INHALT - Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften

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22. Jahrgang Nr. 2
Dezember 2011
Mitteilungen der Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik e.V.
Grundfragen der Wirtschaftsethik XXXIV:
Liebe Freunde, Mitglieder und Interessenten,
zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland misstraute Kanzler Adenauer der Wirtschaftpolitik von Wirtschaftsminister Erhard. Daher bat er den bekannten Genfer
Ökonomen Wilhelm Röpke um ein Gutachten in dieser Sache. Röpke unterstützte
die Soziale Marktwirtschaft Erhards mit seinem Gutachten „Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig?“ Diese Frage muss heutzutage wiederum gestellt werden.
Heute scheinen nur noch kurzfristig denkende Pragmatiker die Wirtschaftspolitik zu
formulieren. Man erkennt keine Konzeption – nur ein Durchwurschteln durch die
Krise. Pragmatiker kritisieren oft die Theoretiker, dass theoretische Konzeptionen
nicht hilfreich seien. Für theoretische Überlegungen sei die Lage zu ernst.
Die Spanier sagen: Los ideales son como las estrellas: No las podemos alcanzar nunca, pero nos pueden orientar! (Ideale sind wie die Sterne, man kann sie niemals erreichen, aber sie dienen der Orientierung!). Auch in der Politik benötigt man Orientierungspunkte. So wie ein Kapitän zur See nicht einfach lossegeln kann, so sollten
die Verantwortlichen für die Wirtschaftspolitik Zielvorstellungen ihrer Politik entwickeln. Wer kein Ziel hat, trifft bekanntlich immer. Die deutsche Wirtschaftspolitik
scheint heute orientierungslos. Machterhalt statt Gemeinwohl steht im Vordergrund.
Wer schon einmal Babynahrung gegessen hat weiß, wie fad sie schmeckt. Aber Babys ohne Zähne können noch kein saftiges Steak essen und noch keine Gewürze
verarbeiten. Sind wir in unserer Beurteilungskraft auf Babyniveau? Wie weit sind
wir informiert über wirtschaftliche Zusammenhänge? Im Hebräerbrief (4,14) heißt
es, dass Erwachsene feste Nahrung verarbeiten können sollten. Wie ist es um unsere
Urteilsfähigkeit bestellt? Wir sind als Christen berufen, „der Stadt Bestes zu suchen“
und für die Obrigkeit zu beten. Aber wir brauchen auch Christen, die kompetent Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Werner Lachmann
Verantwortung im
Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl[1]
W
as ist unter den Begriffen „Verantwortung“ und „Interesse“ zu verstehen?
Muss nicht die Verfolgung des Eigeninteresses
strikt abgelehnt werden? Sie wird in christlichen Kreisen sogar oft als gewissensbelastend dargestellt. Sind Eigeninteresse und Gemeinwohl Gegensätze oder ergänzen sie sich?
Wovon hängt ein harmonisches Miteinander
beider Interessenslagen ab? Wie steht es außerdem mit dem Gruppeninteresse, das ebenfalls in der Öffentlichkeit negativ besetzt ist?
Die menschliche Geschichte zeigt, dass das
Verhältnis von Eigeninteresse und Gemeinwohl oftmals ein falsches Gewicht bekam.
Zeitweilig ging der Einzelne im Gesamtinteresse unter (Sozialismus, Nationalsozialismus);
zu anderen Zeiten kam es zu chaotischen Zuständen, weil die Verfolgung des Eigeninteresses ohne Berücksichtigung der Interessen anderer die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft
gefährdete und es daher zu großen sozialen
Verwerfungen kam. Wir scheinen gewissermaßen auf einem Schwebebalken zu stehen.
Wohin soll das Gewicht verlagert werden? In
der kollektivistischen Ordnung des Sozialismus hätte das Interesse des Einzelnen stärker
INHALT
Grundfragen der Wirtschaftsethik XXXIV:
Verantwortung im Spannungsfeld ..................................................... 1
Positionen:
Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)............................................ 6
Eine Erwiderung auf Christian Müller............................................ 12
Objektive Normen und Kritischer Rationalismus........................... 17
Die Zukunft des Euro ..................................................................... 21
Rezensionen:
Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind........ 19
Wie das Christentum die Welt veränderte....................................... 19
Für eine bessere G
­ lobalisierung...................................................... 20
Handbuch der Katholischen Soziallehre......................................... 20
Die fragile Demokratie .................................................................. 21
Impressum/Über die GWE................................................................... 24
Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl
Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann
betont werden müssen. Im Neoliberalismus
hätte auch auf das Gemeinwohl geachtet werden sollen. Heute leidet die Wirtschaftspolitik
außerdem unter dem Einfluss der Lobbyisten,
also dem Gruppeninteresse.
Zuerst werden wir die beiden Begriffe Verantwortung und Interesse erläutern; anschließend werden wir auf die Bedeutung des Eigeninteresses und auf die wichtige Rolle der
staatlichen Institutionen eingehen. Es gehört
mit zur Regierungskunst, die richtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen,
so dass Eigen- und Gesamtinteresse in einem
harmonischen Verhältnis stehen. Die Politik
ist hier in weit erheblicherem Maße gefordert
als wir meinen.
Anschließend werden wir den Wettbewerbsmechanismus in einer Marktwirtschaft behandeln und zeigen, wie in ihm die einzelnen Interessen verflochten werden und ein Ausgleich
zwischen Eigen- und Gesamtinteresse möglich
wird. Wie soll sich der Einzelne in dieser Gesellschaft zwischen seinem legitimen Interesse
und denen der anderen verhalten?
der deutschen Sprache geworden. Vom Lateinischen her lässt sich der Begriff unterteilen in
„inter“ und „esse“, was übersetzt werden kann
mit „dazwischen sein“. Der im frühen Mittelalter noch benutzte Begriff „id quod interest“
wird dann im Schadensersatzfall verwendet.
Ein vereinbarter Preis kann ein „Interesse“
sein, später dann ein Zuschlag zum Sachwert,
z.B. eine Entschädigung. Eine besondere Form
des Schadensersatzes interpretiert das Mittelalter als „Zinsen“, nämlich als Entschädigung
für den Wertverlust, der dem Gläubiger durch
das Fehlen des Geldbetrages während eines
bestimmten Zeitraumes entstand. Heute noch
ist im Englischen das Wort „interest“ das Wort
für Zinsen.[2]
Im Französischen bedeutet das Wort Interesse
zuerst eine psychische Anteilnahme, eine Interessiertheit. Im Interesse wird eine Beziehung
zwischen zwei Personen oder Personen und
einem Gut dargestellt. Interesse hat also zum
Wortinhalt „zwischenmenschliche Anteilnahme“, „uneigennütziges Wohlwollen“. Deutlich wird es an dem französischen Adjektiv
„intéressant“, das alles das bezeichnet, was in
irgendeiner Weise die menschliche Aufmerksamkeit fesselt und beansprucht.
Einige Begriffsklärungen
Das Wort „Verantwortung“ bedeutet zuerst
„verstärkt antworten“, so wie verlaufen ein
starkes Laufen beinhaltet und verlieben ein zu
häufiges Lieben. Später wurde dieser Begriff
für die Gerichtssituation verwandt, wenn man
vor Gericht eine Frage beantworten musste. Im
Laufe der Entwicklung führte Verantwortung
dann zu „für etwas einstehen“.
Dieser Hintergrund wird noch deutlich an einem Ausspruch von Martin Luther: „Echte
Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich
Antworten gibt.“ George Bernhard Shaw hat
einmal behauptet: Der Gegensatz zur Pflicht
ist nicht Pflichtlosigkeit, sondern die Verantwortung. Wer eine Pflicht tut, muss nur entscheiden, ob er sie tut oder nicht. Wer Freiheit
beansprucht, muss auf Fragen, die sein Tun
betreffen antworten, damit also die Verantwortung übernehmen. Shaw folgerte: „Liberty means responsibility. That is why most men dread
it.“ Können wir aber für „Eigeninteresse“ guten Gewissens Verantwortung übernehmen?
Was soll unter Interesse verstanden werden?
Interesse ist das meist gebrauchte Fremdwort
2
Es ist also zu sehen, dass das Wort „Interesse“
im Laufe der letzen Jahrhunderte unterschiedliche Interpretationen erfuhr. Gesellschaftlich ist dieses Fremdwort oft negativ belegt,
weil es den Nutzen des Einzelnen betont, was
ethisch hinterfragt wird. Ich möchte zuerst auf
die Wiederentdeckung des Eigeninteresses als
ethisches Postulat hinweisen.
Bedeutung des Eigeninteresses
Das Eigeninteresse ist eine unveränderliche
Tatsache der Natur, es dient der Selbsterhaltung. Scheinbare Selbstlosigkeit von Tieren in
Familien und Rudeln, die füreinander eintreten,
beruhen in Wirklichkeit auf Eigennutz. Dies
schafft auch eine neue Erkenntnis für die Begriffe Gruppeninteresse und Gesamtinteresse.
Das christliche Liebesgebot verlangt, den
Nächsten so zu lieben, wie sich selbst. Der
Nächste muss nicht mehr geliebt werden als ich
mich selbst liebe. Die Eigenliebe ist gewissermaßen der Ausgangspunkt und die Vergleichsnorm des Verhaltens. In der katholischen Moraltheologie war einst zu lesen: „Selbstliebe
geht im Rang und der Pflicht nach der Nächstenliebe voraus“.[3] Es gibt eine vorrangige
Pflicht, für seine eigene Person zu sorgen!
Es entspricht menschlicher Erfahrung, dass jeder in der Regel besser für sich selbst als für
andere sorgen kann. Daher erfolgt die sittliche
richtige Aufgabenteilung: Wer allein für eine
Aufgabe geeignet ist, kann auch nur zu ihr allein verpflichtet sein!
Aus einem Vorrang der Nächstenliebe vor
der Selbstliebe lassen sich keine brauchbaren
Handlungsmaximen für Gesellschaften ableiten. Wenn jeder für andere und andere für mich
zu sorgen hätten, gäbe es ein Chaos. Eine auf
Altruismus aufgebaute Wirtschaftsordnung
würde bei der Bedürfnisbefriedigung knappe Ressourcen notwendigerweise vergeuden,
weil im Zweifelsfall jeder nur seine eigenen
Bedürfnisse wirklich kennen kann!
Das letzte Ziel des Eigeninteresses ist das eigene Heil! Kein Christ ist in der Lage oder wäre
dazu berechtigt, zugunsten irgendeines anderen Menschen auf sein eigenes Heil zu verzichten. Er darf und kann sein irdischen Leben
und sein irdisches Glück oder sein Eigentum
anderen opfern, aber nicht sein Heil im umfassenden letztendlichen Sinn!
Der ehemalige österreichische Finanzminister
und Notenbankpräsident Wolfgang Schmitz
hat einmal den wichtigen Satz gesagt: „ Uns
(ist) das wichtigste ethische Postulat abhanden
gekommen: Die Pflicht und das Recht, unseren
eigenen Interessen zu folgen.“[4] Da die Menschen kaum noch über den Sinn ihres Lebens
nachdenken, haben sie mit dem Verlust des
Lebenssinns auch vergessen, was ihre eigentlichen Interessen wirklich sind.
Wolfgang Schmitz betont dabei den hohen
Rang des Eigeninteresses als Verhaltensmotivation. Dabei unterscheidet er verschiedene
Anwendungsbereiche, so z.B.
• Eigennutz: die Selbsterhaltungspflicht,
• Eigenwohl: vorrangige Pflicht von
Nächsten­liebe,
• Das eigene Heil: Selbstzweck des Menschen,
• Eigeninteresse: Ausgangspunkt der Sozial­
ethik,
• Subsidiaritätsprinzip: Verantwortungs­
vorrang des Einzelnen,
• Menschenrechte vor Staatssouveränität.
Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl
Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann
Gemeinwohl kann nicht Selbstzweck sein,
sondern ist für das Wohl jedes Einzelnen da:
Die einzelne menschliche Person ist Mittelpunkt, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen
Institutionen! Es besteht also eine enge Beziehung zwischen Gemeinwohl und Interesse. Es
ist im eigenen Interesse, Verbundenheiten mit
und in der Verantwortung für den anderen zu
suchen. Im Tiefsten kann Eigeninteresse nur
verfolgt werden, wenn es auch dem Gesamtkörper gut geht.
Wir Menschen leben in einer Konfliktgesellschaft und suchen Institutionen und Einrichtungen, die der Lösung sozialer Konflikte
dienen, um eine Ausgewogenheit zwischen
Eigen-, Gruppen- und Gesamtinteresse herzustellen. In diesem Zusammenhang ist die
Bedeutung der Ordnungsethik zu betonen, die
Aussagen über gesellschaftspolitische Zielsetzungen und ihre Umsetzung zum Wohl
der Bürger liefert. Die Ordnungspolitik soll
helfen, über bestimmte Institutionen den Gesellschaftszustand in friedlicher Weise zu organisieren und in Richtung eines höheren
Wohlstands zu beeinflussen. Gemeinsame Regeln werden benötigt, um gemeinsame Teilziele anzustreben und zu erreichen.
Aufgaben Konflikt reduzierender Institutionen
Wir müssen daher fragen, wie man institutionell das Gemeinwohl als Interesse aller Beteiligten sichert. Nur wenn alle als Eigeninteresse
auch das Gemeinwohl verfolgen, kommt aus
Selbstinteresse rechtes soziales Handeln zum
Durchbruch. Institutionen sollen also problemlösend wirken und Selbstinteresse in Gemeininteresse umwandeln!
Wir wollen uns einmal die folgende Situation
vorstellen: Zwei Personen sind wechselseitig für das Glück des anderen verantwortlich.
Herrn Maier liegt das Glück von Herrn Müller
auf dem Herzen und Herr Müller will in den
Entscheidungen, die er trifft, immer das Beste für Herrn Maier wollen. Es wird mir wohl
jeder zustimmen, dass diese Verbundenheit in
kürzester Zeit auseinander bricht und in Streit
ausartet. Herr Müller weiß nämlich nicht immer, was das Beste für Herrn Maier ist und
umgekehrt. Wenn ein anderer für die Verfolgung meines Glückes zuständig ist, ist er nicht
in der Lage, mein Glück zu verfolgen. Ich werde mir vergewaltigt vorkommen.
Es müssen also andere Mechanismen gesucht
werden, wie das Glück des einzelnen Menschen erreicht werden kann. Dieses ist nur
möglich, wenn ein Mensch Verantwortung
für sich selbst übernimmt und dabei seine Interessen legitimerweise berücksichtigt. Ein
Mensch, der in seinen Handlungen ständig
gegen seine Wünsche und Interessen vorgeht,
wird psychisch scheitern, wird zu einem Masochisten.
Die Weltgeschichte ist voll von solchen Versuchen, in welchen das Eigeninteresse der
Menschen vergewaltigt wurde. Der Sozialismus wollte in der Theorie das Glück aller
Menschen und brachte die Verstümmelung
des Menschen, brachte unendliches Leid über
weite Teile der Menschheit. Auch der calvinistische Gottesstaat in Genf scheiterte! Selbst
Christen sind nicht in der Lage, für alle Menschen das Richtige zu wollen. Nur die eigene
Person kann beurteilen, was für sie gut ist, was
sie anstreben möchte.
Damit stehen wir vor dem enormen Problem,
einen friedlichen Kooperationsmechanismus
für die Menschen zu finden, dass Eigeninteresse verfolgt werden kann, ohne das Gesamtinteresse zu verletzen. Die Verfolgung des Gesamtinteresses ohne Berücksichtigung des
Eigeninteresses ist, wie die Geschichte zeigt,
zum Scheitern verurteilt gewesen.
Wir sind noch Zeitzeugen des großen historischen Versuchs, eine ganze Gesellschaft in
ihren Gestaltungsmöglichkeiten kollektiv zu
ordnen. Diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung scheiterte am Menschen, am Anreiz-, am Moral- sowie am Wissensproblem.
Obgleich dieses Scheitern deutlich wurde,
beobachten wir in den westeuropäischen Industriestaaten eine Tendenz, immer mehr Verantwortung abzugeben an den Staat und an
kollektive Instanzen.
Sozialistische Wirtschaftsordnungen haben
den Handlungsfreiraum der Bürger eingeschränkt, ihre Freiheit gefährdet und keine
überzeugenden organisatorischen Lösungen
für eine erfolgreiche Arbeitsteilung geschaffen. Anscheinend hat die marktwirtschaftliche
Ordnung in der politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West den Sieg davon
getragen – aber es scheint ein Pyrrhus-Sieg gewesen zu sein! Viele Bürger im Ostteil unseres
Landes und in den östlichen Nachbarstaaten
sind von der neuen Wirtschaftsordnung enttäuscht. Auch im Westen sind viele, die voll
Inbrunst das Banner der Marktwirtschaft vor
sich hertrugen, wenn immer es gegen den sozialistischen Osten ging, irritiert, haben nach
seiner Kapitulation völlig die Orientierung
verloren. Immer mehr wird die andere Ordnungsinstanz, der politische Prozess, der Staat,
aufgefordert, nun korrigierend einzugreifen.
Nur freie Menschen können Verantwortung
übernehmen, sie müssen aber ihre eigenen
Interessen verfolgen. Ludwig Erhard hat einmal in einem Artikel (Die Zeit, 15.8.1958) geschrieben: „Nichts ist in der Regel unsozialer
als der sog. „Wohlfahrtsstaat“, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“ Auch Hayek
(Der Weg zur Knechtschaft!) wurde nicht
müde, eine freie Gesellschaft mit Verantwortungsbereitschaft zu fordern, die das Wohl
jedes Einzelnen durch faire gesellschaftliche
Regeln sichert. Dies war auch das Ziel Erhards
(Wohlstand für alle!).[5] Welcher Kooperationsmechanismus bietet sich als Alternative zur
Priorität des kollektiven Interesses an?
Markt und Wettbewerb als ­Mittel
zum Interessenausgleich
Bei der Ausbalancierung zwischen Gesamtinteressen und Eigeninteressen muss also verantwortungsethisch gehandelt werden. Es muss
nicht der erklärte Wille, sondern das beobachtete Ergebnis beurteilt werden. Das „Gewollt
wie“ muss sich verbinden mit einem „Gewusst
wie“. Menschen, die guten Wissens sind, müssen sich mit denen zusammenschließen, die
guten Willens sind. Damit kommen wir zu einem entscheidenden Aspekt: Die richtigen Institutionen sind entscheidend für die Entschärfung des Konfliktes zwischen Eigeninteresse
und gesellschaftlichem Interesse. Hier bietet
sich der Marktmechanismus als Lösung an.
Die ORDO-Liberalen betonen aber, dass sich
ein Marktmechanismus mit Wettbewerb nicht
von alleine einstellt. Der Wettbewerb ist eine
Kulturpflanze und nicht ein wild sprießendes Unkraut, das sich von alleine durchsetzt.
Der Staat muss also im Rahmen seiner Ordnungspolitik dafür sorgen, dass Wettbewerb
bestehen bleibt. Der Staat ist gewissermaßen
ein Schiedsrichter im marktwirtschaftlichen
Prozess, der die Regeln für den Wettkampf auf
3
Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl
Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann
dem Markt auszuarbeiten und dafür zu sorgen
hat, dass der Wettbewerb fair verläuft.
Die Verfolgung des Einzelinteresses und auch
des Gruppeninteresses ist an sich legitim! Notwendig ist jedoch eine Gegenkraft, die die
Verfolgung des Eigeninteresses kanalisiert.
In einer nicht-marktwirtschaftlichen Ordnung
kann Wettkampf zur Vernichtung des Gegners
führen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung führt die Verfolgung des Eigeninteresses bei funktionierendem Wettbewerb zu einer
besseren Versorgung der Wirtschaft; es gibt
nichts Harmloseres auf dieser Welt, sagte einst
Keynes, als einen Wettkampf um das höhere
Bankkonto (vorausgesetzt, der Wettbewerb
funktioniert!).
Aus gesinnungsethischen Überlegungen heraus wird der Markt oft verurteilt. So wird behauptet, dass man im Marktgeschehen kaum
verantwortlich handeln kann, da Sachzwänge
zum Überleben zu unmoralischem Handeln
zwingen. Die Zeitungen sind voll von unmoralischem Verhalten der Menschen in unserer
marktwirtschaftlichen Ordnung. Ist die Kritik
berechtigt?
