Einheiten alle in den Zweigbibliotheken vorhandenen fachpersonellen Ressourcen mit Hilfe der vielfältigen Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechnologie beteiligt werden. Es ist davon auszugehen, daß die ThULB in absehbarer Zukunft nur noch etwa 25 größere Zweigbibliotheken effektiv betreiben kann. Die Zusammenfassung der gegenwärtig über 50 Zweigbibliotheken in 18 Fachreferaten ist bereits eine Vorstufe dazu. An bebaubarer Grundstücksfläche stehen 12 500 m2 zur Verfügung, falls das Grundstück „Rentamt" von 3 780 m 2 wieder in Landesbesitz zurückgeführt werden kann. Mit dieser Grundstücksfläche ist bei vorgeschriebener Dreigeschoßhöhe eine maximale Gesamtnutzfläche von 11 300 m 2 zu erreichen. Davon sollen 7 900 m 2 als offene und geschlossene Magazine ausgebaut werden. Eine Reduzierung von ursprünglich 25 260 m2 in einem ersten Bauantrag auf jetzt 11300 m 2 wurde durch die Auflagen des Bauordnungsamtes erzwungen. Gemildert wird diese Beschränkung durch den gegenwärtig laufenden Ausbau einer Lagerhalle auf dem Beutenberg zu einem Kompaktmagazin für ca. 1,4 Mio. Bände, das Ende 1993 fertiggestellt werden soll und alle bisherigen Außenmagazine bis auf die Bestände des ehemaligen Hochbunkers in Jena-Ost der Abteilung Handschriften und Sondersammlungen aufnehmen wird. Mit dem wiederaufzubauenden Zentralgebäude wird die räumliche Zersplitterung der Thüringer Universitätsund Landesbibliothek weitgehend aufgehoben. Die Leistungsfähigkeit der Bibliothek wird sich spürbar erhöhen. Im Vorgriff darauf wird sich die BeutenbergLösung entlastend auswirken. Sie wird Stellflächen für Neuerwerbungen erschließen und damit den prozentualen Anteil an Freihandstellflächen im Neubau vergrößern helfen und - im Zusammenhang mit den unvermeidlichen Umzügen der Bestände-Arbeitsflächen für Aussonderungen zur Verfügung stellen. Eine wichtige Komponente des Bibliotheksneubaus darf nicht außer acht gelassen werden: Das lang ersehnte Bibliotheksgebäude, die Bibliothek, wird nach Jahrzehnten endlich als Institution an einer Stelle der Stadt'wieder sichtbar werden. Das wird seine emotionalen Wirkungen auf die in ihr tätigen Menschen ebenso wie auf ihre Benutzer haben. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern der Zweigbibliotheken und der Zentraleinheit wird sich enger gestalten. In seiner zweckgebundenen Architektur sollte das Gebäude dem integrierenden Charakter der universitären Betriebseinheit Bibliothek repräsentativen Ausdruck verleihen. Diese Idee zu verwirklichen, scheint mir an diesem zentral gelegenen, vorzüglichen Bauplatz eine besonders reizvolle Aufgabe zu sein. Es besteht berechtigte Hoffnung, daß Bund und Land die erforderlichen Finanzmittel für den Bau aufbringen können. Vielleicht ist der zur Zeit ins Auge gefaßte Ausbau des altehrwürdigen Fürstenkellers der lang erhoffte Beginn einer weiterführenden Bauphase, denn sein stabiles Gewölbe kann - das hat es bewiesen - mit Leichtigkeit die Last eines mehrgeschossigen Bibliotheksgebäudes tragen. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Der Neubau für die Universitätsbibliothek Potsdam - Planungen, Zwischenlösungen und eine Vision (von Barbara Schneider-Eßlinger) Zu Beginn soll ein kurzer Überblick über die bisherige strukturelle Entwicklung der Universität Potsdam und die besonderen Bedingungen der Neugründung gegeben werden, denn die Ausgangssituation ist hier nicht ohne weiteres mit der an anderen Hochschulen der neuen Länder vergleichbar. Die Universität Potsdam besteht seit Mitte 1991. Das Land Brandenburg hat mit Wirkung vom 15.7.1991 die Gründung der Universität Potsdam beschlossen, der Wissenschaftsrat hat ihr-vorerst als einziger der drei im Land vorgesehenen Universitätsneugründungen - zugestimmt. Drei Vorgängerinstitutionen wurden integriert, ihr struktureller Einfluß blieb jedoch begrenzt. Sie seien nun kurz vorgestellt: Seit 1948 bestand in Potsdam die Brandenburgische Landeshochschule, später (mit der Auflösung des Landes im Jahre 1951) wurde dieser der Status einer Pädagogischen Hochschule verliehen, die Lehrer aller Stufen ausbildete und immer Promotions- und Habilitationsrecht behielt. Im März 1990 erhielt die Einrichtung ihren alten Namen ,Brandenburgische Landeshochschule' zurück, bis sie als die zentrale Vorgängereinrichtung in die Universität Potsdam eingegliedert wurde. Bereits vorher war ein Teil der Hochschule für Recht und Verwaltung in Potsdam-Babelsberg (bis 1990 Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR) übernommen worden; die Sektion Rechtswissenschaft wurde überprüft; andere Teile wurden abgewickelt. Ausgenommen hiervon blieb die Bibliothek. Von der in Golm früher bestehenden Juristischen Hochschule des Ministeriums für Staatssicherheit wurden lediglich Gebäude und Räume übernommen; diese Einrichtung wurde aufgelöst. Mit der Gründung der Universität wurden vom Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur Gründungsrektor und Gründungssenat bestellt. Letzterer hat die Aufgabe, Vorschläge für die Struktur und den Aufbauplan der neuen Universität vorzulegen. Beschlossen wurde eine geistes-, gesellschafts- und naturwissenschaftliche Ausrichtung, die mit ihren fünf Fakultäten die klassischen Wissenschaftsbereiche-ausgenommen die Theologie und die Medizin - alter Universitäten abdeckt. Als Ausbauziel hat der Gründungssenat eine Studienplatzzahl von ca. 12 000 empfohlen. Bis zum Abschluß der 1. Ausbauphase (1995/96) sollen 250 Professoren, 630 wissenschaftliche und 660 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität tätig sein. Diese Zahlen sind ein Faktor, der das Konzept der Universität Potsdam widerspiegelt: eine überschaubare Universität in einer landschaftlich und kulturhistorisch ungemein reizvollen Umgebung, die über ihr spezifisch ausgerichtetes Angebot (Vermeidung von Doppelangeboten) eine klare Alternative zu den Berliner Massenuniversitäten darstellt. Eine Besonderheit und besondere Schwierigkeit der Potsdamer universitären Situation ist die Verteilung der derzeit noch kleinen Universität auf 3 Standorte, wie sie sich aus der Lage der Vorgängerinstitutionen ergeben hat. Das trifft im gleichem Maß auf die Universitätsbibliothek 375 zu, deren Organisationsstruktur auf dem Modell des einschichtigen Bibliothekssystems beruht, mit einheitlichem Stellenplan, einem einheitlichen Sachmitteletat und Mittelverwaltung, sowie dezentral angesiedelten Benutzungseinheiten an den einzelnen Standorten. Die Entfernungen zwischen den Standorten sind groß (Babelsberg-Golm: 15 km). Da das Straßennetz der enormen Verkehrsdichte nicht mehr gewachsen und die Verbindungen im öffentlichen Personennahverkehr unzureichend sind, treten allein schon in verkehrstechnischer Hinsicht zahlreiche Probleme bei der Realisierung einer einheitlich strukturierten und organisierten Bibliothek auf, die modernen Dienstleistungskriterien gerecht werden soll. Nichtsdestotrotz ist dies das-erreichbare-Ziel, insbesondere in der gegenwärtigen ersten Aufbauphase. Von zentraler - wenn nicht sogar existentieller - Bedeutung ist dabei die Frage, wo die Bibliothekszentrale ihren Platz finden soll und kann. Die Vorstellungen gehen derzeit dahin, ein schlüssiges und attraktives Konzept zu entwickeln, das die schwierigen Voraussetzungen nicht nur angemessen berücksichtigt, sondern sogar in eine besondere Chance verwandelt. Wie das aussehen könnte, soll im folgenden dargestellt werden, zunächst aber ein Blick auf die einzelnen Standorte mit ihrer jeweiligen Bibliothekssituation. Golm: Der Universitätskomplex liegt 8 km entfernt vom Stadtzentrum, ist mit Bus, Bahn, PKW erreichbar, wegen des miserablen Straßenzustandes jedoch etwas mühsam. Derzeit sind hier die geisteswissenschaftlichen Fachbereiche untergebracht. Eine Bereichsbibliothek mit 690 m 2 Fläche zur Versorgung der vertretenen Fächer und Fachbereiche ist ausgestattet mit neuen funktionsgerechten Möbeln und Regalanlagen. Eine für Bibliothekszwecke umgebaute Gaststätte wird seit Mitte März 1992 als zentrales Ausweichmagazin genutzt. Durch die Installation einer Kompaktregalanlage beträgt die Aufnahmekapazität ca. 420 000 Bände. Zu rechnen ist gemäß der Bauentwicklungsplanung für die Universität mit der Verlagerung der gegenwärtig am ,Neuen Palais'vertretenen Naturwissenschaften an den Standort Golm. Erforderlich wäre dann ein Neubau für die naturwissenschaftliche Teilbibliothek. Babelsberg: Der Standort Babelsberg liegt etwa 7 km vom Stadtzentrum entfernt, die Erreichbarkeit ist mit der von Golm vergleichbar; eine Besonderheit bildet die gute Anbindung an Berlin durch den nahegelegenen S-Bahnhof Griebnitzsee. Babelsberg ist Sitz der Juristischen Fakultät und der wirtschafte- und sozialwissenschaftlichen Fachbereiche. Die Bereichsbibliothek verfügt bei einem Bestand von ca. 400 000 Bd. über keinerlei Stellplatzreserven mehr, die Benutzungsbedingungen sind daher ungünstig. Als Perspektive wird der Ausbau des Dachgeschosses im sogenannten Hauptgebäude, einem aufwendig gestalteten, großzügigen Verwaltungsbau der 30er Jahre, für die Zwecke der Bibliothek gesehen. Eine Grobplanung ist bei Erstellen der Haushaltsunterlage-Bau kürzlich erfolgt. Der Flächenzuwachs würde die Raumprobleme mittelfristig lösen. