Mozart und ich sind gut befreundet

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DIALOGE 2014
S A M S T A G, 2 2 . N OV EM BER 2 0 14
Genie und Kindskopf in Schrift und Noten
Es ist ein typisches Notenblatt aus Mozarts Hand. Scheinbar mühelos ist die Skizze zu
einem Kyrie in D hingeworfen. Der obere Rand ist mit Höflichkeitsfloskeln beschrieben
und an der rechten Kante sind jede Menge 3er-Ziffern gekritzelt. Das Blatt ist eines von
etwa 60 autographen Entwürfen Mozarts, die in der Stiftung Mozarteum Salzburg verwahrt werden und bloß Fragment blieben. Sie dokumentieren, dass es selbst bei einem
Genie wie Mozart Brüche, Ungelöstes, Unvollkommenes gibt.
Nach Manfred Trojahn und Georg Friedrich Haas erweckt nun Peter Eötvös gleich neun
Bruchstücke zu klingendem Leben, darunter auch jenes Kyrie in D KV 166g (Anh. 19),
das Mozart vermutlich im Juni 1773 in Salzburg komponiert hat. Eötvös verarbeitet die
Fragmente in seinem Werk „da capo“ und tritt in einen Dialog mit Mozart. „Ich gehe
von Mozart aus, ich beginne zu wandern und dann kehre ich doch zurück, ich komme
und gehe, und dann machen wir die nächste Runde – in diesem Sinne: da capo.“
Bei Führungen im Autographenkeller der Stiftung Mozarteum Salzburg werden handschriftliche Skizzen Mozarts gezeigt, ebenso wie etwa jene Briefe, die Eötvös seiner
Komposition „Korrespondenz“ zugrunde legte. So wie Mozart in seinen Kompositionen
immer wieder aus dem ästhetischen Korsett ausbrach und in die Zukunft hören ließ,
suchte er auch in seinen sprachlichen Äußerungen die Entgrenzung. Mozarts Briefe
offenbaren allerdings nicht selten einen recht spielerischen, oft kindischen Charakter,
der die Flexibilität der Sprache auszuloten versucht.
BILD: SN/STIFTUNG MOZARTEUM SALZBURG
Fred Eerdekens, „and a silent voice and a solid space“, 2014, wood, plaster, copper, light source,
62 x 31 cm, collection of the artist.
„Mozart und ich sind gut befreundet“
Der ungarische Dirigent und Komponist Peter Eötvös (*1944) erzählt im Interview über seine Beziehung zu Mozart,
seine Muttersprache und wie ihm selbst ein Streichquartett zur Oper gerät.
Peter Eötvös gilt als einer der bedeutendsten
zeitgenössischen Dirigenten und Komponisten. In den 1970er-Jahren gehörte er dem
Kreis der Stockhausen-Schüler an. Von 1978
bis 1991 leitete er das neu gegründete Ensemble intercontemporain. 1998 profilierte er
sich mit seiner Oper „Drei Schwestern“ als
ein großer Opernkomponist unserer Zeit.
SN: Wie erklären Sie sich den Umstand,
dass vier der bedeutendsten Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts,
nämlich Béla Bartók, György Ligeti,
György Kurtág und Sie, gewissermaßen
aus demselben Landstrich stammen?
Eötvös: Was den Geburtsort betrifft, ist das
reiner Zufall. Aber wie sich das danach entwickelt hat, ist interessant. Bartók hatte eine
sehr offene, in seiner Zeit wirklich ungewöhnlich breite Sicht. Er war Ungar und zugleich Weltbürger.
Ligeti und Kurtág sind in Transsilvanien,
in einer multikulturellen, mehrsprachigen
Situation aufgewachsen. Beide kamen nach
dem Krieg nach Budapest und wollten bei
Bartók studieren, aber Bartók war schon tot.
Ligeti ist 1956 nach Österreich gegangen.
Kurtág blieb sehr lang in Ungarn . . .
Meine Situation ist wieder eine andere,
weil ich in Transsilvanien nur geboren
wurde. Ein paar Monate nach meiner Geburt
kamen die Russen und wir mussten das Land
verlassen. Nach dem Krieg kehrten wir nach
Ungarn zurück. Als ich in der Schule erzählt
habe, dass ich in Transsilvanien geboren bin,
war das etwas Spezielles, weil Transsilvanien
damals schon zu Rumänien gehörte. Als ich
geboren wurde, war es noch Ungarn.