Gesinnungsethische Kritik gegenüber Markt und Wettbewerb
Der Markt, so wird betont, fördere den Egoismus und die Selbstsucht des Einzelnen. Dem
wäre allerdings entgegen zu halten, dass der
Egoismus nicht mit Individualismus und Eigenverantwortung verwechselt werden darf. In
jeder marktwirtschaftlichen Ordnung spielt der
Freiheitsaspekt eine große Rolle. Nach eigenen Vorstellungen kann der Mensch unter den
gegebenen Rahmenbedingungen frei entscheiden und sich entfalten. Wie sich ein Mensch in
der Wirtschaft verhält, ist abhängig von seinen
Grundüberzeugungen. Der Markt erlaubt ihm
eine freie Entscheidung: Der Mensch selbst
kann zwischen gut und böse wählen und damit eine verantwortliche Entscheidung treffen.
Wirtschaftssysteme, die dem Menschen diese
Freiheit nicht gewähren und ihm Zwang auferlegen, können zum verantwortlichen Handeln
keinen Raum geben, nur zu Gehorsam oder zur
inneren Resignation.
Wir hatten schon gesehen, dass das Wort Verantwortung aus der Rechtssprache kommt und
4
bedeutet, dass jemand auf eine Anklage hin
eine Antwort zu geben hat, dass Rechenschaft
für sein Handeln gefordert ist. Verantwortung
beinhaltet also immer einen Handlungsträger,
einen Bezugspunkt und eine letzte Legitimationsinstanz, wobei Verantwortung auch Mündigkeit des Bürgers voraussetzt.
Die letzte Legitimationsinstanz in einer Marktwirtschaft ist der Bürger. Er handelt in einzelnen Rechtsakten. Marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen erzwingen, dass der Bürger
bei seinem Handeln auch die Belange anderer
berücksichtigt. Es gibt keine theoretischen
oder praktischen Hinweise darauf, dass sich
Menschen in anderen Ordnungssystemen moralischer verhalten als in marktwirtschaftlichen Ordnungen.
Die Marktwirtschaft schafft einen großen
Freiraum, dieser erschließt große Handlungsmöglichkeiten und beinhaltet gleichzeitig eine
große Gefährdung. Wie seit dem Sündenfall
alle guten Gaben Gottes ambivalent geworden
sind, so ist auch die Freiheit im marktwirtschaftlichen Handeln ambivalent. Sie kann extrem viel Gutes verursachen, aber auch schädigen, wie wir oft in der Presse und in den
Medien nachvollziehen können.
Selbstsucht existierte schon vor dem Marktsystem, sie ist in allen anderen Wirtschaftsordnungen zu finden. Sie ist also kein Tatbestand, der durch die wirtschaftliche Ordnung
an den Menschen herangetragen wird. Sie ist
keine moralische Krankheit, die durch die
Marktwirtschaft verursacht wird, sie ist Folge des menschlichen Sündenfalls. Die Bibel
sagt: „Alle sind abgefallen, keiner tut Gutes,
auch nicht einer.“ (Römer 3,12) Von Kopf bis
Fuß ist nichts Gutes an dem Menschen. Schon
in den ersten Versen der Bibel heißt es: „Das
Handeln und Trachten des Menschen ist böse
von Jugend auf!“ (1. Mose 8,21) Aus dem
Herzen des Menschen heraus kommen, wie es
Jesus Christus sagt, die bösen Gedanken und
anschließend das böse Tun. Unmoralisches
Verhalten wird nicht durch die Außenwelt
hervorgebracht, sondern ist inhärent in jedem
einzelnen Menschen, ist integraler Bestandteil
seines Selbst.
Die Marktwirtschaft bietet dem Christen die
Möglichkeit, seinen Glauben im täglichen
Vollzug seines Lebens in der Praxis zu be-
weisen. Im Verhalten auf dem Markt bewährt
sich der Glaube. Er muss sich aber auch in
anderen Wirtschaftsordnungen bewähren, obwohl das ethische Moment (beachtet sei der
Aspekt der Verantwortlichkeit!) wegen des
Zwangs nicht in dem gleichen Maße gewährleistet ist.
Folgen überzogener Bürokratie oder Staatsversagen
Die Zunahme des Staatseinflusses und ausufernde Bürokratie bei Aufgabe liberaler
Prinzipien sind der sicherste Weg in den Ruin
hoch zivilisierter Völker. Die Geschichte unserer östlichen Nachbarstaaten zeigt, wie Länder hierdurch versklavt werden, wie es vom
ökonomischen zum geistigen Totalitarismus
kommt. Auch das Römische Reich belegt diese These.[6]
Im 2. Jahrhundert erfreute sich Rom eines hohen ökonomischen Wohlstandes bei geistiger
Freiheit und Toleranz sowie innerem Frieden.
Mäßige Steuersätze, eine dezentralisierte Verwaltung, von den Bürgern selbst verwaltete
Städte, die Achtung vor dem Privateigentum
und eine einheitliche Währung erlaubten einen wirtschaftlichen Aufschwung. Kaiser mit
militärischem Hintergrund meinten, die nachlassende Kraft des Reiches durch fiskalische
und geistige Zwangsmaßnahmen stärken zu
können. Die Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen) stieg, der
Staat verschuldete sich. Die damit einhergehende Inflation wurde mit amtlichen Preisstopps für die wichtigsten Grundnahrungsmittel bekämpft.
Zwangsläufig stiegen die Bürger aus, gingen
in die Schattenwirtschaft. Die Bürokratie versuchte mit brutalen Methoden, solche Fluchtwege zu unterbinden. Jeder städtische Bürger
wurde verwaltungsrechtlich an seine ökonomische Funktion gefesselt. So durfte der Sohn
eines Bäckers nur wieder Bäcker werden. Die
Geburtenrate sank, es kam zu einer zunehmenden allgemeinen Verarmung des Landes,
man war – selbst zur Verteidigung des Landes – auf Ausländer angewiesen. Der geldwirtschaftliche Überbau brach zusammen.
Beamte und Soldaten mussten mit Naturalien
bezahlt werden. Wo die Bürokratie in einem
Land das Übergewicht erlangt, sind Wohl-
Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl
Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann
stand, Kultur und Freiheit in Gefahr! Gerade
staatliche Macht senkt Verantwortungsbereitschaft und korrumpiert ein Volk.
Wer auf Freiheit und eigene gestalterische
Entscheidung nicht verzichten will, muss auch
ethische Verantwortung wollen. Wo Freiheit
nur egoistische Willkür meint, folgt zwangsläufig das Gängelband des Staates. Sonst bahnen sich Fehlentwicklungen an, die durch ein
Zurückdrängen des Staates und durch eine
Wiederbesinnung auf die Eigenverantwortlichkeit bekämpft werden müssen. Hinter der
Forderung „weniger Staat und mehr Verantwortung!“ steht die Sorge um echte Verantwortlichkeit in einer komplexen, raschen Veränderungen unterworfenen Zeit.
Durch die Wirtschaftsreformen von 1948 und
die Betonung der Eigenverantwortlichkeit
gelang es Ludwig Erhard in wirkungsvoller
Weise, den offiziellen Markt wieder in seine
Rechte einzusetzen. Während seiner Amtszeit
gab es Vollbeschäftigung mit Preisstabilität,
seine Politik des „Wohlstands für alle“ brachte Deutschland zurück zum Weltmarkt. Jeder
mündige Bürger konnte am Marktgeschehen
teilnehmen, jeder konnte sein Bestes zum
Leistungspotential der Gesellschaft beitragen.
In den sechziger Jahren, unter der Regierung
von Helmut Schmidt, kam es zu wachsender
Steuer- und Beitragsbelastung. Der Gedanke
der Solidarität wurde immer häufiger betont,
ohne auf Subsidiarität zu achten. Die Gesellschaft wurde zum Leistungsträger degradiert.
Eine völlige Auflösung sozialer Ordnung,
sozialer Bindungen kann folgen. Mit der geschwundenen sozialen Einordnung gehen auch
Orientierungsmaßstäbe verloren.
Bismarck hat einmal gesagt: „Die Scheu vor
der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit!“ Der Schnellzug, in welchem wir
alle sitzen, ist kein ICE mit Endstation Sehnsucht. Es gibt in der Weltwirtschaft keine
Freifahrt, keine halben Preise. Bezahlt werden muss in jeder Sekunde unseres Lebens.
Jeder Bürger ist in diesem Zusammenhang
nach seiner letzen Instanz gefragt, vor der er
sich verantworten muss. Individualethische
Überzeugungen machen den Charakter eines
Menschen aus, was wirtschaftlich als Moralkapital wirkt. Zu jedem moralischen Handeln
gehört im Grunde genommen die Bindung an
eine letzte Instanz!
Kraft zur Verantwortung
Wenn wir über Verantwortung reden, dann
müssen wir auch nach dem Subjekt fragen,
demgegenüber wir Menschen verantwortlich
sind. Für den Christen bietet sich hier Gott
an, der der Schöpfer des Weltalls, der Herr
der Geschichte, der letzte Richter über die
Menschheit und der Erhalter dieser Welt ist.
Einmal wird er von einem jeden von uns Rechenschaft fordern.
Es gehört zur langfristigen Sichtweise, sein
Verhalten vom Ende her zu beurteilen. Nur
der handelt klug, der vom Ende her seine
Lebensstrategie aufbaut und aufzieht. Unter
Beachtung dessen, der das letzte Wort in der
Geschichte hat, kann ich erreichen, dass mein
Handeln nicht zum Schluss verurteilt wird. In
diesem Zusammenhang ist auf ein Wort von
Mose hinzuweisen: „Herr, lehre uns bedenken,
dass wir sterben müssen, auf dass wir klug
werden!“ (Ps. 90,12)
Eine Familie hatte sich vor einiger Zeit ein
Fernsehgerät gekauft und war über ihr Gerät sehr enttäuscht. Das Bild war sehr verschwommen. Der Ton war nicht immer scharf.
Immerhin konnten sie die neuesten Nachrichten hören und Filme ansehen. Die Situation
änderte sich, als einmal ein Freund zu Besuch
kam und den Grund für das verschwommene
Bild feststellte.
Die Familie hatte wohl geringe Informationen
über technische Dinge und dabei vergessen,
das Fernsehgerät an die Antenne anzuschließen. Als dieses nun geschah, hatten sie ebenfalls ein ganz scharfes Bild und waren überglücklich.
So ist ein Leben ohne Gott wie ein Fernsehgerät ohne Antenne! Erst wenn der Mensch seine
Schüssel auf den Fixpunkt Gott eingestellt hat,
wird er auch in ethischen Dingen klarer sehen
können, wird sein Eigeninteresse richtig verortet und er Verantwortung übernehmen können!
Anmerkungen
[1] Verwiesen sei auf: Werner Lachmann:
Verantwortung zwischen Eigen-, Gruppen und
Gesamtinteresse, in: Reinhard Haupt/Werner
Lachmann (Hg.): Unternehmensethik – Wahre
Lehre oder leere Ware? Neuhausen-Stuttgart
1982 (Hänssler: Studium Integrale), S. 55–70.
Teilweise lehne ich mich an dortige Ausführungen an, ohne sie jeweils zu kennzeichnen.
[2] Vgl. H.-J. Fuchs: Interesse, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Hg. Von
J. Ritter/ K. Gründer), Bd. 4, Basel 1976,
Sp. 679 – 685. Siehe auch: Heinrich Schneider: Der Interessensbegriff in historischer
Perspektive, in: Schmitz/Weiler (op.cit.),
S. 35 – 60
[3] Mausbauch-Ermecke, Katholische Moraltheologie, Bd. 1, München 1959, S. 135, zitiert
nach Wolfgang Schmitz, a.a.O., S. 63.
[4] Vgl. Wolfgang Schmitz: Eigeninteresse
– Gruppeninteresse – Gesamtinteresse. Das
Eigeninteresse durch Lebenssinn und Institutionen legitim, effizient und unersetzlich, in:
Wolfgang Schmitz, Rudolf Weiler: Interesse
und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen?
Berlin 1994, S. 61 – 104
[5] Zur Kritik gegenüber einem zu starken
staatlichen/kollektivistischen Einfluss und die
ethischen Auswirkungen vgl.: Werner Lachmann: Staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft
und seine ethischen Folgen, in: Werner Lachmann/Reinhard Haupt (Hg.): Wirtschaftsethik
in einer pluralistischen Welt, Moers 1991,
S. 39 – 81; vgl. auch die kritischen Bemerkungen in: Gerd Habermann: Der Wohlfahrtsstaat, Geschichte eines Irrwegs, Frankfurt/M.
und Berlin 1994 sowie Friedrich A. Hayek:
Der Weg zur Knechtschaft, München 1991,
Günter Rohrmoser: Der Ernstfall. Die Krise unserer liberalen Republik, Berlin und
Frankfurt/M. 1994; vgl. auch Roland Baader:
Kreide für den Wolf. Die tödliche Illusion vom
besiegten Sozialismus, Böblingen 1991.
[6] Vgl. Gerd Habermann: Der Untergang
Roms. Ein ordnungspolitisches Lehrstück,
Orientierung zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 40, Juni 1989, S. 53 – 57; ebenso: Werner Lachmann: Interdependenzen von
marktwirtschaftlichem und demokratischem
System, in: Reinhard Haupt/Werner Lachmann
(Hg.): Selbstorganisation in Markt und Management, Neuhausen-Stuttgart 1995 (Hänssler: Studium Integrale), S. 37 – 95.
5
Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)
Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
Zusammenfassung von Teil 1:
D
er Beitrag argumentiert, dass der die gegenwärtige Ökonomik dominierende
moralische Skeptizismus, nach welchem es
objektive, gottgegebene Werte nicht gebe, aus
logischen Gründen unhaltbar ist. Es wird gezeigt, dass die von Karl Popper begründete
Methodologie des Kritischen Rationalismus in
Bezug auf das Problem der Wertbegründung in
der Ökonomik daher meist inkonsistent angewendet wird. Auf der einen Seite wird zu Recht
das Induktionsproblem betont, das sich bei dem
Versuch stellt, strikt universale Aussagen in
Hypothesenform verifizieren zu wollen. Andererseits wird der fehlerhafte Induktionsschluss
übersehen, den man begeht, wenn man normative Sätze als grundsätzlich nicht wahrheitsfähig
klassifiziert. Denn der ethische Subjektivismus
unterstellt mit der Leugnung der Objektivität
von Normen und der Existenz eines göttlichen
Normgebers die Falsifizierbarkeit einer (universalen Existenz-)Aussage, die nicht falsifizierbar
ist. Jede Sicherheit ethisch-subjektivistischen
Argumentierens wäre insoweit selbstfabriziert.
Im ersten Teil des Beitrags wurden schließlich
mögliche Einwände von subjektivistischer oder
empiristischer Seite geprüft.
Hinweis: Das Mitteilungsblatt 1/2011 mit
Teil 1 des Artikels kann auf der Website
www.­wirtschaftundethik.de heruntergeladen
werden.
Fortsetzung aus Heft 1/2011
W
enn ein Skeptiker diese Aussagen alle
nicht für glaubhaft hält, dann im Allgemeinen nicht, weil er sie je einzeln geprüft und als
unglaubwürdig erkannt hätte, sondern weil er pauschal und unabhängig vom berichteten Einzelfall
die Falschheit oder die „Fragwürdigkeit“ (Albert
2002, S. 286) aller solcher Aussagen annimmt
oder bei ihnen gleich „eine Menge an Einbildung
im Spiel“ (Gadenne 2002, S. 287) vermutet. Er
wird die Falschheit aller Beweise der Christen
behaupten, weil er a priori dem Glauben anhängt,
dass es solche Vorgänge nicht geben kann.
Aufgrund der aussagenlogischen Unmöglichkeit, universale Existenzaussagen zu widerlegen, kann auch ein Atheist nur glauben, dass
Gott nicht existiert – nicht weniger, als ein
Christ an die Existenz Gottes glaubt. In einem
gewissen Sinne muss der Atheist sogar stärker
glauben als ein religiöser Mensch: Denn der
6
„Gläubige“ glaubt mit der Gottesexistenz an
einen Sachverhalt, der grundsätzlich beweisbar – verifizierbar – ist; und insofern er tatsächlich Beweise hat, hält er – wie bei anderen
historischen Behauptungen auch – die Aussage
der Gottesexistenz für wahr. Der „Nichtgläubige“ hingegen könnte, selbst wenn er recht hätte, aus logischen Gründen seine Überzeugung
niemals beweisen, insofern die Behauptung
der Gottesexistenz nicht falsifizierbar ist. Es
bleibt ihm daher nur die Flucht in das Dogma,
das – selbst ungeachtet aller entgegenstehenden Evidenz – pauschal die Falschheit aller relevanten Zeugenaussagen behauptet.[10]
Hier zeigt sich eine interessante Grenze kritisch-rationalen Argumentierens: Ob man eine
religiöse Erfahrungsaussage für einen Beweis
der Existenz Gottes hält oder nicht, hängt also
anscheinend gar nicht davon ab, ob sich das Behauptete tatsächlich wie geschildert zugetragen hat, sondern vielmehr von der (unbegründeten und unbegründbaren) metaphysischen
Ausgangsposition, welche der Betrachter
schon vorher zu dieser Frage einnimmt. Eine
allgemein akzeptierte Verifikation der Existenzbehauptung gottgegebener Normen dürfte
daher ebenso unmöglich sein wie ihre Falsifikation; letztere scheitert an einem logischen
Induktionsproblem, erstere hingegen an dem
ganz praktischen Problem, dass man die Frage der Gottesexistenz offensichtlich überhaupt
nicht unvoreingenommen diskutieren kann.
d) Schließlich bleibt die Frage, ob die Annahme einer objektiven Geltung moralischer Normen nicht notwendig in Fundamentalismus
und Intoleranz führen muss, so dass schon aus
praktischen Gründen lieber auf sie verzichtet
werden sollte. So wirft etwa Steinvorth Papst
Johannes Paul II. „Fundamentalismus“ vor,
weil dieser in der Enzyklika „Fides et Ratio“
(Johannes Paul II. 1998) für die Normen des
Christentums eine „unfehlbare Wahrheit“ oder
„unfehlbare Gewißheit“ (Steinvorth 2006,
S. 24; beide Zitate) in Anspruch nehme. Wer
aber so argumentiert, ist für den Philosphen
nicht nur ein Feind der Aufklärung[11]; er gehört für ihn auch in eine Kategorie mit den Vordenkern des islamistischen Terrorismus. Denn
normobjektivistischen Positionen könne immer nur mit Zwang Geltung verschafft werden:
„Auch beim Papst ist die Verankerung einer
Wahrheit nur die Erzwingung der Anerkennung einer fehlbaren Annahme als einer un-
fehlbaren durch sozialen Druck … Fundamentalistische Bewegungen kommen nicht darum
herum, ihre Dogmen mit demselben Druck
zu verankern, den der Papst stillschweigend
fordert. Ob sie wie die katholische Kirche
die Lehre durch ein Lehramt verankern oder
wie der Islam jede Vermittlung zwischen dem
Gläubigen und Gott durch das Priesteramt verwerfen: ihren Appellen an Vernunft und Autonomie zum Trotz verankern sie ihre Lehren
mit denselben Mitteln des sozialen Drucks,
der Terror und Scheiterhaufen einschließt“
(­Steinvorth 2006, S. 26 f.).
Sieht man einmal über das aufklärerische Pathos und die polemische Wortwahl des Autors[12] hinweg, so ist daran richtig, dass
es tatsächlich ein Integralismus ist, der eine
normobjektivistische Position zu einer fundamentalistischen macht. Einen integralistischen
Standpunkt vertritt jemand, der „die legitime
Autonomie irdischer Sachbereiche und der
jeweiligen Wissenschaft ignoriert, der Politik
nicht als Suche nach dem kleineren Übel, sondern als Entscheidung zwischen dem Guten
und dem Bösen begreift und konsequenterweise den legitimen Pluralismus auch der Christen
in der Politik ablehnt“ (Spieker 1995, S. 11).
Auf Basis der Überlegung, dass die Wahrheit
keine Kompromisse zulässt, folgert er im Ex­
tremfall aus der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Erkenntnis der objektiven Wahrheit auf
das Recht und sogar die Pflicht einer Durchsetzung dieser Wahrheit mit allen Mitteln
(­Spaemann 1993, S. 183).
