22. Jahrgang Nr. 2 Dezember 2011 Mitteilungen der Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik e.V. Grundfragen der Wirtschaftsethik XXXIV: Liebe Freunde, Mitglieder und Interessenten, zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland misstraute Kanzler Adenauer der Wirtschaftpolitik von Wirtschaftsminister Erhard. Daher bat er den bekannten Genfer Ökonomen Wilhelm Röpke um ein Gutachten in dieser Sache. Röpke unterstützte die Soziale Marktwirtschaft Erhards mit seinem Gutachten „Ist die deutsche Wirtschaftspolitik richtig?“ Diese Frage muss heutzutage wiederum gestellt werden. Heute scheinen nur noch kurzfristig denkende Pragmatiker die Wirtschaftspolitik zu formulieren. Man erkennt keine Konzeption – nur ein Durchwurschteln durch die Krise. Pragmatiker kritisieren oft die Theoretiker, dass theoretische Konzeptionen nicht hilfreich seien. Für theoretische Überlegungen sei die Lage zu ernst. Die Spanier sagen: Los ideales son como las estrellas: No las podemos alcanzar nunca, pero nos pueden orientar! (Ideale sind wie die Sterne, man kann sie niemals erreichen, aber sie dienen der Orientierung!). Auch in der Politik benötigt man Orientierungspunkte. So wie ein Kapitän zur See nicht einfach lossegeln kann, so sollten die Verantwortlichen für die Wirtschaftspolitik Zielvorstellungen ihrer Politik entwickeln. Wer kein Ziel hat, trifft bekanntlich immer. Die deutsche Wirtschaftspolitik scheint heute orientierungslos. Machterhalt statt Gemeinwohl steht im Vordergrund. Wer schon einmal Babynahrung gegessen hat weiß, wie fad sie schmeckt. Aber Babys ohne Zähne können noch kein saftiges Steak essen und noch keine Gewürze verarbeiten. Sind wir in unserer Beurteilungskraft auf Babyniveau? Wie weit sind wir informiert über wirtschaftliche Zusammenhänge? Im Hebräerbrief (4,14) heißt es, dass Erwachsene feste Nahrung verarbeiten können sollten. Wie ist es um unsere Urteilsfähigkeit bestellt? Wir sind als Christen berufen, „der Stadt Bestes zu suchen“ und für die Obrigkeit zu beten. Aber wir brauchen auch Christen, die kompetent Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Mit herzlichen Grüßen Ihr Werner Lachmann Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl[1] W as ist unter den Begriffen „Verantwortung“ und „Interesse“ zu verstehen? Muss nicht die Verfolgung des Eigeninteresses strikt abgelehnt werden? Sie wird in christlichen Kreisen sogar oft als gewissensbelastend dargestellt. Sind Eigeninteresse und Gemeinwohl Gegensätze oder ergänzen sie sich? Wovon hängt ein harmonisches Miteinander beider Interessenslagen ab? Wie steht es außerdem mit dem Gruppeninteresse, das ebenfalls in der Öffentlichkeit negativ besetzt ist? Die menschliche Geschichte zeigt, dass das Verhältnis von Eigeninteresse und Gemeinwohl oftmals ein falsches Gewicht bekam. Zeitweilig ging der Einzelne im Gesamtinteresse unter (Sozialismus, Nationalsozialismus); zu anderen Zeiten kam es zu chaotischen Zuständen, weil die Verfolgung des Eigeninteresses ohne Berücksichtigung der Interessen anderer die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft gefährdete und es daher zu großen sozialen Verwerfungen kam. Wir scheinen gewissermaßen auf einem Schwebebalken zu stehen. Wohin soll das Gewicht verlagert werden? In der kollektivistischen Ordnung des Sozialismus hätte das Interesse des Einzelnen stärker INHALT Grundfragen der Wirtschaftsethik XXXIV: Verantwortung im Spannungsfeld ..................................................... 1 Positionen: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2)............................................ 6 Eine Erwiderung auf Christian Müller............................................ 12 Objektive Normen und Kritischer Rationalismus........................... 17 Die Zukunft des Euro ..................................................................... 21 Rezensionen: Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind........ 19 Wie das Christentum die Welt veränderte....................................... 19 Für eine bessere G ­ lobalisierung...................................................... 20 Handbuch der Katholischen Soziallehre......................................... 20 Die fragile Demokratie .................................................................. 21 Impressum/Über die GWE................................................................... 24 Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann betont werden müssen. Im Neoliberalismus hätte auch auf das Gemeinwohl geachtet werden sollen. Heute leidet die Wirtschaftspolitik außerdem unter dem Einfluss der Lobbyisten, also dem Gruppeninteresse. Zuerst werden wir die beiden Begriffe Verantwortung und Interesse erläutern; anschließend werden wir auf die Bedeutung des Eigeninteresses und auf die wichtige Rolle der staatlichen Institutionen eingehen. Es gehört mit zur Regierungskunst, die richtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, so dass Eigen- und Gesamtinteresse in einem harmonischen Verhältnis stehen. Die Politik ist hier in weit erheblicherem Maße gefordert als wir meinen. Anschließend werden wir den Wettbewerbsmechanismus in einer Marktwirtschaft behandeln und zeigen, wie in ihm die einzelnen Interessen verflochten werden und ein Ausgleich zwischen Eigen- und Gesamtinteresse möglich wird. Wie soll sich der Einzelne in dieser Gesellschaft zwischen seinem legitimen Interesse und denen der anderen verhalten? der deutschen Sprache geworden. Vom Lateinischen her lässt sich der Begriff unterteilen in „inter“ und „esse“, was übersetzt werden kann mit „dazwischen sein“. Der im frühen Mittelalter noch benutzte Begriff „id quod interest“ wird dann im Schadensersatzfall verwendet. Ein vereinbarter Preis kann ein „Interesse“ sein, später dann ein Zuschlag zum Sachwert, z.B. eine Entschädigung. Eine besondere Form des Schadensersatzes interpretiert das Mittelalter als „Zinsen“, nämlich als Entschädigung für den Wertverlust, der dem Gläubiger durch das Fehlen des Geldbetrages während eines bestimmten Zeitraumes entstand. Heute noch ist im Englischen das Wort „interest“ das Wort für Zinsen.[2] Im Französischen bedeutet das Wort Interesse zuerst eine psychische Anteilnahme, eine Interessiertheit. Im Interesse wird eine Beziehung zwischen zwei Personen oder Personen und einem Gut dargestellt. Interesse hat also zum Wortinhalt „zwischenmenschliche Anteilnahme“, „uneigennütziges Wohlwollen“. Deutlich wird es an dem französischen Adjektiv „intéressant“, das alles das bezeichnet, was in irgendeiner Weise die menschliche Aufmerksamkeit fesselt und beansprucht. Einige Begriffsklärungen Das Wort „Verantwortung“ bedeutet zuerst „verstärkt antworten“, so wie verlaufen ein starkes Laufen beinhaltet und verlieben ein zu häufiges Lieben. Später wurde dieser Begriff für die Gerichtssituation verwandt, wenn man vor Gericht eine Frage beantworten musste. Im Laufe der Entwicklung führte Verantwortung dann zu „für etwas einstehen“. Dieser Hintergrund wird noch deutlich an einem Ausspruch von Martin Luther: „Echte Verantwortung gibt es nur da, wo es wirklich Antworten gibt.“ George Bernhard Shaw hat einmal behauptet: Der Gegensatz zur Pflicht ist nicht Pflichtlosigkeit, sondern die Verantwortung. Wer eine Pflicht tut, muss nur entscheiden, ob er sie tut oder nicht. Wer Freiheit beansprucht, muss auf Fragen, die sein Tun betreffen antworten, damit also die Verantwortung übernehmen. Shaw folgerte: „Liberty means responsibility. That is why most men dread it.“ Können wir aber für „Eigeninteresse“ guten Gewissens Verantwortung übernehmen? Was soll unter Interesse verstanden werden? Interesse ist das meist gebrauchte Fremdwort 2 Es ist also zu sehen, dass das Wort „Interesse“ im Laufe der letzen Jahrhunderte unterschiedliche Interpretationen erfuhr. Gesellschaftlich ist dieses Fremdwort oft negativ belegt, weil es den Nutzen des Einzelnen betont, was ethisch hinterfragt wird. Ich möchte zuerst auf die Wiederentdeckung des Eigeninteresses als ethisches Postulat hinweisen. Bedeutung des Eigeninteresses Das Eigeninteresse ist eine unveränderliche Tatsache der Natur, es dient der Selbsterhaltung. Scheinbare Selbstlosigkeit von Tieren in Familien und Rudeln, die füreinander eintreten, beruhen in Wirklichkeit auf Eigennutz. Dies schafft auch eine neue Erkenntnis für die Begriffe Gruppeninteresse und Gesamtinteresse. Das christliche Liebesgebot verlangt, den Nächsten so zu lieben, wie sich selbst. Der Nächste muss nicht mehr geliebt werden als ich mich selbst liebe. Die Eigenliebe ist gewissermaßen der Ausgangspunkt und die Vergleichsnorm des Verhaltens. In der katholischen Moraltheologie war einst zu lesen: „Selbstliebe geht im Rang und der Pflicht nach der Nächstenliebe voraus“.[3] Es gibt eine vorrangige Pflicht, für seine eigene Person zu sorgen! Es entspricht menschlicher Erfahrung, dass jeder in der Regel besser für sich selbst als für andere sorgen kann. Daher erfolgt die sittliche richtige Aufgabenteilung: Wer allein für eine Aufgabe geeignet ist, kann auch nur zu ihr allein verpflichtet sein! Aus einem Vorrang der Nächstenliebe vor der Selbstliebe lassen sich keine brauchbaren Handlungsmaximen für Gesellschaften ableiten. Wenn jeder für andere und andere für mich zu sorgen hätten, gäbe es ein Chaos. Eine auf Altruismus aufgebaute Wirtschaftsordnung würde bei der Bedürfnisbefriedigung knappe Ressourcen notwendigerweise vergeuden, weil im Zweifelsfall jeder nur seine eigenen Bedürfnisse wirklich kennen kann! Das letzte Ziel des Eigeninteresses ist das eigene Heil! Kein Christ ist in der Lage oder wäre dazu berechtigt, zugunsten irgendeines anderen Menschen auf sein eigenes Heil zu verzichten. Er darf und kann sein irdischen Leben und sein irdisches Glück oder sein Eigentum anderen opfern, aber nicht sein Heil im umfassenden letztendlichen Sinn! Der ehemalige österreichische Finanzminister und Notenbankpräsident Wolfgang Schmitz hat einmal den wichtigen Satz gesagt: „ Uns (ist) das wichtigste ethische Postulat abhanden gekommen: Die Pflicht und das Recht, unseren eigenen Interessen zu folgen.“[4] Da die Menschen kaum noch über den Sinn ihres Lebens nachdenken, haben sie mit dem Verlust des Lebenssinns auch vergessen, was ihre eigentlichen Interessen wirklich sind. Wolfgang Schmitz betont dabei den hohen Rang des Eigeninteresses als Verhaltensmotivation. Dabei unterscheidet er verschiedene Anwendungsbereiche, so z.B. • Eigennutz: die Selbsterhaltungspflicht, • Eigenwohl: vorrangige Pflicht von Nächsten­liebe, • Das eigene Heil: Selbstzweck des Menschen, • Eigeninteresse: Ausgangspunkt der Sozial­ ethik, • Subsidiaritätsprinzip: Verantwortungs­ vorrang des Einzelnen, • Menschenrechte vor Staatssouveränität. Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann Gemeinwohl kann nicht Selbstzweck sein, sondern ist für das Wohl jedes Einzelnen da: Die einzelne menschliche Person ist Mittelpunkt, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen! Es besteht also eine enge Beziehung zwischen Gemeinwohl und Interesse. Es ist im eigenen Interesse, Verbundenheiten mit und in der Verantwortung für den anderen zu suchen. Im Tiefsten kann Eigeninteresse nur verfolgt werden, wenn es auch dem Gesamtkörper gut geht. Wir Menschen leben in einer Konfliktgesellschaft und suchen Institutionen und Einrichtungen, die der Lösung sozialer Konflikte dienen, um eine Ausgewogenheit zwischen Eigen-, Gruppen- und Gesamtinteresse herzustellen. In diesem Zusammenhang ist die Bedeutung der Ordnungsethik zu betonen, die Aussagen über gesellschaftspolitische Zielsetzungen und ihre Umsetzung zum Wohl der Bürger liefert. Die Ordnungspolitik soll helfen, über bestimmte Institutionen den Gesellschaftszustand in friedlicher Weise zu organisieren und in Richtung eines höheren Wohlstands zu beeinflussen. Gemeinsame Regeln werden benötigt, um gemeinsame Teilziele anzustreben und zu erreichen. Aufgaben Konflikt reduzierender Institutionen Wir müssen daher fragen, wie man institutionell das Gemeinwohl als Interesse aller Beteiligten sichert. Nur wenn alle als Eigeninteresse auch das Gemeinwohl verfolgen, kommt aus Selbstinteresse rechtes soziales Handeln zum Durchbruch. Institutionen sollen also problemlösend wirken und Selbstinteresse in Gemeininteresse umwandeln! Wir wollen uns einmal die folgende Situation vorstellen: Zwei Personen sind wechselseitig für das Glück des anderen verantwortlich. Herrn Maier liegt das Glück von Herrn Müller auf dem Herzen und Herr Müller will in den Entscheidungen, die er trifft, immer das Beste für Herrn Maier wollen. Es wird mir wohl jeder zustimmen, dass diese Verbundenheit in kürzester Zeit auseinander bricht und in Streit ausartet. Herr Müller weiß nämlich nicht immer, was das Beste für Herrn Maier ist und umgekehrt. Wenn ein anderer für die Verfolgung meines Glückes zuständig ist, ist er nicht in der Lage, mein Glück zu verfolgen. Ich werde mir vergewaltigt vorkommen. Es müssen also andere Mechanismen gesucht werden, wie das Glück des einzelnen Menschen erreicht werden kann. Dieses ist nur möglich, wenn ein Mensch Verantwortung für sich selbst übernimmt und dabei seine Interessen legitimerweise berücksichtigt. Ein Mensch, der in seinen Handlungen ständig gegen seine Wünsche und Interessen vorgeht, wird psychisch scheitern, wird zu einem Masochisten. Die Weltgeschichte ist voll von solchen Versuchen, in welchen das Eigeninteresse der Menschen vergewaltigt wurde. Der Sozialismus wollte in der Theorie das Glück aller Menschen und brachte die Verstümmelung des Menschen, brachte unendliches Leid über weite Teile der Menschheit. Auch der calvinistische Gottesstaat in Genf scheiterte! Selbst Christen sind nicht in der Lage, für alle Menschen das Richtige zu wollen. Nur die eigene Person kann beurteilen, was für sie gut ist, was sie anstreben möchte. Damit stehen wir vor dem enormen Problem, einen friedlichen Kooperationsmechanismus für die Menschen zu finden, dass Eigeninteresse verfolgt werden kann, ohne das Gesamtinteresse zu verletzen. Die Verfolgung des Gesamtinteresses ohne Berücksichtigung des Eigeninteresses ist, wie die Geschichte zeigt, zum Scheitern verurteilt gewesen. Wir sind noch Zeitzeugen des großen historischen Versuchs, eine ganze Gesellschaft in ihren Gestaltungsmöglichkeiten kollektiv zu ordnen. Diese Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung scheiterte am Menschen, am Anreiz-, am Moral- sowie am Wissensproblem. Obgleich dieses Scheitern deutlich wurde, beobachten wir in den westeuropäischen Industriestaaten eine Tendenz, immer mehr Verantwortung abzugeben an den Staat und an kollektive Instanzen. Sozialistische Wirtschaftsordnungen haben den Handlungsfreiraum der Bürger eingeschränkt, ihre Freiheit gefährdet und keine überzeugenden organisatorischen Lösungen für eine erfolgreiche Arbeitsteilung geschaffen. Anscheinend hat die marktwirtschaftliche Ordnung in der politischen Auseinandersetzung zwischen Ost und West den Sieg davon getragen – aber es scheint ein Pyrrhus-Sieg gewesen zu sein! Viele Bürger im Ostteil unseres Landes und in den östlichen Nachbarstaaten sind von der neuen Wirtschaftsordnung enttäuscht. Auch im Westen sind viele, die voll Inbrunst das Banner der Marktwirtschaft vor sich hertrugen, wenn immer es gegen den sozialistischen Osten ging, irritiert, haben nach seiner Kapitulation völlig die Orientierung verloren. Immer mehr wird die andere Ordnungsinstanz, der politische Prozess, der Staat, aufgefordert, nun korrigierend einzugreifen. Nur freie Menschen können Verantwortung übernehmen, sie müssen aber ihre eigenen Interessen verfolgen. Ludwig Erhard hat einmal in einem Artikel (Die Zeit, 15.8.1958) geschrieben: „Nichts ist in der Regel unsozialer als der sog. „Wohlfahrtsstaat“, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken lässt.