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 376 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten in den neuen Bundesländern Abb. 18: Potsdam: Kaiserbahnhof Abb. 17: Potsdam: Neues Palais Neues Palais: Der Standort (Entfernung vom Stadtzentrum ca. 3 km) ist geprägt durch kultur- und bauhistorisch wertvolle Gebäude (Abb. 17), die Teil der Gesamtanlage Park Sanssouci sind. 1990 ist der Park in die Weltkulturerbeliste der UNESCO aufgenommen worden, d. h., Freiflächen und Bauwerke stehen unter einem (nahezu bedingungslosen) Denkmalschutz. Innerhalb der Universität kommt diesem Standort eine hervorragende Bedeutung zu. Der Bereich wird sich weiter zu ,dem' zentralen Ort, zum Sitz der bedeutendsten zentralen Einrichtungen einschließlich Rektorat und zentraler Hochschulverwaltung und zum Identifikationsort der Universität schlechthin entwickeln. Die Planungen gehen davon aus, daß hier die Philosophischen Fakultäten l und II ihren Platz finden werden. Die Bibliothekssituation ist gekennzeichnet durch die Unterbringung der zentralen Verwaltung und Buchbearbeitung sowie eine Anzahl kleinerer Fachbibliotheken, deren Zahl sich Ende 1993 nach Abschluß von Umbauund Instandsetzungsarbeiten zum Zweck der Schaffung eines größeren Benutzungsbereiches auf 5 belaufen wird. Bedenkt man nun die besonderen strukturellen und baulichen Bedingungen der Universität, so erscheint als Lage für die Bibliothekszentrale (derzeit definiert als Buchbearbeitung und geisteswissenschaftliche Teilbibliothek) und deren Neubau allein der Standort,Neues Palais'folgerichtig. Da nun aber der einmalige Reiz der Umgebung gleichzeitig die durch den Denkmalschutz gesetzten Grenzen und Auflagen mit sich bringt, gerät die Suche nach einer geeigneten Unterbringungsmöglichkeit für die Bibliothekaußerordentlich schwierig. In dieser Situation ist nun ein für lange Zeit in Vergessenheit geratenes Gebäude in der unmittelbaren Umgebung in den Blickpunkt des Interesses gelangt- der sogenannte Kaiserbahnhof (Abb. 18). Daß es ein Bahnhof ist, spielt dabei eine besondere Rolle, sind doch alle drei Standorte der Universität durch die ehemalige S-BahnStrecke nach Berlin miteinander verbunden. Anfang des 20. Jahrhunderts speziell für kaiserliche Besuche als Stations- und Empfangsgebäude gebaut, wurde der seit vielen Jahren von der Reichsbahn nicht mehr benötigte Bahnhof 1977 wegen Einsturzgefahr gesperrt. Seit 1992 gibt es Bestrebungen des Landes, das seit 1991 wetterfest eingehauste Gebäude für die Universität Potsdam nutzbar zu machen. Der ca. 800 m südlich des Standortgeländes ,Neues Palais' gelegene Bahnhof hat eine sehr günstige Verkehrslage im regionalen Einzugsbereich der Universität Potsdam, und bezogen auf die drei Hauptstandorte der Universität ist der Bereich Kaiserbahnhof ein Ort mit zentraler Lage und mit der besten Erreichbarkeit. Dies ist ein entscheidender Aspekt, der für die Verwendung durch die Universität spricht, davon unabhängig würde damit dem denkmalgeschützten Gebäude eine Chance gegeben, die es vor dem - ansonsten voraussehbaren-Verfall retten könnte. Im Sommer 1992 wurde daher im Auftrag des Landes ein Gutachten zu den Möglichkeiten der Nutzung für Bibliothekszwecke erstellt, das zu einer diesbezüglichen positiven Empfehlung gelangt, allerdings unter der Voraussetzung, daß zwei wesentliche Bedingungen erfüllt werden. Zum einen ist für die Aufnahme des notwendigen Raumprogramms eine beträchtliche Erweiterung des alten Gebäudes durch einen Neubau erforderlich, zum anderen müßte die relative Randlage und recht große Entfernung zum Neuen Palais durch eine überlegte, attraktive Nutzung dieses Bereichs - und durch eine ebensolche Architektur-ausgeglichen werden. Fürdas Bauwerk, für den Gesamtstandort und natürlich für die Raumnöte der Bibliothek wäre dann eine zwar unkonventionelle, jedoch bei genauem Hinsehen maßgeschneiderte Lösung gefunden. Hinzu kommt die Überlegung, daß es keine Alternative gibt. Die Unterbringung der Bibliothek als zusammenhängender Baukomplex unter Einhaltung der notwendigen bibliothekarischen und betriebwirtschaftlichen Grundforderungen ist nur hier möglich. Wenn am Kaiserbahnhof nicht für die Universität gebaut wird, müßte am Standort ,Neues Palais' zusätzlich eine BruttoGrundrißfläche von etwa 28 700 m2 untergebracht werden. Der Anteil der Bibliothek daran betrüge ca. 16 000 m2. Dies würde zu starken Überschneidungen mit dem Denkmalschutz führen und ist daher nicht vertretbar. Der Standort ist durch die historischen Bauten, die landschaftlichen Räume mit ihren Platzanlagen, Rasenbereichen und Alleen in einer Art und Weise geprägt, die bedingt, daß sich ein Bebauungskonzept unterordnen muß und Neubau nur in sehr begrenztem Umfang möglich sein wird. Andere Schwierigkeiten im Zusammenhang Unauthenticated mit dem Projekt sollen nicht unerwähnt bleiben: Download Date | 8/22/17 12:08Die AM mögliche Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henschke et al. - Planung und Realisierung von Bauten für Bibliotheken in den neuen Bundesländern Belästigung durch Lärm und die Beeinträchtigung durch Schwingungen, beides verursacht durch vorbeifahrende Züge, ist noch nicht ausreichend untersucht und geklärt. Einen Schritt weiter wird uns nun eine im Auftrag des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur zu erstellende Machbarkeitsstudie bringen, die die o. g. Fragen detailliert und zuverlässig beantworten soll. Es ist zu hoffen, daß das Ergebnis die bisherige positive Einschätzung bestätigt und in Potsdam ein Bibliotheksbau entstehen wird, den es so sicher noch nicht gibt, der demzufolge unverwechselbar wäre und den Besuch der Universitätsbibliothek Potsdam zu einem ganz besonderen Erlebnis machen würde. Anschriften der Autoren: Dr. Ekkehard Henschke Universitätsbibliothek „Bibliotheca Albertina" Beethovenstr. 6 D-04107 Leipzig Dr.-lng. Peter Hoffmann Universitätsbibliothek Universitätsplatz 5 D-18051 Rostock Dr. Konrad Marwinski Thüringer Universitätsund Landesbibliothek Fürstengraben 6 D-07743 Jena Barbara Schneider-Eßlinger Universitätsbibliothek Am Neuen Palais Postfach 60 15 53 D-14415 Potsdam Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 377 Marie-Frangoise Bisbrouck Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) Der neue Förderplan für französische Universitätsbibliothekensoll hier vorgestellt werden, da er erst vor kurzem erarbeitet wurde und aus diesem Grund wahrscheinlich in Frankreichs Nachbarländern noch weitgehend unbekannt sein wird. Die Situation der französischen Öffentlichen Bibliotheken, der Stadtbibliotheken und der Regionalen Leihbibliotheken ist sicher ausreichend bekannt, da sie seit etwa zwanzig Jahren Ursache von großen Anstrengungen ist, die nicht nur von Seiten der Kommunen und der Departements unternommen wurden, sondern zu einem Großteil auch von seiten des Staates. Man ist stolz auf einige der Projekte, die in diesem Zeitraum verwirklicht wurden. So ist man stolz auf die beiden Öffentlichen Bibliotheken, die vom Staat verwaltet werden: die Bibliotheque publique d'information (BPI) im Centre Georges Pompidou in Paris, die 1977 eröffnet wurde, und auf die Mediatheque de la Cite des sciences et de (Industrie, die sich ebenfalls in Paris (in La Villette) befindet und 1986 eröffnet wurde; ihr Sammelschwerpunkt liegt vor allem auf wissenschaftlichem, technischem und industriellem Gebiet. Diese beiden Öffentlichen Bibliotheken spielten und spielen auch heute noch eine Vorreiterrolle für die Entwicklung der anderen Öffentlichen Bibliotheken und werden diese Rolle nun auch für die Universitätsbibliotheken übernehmen. Es ist richtig, daß sie sich nicht an die gleichen Leser wenden wie die Universitätsbibliotheken, auch wenn 55% bis 57% ihrer Benutzer Studenten sind; aber die von ihnen geförderten modernen Techniken, die auch vom breiten Publikum akzeptiert wurden, sollen nun von den Universitätsbibliotheken aufgegriffen werden, um ihren Aufschwung einzuleiten. Dabei handelt es sich um: - völlige Umstellung der Verwaltung auf EDV (Erwerbung, Katalogisierung, Rechnungswesen, Bearbeitung von Periodika, Ausleihe, Vormerkungen in der Bibliothek und durch Minitel, Recherchen im Katalog in der Bibliothek und per Datenfernübertragung), - Freihandaufstellung des gesamten Bestandes, - das Sammeln von qualitativ hochwertigen audiovisuellen Dokumenten zur Benutzung in der Bibliothek, - Erweiterung des EDV-Bestandes-Software und Lernprogramme-zum Zwecke der Unterhaltung und der Weiterbildung, - die stärkere Einbeziehung der Periodika in die Freihandaufstellung (2 400 Periodika in der BPI, 5 500 in der Mediatheque de la Cite des Sciences et de l'lndustrie; in letzterer werden verschiedene Periodika auch außer Haus verliehen), - die Bedeutung, die man an der Mediatheque de la Cite des Sciences et de l'lndustrie aufgrund ihres Bestandes der Entwicklung eines Dokumentationsdienstes für kleine und mittlere Unternehmen (Profildienste, Recherchen in amerikanischen und europäischen Datenbanken) zumißt, - Förderung von leistungsfähigen Diensten für Blinde und Sehschwache, - Öffentlichkeitsarbeit der unterschiedlichsten Ausprägung. Diese beiden großen Bibliotheken, die auch samstags, sonntags und an Feiertagen geöffnet haben, spielen gerade jetzt eine Vorreiterrolle für die Gesamtheit der französischen Bibliotheken, da die Bibliotheque Nationale dazu erst wieder 1995 oder 1996 in der Lage sein wird, wenn sie als Bibliotheque de France wieder öffnet. 