Doch eine „endgültig anerkannte Wahrheit“
(Johannes Paul II. 1998, Nr. 27) zu behaupten,
ist etwas anderes, als Zwang und Intoleranz zu
befürworten oder gar anzuwenden. Normobjektivismus impliziert nicht Integralismus. Das
wäre mit Bezug auf das Christentum schon
deshalb abwegig, weil dessen absolut gesetzte
Letztnorm die Toleranz selbst ist. Denn: „Gott
ist Liebe (1 Joh 4,8). Wahrheit und Liebe sind
identisch. Dieser Satz – wenn er in seinem ganzen Anspruch begriffen wird – ist die höchste
Garantie der Toleranz; eines Umgangs mit der
Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und
damit die Liebe ist“ (Ratzinger 2005, S. 186).
Auch wenn einzuräumen ist, dass selbst große
Gestalten der Christenheit diese Grenze zum
Integralismus und damit Fundamentalismus
immer wieder tatsächlich überschritten haben,
so kann doch kein Zweifel daran bestehen,
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)
Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
dass das für die überwältigende Mehrheit der
heute lebenden Christen nicht mehr zutrifft.
Für die Katholiken markieren explizit die lehramtliche Anerkennung allgemeiner und unveräußerlicher Menschenrechte durch Johannes XXIII.[13] und in ihrer Folge das Zweite
Vatikanische Konzil einen „tatsächlichen Kontinuitätsbruch“ in der politischen Philosophie
bzw. politischen Ethik der kirchlichen Soziallehre, „die sich nun eben von der antik-christlichen polisethischen Tradition zu lösen und,
die Tradition der Neuzeit aufgreifend, den politischen Primat der Freiheit des Individuums
über die ‚Rechte der Wahrheit‘ anzuerkennen
begann“ (Rhonheimer 2006, S. 89f.; beide Zitate; Hervorhebung im Original). Im Christentum akzeptiert man im Allgemeinen Theorie
und Praxis von Rechtsstaat und Demokratie
und respektiert entsprechend den Bereich des
Politischen als eigenständigen „Raum der
Vermittlung, der funktionalen Relativierung,
der Brechung aller Unbedingtheitsansprüche“
(Spaemann 1993, 185).[14]
Wer Normobjektivismus und Fundamentalismus nicht voneinander zu unterscheiden
vermag, übersieht auch leicht die Gefahr, die
aus einem ethischen Subjektivismus, wie er
die Wirtschaftswissenschaften prägt, erwachsen kann: Die Betonung von Toleranz und
Antidiskriminierung führt häufig in einen radikalen Relativismus, der die Wichtigkeit der
Unterschiede zwischen ethischen Positionen
überhaupt nicht mehr anerkennt. Dabei ist
die Bestreitung der Relevanz der Unterschiede zwischen n absoluten ethischen Positionen
keineswegs ein Standpunkt der Neutralität
oder gar der Toleranz, sondern eine (n+1)ste
ethische Position. Sie ist der absolute (Meta-)
Wert, dass alle anderen absoluten Werte gleich
viel (oder wenig) wert sind.
Wenn ein Fundamentalist tatsächlich einer
wäre, der für seine moralische Position „unfehlbare Wahrheit“ beansprucht, dann wäre
nicht nur der Christ ein Fundamentalist, sondern auch der Relativist selbst, behauptet dieser doch mit unfehlbarer Wahrheit die Fehlbarkeit aller ethischen Urteile. In der Konsequenz
aber wäre dies das Ende eines jeden vernünftigen Gesprächs zwischen den Standpunkten,
denn: „Achtung und Toleranz vor dem Andersdenkenden sowie wirkliche Diskussions- und
Dialogbereitschaft gibt es nur, wo man Überzeugungen überhaupt ernst nimmt als Ausdruck des subjektiven Überzeugtseins, die ei-
gene Überzeugung entspreche der Wahrheit.“
(Rhonheimer 2006, S. 94)
Fundamentalistische Züge hat der extreme Relativismus aber auch insoweit, als „wir immer
mit einer Revision der Gründe rechnen“ müssen und daher auch „nicht auf eine unfehlbare
Lehre festgelegt werden“ können (Steinvorth
2006, S. 25; beide Zitate). Gerade der atheistische Relativismus gebärdet sich aber als
unfehlbare Lehre, insofern er auf die induktionslogische Unmöglichkeit, die Existenz objektiver Normen zu widerlegen, mit seinem
Dogma reagiert, dass Übernatürliches nicht
existieren kann. Die vielen vorliegenden Konfirmatoren für den Gottesglauben werden so a
priori ignoriert oder unbesehen bestritten.
Besonders dann aber gebärdet sich ein ethischer
Relativismus als Fundamentalismus, wenn er
sich, wie in der westlichen Welt zunehmend
zu beobachten, mit einem aggressiven Integralismus verbindet. Der Relativismus erscheint
hier immer mehr „als die wahre Menschheitsphilosophie“ mit einer „Durchschlagskraft, die
praktisch keinen Widerstand mehr zu gestatten
scheint“ (Ratzinger 2005, S. 99; beide Zitate). Wer sich ihm entgegensetzt, steht wie ein
Feind von Demokratie und Toleranz da, gegen
den zur Verteidigung der Errungenschaften der
Aufklärung Fundamentalopposition und Ausgrenzung aus dem Spektrum legitimer Ansichten als die einzig angemessene Reaktion
erscheint. Wenn etwa Christen immer häufiger
daran gehindert werden, biblische Positionen
(zur Homosexualität, zur Schöpfungslehre, zur
Abtreibung etc.) im gesellschaftlichen Diskurs
auch nur vorzutragen, dann bewegen wir uns
nicht in Richtung einer immer offeneren Gesellschaft, sondern vielmehr auf dem Weg in
eine unmenschliche „Diktatur des Relativismus“, in der letztlich „im Namen der Toleranz
die Toleranz abgeschafft wird“ (Benedikt XVI.
2010, S. 69 und 72).
6. Karl Popper und die christliche Sozialethik
Wegen der Unzulässigkeit eines entsprechenden Induktionsschlusses ist es unmöglich, die
Wahrheit unserer theoretischen Erkenntnisse
definitiv festzustellen; ein analoges Induktionsproblem hindert uns jedoch auch daran, sicher zu wissen, dass es die objektiven Werte,
welche die christliche Soziallehre voraussetzt,
nicht gibt. Ob man sich in dieser Situation für
den ethischen Subjektivismus entscheidet oder
einen metaphysisch begründeten Normobjektivismus wie in christlichen Aussagensystemen – stets ist eine Glaubensentscheidung
erforderlich: eine Entscheidung über die Bejahung oder Negation eines metaphysischen
Sachverhalts. Dass Normen immer und überall subjektiv und allein Menschen die „Quelle
aller Werte“ (Brennan/Buchanan 1993 [1985],
S. 28) sind, muss man, wenn man es denn will,
ebenso glauben, wie ein Christ an Gott glaubt
und dessen objektiv gültige Normsetzungen.
Subjektivismus und Objektivismus in Wertfragen stehen epistemologisch auf einer Stufe; es
gibt kein wissenschaftliches Kriterium, um zu
entscheiden, ob der normative Individualismus
oder eine anthropologisch fundierte „Natur des
Menschen“ in einem ökonomischen Legitimationsargument das oberste Wertaxiom darstellt.
Es ist daher kein besonderer Ausweis von
„Wissenschaftlichkeit“, in einem normativen
ökonomischen Argument, wie einst Laplace in
seinem Weltentwurf, auf die „Hypothese“ Gott
zu verzichten. Mag es auch manchem ethischen Skeptizisten unter den Ökonomen noch
so opportun erscheinen, die Bemühungen der
Vertreter objektivistischer Normbegründungsverfahren als „Diskussionen zwischen Möchtegern-Göttern“ (Buchanan 1977, S. 142) lächerlich zu machen[15]; vom Standpunkt des
Popperschen Kritischen Rationalismus aus betrachtet, ist das „Rennen“ zwischen dem unter
Ökonomen üblichen ethischen Subjektivismus
und der christlichen Sozialethik völlig offen.
Mehr noch: Rein wissenschaftstheoretisch ist
es sogar unentscheidbar.
Auf diesem Hintergrund mag es von Interesse sein, wie der Gründer des Kritischen Rationalismus ganz persönlich in dieser Frage
dachte. Dass Karl Popper seine „Logik der
Forschung“ wesentlich in Abgrenzung zum
Positivismus des „Wiener Kreises“ entwickelte, ist allgemein bekannt (siehe z.B. das
Vorwort in Popper 1994, S. XXIII). Immer
wieder betonte er, dass die Falsifizierbarkeit
einer Aussage ein „Abgrenzungskriterium“
zwischen den Sätzen der empirischen Wissenschaften und anderen Sätzen sein solle,
nicht aber ein „Sinnkriterium“; keineswegs
gehe es ihm, beteuerte er wiederholt, um eine
„Vernichtung der Metaphysik“ (Popper 1994,
S. 10), wie sie dem logischen Empirismus vorschwebte. Teile der Metaphysik hielt Popper
sogar für wertvoll und für die spätere Entwick-
7
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)
Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
lung wissenschaftlicher Theorien für unabdingbar.[16] Ausdrücklich verteidigte er auch
gegen Carnap seine Ansicht, dass ein nichtfalsifizierbarer, metaphysischer Satz, der die
Existenz eines allmächtigen, allgegenwärtigen
und allwissenden personalen göttlichen Geistes behauptet, sehr wohl sinnvoll sein könne
(Popper 1969, S. 274 ff.). Aus gutem Grund ist
daher die Haltung Poppers, der sich selbst als
Anhänger eines „metaphysischen Realismus“
(Popper 1994, S. 226) sah, als „eine Rehabilitation der Metaphysik“ (Gröbl-Steinbach
2002, S. 221) gegenüber dem logischen Empirismus verstanden worden.
Auffällig ist darüber hinaus auch Poppers Ablehnung einer relativistischen Moralauffassung, nach welcher es aufgrund einer Vielzahl
von Ethiken, deren materiale Normen einander
häufig widersprechen und auch im Zeitablauf
Änderungen unterworfen sind, nicht möglich
sei, eine unbedingt verbindliche und allgemeingültige Norm zu finden. Zwar zog sich
Popper selbst den Relativismusvorwurf immer
wieder zu (kürzlich etwa bei Petropulos 2002,
S. 187), weil er unter anderem Normen ausdrücklich für „das Werk des Menschen [hielt;
d. Verf.] in dem Sinn, dass nur wir allein für sie
verantwortlich sind –, weder die Natur noch
Gott“ (Popper 1992, S. 74). Aber zugleich betonte er auch immer wieder, dass diese Auffassung nicht bedeute, dass die Geltung von Normen deshalb „willkürlich“ sei (Popper 1992,
S. 74). Ein „intellektueller und moralischer
Relativismus“ galt Popper (1992a, S. 460)
sogar als die „philosophische Hauptkrankheit
unserer Zeit“.[17]
Nun muss jedoch, wer den ethischen Relativismus ablehnt, noch keineswegs ein Vertreter
objektiver Normen sein. Dass der Begründer
des Kritischen Rationalismus indes, wie der
christliche Sozialethiker Johannes Messner
(1980, S. 1) anerkennend bemerkt, tatsächlich „kein grundsätzlicher Skeptiker“ war,
sondern Werte sehr wohl für objektive Gegebenheiten hielt, zeigt beispielsweise Poppers
Hinweis, dass die Moral, die er predige, jene
sei, die von Kant begründet wurde (Popper
1992, S. XV). Ausdrücklich bekennt er sich in
Fragen der Normbegründung zu „Kants Idee
der Autonomie im Gegensatz zur Heteronomie“ (Popper 1992a, S. 479).[18] „Ich teile“,
schreibt er außerdem, „... nicht die Ansicht,
dass jemand, der ethische Gesetze für Menschenwerk im angegebenen Sinn hält, mit der
8
religiösen Auffassung in Konflikt kommen
muß, nach der sie uns von Gott gegeben sind“
(Popper 1992, S. 79).
Zwar sind nach Popper (1992a, S. 477) Tatsachen und „Maßstäbe“, wie er ethische Grundsätze nennt, strikt voneinander zu trennen; andererseits will er sehr wohl
„... die Idee der absoluten Wahrheit – die Übereinstimmung mit den Tatsachen – als eine Art
Modell für den Bereich der Maßstäbe zu benutzen, um uns klar zu machen: wie wir im Bereich
der Tatsachen nach absolut wahren Aussagen
suchen können oder zumindest nach Aussagen,
die der Wahrheit näher kommen, können wir
ebenso auch auf dem Gebiet der Maßstäbe nach
absolut richtigen oder gültigen Vorschlägen
suchen – oder zumindest doch nach besseren
oder gültigeren Vorschlägen.“ (Popper 1992a,
S. 480; Hervorhebungen im Original)
Auch ist es nach Popper sehr wohl möglich, auf
dem Gebiet der Moral Fortschritte zu machen:
„Ähnlich wie auf dem Gebiet der Tatsachen
können wir Entdeckungen machen. Dass Grausamkeit immer ‚schlecht’ ist; dass sie, wo immer
möglich, vermieden werden muß; dass die Goldene Regel ein guter Maßstab ist, der vielleicht
sogar noch verbessert werden kann, indem man
andere, wo immer möglich, so behandelt, wie
sie behandelt werden wollen; und Sokrates’
Einsicht, dass es besser ist, Unrecht zu leiden,
als Unrecht zu tun; das alles sind elementare und
äußerst wichtige Beispiele für Entdeckungen
auf dem Gebiet der Maßstäbe.“ (Popper 1992a,
S. 480 f.; Hervorhebung im Original)
Popper ging danach offenbar von der realen
Existenz einer objektiven Wahrheit auch im
Bereich der ethischen Überzeugungen aus
(siehe auch Zenz 2002 mit einer Vielzahl weiterer Belege aus Poppers Werk). Auch wenn
es Popper selbst vorzieht, in diesem Zusammenhang von „Richtigkeit“ oder „Angemessenheit“ zu sprechen als von „Wahrheit“ (Popper 1992a, S. 479), dürfte dieser Unterschied
höchstens nominell, nicht aber qualitativ sein
(Zenz 2002, S. 6). Normen sind – das unterscheidet ihn strikt von einem ethischen Subjektivisten – aus Poppers Sicht offenbar sehr
wohl wahrheitsfähig; sie können, in seiner
Diktion, „absolut richtig“ (Popper 1992a,
S. 480) oder falsch sein. Wie im Bereich der
empirischen Wissenschaft sieht er jedoch keine Möglichkeit, diese absolute Wahrheit oder
Richtigkeit als sicher zu erweisen. Es gibt nach
Popper (1992a, S. 480) nämlich „kein Kriterium für absolute moralische Richtigkeit“.
Obwohl er Kants Autonomiebegriff folgt und
ebenso wie dieser die Vernunft – oder, wie
Popper (1969, S. 182; Popper 1992a, S. 273)
zumeist schreibt, „das Gewissen“ – als seine
moralische Autorität und Wahrheitsgrund anerkennt, lehnt er doch die Unfehlbarkeit ab,
die Kant dem Vernunfturteil zuschreibt. Nach
Popper kann das Gewissen nämlich selbst
dann irren, wenn man sein Urteil auf Gott zurückführt. Denn Kant selbst habe darauf hingewiesen, dass alle auf Gott und seinen Willen hindeutende Evidenz nur subjektiv erfasst
werden und damit fehlbar sein könne.[19]
Ein Gewissensurteil kann daher nach Popper
zwar einen hinreichenden Anlass geben, einen
Maßstab vorläufig für „richtig“ zu halten; da
es jedoch auch in die Irre gehen kann, können
Gewissensentscheide, nicht anders als die empirische Wissenschaft, allenfalls „Vermutungswissen“ (Popper 1992a, S. 467) begründen.
[20] Auch im Bereich der (ethischen) Maßstäbe gibt es für Popper (1969, S. 27) somit „keine letzten Quellen des Wissens“, so dass wir
aufgefordert bleiben, unser Wissen in diesen
und in anderen Bereichen unserer Erkenntnis
der bedingungslosen Kritik auszusetzen.
Es ist daher nicht einmal zu weit gegriffen,
wenn Helmut Zenz bei Popper – analog zur
Vorgehensweise bei empirischen Sätzen – die
Idee der „Falsifikation einer religiösen Theorie“ rekonstruiert: Während die empirische
Wissenschaft bei der Annäherung an die absolute Wahrheit in ihrem Bereich der „Logik
der Forschung“ unterliegt, hat die Bildung
des Gewissens nach Popper bei der Annäherung an die absolute Richtigkeit im Bereich
der Moral und Religion einer eigenen „Logik
der Gewissens-Erforschung“ zu folgen (Zenz
2002, S. 10). Letzte „Gewissheit“ kann es in
beiden Bereichen nicht geben. Sowohl das
Wissen als auch das Gewissen müssen daher
dem ständigen Versuch der Falsifikation ausgesetzt bleiben.
Wenn diese Interpretation zutrifft, befindet
sich Poppers Position in Fragen der Moralbegründung in einer überraschenden Nähe zu
bestimmten Aussagen der christlichen Sozialethik. Beiden gemeinsam ist ein objektivistisches Normverständnis, das auch bei Popper
eine mögliche göttliche Fundierung ethischer
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)
Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
Pflichten zumindest nicht ausschließt. Ähnlich
ist in beiden Konzeptionen auch die dem Gewissen zugewiesene Rolle als Wahrheits- oder
Richtigkeitsgrund. Beide Ansätze berücksichtigen auch die Möglichkeit, dass das Gewissen
irren kann. Während die thomasische Sozialethik aber dennoch, ähnlich wie Kant, die Möglichkeit unterstellt, das objektive Urteil des in
allen Menschen als gleich funktionierend unterstellten „naturhaften Gewissens“ („Synderesis“) zu erkennen (Utz 1964, S. 67 f.)[21],
sieht sich Popper allerdings dazu veranlasst,
auch dem Urteil des menschlichen Gewissens
grundsätzlich zu misstrauen und dem auf diese Weise gewonnenen Wertewissen allenfalls
vorläufige Geltung zuzuschreiben.
Die Nähe seiner Auffassung zu Ideen der
christlichen Soziallehre fand der Begründer
des Kritischen Rationalismus selbst bemerkenswert. So bekannte Popper 1981 dem großen christlichen Sozialethiker Utz in einem
Brief, dass ihm wegen ihrer humanen und
duldsamen Tradition „die Naturrechtsschule
immer sehr sympathisch“ gewesen sei. Diese Sympathiebekundung war offenbar keine zufällige und unreflektierte Gemütsäußerung. „Ich war“, schrieb Popper nämlich im
gleichen Jahr in einem weiteren Brief an den
christlichen Naturrechtler Johannes Messner,
„immer ein Gegner des Rechtspositivismus,
und stand daher dem Naturrecht immer nahe,
obwohl ich nie von Rechtstheorie oder Rechtsphilosophie etwas wusste“ (zitiert nach Zenz
2002a, S. 161 und S. 163).
Anmerkungen
[10] Dieser Dogmatismus des „Ungläubigen“
ist treffend von Chesterton (2001), S. 279 f.
charakterisiert worden: „Irgendwie hat sich
die erstaunliche Vorstellung herausgebildet,
dass diejenigen, die nicht an Wunder glauben, sie kühl und objektiv betrachten, während diejenigen, die an sie glauben, dies nie
ohne Berufung auf ein Dogma tun. Tatsächlich verhält es sich genau andersherum. Die
letzteren akzeptieren sie (zu Recht oder Unrecht), weil sie Beweise haben. Die ersteren
bestreiten sie (zu Recht oder Unrecht), weil
sie mit einem Lehrsatz gegen sie antreten. ...
Wir Christen akzeptieren alle wirklichen Beweise – während ihr Rationalisten wirkliche
Beweise verschmäht, weil euer Glaube euch
dazu zwingt. Mich zwingt in dieser Sache
überhaupt kein Glaube, und nachdem ich mir
einige Wunder des Mittelalters und der Moderne unbefangen angesehen habe, bin ich
zu dem Schluß gekommen, dass sie wirklich
geschehen sind. Alle gegen diese unleugbaren
Fakten vorgebrachten Argumente sind Zirkelschlüsse. Sage ich: ‚Die mittelalterlichen
Dokumente bezeugen Wunder genauso, wie
sie Schlachten bezeugen‘, heißt es nur: ‚Aber
im Mittelalter war man abergläubisch‘; und
will ich dann wissen, worin der Aberglaube
bestand, lautet der einzige abschließende Bescheid, man habe an Wunder geglaubt. Sage
ich: ‚Ein Bauer hat ein Gespenst gesehen‘, so
erwidert man mir: ‚Aber Bauern sind doch so
leichtgläubig‘; frage ich dann: ‚Wieso leichtgläubig?‘, lautet die einzige Antwort: weil sie
Gespenster sehen. Island kann es nicht geben,
weil nur dumme Seefahrer die Insel gesehen
haben; und die Seefahrer sind dumm, weil sie
Island gesehen haben.“
[11] Steinvorth 2006, S. 23: „Der Fundamentalismus siegt auch bei ihm [dem Papst; d.