“ Auch Hayek (Der Weg zur Knechtschaft!) wurde nicht müde, eine freie Gesellschaft mit Verantwortungsbereitschaft zu fordern, die das Wohl jedes Einzelnen durch faire gesellschaftliche Regeln sichert. Dies war auch das Ziel Erhards (Wohlstand für alle!).[5] Welcher Kooperationsmechanismus bietet sich als Alternative zur Priorität des kollektiven Interesses an? Markt und Wettbewerb als ­Mittel zum Interessenausgleich Bei der Ausbalancierung zwischen Gesamtinteressen und Eigeninteressen muss also verantwortungsethisch gehandelt werden. Es muss nicht der erklärte Wille, sondern das beobachtete Ergebnis beurteilt werden. Das „Gewollt wie“ muss sich verbinden mit einem „Gewusst wie“. Menschen, die guten Wissens sind, müssen sich mit denen zusammenschließen, die guten Willens sind. Damit kommen wir zu einem entscheidenden Aspekt: Die richtigen Institutionen sind entscheidend für die Entschärfung des Konfliktes zwischen Eigeninteresse und gesellschaftlichem Interesse. Hier bietet sich der Marktmechanismus als Lösung an. Die ORDO-Liberalen betonen aber, dass sich ein Marktmechanismus mit Wettbewerb nicht von alleine einstellt. Der Wettbewerb ist eine Kulturpflanze und nicht ein wild sprießendes Unkraut, das sich von alleine durchsetzt. Der Staat muss also im Rahmen seiner Ordnungspolitik dafür sorgen, dass Wettbewerb bestehen bleibt. Der Staat ist gewissermaßen ein Schiedsrichter im marktwirtschaftlichen Prozess, der die Regeln für den Wettkampf auf 3 Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann dem Markt auszuarbeiten und dafür zu sorgen hat, dass der Wettbewerb fair verläuft. Die Verfolgung des Einzelinteresses und auch des Gruppeninteresses ist an sich legitim! Notwendig ist jedoch eine Gegenkraft, die die Verfolgung des Eigeninteresses kanalisiert. In einer nicht-marktwirtschaftlichen Ordnung kann Wettkampf zur Vernichtung des Gegners führen. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung führt die Verfolgung des Eigeninteresses bei funktionierendem Wettbewerb zu einer besseren Versorgung der Wirtschaft; es gibt nichts Harmloseres auf dieser Welt, sagte einst Keynes, als einen Wettkampf um das höhere Bankkonto (vorausgesetzt, der Wettbewerb funktioniert!). Aus gesinnungsethischen Überlegungen heraus wird der Markt oft verurteilt. So wird behauptet, dass man im Marktgeschehen kaum verantwortlich handeln kann, da Sachzwänge zum Überleben zu unmoralischem Handeln zwingen. Die Zeitungen sind voll von unmoralischem Verhalten der Menschen in unserer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ist die Kritik berechtigt? Gesinnungsethische Kritik gegenüber Markt und Wettbewerb Der Markt, so wird betont, fördere den Egoismus und die Selbstsucht des Einzelnen. Dem wäre allerdings entgegen zu halten, dass der Egoismus nicht mit Individualismus und Eigenverantwortung verwechselt werden darf. In jeder marktwirtschaftlichen Ordnung spielt der Freiheitsaspekt eine große Rolle. Nach eigenen Vorstellungen kann der Mensch unter den gegebenen Rahmenbedingungen frei entscheiden und sich entfalten. Wie sich ein Mensch in der Wirtschaft verhält, ist abhängig von seinen Grundüberzeugungen. Der Markt erlaubt ihm eine freie Entscheidung: Der Mensch selbst kann zwischen gut und böse wählen und damit eine verantwortliche Entscheidung treffen. Wirtschaftssysteme, die dem Menschen diese Freiheit nicht gewähren und ihm Zwang auferlegen, können zum verantwortlichen Handeln keinen Raum geben, nur zu Gehorsam oder zur inneren Resignation. Wir hatten schon gesehen, dass das Wort Verantwortung aus der Rechtssprache kommt und 4 bedeutet, dass jemand auf eine Anklage hin eine Antwort zu geben hat, dass Rechenschaft für sein Handeln gefordert ist. Verantwortung beinhaltet also immer einen Handlungsträger, einen Bezugspunkt und eine letzte Legitimationsinstanz, wobei Verantwortung auch Mündigkeit des Bürgers voraussetzt. Die letzte Legitimationsinstanz in einer Marktwirtschaft ist der Bürger. Er handelt in einzelnen Rechtsakten. Marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen erzwingen, dass der Bürger bei seinem Handeln auch die Belange anderer berücksichtigt. Es gibt keine theoretischen oder praktischen Hinweise darauf, dass sich Menschen in anderen Ordnungssystemen moralischer verhalten als in marktwirtschaftlichen Ordnungen. Die Marktwirtschaft schafft einen großen Freiraum, dieser erschließt große Handlungsmöglichkeiten und beinhaltet gleichzeitig eine große Gefährdung. Wie seit dem Sündenfall alle guten Gaben Gottes ambivalent geworden sind, so ist auch die Freiheit im marktwirtschaftlichen Handeln ambivalent. Sie kann extrem viel Gutes verursachen, aber auch schädigen, wie wir oft in der Presse und in den Medien nachvollziehen können. Selbstsucht existierte schon vor dem Marktsystem, sie ist in allen anderen Wirtschaftsordnungen zu finden. Sie ist also kein Tatbestand, der durch die wirtschaftliche Ordnung an den Menschen herangetragen wird. Sie ist keine moralische Krankheit, die durch die Marktwirtschaft verursacht wird, sie ist Folge des menschlichen Sündenfalls. Die Bibel sagt: „Alle sind abgefallen, keiner tut Gutes, auch nicht einer.“ (Römer 3,12) Von Kopf bis Fuß ist nichts Gutes an dem Menschen. Schon in den ersten Versen der Bibel heißt es: „Das Handeln und Trachten des Menschen ist böse von Jugend auf!“ (1. Mose 8,21) Aus dem Herzen des Menschen heraus kommen, wie es Jesus Christus sagt, die bösen Gedanken und anschließend das böse Tun. Unmoralisches Verhalten wird nicht durch die Außenwelt hervorgebracht, sondern ist inhärent in jedem einzelnen Menschen, ist integraler Bestandteil seines Selbst. Die Marktwirtschaft bietet dem Christen die Möglichkeit, seinen Glauben im täglichen Vollzug seines Lebens in der Praxis zu be- weisen. Im Verhalten auf dem Markt bewährt sich der Glaube. Er muss sich aber auch in anderen Wirtschaftsordnungen bewähren, obwohl das ethische Moment (beachtet sei der Aspekt der Verantwortlichkeit!) wegen des Zwangs nicht in dem gleichen Maße gewährleistet ist. Folgen überzogener Bürokratie oder Staatsversagen Die Zunahme des Staatseinflusses und ausufernde Bürokratie bei Aufgabe liberaler Prinzipien sind der sicherste Weg in den Ruin hoch zivilisierter Völker. Die Geschichte unserer östlichen Nachbarstaaten zeigt, wie Länder hierdurch versklavt werden, wie es vom ökonomischen zum geistigen Totalitarismus kommt. Auch das Römische Reich belegt diese These.[6] Im 2. Jahrhundert erfreute sich Rom eines hohen ökonomischen Wohlstandes bei geistiger Freiheit und Toleranz sowie innerem Frieden. Mäßige Steuersätze, eine dezentralisierte Verwaltung, von den Bürgern selbst verwaltete Städte, die Achtung vor dem Privateigentum und eine einheitliche Währung erlaubten einen wirtschaftlichen Aufschwung. Kaiser mit militärischem Hintergrund meinten, die nachlassende Kraft des Reiches durch fiskalische und geistige Zwangsmaßnahmen stärken zu können. Die Staatsquote (Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen) stieg, der Staat verschuldete sich. Die damit einhergehende Inflation wurde mit amtlichen Preisstopps für die wichtigsten Grundnahrungsmittel bekämpft. Zwangsläufig stiegen die Bürger aus, gingen in die Schattenwirtschaft. Die Bürokratie versuchte mit brutalen Methoden, solche Fluchtwege zu unterbinden. Jeder städtische Bürger wurde verwaltungsrechtlich an seine ökonomische Funktion gefesselt. So durfte der Sohn eines Bäckers nur wieder Bäcker werden. Die Geburtenrate sank, es kam zu einer zunehmenden allgemeinen Verarmung des Landes, man war – selbst zur Verteidigung des Landes – auf Ausländer angewiesen. Der geldwirtschaftliche Überbau brach zusammen. Beamte und Soldaten mussten mit Naturalien bezahlt werden. Wo die Bürokratie in einem Land das Übergewicht erlangt, sind Wohl- Forts.: Verantwortung im Spannungsfeld von Eigeninteresse und Gemeinwohl Grundfragen der Wirtschaftsethik – von Werner Lachmann stand, Kultur und Freiheit in Gefahr! Gerade staatliche Macht senkt Verantwortungsbereitschaft und korrumpiert ein Volk. Wer auf Freiheit und eigene gestalterische Entscheidung nicht verzichten will, muss auch ethische Verantwortung wollen. Wo Freiheit nur egoistische Willkür meint, folgt zwangsläufig das Gängelband des Staates. Sonst bahnen sich Fehlentwicklungen an, die durch ein Zurückdrängen des Staates und durch eine Wiederbesinnung auf die Eigenverantwortlichkeit bekämpft werden müssen. Hinter der Forderung „weniger Staat und mehr Verantwortung!“ steht die Sorge um echte Verantwortlichkeit in einer komplexen, raschen Veränderungen unterworfenen Zeit. Durch die Wirtschaftsreformen von 1948 und die Betonung der Eigenverantwortlichkeit gelang es Ludwig Erhard in wirkungsvoller Weise, den offiziellen Markt wieder in seine Rechte einzusetzen. Während seiner Amtszeit gab es Vollbeschäftigung mit Preisstabilität, seine Politik des „Wohlstands für alle“ brachte Deutschland zurück zum Weltmarkt. Jeder mündige Bürger konnte am Marktgeschehen teilnehmen, jeder konnte sein Bestes zum Leistungspotential der Gesellschaft beitragen. In den sechziger Jahren, unter der Regierung von Helmut Schmidt, kam es zu wachsender Steuer- und Beitragsbelastung. Der Gedanke der Solidarität wurde immer häufiger betont, ohne auf Subsidiarität zu achten. Die Gesellschaft wurde zum Leistungsträger degradiert. Eine völlige Auflösung sozialer Ordnung, sozialer Bindungen kann folgen. Mit der geschwundenen sozialen Einordnung gehen auch Orientierungsmaßstäbe verloren. Bismarck hat einmal gesagt: „Die Scheu vor der Verantwortung ist eine Krankheit unserer Zeit!“ Der Schnellzug, in welchem wir alle sitzen, ist kein ICE mit Endstation Sehnsucht. Es gibt in der Weltwirtschaft keine Freifahrt, keine halben Preise. Bezahlt werden muss in jeder Sekunde unseres Lebens. Jeder Bürger ist in diesem Zusammenhang nach seiner letzen Instanz gefragt, vor der er sich verantworten muss. Individualethische Überzeugungen machen den Charakter eines Menschen aus, was wirtschaftlich als Moralkapital wirkt. Zu jedem moralischen Handeln gehört im Grunde genommen die Bindung an eine letzte Instanz! Kraft zur Verantwortung Wenn wir über Verantwortung reden, dann müssen wir auch nach dem Subjekt fragen, demgegenüber wir Menschen verantwortlich sind. Für den Christen bietet sich hier Gott an, der der Schöpfer des Weltalls, der Herr der Geschichte, der letzte Richter über die Menschheit und der Erhalter dieser Welt ist. Einmal wird er von einem jeden von uns Rechenschaft fordern. Es gehört zur langfristigen Sichtweise, sein Verhalten vom Ende her zu beurteilen. Nur der handelt klug, der vom Ende her seine Lebensstrategie aufbaut und aufzieht. Unter Beachtung dessen, der das letzte Wort in der Geschichte hat, kann ich erreichen, dass mein Handeln nicht zum Schluss verurteilt wird. In diesem Zusammenhang ist auf ein Wort von Mose hinzuweisen: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden!“ (Ps. 90,12) Eine Familie hatte sich vor einiger Zeit ein Fernsehgerät gekauft und war über ihr Gerät sehr enttäuscht. Das Bild war sehr verschwommen. Der Ton war nicht immer scharf. Immerhin konnten sie die neuesten Nachrichten hören und Filme ansehen. Die Situation änderte sich, als einmal ein Freund zu Besuch kam und den Grund für das verschwommene Bild feststellte. Die Familie hatte wohl geringe Informationen über technische Dinge und dabei vergessen, das Fernsehgerät an die Antenne anzuschließen. Als dieses nun geschah, hatten sie ebenfalls ein ganz scharfes Bild und waren überglücklich. So ist ein Leben ohne Gott wie ein Fernsehgerät ohne Antenne! Erst wenn der Mensch seine Schüssel auf den Fixpunkt Gott eingestellt hat, wird er auch in ethischen Dingen klarer sehen können, wird sein Eigeninteresse richtig verortet und er Verantwortung übernehmen können! Anmerkungen [1] Verwiesen sei auf: Werner Lachmann: Verantwortung zwischen Eigen-, Gruppen und Gesamtinteresse, in: Reinhard Haupt/Werner Lachmann (Hg.): Unternehmensethik – Wahre Lehre oder leere Ware? Neuhausen-Stuttgart 1982 (Hänssler: Studium Integrale), S. 55–70. Teilweise lehne ich mich an dortige Ausführungen an, ohne sie jeweils zu kennzeichnen. [2] Vgl. H.-J. Fuchs: Interesse, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (Hg. Von J. Ritter/ K. Gründer), Bd. 4, Basel 1976, Sp. 679 – 685. Siehe auch: Heinrich Schneider: Der Interessensbegriff in historischer Perspektive, in: Schmitz/Weiler (op.cit.), S. 35 – 60 [3] Mausbauch-Ermecke, Katholische Moraltheologie, Bd. 1, München 1959, S. 135, zitiert nach Wolfgang Schmitz, a.a.O., S. 63. [4] Vgl. Wolfgang Schmitz: Eigeninteresse – Gruppeninteresse – Gesamtinteresse. Das Eigeninteresse durch Lebenssinn und Institutionen legitim, effizient und unersetzlich, in: Wolfgang Schmitz, Rudolf Weiler: Interesse und Moral. Gegenpole oder Bundesgenossen? Berlin 1994, S. 61 – 104 [5] Zur Kritik gegenüber einem zu starken staatlichen/kollektivistischen Einfluss und die ethischen Auswirkungen vgl.: Werner Lachmann: Staatlicher Einfluss auf die Wirtschaft und seine ethischen Folgen, in: Werner Lachmann/Reinhard Haupt (Hg.): Wirtschaftsethik in einer pluralistischen Welt, Moers 1991, S. 39 – 81; vgl. auch die kritischen Bemerkungen in: Gerd Habermann: Der Wohlfahrtsstaat, Geschichte eines Irrwegs, Frankfurt/M. und Berlin 1994 sowie Friedrich A. Hayek: Der Weg zur Knechtschaft, München 1991, Günter Rohrmoser: Der Ernstfall. Die Krise unserer liberalen Republik, Berlin und Frankfurt/M. 1994; vgl. auch Roland Baader: Kreide für den Wolf. Die tödliche Illusion vom besiegten Sozialismus, Böblingen 1991. [6] Vgl. Gerd Habermann: Der Untergang Roms. Ein ordnungspolitisches Lehrstück, Orientierung zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 40, Juni 1989, S. 53 – 57; ebenso: Werner Lachmann: Interdependenzen von marktwirtschaftlichem und demokratischem System, in: Reinhard Haupt/Werner Lachmann (Hg.): Selbstorganisation in Markt und Management, Neuhausen-Stuttgart 1995 (Hänssler: Studium Integrale), S. 37 – 95. 