1995 wird wahrscheinlich auch das erste Jahr sein, in dem es möglich sein wird, wichtige bauliche Veränderung und damit Veränderungen im Angebot der französischen Universitätsbibliotheken zuz erkennen. Bevor aber darauf näher eingegangen wird, soll zunächst die Situation beschrieben werden, in der sich die Mehrzahl der Universitätsbibliotheken augenblicklich befindet, besonders unter baulichen Gesichtspunkten. In diesem Bereich ist Stolz völlig fehl am Platze! Um die aktuelle Situation besser zu verstehen, hier zunächst ein kleiner historischer Überblick: Die erste Expansion der Universitätsbibliotheken fand in Frankreich zwischen 1955 und 1975 statt, um damit auf das Ansteigen der Studentenzahlen zu reagieren. Diese Entwicklung ging zurück auf die wachsende Schulbildung und das explosionsartige Bevölkerungswachstum am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Waren 1955 noch 155 000 Studenten an den Universitäten eingeschrieben, so stieg die Zahl auf 831 000 in den Jahren 1975/76. Inzwischen wird hier wiederum eine Steigerung festzustellen sein. Im Zeitraum 1955 bis 1975 wurden 110 Universitätsbibliotheken neu gebaut oder erweitert, eine Entwicklung, die parallel ging mit der Entwicklung der Universitäten, denen sie angehörten: insgesamt wurden 516000 m 2 in Universitätsbibliotheken neu gebaut - finanziert allein durch den Staat. Die Planer von Universitätsbibliotheken kümmerten sich während dieser zwanzig Jahre vorherrschend um die folgenden Bereiche; - Lesesäle anzubieten, die mit so viel Plätzen ausgestattet waren, daß auf einen Leseplatz zehn Studenten kamen, - Magazine zu bauen, die ein Anwachsen der Sammlungen für die nächsten 20 bis 25 Jahre ermöglichen, - für das Personal angemessenen Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, - Gebäude zu bauen, die, wenn es das Grundstück erlaubt, bei Bedarf erweitert werden können, - durch die Ausarbeitung eines durchdachten Geschäftsgang dafür zu sorgen, das alle Dienste mit möglichst wenig Personal gut funktionieren, - wirtschaftlich vertretbare architektonische Lösungen zu finden, indem kompakte Gebäudekomplexe gebautwerden. Diese Ziele führten sehr oft zum Bau von Gebäuden, die sich in drei Teile gliederten: Magazinbereich (ein Block Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck- Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) 379 100 1. einfacher Leseplatz J5 . 130 4. AV-Leseplatz 70 55 125 2. EDV-Leseplatz 120 5. Leseplatz (Bildende Künste) 150 3. abgeschlossener EDV-Leseplatz Abb. 1: Mindestmaße eines Leseplatzes oder ein Turm), Benutzerräume und Verwaltung. Diese Aufteilung ist sehr charakteristisch für französische Universitätsbibliotheken, die in dieser Periode gebaut wurden. Diese Neugründungen haben zu einer Erneuerung der französischen Universitätsbibliotheken um 90% geführt. Das Jahr 1975 war für die Universitätsbibliotheken von besonderer Bedeutung. In diesem Jahr wurden alle Universitätsneubauten und damit auch die Neubauten von Universitätsbibliotheken völlig gestoppt. Zwischen 1975 und 1990 wurden nur 12 Bibliotheksgebäude mit einer Gesamtfläche von 20 000 m 2 gebaut oder erweitert (man Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 380 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck-Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) ist also weit entfernt von den 500 000 m 2 der davorliegenden 20 Jahre!). Seit 1975 mußten die französischen Universitätsbibliotheken zusehen, wie sich ihre Situation in einem Zeitraum von fast fünfzehn Jahren immer mehr verschlechterte. Das betraf den Zustand der Gebäude ebenso wie die Erwerbung und das Personal. Während diesen Zeitraums wurde mehrere Male vehement Alarm geschlagen: An Regierung und Parlamentarier wurden Anfragen zum skandalösen Zustand der Bibliotheken gerichtet. In den achtziger Jahren wurden drei Berichte zu dieser Frage veröffentlicht: 1. 1981 beschrieb ein erster Bericht, der Bericht Vandevoorde, die Zweigleisigkeit der Literaturversorgung an den Universitäten: auf der einen Seite die Universitätsbibliotheken, die starke Probleme hatten und schlecht in die Hochschulen integriert waren, zu denen sie gehörten; auf der anderen Seite eine Vermehrung der Seminar-, Instituts- und Klinikbibliotheken, die als angenehmer angesehen wurden und den Studenten sowie dem Lehrkörper viel näherstanden. Zudem erhielten sie mehr Mittel für die Erwerbung. Um dieser Situation abzuhelfen, schlug der Bericht Vandevoorde vor, die Universitätsbibliotheken mit den Seminar- und Institutsbibliotheken einer jeden Universität zu einem gemeinsamen Dienst zusammenzufassen, so daß eine gemeinsame Direktion mit einer dezentralisierten Verwaltung kombiniert und ein globales Budget verwaltet würde. 2. Ein zweiter Bericht von 1985 (der Bericht GattegnoVarloot) konstatierte das bereits länger andauernde Fehlen (mehr als 10 Jahre) eines umfassenden Programms für die Universitätsbibliotheken. Dieser Bericht riet unter anderem dazu, eine allgemeine Politik der Erweiterung von Bibliotheksgebäuden zu verfolgen. 3. Es dauerte allerdings bis zum Jahre 1988, bis der Erziehungsminister Professor Andre Miquel (Verwaltungsbeamter an der Bibliotheque Nationale) beauftragte, Überlegungen zu einem Mehrjahresplan zur Erneuerung der Universitätsbibliotheken anzustellen. Sein Bericht, der Bericht Miquel, prangerte 1989 entschlossen die skandalöse Situation der französischen Universitätsbibliotheken an; er nannte sie „die ausgebrannte Zone des Hochschule". Er stellte ihren Verfall fest - ob es sich dabei um ihre Gebäude handelte (auf einen Student kam zu jenem Zeitpunkt und auf der Basis der statistischen Angaben von 1987 eine Fläche von etwa 0,65 m2), oder um ihr Personal (3,25 Angestelle für 1000 Benutzer) oder um ihre lächerlich geringen Möglichkeiten der Erwerbung. Er schlug vor, innerhalb von 10 Jahren neue Gebäude mit einer Gesamtfläche von 370 000 m 2 zu bauen, 1 500 neue Stellen zu schaffen und innerhalb von vier oder fünf Jahren die Bibliotheksetats zu vervierfachen. Der Bericht Miquel widmete sich mit besonderem Nachdruck den folgenden Themen: - der Verbesserung der Versorgung der Studenten, - der Einführung der Studenten in die Benutzung der vorhandenen Quellen innerhalb der ersten zwei Jahre des Studiums, - der Verstärkung der Erwerbung, - dem Angebot der wichtigen Bestände in Freihandaufstellung, - der Verlängerung der Öffnungszeiten auf mindestens 60 Stunden pro Woche für 45 bis 46 Wochen im Jahr (1987 - dem Jahr, auf das sich der Bericht bezieht waren es durchschnittlich 40 bis 45 Wochen pro Jahr). Der Bericht Miquel war der ausschlaggebende Faktor für eine neue Politik zugunsten der Universitätsbibliotheken. Zur Zeit dient er dem Erziehungsminister als Arbeitsgrundlage für seine kurz-und mittelfristige Planung der Förderung von Universitätsbibliotheken. Im Jahre 1993 sieht die Situation der französischen Universitätsbibliotheken in Zahlen folgendermaßen aus: - es existieren 79 Universitätsbibliotheken in 79 Universitäten, die aus 195 Einheiten bestehen, wobei die universitären Außenstellen nicht berücksichtigt wurden, - die Gebäude haben eine Grundfläche von insgesamt 635 000 m2, - seit dem Bericht Miquel hat sich die Fläche pro Student erneut verringert, von 0,65 m 2 im Jahre 1987 auf 0,52 m 2 im Jahre 1992; die Studentenzahl selbst ist von fast 969 000 im Jahre 1987 auf 1 245 000 für das Universitätsjahr 1991/92 gestiegen. Das ist eine Steigerung von 28,6% in fünf Jahren. Zur Zeit liegt die jährliche Steigerungsrate der eingeschriebenen Studenten bei etwa 6%. - die Universitätsbibliotheken verfügen heute über etwa 70 000 Leseplätze, dabei kommen auf einen Platz 18, und nicht, wie gewünscht, 5 Studenten. Im übrigen stellt man eine ungleiche geographische Verteilung fest, somit ist die Situation an einigen Universitäten noch schlimmer. - die Gebäude, die zwischen 1955und 1975 gebaut wurden, können nur sehr schlecht umorganisiert werden, da ihre interne Organisation sie oft untauglich für die Freihandaufstellung und den Einsatz neuer Technologien macht. Es muß außerdem festgestellt werden, daß die Forderungen nach Renovierung der bestehenden Gebäude genauso wichtig zu nehmen sind wie jene nach Erweiterung und Neubau. Es bedarf der Anpassung an die aktuellen Sicherheitsvorschriften, die sehr viel strenger sind als diejenigen zwischen 1955 und 1975, es bedarf ebenfalls der Anpassung an die Verordnung von 1975 bezüglich der Zugänglichkeit von öffentlichen Gebäuden für Behinderte, der Instandhaltung von Fußböden, Anstrichen und Beleuchtung sowie der Neuausstattung mit Möbeln, die heute noch teilweise diejenigen aus den fünfziger Jahren sind! Was kann man nun mit diesen heruntergekommenen und ungenügenden Gebäuden machen? Der Staat hat zusammen mit den Gebietskörperschaften - ein Novum im universitären Bereich - ein wichtiges Förderungsprogramm für das Hochschulwesen auf die Beine gestellt. Das „Schema Universite 2000", dessen erste Phase von 1991 bis 1995 laufen wird, soll den Universitäten zumindest die Aufnahme der ständig wachsenden Zahl an Studenten ermöglichen. Das „Schema Universite 2000" stützt sich auf einen Etat von 32 Milliarden Francs, wobei je 16 Milliarden vom Staat und von den lokalen Körperschaften (Städte, Departements, Regionen) kommen. Die Summe wird sukzessive in den Jahren 1991 bis 1995 ausgegeben. Diese Summe bergen in sich theoretisch die Möglichkeit, neue Universitätsgebäude mit einer Fläche von 2 500 000 m2 zu bauen und einzurichten. Diese Zahlen können jedoch nicht einfach so übernommen werden. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 381 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck- Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) Type d* espaces Surface utile par unite Remarques ESPACES D'ACCUEIL | Partie Public • Hall d'accueil • Sanitaires Partie Personnel • Renseignement • Banquedepret -h 20% 5 % de la surface des espaces accessibles au public 3,5 nr/60 places 15 nr/poste 15 a 20 nr/poste Espaces accessibles au public * docuraentation en libre acces + consultation + sanitaires. Pour les bibliotheques de moins de 1 200 places, on prevoit plutot pour l'accueil 1 m2 pour 3 piaces de consultation. Variable selon l'organisation Variable selon (Organisation ESPACES DE CONSULTATION Places de consultation • place simple • box informatique • place audiovisuelle • place «Beaux Arts» • place de reunion %de circulation aförente H- 20% 2,7 nr/personne 3,5 nr/personne 4 mVpersonne 3,5 nr/personne 2 nrVpersonne Le pourcentage de circulation afiSrente aux espaces de consultation doit etre porte a + 30 % pour les espaces de reunion. Documentation en libre acces • Präsentation des ouvrages - acces libre «large» Supertlcie pour 10000 ouvrages Nombre d'ouvrages au m2 - acces libre « etroit > et magasins ouverts Superficie pour 10000 ouvrages Nombre d'ouvrages au m2 • Präsentation des periodiques relies - acces libre «large» - acces libre «etroit» et magasins ouverts • Präsentation des periodiques en fascicules - acces libre «large» Supertlcie pour 1 000 titres Nombre de titres de periodiques au m2 - acces libre «etroit» et magasins ouverts Superficie pour 1 000 titres Nombre de titres de periodiques au m2 3,5 a 4 ml/m2 107 m2 88 a 100 documents 5,5 ä 6 ml/m2 25 ouvrages au metre lineaire 30 ouvrages au metre lineaire 2 58m 165 a 180 documents Voir ouvrages Voir ouvrages 1 annee d'un titre » 4 ouvrages en moyenne Ceci dopend des champs discipiinaires concernes. 