Verf.] über die Aufklärung.“
[12] So kommen in der von Steinvorth angeführten Enzyklika von Johannes Paul II. (1998)
die Worte „unfehlbar“ und „Unfehlbarkeit“
überhaupt nicht vor. Der Papst spricht hingegen von „Gewißheit“ (z.B. Nr. 27); gerade aber „Gewißheit ist nicht Unfehlbarkeit“
(Spaemann 1993, S. 189).
[13] In der christlichen Tradition findet sich
diese Idee im Grund jedoch schon in der Naturrechtsethik des Thomas von Aquin. Vgl.
dazu Saberschinsky (2002).
[14] Ganz in diesem Sinne warnt auch Johannes Paul II. (1991, Nr. 46) „vor der Gefahr des
Fanatismus oder Fundamentalismus derer, die
glauben, im Namen einer angeblich wissenschaftlichen oder religiösen Ideologie den anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was
wahr und gut ist, aufzwingen zu können. Die
christliche Wahrheit ist nicht von dieser Art.“
(Hervorhebung im Original)
[15] Ironischerweise versucht Buchanan
(1977, S. 142) seine vertragstheoretisch-subjektivistische Position dadurch zu begründen,
dass bei nicht-individualistischen Normbegründungsversuchen als Ergebnis letztlich
„alles möglich“ sei. Dies gilt jedoch nicht
minder für die Theorien des Gesellschaftsver-
trags im Allgemeinen und Buchanans (1984
[1975]) Variante einer „starken“ (strikt individualistischen) Vertragstheorie im Besonderen. Vgl. dazu Müller (2000), S. 49 ff.
[16] So ist zum Beispiel die im Popperschen
Werk zentrale Unterstellung von Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft eine metaphysische Aussage; sie behauptet etwas über die
Realität, ist aber nicht widerlegbar. Vgl. Popper (1994), S. 226.
[17] Das schließt nicht aus, dass die Poppersche Konzeption der „Offenen Gesellschaft“
unter bestimmten Bedingungen extrem relativistische Konsequenzen haben kann. Vgl.
Schefold (1986).
[18] Popper ist damit – entgegen Lütge (2002,
S. 390 und S. 397) und wohl auch im Unterschied zu Albert – kein Utilitarist oder ethischer Konsequentialist.
[19] Popper (1969, S. 26 und S. 182) bezieht sich dabei auf die folgende Kant-Passage: „Denn auf welcherlei Art ein Wesen
als Gott von einem anderen bekannt gemacht
und beschrieben worden, ja ihm ein solches
auch (wenn das möglich ist) selbst erscheinen möchte, so muß er ... urteilen, ob er
befugt sei, es für eine Gottheit zu halten und
zu verehren. Aus bloßer Offenbarung, ohne
jenen Begriff vorher in seiner Reinigkeit, als
Probierstein, zu Grunde zu legen, kann es
also keine Religion geben und alle Gottesverehrung würde Idololatrie sein“ (Kant 1983
[1793]), S. B 257, Fußnote; Hervorhebungen im Original). – Im Ergebnis ganz ähnlich schreibt auch der Theologe Hempelmann
(2002, S. 261), theologische Sätze könnten
niemals absolute Erkenntnissicherheit (securitas) beanspruchen, sondern allenfalls eine
hinreichend große Gottes- und Heilsgewissheit (certitudo).
[20] Dass Kant der Vernunft in seiner Ethik
eine Stellung als unfehlbarer Wahrheitsgrund
anwies, kommentiert Popper (1969, S. 26) mit
den Worten:„... it seems strange that in his
philosophy of science Kant did not adopt the
same attitude of critical rationalism, of the
critical search for error. I feel certain that it
was only his acceptance of the authority of
Newton’s cosmology – a result of its almost
unbelievable success in passing the most severe tests – which prevented Kant from do-
9
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)
Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
ing so. If this interpretation of Kant is correct
the critical rationalism (and also the critical
empiricism) which I advocate merely puts the
finishing touch to Kant’s own critical philosophy. And this was made possible by Einstein, who taught us that Newton’s theory may
well be mistaken in spite of its overwhelming
­success.”
[21] Das gilt gleichwohl nicht für die nichtthomasische, evangelische Variante der Sozialethik (z.B. Rich 1970), nach welcher die
menschliche Ratio durch den Sündenfall verdorben und nur durch die Gnade (sola gratia)
zur Wahrheitserkenntnis fähig ist.
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Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller
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11
Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller
Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider
D
er Beitrag von Christian Müller zur Verteidigung metaphysischer Moral gegen
den ethischen Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler
Sicht ist lesenswert, fordert aber eine Erwiderung heraus. Meinen Bemerkungen geht es
nicht wesentlich um Kritik an Müllers Verständnis der Erkenntnistheorie Poppers oder
gar der Ethik Kants, sondern um die ethischen
Grundlagen, die eine bemerkenswerte Nähe
der christlichen, jedenfalls der naturrechtlichen katholischen, zu einer republikanischen, nicht religiös fundierten Freiheits- und
Rechtslehre aufweisen. Die protestantische
Ethik ist trotz ihrer zeitgeistgebunden Beliebigkeit auch naturrechtlich durch die von Melanchthon begründete lex naturalis fundiert,
die den Menschen der Vernunft verpflichtet,
deren wichtigstes Gesetz auch für den usus
politicus legis die regula aurea der Bergpredigt ist (vgl. Werner Elert, Das christliche
Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik,
1961, S. 100 ff.).
Christian Müller folgt nicht der alten, aristotelischen Unterscheidung zwischen Wahrheit
und Richtigkeit, obwohl diese ihm wohl bekannt ist und Karl Raimund Popper, auf den
er sich weitgehend stützt, seine Ethik auch auf
sie gründet. Diese Unterscheidung ist aber für
die Frage nach der Objektivität von Normen
grundlegend. Müller geht mit der Frage, ob
es richtige Normen, die er mit Werten oder
Werturteilen identifiziert, gibt, so um wie mit
der Frage nach der Wahrheit. Normen können aber nicht wahr oder unwahr sein, sondern sind richtig oder falsch. Müller spricht
von „wahr oder falsch“ und verdeckt schon
sprachlich die Unterschiede. Aber auch Werten eignet weder Wahrheit noch Unwahrheit.
Werte haben Gegenstände der Betrachtung
oder des Handelns. Nach Kant hat absoluten
Wert und damit Würde der gute Wille der
sittlichen Persönlichkeit, die Selbstzweck ist
(GzMdS, ed. Weischedel, 1968 ((diese Ausgabe wird durchgehend benutzt)), Bd. 6,
S. 18 ff.). Die Gegenstände der Neigungen,
etwa Konsumgüter, haben bedingten Wert,
nämlich einen Preis, aber keine Würde. Werte können die Verfassung bestimmen oder die
Gesetzgebung leiten. Sie gehören zu den Maximen, den „subjektiven Prinzipien zu handeln“ (GzMdS, Bd. 6, S. 51). Sie sind aber
als solche keine Rechtssätze, keine Normen,
keine „praktischen Gesetze“ als „objektive Prinzipien“, „gültig für jedes vernünftige
12
Wesen und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ“ (daselbst). So
hat Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG „die Würde des
Menschen“ für „unantastbar“ erklärt und dadurch zu einem Gesetz erhoben, zum obersten
Rechtsprinzip. „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“
(S. 2). Demzufolge ist die Würde des Menschen durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu materialisieren, etwa im Folter- und
Tötungsverbot. Vielfach werden Rechtsgrundsätze als „Werte“ bezeichnet, um ihre fundamentale Bedeutung zu unterstreichen, etwa in
Art. 3 EUV „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen,
die Minderheiten angehören.“ Das hindert die
Europäische Union nicht, diese „Werte“ stetig
zu missachten. Freilich ist wegen der außerordentlichen Offenheit der Begriffe streitig,
was die „Werte“ besagen. Jedenfalls ist diese
Wortwahl in Rechtstexten irreführend. Theorien, Bilder von der Wirklichkeit, können
wahr sein, wenn sie nämlich der Wirklichkeit
entsprechen (Konvergenztheorie Tarskis und
Poppers). Die Unterscheidung von Sein und
Sollen, die Humesche Disjunktion, ist für die
Sollenslehre grundlegend.
Wer allerdings Gott, den Allmächtigen, als
den, zudem universalen, Gesetzgeber versteht und Angriffe auf diese Metaphysik abzuwehren versucht, muss die Wahrheits- mit
der Richtigkeitsfrage vereinen. Das macht
die Katholische Kirche wie die meisten Glaubenslehren, insbesondere der Islam. Popper
ebnet trotz seiner Analogie der normativen
Richtigkeitslehre zur Vermutungslehre seiner
empirischen Wahrheitslehre den Unterschied
nicht ein. Seine Analogie ist dem Irrtum geschuldet, der bei jeder Erkenntnis möglich
ist. Darum schlägt Popper auch für die Politik
die Erkenntnisweise des Versuchs und der Irrtumskorrektur vor. Das hebt den Unterschied
empirischer und normativer Erkenntnis, der
Erkenntnis von Sein und Sollen, nicht auf.
Müller berichtet selbst, dass Popper „Tatsachen“ und „Maßstäbe“ (ethische Grundsätze) strikt zu trennen gelehrt hat. Das gilt erst
recht für Normen. Dass Popper aber Normen
entgegen seiner Diktion „richtig“ und „angemessen“ für wahrheitsfähig gehalten habe,
sehe ich nicht. Als Argument kann Müller nur
„offenbar“ nennen. Ein „Kriterium für absolute moralische Richtigkeit“ kann es nicht ge-
ben. Das gibt es nach Popper nicht einmal für
die Wahrheit der Erkenntnis der Wirklichkeit
oder der evolutionären Vorgänge/Prozesse der
Welt, von der die Richtigkeit abhängig ist.
Weil die Menschen die Gesetze, bestmöglich
in Freiheit, selbst geben, ist die Richtigkeit
der Gesetze stets durch die dualistische Natur
des Menschen als homines phaenomenoi und
homines noumenoi gefährdet. Die praktische
Vernunft der Gesetze ist nicht sicherzustellen. Zudem ist die Richtigkeit von Normen
wegen der normativen Spielräume in freilich
begrenzter Weise offen. Das alles hebt die Objektivität der Richtigkeit und die Erkennbarkeit der Gesetze nicht auf.
Ex definitione macht die Existenz Gottes diesen zum Gesetzgeber; denn er ist allmächtig. Es versteht sich, daß die Existenz Gottes
nicht falsifizierbar ist; denn sie existiert kraft
Glaubens, als „zweite Wahrheit“. Ein falsifizierbares oder gar verifizierbares Wissen von
Gott gibt es nicht und kann es nicht geben.
Kant hat alle theoretischen Gottesbeweise
widerlegt (KrV, II. Buch der transzendentalen Dialektik, Drittes Hauptstück: Das Ideal
der reinen Vernunft, III.–VI. Abschnitt, Bd. 4,
S. 523 ff.), aber Gott (deus) als Postulat der
praktischen Vernunft, als Gegenstand des moralischen Glaubens zur Stärkung der Moralität
philosophiert. Eine Metaphysik der Wunder,
die Müller überzeugt, trägt nicht. Wunder sind
Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt durchgehend zweifelhaft ist. Müller hält die Auferstehung Christi für historisch nicht weniger
bezeugt als andere Ereignisse der Antike
und leitet daraus deren erkenntnistheoretisch
hinreichende Wahrheit ab, weil die Falsifizierung der Auferstehungsaussage nicht gelinge. Sie ist Glauben und es gibt Gläubige,
die Zeichen ihres Glaubens erleben oder zu
erleben meinen. Der Glaube ist Wirklichkeit,
das Geglaubte nicht; denn es ist kein Wissen,
das wissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich wäre. Das Geglaubte ist eine subjektive, trans­zendentale Wahrheit des Gläubigen.
Mein Vater, gläubiger Pfarrer, hat gepredigt,
hätte man die Auferstehung zu photographieren versucht, wäre nichts auf der Photographie zu sehen gewesen. Man kann sie nur
glauben. Der Glaube mag Berge versetzen,
aber ein empirischer Beweis Gottes ist das
nicht. Friedrich Nietzsche, das Sprachgenie,
formuliert: „Gott ist tot; denn er ist unglaubwürdig geworden“. Gott ist gewissermaßen
Opfer der Aufklärung.
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller
Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider
Mit den Mitteln des kritischen Rationalismus
die Theorie von einer Wirklichkeit Gottes unangreifbar machen zu wollen, ist dem Glauben zuwider. Mittels dieser Erkenntnistheorie kann die Theorie auch falsifiziert werden.
Das wäre das Ende der christlichen Religion. Je nach Definition Gottes, etwa als der
liebende Gott, ist die Theorie durch unfassbare menschliche Verbrechen widerlegt und
tatsächlich für viele Menschen unglaubhaft
geworden. Müllers Verteidigung Gottes dürfte entgegen seinem Anliegen von der Kurie
als Blasphemie verworfen werden. Der Glaube an die Existenz Gottes macht die Gläubigen, vornehmlich deren oder, wenn man so
will, Gottes Priester zu den Gesetzgebern;
denn wer Gott zu kennen meint, muss die
Gesetze in seinem Willen suchen und finden. Davon hat auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht Abstand genommen, trotz
allem Zugeständnis von Freiheit. Es sind aber
im Zweifel seine Gesetze, die des Gläubigen
oder die seiner Glaubensgemeinschaft. Freilich nimmt die Subjektivität des Glaubens
und des Geglaubten letzterem die Macht der
Allgemeinheit. Sie ist durch die Glaubensfreiheit grundrechtsgeschützt, nicht anders
aber als die Freiheit, nicht zu glauben. Das
wird vom Islam nicht akzeptiert, der demgemäß zum religiösen Totalitarismus führt, den
die Säkularisation des Politischen in Europa
überwunden hat (dazu meine Schrift Grenzen
der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam,
2. Aufl. 2011). Die auf das gemeinsame Leben
bezogenen Zehn Gebote, welche im Liebesgebot zusammengefasst sind, lassen sich auch
ohne Gott begründen. Sie finden sich mehr
oder weniger in allen Rechtsordnungen der
Menschen. Es sind Menschheitsgesetze.
Es gibt auch andere Götter als den christlichen Dreieinigen Gott, zum Beispiel Allah.
Dessen Verbote und Gebote, die Scharia, unterscheiden sich erheblich von der christlichen Lebensordnung. Darüber hilft die fragwürdige Identifizierung von Gott und Allah,
die modisch geworden ist, nicht hinweg. Es
gibt zudem ungläubige Menschen, Atheisten,
und Agnostiker, für die die Gesetze auch Geltung beanspruchen. Welchen Geltungsgrund
sollen die Gesetze für die Ungläubigen oder
die Andersgläubigen haben, wenn nicht die
Gewalt, also Herrschaft. Die Aufklärung hat
eine andere Antwort gegeben: Freiheit. Diese
Antwort gibt der Sache nach auch der Papst,
etwa in seiner großen Rede vor dem Deut-
schen Bundestag am 22. September 2011,
obwohl er an der Gesetzgeberschaft Gottes
gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil
festhalten dürfte. Aber das Konzil hat den
Menschen in Gaudium et Spes, 17, als frei
und verantwortlich für das Gute im gemeinsamen Leben erklärt. Das schließt die politische
Freiheit, die Verantwortung für das Recht, ein,
„den Willen zum Recht“ und das „Verstehen
für das Recht“, dem „Maßstab der Gerechtigkeit“, dem der „Erfolg untergeordnet“ sei, wie
der Papst in Berlin ausgeführt hat. Der Papst
benennt „Natur und Vernunft als die wahren
Rechtsquellen“ und erbittet „ein hörendes
Herz – die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der
Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden“.
Er versöhnt die christliche Religion mit dem
Republikanismus Kants größtmöglich. Das
Verbindende ist das Liebesprinzip. Die kantianische Moralität ist nichts anderes als der
Wille zum Recht, der dessen Erkenntnis voraussetzt, und die kantianische Idee der Freiheit als Grundlage der praktischen Vernunft
und damit der Menschheit des Menschen ist
mit der Formel von „Natur und Vernunft“ gut
vereinbar. Die Idee der Freiheit definiert das
Vernunftwesen, das der Mensch neben seiner
tierischen Natur auch ist. Die Natur des Menschen, die der Papst beruft, will erkannt sein.
Dafür hat Kant die transzendentalphilosophische Grundlage gelegt und als diese Natur
die Freiheit erkannt; denn „die Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender
Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit
nach einem allgemeinen Gesetz zusammen
bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“ (MdS, Rechtslehre,
Bd. 7, S. 345), folglich ein Naturrecht. Eine
andere Antwort als die Freiheit als Erkenntnisweise und Geltungsgrund der Gesetze lässt
sich nicht begründen. Kant hat das unüberholt
in der Kritik der reinen Vernunft und den Folgeschriften ausgearbeitet. Auch K. R. Popper,
auf den sich Müller zu stützen versucht, ist
Kantianer, Christian Müller ausweislich seiner
Hinweise und Zitate nicht.
Die Freiheit, „ein reiner Vernunftbegriff“
(MdS, Bd. 7, S. 326, u.ö.), versteht Kant
als die Autonomie des Willens. Sie ist eine
transzentale Erkenntnis, eine Idee. Ideen haben nach Platon als Urbilder der Dinge selbst
Wirklichkeit. Nach Kant sind die Ideen transzendentale Vernunftbegriffe, denen keine
Anschauung adäquat sein kann (KrV, Bd. 4,
S. 330 ff. u.ö.). Die Idee der Freiheit ist als
notwendiges Apriori der praktischen Vernunft die Bedingung von Recht unter Menschen, die gleich sind, nämlich alle gleich in
der Freiheit. Diese Idee ist die radikale Ablehnung von Herrschaft von Menschen über
Menschen und damit christlich fundiert; denn
das Gesetz des Christentums für das Leben
mit anderen Menschen ist: Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst, denn ich bin der
Herr (3. Mose 19, 18; Matthäus 5, 43; 22, 37
– 40; Römer 13, 9 und 10). Das Prinzip der
Nächstenliebe bezeichnet Kant als das Gesetz
aller Gesetze (KpV, Bd. 6, S. 203 ff.). Nächstenliebe ist die Sittlichkeit der Menschen, deren Gesetz der kategorische Imperativ Kants
ist, nämlich: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“
(KpV, § 7, Grundsatz der reinen praktischen
Vernunft, Bd. 6, S. 140). Zu dieser Sittlichkeit
finden Menschen nur durch Moralität, nämlich durch den inneren Antrieb der Nächstenliebe, „pflichtmäßig, aus Pflicht“ zu handeln,
Kants „allgemeines ethische Gebot“ (MdS,
Tugendlehre, Bd. 7, S. 521, auch KpV, Bd. 6,
S. 203). Der kategorische Imperativ ist zwar
ein objektives Prinzip der Ethik, nämlich des
Gesetz der Sittlichkeit/praktischen Vernunft,
aber kein Wert; denn er ist nicht material.
Die Liebe gebietet die Wahrheit; denn sonst
ist es nicht möglich, dem Anderen gerecht zu
werden und der allgemeinen Tugendpflicht:
„Eigene Vollkommenheit – fremde Glückseligkeit“ (MdS, Tugendlehre, Bd. 7, S. 515 ff.),
zu genügen. Fremde, also allgemeine Glückseligkeit, welche die Freiheit aller verwirklicht, verlangt nach dem allgemeinen Gesetz
des Rechts. Recht aber gründet auf Wahrheit.
Aber die Sätze Joseph Ratzingers, die Müller
zitiert: „Gott ist Liebe“ „Wahrheit und Liebe
sind identisch“, sind nur verständlich, wenn
für Wahrheit Wahrheitlichkeit gesagt wird.
Wenn Gott Liebe ist, ist auch die Liebe Gott.
Das ist dann eine religiöse Formulierung des
transzendentalen Vernunftprinzips Kants.