5 Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2) Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller Zusammenfassung von Teil 1: D er Beitrag argumentiert, dass der die gegenwärtige Ökonomik dominierende moralische Skeptizismus, nach welchem es objektive, gottgegebene Werte nicht gebe, aus logischen Gründen unhaltbar ist. Es wird gezeigt, dass die von Karl Popper begründete Methodologie des Kritischen Rationalismus in Bezug auf das Problem der Wertbegründung in der Ökonomik daher meist inkonsistent angewendet wird. Auf der einen Seite wird zu Recht das Induktionsproblem betont, das sich bei dem Versuch stellt, strikt universale Aussagen in Hypothesenform verifizieren zu wollen. Andererseits wird der fehlerhafte Induktionsschluss übersehen, den man begeht, wenn man normative Sätze als grundsätzlich nicht wahrheitsfähig klassifiziert. Denn der ethische Subjektivismus unterstellt mit der Leugnung der Objektivität von Normen und der Existenz eines göttlichen Normgebers die Falsifizierbarkeit einer (universalen Existenz-)Aussage, die nicht falsifizierbar ist. Jede Sicherheit ethisch-subjektivistischen Argumentierens wäre insoweit selbstfabriziert. Im ersten Teil des Beitrags wurden schließlich mögliche Einwände von subjektivistischer oder empiristischer Seite geprüft. Hinweis: Das Mitteilungsblatt 1/2011 mit Teil 1 des Artikels kann auf der Website www.­wirtschaftundethik.de heruntergeladen werden. Fortsetzung aus Heft 1/2011 W enn ein Skeptiker diese Aussagen alle nicht für glaubhaft hält, dann im Allgemeinen nicht, weil er sie je einzeln geprüft und als unglaubwürdig erkannt hätte, sondern weil er pauschal und unabhängig vom berichteten Einzelfall die Falschheit oder die „Fragwürdigkeit“ (Albert 2002, S. 286) aller solcher Aussagen annimmt oder bei ihnen gleich „eine Menge an Einbildung im Spiel“ (Gadenne 2002, S. 287) vermutet. Er wird die Falschheit aller Beweise der Christen behaupten, weil er a priori dem Glauben anhängt, dass es solche Vorgänge nicht geben kann. Aufgrund der aussagenlogischen Unmöglichkeit, universale Existenzaussagen zu widerlegen, kann auch ein Atheist nur glauben, dass Gott nicht existiert – nicht weniger, als ein Christ an die Existenz Gottes glaubt. In einem gewissen Sinne muss der Atheist sogar stärker glauben als ein religiöser Mensch: Denn der 6 „Gläubige“ glaubt mit der Gottesexistenz an einen Sachverhalt, der grundsätzlich beweisbar – verifizierbar – ist; und insofern er tatsächlich Beweise hat, hält er – wie bei anderen historischen Behauptungen auch – die Aussage der Gottesexistenz für wahr. Der „Nichtgläubige“ hingegen könnte, selbst wenn er recht hätte, aus logischen Gründen seine Überzeugung niemals beweisen, insofern die Behauptung der Gottesexistenz nicht falsifizierbar ist. Es bleibt ihm daher nur die Flucht in das Dogma, das – selbst ungeachtet aller entgegenstehenden Evidenz – pauschal die Falschheit aller relevanten Zeugenaussagen behauptet.[10] Hier zeigt sich eine interessante Grenze kritisch-rationalen Argumentierens: Ob man eine religiöse Erfahrungsaussage für einen Beweis der Existenz Gottes hält oder nicht, hängt also anscheinend gar nicht davon ab, ob sich das Behauptete tatsächlich wie geschildert zugetragen hat, sondern vielmehr von der (unbegründeten und unbegründbaren) metaphysischen Ausgangsposition, welche der Betrachter schon vorher zu dieser Frage einnimmt. Eine allgemein akzeptierte Verifikation der Existenzbehauptung gottgegebener Normen dürfte daher ebenso unmöglich sein wie ihre Falsifikation; letztere scheitert an einem logischen Induktionsproblem, erstere hingegen an dem ganz praktischen Problem, dass man die Frage der Gottesexistenz offensichtlich überhaupt nicht unvoreingenommen diskutieren kann. d) Schließlich bleibt die Frage, ob die Annahme einer objektiven Geltung moralischer Normen nicht notwendig in Fundamentalismus und Intoleranz führen muss, so dass schon aus praktischen Gründen lieber auf sie verzichtet werden sollte. So wirft etwa Steinvorth Papst Johannes Paul II. „Fundamentalismus“ vor, weil dieser in der Enzyklika „Fides et Ratio“ (Johannes Paul II. 1998) für die Normen des Christentums eine „unfehlbare Wahrheit“ oder „unfehlbare Gewißheit“ (Steinvorth 2006, S. 24; beide Zitate) in Anspruch nehme. Wer aber so argumentiert, ist für den Philosphen nicht nur ein Feind der Aufklärung[11]; er gehört für ihn auch in eine Kategorie mit den Vordenkern des islamistischen Terrorismus. Denn normobjektivistischen Positionen könne immer nur mit Zwang Geltung verschafft werden: „Auch beim Papst ist die Verankerung einer Wahrheit nur die Erzwingung der Anerkennung einer fehlbaren Annahme als einer un- fehlbaren durch sozialen Druck … Fundamentalistische Bewegungen kommen nicht darum herum, ihre Dogmen mit demselben Druck zu verankern, den der Papst stillschweigend fordert. Ob sie wie die katholische Kirche die Lehre durch ein Lehramt verankern oder wie der Islam jede Vermittlung zwischen dem Gläubigen und Gott durch das Priesteramt verwerfen: ihren Appellen an Vernunft und Autonomie zum Trotz verankern sie ihre Lehren mit denselben Mitteln des sozialen Drucks, der Terror und Scheiterhaufen einschließt“ (­Steinvorth 2006, S. 26 f.). Sieht man einmal über das aufklärerische Pathos und die polemische Wortwahl des Autors[12] hinweg, so ist daran richtig, dass es tatsächlich ein Integralismus ist, der eine normobjektivistische Position zu einer fundamentalistischen macht. Einen integralistischen Standpunkt vertritt jemand, der „die legitime Autonomie irdischer Sachbereiche und der jeweiligen Wissenschaft ignoriert, der Politik nicht als Suche nach dem kleineren Übel, sondern als Entscheidung zwischen dem Guten und dem Bösen begreift und konsequenterweise den legitimen Pluralismus auch der Christen in der Politik ablehnt“ (Spieker 1995, S. 11). Auf Basis der Überlegung, dass die Wahrheit keine Kompromisse zulässt, folgert er im Ex­ tremfall aus der (tatsächlichen oder vermeintlichen) Erkenntnis der objektiven Wahrheit auf das Recht und sogar die Pflicht einer Durchsetzung dieser Wahrheit mit allen Mitteln (­Spaemann 1993, S. 183). Doch eine „endgültig anerkannte Wahrheit“ (Johannes Paul II. 1998, Nr. 27) zu behaupten, ist etwas anderes, als Zwang und Intoleranz zu befürworten oder gar anzuwenden. Normobjektivismus impliziert nicht Integralismus. Das wäre mit Bezug auf das Christentum schon deshalb abwegig, weil dessen absolut gesetzte Letztnorm die Toleranz selbst ist. Denn: „Gott ist Liebe (1 Joh 4,8). Wahrheit und Liebe sind identisch. Dieser Satz – wenn er in seinem ganzen Anspruch begriffen wird – ist die höchste Garantie der Toleranz; eines Umgangs mit der Wahrheit, deren einzige Waffe sie selbst und damit die Liebe ist“ (Ratzinger 2005, S. 186). Auch wenn einzuräumen ist, dass selbst große Gestalten der Christenheit diese Grenze zum Integralismus und damit Fundamentalismus immer wieder tatsächlich überschritten haben, so kann doch kein Zweifel daran bestehen, Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2) Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller dass das für die überwältigende Mehrheit der heute lebenden Christen nicht mehr zutrifft. Für die Katholiken markieren explizit die lehramtliche Anerkennung allgemeiner und unveräußerlicher Menschenrechte durch Johannes XXIII.[13] und in ihrer Folge das Zweite Vatikanische Konzil einen „tatsächlichen Kontinuitätsbruch“ in der politischen Philosophie bzw. politischen Ethik der kirchlichen Soziallehre, „die sich nun eben von der antik-christlichen polisethischen Tradition zu lösen und, die Tradition der Neuzeit aufgreifend, den politischen Primat der Freiheit des Individuums über die ‚Rechte der Wahrheit‘ anzuerkennen begann“ (Rhonheimer 2006, S. 89f.; beide Zitate; Hervorhebung im Original). Im Christentum akzeptiert man im Allgemeinen Theorie und Praxis von Rechtsstaat und Demokratie und respektiert entsprechend den Bereich des Politischen als eigenständigen „Raum der Vermittlung, der funktionalen Relativierung, der Brechung aller Unbedingtheitsansprüche“ (Spaemann 1993, 185).[14] Wer Normobjektivismus und Fundamentalismus nicht voneinander zu unterscheiden vermag, übersieht auch leicht die Gefahr, die aus einem ethischen Subjektivismus, wie er die Wirtschaftswissenschaften prägt, erwachsen kann: Die Betonung von Toleranz und Antidiskriminierung führt häufig in einen radikalen Relativismus, der die Wichtigkeit der Unterschiede zwischen ethischen Positionen überhaupt nicht mehr anerkennt. Dabei ist die Bestreitung der Relevanz der Unterschiede zwischen n absoluten ethischen Positionen keineswegs ein Standpunkt der Neutralität oder gar der Toleranz, sondern eine (n+1)ste ethische Position. Sie ist der absolute (Meta-) Wert, dass alle anderen absoluten Werte gleich viel (oder wenig) wert sind. Wenn ein Fundamentalist tatsächlich einer wäre, der für seine moralische Position „unfehlbare Wahrheit“ beansprucht, dann wäre nicht nur der Christ ein Fundamentalist, sondern auch der Relativist selbst, behauptet dieser doch mit unfehlbarer Wahrheit die Fehlbarkeit aller ethischen Urteile. In der Konsequenz aber wäre dies das Ende eines jeden vernünftigen Gesprächs zwischen den Standpunkten, denn: „Achtung und Toleranz vor dem Andersdenkenden sowie wirkliche Diskussions- und Dialogbereitschaft gibt es nur, wo man Überzeugungen überhaupt ernst nimmt als Ausdruck des subjektiven Überzeugtseins, die ei- gene Überzeugung entspreche der Wahrheit.“ (Rhonheimer 2006, S. 94) Fundamentalistische Züge hat der extreme Relativismus aber auch insoweit, als „wir immer mit einer Revision der Gründe rechnen“ müssen und daher auch „nicht auf eine unfehlbare Lehre festgelegt werden“ können (Steinvorth 2006, S. 25; beide Zitate). Gerade der atheistische Relativismus gebärdet sich aber als unfehlbare Lehre, insofern er auf die induktionslogische Unmöglichkeit, die Existenz objektiver Normen zu widerlegen, mit seinem Dogma reagiert, dass Übernatürliches nicht existieren kann. Die vielen vorliegenden Konfirmatoren für den Gottesglauben werden so a priori ignoriert oder unbesehen bestritten. Besonders dann aber gebärdet sich ein ethischer Relativismus als Fundamentalismus, wenn er sich, wie in der westlichen Welt zunehmend zu beobachten, mit einem aggressiven Integralismus verbindet. Der Relativismus erscheint hier immer mehr „als die wahre Menschheitsphilosophie“ mit einer „Durchschlagskraft, die praktisch keinen Widerstand mehr zu gestatten scheint“ (Ratzinger 2005, S. 99; beide Zitate). Wer sich ihm entgegensetzt, steht wie ein Feind von Demokratie und Toleranz da, gegen den zur Verteidigung der Errungenschaften der Aufklärung Fundamentalopposition und Ausgrenzung aus dem Spektrum legitimer Ansichten als die einzig angemessene Reaktion erscheint. Wenn etwa Christen immer häufiger daran gehindert werden, biblische Positionen (zur Homosexualität, zur Schöpfungslehre, zur Abtreibung etc.) im gesellschaftlichen Diskurs auch nur vorzutragen, dann bewegen wir uns nicht in Richtung einer immer offeneren Gesellschaft, sondern vielmehr auf dem Weg in eine unmenschliche „Diktatur des Relativismus“, in der letztlich „im Namen der Toleranz die Toleranz abgeschafft wird“ (Benedikt XVI. 2010, S. 69 und 72). 6. Karl Popper und die christliche Sozialethik Wegen der Unzulässigkeit eines entsprechenden Induktionsschlusses ist es unmöglich, die Wahrheit unserer theoretischen Erkenntnisse definitiv festzustellen; ein analoges Induktionsproblem hindert uns jedoch auch daran, sicher zu wissen, dass es die objektiven Werte, welche die christliche Soziallehre voraussetzt, nicht gibt. Ob man sich in dieser Situation für den ethischen Subjektivismus entscheidet oder einen metaphysisch begründeten Normobjektivismus wie in christlichen Aussagensystemen – stets ist eine Glaubensentscheidung erforderlich: eine Entscheidung über die Bejahung oder Negation eines metaphysischen Sachverhalts. Dass Normen immer und überall subjektiv und allein Menschen die „Quelle aller Werte“ (Brennan/Buchanan 1993 [1985], S. 28) sind, muss man, wenn man es denn will, ebenso glauben, wie ein Christ an Gott glaubt und dessen objektiv gültige Normsetzungen. Subjektivismus und Objektivismus in Wertfragen stehen epistemologisch auf einer Stufe; es gibt kein wissenschaftliches Kriterium, um zu entscheiden, ob der normative Individualismus oder eine anthropologisch fundierte „Natur des Menschen“ in einem ökonomischen Legitimationsargument das oberste Wertaxiom darstellt. Es ist daher kein besonderer Ausweis von „Wissenschaftlichkeit“, in einem normativen ökonomischen Argument, wie einst Laplace in seinem Weltentwurf, auf die „Hypothese“ Gott zu verzichten. Mag es auch manchem ethischen Skeptizisten unter den Ökonomen noch so opportun erscheinen, die Bemühungen der Vertreter objektivistischer Normbegründungsverfahren als „Diskussionen zwischen Möchtegern-Göttern“ (Buchanan 1977, S. 142) lächerlich zu machen[15]; vom Standpunkt des Popperschen Kritischen Rationalismus aus betrachtet, ist das „Rennen“ zwischen dem unter Ökonomen üblichen ethischen Subjektivismus und der christlichen Sozialethik völlig offen. Mehr noch: Rein wissenschaftstheoretisch ist es sogar unentscheidbar. Auf diesem Hintergrund mag es von Interesse sein, wie der Gründer des Kritischen Rationalismus ganz persönlich in dieser Frage dachte. Dass Karl Popper seine „Logik der Forschung“ wesentlich in Abgrenzung zum Positivismus des „Wiener Kreises“ entwickelte, ist allgemein bekannt (siehe z.B. das Vorwort in Popper 1994, S. XXIII). Immer wieder betonte er, dass die Falsifizierbarkeit einer Aussage ein „Abgrenzungskriterium“ zwischen den Sätzen der empirischen Wissenschaften und anderen Sätzen sein solle, nicht aber ein „Sinnkriterium“; keineswegs gehe es ihm, beteuerte er wiederholt, um eine „Vernichtung der Metaphysik“ (Popper 1994, S. 10), wie sie dem logischen Empirismus vorschwebte. Teile der Metaphysik hielt Popper sogar für wertvoll und für die spätere Entwick- 7 Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2) Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller lung wissenschaftlicher Theorien für unabdingbar.