2 ml/m2 125m 2 8 titres 2,9 ml/m2 85m 2 12 titres Reprographie • photocopieur isole • photocopieurs en batterie 9 nr/copieur 7 nr/copieur Le nombre de photocopieurs necessaires depend des publics attendus dans la bibliotheque. Atelier de recherche d'informations • place de tbrmation 4,5 nr/utilisateur Le pourcentage de circulation doit etre porte a + 30 % pour les espaces de Formation. + 15% MAGASINS Stockage traditionnei Supertlcie pour 10000 ouvrages Nombre d'ouvrages au nr Stockage dense Supertlcie pour 1 0000 ouvrages Nombre d'ouvrages au nr 2 7,5 ä 8 ml/m 36 a 38 nr 263 a 280 documents 12 a I2.5ml/nr 23 a 24 ra: 420 a 438 documents 35 ouvrages au metre lineaire 35 ouvrages au metre lineaire -h 40% l SERVICES INTERIEURS Espaces de cravaii du personnel 1 5 nr/personne L'anaiyse des Caches doit permettre d'aiTiner le caicul de ces surfaces. Abb. 2: Übersicht über die Flächenverteilung für das Bauprogramm einer Universitätsbibliothek Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 382 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck-Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) Wo finden nun die Universitätsbibliotheken ihren Platz im „Schema Universite 2000"? Das ist zum Teil ein wenig schwierig, und zwar aus verschiedenen Gründen: 1. Die finanziellen Mittel dieses Programms werden nicht schwerpunktmäßig auf die verschiedenen Funktionsbereiche einer Universität aufgeteilt: z. B. auf Vorlesungen, Seminare, klinische Praktika, Verwaltung, Mensen, Studentenwohnheime, Sport, Literaturerschließung, usw. Jede Bibliothek muß also darum kämpfen, daß ihre Leistungen und ihre besonderen Bedürfnisse innerhalb der Universität anerkannt werden; das ist oft recht schwierig. 2. Ursprünglich waren im „Schema Universite 2000" nur Planung, Neubau und Erweiterung von Universitätsgebäuden Inbegriffen. Hinzugenommen wurden anschließend noch alle Erhaltungsmaßnahmen und die Einrichtung von Universitätsgebäuden. Dadurch muß die Fläche von 2 500 000 m2 an Universitätsgebäuden deutlich nach unten korrigiert werden! 3. Es ist die Aufgabe der Universitätspräsidenten, zusammen mit dem Rektor (dem Vertreter des Erziehungsministers) die Prioritäten der Maßnahmen für seine Universität festzulegen und anschließend zu gewichten, um den von Staat und Gebietskörperschaften festgeschriebenen Budgetrahmen nicht zu überschreiten. Die ihm zugewiesene Summe erlaubt es leider nicht, die gesamten Projekte aller Universitäten zu realisieren. Die Universitätsbibliotheken müssen also mit doppelter Kraft kämpfen! 4. Da seit fast zwanzig Jahren in diesem Bereich nichts mehr unternommen worden ist, mußten Anstöße gegeben werden, um Voraussagen, Bewertungen, Entwicklung, Programme und Interesse an Universitäten und Universitätsbibliotheken zu erhalten. Das war nicht das kleinste der bestehenden Probleme. 5. Die Stellung der Universitätsbibliotheken ist innerhalb der Universität noch nicht überall völlig anerkannt. Die Probleme, die das Arbeiten behindern wie z. B. die die in vielen französischen Universitätsbibliotheken fehlende Möglichkeit, direkt auf den Kernbestand wichtiger Sammlungen zugreifen zu können, weil Leseplätze fehlen und ganz allgemein die Einrichtungen unbequem und dürftig sind -werden von den Entscheidungsträgern der Bibliothek nicht als so unerträglich für Leben und Arbeit der Studenten empfunden wie z. B. ein von ihnen geleiteter überfüllte r Hörsaal oder Seminarraum oder eine vollgestopfte Mensa. Diese Bemerkungen sollen jedoch nicht dazu verführen zu glauben, daß die Universitätsbibliotheken im „Schema Universite 2000" nicht genügend berücksichtigt worden sind. Zwar wird das vom Bericht Miquel erwähnte Ziel, 35 000 neue Leseplätze zu schaffen, sicherlich kaum zur Hälfte erreicht werden, aber selbst diese Plätze werden die Situation merklich verändern, da sie beispielhafte Einrichtungen sein werden für die Freihandaufstellung, die unterschiedliche Gestaltung von Leseplätzen und für das vielfältige Angebot an unterschiedlichen Publikationsformen. Viele wichtige Neubauten sind nun in Planung: in Pariswo die Situation im Vergleich zu den anderen Orten im Staatsgebiet am schlimmsten ist-z. B. die Bibliotheken von Paris-VIII-Saint-Denis (12 500 m 2 ) für Orientalistik sowie die Bibliotheken für Literatur- und Geisteswissenschaften und die Forschungsbibliothekauf dem Universitätsgelände von Jussieu (mit einer Gesamtfläche von etwa 20 000 m2); in der Provinz z. B. die Rechtswissenschaftliche Bibliothek von Montpellier, die im Stadtzentrum in die Juristische Fakultät integriert werden soll (15 000 m2). Bibliothekserweiterungen wird es ebenfalls geben in Besangon, Dijon, Grenoble, um nur Erweiterungen um mehr als 5 000 m 2 zu erwähnen. Hinzugefügt werden muß die Gründung von sieben neuen Universitäten, vier davon in der Region lle-de France, um Paris zu entlasten, zwei in der nördlichen Region und eine in La-Rochelle (südlich von Nantes). Diese neuen Universitäten sollen bis zum Jahr 2000 je zwischen 10 000 und 20 000 Studenten aufnehmen. Sie arbeiten gerade an den Bauprogrammen für ihre Bibliotheken. Geplant sind Größenordnungen von je 8 000 bis 12 000 m2. Viele andere Erweiterungsarbeiten sind nicht ganz so wichtig (leider oft von zu geringer Bedeutung im Vergleich zu den Bedürfnissen); sie werden jedoch den betroffenen Bibliotheken ein wenig mehr Annehmlichkeiten bieten, ohne daß sie jedoch grundlegend umorganisiert werden. Einige Worte müssen auch zum zukünftigen „Centre technique du livre" gesagt werden, das etwa 30 Kilometer von Paris entfernt liegt und die seltener benutzten Bestände der Bibliotheken der lle-de-France aufnehmen soll, um diesen ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Es handelt sich also um ein „Buchsilo", dessen Konzeption denjenigen des Bücherdepots der Harvard-Bibliotheken in Cambridge (USA) und der Speicherbibliothek in Garching bei München (Deutschland) entspricht. Ein Teil der Sammlung wird in einem Magazinturm von großer Höhe gelagert werden. Ein erster Bau vom 6 400 m 2 wird die Lagerung von 100 km an Dokumenten erlauben. Es besteht die Möglichkeit, das Gebäude auf 250 km Lagerfläche zu erweitern. Der Bau soll Mitte 1994 fertiggestellt sein. Insgesamt sind etwa sechzig Vorhaben in Planung, mit einer Fläche von etwa 200 000 m2. Für die Gebäude der französischen Universitätsbibliotheken werden die folgenden Ziele verfolgt: - Die Bibliothek soll sich im Zentrum der Universität und im Bewußtsein der Bevölkerung befinden. Überall dort, wo das möglich ist, soll dem „Campus", wie er in Frankreich verstanden wird, ein Riegel vorgeschoben werden: keine Universität mehr, die abseits von allem ist, ohne funktionierende Transportmittel, ohne richtiges Leben, ohne Geschäfte, Cafes, ohne Restaurant (nur mit Mensen), ohne Theater, Kino und Buchhandlung. Die Gründung der sieben neuen Universitäten und die Universitäts-Außenstellen in Mettelzentren (mit 15 000-50 000 Einwohnern) sollen mittelfristig ebenso dazu beitragen wie die Wiedereingliederung einiger Universitätsdisziplinen in die Stadtzentren. - Es sollen Benutzerräume geplant werden, in denen die Freihandaufstellung zumindest der aktuellen Sammlungen als unerläßlich angesehen wird. - Die Mehrheit des Bestandes soll auch außer Haus verliehen werden. - Es sollen sehr unterschiedliche Benutzerräume geplant werden, in denen jeder den ihm genehmen Arbeitsplatz findet: traditioneller Lesesaal in vernünftiger Größenordnung, Seminarräume, individuelle ArUnauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck- Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) beitsplätze im Lesesal, Arbeitsräume für einzelne Personen, die ein Thema längerfristig bearbeiten, eben alles, was bereits seit langem in den meisten Industrieländern vorhanden ist! Zunächst sollen auf einen Platz etwa 8-10 Benutzer kommen, aber diese Zähl soll so schnell wie möglich auf 5 Benutzer verringert werden. - Alle Publikationsformen sollen zugänglich sein: Druckwerke, audiovisuelle Medien, Software, so wie es sich auch in einer Vielzahl französischer Öffentlicher Bibliotheken entwickelt hat. - Es sollen alle Möglichkeiten der EDV für Recherchen in der Bibliothek und per Fernübertragung gefördert werden: Online-Kataloge, CD-ROM, Datenbanken. - Die Bestandserweiterungen und somit auch die dafür notwendigen Gebäudeerweiterungen sollen für die nächsten 25 Jahre im voraus geplant werden. - Die Gebäude sollen flexibel und nach einem Modularsystem konstruiert sein, so daß sie sich weiterentwikkeln können. - Die Gebäude sollen von guter Qualität sein, nicht nur was die Architektur betrifft, sondern auch in bezug auf die benutzten Materialien, damit sie lärmisoliert sowie bequem, angenehm und ästhetisch möbliert sind, um Benutzer und Personal den bestmöglichen Komfort zu bieten. - Es müssen so viel neue Stellen geschaffen werden, daß bis Mitte 1993 die Öffnungszeiten mindestens 60 Stunden pro Woche betragen (heute sind es etwa 55 Stunden), und so bald wie möglich sollen 70 bis 80 Wochenstunden erreicht werden. Wenn diese Ziele bei den 60 geplanten Vorhaben realisiert werden können, ist sicherlich keine Zeit verschwendet worden! Aber auch die Schwierigkeiten bei der Erreichung dieser Ziele sollen nicht verschwiegen werden: So sind einige der Vorhaben in Teilabschnitte gegliedert worden, deren Realisierung aus Kostengründen zeitlich auseinandergezogen werden wird. Vorhaben mit mehr als 10 00012 000 m 2 und besonders mit mehr als 15 000 m2, bei denen eine Aufteilung in Bauabschnitte als notwendig angesehen werden kann, sind in Frankreich noch recht selten, während sie