Die „sittliche Verantwortung ist keine Last“,
wie Müller meint und gar Kant und Popper
unterstellt, Freiheit und Autonomie die „Rückbindung an die sittliche Verantwortung“ entgegenzustellen. Freiheit ist Autonomie des
Willens und somit Gesetzgebung der praktischen Vernunft oder eben Sittlichkeit. Nicht
etwa „der Mensch ist sich selbst Gesetz“,
13
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller
Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider
wie Müller aufgreift; vielmehr ist der Wille
selbstgesetzgebend, also autonom. Der Wille
ist wie die Freiheit eine transzendentale Vernunftkategorie, nämlich die der Gesetzgebung. Der Wille ist seinem Begriff nach frei
(MdS, Bd. 7, S. 332), d. h. vernünftig/sittlich,
der Mensch, in seinen Neigungen verfangen,
keineswegs. Allenfalls lässt sich sagen, daß
die Freiheit des homo noumenon der Willkür
des homo phaenomenon entgegengestellt ist.
Der „menschliche Verstand“ ist nach Kant
auch nicht „das Maß aller Dinge“. Der Verstand ist vielmehr das „Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe“ (Kritik der teleologischen
Urteilskraft, Bd. 8. S. 523 f., u.ö.) und damit
„das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität der Erkenntnisse“ (KrV, Bd. 3, S. 97 f.). Die Vernunft, die
„den Verstand und dessen zweckmäßige Anstellung zum Gegenstand hat“, vereinigt „das
mannigfaltige der Begriffe durch Ideen“ und
(KrV, Bd. 4, S. 564 f.) ermöglicht dem Menschen die praktische Vernunft, nach Prinzipien
zu handeln, also die Sittlichkeit und damit die
Freiheit und das Vermögen der Kausalität, also
freien, die Welt verändernden Handelns. Der
kategorische Imperativ ist das Gesetz der inneren Freiheit, ohne die es keine äußere Freiheit,
nämlich die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (MdS, Bd. 7, S. 345),
geben kann; denn die Freiheit ist das jedem
Menschen „angeborene Recht“, nach Kant
das einzige (daselbst). Sie ist darum für alle
Menschen gleich und allgemein. Sie ist nichts
anderes als praktische Vernunft des homo noumenon im Gegensatz zu den determinierten
Neigungen des homo phaenomenon.
Eine Freiheit ohne Sittlichkeit ist ein Recht
zur Beliebigkeit, zur Willkür, Libertinage,
Dekadenz, die bisher kein Philosoph vertreten hat. Sie steht auch nicht im Grundgesetz,
das in Art. 2 Abs. 1 das Recht zur freien
Entfaltung der Persönlichkeit dem Sittengesetz, also dem kategorischen Imperativ, dem
Liebesgebot verpflichtet, nicht anders als
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Eine Freiheit, anderen zu schaden,
hat es nie gegeben und kann es nicht geben. Das gemeinsame Leben, das zur praktischen Vernunft verpflichtet, ist keine Last
des Menschen, sondern die conditio humana schlechthin, der auch die Religion entspringt. Darum nennt Kant die Stiftung der
„bürgerliche Verfassung“, die Pflicht sei, ein
„wirkliches Rechtsgesetz der Natur“ (MdS,
14
Bd. 7, S. 374), die Bedingung der peremtorischen Erwerbung aus dem „Vernunfttitel…
der Idee eines a priori vereinigten (notwendig
zu vereinigenden) Willens aller“ sei (MdS,
Bd. 7, S. 374 f.). Kants Ideenlehre ist gewissermaßen eine Sublimierung der christlichen Naturrechtslehre. Dafür spricht auch die
Naturgesetzformel des kategorischen Imperativs (GzMdS, Bd. 6, S. 51). Wie anders sollte Recht fundiert sein als aus der Natur des
Menschen als Gottes Geschöpfe oder aus der
Idee der Freiheit als Vernunftprinzip.
Papst Benedikt XVI. hat es in seiner Berliner Rede unternommen, die beiden Begründungen des Rechts zu versöhnen. Auch weitere naturrechtliche Postulate, insbesondere
die des bedingungslosen Lebensschutzes,
welche die katholischen Kirche gegen alle
hedonistische und feministische Dekadenz
behauptet, lassen sich mit dem auf die Freiheit gegründeten Rechtsprinzip begründen.
Das Leben ist nicht nur in allen Rechtsordnungen geschützt, sondern ist die Grundlage der Freiheit. Abtreibung und Selbstmord
sind lebensfeindlich. Sie widersprechen der
Menschheit des Menschen, seiner Würde, die
nicht zur Disposition des Menschen stehen;
denn die „Menschheit des Menschen soll der
Mensch auch in seiner eigenen Person achten“; sie muss ihm „heilig“ sein (KpV, Bd. 6,
S. 210). Die Freiheitsphilosophie Kants kann
und muss ich hier nicht näher ausbreiten und
schon gar nicht verteidigen. Sie steht für sich.
Es genügt, auf sie zu verweisen (dazu K. A.
Schachtschneider, Freiheit in der Republik,
2007). Man sollte sie allerdings kennen. Viele
Christen, zumal Protestanten, werden sagen,
Gott hat uns diese Freiheit für unser diesseitiges Leben gegeben, die äußere Freiheit als
die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, die mit der inneren Freiheit
der Sittlichkeit, der Nächstenliebe, der Brüderlichkeit, untrennbar zu einer Einheit verbunden ist. Das ewige Leben im Jenseits
ist allein durch den Glauben gerechtfertigt.
Auch jeder nicht religiöse Mensch muss anerkennen, dass die Menschen in ihrer Freiheit
gleich sind, dass niemand das Recht hat, andere zu beherrschen. Das führt zu derselben
brüderlichen Logik der Politik.
Politik ist als Gesetzgebung Verwirklichung
der allgemeinen Freiheit. Entgegen dem ethischen Subjektivismus sind die Gesetze erkennbar. Gesetzgeberische Dezisionen sind
Herrschaft derer, welche die Macht haben,
ihre „Werte“ gesetzgeberisch durchzusetzen.
Sie machen die anderen Menschen entgegen
der Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs (GzMdS, Bd. 6, S. 61), welche das
Bundesverfassungsgericht sich übrigens zu
eigen gemacht hat (BVerfGE 5, 85 (204); 7,
198 (205); 50, 166 (175); 87, 209 (228)), zu
Untertanen ihrer Zwecke, vielfach als Werte
ausgegeben. Die Werte können auch religiös sein, dürfen aber als solche um der allgemeinen Gleichheit willen nicht zum Gesetz
gemacht werden. Dem steht nicht nur der
menschenrechtliche Religions- und Weltanschauungspluralismus entgegen, sondern auch
die durch die Nächstenliebe definierte Freiheit
selbst, das diesseitige Heiligtum der Menschheit, die Menschheit der Menschheit, wie
Kant formuliert hat. Das steht der staatlichen
Verbindlichkeit religiös begründeter kulturell
tradierter Maximen nicht entgegen. Kant vertritt keine „Offenbarungstheorie“. Die göttliche Offenbarung müsse „so gedeutet werden,
dass sie mit den allgemeinen praktischen Regeln einer reinen Vernunftreligion zusammenstimmt“ (Rel, Bd. 7, S. 770 ff.). Die „Offenbarungen der Vernunft“ sind in Kants Ethik
keine „Wahrheitsgarantie“. Ganz im Gegenteil könne die Offenbarung nicht empirisch
eingesehen werden. “Da die moralische Besserung des Menschen den eigentlichen Zweck
aller Vernunftreligion ausmacht, so wird diese
auch das oberste Prinzip aller Schriftauslegung enthalten“ (S. 773). Die Kirchen macht
Kant zur Dienerin der Moralität, in Ordnung.
Die Sittlichkeit ist die Logik der Idee der
Freiheit als transzendentaler Kausalität in Antinomie zur Determiniertheit des Menschen.
Jedenfalls folgt die Pflicht zur praktischen
Vernunft aus der Allgemeinheit der Freiheit.
Papst Benedikt XVI. folgt dem Kantischen
Postulat durch seine Versöhnung der Religion
mit der praktischen Vernunft größtmöglich.
Kant sieht ganz zu Recht durch den „Kirchenglauben“ den „Volksglauben“ gestärkt, weil
dem Volk „keine Lehre zu einer unveränderlichen Norm tauglich zu sein scheint, die auf
bloße Vernunft gegründet ist, und es göttliche Offenbarung…fordert“ (S. 774). Man hört
schon Karl Marx anklopfen: Religion – Opium für das Volk. Kant zweifelt somit an der
Fähigkeit vieler Menschen, sich ihres eigenen
Verstandes zu binden, d. h. sich aufzuklären.
Diese Skepsis muß man nach aller Erfahrung
in Vergangenheit und vor allem Gegenwart
leider teilen.
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller
Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider
Die Richtigkeit der Gesetze ist objektiv. Sie ist
erkennbar. Der Papst spricht mehrfach davon,
daß „erkannt“ werden müsse, „was recht ist“.
Das ist Sache der Vernunft des Menschen.
Die Verbindlichkeit der Gesetze erwächst aus
dem allgemeinen Willen des Volkes, der volonté générale; denn „von dem Willen gehen
die Gesetze aus“ (Kant, MdS, Rechtslehre,
Einleitung, Bd. 7, S. 332)). Das ist die Logik
der Freiheit als Autonomie des Willens. Der
Wille (als transzendentale Kategorie) ist aus
sich selbst heraus Gesetz. Nur unter dem eigenen Gesetz, dem Gesetz, das er sich selbst
gibt, ist der Mensch frei, hat schon Rousseau,
der Kant „auf den Weg gebracht“ hat, gelehrt
(Contract Social I, 8: „Der Gehorsam gegen
das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit“; Kant,
GzMdS, Bd. 6, S. 63 ff.). Demgemäß muss
es das Gesetz aller, also jeden Bürgers sein.
Der Wille ist sich selbst Gesetz, sagt Kant in
der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
(S. 74). Das folgt aus der Autonomie des Willens. Der Wille ist eine Eigenschaft des Vernunftwesens. Das Gesetz ist als Gesetz für alle
verbindlich und muß darum allgemein sein.
Durch die Allgemeinheit der Verbindlichkeit
vermag das Gesetz das gemeinsame Leben zu
befrieden. Das Gesetz ist zugleich durch seine
Notwendigkeit definiert. Es ist unentrinnbar,
wie das Naturgesetz. Als Rechtsgesetz ist es
wegen des Dualismus des Menschen imperativisch, also nötigend. Das rechtfertigt den
rechtsstaatlichen Zwang im Interesse der Gesetzlichkeit. Allgemeinheit und Notwendigkeit des Gesetzes sind dessen Form (GzMdS,
Bd. 6, S. 45 f., 70; KpV, Bd. 6, S. 138, 145 f.).
Die Formalität des freiheitlichen Gesetzes
macht es als Institution von jeder Materie
unabhängig (daselbst). Deswegen steht das
Gesetz, die Norm, in einem fundamentalen
Gegensatz zum Wert. Der Wert ist material
und darum als Norm oder eben Gesetz nur
geeignet, wenn er allgemein ist. Das sind
etwa die Menschenrechte. Sie sind materiale
Normen und zugleich weitgehend allgemeine
Werte. So schützt das Recht auf Leben das
Leben, das zugleich ein Wert ist. Jedenfalls
haben viele Menschen die Menschenrechte
als höchste Gesetze anerkannt. Der Islam aber
akzeptiert sie nur unter dem Vorbehalt der
Scharia und in China wird noch heftig um die
Geltung der Menschenrechte gekämpft. Kant
rechtfertigt einige der Menschenrechte als
Töchter der Freiheit, insbesondere das Recht
der freien Rede (MdS, Bd. 7, S. 345 f.). Diese Rechte als Werte zu bezeichnen, wie etwa
Art. 2 EUV, ist zumindest irreführend, wenn
auch höchste Rechtsprinzipien in gewisser
Weise Heiligtümer der durch diese verbundenen Menschen sind. Die Menschen haben
aber weitere unterschiedliche Werte, die nicht
allgemein sind, insbesondere religiöse Werte. Diese sind subjektive besondere Werte.
Das freiheitliche Gemeinwesen, das die freie
Entfaltung der Persönlichkeit als Grundrecht
schützt (Art. 2 Abs. 1 GG) und insbesondere
die ungestörte Religionsausübung gewährleistet (Art. 4 Abs. 2 GG), räumt einem Leben
nach den eigenen Werten und insbesondere
nach den eigenen religiösen Werten größtmöglichen Handlungsspielraum ein, aber nur
im Rahmen der allgemeinen Gesetze. Jeder
Mensch kann nach seinen Werten, nämlich
seinen Maximen, leben, wenn er die Gesetze
achtet. „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu
können, was einem anderen nicht schadet. So
hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den
anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß
der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen
können allein durch Gesetz festgelegt werden“. … „Das Gesetz ist der Ausdruck des
allgemeinen Willens“ Das ist die wegweisende Aussage der Französischen Revolution in
der Erklärung der Rechte des Menschen und
des Bürgers.
Normen sind als Gesetze, wie gesagt, durch
ihre Allgemeinheit und Notwendigkeit definiert, mag man ihre Materie auch (zu Unrecht) für nicht oder für wenig bestimmt halten. Die Materie des Gesetzes ist von der Lage
abhängig. Werte mögen individualistisch und
relativistisch sein. Sie sind aber als solche
keine Normen, sondern können durch Gesetze verbindlich werden. Die Bürgerlichkeit
des Bürgers, welche republikanische Grundlage freiheitlicher Gesetzgebung ist, wird mit
einem (sozialwissenschaftlichen) normativen Individualismus oder normativen Relativismus in Abrede gestellt. Die praktische
Vernunft des Bürgers als homo noumenon
ist gerade nicht individualistisch oder relativistisch, sondern universalistisch, allgemeinheitlich, menschheitlich. Der Bürger ist nicht
homo oeconomicus. Als solcher ist oder wäre
er homo phaenomenon. Eine empiristische
Normenlehre kann das Recht nicht ins Recht
setzen. Fundamentalismus eines extremen Relativismus aber ist ein Scheinargument. Der
Relativismus leugnet gerade fundamentale
Verbindlichkeiten von Werten. Die Antidis-
kriminierungsideologie ist gerade nicht relativistisch, sondern wertorientiert, nämlich egalitaristisch. Sie führt zur von Papst Benedikt
XVI. besorgten „Diktatur des Relativismus“,
in der letztlich „im Namen der Toleranz die
Toleranz abgeschafft wird“; denn sie verletzt
das freiheitliche Privatheitsprinzip, den Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung
und damit auch der privaten Religiosität, einem Menschen- und Grundrecht, dem das
Gesetz größtmöglichen Entfaltungsraum lassen muss. Das Gesetz ist nur rechtens, wenn
es auf die Ordnung beschränkt ist, welche
nötig ist, um Verletzungen des einen durch
den anderen abzuwehren (Grundsatz des neminem laedere). Die unterschiedlich intensiv
geschützte Privatheit gebietet die allgemeine Toleranz berechtigten privaten Handelns,
oder anders formuliert, Staat und Bürger sind
verpflichtet, mit den Rechten der anderen die
Unterschiedlichkeit der Lebensweise, zumal
die unterschiedlichen Meinungen zu achten.
Der moralistische Egalitarismus ist Despotie.
Gerade die Kirche hat das nach zwei Jahrtausenden eingesehen.
Alle Gesetze materialisieren aber das Recht
oder eben die Rechtsordnung. Recht will erkannt sein. Jeder Richterspruch ist eine Erkenntnis des Rechts und versteht sich so.
Die Rechtsetzung unterscheidet sich insofern
nicht von der Rechtsprechung. Nur ist die Gesetzgebung allgemein und nicht auf den Einzelfall begrenzt, wenn auch nur im Regelfall.
Auch Rechtsprechung ist wegen ihrer allgemeinen Wirkung funktionale Rechtsetzung,
die Verfassungsrechtsprechung sogar weitgehend institutionell; denn ihre Entscheidungen (alle entscheidenden Begründungssätze)
binden alle Verfassungsorgane, Gerichte und
Behörden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Die Gesetzgebung muss wie die Rechtsprechung und
Verwaltung, ja wie alles sittliche Handeln,
auf der Wahrheit gründen, d. h. sie muss die
Wirklichkeit zu Grunde legen, sonst kann sie
diese nicht sachgerecht ordnen. Die Leugnung der Wirklichkeit führt zu fehlerhaften
Gesetzen. Ein Exempel ist die Währungsunion, welche die ökonomischen Gesetze, die
die Wirklichkeit beschreiben, um politischer,
zudem verfassungswidriger Ziele willen, zu
ignorieren versucht. Ohne Erfolg! Auf der Erkenntnis der Wirklichkeit des Seins, wird der
Sollenssatz aufgebaut, die allgemeinverbindliche Handlungsmaxime. Die Sollenssätze,
zumal die Gesetze, sind aber nicht nur durch
15
Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller
Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider
die Wirklichkeit determiniert, sondern durch
vielfältige normative Vorgaben, insbesondere die Verfassung, also alle Rechtsprinzipien,
die mit dem Menschen geboren sind, nämlich die Freiheit und alle aus dieser folgenden
Rechtssätze, die Verfassungsgesetze, also die
näheren vorrangigen Normen, welche nicht
im Widerspruch zur Verfassung stehen dürfen, die internationalen Vereinbarungen, also
völkerrechtliche Verträge, somit das gesamte Rechtssystem, das nicht widersprüchlich
sein darf. Das engt die Rechtsetzung stark ein
und erfordert die rechtswissenschaftliche Erkenntnis möglicher Gesetze. Hinzu kommen
die Erkenntnisse der vielen Wissenschaften,
zumal die der Ökonomik, die beachtet werden müssen, damit die Gesetze die bezweckte Wirkung nicht verfehlen, also wiederum
die Beachtung der wissenschaftlich erfassten Wirklichkeit. Gesetzgebung ist somit um
der Sachlichkeit willen eine wissenschaftliche Aufgabe und somit kognitivistisch, eine
Erkenntnisaufgabe. Wie die Vernunft ist das
Recht objektiv. Subjektiv sind die Neigungen,
die auch Werten verpflichtet sein können, aber
nicht das Recht und nicht dessen Erkenntnis
bestimmen dürfen. Sie tun es fraglos, aber das
ist menschliche Schwäche.
Wenn die gesetzgeberische Erkenntnis bewältigt werden soll, bedarf es des politischen Diskurses. An diesem müssen im Prinzip alle Bürger, das ganze Volk, mitwirken können. Das
gebietet das demokratische Prinzip der Republik, die Staatsform der allgemeinen Freiheit.
Die Erkenntnisaufgabe wird weitgehend an
die Vertreter des Volkes in Parlament, Regierung, Verwaltung und auch Gerichten überantwortet. Jeder Richter ist ausweislich des
Art. 100 Abs. 1 GG für die Rechtmäßigkeit
der Gesetze verantwortlich, muss also den gesetzgeberischen Erkenntnisakt nachvollziehen
und gegebenenfalls kritisieren. Dabei gilt aus
Gründen der Gewaltenteilung ein Zurückhaltungsgebot und die Normverwerfung ist den
Verfassungsgerichten vorbehalten. Ohne diese
Repräsentation wäre die staatliche Ordnung
nicht zu gewährleisten. Die Universitäten
müssen gesetzgeberische Hilfestellung geben,
nicht nur die Rechtslehre. Alle Bürger und
insbesondere alle Vertreter des Volkes haben
sich bei der Erkenntnis der Gesetze der Sittlichkeit, d. h. der praktischen Vernunft, zu befleißigen, die deren persönliche Moralität erfordern. Letztere muss institutionell möglichst
gestützt werden. Der Fraktionszwang in den
16
Parlamentsparteien und die Hierarchisierung
des Parlaments sind damit unvereinbar. Die
Abgeordneten dürfen nur ihrem Gewissen,
dem „inneren Gerichtshof der Sittlichkeit“
(Kant, MdS, Tugendlehre, Bd. 7, S. 573 f.)
folgen. Das Gewissen bezeichnet der Papst
als „das hörende Herz Salomons“, mit dem
„er das Volk zu regieren und das Gute vom
Bösen zu unterscheiden versteht“. Durch das
Gewissen spricht Gott, glauben die Christen.
Nach Kant ist es die praktische Vernunft,
ebenfalls das Gute.