[16] Ausdrücklich verteidigte er auch gegen Carnap seine Ansicht, dass ein nichtfalsifizierbarer, metaphysischer Satz, der die Existenz eines allmächtigen, allgegenwärtigen und allwissenden personalen göttlichen Geistes behauptet, sehr wohl sinnvoll sein könne (Popper 1969, S. 274 ff.). Aus gutem Grund ist daher die Haltung Poppers, der sich selbst als Anhänger eines „metaphysischen Realismus“ (Popper 1994, S. 226) sah, als „eine Rehabilitation der Metaphysik“ (Gröbl-Steinbach 2002, S. 221) gegenüber dem logischen Empirismus verstanden worden. Auffällig ist darüber hinaus auch Poppers Ablehnung einer relativistischen Moralauffassung, nach welcher es aufgrund einer Vielzahl von Ethiken, deren materiale Normen einander häufig widersprechen und auch im Zeitablauf Änderungen unterworfen sind, nicht möglich sei, eine unbedingt verbindliche und allgemeingültige Norm zu finden. Zwar zog sich Popper selbst den Relativismusvorwurf immer wieder zu (kürzlich etwa bei Petropulos 2002, S. 187), weil er unter anderem Normen ausdrücklich für „das Werk des Menschen [hielt; d. Verf.] in dem Sinn, dass nur wir allein für sie verantwortlich sind –, weder die Natur noch Gott“ (Popper 1992, S. 74). Aber zugleich betonte er auch immer wieder, dass diese Auffassung nicht bedeute, dass die Geltung von Normen deshalb „willkürlich“ sei (Popper 1992, S. 74). Ein „intellektueller und moralischer Relativismus“ galt Popper (1992a, S. 460) sogar als die „philosophische Hauptkrankheit unserer Zeit“.[17] Nun muss jedoch, wer den ethischen Relativismus ablehnt, noch keineswegs ein Vertreter objektiver Normen sein. Dass der Begründer des Kritischen Rationalismus indes, wie der christliche Sozialethiker Johannes Messner (1980, S. 1) anerkennend bemerkt, tatsächlich „kein grundsätzlicher Skeptiker“ war, sondern Werte sehr wohl für objektive Gegebenheiten hielt, zeigt beispielsweise Poppers Hinweis, dass die Moral, die er predige, jene sei, die von Kant begründet wurde (Popper 1992, S. XV). Ausdrücklich bekennt er sich in Fragen der Normbegründung zu „Kants Idee der Autonomie im Gegensatz zur Heteronomie“ (Popper 1992a, S. 479).[18] „Ich teile“, schreibt er außerdem, „... nicht die Ansicht, dass jemand, der ethische Gesetze für Menschenwerk im angegebenen Sinn hält, mit der 8 religiösen Auffassung in Konflikt kommen muß, nach der sie uns von Gott gegeben sind“ (Popper 1992, S. 79). Zwar sind nach Popper (1992a, S. 477) Tatsachen und „Maßstäbe“, wie er ethische Grundsätze nennt, strikt voneinander zu trennen; andererseits will er sehr wohl „... die Idee der absoluten Wahrheit – die Übereinstimmung mit den Tatsachen – als eine Art Modell für den Bereich der Maßstäbe zu benutzen, um uns klar zu machen: wie wir im Bereich der Tatsachen nach absolut wahren Aussagen suchen können oder zumindest nach Aussagen, die der Wahrheit näher kommen, können wir ebenso auch auf dem Gebiet der Maßstäbe nach absolut richtigen oder gültigen Vorschlägen suchen – oder zumindest doch nach besseren oder gültigeren Vorschlägen.“ (Popper 1992a, S. 480; Hervorhebungen im Original) Auch ist es nach Popper sehr wohl möglich, auf dem Gebiet der Moral Fortschritte zu machen: „Ähnlich wie auf dem Gebiet der Tatsachen können wir Entdeckungen machen. Dass Grausamkeit immer ‚schlecht’ ist; dass sie, wo immer möglich, vermieden werden muß; dass die Goldene Regel ein guter Maßstab ist, der vielleicht sogar noch verbessert werden kann, indem man andere, wo immer möglich, so behandelt, wie sie behandelt werden wollen; und Sokrates’ Einsicht, dass es besser ist, Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun; das alles sind elementare und äußerst wichtige Beispiele für Entdeckungen auf dem Gebiet der Maßstäbe.“ (Popper 1992a, S. 480 f.; Hervorhebung im Original) Popper ging danach offenbar von der realen Existenz einer objektiven Wahrheit auch im Bereich der ethischen Überzeugungen aus (siehe auch Zenz 2002 mit einer Vielzahl weiterer Belege aus Poppers Werk). Auch wenn es Popper selbst vorzieht, in diesem Zusammenhang von „Richtigkeit“ oder „Angemessenheit“ zu sprechen als von „Wahrheit“ (Popper 1992a, S. 479), dürfte dieser Unterschied höchstens nominell, nicht aber qualitativ sein (Zenz 2002, S. 6). Normen sind – das unterscheidet ihn strikt von einem ethischen Subjektivisten – aus Poppers Sicht offenbar sehr wohl wahrheitsfähig; sie können, in seiner Diktion, „absolut richtig“ (Popper 1992a, S. 480) oder falsch sein. Wie im Bereich der empirischen Wissenschaft sieht er jedoch keine Möglichkeit, diese absolute Wahrheit oder Richtigkeit als sicher zu erweisen. Es gibt nach Popper (1992a, S. 480) nämlich „kein Kriterium für absolute moralische Richtigkeit“. Obwohl er Kants Autonomiebegriff folgt und ebenso wie dieser die Vernunft – oder, wie Popper (1969, S. 182; Popper 1992a, S. 273) zumeist schreibt, „das Gewissen“ – als seine moralische Autorität und Wahrheitsgrund anerkennt, lehnt er doch die Unfehlbarkeit ab, die Kant dem Vernunfturteil zuschreibt. Nach Popper kann das Gewissen nämlich selbst dann irren, wenn man sein Urteil auf Gott zurückführt. Denn Kant selbst habe darauf hingewiesen, dass alle auf Gott und seinen Willen hindeutende Evidenz nur subjektiv erfasst werden und damit fehlbar sein könne.[19] Ein Gewissensurteil kann daher nach Popper zwar einen hinreichenden Anlass geben, einen Maßstab vorläufig für „richtig“ zu halten; da es jedoch auch in die Irre gehen kann, können Gewissensentscheide, nicht anders als die empirische Wissenschaft, allenfalls „Vermutungswissen“ (Popper 1992a, S. 467) begründen. [20] Auch im Bereich der (ethischen) Maßstäbe gibt es für Popper (1969, S. 27) somit „keine letzten Quellen des Wissens“, so dass wir aufgefordert bleiben, unser Wissen in diesen und in anderen Bereichen unserer Erkenntnis der bedingungslosen Kritik auszusetzen. Es ist daher nicht einmal zu weit gegriffen, wenn Helmut Zenz bei Popper – analog zur Vorgehensweise bei empirischen Sätzen – die Idee der „Falsifikation einer religiösen Theorie“ rekonstruiert: Während die empirische Wissenschaft bei der Annäherung an die absolute Wahrheit in ihrem Bereich der „Logik der Forschung“ unterliegt, hat die Bildung des Gewissens nach Popper bei der Annäherung an die absolute Richtigkeit im Bereich der Moral und Religion einer eigenen „Logik der Gewissens-Erforschung“ zu folgen (Zenz 2002, S. 10). Letzte „Gewissheit“ kann es in beiden Bereichen nicht geben. Sowohl das Wissen als auch das Gewissen müssen daher dem ständigen Versuch der Falsifikation ausgesetzt bleiben. Wenn diese Interpretation zutrifft, befindet sich Poppers Position in Fragen der Moralbegründung in einer überraschenden Nähe zu bestimmten Aussagen der christlichen Sozialethik. Beiden gemeinsam ist ein objektivistisches Normverständnis, das auch bei Popper eine mögliche göttliche Fundierung ethischer Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2) Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller Pflichten zumindest nicht ausschließt. Ähnlich ist in beiden Konzeptionen auch die dem Gewissen zugewiesene Rolle als Wahrheits- oder Richtigkeitsgrund. Beide Ansätze berücksichtigen auch die Möglichkeit, dass das Gewissen irren kann. Während die thomasische Sozialethik aber dennoch, ähnlich wie Kant, die Möglichkeit unterstellt, das objektive Urteil des in allen Menschen als gleich funktionierend unterstellten „naturhaften Gewissens“ („Synderesis“) zu erkennen (Utz 1964, S. 67 f.)[21], sieht sich Popper allerdings dazu veranlasst, auch dem Urteil des menschlichen Gewissens grundsätzlich zu misstrauen und dem auf diese Weise gewonnenen Wertewissen allenfalls vorläufige Geltung zuzuschreiben. Die Nähe seiner Auffassung zu Ideen der christlichen Soziallehre fand der Begründer des Kritischen Rationalismus selbst bemerkenswert. So bekannte Popper 1981 dem großen christlichen Sozialethiker Utz in einem Brief, dass ihm wegen ihrer humanen und duldsamen Tradition „die Naturrechtsschule immer sehr sympathisch“ gewesen sei. Diese Sympathiebekundung war offenbar keine zufällige und unreflektierte Gemütsäußerung. „Ich war“, schrieb Popper nämlich im gleichen Jahr in einem weiteren Brief an den christlichen Naturrechtler Johannes Messner, „immer ein Gegner des Rechtspositivismus, und stand daher dem Naturrecht immer nahe, obwohl ich nie von Rechtstheorie oder Rechtsphilosophie etwas wusste“ (zitiert nach Zenz 2002a, S. 161 und S. 163). Anmerkungen [10] Dieser Dogmatismus des „Ungläubigen“ ist treffend von Chesterton (2001), S. 279 f. charakterisiert worden: „Irgendwie hat sich die erstaunliche Vorstellung herausgebildet, dass diejenigen, die nicht an Wunder glauben, sie kühl und objektiv betrachten, während diejenigen, die an sie glauben, dies nie ohne Berufung auf ein Dogma tun. Tatsächlich verhält es sich genau andersherum. Die letzteren akzeptieren sie (zu Recht oder Unrecht), weil sie Beweise haben. Die ersteren bestreiten sie (zu Recht oder Unrecht), weil sie mit einem Lehrsatz gegen sie antreten. ... Wir Christen akzeptieren alle wirklichen Beweise – während ihr Rationalisten wirkliche Beweise verschmäht, weil euer Glaube euch dazu zwingt. Mich zwingt in dieser Sache überhaupt kein Glaube, und nachdem ich mir einige Wunder des Mittelalters und der Moderne unbefangen angesehen habe, bin ich zu dem Schluß gekommen, dass sie wirklich geschehen sind. Alle gegen diese unleugbaren Fakten vorgebrachten Argumente sind Zirkelschlüsse. Sage ich: ‚Die mittelalterlichen Dokumente bezeugen Wunder genauso, wie sie Schlachten bezeugen‘, heißt es nur: ‚Aber im Mittelalter war man abergläubisch‘; und will ich dann wissen, worin der Aberglaube bestand, lautet der einzige abschließende Bescheid, man habe an Wunder geglaubt. Sage ich: ‚Ein Bauer hat ein Gespenst gesehen‘, so erwidert man mir: ‚Aber Bauern sind doch so leichtgläubig‘; frage ich dann: ‚Wieso leichtgläubig?‘, lautet die einzige Antwort: weil sie Gespenster sehen. Island kann es nicht geben, weil nur dumme Seefahrer die Insel gesehen haben; und die Seefahrer sind dumm, weil sie Island gesehen haben.“ [11] Steinvorth 2006, S. 23: „Der Fundamentalismus siegt auch bei ihm [dem Papst; d. Verf.] über die Aufklärung.“ [12] So kommen in der von Steinvorth angeführten Enzyklika von Johannes Paul II. (1998) die Worte „unfehlbar“ und „Unfehlbarkeit“ überhaupt nicht vor. Der Papst spricht hingegen von „Gewißheit“ (z.B. Nr. 27); gerade aber „Gewißheit ist nicht Unfehlbarkeit“ (Spaemann 1993, S. 189). [13] In der christlichen Tradition findet sich diese Idee im Grund jedoch schon in der Naturrechtsethik des Thomas von Aquin. Vgl. dazu Saberschinsky (2002). [14] Ganz in diesem Sinne warnt auch Johannes Paul II. (1991, Nr. 46) „vor der Gefahr des Fanatismus oder Fundamentalismus derer, die glauben, im Namen einer angeblich wissenschaftlichen oder religiösen Ideologie den anderen Menschen ihre Auffassung von dem, was wahr und gut ist, aufzwingen zu können. Die christliche Wahrheit ist nicht von dieser Art.“ (Hervorhebung im Original) [15] Ironischerweise versucht Buchanan (1977, S. 142) seine vertragstheoretisch-subjektivistische Position dadurch zu begründen, dass bei nicht-individualistischen Normbegründungsversuchen als Ergebnis letztlich „alles möglich“ sei. Dies gilt jedoch nicht minder für die Theorien des Gesellschaftsver- trags im Allgemeinen und Buchanans (1984 [1975]) Variante einer „starken“ (strikt individualistischen) Vertragstheorie im Besonderen. Vgl. dazu Müller (2000), S. 49 ff. [16] So ist zum Beispiel die im Popperschen Werk zentrale Unterstellung von Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft eine metaphysische Aussage; sie behauptet etwas über die Realität, ist aber nicht widerlegbar. Vgl. Popper (1994), S. 226. [17] Das schließt nicht aus, dass die Poppersche Konzeption der „Offenen Gesellschaft“ unter bestimmten Bedingungen extrem relativistische Konsequenzen haben kann. Vgl. Schefold (1986). [18] Popper ist damit – entgegen Lütge (2002, S. 390 und S. 397) und wohl auch im Unterschied zu Albert – kein Utilitarist oder ethischer Konsequentialist. [19] Popper (1969, S. 26 und S. 182) bezieht sich dabei auf die folgende Kant-Passage: „Denn auf welcherlei Art ein Wesen als Gott von einem anderen bekannt gemacht und beschrieben worden, ja ihm ein solches auch (wenn das möglich ist) selbst erscheinen möchte, so muß er ... urteilen, ob er befugt sei, es für eine Gottheit zu halten und zu verehren. Aus bloßer Offenbarung, ohne jenen Begriff vorher in seiner Reinigkeit, als Probierstein, zu Grunde zu legen, kann es also keine Religion geben und alle Gottesverehrung würde Idololatrie sein“ (Kant 1983 [1793]), S. B 257, Fußnote; Hervorhebungen im Original). – Im Ergebnis ganz ähnlich schreibt auch der Theologe Hempelmann (2002, S. 261), theologische Sätze könnten niemals absolute Erkenntnissicherheit (securitas) beanspruchen, sondern allenfalls eine hinreichend große Gottes- und Heilsgewissheit (certitudo). [20] Dass Kant der Vernunft in seiner Ethik eine Stellung als unfehlbarer Wahrheitsgrund anwies, kommentiert Popper (1969, S. 26) mit den Worten:„... it seems strange that in his philosophy of science Kant did not adopt the same attitude of critical rationalism, of the critical search for error. I feel certain that it was only his acceptance of the authority of Newton’s cosmology – a result of its almost unbelievable success in passing the most severe tests – which prevented Kant from do- 9 Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? (Teil 2) Der ethische Subjektivismus in den Wirtschaftswissenschaften aus kritisch-rationaler Sicht – von Christian Müller ing so. If this interpretation of Kant is correct the critical rationalism (and also the critical empiricism) which I advocate merely puts the finishing touch to Kant’s own critical philosophy. And this was made possible by Einstein, who taught us that Newton’s theory may well be mistaken in spite of its overwhelming ­success.” [21] Das gilt gleichwohl nicht für die nichtthomasische, evangelische Variante der Sozialethik (z.B. Rich 1970), nach welcher die menschliche Ratio durch den Sündenfall verdorben und nur durch die Gnade (sola gratia) zur Wahrheitserkenntnis fähig ist. Literatur Albert, Hans (1967), Marktsoziologie und Entscheidungslogik, Neuwied am Rhein. Albert, Hans (1967a), Wertfreiheit als methodisches Prinzip. Zur Frage der Notwendigkeit einer normativen Sozialwissenschaft, in: Ernst Topitsch (Hg.), Logik der Sozialwissenschaften, 10. Auflage, Köln – Berlin, S. 181–210. Albert, Hans (1979), Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng, Hamburg. Albert, Hans (1991), Traktat über kritische Vernunft, 5. Auflage, Tübingen. 