in den Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland schon für eine viel geringere Studentenzahl sehr viel öfter vorkommen, ohne daß dies aber in diesen Ländern dazu führt, die Realisierung zeitlich zu strecken. Im übrigen muß man darauf achten, daß, wenn ein Vorhaben nicht sofort vollständig realisiert werden kann, der erste Bauabschnitt zumindest 70-75 % der gesamten Baufläche umfaßt. Der Bau eines weniger großen Bauabschnitts wird ernsthafte Probleme verursachen, wenn es darum geht, den bereits fertiggestellten Abschnitt mit den noch folgenden Abschnitten zu einer Einheit verwachsen zu lassen. Leider ist aber unsicher, ob das so erreicht werden kann! Wenn nun leider eine Aufteilung in zeitlich getrennte Bauphasen nicht vermieden werden kann, sollten auf jeden Fall die technischen Planungen für den Gesamtbau vorliegen, und auch die Pläne des Architekten sollten für den gesamten Bau vorliegen und nicht nur für den ersten Bauabschnitt. Das hieße dann, das kleinere Übel zu wählen, wobei natürlich zu hoffen bleibt, daß die folgenden Bauabschnitte schnell folgen können! Es gibt noch einen weiteren Punkt, der bei diesen Vorha- 383 ben, die doch recht lang und schwer zu leiten sind, Beachtung verdient: Die Realisierung eines Bibliotheksgebäudes, sei es nun Neubau, Umbau oder Erweiterung, verlangt vom Projektleiter (im allgemeinen handelt es sich dabei um den Bibliotheksdirektor) verschiedene Kenntnisse, die nicht zum bibliothekswissenschaftlichen Grundwissen dazugehören. Es ist jedoch unerläßlich, daß dieses Wissen schnell erlangt wird, sobald die Planungen beginnen, denn es ist wichtig, sich beim Bauherrn (dem Entscheidungsträger und Finanzier) und beim Baumeister (dem Architekten) sowie bei den BauUnternehmen behaupten zu können - und das für einen Zeitraum von mindestens drei bis vier Jahren, manchmal auch für fünf oder sechs Jahre. Es ist also von großer Wichtigkeit, sich gründliche Kenntnisse im Baubereich anzueignen. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, sollen nun die sechs Hauptphasen eines jeden Bauvorhabens dargestellt werden; 1. die quantitative und qualitative technische Planung der zukünftigen Gebäudeausstattung. Das ist einer der Schlüsselbereiche dafür, ob das Vorhaben Erfolg haben wird. Bei der Planung müssen neue Dienste berücksichtigt werden (bisher in Frankreich noch nicht eingesetzte, oder auf einer anderen Stufe als der, auf der man bisher zu arbeiten gewöhnt war), die vorhandenen Dienste sollten für den Benutzer sinnvoller und insgesamt rationeller werden, was oft zu einem völlig anderen Arbeitsablauf als dem bisherigen führt, die Bestände sollten für den Benutzer verständlicher organisiert werden. Bedacht werden muß außerdem entweder die Umstellung auf ein integriertes Bibliothekssystem oder die Teil Umstellung einzelner Bereiche der Bibliotheksverwaltung (verwaltungsinterne Umstellung bzw. Umstellung von Bereichen, die auch die Benutzer betreffen). Notwendig ist auch die Besichtigung anderen Bibliotheken, um vergleichen zu können, Fragen zu stellen, neue Ideen zu sammeln und sich völlig anderen Organisationsformen zu öffnen. Abschließend müssen alle diese Erfahrungen in exakte Angaben und ein präzises Funktionsschema umgewandelt werden. Das Erziehungsministerium (die Abteilung Bibliotheken und die Abteilung Bauvorhaben) wollte Sorge tragen, daß die Wichtigkeit dieser Fragen zur Planung eines Bauvorhabens allgemein bekannt wird auch im Hinblick auf das „Schema Universite 2000". Es bildete Ende des Jahres 1990 eine Arbeitsgruppe, die aus Universitätsangehörigen, Architekten, Ingenieuren, Bibliotheksdirektoren und Vertretern der beiden oben genannten Abteilungen bestand. Diese Gruppe erarbeitete innerhalb mehrerer Monate einen „Guide de programmation des bibliotheques universitaires", der seit Mai 1991 eine große Ausbreitung gefunden hat. Dieses Dokument wird allgemein sehr geschätzt, denn es bietet genaue Anhaltspunkte zur Planung eines Bauvorhabens. Es enthält außerdem Beispiele von Normen und Vorschriften, die im Ausland beim Bau von Universitätsbibliotheken zur Anwendung kommen. 2. die Kenntnis der verschiedenen Beteiligten, denen der Projektleiter gegenüberstehen wird und mit denen er während des Bauvorhabens zusammenarbeiten wird. Die Wirksamkeit der geplanten Aktionen Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 384 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck- Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) wird davon abhängen, wie gut der Projektleiter die Beteiligten kennt und wie genau er die zum Teil schwer zu verstehende Fachsprache eines jeden versteht. 3. Einsicht in die Organisation eines Architekten Wettbewerbs, der in Frankreich üblich ist, um einen Architekten für ein Projekt auszusuchen. Es ist sehr wichtig, daß der Projektleiter sich zu behaupten weiß, wenn es in den Kommissionen um die technische und finanzielle Beurteilung verschiedener Vorschläge geht und wenn es in der Jury um die Auswahl des Siegers geht, damit auch die Vorstellungen der letztendlichen Benutzer des Gebäudes in die Entscheidung einfließen 4. das Erlernen des Lesens der verschiedenen Pläne, die vom Architekten vorgelegt werden. Das reicht von den einfachsten (Skizzen) zu den komplexesten (die Unterlagen für die beteiligten Unternehmen) Plänen und enthält den globalen Vorentwurf ebenso wie den ausgearbeiteten Vorentwurf. Nur so besteht die Möglichkeit, sich geistig mit dem zukünftigen Gebäude vertraut zu machen, seine Funktionsweise zu studieren und, wenn nötig, die notwendigen Änderungen am Funktionsplan zu verlangen 5. die Verfolgung des Geschehens auf der Baustelle in seinen verschiedenen Phasen: Gerade der Innenausbau ist sehr wichtig für die Qualität der Leistungen und den Benutzerkomfort, der später geboten werden soll (Bodenbelag, Auswahl der Farben, Sonnen- und Lärmschutz, usw.) 6. die Planung der Ausstattung (Möbel und Materialwahl). Dieser Aspekt wird einen Bibliothekar wohl am wenigsten verwirren. Nichtsdestotrotz ist die Auswahl, wenn es sich um große Mengen Möbel für verschiedenste Bereiche handelt, nicht immer sehr einfach (welche Formen sollen gewählt werden, welche Farben harmonisieren am besten, etc.). Diese sechs grundsätzlichen Punkte geben einen Vorgeschmack auf die Vielfalt an Kenntnissen, die es schnell zu gewinnen gilt, auf den Grad der persönlichen und beruflichen Einbeziehung des Projektleiters und auf seine Fähigkeit, seine Angestellten in das Abenteuer des Bauvorhabens hineinzuziehen. Ein Bauvorhaben ist niemals nur die Sache eines - genialen - Einzelnen, sondern das Arbeitsergebnis einer Gruppe und das Resultat eifriger Arbeit. Um es den Projektleitern zu ermöglichen, ihrer Aufgabe gerecht zu werden, auf die sie in der Mehrheit nicht vorbereitet sind, organisiert die Abteilung Bibliotheken seit einem Jahr Intensiv-Seminare, in denen eine Woche lang Architekten, Ingenieure und Bibliothekare die oben genannten Fragen anschneiden. Ergänzungen der im „Guide de programmation des bibliotheques universitaires" gegebenen Informationen bietet ein 1993 erschienenes technisches Nachschlagewerk zu Bau, Erweiterung und Umbau von Universitätsbibliotheken1. Es handelt sich dabei um das erste Buch, das in Frankreich zu diesem Thema veröffentlicht wurde, und behandelt alle Aspekte eines Bauvorhabens einer Universitätsbibliothek: Benutzeranalyse, Einführung der beteiligten Gruppen, Entwicklung einer Methode zur Flächenplanung, Funktionalität des Gebäudes, architektonische Qualitäten, technische Zwänge, die sich aufgrund des Gebäudetyps ergeben, etc. Es enthält keine „Normen" im engeren Sinne des Wortes, sondern bietet verschiedene Wege zur Projektausarbeitung, erlaubt also jedem, die Angaben so in Flächen und Funktionsschemata umzusetzen, wie es seinen Bedürfnissen entspricht. Es ist für Frankreich auch wichtig zu verstehen, daß sich die Rolle des Staates in bezug auf die Universitäten und Universitätsbibliotheken geändert hat. Der Staat ist nicht mehr der einzige Unterhaltsträger. Er ist nur noch ein Partner, wenn auch ein wichtiger, da er die Genehmigung für die technische Planung und den globalen Vorentwurf noch erteilt. Aber er ist nicht mehr der Hauptpartner, da viele Vorhaben zum großen Teil von den lokalen Körperschaften finanziert werden, die somit auch die Bauherren sein werden. Die neue Welle der Neubauten von Universitätsbibliotheken läuft also sehr langsam, aber auch mit einer gewissen Sicherheit an. Viele Vorhaben befinden sich noch im Stadium der ersten Überlegungen und müssen noch in ein technisches Programm gefaßt werden. Nach und nach wird die Zahl der Architektenwettbewerbe steigen, und ein Teil der Projekte - wenn auch wohl nur die kleineren-, werden Mitte 1993 mit dem Bau beginnen, 1994 und 1995 werden viele folgen. Erste Ergebnisse des „Schema Universite 2000" auf Universitätsbibliotheken werden nicht vor Ende 1994 und in den darauffolgenden Jahren sichtbar werden, denn es bedarf 18 Monate bis 2 Jahre, um ein Gebäude zu bauen, und weiterer Monate, um es einzurichten und die Bestände zu überführen. Wirkliche Resultate der gegenwärtigen Bemühungen werden kaum vor dem Ende der ersten Phase des „Schema Universite 2000", also 1995, Sichtbarwerden. Der Umfang der Aufgabe in bezug auf die Gesamtheit der Universitäten und der ihnen zugehörigen Universitätsbibliotheken ist riesig. Es ist einfach unmöglich, in fünf Jahren das aufzuholen, was in zwanzig Jahren versäumt wurde, zumal die Zahl der Studenten unaufhörlich steigt. Im Jahr 2000 werden es etwa 1 800 000 sein, bei einer Steigerung um 60 000 bis 70 000 Studenten pro Jahr. Wollte man eineinhalb Quadratmeter Fläche pro Student bauen 2 , brauchte man im Jahr 2000 etwa 2 500 000 m 2 Fläche für die Universitätsbibliotheken, das ist ungefähr das Dreieinhalbfache dessen, worüber heute verfügt werden kann. Selbst wenn in Betracht gezogen wird, daß bis 1995 davon 200 000 m 2 realisiert werden, bleibt noch viel zu tun! 130 Gebäude sind in die Planungen noch überhaupt nicht einbezogen -von den Gebäuden der universitären Außenstellen einmal ganz abgesehen -, auch sie müssen eines Tages in die Planungen aufgenommen werden. Es handelt sich also hier um eine Arbeit, die nicht schnell abgeschlossen werden kann und die nur wirksam zu Ende geführt werden kann, wenn sich Staat und Gebietskörperschaften für viele Jahre festlegen und nicht nur für einen Zeitraum von fünf Jahren. Es muß mittel- und 1 Vgl. Construire une bibliotheque universitaire. De la conception ä la Realisation (Nr. 6 der Bibliographie). 