Die Gesetzgebung lässt keine Spielräume
der Willkür. Ganz im Gegenteil: Das Willkürverbot ist Grundprinzip des bürgerlichen
Gemeinwesens, der Republik. Es folgt aus
der allgemeinen äußeren Freiheit, nämlich
der „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“. Willkür ist grobes Unrecht,
also eklatante Missachtung der praktischen
Vernunft, des rechten Maßes. Zudem sind,
wie gesagt, die vorrangigen Normen, zumal
die Menschen- und Grundrechte zu achten,
also die Sittlichkeit auf der Grundlage der
Wahrheit. Die Normen sind trotz aller Spielräume der Politik somit objektiv. Sie werden
nicht gesetzt, sondern erkannt. Der normative
Spielraum hebt die Objektivität der Normen
nicht auf. Wären Normen, also Gesetze, nicht
derart gebunden, dass ihre Richtigkeit der Erkenntnis fähig ist, könnte es keine Gerichtsbarkeit über diese geben. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, die Gesetze verwerfen kann und
soll, wenn diese nicht dem Recht genügen,
wäre demokratisch nicht legitimiert und gegen die Gewaltenteilung. Ihre Erkenntnisse
misslingen vielfach. Oft ist die Judikative
gerade der Verfassungsrichter wegen deren
politischen Opportunismus Willkür. Sie darf
das aber nicht sein. Meist ist der Erkenntnisspielraum, den das Bundesverfassungsgericht Regierung und Parlament lässt, entgegen
dem Recht zu groß, zumal in der WirtschaftsWährungs- und Sozialpolitik. Im Prinzip lässt
sich jede Vorschrift, jedenfalls deren Rechtlichkeit, wissenschaftlich ermitteln. Das ist
eine Sache von scientia und prudentia. Gesetzgebung ist jedenfalls nicht Sache der
Mehrheit des Volkes oder gar der Mehrheit
der Parlamentarier, zunehmend durch die Regierung mittels deren parteiliche Macht gegängelt. Dadurch wird die Demokratie nicht
nur Oligarchie, sondern Ochlokratie, Pöbelherrschaft. Die Vertretung des ganzen Volkes
ist Amt des gesamten Parlaments. Sie lässt
sich nur diskursiv verwirklichen, als größtmögliche Mühe aller Abgeordneten um die
bestmögliche Erkenntnis des Wahren und
Richtigen, des Seins und des Sollens.
Wenn religiöse Natur das Ethos des Menschen ist, gehört die naturrechtlich gebundene
Vernunft zum Sein und Sein und Sollen sind
nicht unterschieden, wie das Benedikt XVI.
lehrt. Kant gründet das Sollen in der Idee der
Freiheit, erkennt aber ein „Faktum des Sollens“ (KrV, Bd. 4, S. 426 ff., 495 ff, 505 f,
674 ff.; MdS, Bd. 7, S. 326 ff., 361, u. ö.),
ohne die Unterscheidung aufzugeben. Beiden
nah verwandten Ethiken ist aber die Kritik
des normativen Positivismus. Die Mehrheitsherrschaft ist nach aller Erfahrung immer die
Herrschaft von kleinen Minderheiten, Parteienoligarchie, die sich auf ein vermeintliches Mehrheitsprinzip beruft. Dieser Demokratismus ist republikwidrig. Er ist Despotie,
nicht freiheitliche Demokratie. Dazu führt der
ethische Subjektivismus, der die Verbindlichkeit von Normen von Neigungen/Interessen
abhängig macht, die zu hypothetischen Imperativen führen, die den `Tanz um das goldene Kalb` auch unsrer Tage bestimmen.
Neigungen sind Eigenschaften des homo
phaenomenon, des empirischen Menschen in
seiner tierischen Natur, die der homo noumenon, der Mensch als Vernunftwesen, um seiner Freiheit willen überwinden muss. Dieser
Dualismus ist für die Ethik als Freiheitslehre grundlegend. Republikanität verlangt Erkenntnis des Rechts, das intersubjektiv, nämlich allgemein und insofern in eigener Weise
objektiv ist. Denn: Der Wille, der die Gesetze
gibt, ist praktische Vernunft. Normen können
somit, republikanisch und grundgesetzlich
konzipiert, zwar nicht unwahr, aber, entgegen dem ethischen Subjektivismus, falsch
sein. Sie sind zwar keine „ethischen Tatsachen“, aber verwirklichte Ethik. Diese aber
gebietet die Erkenntnis des Richtigen für das
gute Leben aller auf der Grundlage der Wahrheit, der Wahrheit des Diesseits freilich, also
Sittlichkeit. Diese Lehre ist christlich, wenn
auch nicht gläubig. Aber sie ist die Ethik, die
ausweislich Art. 1 der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte für alle Menschen gilt,
nämlich:
„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft
und Gewissen begabt und sollen einander im
Geiste der Brüderlichkeit begegnen“.
Objektive Normen und Kritischer Rationalismus
Eine Replik auf Karl Albrecht Schachtschneider – von Christian Müller
I
n diesem und im letzten Heft von „Wirtschaft und Ethik“ argumentierte ich mit
dem Instrumentarium des Kritischen Rationalismus gegen die allgegenwärtige Dominanz
des ethischen Subjektivismus (ausführlich
Mackie 1981, S. 11 ff.) in den Wirtschaftswissenschaften, welcher die „Metaphysikfreiheit“ moralischer Sätze zur Tugend ethischen
Argumentierens erheben will. Dieser Beitrag
hat eine ausführliche Reaktion Karl Albrecht
Schachtschneiders ausgelöst, auf die ich im
Folgenden antworten will.
1. Zur Kant-Interpretation
Im Zentrum von Schachtschneiders Beitrag
stehen nicht die zentralen Thesen meines
Aufsatzes, sondern allgemeine Ausführungen
zur Rechtslehre Kants, die ich mit Gewinn
gelesen habe. Seiner These von der bemerkenswerten „Nähe der christlichen, jedenfalls
der naturrechtlichen katholischen, zu einer
republikanischen, nicht religiös fundierten
Freiheits- und Rechtslehre“ (Schachtschneider, S. 1) stimme ich im Wesentlichen zu; ich
selbst hatte bereits in meinem Aufsatz (und
besonders in Müller 2004) auf diese Parallele
hingewiesen und werde mich hier nicht mehr
ausführlicher dazu äußern.
Allerdings zweifele ich daran, ob Papst Benedikt tatsächlich so weitgehend die Begriffe
der kantischen Rechtslehre verwendet, wie
es Schachtschneider unterstellt. Ratio recta
im Sinne des Thomas von Aquin meint eine
auf Gott – die Transzendenz – hin ausgerichtete Vernunft, die im Geist der Liebe die
Wahrheit – das göttliche Gesetz – erkennt.
Diese Vernunft gibt sich nicht selbst das Gesetz, sie erkennt aber – analog – das göttlich
gegebene Gesetz. Bei Kant ist die Objektivität von Werten und Prinzipien eine Denknotwendigkeit der Vernunft (transzendental).
Die Vernunft ist damit selbst das Gesetz,
das sie sich notwendig gibt. Christlicherseits hingegen ist die Vernunft lediglich ein
Mittel der Erkenntnis; entspricht der denknotwendigen Idee Gottes jedoch keine Wirklichkeit – wie es Schachtschneider offenbar
unterstellt (S. 2: „Der Glaube ist Wirklichkeit, das Geglaubte nicht.“) – ist die ganze
kantische Ethik selbst nur eine interessengeleitete (heteronome) Idee Kants (siehe etwa
Nass 2006).
Schachtschneider (S. 1) kritisiert bei mir die
synonyme Verwendung der Begriffe „Normen“ und „Werte“, die in dieser Literatur
weithin üblich ist (siehe z.B. Chmielewicz
1993, S. 209); mit Rücksicht auf den von mir
avisierten Adressatenkreis lege ich, im Interesse der Vermeidung von Missverständnissen,
die Terminologie jener Literatur zugrunde,
die ich kritisiere. Die von Schachtschneider
aufgeworfene Frage, ob meine „Wortwahl in
Rechtstexten irreführend“ (Schachtschneider,
S. 1 f.) ist oder nicht, kann dabei offen bleiben, da ich mich zu Rechtstexten nicht äußere. Zumindest aus christlich-naturrechtlicher
Sicht ist Schachtschneiders Begriffsfassung
ihrerseits nicht unproblematisch, insofern danach Werte Ziele darstellen, Prinzipien aber
Instrumente, um diese Ziele zu erreichen.
Beide können subjektiv oder objektiv ausgelegt werden. Menschenwürde wäre demnach keinesfalls ein Prinzip (S. 1), sondern
ein Wert, der seinerseits durch Prinzipien wie
Solidarität oder Subsidiarität zu materialisieren wäre.
tionalismus die Theorie von einer Wirklichkeit Gottes unangreifbar machen zu wollen“
(S. 3). Mein Argument ist vielmehr, dass der
ethische Subjektivismus, der in meiner Disziplin – den Wirtschaftswissenschaften – die
dominierende moralische Position darstellt,
nicht mehr „Wissenschaftlichkeit“ beanspruchen kann als eine christliche Fundierung
der Wirtschafts- und Sozialethik und insoweit „Subjektivismus und Objektivismus in
Wertfragen … epistemologisch auf einer
Stufe“ stehen. Zweitens argumentiere ich,
dass, wenn man den Kritischen Rationalismus mit der Position verbindet, dass normative Aussagen nicht wahrheitsfähig seien
(siehe Chmielewicz 1993, S. 216, mit einem
Überblick über die relevante Literatur), man
das dabei auftretende Induktionsproblem in
asymmetrischer und inkonsequenter Weise
berücksichtigt: Man nimmt es zur Kenntnis
beim Versuch der Verifikation strikt universaler theoretischer Sätze, aber ignoriert es im
Bereich kategorisch-normativer Sätze.
Auch folge ich im Weiteren der üblichen
Kant-Interpretation im Kritischen Rationalismus. Die von mir zitierte und von Schachtschneider (S. 6) kritisierte Einschätzung, der
Begriff der Vernunft laufe auf eine demokratisierte Offenbarungstheorie der Wahrheit
hinaus, stammt, wie zitiert, von Hans Albert
(1991, S. 22 ff.). Überdies bin nicht ich es,
der „Popper unterstellt“ (S. 4), er sei der Meinung, bei Kant sei die sittliche Verantwortung
eine „Last“, sondern Popper formuliert selbst
diese Auffassung, wenn er schreibt: „Kant hat
gezeigt, dass jeder Mensch frei ist: nicht weil
er frei geboren, sondern weil er mit einer Last
geboren ist – mit der Last der Verantwortung
für die Freiheit seiner Entscheidung“ (Popper
2009, S. 284).
3. Die Verifizierbarkeit von
­Gottesexistenz-Aussagen
2. Das Argument
Entgegen dem Schwerpunkt von Schachtschneiders Ausführungen ist eine Auseinandersetzung mit der Lehre Kants nicht
Gegenstand meines Beitrags; ich führe sie
lediglich als einen gedanklichen Zwischenschritt zwischen theonomem Moralverständnis bei Thomas einerseits und modernem
ethischen Subjektivismus andererseits an.
Sicher geht es mir in meinem Beitrag nicht
darum, mit „den Mitteln des kritischen Ra-
Ich behaupte nicht, dass die Existenz Gottes
intersubjektiv bewiesen (oder zumindest beweisbar) sei. Im Gegenteil betone ich, dass
– aussagenlogisch gesehen – ein die Existenz Gottes behauptender Satz zwar allein
verifizierbar ist, ein solcher Existenzbeweis
aber – in praktischer Hinsicht – an der notwendigen Subjektivität von Gotteserfahrungen scheitern müsse; diese Subjektivität hatte Kant – hier beziehe ich mich tatsächlich
auf ihn – mit Recht kritisiert (Kant 1983,
S. B 257, Fußnote), und Popper (2009, S. 40
und S. 282 f.) baute hierauf seinen Kritischen (im Unterschied zum kantischen) Rationalismus auf.
Zumindest aussagenlogisch betrachtet, kann
es – entgegen Schachtschneider (S. 2) – ein
„verifizierbares Wissen von Gott“ sehr wohl
geben. Hierin besteht ja gerade die spiegelbildliche Asymmetrie der Popperschen Analyse des Induktionsproblems: Während strikt
universale (theoretische) Sätze nur falsifizierbar, nicht aber verifizierbar sind, verhält es
sich bei universalen Existenzsätzen wie „Gott
existiert“ genau umgekehrt: Man kann sie nur
beweisen, nicht aber widerlegen. Stattdessen
kritisiere ich in meinem Beitrag den „Dog-
17
Fortsetzung: Objektive Normen und Kritischer Rationalismus
Eine Replik auf Karl Albrecht Schachtschneider – von Christian Müller
matismus“, mit dem viele Religionskritiker
alle Wunderberichte des Neuen Testaments
– ohne jede Prüfung des Einzelfalls – als unglaubwürdig abtun. Die pauschale Behauptung Schachtschneiders (S. 2), Wunder seien
„Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt durchgehend zweifelhaft ist“, ist ein anschauliches
Beispiel für diesen Dogmatismus.
Gestützt auf geschichtswissenschaftliche Arbeiten (z.B. Staudinger 1995; Spieß 1998;
Jaros 2008) gehe ich hingegen davon aus,
dass mindestens einige Wunderberichte des
Neuen Testaments historisch wahr sind. Zudem halte ich diese Berichte – ebenso wie
die von mir angeführten mystischen Erfahrungen Pascals und anderer Personen – für
einen Hinweis auf die Existenz Gottes, so
wie Jesus selbst seine Messianität an solchen Wundern festmachte (Mt 11,5: „Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote
stehen auf“). Das Wunder der Auferstehung
Jesu Christi ist für mich zudem ein Hinweis darauf, dass Jesus tatsächlich, wie von
ihm beansprucht, „der Weg, die Wahrheit
und das Leben“ ist: „Wenn ihr mich erkannt
habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen“ (Joh 14,6 f.; meine Hervorhebung); vor
diesem Hintergrund erübrigen sich insoweit
auch Schachtschneiders Hinweise auf die
Existenz von Islam, Atheismus oder Agnostizismus.
aber gesichertes Wissen, weil die Behauptung der Existenz eines göttlichen Normgebers – als einer universalen Existenzaussage
– nicht widerlegbar ist; zu solchen metaphysischen Aussagen der Gottesexistenz hatte
sich Popper (2009, S. 422 ff.) gegen Carnap
in sehr erhellender Weise geäußert. Diese
Unmöglichkeit, die Existenz Gottes und der
von ihm gesetzten Normen zu falsifizieren,
rührt jedoch keineswegs daher, dass sie „als
zweite Wahrheit“ existiere (Schachtschneider, S. 2); vielmehr ist sie Folge eines logischen Induktionsproblems: Nach den Regeln
der Aussagenlogik ist es unzulässig, aus der
immer nur endlichen Anzahl räumlich und
zeitlich beschränkter „Tests“ des universalen Existenzsatzes „Gott existiert“ auf eine
unendlich große Klasse von Anwendungsfällen zu schließen. Es gibt, so Popper (2009,
S. 425), „keinerlei Hoffnung, sie [eine Aussage über die Existenz Gottes; C.M.] zu falsifizieren – wenn sie falsch ist, herauszufinden, daß sie falsch ist. Aus diesem Grunde
bezeichne ich sie als metaphysisch – als außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs liegend.“ Wer somit als ethischer Subjektivist
die Existenz objektiver Normen bestreitet,
behauptet damit zugleich die Falsifiziertheit
einer Aussage (über die Existenz des göttlichen Normgebers), die aus logischen Gründen nicht falsifizierbar ist.
5. Fazit
Aufgrund der Glaubwürdigkeit der biblischen
Wunderberichte halte ich diesen Satz auch
tatsächlich für wahr, ohne jedoch hierfür die
Sicherheit objektivierbarer wissenschaftlicher
Erkenntnis beanspruchen zu können. Denn
das Problem der Verifikation metaphysischer
Sätze wie „Gott existiert“ liegt in einem ganz
praktischen Problem: Wenn es, wie Schachtschneider (S. 2) schreibt, ein „verifizierbares Wissen von Gott“ nicht gibt, dann vor
allem wegen der notwendigen Subjektivität
und Introspektivität von Aussagen über Gotteserfahrungen.
18
4. Zur Falsifizierbarkeit von Existenzaussagen
Ob man nun die Verwendbarkeit objektiver
Normen in einem ökonomischen Argument
annimmt oder die Gegenposition des ethischen Subjektivismus vertritt, setzt, so lautet mein Argument, in beiden Fällen Glauben
– nicht wissenschaftlich fundiertes – Wissen
voraus: Der ethische Subjektivismus scheitert
an der aussagenlogischen Unmöglichkeit, die
Nichtexistenz eines göttlichen Normgebers
zu beweisen; der christliche Normobjektivismus hingegen wäre zwar grundsätzlich aufgrund seiner aussagenlogischen Eigenschaften beweisbar, kann das praktische Problem
der Objektivierung solcher Beweise aber
nicht lösen.
Das zentrale Argument meines Aufsatzes
ist, dass die ethisch-subjektivistische Behauptung, es gebe keine objektiven Normen,
allenfalls ein Glaubenssatz sein kann, nicht
Immerhin braucht dieses logische Kalkül der
Existenz Gottes für den Christen nicht lediglich „graue Theorie“ zu bleiben, sondern kann
auch Frucht persönlicher Erfahrung werden.
Wenn schon nicht Sicherheit (securitas) kann
er zumindest eine hinreichend große Gottesund Heilsgewissheit (certitudo) erreichen (zu
dieser theologischen Unterscheidung Hempelmann 2002, S. 261), die so groß ist, dass
es rational sein kann, ein ganzes Leben darauf
zu gründen.
Literatur
Albert, Hans (1991), Traktat über kritische
Vernunft, 5. Auflage, Tübingen.
Chmielewicz, Klaus (1993), Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 3. Auflage, Stuttgart.
Hempelmann, Heinzpeter (2002), Christlicher Glaube vor dem Forum kritischer Vernunft. Kritischer Rationalismus und Theologie als Wissenschaft, in: Hubert Kiesewetter
und Helmut Zenz (Hg.), Karl Poppers Beiträge zur Ethik, Tübingen, S.245–268.
Jaros, Karl (2008), Das Neue Testament
und seine Autoren. Eine Einführung, Weimar – Wien.
Kant, Immanuel (1983 [1793]), Die Religion
innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in:
I. Kant, Werke in zehn Bänden, Band 7, Hg.
von Wilhelm Weischedel, Sonderausgabe 1983
der Ausgabe Darmstadt 1956, Darmstadt,
S. 647–879.
Mackie, John L. (1981 [1977]), Ethik: Die
Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen, Stuttgart.
Müller, Christian (2004), Christliche Sozialethik und das Wertproblem in den Wirtschaftswissenschaften. ORDO – Jahrbuch für
die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft
55. Jg., S. 77–97.
Nass, Elmar (2006), Das unantastbar Absolute. Eine Antwort auf den Relativismus.
Trierer Theologische Zeitschrift 115. Jg.,
S. 229–243.
Popper, Karl R. (2009), Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, 2. Auflage, Tübingen.
Spieß, Jürgen (1998), Ist Jesus auferstanden?
Ein Historiker zur Auferstehung Jesu Christi,
3. Auflage, Marburg.
Staudinger, Hugo (1995), Die historische
Glaubwürdigkeit der Evangelien, 7. Auflage,
Wuppertal – Zürich.
Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind
Nachvollziehbare Problembeschreibung, einseitige Ursachenanalyse – Rezension von Werner Lachmann
Wieczorek, Thomas: Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind. München
2009 (Knaur), 319 S. ISBN: 978-3-426-78266-8
D
ie Politiker scheinen die neuen Feudalherren zu sein. Die Freiheit der Menschen wird durch bürokratische Regeln stets
weiter eingeengt; der Bürger ist für den Staat
da – die Politiker gewähren sich Sonderrechte. Das Volk (trotz: Alle Staatsgewalt geht
vom Volke aus!) hat nichts zu bestimmen.
Wichtig sind aber die Medien. So soll der
ehemalige Kanzler Schröder gesagt haben,
dass er zum Regieren nur Bild, BamS und die
Glotze benötige.
Wieczorek stellt überzeugend das Versagen der
politischen Klasse dar. Große Worte und Ankündigungen – kaum Taten und wenn, untaugliche Gesetze mit handwerklichen Fehlern.
Ihnen geht es nicht ums Gemeinwohl – es herrschen die Parteien – und hier seien Stümper
am Werk. Daher werden die fachlichen Kompetenzen der Politiker untersucht. Ergebnis:
Nur Mittelmaß und Unfähigkeit.
In 5 Kapiteln werden seine Aussagen erläutert.