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Meinen Bemerkungen geht es nicht wesentlich um Kritik an Müllers Verständnis der Erkenntnistheorie Poppers oder gar der Ethik Kants, sondern um die ethischen Grundlagen, die eine bemerkenswerte Nähe der christlichen, jedenfalls der naturrechtlichen katholischen, zu einer republikanischen, nicht religiös fundierten Freiheits- und Rechtslehre aufweisen. Die protestantische Ethik ist trotz ihrer zeitgeistgebunden Beliebigkeit auch naturrechtlich durch die von Melanchthon begründete lex naturalis fundiert, die den Menschen der Vernunft verpflichtet, deren wichtigstes Gesetz auch für den usus politicus legis die regula aurea der Bergpredigt ist (vgl. Werner Elert, Das christliche Ethos. Grundlinien der lutherischen Ethik, 1961, S. 100 ff.). Christian Müller folgt nicht der alten, aristotelischen Unterscheidung zwischen Wahrheit und Richtigkeit, obwohl diese ihm wohl bekannt ist und Karl Raimund Popper, auf den er sich weitgehend stützt, seine Ethik auch auf sie gründet. Diese Unterscheidung ist aber für die Frage nach der Objektivität von Normen grundlegend. Müller geht mit der Frage, ob es richtige Normen, die er mit Werten oder Werturteilen identifiziert, gibt, so um wie mit der Frage nach der Wahrheit. Normen können aber nicht wahr oder unwahr sein, sondern sind richtig oder falsch. Müller spricht von „wahr oder falsch“ und verdeckt schon sprachlich die Unterschiede. Aber auch Werten eignet weder Wahrheit noch Unwahrheit. Werte haben Gegenstände der Betrachtung oder des Handelns. Nach Kant hat absoluten Wert und damit Würde der gute Wille der sittlichen Persönlichkeit, die Selbstzweck ist (GzMdS, ed. Weischedel, 1968 ((diese Ausgabe wird durchgehend benutzt)), Bd. 6, S. 18 ff.). Die Gegenstände der Neigungen, etwa Konsumgüter, haben bedingten Wert, nämlich einen Preis, aber keine Würde. Werte können die Verfassung bestimmen oder die Gesetzgebung leiten. Sie gehören zu den Maximen, den „subjektiven Prinzipien zu handeln“ (GzMdS, Bd. 6, S. 51). Sie sind aber als solche keine Rechtssätze, keine Normen, keine „praktischen Gesetze“ als „objektive Prinzipien“, „gültig für jedes vernünftige 12 Wesen und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ“ (daselbst). So hat Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG „die Würde des Menschen“ für „unantastbar“ erklärt und dadurch zu einem Gesetz erhoben, zum obersten Rechtsprinzip. „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (S. 2). Demzufolge ist die Würde des Menschen durch Gesetzgebung und Rechtsprechung zu materialisieren, etwa im Folter- und Tötungsverbot. Vielfach werden Rechtsgrundsätze als „Werte“ bezeichnet, um ihre fundamentale Bedeutung zu unterstreichen, etwa in Art. 3 EUV „die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören.“ Das hindert die Europäische Union nicht, diese „Werte“ stetig zu missachten. Freilich ist wegen der außerordentlichen Offenheit der Begriffe streitig, was die „Werte“ besagen. Jedenfalls ist diese Wortwahl in Rechtstexten irreführend. Theorien, Bilder von der Wirklichkeit, können wahr sein, wenn sie nämlich der Wirklichkeit entsprechen (Konvergenztheorie Tarskis und Poppers). Die Unterscheidung von Sein und Sollen, die Humesche Disjunktion, ist für die Sollenslehre grundlegend. Wer allerdings Gott, den Allmächtigen, als den, zudem universalen, Gesetzgeber versteht und Angriffe auf diese Metaphysik abzuwehren versucht, muss die Wahrheits- mit der Richtigkeitsfrage vereinen. Das macht die Katholische Kirche wie die meisten Glaubenslehren, insbesondere der Islam. Popper ebnet trotz seiner Analogie der normativen Richtigkeitslehre zur Vermutungslehre seiner empirischen Wahrheitslehre den Unterschied nicht ein. Seine Analogie ist dem Irrtum geschuldet, der bei jeder Erkenntnis möglich ist. Darum schlägt Popper auch für die Politik die Erkenntnisweise des Versuchs und der Irrtumskorrektur vor. Das hebt den Unterschied empirischer und normativer Erkenntnis, der Erkenntnis von Sein und Sollen, nicht auf. Müller berichtet selbst, dass Popper „Tatsachen“ und „Maßstäbe“ (ethische Grundsätze) strikt zu trennen gelehrt hat. Das gilt erst recht für Normen. Dass Popper aber Normen entgegen seiner Diktion „richtig“ und „angemessen“ für wahrheitsfähig gehalten habe, sehe ich nicht. Als Argument kann Müller nur „offenbar“ nennen. Ein „Kriterium für absolute moralische Richtigkeit“ kann es nicht ge- ben. Das gibt es nach Popper nicht einmal für die Wahrheit der Erkenntnis der Wirklichkeit oder der evolutionären Vorgänge/Prozesse der Welt, von der die Richtigkeit abhängig ist. Weil die Menschen die Gesetze, bestmöglich in Freiheit, selbst geben, ist die Richtigkeit der Gesetze stets durch die dualistische Natur des Menschen als homines phaenomenoi und homines noumenoi gefährdet. Die praktische Vernunft der Gesetze ist nicht sicherzustellen. Zudem ist die Richtigkeit von Normen wegen der normativen Spielräume in freilich begrenzter Weise offen. Das alles hebt die Objektivität der Richtigkeit und die Erkennbarkeit der Gesetze nicht auf. Ex definitione macht die Existenz Gottes diesen zum Gesetzgeber; denn er ist allmächtig. Es versteht sich, daß die Existenz Gottes nicht falsifizierbar ist; denn sie existiert kraft Glaubens, als „zweite Wahrheit“. Ein falsifizierbares oder gar verifizierbares Wissen von Gott gibt es nicht und kann es nicht geben. Kant hat alle theoretischen Gottesbeweise widerlegt (KrV, II. Buch der transzendentalen Dialektik, Drittes Hauptstück: Das Ideal der reinen Vernunft, III.–VI. Abschnitt, Bd. 4, S. 523 ff.), aber Gott (deus) als Postulat der praktischen Vernunft, als Gegenstand des moralischen Glaubens zur Stärkung der Moralität philosophiert. Eine Metaphysik der Wunder, die Müller überzeugt, trägt nicht. Wunder sind Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt durchgehend zweifelhaft ist. Müller hält die Auferstehung Christi für historisch nicht weniger bezeugt als andere Ereignisse der Antike und leitet daraus deren erkenntnistheoretisch hinreichende Wahrheit ab, weil die Falsifizierung der Auferstehungsaussage nicht gelinge. Sie ist Glauben und es gibt Gläubige, die Zeichen ihres Glaubens erleben oder zu erleben meinen. Der Glaube ist Wirklichkeit, das Geglaubte nicht; denn es ist kein Wissen, das wissenschaftlicher Erkenntnis zugänglich wäre. Das Geglaubte ist eine subjektive, trans­zendentale Wahrheit des Gläubigen. Mein Vater, gläubiger Pfarrer, hat gepredigt, hätte man die Auferstehung zu photographieren versucht, wäre nichts auf der Photographie zu sehen gewesen. Man kann sie nur glauben. Der Glaube mag Berge versetzen, aber ein empirischer Beweis Gottes ist das nicht. Friedrich Nietzsche, das Sprachgenie, formuliert: „Gott ist tot; denn er ist unglaubwürdig geworden“. Gott ist gewissermaßen Opfer der Aufklärung. Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider Mit den Mitteln des kritischen Rationalismus die Theorie von einer Wirklichkeit Gottes unangreifbar machen zu wollen, ist dem Glauben zuwider. Mittels dieser Erkenntnistheorie kann die Theorie auch falsifiziert werden. Das wäre das Ende der christlichen Religion. Je nach Definition Gottes, etwa als der liebende Gott, ist die Theorie durch unfassbare menschliche Verbrechen widerlegt und tatsächlich für viele Menschen unglaubhaft geworden. Müllers Verteidigung Gottes dürfte entgegen seinem Anliegen von der Kurie als Blasphemie verworfen werden. Der Glaube an die Existenz Gottes macht die Gläubigen, vornehmlich deren oder, wenn man so will, Gottes Priester zu den Gesetzgebern; denn wer Gott zu kennen meint, muss die Gesetze in seinem Willen suchen und finden. Davon hat auch das Zweite Vatikanische Konzil nicht Abstand genommen, trotz allem Zugeständnis von Freiheit. Es sind aber im Zweifel seine Gesetze, die des Gläubigen oder die seiner Glaubensgemeinschaft. Freilich nimmt die Subjektivität des Glaubens und des Geglaubten letzterem die Macht der Allgemeinheit. Sie ist durch die Glaubensfreiheit grundrechtsgeschützt, nicht anders aber als die Freiheit, nicht zu glauben. Das wird vom Islam nicht akzeptiert, der demgemäß zum religiösen Totalitarismus führt, den die Säkularisation des Politischen in Europa überwunden hat (dazu meine Schrift Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam, 2. Aufl. 2011). Die auf das gemeinsame Leben bezogenen Zehn Gebote, welche im Liebesgebot zusammengefasst sind, lassen sich auch ohne Gott begründen. Sie finden sich mehr oder weniger in allen Rechtsordnungen der Menschen. Es sind Menschheitsgesetze. Es gibt auch andere Götter als den christlichen Dreieinigen Gott, zum Beispiel Allah. Dessen Verbote und Gebote, die Scharia, unterscheiden sich erheblich von der christlichen Lebensordnung. Darüber hilft die fragwürdige Identifizierung von Gott und Allah, die modisch geworden ist, nicht hinweg. Es gibt zudem ungläubige Menschen, Atheisten, und Agnostiker, für die die Gesetze auch Geltung beanspruchen. Welchen Geltungsgrund sollen die Gesetze für die Ungläubigen oder die Andersgläubigen haben, wenn nicht die Gewalt, also Herrschaft. Die Aufklärung hat eine andere Antwort gegeben: Freiheit. Diese Antwort gibt der Sache nach auch der Papst, etwa in seiner großen Rede vor dem Deut- schen Bundestag am 22. September 2011, obwohl er an der Gesetzgeberschaft Gottes gemäß dem Zweiten Vatikanischen Konzil festhalten dürfte. Aber das Konzil hat den Menschen in Gaudium et Spes, 17, als frei und verantwortlich für das Gute im gemeinsamen Leben erklärt. Das schließt die politische Freiheit, die Verantwortung für das Recht, ein, „den Willen zum Recht“ und das „Verstehen für das Recht“, dem „Maßstab der Gerechtigkeit“, dem der „Erfolg untergeordnet“ sei, wie der Papst in Berlin ausgeführt hat. Der Papst benennt „Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen“ und erbittet „ein hörendes Herz – die Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden und so wahres Recht zu setzen, der Gerechtigkeit zu dienen und dem Frieden“. Er versöhnt die christliche Religion mit dem Republikanismus Kants größtmöglich. Das Verbindende ist das Liebesprinzip. Die kantianische Moralität ist nichts anderes als der Wille zum Recht, der dessen Erkenntnis voraussetzt, und die kantianische Idee der Freiheit als Grundlage der praktischen Vernunft und damit der Menschheit des Menschen ist mit der Formel von „Natur und Vernunft“ gut vereinbar. Die Idee der Freiheit definiert das Vernunftwesen, das der Mensch neben seiner tierischen Natur auch ist. Die Natur des Menschen, die der Papst beruft, will erkannt sein. Dafür hat Kant die transzendentalphilosophische Grundlage gelegt und als diese Natur die Freiheit erkannt; denn „die Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“ (MdS, Rechtslehre, Bd. 7, S. 345), folglich ein Naturrecht. Eine andere Antwort als die Freiheit als Erkenntnisweise und Geltungsgrund der Gesetze lässt sich nicht begründen. Kant hat das unüberholt in der Kritik der reinen Vernunft und den Folgeschriften ausgearbeitet. Auch K. R. Popper, auf den sich Müller zu stützen versucht, ist Kantianer, Christian Müller ausweislich seiner Hinweise und Zitate nicht. Die Freiheit, „ein reiner Vernunftbegriff“ (MdS, Bd. 7, S. 326, u.ö.), versteht Kant als die Autonomie des Willens. Sie ist eine transzentale Erkenntnis, eine Idee. Ideen haben nach Platon als Urbilder der Dinge selbst Wirklichkeit. Nach Kant sind die Ideen transzendentale Vernunftbegriffe, denen keine Anschauung adäquat sein kann (KrV, Bd. 4, S. 330 ff. u.ö.). Die Idee der Freiheit ist als notwendiges Apriori der praktischen Vernunft die Bedingung von Recht unter Menschen, die gleich sind, nämlich alle gleich in der Freiheit. Diese Idee ist die radikale Ablehnung von Herrschaft von Menschen über Menschen und damit christlich fundiert; denn das Gesetz des Christentums für das Leben mit anderen Menschen ist: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, denn ich bin der Herr (3. Mose 19, 18; Matthäus 5, 43; 22, 37 – 40; Römer 13, 9 und 10). Das Prinzip der Nächstenliebe bezeichnet Kant als das Gesetz aller Gesetze (KpV, Bd. 6, S. 203 ff.). Nächstenliebe ist die Sittlichkeit der Menschen, deren Gesetz der kategorische Imperativ Kants ist, nämlich: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne“ (KpV, § 7, Grundsatz der reinen praktischen Vernunft, Bd. 6, S. 140). Zu dieser Sittlichkeit finden Menschen nur durch Moralität, nämlich durch den inneren Antrieb der Nächstenliebe, „pflichtmäßig, aus Pflicht“ zu handeln, Kants „allgemeines ethische Gebot“ (MdS, Tugendlehre, Bd. 7, S. 521, auch KpV, Bd. 6, S. 203). Der kategorische Imperativ ist zwar ein objektives Prinzip der Ethik, nämlich des Gesetz der Sittlichkeit/praktischen Vernunft, aber kein Wert; denn er ist nicht material. Die Liebe gebietet die Wahrheit; denn sonst ist es nicht möglich, dem Anderen gerecht zu werden und der allgemeinen Tugendpflicht: „Eigene Vollkommenheit – fremde Glückseligkeit“ (MdS, Tugendlehre, Bd. 7, S. 515 ff.), zu genügen. Fremde, also allgemeine Glückseligkeit, welche die Freiheit aller verwirklicht, verlangt nach dem allgemeinen Gesetz des Rechts. Recht aber gründet auf Wahrheit. Aber die Sätze Joseph Ratzingers, die Müller zitiert: „Gott ist Liebe“ „Wahrheit und Liebe sind identisch“, sind nur verständlich, wenn für Wahrheit Wahrheitlichkeit gesagt wird. Wenn Gott Liebe ist, ist auch die Liebe Gott. Das ist dann eine religiöse Formulierung des transzendentalen Vernunftprinzips Kants. Die „sittliche Verantwortung ist keine Last“, wie Müller meint und gar Kant und Popper unterstellt, Freiheit und Autonomie die „Rückbindung an die sittliche Verantwortung“ entgegenzustellen. Freiheit ist Autonomie des Willens und somit Gesetzgebung der praktischen Vernunft oder eben Sittlichkeit. Nicht etwa „der Mensch ist sich selbst Gesetz“, 13 Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider wie Müller aufgreift; vielmehr ist der Wille selbstgesetzgebend, also autonom. Der Wille ist wie die Freiheit eine transzendentale Vernunftkategorie, nämlich die der Gesetzgebung. Der Wille ist seinem Begriff nach frei (MdS, Bd. 7, S. 332), d. h. vernünftig/sittlich, der Mensch, in seinen Neigungen verfangen, keineswegs. Allenfalls lässt sich sagen, daß die Freiheit des homo noumenon der Willkür des homo phaenomenon entgegengestellt ist. Der „menschliche Verstand“ ist nach Kant auch nicht „das Maß aller Dinge“. Der Verstand ist vielmehr das „Vermögen der Erkenntnis durch Begriffe“ (Kritik der teleologischen Urteilskraft, Bd. 8. S. 523 f., u.