2 Diese Zahl, auf die sich alle französischen Bibliotheken beziehen, hat jedoch nur hinweisenden Charakter. Denn je nachdem, ob es sich dabei um den Neubau einer Bibliothek handelt (die noch keinen eigenen Buchbestand hat) oder um eine Bibliothek, die über mehrere hunderttausend von Dokumenten oder mehr verfügt, würde man für eine identische Studentenzahl unterschiedlich große Gebäude bauen. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Bisbrouck- Das neue Förderprogramm für Universitätsbibliotheken in Frankreich (1991-1995) langfristig geplant werden können, denn nur so kann eine richtige Wirkung und eine wirkliche Änderung garantiert werden. 6. Construire une bibliotheque universitaire. De la conception ä la realisation. Sous la direction de MarieFrangoise Bisbrouck et Daniel Renoult. Paris 1993. Bibliographie 1. Rapport Vandevoorde. Les bibliotheques en France. Paris 1982. 2. Jean Gattegno, Denis Varloot: Rapport sur les bibliotheques ä Monsieur le ministre de l'Education nationale et Monsieur le ministre de la Culture. März 1985. Unveröffentlicht. 3. Andre Miquel: Les Bibliotheques universitaires. Rapport au ministre d'Etat, ministre de l'Education nationale de la Jeunesse et des Sports. Paris 1989. 4. Pierre Carbone: Les Bibliotheques universitaires. Dix ans apres le rapport Vandevoorde. In: Bulletin des bibliotheques de France 37 (1992) 4, S. 46-58. 5. Daniel Renoult: La Renovation des bibliotheques universitaires. Trois ans apres le Rapport Miquel. In: Le Debat (1992) 70, S. 129-142. 385 Anschrift der Autorin: Marie-Frangoise Bisbrouck - Direction de la Programmation et du Developpement universitaire Sous-Direction des bibliotheques 61-65, rueDutot F-75015Paris Anschrift der Übersetzerin: Antje Marx M.A. Kampenwandstr. 3 D-83059 Kolbermoor Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Wolfram Henning Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin Gutachten im Auftrag des Landes Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten. Februar 1993 (Kurzfassung) Berlin (3,5 Milllionen Einwohner) unterhält in 23 Bezirken 23 Bibliothekssysteme. Die meisten Hauptbibliotheken sind erheblich zu klein, Ostberlin hat eine Überzahl von zum Teil eng benachbarten Zweigstellen mit minimalen Nutzflächen. Nicht nur angesichts knapper Ressourcen sind Straffung und Stärkung unter Einbeziehung bezirksübergreifender Lösungen überfällig. Die vorliegende Kurzfassung eines Gutachtens enthält die wesentlichen Fakten und Reformvorschläge. Location of public libraries in Berlin Berlin (3,5 million inhabitants) maintains 23 library Systems in 23 districts. Most ofthe main libraries are far too small. In Eastern Berlin there is a too closely meshed ned ofadjacent subsidiary libraries with insufficient effective surfaces. Rationalization and concentration measures providing for an overall solution covering all districts are overdue - not only in view ofshort resources. The following abstract ofan expertise summarizes the relevant facts and proposals for reorganization. Les emplacements des bibliotheques municipales ä Berlin Berlin (3,5 million d'habitants) entretient 23 bibliotheques avec succursales dans 23 districts. La plupart des bibliotheques centrales est trop petite. A Berlin-Est il y a trop de succursales avec peu d'espace qui sont souvent ä proximite immediate d'autres succursales. Vue que les ressources deviennent de plus en plus rare il faut necessairement raidir et soutenir les bibliotheques en prenant en consideration des Solutions qui unissent plusieurs districts. Le sommaire present d'un rapport contient les faits et les propositions de reforme essentielles. 1 Auftrag und Vorgehensweise Zu untersuchen waren „die derzeitigen Bibliotheksstandorte besonders unter dem Aspekt der Standortüberschneidung, Bibliothekszusammenlegungen, Aufgabe unrentabler Standorte, Standortlücken, Reorganisation vorhandener Einrichtungen an guten Standorten etc. in Verbindung mit Dienstleistungsprofilen für Hauptund Stadtteilbibliotheken sowie bezirksübergreifenden Lösungsvorschlägen für eine Neustrukturierung des Berliner Bibliotheksnetzes." (Werkvertrag 1991) Die Untersuchung begann im November/Dezember 1991 (Bezirke Wedding, Kreuzberg, Mitte). Die Besuche der zwanzig weiteren Bezirke verteilten sich auf März/ April 1992 und auf August 1992. Pro Bezirk standen in der Regel 2-3 Tage zur Verfügung. Besucht wurden die öffentlich zugänglichen Bibliotheken der Bezirke. Interne Einrichtungen, z. B. in Schulen, waren vom Untersuchungsauftrag ausgenommen. Insgesamtwurden 214 Bibliotheken besucht, außerdem die Amerika-Gedenk-Bibliothek (AGB) und die Berliner Stadtbibliothek. Bibliotheksstatistik (für das Jahr 1991) und Berliner Statistik lieferten Grunddaten. Die Gespräche mit den Amtsleiterinnen und Amtsleitern aller Bezirke betrafen: - Allgemeine Einschätzung des Bezirks (demographisch, geographisch, Verkehr) - Betriebsergebnisse - Standortlücken, Standortüberschneidungen, Verhältnis zu Standorten angrenzender Bezirke - Herkunft der Besucher (aus welchen anderen Bezirken?) - Zumutbare Entfernungen zur Bibliothek - Bau-, Reorganisations- und Erweiterungsvorhaben - Hauptnutzfläche jeder Bibliothek. Zu jedem Bezirk wurde eine Mappe mit Materialien angelegt. Die Materialien, die nicht bereits im Gutachten verwendet wurden, wurden der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten bis zum 15.03.1993 übergeben. Insbesondere sind dies Notizen zu Räumen und Einrichtungsmerkmalen der besuchten Bibliotheken. Ebenfalls bis 15. März wurden dreiundzwanzig bezirkliche Pläne mit markierten Bibliotheksstandorten übergeben. Standards 2.1 Dienstleistungen moderner öffentlicher Bibliotheken Die „Materialien für ein Konzept zur Neuordnung des Berliner Bibliothekswesens" (Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten, 1992) spiegeln den aktuellen Stand der Fachdiskussion: - Hauptbibliotheken ermöglichen berufsbezogenes Lernen, bieten ein differenziertes Angebot an Informationsbeständen und -technologien, haben eine fest verankerte Veranstaltungstätigkeit, koordinieren aufsuchende Bibliotheksarbeit, fördern Lese- und Medienkultur. - Stadtteilbibliotheken bieten alte und neue Medien in zeitgemäßer Präsentation, profilieren sich durch stadtteilbezogene Veranstaltungs- und Informationstätigkeiten (Infothek). Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henning - Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin - Kinderbibliotheken akzentuieren Lesen, Medien, Information, bieten altersspezifische Kulturprogramme, Werkstattgespräche, Einführungsveranstaltungen in Bibliotheksbenutzung. - Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren sollen altersspezifische Angebote vorfinden. Dies alles ist auch eine Frage der Gebäude und ihrer Gestaltung. Ideen brauchen Räume. Öffentliche Bibliotheken sind öffentliche Orte. 2.2 2.2.1 Die wichtigsten Standards 387 Ort Einwohner (gerundet) Hauptnutzfläche Zentralbjtriiothek Köln 954.000 8.700 m3 Essen 627.000 9.000 ma Münster 253.000 6.400 m2 (1993) Saarbrücken 192.000 6.055 m2 (geplant) Heidelberg 140.000 4.693 m2 Reutlingen 100.000 4.9 1 m2 Gütersloh 80.000 4.400 m2 Aalen 63.000 3.870 m 2 . Fellbach 40.000 1.250 m2 Rotterdam 615.000 24.000 m2 Den Haag 445.000 14.486 m2 (geplant) Bordeaux 213.000 26.000 m2 NTmes 134.000 12.000 m2 (geplant) Villeurbanne 120.000 5.100 m2 Arles 50.000 4.200 m2 Annecy 50.000 3.000 m2 Bokoscsaba 72.000 6.448 m2 Flächenstandards Die Flächenstandards des Bibliotheksplans '73 sind heute nur noch bedingt aussagekräftig. Sie arbeiten einerseits mit einem sehr großzügigen Achsabstand von 2,80 m zwischen benachbarten Regalen, treffen andererseits keine Aussagen zum Platzbedarffür Dienstleistungen, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten entwikkelt haben. In der Praxis bewährt hat sich eine Maßzahl, nach der die Staatlichen Fachstellen für Öffentliche Bibliotheken in Baden-Württemberg vorgehen: Eine Bibliothek mit 10 000 Medieneinheiten (ME) benötigt eine Hauptnutzfläche (HNF) von 300 m2. Bei größeren Beständen wächst der Flächenbedarf leicht unterproportional, da sich nicht alle Teilflächen in gleicher Weise vervielfachen. Unter Bezug auf die Materialien zum Berliner Bibliotheksentwicklungsplan seien folgende Standards empfohlen: - Typ A, z. B. 32 500 ME: 850-1 000 m2 HNF - Typ B, z. B. 15 000 ME: 400-450 m2 HNF - Typ C (vom Gutachter vorgeschlagene große Zweigstelle), z. B. 50 000 ME: 1 300-1 500 m2 HNF - Hauptbibliothek, 130 000 ME: 4 000 m 2 HNF Alle vier Beispiele beziehen sich auf kombinierte Bibliotheken für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Große Zusatzabteilungen, wie z. B. die Musikbibliothek als Teil einer Hauptbibliothek, müssen extra berechnet werden. Für den Ausnahmefall einer eigenständigen Kinderbibliothek gilt: - Kinderbibliothek, 25 000 ME: 650-750 m2 HNF Für eine Hauptbibliothek, die als Schwerpunkt- (oder Regional-)bibliothek ausgebaut wird, also explizit bezirksübergreifende Aufgaben übernimmt, gilt: - Schwerpunktbibliothek, 350 000 ME (Kuhlmann-Gutachten von 1988): 9 000-10 000 m 2 HNF Die Zahl der Medieneinheiten wird in Deutschland von der Einwohnerzahl (EW) abhängig gemacht: - 2 ME pro EW (KGSt-Gutachten 1973) 2,5 ME pro EW (Materialien zum Berliner Entwicklungsplan) 3 ME pro EW (Vorschlag des Gutachters, damit Berlin nicht von der allgemeinen Entwicklung überholt wird). 