In Teil A werden die Programme der 6 Parteien
hinterfragt und in Teil B „Die Partei hat immer
recht“ die innerparteiliche Demokratie kritisiert. Teil C (Kompetenz von eigenen Gnaden –
unsere Spitzenpolitiker) stellt die Inkompetenz
der Führungskräfte und den dadurch möglichen
Einfluss der Berater dar. Im längsten Teil D werden dann die Kompetenzen einzelner Politiker
hinterfragt, wobei Wieczorek sie unterteilt in
(1) Macher und Entscheider (2) Landesfürsten
(3) Heimliche Herrscher (4) Endlosschwätzer
(5) Wirtschaftsvertreter (6) Scheinlinke (7) flexible Karrieristen (8) Rechter Rand (9) Unkündbare – Gekommen um zu bleiben (10) belohnte Lakaien (11) komplett Inkompetente und
(12) ewige Wiedergänger. In Kapitel E geht es
um Korruption und es wird gefragt: „Von wem
ist die Politik abhängig?“ Die Tröpfe der Politik
werden in F erläutert und das Tina-Prinzip (There is no alternative) kritisiert. Bei den kurzen
Abschlussbemerkungen in Kap. G (Und nun?)
schneidet Wieczorek die Haftung von Politikern
an. „Warum Schwarzfahrer zu Haftstrafen verurteilt werden, während hochkriminelle Wirtschaftskapitäne frei herumlaufen, bringt selbst
besonnene Zeitgenossen in Rage.“ (S. 296)
Der erschreckenden Analyse ist zu einem großen Teil zuzustimmen; dem Buch sollte deshalb
Gehör verschafft werden. Allerdings: Lösungen werden nicht präsentiert. Verfasser scheint
Linkskeynesianer zu sein und kritisiert die herrschende Wirtschaftspolitik als Neoklassik und
freie Marktwirtschaft. Hier zeigt nun der Verfasser seine Inkompetenz. Ihm fehlt ein Verständnis
der Marktwirtschaft. Alle wirtschaftlichen Probleme werden auf die freie Marktwirtschaft und
die Sparbemühungen geschoben. Er plädiert für
mehr Staatsschulden, damit es wirtschaftlich vorangehe. Wenn Deutschland in 40 Jahren 2 Billionen € Schulden anhäuft und dann behauptet
wird, der Staat spare sich kaputt – so ist diese
Kritik nicht nachzuvollziehen. Staatsversagen
wird als Marktversagen gebrandmarkt. Die Vorstellungen einer Sozialen Marktwirtschaft sind
nicht umgesetzt worden – kritisiert werden muss
die Machtwirtschaft, zu der sich die freie Marktwirtschaft mit Hilfe der Politik entwickelt.
Die Inkompetenz aller Politiker – egal ob Opposition oder Regierung – wird zu Recht angeprangert. Es fehlen aber Hinweise auf Lösungsmöglichkeiten aus dem demokratischen Dilemma
und den vorhandenen Verfassungsfehlern.
GWE-Bewertung (3 von 5 Sternen): ***
Wie das Christentum die Welt veränderte
Eine Hilfe zum fundierten Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung – Rezension von Werner Lachmann
Schmidt, Alvin J.: Wie das Christentum die
Welt veränderte. Menschen, Gesellschaft, Politik, Kunst, Gräfelfing 2009 (Resch) 494 S.
ISBN: 978-3-935197-58-8
D
ieses Buch zeigt in 15 Kapiteln den Einfluss, den das Christentum auf die abendländische Kultur hatte. Bestechend ist der Vergleich der gesellschaftlichen Situation zurzeit
Jesu mit der heutigen. Der Umbruch von den
ganz anders gearteten gesellschaftlichen Vorstellungen der Menschen in der damaligen Antike mit den sozialen und gesellschaftlichen
Vorstellungen der Christen ist atemberaubend.
Man muss von einer Revolution sprechen.
Schmidt zeigt, dass zur Zeit Roms das Menschenleben der einfachen Leute wenig zählte.
Abtreibung, Aussetzung von Kleinkindern,
Gladiatorenkämpfe, die Behandlung der Sklaven, die Rolle der Frau – in all diesen Gebieten
dachten Christen anders als ihre Umwelt. Die
sexuellen Moralvorstellungen und auch das
Eheverständnis erlebten durch das Christentum revolutionäre Änderungen.
Allgemeine Nächstenliebe – in der Antike kaum
als Wert angesehen – und Barmherzigkeit wurden
durch die Jesusanhänger in die Gesellschaft eingeführt. Dazu gehörten die Gesundheitsfürsorge
und der Bau von Krankenhäusern für die Allgemeinheit, die in Rom nur für verwundete Soldaten existierten. Aber auch Bildung und empirische Wissenschaft verdanken ihr Entstehen dem
Christentum. Ausführlich geht Smith auch auf die
Heiligung der Arbeit, die ökonomische Freiheit
und die Gerechtigkeit für alle ein. Neben der Abschaffung der Sklaverei – ebenfalls eine Leistung
des Christentums – zeigt Schmidt, dass in Kunst
und Architektur und in der Musik ein christlicher
Stempel nicht übersehen werden kann. In den
letzten beiden Kapiteln werden wichtige und einflussreiche Schriften des Christentums vorgestellt
sowie die Auswirkungen auf die Alltagssprache,
und die Herkunft der Feiertage behandelt.
Das Buch liest sich wie ein spannender Roman. Eindrücklich zeigt der Verfasser, auf
welchem Fundament unsere abendländische
Kultur ruht. Der Versuch, viele Bereiche unserer Kultur christentumsfrei darzustellen,
wird zu Recht von ihm kritisiert. Der Leser
wird nachdenklich – denn unsere Gesellschaft
scheint sich in vielen Bereichen zurückzuentwickeln. Die gesellschaftlichen Folgen werden gravierend sein. Bald werden wohl wieder Apologeten des Christentums nötig sein.
Dieses Buch gibt dem Christen eine wertvolle Handreichung für die Argumentation mit
Nichtchristen und verhilft zu einem fundierten
Verständnis der momentanen gesellschaftlichen Entwicklung. Der Verfasser arbeitet ein
weites Themenfeld ab, so dass gelegentlich
mehr Tiefgang erwünscht gewesen wäre. Die
Aussagen werden jedoch gut begründet und
leicht lesbar dargestellt. Die Lektüre ist sehr
empfehlenswert!
GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): ****
19
Für eine bessere
­Globalisierung
Ausgewogene und gut lesbare Darstellung – Rezension von Werner Lachmann
Sautter, Hermann: Für eine bessere Globalisierung. Witten 2008 (SCM R. Brockhaus),
207 S. ISBN: 978–3–417–24207–2.
D
ie Globalisierung ist ein Reizthema. Den
einen ist sie Ursache allen Übels, die anderen erwarten sich davon die Lösung aller
Probleme. Je nach Vorurteil fällt das Urteil.
Dieses Buch geht sachlich an das Thema heran und stellt die Ambivalenz der Globalisierung dar. Sie habe viele positive Seiten – aber
auch Schattenseiten. Ein Leben ohne Globalisierung lässt sich heute kaum vorstellen – es
würde zur Verarmung beitragen (siehe Nordkorea) aber kann auch andere verarmen, wenn
sie nicht gleichberechtigt in die Globalisierung eingebunden sind.
In 14 Kapiteln entwickelt Sautter in 4 Teilen
seine Vorstellungen. Teil I behandelt „Globalisierung – ein ambivalenter Prozess“, hierbei
werden die vielen Dimensionen der Globalisierung, ihre treibenden Kräfte und die Wirkungen
kenntnisreich untersucht. Teil II stellt „Die Ordnung des Globalisierungsprozesses“ dar, wobei
auf die Möglichkeiten verbindlicher internationaler Regeln eingegangen wird und dann
einzelne Ordnungsrahmen diskutiert werden
wie der Welthandel (WTO), die internationalen
Finanz und Währungsbeziehungen (IWF), der
Klimaschutz, die internationale Sozialordnung
und die Entwicklungszusammenarbeit. Teil III
hat „Anpassungen an die Globalisierung“ zum
Thema. Dabei werden die Anpassungsprozesse in Entwicklungsländern und den „neuen“
Industrieländern und die Anpassungen der
„alten“ Industrieländer – am Beispiel der Bun-
desrepublik Deutschland – erörtert. Der kurze
Teil IV „Leben und Handeln in der Globalisierung“ zeigt die Möglichkeiten der Christen im
Globalisierungsprozess auf. Die Bedeutung der
wirtschaftlichen Gerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit werden dabei von Sautter unterstrichen. Jeweils zum Ende der Teile
erfolgt eine kurze Zusammenfassung.
Das Buch liest sich gut. Die Darstellung ist
ausgewogen und kompetent. Er kritisiert die
modernen Tendenzen in der deutschen Gesellschaft wie Unzufriedenheit, Selbstmitleid,
Realitätsverdrängung und den Opportunismus
der Bürger. Zugleich fordert Sautter zum Handeln auf, um die Selbstzerstörung unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu stoppen.
Diesem abwägend und kompetent informierenden Buch kann man nur eine weite Verbreitung wünschen, um in der Diskussion gut informiert mitsprechen zu können.
GWE-Bewertung (5 von 5 möglichen Sternen): *****
Handbuch der Katholischen Soziallehre
Preiswertes Handbuch bringt fundierten Überblick – Rezension von Werner Lachmann
Rauscher, Anton (Hg.): Handbuch der Katholischen Soziallehre, Berlin 2008 (Duncker &
Humblot) 1129 S. ISBN: 978-3-428-12473-2
E
inst prägte der christliche Glaube die westliche Kultur. Ein längerer Säkularisierungsprozess hat die kirchliche Verbundenheit in Europa abschwächen lassen. Gleichzeitig ist eine
stärkere Orientierungslosigkeit in der heutigen
Gesellschaft zu beobachten. Der säkulare Fortschrittsglaube stieß an seine Grenzen. Die Verzichtbarkeit auf die Zehn Gebote war Illusion.
Rationalität sichert keine Menschenwürde. Gerechtigkeit und Solidarität verlangen soziale Ordnungsstrukturen, wobei Menschenrechte, Nachhaltigkeit und ethische Grenzen von Wissenschaft
und Technik ausgelotet werden müssen. Dieses
„Handbuch der Katholischen Sozialehre“ will zu
den drängenden gesellschaftlichen Fragen Orientierungshilfen liefern. Dabei sind seine Autoren
der christlichen Menschen- und Gesellschaftsauffassung verpflichtet, die wiederum auf der biblischen Schöpfungsordnung und ihrer Erkennbarkeit durch die menschliche Vernunft beruht.
In 81 Beiträgen – verteilt auf 14 Kapitel – werden gesellschaftliche Grundsatzfragen in Auseinandersetzung mit den Zeitströmungen unter
Beachtung der christlichen Werteorientierung
kenntnisreich von Historikern, Juristen, Pädagogen, Philosophen, Sozialethikern, Soziologen
20
und Volkswirten abgehandelt. Die ersten fünf
Beiträge (Kap. 1) behandeln das personale Fundament der Katholischen Soziallehre. In Kap. 2
werden in 9 Beiträgen die Grundlinien der Katholischen Soziallehre ausgebreitet. Hierzu gibt
es zusätzlich einen Exkurs, der die Grundlinien
der evangelischen Sozialethik skizziert und einen weiteren Beitrag zur sozialen Verantwortung in der Sicht der Orthodoxen Kirche, die
noch in den Anfängen einer Lehrentwicklung
steht. Kapitel 3 widmet sich dem Komplex
„Ehe und Familie“ mit 7 Beiträgen. In Kap. 4
(Ethische Grundfragen des Lebens) werden in
3 Beiträgen sozialethische Fragen des Lebensschutzes, des Umgangs mit alten, behinderten
und kranken Menschen und menschenwürdiges Sterben abgehandelt. Den drei Beiträge zu
„Schöpfung und Umwelt“ (Kap. 5) folgen in
(Kap. 6) sechs Beiträge zur Arbeit, dem sich drei
Beiträge zum Eigentum (Kap. 7) anschließen.
Die Probleme der Wirtschaftsordnung werden in Kap. 8 in 10 Beiträgen diskutiert, dem
5 Beiträge zu dem damit verwandten Problem
der Sozialen Sicherung (Kap. 9) und 6 weitere Beiträge zur Politischen Ordnung (Kap. 10)
folgen. Die „Demokratie“ (Kap. 11) wird in 7
Beiträgen und das Verhältnis von Kirche und
Staat in Kap. 12 mit 4 Beiträgen dargestellt.
Sozialethische Aussagen zur internationalen
Ordnung (8 Beiträge) folgen in Kap. 13; ab-
geschlossen wird der Band mit 3 Beiträgen zur
„Entwicklungszusammenarbeit“ (Kap. 14).
Dieses äußerst preiswerte Handbuch, das im
Auftrag der Görresgesellschaft zur Pflege der
Wissenschaft und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralestelle herausgegeben
wurde, bringt einen fundierten Überblick zu
den genannten Themen und kann als Nachschlagewerk und Studienbuch dienen. Erfreulich ist der fehlende Anspruch auf lehramtliche
Autorität. Die Darstellungen vermitteln objektiv die jeweiligen Positionen und zeigen eine
Offenheit gegenüber neuen gesellschaftlichen
Erkenntnissen und Entwicklungen.
In den Beiträgen wird deutlich, dass die christliche Botschaft auch in unserer multikulturellen und säkularisierten Welt nicht nur soziale
sondern auch existentielle Antworten hat. Es
wird kein geschlossenes Lehrsystem dargestellt, sondern Kriterien zur Entscheidungsfindung in den komplexen Zusammenhängen
heutiger Entwicklungsprozesse angeboten.
Die einzelnen Beiträge zeichnen sich durch
eine wirklichkeitsnahe Analyse, problemorientierte Darstellung und naturrechtliche Argumentation aus und versuchen, zu einem
friedlichen Miteinander der Völker in einer
zusammenwachsenden Welt beizutragen.
GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): ****
Die fragile Demokratie
Interessante Analyse angelsächsischer und kontinentaleuropäischer
Positio­nen – Rezension von Werner
Lachmann
Rauscher, Anton (Hg): Die fragile Demokratie
– The Fragility of Democracy. Berlin 2007 (Dun­cker & Humblot) 384 S. ISBN: 078-3-428-12608-8
N
ach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Erfolg von
Marktwirtschaft und Demokratie, auch in Entwicklungsländern, schienen sich die Grundwerte „Freiheit“ und „Gleichheit der Bürger“
weltweit durchzusetzen. Jedoch ist das ursprüngliche Modell der Demokratie in einer
Massengesellschaft gefährdet. Die Zersplitterung der Parteien (die der Repräsentanz des
Wählerwillens entspricht) und die Schwierigkeit der Kompromissbildung (unter Vernachlässigung sachlicher Lösungen) bereitet Sorgen.
Die Bevölkerungen trauen den Politikern kaum
noch. Die Kluft zwischen Wählern und Gewählten wird größer – daher nehmen Wahlmüdigkeit
und Politikverdrossenheit zu. Demokratien sind
gefährdet, wenn die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht stärker den Aspekt der
sozialen Gerechtigkeit berücksichtigen.
In diesem Band werden die Beiträge des
9. Deutsch-Amerikanischen Kolloquiums in
Wildbad Kreuth der Öffentlichkeit vorgestellt.
In Teil I (8 Beiträge) werden unter dem Titel
„Die Demokratie – Zu ihrer ethischen und kulturellen Begründung und Gefährdung“ grundlegende Positionen entwickelt. Sowohl „Moralische Werte zur Stabilisierung der Demokratie“
(Ockenfels) sowie „Community, Religion and
Virtue in Modern Liberal Democracies“ (Cullen) zeigen ethische Gefährdungspotentiale auf.
„Die Macht der Medien als Herausforderung
der Demokratie“ bearbeitet Bergsdorf.
Teil II behandelt in 7 Beiträgen „politische und
rechtliche Strukturprobleme der Demokratie“.
Oberreuter zeigt parlamentarische Erosionstendenzen auf. Über „Föderalismus – Stärke
oder Schwäche der Demokratie“ referiert Becker. Den Weg „von der ‚Bonner Republik’
zur ‚Berliner Republik’“ beschreibt Aretz. Die
Bedeutung der Moral für den demokratischen
Kapitalismus erörtert Miller.
Bei Teil III findet der Leser 4 Beiträge zum
Thema „Probleme der Demokratie im globalen Kontext“. So wird u.a. „eine demokratische Struktur für die Europäische Union“
(Schwarz) sowie „Islam and Democracy in the
West“ (Pell) behandelt.
Teil IV beinhaltet 4 Beiträge zu „Kirche, Katholiken und Demokratie“. Meier-Walser stellt
hierbei Hanns Seidel vor, Rauscher zeichnet in
„Kirche und Demokratie. Der lange Weg des
Zueinanderfindens“ den Anpassungsprozess
der katholischen Kirche zur Demokratie nach.
Spieker diskutiert die „Chancen und Grenzen
der Demokratie. Ein Kommentar zu Centesimus Annus Nr. 46 und 47“. Ein Autorenverzeichnis schließt den Band ab.
Das Buch greift ein wichtiges Thema auf. Die
Unzufriedenheit der Wähler, die Komplexität
der politischen Aufgaben mit der Neigung,
Experten Vorentscheidungen treffen zu lassen
und damit den Lobbyisten Einfluss zu ermöglichen, die Existenzängste der Bürger und der
empfundene Mangel an sozialer Gerechtigkeit
stellen Gefährdungspotentiale der demokratischen Regime dar. Die politische Ohnmacht
gegenüber globalen ökonomischen Prozessen
unterminiert die Zustimmung der Bürger zur
Demokratie. Interessant ist die ausgewogene
Darstellung zwischen angelsächsischen und
kontinentaleuropäischen Positionen zu den
angesprochenen Themen. Die Lektüre soll den
Leser für diese Themen sensibilisieren – was
auch gelingt.
GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): ****
Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position
Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann
U
nter dem Thema „Die Zukunft des
Euro – Zerbruch der Gemeinschaftswährung oder Aufbruch zur politischen Union“ fand die diesjährige Wirtsachaftsfachtagung der christlich orientierten Gesellschaft
zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften
und Ethik (GWE) vom 3.– 6.11.2011 in Bad
Blankenburg statt. In den Vorträgen und workshops kam eine Fülle von oft stark divergierenden Meinungen und Überzeugungen zum
Ausdruck. Nach dem Eindruck dieses Teilnehmers kam es trotz hochkarätiger Redner und
viel Sachverstand nicht zu einem mehrheitlichen Konsens, den man als eine „christliche
Position“ zu dieser Problematik bezeichnen
und der die Frage beantworten könnte: Was
soll ich als Christ meinem Bundestagsabgeordneten zu dieser Thematik sagen? Ich
mache daher den Versuch, einige Thesen zu
formulieren, die sich aus den Vorträgen, aus
sonstigen Äußerungen von Fachleuten sowie
aus eigenen Überzeugungen herleiten, und an-
schließend eine mögliche „christliche Position“ daraus zu folgern.
These 1.
Europa befindet sich auf dem Weg zu einer
stark zentralistischen politischen Union, einem machtvollen Zentralstaat mit stark sozialistischem und planwirtschaftlichem Einschlag, starken Demokratiedefiziten und
zunehmend antichristlichen Vorzeichen. Der
Weg führt höchstwahrscheinlich über eine
schrittweise Vermehrung von Kompetenzen
der EU-Kommission auf Kosten von Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten. Stichworte wie Wirtschaftsregierung, enormer politischer Druck auf die europäische Zentralbank,
Vergemeinschaftung riesiger Staatsschulden
durch schwindelerregende, ständig steigende
Haftung der Mitgliedsländer, Fiskalunion und
„Durchgriffsrechte“ auf nationales Haushalts-
recht und nationales Vermögen (wie Gold- und
Währungsreserven), Schulden- und Transferunion verbunden mit vielfachem kollektivem
Rechtsbruch, aber auch zahlreiche Entwicklungen im nicht-wirtschaftlichen Bereich –
nicht zuletzt die Verbannung des Gottesbezuges aus der europäischen Verfassung – weisen
die Marschrichtung. These 1 wird gestützt
durch folgende Äußerungen von Fachleuten.
1.1 Europäischer Zentralstaat rückt näher
Die Geschichte der europäischen Integration
lässt sich als ein beständiges Ringen zwischen zwei Richtungen lesen: einer liberalen
und einer sozialistischen Vision Europas….