Auf diese außergewöhnliche Stellung war
ich irgendwie stolz . . . Später, während der
Jahre an der Budapester Musikakademie,
habe ich schließlich eine transsilvanische
Volksmusiksammlung gefunden – instrumentale Volksmusik. Das hat mich überwältigt: so unglaublich schön, wunderbar reich –
ich war begeistert. Seither habe ich eine
starke „Heimatbeziehung“ zu dieser Musik.
Farbe, seinen eigenen Klang, sein eigenes
Tempo. Dann kommt noch die Sprache dazu.
Die Sprache entscheidet diese Parameter mit.
Je mehr bestimmt ich bin, desto freier
fühle ich mich. In der Komposition die Noten
zu schreiben, das ist die allerletzte Phase. Ich
muss zuerst alle anderen Angaben wissen,
auch wie viele Proben, welche Kleider, welches Licht . . . Erst dann kann ich die Töne
notieren – und nicht umgekehrt. Diese
Bestimmtheit gibt mir, auch wenn das anachronistisch klingt, Freiheit.
SN: Inwiefern hatten und haben die
drei Komponistenkollegen Einfluss
auf Ihr Komponieren?
Meine Muttersprache ist Bartók. Ich habe
Bartók schon als Kind am Klavier gespielt. Ich
hatte das Glück, dass mich mein Klavierprofessor damals Mozart, Bach und Bartók
spielen ließ. Deswegen war die Musik von
Bartók – auch später als Dirigent – für mich
immer ganz natürlich.
Sehr starke Beziehungen hatte ich auch zu
Kurtág und Ligeti. Musikalisch gesehen habe
ich bei Ligeti immer darauf geachtet, dass ich
möglichst nichts von ihm übernehme. Bei
Kurtág war es ein interessantes Hin und Her.
Wenn ich etwas komponiert habe, hat er darauf reagiert. Oder er sagte mir, was er komponiert hat, dann habe ich etwas aufgegriffen – nicht übernommen! Dieser permanente
musikalische Dialog war sehr bereichernd.
Es ist bei Ligeti und bei Kurtág wie bei Bartók:
Ihre Musik spreche ich wie meine eigene –
oder vielleicht noch besser.
SN: Als ein zentrales Werk der Dialoge
ist Ligetis „Nouvelles Aventures“
programmiert. Inwiefern war das
für Sie von Bedeutung?
Ich würde fast sagen, es ist das beste Stück
von Ligeti, weil es ein Fenster in der Opernliteratur geöffnet hat. Obwohl Ligeti darin
eine Unsinn-Sprache verwendet, kann jeder
verstehen, was gesagt wird. Die Instrumentation ist einmalig, die Behandlung der Sänger
Peter Eötvös
BILD: SN/ISM, MARCO BORGGREVE
ist einmalig: Das ist ein Diamant in der
Operngeschichte. Für mich bedeutete es eine
Befreiung.
SN: György Ligeti war Synästhetiker,
er verband Bilder, Farben und Formen
mit Bewegungen und Musik –
ist Ihnen diese Wahrnehmungsgabe
auch gegeben?
Ja, das empfinde ich auch . . . Wenn ich zu
komponieren beginne – besonders in der
Oper –, sind das Bilder, optische Gestalten
und Farben, die in Klang umgesetzt werden.
Bei einem Opernprojekt entscheiden wir zuerst das Sujet, dann schauen wir, welche
Charaktere passen. Diese Charaktere werden
früh mit bestimmten Sängern besetzt. Dann
weiß ich, welche Instrumentation ich mache.
Die Instrumentation, die ich ganz am Anfang entscheide, ändert sich später nicht
mehr. Das ist der Ausgangspunkt. Ich kann
das nur auf ein „malerartiges“ Denken
zurückführen. Jedes Sujet hat seine eigene
SN: Was reizt den Komponisten Peter
Eötvös am Text? Ist es der Wortsinn
oder ist es „bloß“ das Klangmaterial,
das beim Sprechen eines Textes
entsteht?