ö.) und damit „das Vermögen, Vorstellungen selbst hervorzubringen, oder die Spontaneität der Erkenntnisse“ (KrV, Bd. 3, S. 97 f.). Die Vernunft, die „den Verstand und dessen zweckmäßige Anstellung zum Gegenstand hat“, vereinigt „das mannigfaltige der Begriffe durch Ideen“ und (KrV, Bd. 4, S. 564 f.) ermöglicht dem Menschen die praktische Vernunft, nach Prinzipien zu handeln, also die Sittlichkeit und damit die Freiheit und das Vermögen der Kausalität, also freien, die Welt verändernden Handelns. Der kategorische Imperativ ist das Gesetz der inneren Freiheit, ohne die es keine äußere Freiheit, nämlich die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (MdS, Bd. 7, S. 345), geben kann; denn die Freiheit ist das jedem Menschen „angeborene Recht“, nach Kant das einzige (daselbst). Sie ist darum für alle Menschen gleich und allgemein. Sie ist nichts anderes als praktische Vernunft des homo noumenon im Gegensatz zu den determinierten Neigungen des homo phaenomenon. Eine Freiheit ohne Sittlichkeit ist ein Recht zur Beliebigkeit, zur Willkür, Libertinage, Dekadenz, die bisher kein Philosoph vertreten hat. Sie steht auch nicht im Grundgesetz, das in Art. 2 Abs. 1 das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit dem Sittengesetz, also dem kategorischen Imperativ, dem Liebesgebot verpflichtet, nicht anders als die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Eine Freiheit, anderen zu schaden, hat es nie gegeben und kann es nicht geben. Das gemeinsame Leben, das zur praktischen Vernunft verpflichtet, ist keine Last des Menschen, sondern die conditio humana schlechthin, der auch die Religion entspringt. Darum nennt Kant die Stiftung der „bürgerliche Verfassung“, die Pflicht sei, ein „wirkliches Rechtsgesetz der Natur“ (MdS, 14 Bd. 7, S. 374), die Bedingung der peremtorischen Erwerbung aus dem „Vernunfttitel… der Idee eines a priori vereinigten (notwendig zu vereinigenden) Willens aller“ sei (MdS, Bd. 7, S. 374 f.). Kants Ideenlehre ist gewissermaßen eine Sublimierung der christlichen Naturrechtslehre. Dafür spricht auch die Naturgesetzformel des kategorischen Imperativs (GzMdS, Bd. 6, S. 51). Wie anders sollte Recht fundiert sein als aus der Natur des Menschen als Gottes Geschöpfe oder aus der Idee der Freiheit als Vernunftprinzip. Papst Benedikt XVI. hat es in seiner Berliner Rede unternommen, die beiden Begründungen des Rechts zu versöhnen. Auch weitere naturrechtliche Postulate, insbesondere die des bedingungslosen Lebensschutzes, welche die katholischen Kirche gegen alle hedonistische und feministische Dekadenz behauptet, lassen sich mit dem auf die Freiheit gegründeten Rechtsprinzip begründen. Das Leben ist nicht nur in allen Rechtsordnungen geschützt, sondern ist die Grundlage der Freiheit. Abtreibung und Selbstmord sind lebensfeindlich. Sie widersprechen der Menschheit des Menschen, seiner Würde, die nicht zur Disposition des Menschen stehen; denn die „Menschheit des Menschen soll der Mensch auch in seiner eigenen Person achten“; sie muss ihm „heilig“ sein (KpV, Bd. 6, S. 210). Die Freiheitsphilosophie Kants kann und muss ich hier nicht näher ausbreiten und schon gar nicht verteidigen. Sie steht für sich. Es genügt, auf sie zu verweisen (dazu K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, 2007). Man sollte sie allerdings kennen. Viele Christen, zumal Protestanten, werden sagen, Gott hat uns diese Freiheit für unser diesseitiges Leben gegeben, die äußere Freiheit als die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür, die mit der inneren Freiheit der Sittlichkeit, der Nächstenliebe, der Brüderlichkeit, untrennbar zu einer Einheit verbunden ist. Das ewige Leben im Jenseits ist allein durch den Glauben gerechtfertigt. Auch jeder nicht religiöse Mensch muss anerkennen, dass die Menschen in ihrer Freiheit gleich sind, dass niemand das Recht hat, andere zu beherrschen. Das führt zu derselben brüderlichen Logik der Politik. Politik ist als Gesetzgebung Verwirklichung der allgemeinen Freiheit. Entgegen dem ethischen Subjektivismus sind die Gesetze erkennbar. Gesetzgeberische Dezisionen sind Herrschaft derer, welche die Macht haben, ihre „Werte“ gesetzgeberisch durchzusetzen. Sie machen die anderen Menschen entgegen der Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs (GzMdS, Bd. 6, S. 61), welche das Bundesverfassungsgericht sich übrigens zu eigen gemacht hat (BVerfGE 5, 85 (204); 7, 198 (205); 50, 166 (175); 87, 209 (228)), zu Untertanen ihrer Zwecke, vielfach als Werte ausgegeben. Die Werte können auch religiös sein, dürfen aber als solche um der allgemeinen Gleichheit willen nicht zum Gesetz gemacht werden. Dem steht nicht nur der menschenrechtliche Religions- und Weltanschauungspluralismus entgegen, sondern auch die durch die Nächstenliebe definierte Freiheit selbst, das diesseitige Heiligtum der Menschheit, die Menschheit der Menschheit, wie Kant formuliert hat. Das steht der staatlichen Verbindlichkeit religiös begründeter kulturell tradierter Maximen nicht entgegen. Kant vertritt keine „Offenbarungstheorie“. Die göttliche Offenbarung müsse „so gedeutet werden, dass sie mit den allgemeinen praktischen Regeln einer reinen Vernunftreligion zusammenstimmt“ (Rel, Bd. 7, S. 770 ff.). Die „Offenbarungen der Vernunft“ sind in Kants Ethik keine „Wahrheitsgarantie“. Ganz im Gegenteil könne die Offenbarung nicht empirisch eingesehen werden. “Da die moralische Besserung des Menschen den eigentlichen Zweck aller Vernunftreligion ausmacht, so wird diese auch das oberste Prinzip aller Schriftauslegung enthalten“ (S. 773). Die Kirchen macht Kant zur Dienerin der Moralität, in Ordnung. Die Sittlichkeit ist die Logik der Idee der Freiheit als transzendentaler Kausalität in Antinomie zur Determiniertheit des Menschen. Jedenfalls folgt die Pflicht zur praktischen Vernunft aus der Allgemeinheit der Freiheit. Papst Benedikt XVI. folgt dem Kantischen Postulat durch seine Versöhnung der Religion mit der praktischen Vernunft größtmöglich. Kant sieht ganz zu Recht durch den „Kirchenglauben“ den „Volksglauben“ gestärkt, weil dem Volk „keine Lehre zu einer unveränderlichen Norm tauglich zu sein scheint, die auf bloße Vernunft gegründet ist, und es göttliche Offenbarung…fordert“ (S. 774). Man hört schon Karl Marx anklopfen: Religion – Opium für das Volk. Kant zweifelt somit an der Fähigkeit vieler Menschen, sich ihres eigenen Verstandes zu binden, d. h. sich aufzuklären. Diese Skepsis muß man nach aller Erfahrung in Vergangenheit und vor allem Gegenwart leider teilen. Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider Die Richtigkeit der Gesetze ist objektiv. Sie ist erkennbar. Der Papst spricht mehrfach davon, daß „erkannt“ werden müsse, „was recht ist“. Das ist Sache der Vernunft des Menschen. Die Verbindlichkeit der Gesetze erwächst aus dem allgemeinen Willen des Volkes, der volonté générale; denn „von dem Willen gehen die Gesetze aus“ (Kant, MdS, Rechtslehre, Einleitung, Bd. 7, S. 332)). Das ist die Logik der Freiheit als Autonomie des Willens. Der Wille (als transzendentale Kategorie) ist aus sich selbst heraus Gesetz. Nur unter dem eigenen Gesetz, dem Gesetz, das er sich selbst gibt, ist der Mensch frei, hat schon Rousseau, der Kant „auf den Weg gebracht“ hat, gelehrt (Contract Social I, 8: „Der Gehorsam gegen das selbstgegebene Gesetz ist Freiheit“; Kant, GzMdS, Bd. 6, S. 63 ff.). Demgemäß muss es das Gesetz aller, also jeden Bürgers sein. Der Wille ist sich selbst Gesetz, sagt Kant in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (S. 74). Das folgt aus der Autonomie des Willens. Der Wille ist eine Eigenschaft des Vernunftwesens. Das Gesetz ist als Gesetz für alle verbindlich und muß darum allgemein sein. Durch die Allgemeinheit der Verbindlichkeit vermag das Gesetz das gemeinsame Leben zu befrieden. Das Gesetz ist zugleich durch seine Notwendigkeit definiert. Es ist unentrinnbar, wie das Naturgesetz. Als Rechtsgesetz ist es wegen des Dualismus des Menschen imperativisch, also nötigend. Das rechtfertigt den rechtsstaatlichen Zwang im Interesse der Gesetzlichkeit. Allgemeinheit und Notwendigkeit des Gesetzes sind dessen Form (GzMdS, Bd. 6, S. 45 f., 70; KpV, Bd. 6, S. 138, 145 f.). Die Formalität des freiheitlichen Gesetzes macht es als Institution von jeder Materie unabhängig (daselbst). Deswegen steht das Gesetz, die Norm, in einem fundamentalen Gegensatz zum Wert. Der Wert ist material und darum als Norm oder eben Gesetz nur geeignet, wenn er allgemein ist. Das sind etwa die Menschenrechte. Sie sind materiale Normen und zugleich weitgehend allgemeine Werte. So schützt das Recht auf Leben das Leben, das zugleich ein Wert ist. Jedenfalls haben viele Menschen die Menschenrechte als höchste Gesetze anerkannt. Der Islam aber akzeptiert sie nur unter dem Vorbehalt der Scharia und in China wird noch heftig um die Geltung der Menschenrechte gekämpft. Kant rechtfertigt einige der Menschenrechte als Töchter der Freiheit, insbesondere das Recht der freien Rede (MdS, Bd. 7, S. 345 f.). Diese Rechte als Werte zu bezeichnen, wie etwa Art. 2 EUV, ist zumindest irreführend, wenn auch höchste Rechtsprinzipien in gewisser Weise Heiligtümer der durch diese verbundenen Menschen sind. Die Menschen haben aber weitere unterschiedliche Werte, die nicht allgemein sind, insbesondere religiöse Werte. Diese sind subjektive besondere Werte. Das freiheitliche Gemeinwesen, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit als Grundrecht schützt (Art. 2 Abs. 1 GG) und insbesondere die ungestörte Religionsausübung gewährleistet (Art. 4 Abs. 2 GG), räumt einem Leben nach den eigenen Werten und insbesondere nach den eigenen religiösen Werten größtmöglichen Handlungsspielraum ein, aber nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze. Jeder Mensch kann nach seinen Werten, nämlich seinen Maximen, leben, wenn er die Gesetze achtet. „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuß der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden“. … „Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens“ Das ist die wegweisende Aussage der Französischen Revolution in der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers. Normen sind als Gesetze, wie gesagt, durch ihre Allgemeinheit und Notwendigkeit definiert, mag man ihre Materie auch (zu Unrecht) für nicht oder für wenig bestimmt halten. Die Materie des Gesetzes ist von der Lage abhängig. Werte mögen individualistisch und relativistisch sein. Sie sind aber als solche keine Normen, sondern können durch Gesetze verbindlich werden. Die Bürgerlichkeit des Bürgers, welche republikanische Grundlage freiheitlicher Gesetzgebung ist, wird mit einem (sozialwissenschaftlichen) normativen Individualismus oder normativen Relativismus in Abrede gestellt. Die praktische Vernunft des Bürgers als homo noumenon ist gerade nicht individualistisch oder relativistisch, sondern universalistisch, allgemeinheitlich, menschheitlich. Der Bürger ist nicht homo oeconomicus. Als solcher ist oder wäre er homo phaenomenon. Eine empiristische Normenlehre kann das Recht nicht ins Recht setzen. Fundamentalismus eines extremen Relativismus aber ist ein Scheinargument. Der Relativismus leugnet gerade fundamentale Verbindlichkeiten von Werten. Die Antidis- kriminierungsideologie ist gerade nicht relativistisch, sondern wertorientiert, nämlich egalitaristisch. Sie führt zur von Papst Benedikt XVI. besorgten „Diktatur des Relativismus“, in der letztlich „im Namen der Toleranz die Toleranz abgeschafft wird“; denn sie verletzt das freiheitliche Privatheitsprinzip, den Vorrang der Privatheit der Lebensbewältigung und damit auch der privaten Religiosität, einem Menschen- und Grundrecht, dem das Gesetz größtmöglichen Entfaltungsraum lassen muss. Das Gesetz ist nur rechtens, wenn es auf die Ordnung beschränkt ist, welche nötig ist, um Verletzungen des einen durch den anderen abzuwehren (Grundsatz des neminem laedere). Die unterschiedlich intensiv geschützte Privatheit gebietet die allgemeine Toleranz berechtigten privaten Handelns, oder anders formuliert, Staat und Bürger sind verpflichtet, mit den Rechten der anderen die Unterschiedlichkeit der Lebensweise, zumal die unterschiedlichen Meinungen zu achten. Der moralistische Egalitarismus ist Despotie. Gerade die Kirche hat das nach zwei Jahrtausenden eingesehen. Alle Gesetze materialisieren aber das Recht oder eben die Rechtsordnung. Recht will erkannt sein. Jeder Richterspruch ist eine Erkenntnis des Rechts und versteht sich so. Die Rechtsetzung unterscheidet sich insofern nicht von der Rechtsprechung. Nur ist die Gesetzgebung allgemein und nicht auf den Einzelfall begrenzt, wenn auch nur im Regelfall. Auch Rechtsprechung ist wegen ihrer allgemeinen Wirkung funktionale Rechtsetzung, die Verfassungsrechtsprechung sogar weitgehend institutionell; denn ihre Entscheidungen (alle entscheidenden Begründungssätze) binden alle Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden (§ 31 Abs. 1 BVerfGG). Die Gesetzgebung muss wie die Rechtsprechung und Verwaltung, ja wie alles sittliche Handeln, auf der Wahrheit gründen, d. h. sie muss die Wirklichkeit zu Grunde legen, sonst kann sie diese nicht sachgerecht ordnen. Die Leugnung der Wirklichkeit führt zu fehlerhaften Gesetzen. Ein Exempel ist die Währungsunion, welche die ökonomischen Gesetze, die die Wirklichkeit beschreiben, um politischer, zudem verfassungswidriger Ziele willen, zu ignorieren versucht. Ohne Erfolg! Auf der Erkenntnis der Wirklichkeit des Seins, wird der Sollenssatz aufgebaut, die allgemeinverbindliche Handlungsmaxime. Die Sollenssätze, zumal die Gesetze, sind aber nicht nur durch 15 Fortsetzung: Eine „metaphysikfreie“ Moral? Eine Erwiderung auf Christian Müller Zugleich Bemerkungen zur Nähe der päpstlichen und der kantianischen Rechtslehre – von Karl Albrecht Schachtschneider die Wirklichkeit determiniert, sondern durch vielfältige normative Vorgaben, insbesondere die Verfassung, also alle Rechtsprinzipien, die mit dem Menschen geboren sind, nämlich die Freiheit und alle aus dieser folgenden Rechtssätze, die Verfassungsgesetze, also die näheren vorrangigen Normen, welche nicht im Widerspruch zur Verfassung stehen dürfen, die internationalen Vereinbarungen, also völkerrechtliche Verträge, somit das gesamte Rechtssystem, das nicht widersprüchlich sein darf. Das engt die Rechtsetzung stark ein und erfordert die rechtswissenschaftliche Erkenntnis möglicher Gesetze. Hinzu kommen die Erkenntnisse der vielen Wissenschaften, zumal die der Ökonomik, die beachtet werden müssen, damit die Gesetze die bezweckte Wirkung nicht verfehlen, also wiederum die Beachtung der wissenschaftlich erfassten Wirklichkeit. Gesetzgebung ist somit um der Sachlichkeit willen eine wissenschaftliche Aufgabe und somit kognitivistisch, eine Erkenntnisaufgabe. Wie die Vernunft ist das Recht objektiv. Subjektiv sind die Neigungen, die auch Werten verpflichtet sein können, aber nicht das Recht und nicht dessen Erkenntnis bestimmen dürfen. Sie tun es fraglos, aber das ist menschliche Schwäche. Wenn die gesetzgeberische Erkenntnis bewältigt werden soll, bedarf es des politischen Diskurses. An diesem müssen im Prinzip alle Bürger, das ganze Volk, mitwirken können. Das gebietet das demokratische Prinzip der Republik, die Staatsform der allgemeinen Freiheit. Die Erkenntnisaufgabe wird weitgehend an die Vertreter des Volkes in Parlament, Regierung, Verwaltung und auch Gerichten überantwortet. Jeder Richter ist ausweislich des Art. 100 Abs. 1 GG für die Rechtmäßigkeit der Gesetze verantwortlich, muss also den gesetzgeberischen Erkenntnisakt nachvollziehen und gegebenenfalls kritisieren. Dabei gilt aus Gründen der Gewaltenteilung ein Zurückhaltungsgebot und die Normverwerfung ist den Verfassungsgerichten vorbehalten. Ohne diese Repräsentation wäre die staatliche Ordnung nicht zu gewährleisten. Die Universitäten müssen gesetzgeberische Hilfestellung geben, nicht nur die Rechtslehre. Alle Bürger und insbesondere alle Vertreter des Volkes haben sich bei der Erkenntnis der Gesetze der Sittlichkeit, d. h. der praktischen Vernunft, zu befleißigen, die deren persönliche Moralität erfordern. Letztere muss institutionell möglichst gestützt werden. Der Fraktionszwang in den 16 