Die sozialistische Vision …. will Europa als
Festung ausbauen: protektionistisch nach außen und interventionistisch nach innen. Ihr
Ziel ist ein europäischer Zentralstaat, der die
Interventionsziele verwirklichen kann. Die
21
Fortsetzung: Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position
Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann
Integration erfolgt von oben durch die Vereinheitlichung von Regeln und durch Umverteilung. Diese Vision geht auf die rationalistisch-französische Geistestradition zurück, die
Hayek auch „scientistisch“ nannte …. Eine
technokratische Elite leitet den Staat zum
Wohl der Menschen. Dafür braucht sie eine
große Machtfülle…. Auf der Seite der sozialistischen Vision steht traditionell die französische Politelite …. Unterstützung erfährt diese Vision gemeinhin von den Südländern und
Sozialdemokraten aller Parteien…. Wilhelm
Röpke sah im rationalistisch-kartesianischen
Denken den Grund für den Glauben an die
Überlegenheit einer Planwirtschaft. Der liberal-konservative Ökonom pries die Vielfalt
und den Wettbewerb in Europa. Daher warnte
er schon in den fünfziger Jahren: „Wenn wir
versuchen wollten, Europa zentralistisch zu
organisieren, einer planwirtschaftlichen Bürokratie zu unterwerfen und gleichzeitig zu einem mehr oder weniger geschlossenen Block
zu schmieden, so ist das nicht weniger als ein
Verrat an Europa“….
22
1.3 Regierungen die schon immer ein ­zentrales
und planwirtschaftliches Europa wollten
Durch den Beschluss der G 20 vom November
2008, keine systemrelevante Bank insolvent gehen zu lassen, und das falsche Handeln unserer
Zentralbanken und Regierungen haben unsere
überschuldeten Großbanken ein Erpressungspotential in die Hand gelegt bekommen, das zu
einem Haftungsauschluss für Banken geführt
hat, der sämtlichen marktwirtschaftlichen und
rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht. Unsere überschuldeten Banken nutzten im Frühjahr 2010 dieses Erpressungspotential im Fall
Griechenland und auch anschließend, um im
Schulterschluss mit der EU-Kommission und
der EZB und jenen europäischen Regierungen,
die schon immer ein zentralistisches und planwirtschaftliches Europa wollten, die anderen
europäischen Regierungen und Parlamente zum
kollektiven Rechtsbruch des europäischen Primärrechts, zum Bruch der No-Bail-out-Klausel
zu bewegen (Schäffler/Tofall 15.09.2011).
zusätzliche Kompetenzen. Das wird umso deutlicher, als Kommissionschef Jose Manuel Barroso seine Vorschläge zur Haushaltskontrolle
mit dem Vorstoß für Eurobonds verknüpft ….
Wie die vertiefte Budgetkontrolle verschaffen
sie …. der EU-Behörde mehr Einfluss. Doch
hat Barroso in einem recht: Haushaltsdisziplin
ist eine notwendige Bedingung für das Überleben der Währungsunion. Zu dieser Disziplin
müssen die Staaten gezwungen werden können. Deren bisherige gegenseitige Kontrolle
ist spätestens mit der Aufweichung des Stabilitätspakts gescheitert. Mehr Kontrolle durch die
Kommission – auch um den Preis von partiellen
Eingriffen in die nationale Souveränität – ist die
natürliche Alternative (Mussler 24.11.2011).
These 2.
Die gemeinsame Währung ist eine machtvolle
Waffe zur Durchsetzung dieser Entwicklung.
Einerseits beschwört die spezielle Konstruktion des Euro eine Staatsschuldenkrise herauf.
Andererseits werden zur „Lösung“ der Krise
nur Maßnahmen zugelassen, die die Entwicklung zum Zentralstaat fördern. Diese Maßnahmen der Zentralisierung und Gemeinschaftshaftung werden in erpresserischer Weise als
alternativlos erklärt. Hierzu gehört auch das
erpresserische Schüren von Angst vor einem
Zusammenbruch unseres Finanzsystems, während tatsächlich Alternativen existieren, und
zwar sehr viel attraktivere als die zentralstaatfreundliche. These 2 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten.
Im Maastricht-Vertrag wurde das Ziel einer
Einheitswährung festgeschrieben. Der Keim
zur Transferunion ist in dieser schon angelegt. Denn die spezielle Konstruktion des
Euro beschwört eine Staatsschuldenkrise herauf, die mangels Mut zur Liberalisierung
mit Zentralisierung und Gemeinschaftshaftung „gelöst“ wird …In ihrer Not haben sich
die Euro-Regierungen in eine Art Schuldensozialismus durch Vergemeinschaftung der
Haftungsrisiken begeben …. Überschuldete
Staaten werden mittels neuer Schulden gerettet und müssen im Gegenzug Kompetenzen abgeben…. Die Einrichtung einer Wirtschaftsregierung ist absehbar…. Auch wenn
einige Medien derzeit von einer deutschen
Dominanz fabulieren: Betrachtet man die Geschichte, so zeigt sich der rationalistisch-französische Ursprung dieser Ideen. Der steuernde, dirigistische EU-Zentralstaat rückt näher
(Bagus 07.11.2011).
Deutschland selbst haftet im Fall einer Zahlungsunfähigkeit Italiens, Griechenlands, Irlands, Portugals und Spaniens mittlerweile
nach Angaben des Münchener Ifo-Instituts
über alle Rettungsmaßnahmen und indirekt
durch die Eingriffe der Europäischen Zentralbank mit bis zu 560 Milliarden Euro …. Der
scheidende Chefvolkswirt der Europäischen
Zentralbank, Jürgen Stark, äußerte derweil ….
seine Besorgnis über die Unabhängigkeit der
EZB. „Der politische Druck auf die EZB ist
derzeit enorm“. Die Debatte über die Erweiterung der Aufgaben der EZB „berührt nicht
nur unsere Unabhängigkeit, sondern gefährdet sie“, sagte er. Wie Stark lehnte auch sein
Nachfolger Jörg Asmussen einen Ankauf von
Staatsanleihen durch die EZB in noch größerem Umfang ab (Ohne Autor 28.11.2011).
1.2 Dirigismus und ­Zentralismus
auf dem Vormarsch
1.5 Zusätzliche ­Kompetenzen
für die EU-Kommission
2.2 Europäischer Superstaat durch
kollektiven Rechtsbruch
Soll die Integration spontan, von unten geschehen – oder zentralistisch von oben? Mit der
Schuldenkrise ist Europa in eine Interventionsspirale geraten. Dirigismus und Zentralismus
sind auf dem Vormarsch (Bagus 07.11.2011).
Es ist nicht zu verkennen, dass die EU-Kommission mit ihren neuen Vorschlägen zur Kontrolle der nationalen Haushaltspolitik eigene
Interessen verfolgt. Es geht ihr nicht (nur) um
mehr Haushaltsdisziplin, sondern (auch) um
Die heutigen Regierungen des Euroraums, die
EU-Kommission und die EZB verabreden sich
hingegen wiederholt zum kollektiven Rechtsbruch …. um mit Hilfe des kollektiven Rechtsbruchs …. einen europäischen Superstaat zu
1.4 Deutschlands Haftung und der
­politische Druck auf die EZB
2.1 Erpressung durch Angst vor
­Zusammenbruch des Finanzsystems
Das heutige Europa ist auf dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politischen Zentralismus, weil wir uns durch die Angst vor einem Zusammenbruch unseres Finanzsystems
erpressen lassen (Schäffler/Tofall 15.09.2011).
Fortsetzung: Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position
Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann
gründen, und bemänteln diese Usurpation verbal als europäische Solidarität (Schäffler/Tofall 15.09.2011).
2.3 Bundesregierung erklärt ihre
­Rettungspolitik für „alternativlos“– Die
­Alternative der Bankenrekapitalisierung
Staatsinsolvenzen werden kommen, sie sind
nicht zu verhindern. Ansteckungsgefahren
vermeidet man durch rechtzeitige Rekapitalisierung der Banken und nicht durch Garantieerklärungen für Staatsschulden (das heißt
„Rettungsschirme“)….
meinsame Währung wirkt dadurch als Selbstläufer in Richtung starker Sozialstaat.
Hypo-Real-Estate keine Angst mehr haben
(Schäffler/Tofall 15.09.2011).
These 4.
These 6.
Die zentralistische „Eurorettungspolitik“ ist
wegen zahlreicher Rechtsbrüche rechtswidrig,
bekämpft Schulden mit Schulden und setzt falsche Anreize, indem sie das Leben über die Verhältnisse belohnt und weiterhin dazu ermutigt.
Der Aspekt der Rechtswidrigkeit wird ausführlich abgehandelt in (Schachtschneider 2011).
Die Vorteile einer Wirtschaftsunion sind auch
ohne Währungsunion zu haben. These 6 wird
gestützt durch folgende Äußerungen von
Fachleuten.
These 5.
Während ein Rettungsschirm die gesamte
Kreditaufnahme eines Staates garantiert und
so innerhalb weniger Jahre den Großteil der
Staatsschuld verbürgen muss, kann eine Bankenrekapitalisierung gezielt und vergleichsweise kostengünstig vorgenommen werden, weil
nur dort Kapital zugeschossen wird, wo systemische Risiken bestehen. Alle anderen Investoren
(Finanzinvestoren ebenso wie private Haushalte) müssen die Risiken ihrer selbstverschuldeten
Anlageentscheidung selbst tragen….
Eine geordnete Insolvenz Griechenlands könnte das Siechtum des Landes im Würgegriff von
Schuldendienst und Austeritätspolitik beenden
und wie ein Befreiungsschlag wirken. Aber die
EU kann dies nur verkraften, wenn ihre Banken zuvor rekapitalisiert wurden….
Die Verantwortung, darüber zu entscheiden,
obliegt dem Bundestag, der sich in einer für
die Zukunft Deutschlands und Europas so bedeutenden Frage nicht zum Erfüllungsgehilfen
einer Regierung machen lassen darf, die wider
besseres Wissen ihre eigene Politik für alternativlos erklärt (Hau/Lucke 16.09.2011).
These 3.
Bei der großen Verschiedenheit der europäischen Länder schafft eine gemeinsame
Währung in diesem „nicht optimalen Währungsraum“ so schwere Probleme, dass das
Bedürfnis nach einem starken Zentralstaat verschärft wird. Professor Renate Ohr war bereits
1992 Initiatorin eines Manifests von 62 Professoren gegen den Vertrag von Maastricht mit
dem Titel „Die EG-Währungsunion führt zur
Zerreißprobe“. Sie hat recht behalten. Die ge-
Die Einstellung der zentralistischen Eurorettungspolitik und die daraus folgenden Bankenzusammenbrüche würden nicht bedeuten,
dass der Zahlungsverkehr nicht aufrechterhalten werden kann. Zu seiner Aufrechterhaltung
gibt es mehrere Alternativen. Das Ende des
Euro wird (in Schachtschneider 2011) sogar
zwangsläufig gesehen. These 5 wird gestützt
durch folgende Äußerungen von Fachleuten.
6.1 Scheitern des Euro kein Horrorszenario
Der Hauptpfeiler der europäischen Integration,
der EU-Binnenmarkt, hängt nicht vom Euro
ab. Die Vorteile der intensiven Markverflechtungen sind auch ohne Euro nutzbar. Stabilität
und Wachstum bei den Binnenmarkt-Partnern
sind wichtiger als eine einheitliche Währung…..Marktintegration bedeutet die Öffnung nationaler Märkte gegenüber Anbietern
und Nachfragern der Partnerstaaten …. Auch
wenn der EU-Binnenmarkt noch nicht „vollkommen“ ist, sind doch klare Erfolge identifizierbar …. Es ist nicht gerechtfertigt, für den
Fall eines Scheiterns des Euro Horrorszenarien
an die Wand zu malen (Ohr 28.10.2011).
5.1 Keine Angst vor Insolvenz der ­Deutschen
Bank oder der Hypo-Real-Estate
These 7.
Sollten die anderen EU-Staaten die Zahlungsfähigkeit des überschuldeten und zahlungsunfähigen Staates nicht gewährleisten, werden
wir (Zusatz des Verfassers: die Banken) vernehmbar auf die Folgen aufmerksam machen
und unser Erpressungspotential ausspielen.
Dieses Erpressungspotential besteht in der
Drohung, dass der gesamte Banken- und Finanzsektor und der gesamte Zahlungsverkehr
zusammenbrechen würden, falls eine systemisch relevante Bank Insolvenz anmelden
muss…. Auf den Kurzschluss einer Gleichsetzung von Zusammenbruch unseres überschuldeten Bankensystems und Zusammenbruch
des gesamten Zahlungsverkehrs fällt man in
unseren westlichen Gesellschaften deshalb
angsterfüllt herein, weil wir uns das Denken
in Ordnungen abgewöhnt haben…. Zu einem
Banken-Run wird es dann nicht kommen,
wenn der Staat die genannte Garantie für bestimmte Zahlungen übernimmt und wenn das
beschriebene Szenario in der Öffentlichkeit
durch die Massenmedien soweit verständlich
verbreitet wird, dass die Menschen vor einem
Insolvenzantrag der Deutschen Bank oder der
Die Eurorettungspolitik resultiert mit sehr hoher
Wahrscheinlichkeit in hohen Inflationsraten.
Inflation ist eine Form der Enteignung sowohl
durch Preissteigerungen als auch durch Weginflationierung von Schulden und Entwertung von
Ersparnissen. Sie trifft besonders die Leistungsträger und die Schwachen. These 7 wird gestützt
durch folgende Äußerungen von Fachleuten.
7.1 Der Griff nach den Reserven und ­verbotene
Staatsfinanzierung über die ­Zentralbank
bedeuten unweigerlich Inflation
Hinter einem scheinbar technischen Vorgang
(Anmerkung des Verfassers: „Sonderziehungsrechte“ beim IWF und deren Verpfändung!)
verbirgt sich nichts anderes als der Griff nach
den Reserven …. Nur dank des Widerstands
Jens Weidmanns, des Präsidenten der Bundesbank und vormaligen Wirtschaftsberaters von
Bundeskanzlerin Merkel, wurde dieser Vorstoß
vom Verhandlungstisch der Rettungseuropäer
genommen – vorerst zumindest. Es bleibt ein
23
Fortsetzung: Die Zukunft des Euro –
Versuch einer christlichen Position
Über die GWE
Ziel – Arbeit – Impressum
Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens
Das Ziel
Rätsel, warum Frau Merkel das nachweislich
falsche Rettungskonzept (mit Schulden zu hohe
Schulden bekämpfen) weiterverfolgt…. Erst
wurde versucht, mit Krediten Zeit zu kaufen.
Dieser Ansatz scheiterte auch deswegen, weil
die Strukturreformen ausblieben…. Dann wurde
versucht, die sparsamen Nordländer für den Süden der Eurozone haften zu lassen. …. Das stößt
an Grenzen, nachdem selbst Deutschland sich
der besten Bonitätsnote nicht mehr sicher sein
kann …. Als Mittel der letzten Wahl wollen die
Rettungseuropäer jetzt die Notenpresse anwerfen. Der Griff nach dem Gold der Bundesbank
wäre der Auftakt zur verbotenen Staatsfinanzierung über die Zentralbank. Als Folge droht unweigerlich Inflation …. (Steltzner 07.11.2011).
These 8.
Auch die Erhaltung des Friedens ist ohne
Währungsunion möglich, etwa durch NATOMitgliedschaft, während eine politische Union
bei der großen Verschiedenheit der europäischen Länder nur um den Preis eines starken
Zentralstaates möglich ist.
Rückkehr sollte vorrangig für die überschuldeten Länder und möglichst sofort erfolgen.
3. Da Inflation eine Beraubung der Leistungsträger und Schwachen ist, verstößt sie gegen
den in den zehn Geboten verankerten Eigentumsschutz. Die inflationäre Eurorettung ist
daher sofort einzustellen.
4. Die Bibel leitet den Einzelnen dazu an, die
eigene Existenz und dazu einen Überschuss zu
erwirtschaften, der für Bedürftige bestimmt
ist: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit Händen etwas Gutes, auf dass er habe, zu geben dem Dürftigen“
(Eph. 4, 28). Dies gilt sinngemäß auch für den,
der für seinen Konsum Schulden macht, sei es
der Einzelne oder der Staat. Auch aus diesem
Grund ist eine Rettungspolitik, die Schulden
mit Schulden bekämpft, spätere Generationen
belastet und falsche Anreize (nämlich zur Verschuldung) setzt, sofort einzustellen.
5. Da die Eurorettungspolitik überdies rechtswidrig ist, ist sie auch deswegen vom christlichen Standpunkt, der Rechtstreue und Vertragstreue erfordert, abzulehnen, auch wenn
die Regierung selbst ihr eigenes Recht bricht.
Die GWE ist ein Verein zur Förderung von
Forschung und Lehre in den Wirtschaftswissenschaften auf Grundlage einer Ethik, die
auf dem biblischen Welt- und Menschenbild
beruht.
Die Arbeit
Wir regen Forschung zu wirtschaftsethischen
Fragen an und unterstützen diese, führen
Fachtagungen und Seminare durch und geben
den halbjährlichen Informationsdienst „Wirtschaft und Ethik“ heraus. Zu den Themen
Wirtschafts­ethik, Entwicklungspolitik und ökologische Wirtschaftspolitik bereiten wir wissenschaftliche Publikationen vor und geben
sie heraus.
Vorstand
Vorsitzender der GWE e.V. ist Prof.i.R. Dr. h.c.
Werner Lachmann Ph.D., stellvertretender
Vorsitzender ist Prof. Dr. Karl F
­ armer. Darüber hinaus gehören dem Vorstand an: Dr. Otto
Haß, Dr. Helmut de Craigher, ­
Matthias
­Vollbracht, Prof. Dr. Harald Jung.
Christliche Position
1. Christen haben einen starken Zentralstaat
mit Recht zu fürchten. Die meisten Staaten
dieser Art – natürlich besonders die totalitären – haben ihre christlichen Bürger grausam
verfolgt, vom römischen Reich bis zu den nationalsozialistischen, kommunistischen und
islamischen Staaten. Eine Ablehnung eines
starken europäischen Zentralstaates ist daher
aus christlicher Sicht folgerichtig. Eine Wirtschafts- und Verteidigungsunion reichen aus.
2. Wenn die Währungsunion ein Selbstläufer
zum starken Zentralstaat (der unter 1. beschriebenen Art) ist, ist sie aus den gleichen Gründen abzulehnen. Überdies ist sie abzulehnen,
weil die spezielle Konstruktion des Euro eine
Staatsschuldenkrise heraufbeschwört, die unter der vorherrschenden politischen Kultur zur
Transferunion führt, aber auch ohne Transferunion zu großen wirtschaftlichen Schäden für
Anleger, Steuerbürger und ganze Volkswirtschaften führen würde. Um solche Schäden
künftig zu vermeiden, ist eine Rückkehr zu
nationalen Währungen wünschenswert. Diese
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Mitgliedschaft
Literatur
Bagus, Ph.: Europäischer Schuldensozialismus. FAZ 07.11.2011, S. 12
Hau, H./Lucke, B.: Die Alternative zum Rettungsschirm. FAZ 16.09.2011, S. 12
Mussler, W.: Barrosos Punkt. FAZ 24.11.2011, S.11
Ohne Autor: Zügige Änderungen der Euro-Verträge geplant. Berlin und Paris machen Druck/
Euro-Finanzminister wollen EFSF-Hebelung
auf eine Billion Euro. FAZ 28.11.2011, S. 11
Ohr, R.: Braucht der Markt den Euro? FAZ
28.10.2011, S. 12
Schachtschneider, K.A. u.a.: Das Euro-Abenteuer geht zu Ende: Wie die Währungsunion unsere
Lebensgrundlagen zerstört. Rottenburg 2011.
Schachtschneider, K.A. u.a.: Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik: Ein Staatsstreich der politischen Klasse. Rottenburg 2011.
Schäffler, F./Tofall, N.: EU-Superstaatsgründung aus Angst vor einem Crash des Finanzsystems? FAZ 15.09.2011, S. 12
Steltzner, H.: Jetzt die Notenpresse. FAZ
07.11.2011, S. 1
Wer Christ ist und aktiv die Anliegen der GWE
unterstützen möchte, kann einen Antrag auf
Mitgliedschaft beim Vorstand stellen.
Impressum „wirtschaft und ethik“
Herausgeber:
Gesellschaft zur Förderung von
Wirtschafts­wissen­schaften und Ethik e.V. (GWE)
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91154 Roth-Bernlohe
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Druck:
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