2.2.2 Vergleiche Neuere bundesdeutsche und europäische Vergleiche ergeben für großstädtische Zentralbibliotheken (den Berliner Hauptbibliotheken entsprechend) folgendes Bild: In Berlin sind nur 2 geplante Hauptbibliotheken mit dieser Entwicklung vergleichbar (also nicht eine einzige von den bestehenden): Friedrichshain 107.679 4.000 m2 (geplant) l Spandau 224.431 7.430 m2 (geplant) | 2.2.3 Radius des Einzugsgebiets Aus Fachliteratur und Berliner Studien (Bezirke Wedding, Spandau, Wilmersdorf) ergeben sich: - Eine Zweigbibliothek kann 1,5 km „of the most residents" entfernt liegen (Internationaler Bibliotheksverband). - Eine größere Bibliothek (Hauptbibliothek) kann, bei günstigen Verkehrsverhältnissen, 4 km und mehr entfernt liegen. Noch größer dürften die Entfernungen für Schwerpunktbibliotheken sein; hier könnte die Analyse des Einzugsbereiches der AGB näher Auskunft geben. - Für Kinder und alte Menschen wird z. T. ein Radius gefordert, der unter 1,5 km liegt. Der Entwurf zum Berliner Bibliotheksentwicklungsplan spricht von 800 m Luftlinie zwischen Kinderbibliothek und entferntester Wohnung des Einzugsbereichs. Geht man von der kombinierten Bibliothek für Erwachsene und Kinder aus, was ich aus Gründen wie Bestandsaufbau, Personaleinsatz und Öffnungszeiten nachdrücklich empfehle, gilt die oben genannte Entfernung für Zweigbibliotheken. Die Standorte der Zweigbibliotheken müssen zentral, verkehrssicher und mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein. - Für Kinder und andere weniger mobile Bevölkerungsgruppen sind die im Gutachten, S. 13, genannten kompensatorischen Maßnahmen zu beachten. Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 388 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henning-Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin Ist-Stand - Innerbezirklich Starke Hauptbibliotheken, wenige, aber große Zweigbibliotheken - Bezirksübergreifend Bezirksübergreifend kann die Planung neuer Hauptbibliotheken sein (z. B. Köpenick,Treptow, beide Bezirke haben keine Hauptbibliothek). Durch Zusammenlegung von Bezirken (Stichwort: Verwaltungsreform) könnte eine große Hauptbibliothek die Funktion übernehmen, die bisher zwei oder mehrere Bibliotheken hatten -z. T. in Größenordnungen, die sie für die Weiterverwendung als ausgebaute Zweigbibliotheken qualifizieren. - Schwerpunkt-(Regional-)bibliotheken Sie können durch die beiden unter „Bezirksübergreifend" dargestellten Maßnahmen entstehen. - Fahrbibliotheken Fahrbibliotheken können innerbezirklich oder bezirksübergreifend - je nach notwendiger Zahl der Haltepunkte anstelle unrentabler (oder auch derzeit noch fehlender) Zweigbibliotheken eingesetzt werden. Dieser Service fehlt z. Zt. in Ostberlin ganz. - Berliner Zentralbibliothek durch Vereinigung von Stadtbibliothek und AGB im Palast der Republik. - Verflechtung mit der Region bedeutet, daß Bestände und Baumaßnahmen nicht ausschließlich an der Bevölkerungszahl Berlins gemessen werden können. Alle siebzehn vorhandenen Hauptbibliotheken liegen unter dem erforderlichen Flächenstandard. Sechs Bezirke sind ohne Hauptbibliothek. (Beim Vergleich der Hauptbibliotheken ist zu beachten, daß Prenzlauer Berg und Mitte vorerst reine Erwachsenenbibliotheken sind und in den Flächen von Steglitz und Neukölln die Musikbibliotheken enthalten sind.) Von 175 erfaßten Zweigbibliotheken kommen 122 über die fachlich sinnvolle Mindestgröße von 300 m2 nicht hinaus, das sind 70%. Von diesen wiederum liegt ein Viertel unter 100 m2. (Das Ergebnis bessert sich geringfügig, wenn die wegen Asbestsanierung geschlossenen Mediotheken wieder geöffnet sind.) Zum Vergleich: Frankfurt am Main hat bereits im Büchereientwicklungsplan von 1972 eine Mindestgröße von 500 m 2 für Zweigstellen vorgesehen, bezogen auf einen Einzugsbereich von 20 000 Einwohnern. 4 Strukturprogramm 4.1 Leitlinien Die Vorschläge des Gutachters zielen auf Straffung und Stärkung der Berliner Öffentlichen Bibliotheken. Die Strukturen sind in folgender Weise zu straffen: Bezirk (EW-Zahl) Mitte (79.802) HauptbibKöthek: Fläche (m2) IST 1.600 E geplant: 2100 E + K Zahl der Stadtteilbibliotheken unter 100 m - 2 300-750 m2 750-1 000 m2 1000-1500 m2 ohne Angabe insgesamt 4 5 - - - 10 1 3 - - - 5 • • • 4 100-300 m 2 Tiergarten (95.044) 835 E + K Wedding (165.053) 900 E + K geplant: 1 .700 E - 1 2 2.208 E 1 10 2 - - - 14 1 12 - - - . 13 Prenzlauer Berg (143.730) Friedrichshain (107.697) ./. Kreuzberg (154.219) 1.153 E + K - 3 2 - ... 6 Charlottenburg (185.087) 1.039 E + K . 5 2 1 - - 9 Spandau (222.431) 1.300 E + K 2 4 1 1 - - 9 Wilmersdorf (146.842) 2.049 E + K - 4 1 - - 6 Zehlendorf (98.489) 1.180 E + K - 1 - . 1.708 1 3 1 . . - 6 1.910 E + K 1 - 2 - - . 4 Tempelhof (187.800) 32.00 E + K - 4 2 . - . 7 Neukölln (307.315) 1.705 E + K 1 • 4 . - 1 7 Treptow (102.71 6) ./. 4 7 1 . . 1 13 Köpenick (109.172) ./. 6 6 2 - . 14 2 . 10 - - 10 10 Schöneberg (156.203) Steglitz (190.349) - 2 Lichtenberg (166.895) 2.259 E + K 1 5 1 .. . Weissensee (51.639) ./. 7 3 - - Pankow(107.175) 1.050 E + K 4 5 - . - - Reinickendorf (249.437) 2.820 E + K - 3 1 - 2 1 8 Marzahn (167.078) 2.830 E + K 1 1 3 1 - - 7 Hohenschönhausen (1 1 8.781 ) ./. 1 2 2 - 1 2 8 Hellersdorf (121.988) ./. 1 6 - . . 3 10 32 90 37 3 5 8 192 23 Bezirke (3.434.942 EW) Tab.: Flächenausstattung der bezirklichen Bibliotheken (Stand: Dezember 1992) Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 389 Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henning - Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin 4.2 Hauptbibliotheken Für den Bezirk Mitte sei dringend empfohlen, die Hauptbibliothek für Erwachsene (z. Zt. zum Teil fertiggestellt) um die beantragte zentrale Kinderbibliothek mit einer Hauptnutzfläche von 500 m2 zu ergänzen. Dann ließe sich von einer wirklich richtungsweisenden Umstrukturierung eines Ostberliner Bezirks sprechen. Von großer Bedeutung auch für die Gesamtstadt ist die Realisierung von Spandau mit einer Hauptnutzfläche von 7 430 m 2 laut vorliegendem Raumprogramm. Mit diesem Vorhaben wird Berlin den Anschluß an die westdeutsche Entwicklung finden. Weitere großzügige Lösungen in anderen Teilen der Stadt sind leichter durchsetzbar, wenn es ein lokales Vorbild gibt. Ohne Hauptbibliothek sind die Bezirke Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Weissensee, Hohenschönhausen, Hellersdorf. Dies sind zugleich Bezirke mit besonders zersplitterten Zweigstellennetzen (Ausnahme Hohenschönhausen). In diesen sechs Bezirken sollten unbedingt Hauptbibliotheken errichtet werden. Geht man vom einzelnen Bezirk aus, dann gilt: 130 000 ME, 4 000 m 2 HNF Zusammenlegungen sind dann wirklich sinnvoll, wenn Bestand, Fläche und zentraler Standort die Voraussetzungen für eine Schwerpunktbibliothek bilden: 350 000 ME, 9 000 -10 000 m 2 HNF Schwerpunktbibliotheken dieser Größenordnung rechnen sich im Grunde überall, wo durch Verwaltungsreform und guten Standort wenigstens 200 000 Menschen versammelt werden: bei drei Medieneinheiten pro Einwohner sollte etwa die Hälfte dieser Bestände sich an einem Ort befinden (zuzüglich Sonderdienste, z. B. Musikbibliothek). Am leichtesten durchsetzbar erscheinen sie dort, wo Strukturen noch offen sind, etwa in Köpenick + Treptow, in Hohenschönhausen + Weissensee + Pankow; notwendig aber auch dort, wo vorhandene Hauptbibliotheken nicht oder nicht ausreichend erweiterbar sind, z. B. in Charlottenburg + Wilmersdorf, in Steglitz + Schöneberg + Zehlendorf. Um zwei Extreme darzustellen: 23 Hauptbibliotheken zu je 4 000 m 2 ergeben insgesamt einen Bedarf von 92 000 m2. Würde man, angelehnt an Systeme großer Großstädte, diese Fläche auf 4-6 Topstandorte verteilen, wäre der Nutzen für die Bevölkerung größer und der Einsatz an Personal- und Sachmitteln wirtschaftlicher. Die meisten der sogenannten heutigen „Hauptbibliotheken" könnten als Zweigbibliotheken sinnvoll weitergenutzt werden. Wenn diese große Lösung politisch nicht zu erreichen ist, wird man „Punktsanierung" treiben müssen, d. h., nach den Bezirken ohne Hauptbibliothek wären Bezirke mit besonders unzureichenden Hauptbibliotheken (Fläche, z. T. auch Haus und Einrichtung) zu berücksichtigen -Tiergarten, Kreuzberg, Charlottenburg, Pankow. Die schon vor dem November 1989 unzulängliche Situation in Kreuzberg hat sich dadurch verschärft, daß ein Westberliner Randbezirk nun eine zentrale Stellung in der Gesamtstadt hat. Projekte in Bau, in Reorganisation oder in einem konkreten Planungsstadium sind weiter zu verfolgen, sofern sich keine der skizzierten größeren Lösungen auftut, (s. a. Kap. 4.4 Investitionsplanung) 4.3 Stadtteilbibliotheken Zusammenlegung ohne Baumaßnahmen Mitte: Bertolt Brecht, Kinderbibliothek (K) wird kombinierte Bibliothek Trennung ohne Baumaßnahmen Tempelhof: Lichtenrade, kombinierte Bibliothek sollte Erwachsenenbibliothek (E) werden Schöneberg: Dehlerbücherei, kombinierte Bibliothek sollte Kinderbibliothek werden Zusammenlegung in Verbindung mit Baumaßnahmen: Mitte: Ludwig-Renn-Bibliothek (K) soll kombiniert und baulich erweitert werden Prenzlauer Berg: Erich-Weinert-Str. ist, in Verbindung mit Umzug, in Zukunft kombiniert Friedrichshain: 1 neue kombinierte Bibliothek kann 4 kleine Einrichtungen ersetzen (Gutachten, S. 38) Spandau: Staaken l und Staaken II sollten durch einen Standort ersetzt werden Wilmersdorf: Planung des Bezirks, Rathenau-Bücherei (E) und Halensee (K) zusammenzuführen; die Trennung von Hauptbibliothek und Hauptkinderbibliothek (im gleichen Gebäude!) soll aufgehoben werden Köpenick: Oberschöneweide und Friedrichshagen benötigen kombinierte statt z. Zt. getrennte Einrichtungen Marzahn: Biesdorf benötigt 1 kombinierte statt z. Zt. getrennter Einrichtungen Vorschläge für Schließung in Zusammenhang mit Baumaßnahmen an anderer Stelle Mitte: Tucholsky-Bibliothek (E), Griebenowstr. (E) wegen neuer Hauptbibliothek und Verlagerung der Bestände. Rodrian-Bibliothek (K), Griebenowstr. (K) und Lazar-Bibliothek (K), falls die Hauptbibliothek um eine zentrale Kinderbibliothek ergänzt wird Schöneberg-Nord: Falls Tiergarten, Lützowstr., durch einen Neubau an der Nahtstelle zu Schöneberg ersetzt wird Tiergarten: 1 Hauptbibliothek in der Turmstraße machte die kombinierten Bibliotheken in der Perleberger Straße und der Rostocker Straße sowie die Kinderbibliothek in der Turmstraße überflüssig Prenzlauer Berg: Die Phonothek könnte in die Hauptbibliothek eingebaut werden Friedrichshain: Kommt die geplante Hauptbibliothek, werden von 4 Erwachsenenbibliotheken im Bereich Frankfurter Allee 3 überflüssig, ebenso 1 von 2 Kinderbibliotheken in diesem Bereich Kreuzberg: Die Kernel-Bibliothek ist zu integrieren, falls eine größere Hauptbibliothek kommt Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM 390 Charlottenburg: Zehlendorf: Tempelhof: Treptow: Köpenick: Weissensee: Pankow: Hellersdorf: Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henning - Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin Die Musikbibliothek ist zu integrieren und zu vergrößern, falls eine größere Hauptbibliothek kommt Schließung der Argentinischen Allee, falls die Räume der amerikanischen Bibliothek verfügbar werden und in deren Einzugsbereich eine deutsche Klientel „nachrückt" Mariendorf benötigt eine große Lösung statt zweier kleiner Bibliotheken Das Lesecafe „Come In" sollte in die künftige Hauptbibliothek integriert werden. Wenn die fehlende Hauptbibliothek kommt, können etwa 5 Bibliotheken wegfallen; welche das sind, hängt von der Lage der Hauptbibliothek ab; die verbleibenden kleinen Zweigstellen sollten durch kombinierte Lösungen ersetzt werden Grünau(E + K)kannentfallen,fallsdie künftige Treptower Hauptbibliothek gut erreichbar ist; südlich des Bahnhofs kann eine neue HauptbibliothekB von 6 Zweigstellen ersetzen Eine neue Hauptbibliothek würde 7 von 10 Einrichtungen überflüssig machen; Blankenburg und Karow brauchen aber je eine große kombinierte Zweigstelle Eine leistungsfähige Hauptbibliothek könnte folgende Einrichtungen ersetzen: Thulestr. (E), Thulestr. (K), Borkumstr., Damerowstr.; u. U. Blankenburger Str. (K) und Niederschönhausen (E) Die Standorte Suhler Str. und Stendaler Str. 74 werden entbehrlich, falls die künftige Hauptbibliothek an der U-Bahn-Station Hellersdorfer Str. liegt; vgl. im übrigen die Skizze der Amtsleitung zur Neustrukturierung des Bezirks Vorschläge für ersatzlose Schließung (Anmerkung: Andere Standorte durch Umsetzung von Personal und Beständen verstärken!) Prenzlauer Berg: Schönhauser Allee 175 Greifswalder Str. 225 Artur-Becker-Str. (E) Rudolf-Schwarz-Str. (K) Esmarchstr. 18 Artothek Rietzestr. (falls kein Etat für Originalgraphik) Kinderbibliothek Rietzestr. (Integration in Hauptbibliothek?) Dimitroffstr. (K) Kreuzberg: Glogauer Str. (E) Charlottenburg: Süd Nord Spandau: Wilhelmstadt Schöneberg: Lindenhof (Nähe Fahrbibliothekshaltepunkt Tempelhof) Treptow: Artothek (falls kein Etat für Originalgraphik) Köpenick: 7 Raben (K) Lichtenberg: Reinickendorf: Marzahn: Wongrowitzer Steig (K) Fürstenwalder Allee Weissenseer Weg Skandinavische Straße (E) Wönnichstr. (K) (falls nicht erweiterbar) Kaskelstr. Passage (800 m zur Bodo-Uhse-Bibliothek) Heiligensee Alt-Marzahn (falls nicht allgemeine kulturpolitische Gründe dagegensprechen) Neubau/Ersatz bestehender Bibliotheken Ersatz unzureichender Zweigstellen: Tiergarten (Lützowstr.) Wedding (Müllerstr.) Prenzlauer Berg (Hufelandstr., K) Spandau (Haselhorst) Neukölln (Köllnische Heide) Lichtenberg (Karlshorst) Pankow (Buch) Schließung von Standortlücken Zehlendorf (Wannsee) Steglitz (Lichterfelde-West, Südende) Neukölln (Rudow) Hellersdorf (s. Skizze der Amtsleitung zur Neustrukturierung des Bezirks) Reorganisation (z. T. mit Erweiterung) Oranienstr. Kreuzberg: Wilmersdorf: Fontäne-Bibliothek, Armstrong-Bibliothek (für Ende 1993 vorgesehen) Steglitz: Lankwitz Mediothek Dessauer Str. (Erweiterung auf 830 m 2 ) Beendigung Lichtenfelder Provisorium, damit Nutzfläche von 830 m 2 wieder verfügbar wird Lichtenberg: Bodo-Uhse-Bibliothek Anmerkung: Ein außerordentlich großer Teil der Berliner Bibliotheken ist reorganisationsbedürftig; meist sind die fachlich vertretbaren Nutzflächen aber so stark unterschritten, daß Reorganisationsmaßnahmen nur Alibi-Wirkung haben können. 4.4 Investitionsplanung 1993-1997 Kreuzberg: 3 Mio. DM Erweiterung der Stadtteilbibliothek Oranienstr. Baubeginn 1996 Bau eines Kulturobjektes Roßstr. Mitte: mit Galerie, Cafe, Schulmuseum und Bibliothek 1997: 7 Mio. DM 1998: 23 Mio. DM Die Summe bezieht sich auf das Gesamtobjekt. Eine Teilangabe ist z. Zt. nicht möglich Erweiterung der Hauptbibliothek Pankow: 10 Mio. DM 1996 Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM Bibliothek 17.1993. Nr. 3 Henning - Die Standorte der Öffentlichen Bibliotheken in Berlin PrenziauerBerg: Neubau einer kombinierten Bibliothek (E/K) am Wasserturm 1997 Baubeginn: 4 250 000 DM Komb. Bibliothek Erich-Weinert-Str. 72-74 / Baubeginn 1993; wird durch einen privaten Bauträger mit Wohnungen errichtet. In der Investitionsplanung sind beim Kapitel 3760 - 81279 nur 90 000 DM für die Erstausstattung vorgesehen Spandau: Hauptbibliothek 1997: 8 Mio. DM (Baubeginn) 1998:51 Mio. DM Steglitz: Erweiterung und Umbau der Hauptbibliothek Grunewaldstr. 2 Mio. DM 1997 (Teilansatz nur für Stützungsmaßnahmen) Treptow: Umbau der ehemaligen Hilfsschule Dörpfeldstr. (Adlershof) zur PeterKast-Bibliothek 1994: 2 Mio. DM 1995: 2 Mio. DM Anbau Friedrich-Wolf-Bibliothek 1997: 700 000 DM 9,3 Mio. DM in den Folgejahren Weissensee: Neubau eines Kulturobjektes am Danewend-Platz (Karow) 1997: 4 Mio. DM 1998: 2 Mio. DM Auch diese Summe bezieht sich auf das Gesamtprojekt mit einer Kinderund Erwachsenenbibliothek Zehlendorf: 3,6 Mio. DM Erweiterung der Hauptbibliothek (240 m2) 1995/1996 In neun von dreiundzwanzig Bezirken sind demnach zwischen 1993 und 1997 Baumaßnahmen geplant. Auch wenn die Anmeldung zur Investitionsplanung noch keinen tatsächlichen Baubeschluß garantiert, wird doch deutlich, daß die insgesamt problematische Situation nicht statisch zu sehen ist. Dies wird vom Gutachter begrüßt. Betrachtet man die Hauptbibliotheken, so sticht die oben gewürdigte Spandauer Planung hervor. Wenn es in Zehlendorf lediglich um eine Erweiterung von 240 m 2 geht, so fällt dies unter Fortschreibung des unzulänglichen bestehenden Zustandes. Die Bezirke ohne Hauptbibliotheken bleiben in ihrer unzulänglichen Situation stecken. Von der Konzeption interessant erscheint der Bau eines Kulturobjektes im Bezirk Mitte. Die Erweiterung der Oranienstraße ermöglicht eine Verbesserung der dortigen, intensiv quartierbezogenen Arbeit. 4.5 Fahrbibliotheken Im Westen der Stadt sind die Fahrbibliotheken bezirksweise organisiert (Neukölln, Reinickendorf, Spandau, Steglitz, Tempelhof und Zehlendorf). In den östlichen Bezirken ist die Versorgung, die früher zentral von der Berliner Stadbibliothek aus betrieben wurde, ersatzlos eingestellt worden. Dadurch entfielen Haltepunkte in Hellersdorf, Köpenick, Lichtenberg, Marzahn, Treptow und Weissensee. 391 Die Vorschläge des Gutachters machen eine Reorganisation der Fahrbibliotheken erforderlich, sonst führt insbesondere die Straffung des Zweigstellennetzes zu sozialen Unverträglichkeiten. Auch hier sollte man bezirksübergreifend vorgehen. Z.B. könnten Treptow und Köpenick, Schöneberg und Tempelhof (nach einer vorgeschlagenen Zweigstellenschließung in Schöneberg), Reinickendorf und Pankow gemeinsame Systeme betreiben. Strebt man (wie im Fazit des Gutachtens vorgeschlagen) für Berlin „divisions" an, sollten die Fahrbibliotheken in dieses Organisationsmodell integriert werden. Vordringlich erscheint der Fahrbibliothekeneinsatz in Bezirken mit großer Fläche und geringer Bevölkerungsdichte sowie in isolierten Quartieren ohne Hinterland (z.B. Teilbereiche in Schöneberg und Köpenick). Schulen und Kindergärten sollten bevorzugte Haltepunktesein. 5 Fazit Ohne ein umfassendes Bauprogramm kann die im bundesdeutschen Vergleich beschämende und beklemmende Berliner Bibliothekssituation nicht wirksam verändert werden. Priorität sollte die Errichtung der 6 fehlenden Hauptbibliotheken haben, sodann die Neustrukturierung stark zersplitterter Zweigstellennetze. Nach dem Prinzip der „continual revision" sollten die übrigen Mängel angegangen werden. Alle neu eingeleiteten Maßnahmen sollten sich auf die dargelegten fachlichen Standards beziehen. Soweit politisch und verwaltungsmäßig möglich, sollte die Planung im Rahmen bezirklicher Grenzen durch bezirksübergreifende Maßnahmen und Einbindung in die Regionalplanung überwunden werden. Straffung und Stärkung bedeutet: Dezentrale, bürgernahe Bibliotheksangebote dürfen nicht „wegrationalisiert" werden, ihre Gestaltung muß jedoch effektiver und attraktiver erfolgen. Dazu gehört, das durch Schließungen freiwerdende Personal so umzusetzen, daß an den besonders wichtigen Bibliotheksstandorten Angebote und Öffnungszeiten verbessert werden können. Die Leitungsaufgabe der Zukunft heißt: Vernetzung statt zentraler Führung. Die Bibliothekssysteme von einer zentralen Stelle aus führen zu lassen, womöglich durch die Mega-lnstitution Berliner Zentralbibliothek, erscheint mir nicht zukunftsweisend. Nicht allein die EDV zeigt, daß Vernetzung beweglicher sein kann als ein aufgeblähter Apparat. In Anlehnung an englische Modelle (County Library System) könnten mehrere Bezirke gemeinsam eine „division" bilden, die für ihre Angelegenheiten weitgehend selbständig verantwortlich ist. Eine von den Bezirken unabhängige Direktion, die der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten untersteht, steuert das System gemeinsam mit dem Führungspersonal der „divisions". Anschrift des Autors: Prof. Wolfram Henning Fachhochschulefür Bibliothekswesen Stuttgart Feuerbacher Heide 38-42 D-70192 Stuttgart Unauthenticated Download Date | 8/22/17 12:08 AM