Parlamentsparteien und die Hierarchisierung des Parlaments sind damit unvereinbar. Die Abgeordneten dürfen nur ihrem Gewissen, dem „inneren Gerichtshof der Sittlichkeit“ (Kant, MdS, Tugendlehre, Bd. 7, S. 573 f.) folgen. Das Gewissen bezeichnet der Papst als „das hörende Herz Salomons“, mit dem „er das Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht“. Durch das Gewissen spricht Gott, glauben die Christen. Nach Kant ist es die praktische Vernunft, ebenfalls das Gute. Die Gesetzgebung lässt keine Spielräume der Willkür. Ganz im Gegenteil: Das Willkürverbot ist Grundprinzip des bürgerlichen Gemeinwesens, der Republik. Es folgt aus der allgemeinen äußeren Freiheit, nämlich der „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“. Willkür ist grobes Unrecht, also eklatante Missachtung der praktischen Vernunft, des rechten Maßes. Zudem sind, wie gesagt, die vorrangigen Normen, zumal die Menschen- und Grundrechte zu achten, also die Sittlichkeit auf der Grundlage der Wahrheit. Die Normen sind trotz aller Spielräume der Politik somit objektiv. Sie werden nicht gesetzt, sondern erkannt. Der normative Spielraum hebt die Objektivität der Normen nicht auf. Wären Normen, also Gesetze, nicht derart gebunden, dass ihre Richtigkeit der Erkenntnis fähig ist, könnte es keine Gerichtsbarkeit über diese geben. Die Verfassungsgerichtsbarkeit, die Gesetze verwerfen kann und soll, wenn diese nicht dem Recht genügen, wäre demokratisch nicht legitimiert und gegen die Gewaltenteilung. Ihre Erkenntnisse misslingen vielfach. Oft ist die Judikative gerade der Verfassungsrichter wegen deren politischen Opportunismus Willkür. Sie darf das aber nicht sein. Meist ist der Erkenntnisspielraum, den das Bundesverfassungsgericht Regierung und Parlament lässt, entgegen dem Recht zu groß, zumal in der WirtschaftsWährungs- und Sozialpolitik. Im Prinzip lässt sich jede Vorschrift, jedenfalls deren Rechtlichkeit, wissenschaftlich ermitteln. Das ist eine Sache von scientia und prudentia. Gesetzgebung ist jedenfalls nicht Sache der Mehrheit des Volkes oder gar der Mehrheit der Parlamentarier, zunehmend durch die Regierung mittels deren parteiliche Macht gegängelt. Dadurch wird die Demokratie nicht nur Oligarchie, sondern Ochlokratie, Pöbelherrschaft. Die Vertretung des ganzen Volkes ist Amt des gesamten Parlaments. Sie lässt sich nur diskursiv verwirklichen, als größtmögliche Mühe aller Abgeordneten um die bestmögliche Erkenntnis des Wahren und Richtigen, des Seins und des Sollens. Wenn religiöse Natur das Ethos des Menschen ist, gehört die naturrechtlich gebundene Vernunft zum Sein und Sein und Sollen sind nicht unterschieden, wie das Benedikt XVI. lehrt. Kant gründet das Sollen in der Idee der Freiheit, erkennt aber ein „Faktum des Sollens“ (KrV, Bd. 4, S. 426 ff., 495 ff, 505 f, 674 ff.; MdS, Bd. 7, S. 326 ff., 361, u. ö.), ohne die Unterscheidung aufzugeben. Beiden nah verwandten Ethiken ist aber die Kritik des normativen Positivismus. Die Mehrheitsherrschaft ist nach aller Erfahrung immer die Herrschaft von kleinen Minderheiten, Parteienoligarchie, die sich auf ein vermeintliches Mehrheitsprinzip beruft. Dieser Demokratismus ist republikwidrig. Er ist Despotie, nicht freiheitliche Demokratie. Dazu führt der ethische Subjektivismus, der die Verbindlichkeit von Normen von Neigungen/Interessen abhängig macht, die zu hypothetischen Imperativen führen, die den `Tanz um das goldene Kalb` auch unsrer Tage bestimmen. Neigungen sind Eigenschaften des homo phaenomenon, des empirischen Menschen in seiner tierischen Natur, die der homo noumenon, der Mensch als Vernunftwesen, um seiner Freiheit willen überwinden muss. Dieser Dualismus ist für die Ethik als Freiheitslehre grundlegend. Republikanität verlangt Erkenntnis des Rechts, das intersubjektiv, nämlich allgemein und insofern in eigener Weise objektiv ist. Denn: Der Wille, der die Gesetze gibt, ist praktische Vernunft. Normen können somit, republikanisch und grundgesetzlich konzipiert, zwar nicht unwahr, aber, entgegen dem ethischen Subjektivismus, falsch sein. Sie sind zwar keine „ethischen Tatsachen“, aber verwirklichte Ethik. Diese aber gebietet die Erkenntnis des Richtigen für das gute Leben aller auf der Grundlage der Wahrheit, der Wahrheit des Diesseits freilich, also Sittlichkeit. Diese Lehre ist christlich, wenn auch nicht gläubig. Aber sie ist die Ethik, die ausweislich Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für alle Menschen gilt, nämlich: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“. Objektive Normen und Kritischer Rationalismus Eine Replik auf Karl Albrecht Schachtschneider – von Christian Müller I n diesem und im letzten Heft von „Wirtschaft und Ethik“ argumentierte ich mit dem Instrumentarium des Kritischen Rationalismus gegen die allgegenwärtige Dominanz des ethischen Subjektivismus (ausführlich Mackie 1981, S. 11 ff.) in den Wirtschaftswissenschaften, welcher die „Metaphysikfreiheit“ moralischer Sätze zur Tugend ethischen Argumentierens erheben will. Dieser Beitrag hat eine ausführliche Reaktion Karl Albrecht Schachtschneiders ausgelöst, auf die ich im Folgenden antworten will. 1. Zur Kant-Interpretation Im Zentrum von Schachtschneiders Beitrag stehen nicht die zentralen Thesen meines Aufsatzes, sondern allgemeine Ausführungen zur Rechtslehre Kants, die ich mit Gewinn gelesen habe. Seiner These von der bemerkenswerten „Nähe der christlichen, jedenfalls der naturrechtlichen katholischen, zu einer republikanischen, nicht religiös fundierten Freiheits- und Rechtslehre“ (Schachtschneider, S. 1) stimme ich im Wesentlichen zu; ich selbst hatte bereits in meinem Aufsatz (und besonders in Müller 2004) auf diese Parallele hingewiesen und werde mich hier nicht mehr ausführlicher dazu äußern. Allerdings zweifele ich daran, ob Papst Benedikt tatsächlich so weitgehend die Begriffe der kantischen Rechtslehre verwendet, wie es Schachtschneider unterstellt. Ratio recta im Sinne des Thomas von Aquin meint eine auf Gott – die Transzendenz – hin ausgerichtete Vernunft, die im Geist der Liebe die Wahrheit – das göttliche Gesetz – erkennt. Diese Vernunft gibt sich nicht selbst das Gesetz, sie erkennt aber – analog – das göttlich gegebene Gesetz. Bei Kant ist die Objektivität von Werten und Prinzipien eine Denknotwendigkeit der Vernunft (transzendental). Die Vernunft ist damit selbst das Gesetz, das sie sich notwendig gibt. Christlicherseits hingegen ist die Vernunft lediglich ein Mittel der Erkenntnis; entspricht der denknotwendigen Idee Gottes jedoch keine Wirklichkeit – wie es Schachtschneider offenbar unterstellt (S. 2: „Der Glaube ist Wirklichkeit, das Geglaubte nicht.“) – ist die ganze kantische Ethik selbst nur eine interessengeleitete (heteronome) Idee Kants (siehe etwa Nass 2006). Schachtschneider (S. 1) kritisiert bei mir die synonyme Verwendung der Begriffe „Normen“ und „Werte“, die in dieser Literatur weithin üblich ist (siehe z.B. Chmielewicz 1993, S. 209); mit Rücksicht auf den von mir avisierten Adressatenkreis lege ich, im Interesse der Vermeidung von Missverständnissen, die Terminologie jener Literatur zugrunde, die ich kritisiere. Die von Schachtschneider aufgeworfene Frage, ob meine „Wortwahl in Rechtstexten irreführend“ (Schachtschneider, S. 1 f.) ist oder nicht, kann dabei offen bleiben, da ich mich zu Rechtstexten nicht äußere. Zumindest aus christlich-naturrechtlicher Sicht ist Schachtschneiders Begriffsfassung ihrerseits nicht unproblematisch, insofern danach Werte Ziele darstellen, Prinzipien aber Instrumente, um diese Ziele zu erreichen. Beide können subjektiv oder objektiv ausgelegt werden. Menschenwürde wäre demnach keinesfalls ein Prinzip (S. 1), sondern ein Wert, der seinerseits durch Prinzipien wie Solidarität oder Subsidiarität zu materialisieren wäre. tionalismus die Theorie von einer Wirklichkeit Gottes unangreifbar machen zu wollen“ (S. 3). Mein Argument ist vielmehr, dass der ethische Subjektivismus, der in meiner Disziplin – den Wirtschaftswissenschaften – die dominierende moralische Position darstellt, nicht mehr „Wissenschaftlichkeit“ beanspruchen kann als eine christliche Fundierung der Wirtschafts- und Sozialethik und insoweit „Subjektivismus und Objektivismus in Wertfragen … epistemologisch auf einer Stufe“ stehen. Zweitens argumentiere ich, dass, wenn man den Kritischen Rationalismus mit der Position verbindet, dass normative Aussagen nicht wahrheitsfähig seien (siehe Chmielewicz 1993, S. 216, mit einem Überblick über die relevante Literatur), man das dabei auftretende Induktionsproblem in asymmetrischer und inkonsequenter Weise berücksichtigt: Man nimmt es zur Kenntnis beim Versuch der Verifikation strikt universaler theoretischer Sätze, aber ignoriert es im Bereich kategorisch-normativer Sätze. Auch folge ich im Weiteren der üblichen Kant-Interpretation im Kritischen Rationalismus. Die von mir zitierte und von Schachtschneider (S. 6) kritisierte Einschätzung, der Begriff der Vernunft laufe auf eine demokratisierte Offenbarungstheorie der Wahrheit hinaus, stammt, wie zitiert, von Hans Albert (1991, S. 22 ff.). Überdies bin nicht ich es, der „Popper unterstellt“ (S. 4), er sei der Meinung, bei Kant sei die sittliche Verantwortung eine „Last“, sondern Popper formuliert selbst diese Auffassung, wenn er schreibt: „Kant hat gezeigt, dass jeder Mensch frei ist: nicht weil er frei geboren, sondern weil er mit einer Last geboren ist – mit der Last der Verantwortung für die Freiheit seiner Entscheidung“ (Popper 2009, S. 284). 3. Die Verifizierbarkeit von ­Gottesexistenz-Aussagen 2. Das Argument Entgegen dem Schwerpunkt von Schachtschneiders Ausführungen ist eine Auseinandersetzung mit der Lehre Kants nicht Gegenstand meines Beitrags; ich führe sie lediglich als einen gedanklichen Zwischenschritt zwischen theonomem Moralverständnis bei Thomas einerseits und modernem ethischen Subjektivismus andererseits an. Sicher geht es mir in meinem Beitrag nicht darum, mit „den Mitteln des kritischen Ra- Ich behaupte nicht, dass die Existenz Gottes intersubjektiv bewiesen (oder zumindest beweisbar) sei. Im Gegenteil betone ich, dass – aussagenlogisch gesehen – ein die Existenz Gottes behauptender Satz zwar allein verifizierbar ist, ein solcher Existenzbeweis aber – in praktischer Hinsicht – an der notwendigen Subjektivität von Gotteserfahrungen scheitern müsse; diese Subjektivität hatte Kant – hier beziehe ich mich tatsächlich auf ihn – mit Recht kritisiert (Kant 1983, S. B 257, Fußnote), und Popper (2009, S. 40 und S. 282 f.) baute hierauf seinen Kritischen (im Unterschied zum kantischen) Rationalismus auf. Zumindest aussagenlogisch betrachtet, kann es – entgegen Schachtschneider (S. 2) – ein „verifizierbares Wissen von Gott“ sehr wohl geben. Hierin besteht ja gerade die spiegelbildliche Asymmetrie der Popperschen Analyse des Induktionsproblems: Während strikt universale (theoretische) Sätze nur falsifizierbar, nicht aber verifizierbar sind, verhält es sich bei universalen Existenzsätzen wie „Gott existiert“ genau umgekehrt: Man kann sie nur beweisen, nicht aber widerlegen. Stattdessen kritisiere ich in meinem Beitrag den „Dog- 17 Fortsetzung: Objektive Normen und Kritischer Rationalismus Eine Replik auf Karl Albrecht Schachtschneider – von Christian Müller matismus“, mit dem viele Religionskritiker alle Wunderberichte des Neuen Testaments – ohne jede Prüfung des Einzelfalls – als unglaubwürdig abtun. Die pauschale Behauptung Schachtschneiders (S. 2), Wunder seien „Erzählungen, deren Wahrheitsgehalt durchgehend zweifelhaft ist“, ist ein anschauliches Beispiel für diesen Dogmatismus. Gestützt auf geschichtswissenschaftliche Arbeiten (z.B. Staudinger 1995; Spieß 1998; Jaros 2008) gehe ich hingegen davon aus, dass mindestens einige Wunderberichte des Neuen Testaments historisch wahr sind. Zudem halte ich diese Berichte – ebenso wie die von mir angeführten mystischen Erfahrungen Pascals und anderer Personen – für einen Hinweis auf die Existenz Gottes, so wie Jesus selbst seine Messianität an solchen Wundern festmachte (Mt 11,5: „Blinde sehen wieder und Lahme gehen; Aussätzige werden rein und Taube hören; Tote stehen auf“). Das Wunder der Auferstehung Jesu Christi ist für mich zudem ein Hinweis darauf, dass Jesus tatsächlich, wie von ihm beansprucht, „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ist: „Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen“ (Joh 14,6 f.; meine Hervorhebung); vor diesem Hintergrund erübrigen sich insoweit auch Schachtschneiders Hinweise auf die Existenz von Islam, Atheismus oder Agnostizismus. aber gesichertes Wissen, weil die Behauptung der Existenz eines göttlichen Normgebers – als einer universalen Existenzaussage – nicht widerlegbar ist; zu solchen metaphysischen Aussagen der Gottesexistenz hatte sich Popper (2009, S. 422 ff.) gegen Carnap in sehr erhellender Weise geäußert. Diese Unmöglichkeit, die Existenz Gottes und der von ihm gesetzten Normen zu falsifizieren, rührt jedoch keineswegs daher, dass sie „als zweite Wahrheit“ existiere (Schachtschneider, S. 2); vielmehr ist sie Folge eines logischen Induktionsproblems: Nach den Regeln der Aussagenlogik ist es unzulässig, aus der immer nur endlichen Anzahl räumlich und zeitlich beschränkter „Tests“ des universalen Existenzsatzes „Gott existiert“ auf eine unendlich große Klasse von Anwendungsfällen zu schließen. Es gibt, so Popper (2009, S. 425), „keinerlei Hoffnung, sie [eine Aussage über die Existenz Gottes; C.M.] zu falsifizieren – wenn sie falsch ist, herauszufinden, daß sie falsch ist. Aus diesem Grunde bezeichne ich sie als metaphysisch – als außerhalb des wissenschaftlichen Bereichs liegend.“ Wer somit als ethischer Subjektivist die Existenz objektiver Normen bestreitet, behauptet damit zugleich die Falsifiziertheit einer Aussage (über die Existenz des göttlichen Normgebers), die aus logischen Gründen nicht falsifizierbar ist. 5. Fazit Aufgrund der Glaubwürdigkeit der biblischen Wunderberichte halte ich diesen Satz auch tatsächlich für wahr, ohne jedoch hierfür die Sicherheit objektivierbarer wissenschaftlicher Erkenntnis beanspruchen zu können. Denn das Problem der Verifikation metaphysischer Sätze wie „Gott existiert“ liegt in einem ganz praktischen Problem: Wenn es, wie Schachtschneider (S. 2) schreibt, ein „verifizierbares Wissen von Gott“ nicht gibt, dann vor allem wegen der notwendigen Subjektivität und Introspektivität von Aussagen über Gotteserfahrungen. 