Das ist unterschiedlich. Es gibt zwei, drei
Stücke bei mir, die mit Nonsens-Sprache
arbeiten. Nonsens zu vertonen ist aber
schwierig, weil ich selbst erfinden muss, was
passieren soll. Da hilft nur der phonetische
Inhalt, in welche Richtung man mit dem
Klang gehen kann.
Umgekehrt – wenn der Text sehr konkret
ist – ist die Gefahr größer, dass man in die
Illustration gerät. Gleichzeitig gibt es bei konkreten Texten einen reicheren Inhalt. Da ist
das Land, in dem ich zu bauen beginne, weiter. Nonsens ist gut, konkret ist noch besser.
SN: In welchen Sprachen fühlen Sie
sich musikalisch besonders gut
aufgehoben?
Dort, wo sich die Sänger wohlfühlen. Ideal
sind Russisch und Italienisch, weil beide
Sprachen sehr offene Vokale und sehr starke,
klare Konsonanten haben. Das Russische ist
besonders schön, weil es noch reichere Konsonanten hat als das Italienische, geräusch-
Sprache, Material, Licht und Schatten – das sind die Ingredienzien, aus denen der belgische
Künstler Fred Eerdekens (*1951) seine charakteristischen skulpturalen Objekte formt. Die
kunstvoll verschlungenen Drahtgebilde werden durch das Spiel mit dem Licht zum Leben
erweckt: Sie werfen Schatten und verwandeln sich zu Wortfetzen und Textfragmenten.
Neben den poetischen Schattenspielen, die die Vieldeutigkeit alles Sprachlichen thematisieren, werden auch Klanginstallationen mit Mozart’schen Sprachspielereien die Dialoge „Wort“
begleiten. Wie die Übersetzung von Wort in Klang gelingen kann, wird auch in Lectures, Filmvorführungen, Einführungsvorträgen u. v. m. erörtert. Und am Freitag- und Samstagabend wird
wieder die chillige Lounge im Wiener Saal mit DJane Letizia Renzini eingerichtet.
hafte, die sehr charakteristisch sind. Mit
deutschen Texten komme ich auch gut zurecht. Mit Englisch ist leicht umzugehen.
Jede Sprache hat ihre Farbe, ihr Tempo . . .
die Oper, wenn man so will. Ein musikalischer Spaß, der einfach gut funktioniert.
SN: Was motiviert Ihr Komponieren?
Meine Beziehung zu Mozarts Werken, überhaupt zur Figur Mozarts, begann eigentlich
in den 1970er Jahren. Ich glaube, es war
Vinko Globokar, der damals in Paris eine
Konzertreihe organisiert hat, und ich habe
den Auftrag bekommen, für diese Reihe
etwas zu schreiben. Ich habe schon damals
die Texte der Pariser Korrespondenz der
Mozarts für ein Duett für Bratsche und Geige
verwendet Vinko Globokar Weil dieser Inhalt so dramatisch ist, habe ich 1992 in „Korrespondenz“ noch einmal damit begonnen.
Ich mag ihn einfach! Mozart und ich sind
gut befreundet sozusagen. Ich mag den Typ –
den Papa übrigens auch, aber sagen Sie das
nicht dem Wolfgang! Bei Wolfgang fasziniert
mich, dass er das Melos seiner Zeit als Material nimmt, er schreibt so wie die anderen.
Aber dann, an einem bestimmten Punkt,
bricht er einfach aus, schießt raus und ist
ganz verrückt. Nicht lang, dann kehrt er wieder zurück. Das ist wunderbar!
Ich glaube, das Theater: Kontraste, Konflikte,
Charaktere mit Klang auszudrücken. Ich
würde bewusst nicht „Musik“ sagen, Klang
ist komplexer. Für mich ist Musik die zweite
Sprache. Und dann ist da noch die Gestik –
eine eigene Welt.
SN: Ihr Streichquartett „Korrespondenz“
basiert auf dem Brief-Dialog, den
Wolfgang während seiner Paris-Reise
1778 mit seinem Vater Leopold Mozart
führte. Man meint darin die Protagonisten
„sprechen“ zu hören. Wie lässt sich
Sprache so subtil in Töne fassen?
Hier ist der Brief-Text in Musik übersetzt. Das
passierte zu einem großen Prozentsatz
mechanisch. Mein Interesse war, die Wortinhalte – nicht nur den Sinn, sondern die
Vokale und die Konsonanten – wirklich mikroskopisch zu übernehmen, zu bearbeiten.
Ich habe damals eine phonetische Reihenfolge festgelegt. Der Ausgangspunkt war also
eine Forschungssituation. Durch die Komplexität des Textes entstand eine akzeptable
Musik. Dann kam noch die Ebene des Theaters dazu: Das Streichquartett ist so aufgebaut, dass Wolfgang die Bratsche ist, Leopold
ist vom Cello verkörpert, die zwei Geigen
sind gewissermaßen die Seelen der beiden.
Die Situationen kommen aus dem Brief.
Den Anfang zum Beispiel habe ich so gestaltet, dass der eine schreibt und der andere
liest. Wolfgang schreibt schnell, Papa liest
langsam usw. In dem Moment passiert schon
eine Interpretation, hier beginnt das Theater,
SN: Welche „Beziehung“ haben
Sie zu Mozart?
SN: Was war für Sie zuerst:
das Wort oder die Musik?
Das eine kann ohne das andere nicht existieren. Wenn Sie ein Wort aussprechen . . . es ist
so einfach, daraus Musik zu machen. Musik
ist ein Kommunikationsmittel wie die Sprache – und Musik muss man genauso lernen,
erfahren, verstehen wie eine Sprache. Es ist
egal, was zuerst war. Aber wenn ich darüber
nachdenke, dann hat es wohl denselben Ursprung. Mozart gibt dazu vielleicht auch eine
Antwort: Musik bitte dann, wenn es nötig ist!
Interview: Margarethe Lasinger
„2001: Odyssee im Weltraum“
BILD: SN/STIFTUNG MOZARTEUM SALZBURG, WARNER BROS
Odyssee der Klänge
György Ligeti suchte nach dem Klang im imaginären Raum.
In völliger Dunkelheit hebt die Musik an.
Drei lange Minuten sind die Zuseher mit
einem schwarzen Bild und Ligetis
„Atmosphères“ in kosmischer Weite allein
gelassen. Stanley Kubricks „2001: Odyssee
im Weltraum“ schrieb Filmgeschichte –
und mit dem Film György Ligeti Musikgeschichte. Er ist wohl einer der wenigen
Komponisten der Avantgarde, der einem
großen Publikum – eben durch Kubricks
Film – bekannt ist.
Dabei grenzt es – nach Verfolgung, Arbeitsdienst, Gefangenschaft und Flucht –
an ein Wunder, dass György Ligeti
(1923–2006) seine musikalischen Studien
nach dem Krieg in Budapest weiterführen
und abschließen konnte. „Irgendwie ist es
ein Irrtum, ein Zufall, dass ich noch lebe“,
sagte er einmal in einem Interview. Nach
der Niederschlagung des Ungarischen
Volksaufstands verließ Ligeti 1956 Ungarn
aus politischen wie künstlerischen Gründen in Richtung Wien und später Köln.
Im Köln der späten 1950er-Jahre, die
Pionierstadt der elektronischen Musik,
fand er vorerst eine neue musikalische
Heimat und Inspiration durch die wichtigen
Vertreter der Avantgarde: Karlheinz Stockhausen, Maurizio Kagel, Pierre Boulez . . .
Seine von der ungarischen Folklore und
Béla Bartók beeinflusste musikalische Sprache erweiterte er durch den Einsatz von
Elektronik. Doch Moden, Stilen oder gar
Schulen unterwarf sich Ligeti niemals.
In seiner unbändigen Neugier suchte er
die Verbindung unterschiedlichster Kulturen, experimentierte mit Formen – und eröffnete sich und uns dabei ungeahnte Klangräume und sinnliche Eindrücke.
Die Komplexität von Ligetis Musiksprache
und seine Virtuosität im Umgang mit Worten
und Klängen dokumentieren auch die diesjährigen Dialoge-Konzerte. Dabei ist György
Ligeti nicht nur mit seinen kompositorischen
Werken präsent. Eine eigene Filmreihe zeigt
die visionäre Dimension seines Œuvres in
Wort, Bild und Musik. Stanley Kubricks
Science-Fiction-Klassiker schließlich öffnet
für eine Filmvorführung gar den Großen Saal
des Mozarteums in ungeahnte Sphären und
offenbart damit wohl auch ein besonderes
Klangerlebnis. (5. Dezember, 22.00 Uhr)
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