18 4. Zur Falsifizierbarkeit von Existenzaussagen Ob man nun die Verwendbarkeit objektiver Normen in einem ökonomischen Argument annimmt oder die Gegenposition des ethischen Subjektivismus vertritt, setzt, so lautet mein Argument, in beiden Fällen Glauben – nicht wissenschaftlich fundiertes – Wissen voraus: Der ethische Subjektivismus scheitert an der aussagenlogischen Unmöglichkeit, die Nichtexistenz eines göttlichen Normgebers zu beweisen; der christliche Normobjektivismus hingegen wäre zwar grundsätzlich aufgrund seiner aussagenlogischen Eigenschaften beweisbar, kann das praktische Problem der Objektivierung solcher Beweise aber nicht lösen. Das zentrale Argument meines Aufsatzes ist, dass die ethisch-subjektivistische Behauptung, es gebe keine objektiven Normen, allenfalls ein Glaubenssatz sein kann, nicht Immerhin braucht dieses logische Kalkül der Existenz Gottes für den Christen nicht lediglich „graue Theorie“ zu bleiben, sondern kann auch Frucht persönlicher Erfahrung werden. Wenn schon nicht Sicherheit (securitas) kann er zumindest eine hinreichend große Gottesund Heilsgewissheit (certitudo) erreichen (zu dieser theologischen Unterscheidung Hempelmann 2002, S. 261), die so groß ist, dass es rational sein kann, ein ganzes Leben darauf zu gründen. Literatur Albert, Hans (1991), Traktat über kritische Vernunft, 5. Auflage, Tübingen. Chmielewicz, Klaus (1993), Forschungskonzeptionen der Wirtschaftswissenschaft, 3. Auflage, Stuttgart. Hempelmann, Heinzpeter (2002), Christlicher Glaube vor dem Forum kritischer Vernunft. Kritischer Rationalismus und Theologie als Wissenschaft, in: Hubert Kiesewetter und Helmut Zenz (Hg.), Karl Poppers Beiträge zur Ethik, Tübingen, S.245–268. Jaros, Karl (2008), Das Neue Testament und seine Autoren. Eine Einführung, Weimar – Wien. Kant, Immanuel (1983 [1793]), Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, in: I. Kant, Werke in zehn Bänden, Band 7, Hg. von Wilhelm Weischedel, Sonderausgabe 1983 der Ausgabe Darmstadt 1956, Darmstadt, S. 647–879. Mackie, John L. (1981 [1977]), Ethik: Die Erfindung des moralisch Richtigen und Falschen, Stuttgart. Müller, Christian (2004), Christliche Sozialethik und das Wertproblem in den Wirtschaftswissenschaften. ORDO – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 55. Jg., S. 77–97. Nass, Elmar (2006), Das unantastbar Absolute. Eine Antwort auf den Relativismus. Trierer Theologische Zeitschrift 115. Jg., S. 229–243. Popper, Karl R. (2009), Vermutungen und Widerlegungen. Das Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, 2. Auflage, Tübingen. Spieß, Jürgen (1998), Ist Jesus auferstanden? Ein Historiker zur Auferstehung Jesu Christi, 3. Auflage, Marburg. Staudinger, Hugo (1995), Die historische Glaubwürdigkeit der Evangelien, 7. Auflage, Wuppertal – Zürich. Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind Nachvollziehbare Problembeschreibung, einseitige Ursachenanalyse – Rezension von Werner Lachmann Wieczorek, Thomas: Die Dilettanten – Wie unfähig unsere Politiker wirklich sind. München 2009 (Knaur), 319 S. ISBN: 978-3-426-78266-8 D ie Politiker scheinen die neuen Feudalherren zu sein. Die Freiheit der Menschen wird durch bürokratische Regeln stets weiter eingeengt; der Bürger ist für den Staat da – die Politiker gewähren sich Sonderrechte. Das Volk (trotz: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus!) hat nichts zu bestimmen. Wichtig sind aber die Medien. So soll der ehemalige Kanzler Schröder gesagt haben, dass er zum Regieren nur Bild, BamS und die Glotze benötige. Wieczorek stellt überzeugend das Versagen der politischen Klasse dar. Große Worte und Ankündigungen – kaum Taten und wenn, untaugliche Gesetze mit handwerklichen Fehlern. Ihnen geht es nicht ums Gemeinwohl – es herrschen die Parteien – und hier seien Stümper am Werk. Daher werden die fachlichen Kompetenzen der Politiker untersucht. Ergebnis: Nur Mittelmaß und Unfähigkeit. In 5 Kapiteln werden seine Aussagen erläutert. In Teil A werden die Programme der 6 Parteien hinterfragt und in Teil B „Die Partei hat immer recht“ die innerparteiliche Demokratie kritisiert. Teil C (Kompetenz von eigenen Gnaden – unsere Spitzenpolitiker) stellt die Inkompetenz der Führungskräfte und den dadurch möglichen Einfluss der Berater dar. Im längsten Teil D werden dann die Kompetenzen einzelner Politiker hinterfragt, wobei Wieczorek sie unterteilt in (1) Macher und Entscheider (2) Landesfürsten (3) Heimliche Herrscher (4) Endlosschwätzer (5) Wirtschaftsvertreter (6) Scheinlinke (7) flexible Karrieristen (8) Rechter Rand (9) Unkündbare – Gekommen um zu bleiben (10) belohnte Lakaien (11) komplett Inkompetente und (12) ewige Wiedergänger. In Kapitel E geht es um Korruption und es wird gefragt: „Von wem ist die Politik abhängig?“ Die Tröpfe der Politik werden in F erläutert und das Tina-Prinzip (There is no alternative) kritisiert. Bei den kurzen Abschlussbemerkungen in Kap. G (Und nun?) schneidet Wieczorek die Haftung von Politikern an. „Warum Schwarzfahrer zu Haftstrafen verurteilt werden, während hochkriminelle Wirtschaftskapitäne frei herumlaufen, bringt selbst besonnene Zeitgenossen in Rage.“ (S. 296) Der erschreckenden Analyse ist zu einem großen Teil zuzustimmen; dem Buch sollte deshalb Gehör verschafft werden. Allerdings: Lösungen werden nicht präsentiert. Verfasser scheint Linkskeynesianer zu sein und kritisiert die herrschende Wirtschaftspolitik als Neoklassik und freie Marktwirtschaft. Hier zeigt nun der Verfasser seine Inkompetenz. Ihm fehlt ein Verständnis der Marktwirtschaft. Alle wirtschaftlichen Probleme werden auf die freie Marktwirtschaft und die Sparbemühungen geschoben. Er plädiert für mehr Staatsschulden, damit es wirtschaftlich vorangehe. Wenn Deutschland in 40 Jahren 2 Billionen € Schulden anhäuft und dann behauptet wird, der Staat spare sich kaputt – so ist diese Kritik nicht nachzuvollziehen. Staatsversagen wird als Marktversagen gebrandmarkt. Die Vorstellungen einer Sozialen Marktwirtschaft sind nicht umgesetzt worden – kritisiert werden muss die Machtwirtschaft, zu der sich die freie Marktwirtschaft mit Hilfe der Politik entwickelt. Die Inkompetenz aller Politiker – egal ob Opposition oder Regierung – wird zu Recht angeprangert. Es fehlen aber Hinweise auf Lösungsmöglichkeiten aus dem demokratischen Dilemma und den vorhandenen Verfassungsfehlern. GWE-Bewertung (3 von 5 Sternen): *** Wie das Christentum die Welt veränderte Eine Hilfe zum fundierten Verständnis der gesellschaftlichen Entwicklung – Rezension von Werner Lachmann Schmidt, Alvin J.: Wie das Christentum die Welt veränderte. Menschen, Gesellschaft, Politik, Kunst, Gräfelfing 2009 (Resch) 494 S. ISBN: 978-3-935197-58-8 D ieses Buch zeigt in 15 Kapiteln den Einfluss, den das Christentum auf die abendländische Kultur hatte. Bestechend ist der Vergleich der gesellschaftlichen Situation zurzeit Jesu mit der heutigen. Der Umbruch von den ganz anders gearteten gesellschaftlichen Vorstellungen der Menschen in der damaligen Antike mit den sozialen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Christen ist atemberaubend. Man muss von einer Revolution sprechen. Schmidt zeigt, dass zur Zeit Roms das Menschenleben der einfachen Leute wenig zählte. Abtreibung, Aussetzung von Kleinkindern, Gladiatorenkämpfe, die Behandlung der Sklaven, die Rolle der Frau – in all diesen Gebieten dachten Christen anders als ihre Umwelt. Die sexuellen Moralvorstellungen und auch das Eheverständnis erlebten durch das Christentum revolutionäre Änderungen. Allgemeine Nächstenliebe – in der Antike kaum als Wert angesehen – und Barmherzigkeit wurden durch die Jesusanhänger in die Gesellschaft eingeführt. Dazu gehörten die Gesundheitsfürsorge und der Bau von Krankenhäusern für die Allgemeinheit, die in Rom nur für verwundete Soldaten existierten. Aber auch Bildung und empirische Wissenschaft verdanken ihr Entstehen dem Christentum. Ausführlich geht Smith auch auf die Heiligung der Arbeit, die ökonomische Freiheit und die Gerechtigkeit für alle ein. Neben der Abschaffung der Sklaverei – ebenfalls eine Leistung des Christentums – zeigt Schmidt, dass in Kunst und Architektur und in der Musik ein christlicher Stempel nicht übersehen werden kann. In den letzten beiden Kapiteln werden wichtige und einflussreiche Schriften des Christentums vorgestellt sowie die Auswirkungen auf die Alltagssprache, und die Herkunft der Feiertage behandelt. Das Buch liest sich wie ein spannender Roman. Eindrücklich zeigt der Verfasser, auf welchem Fundament unsere abendländische Kultur ruht. Der Versuch, viele Bereiche unserer Kultur christentumsfrei darzustellen, wird zu Recht von ihm kritisiert. Der Leser wird nachdenklich – denn unsere Gesellschaft scheint sich in vielen Bereichen zurückzuentwickeln. Die gesellschaftlichen Folgen werden gravierend sein. Bald werden wohl wieder Apologeten des Christentums nötig sein. Dieses Buch gibt dem Christen eine wertvolle Handreichung für die Argumentation mit Nichtchristen und verhilft zu einem fundierten Verständnis der momentanen gesellschaftlichen Entwicklung. Der Verfasser arbeitet ein weites Themenfeld ab, so dass gelegentlich mehr Tiefgang erwünscht gewesen wäre. Die Aussagen werden jedoch gut begründet und leicht lesbar dargestellt. Die Lektüre ist sehr empfehlenswert! GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): **** 19 Für eine bessere ­Globalisierung Ausgewogene und gut lesbare Darstellung – Rezension von Werner Lachmann Sautter, Hermann: Für eine bessere Globalisierung. Witten 2008 (SCM R. Brockhaus), 207 S. ISBN: 978–3–417–24207–2. D ie Globalisierung ist ein Reizthema. Den einen ist sie Ursache allen Übels, die anderen erwarten sich davon die Lösung aller Probleme. Je nach Vorurteil fällt das Urteil. Dieses Buch geht sachlich an das Thema heran und stellt die Ambivalenz der Globalisierung dar. Sie habe viele positive Seiten – aber auch Schattenseiten. Ein Leben ohne Globalisierung lässt sich heute kaum vorstellen – es würde zur Verarmung beitragen (siehe Nordkorea) aber kann auch andere verarmen, wenn sie nicht gleichberechtigt in die Globalisierung eingebunden sind. In 14 Kapiteln entwickelt Sautter in 4 Teilen seine Vorstellungen. Teil I behandelt „Globalisierung – ein ambivalenter Prozess“, hierbei werden die vielen Dimensionen der Globalisierung, ihre treibenden Kräfte und die Wirkungen kenntnisreich untersucht. Teil II stellt „Die Ordnung des Globalisierungsprozesses“ dar, wobei auf die Möglichkeiten verbindlicher internationaler Regeln eingegangen wird und dann einzelne Ordnungsrahmen diskutiert werden wie der Welthandel (WTO), die internationalen Finanz und Währungsbeziehungen (IWF), der Klimaschutz, die internationale Sozialordnung und die Entwicklungszusammenarbeit. Teil III hat „Anpassungen an die Globalisierung“ zum Thema. Dabei werden die Anpassungsprozesse in Entwicklungsländern und den „neuen“ Industrieländern und die Anpassungen der „alten“ Industrieländer – am Beispiel der Bun- desrepublik Deutschland – erörtert. Der kurze Teil IV „Leben und Handeln in der Globalisierung“ zeigt die Möglichkeiten der Christen im Globalisierungsprozess auf. Die Bedeutung der wirtschaftlichen Gerechtigkeit und der ökologischen Nachhaltigkeit werden dabei von Sautter unterstrichen. Jeweils zum Ende der Teile erfolgt eine kurze Zusammenfassung. Das Buch liest sich gut. Die Darstellung ist ausgewogen und kompetent. Er kritisiert die modernen Tendenzen in der deutschen Gesellschaft wie Unzufriedenheit, Selbstmitleid, Realitätsverdrängung und den Opportunismus der Bürger. Zugleich fordert Sautter zum Handeln auf, um die Selbstzerstörung unserer gesellschaftlichen Entwicklung zu stoppen. Diesem abwägend und kompetent informierenden Buch kann man nur eine weite Verbreitung wünschen, um in der Diskussion gut informiert mitsprechen zu können. GWE-Bewertung (5 von 5 möglichen Sternen): ***** Handbuch der Katholischen Soziallehre Preiswertes Handbuch bringt fundierten Überblick – Rezension von Werner Lachmann Rauscher, Anton (Hg.): Handbuch der Katholischen Soziallehre, Berlin 2008 (Duncker & Humblot) 1129 S. ISBN: 978-3-428-12473-2 E inst prägte der christliche Glaube die westliche Kultur. Ein längerer Säkularisierungsprozess hat die kirchliche Verbundenheit in Europa abschwächen lassen. Gleichzeitig ist eine stärkere Orientierungslosigkeit in der heutigen Gesellschaft zu beobachten. Der säkulare Fortschrittsglaube stieß an seine Grenzen. Die Verzichtbarkeit auf die Zehn Gebote war Illusion. Rationalität sichert keine Menschenwürde. Gerechtigkeit und Solidarität verlangen soziale Ordnungsstrukturen, wobei Menschenrechte, Nachhaltigkeit und ethische Grenzen von Wissenschaft und Technik ausgelotet werden müssen. Dieses „Handbuch der Katholischen Sozialehre“ will zu den drängenden gesellschaftlichen Fragen Orientierungshilfen liefern. Dabei sind seine Autoren der christlichen Menschen- und Gesellschaftsauffassung verpflichtet, die wiederum auf der biblischen Schöpfungsordnung und ihrer Erkennbarkeit durch die menschliche Vernunft beruht. In 81 Beiträgen – verteilt auf 14 Kapitel – werden gesellschaftliche Grundsatzfragen in Auseinandersetzung mit den Zeitströmungen unter Beachtung der christlichen Werteorientierung kenntnisreich von Historikern, Juristen, Pädagogen, Philosophen, Sozialethikern, Soziologen 20 und Volkswirten abgehandelt. Die ersten fünf Beiträge (Kap. 1) behandeln das personale Fundament der Katholischen Soziallehre. In Kap. 2 werden in 9 Beiträgen die Grundlinien der Katholischen Soziallehre ausgebreitet. Hierzu gibt es zusätzlich einen Exkurs, der die Grundlinien der evangelischen Sozialethik skizziert und einen weiteren Beitrag zur sozialen Verantwortung in der Sicht der Orthodoxen Kirche, die noch in den Anfängen einer Lehrentwicklung steht. Kapitel 3 widmet sich dem Komplex „Ehe und Familie“ mit 7 Beiträgen. In Kap. 4 (Ethische Grundfragen des Lebens) werden in 3 Beiträgen sozialethische Fragen des Lebensschutzes, des Umgangs mit alten, behinderten und kranken Menschen und menschenwürdiges Sterben abgehandelt. Den drei Beiträge zu „Schöpfung und Umwelt“ (Kap. 5) folgen in (Kap. 6) sechs Beiträge zur Arbeit, dem sich drei Beiträge zum Eigentum (Kap. 7) anschließen. Die Probleme der Wirtschaftsordnung werden in Kap. 8 in 10 Beiträgen diskutiert, dem 5 Beiträge zu dem damit verwandten Problem der Sozialen Sicherung (Kap. 9) und 6 weitere Beiträge zur Politischen Ordnung (Kap. 10) folgen. Die „Demokratie“ (Kap. 11) wird in 7 Beiträgen und das Verhältnis von Kirche und Staat in Kap. 12 mit 4 Beiträgen dargestellt. Sozialethische Aussagen zur internationalen Ordnung (8 Beiträge) folgen in Kap. 13; ab- geschlossen wird der Band mit 3 Beiträgen zur „Entwicklungszusammenarbeit“ (Kap. 14). Dieses äußerst preiswerte Handbuch, das im Auftrag der Görresgesellschaft zur Pflege der Wissenschaft und der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralestelle herausgegeben wurde, bringt einen fundierten Überblick zu den genannten Themen und kann als Nachschlagewerk und Studienbuch dienen. Erfreulich ist der fehlende Anspruch auf lehramtliche Autorität. Die Darstellungen vermitteln objektiv die jeweiligen Positionen und zeigen eine Offenheit gegenüber neuen gesellschaftlichen Erkenntnissen und Entwicklungen. In den Beiträgen wird deutlich, dass die christliche Botschaft auch in unserer multikulturellen und säkularisierten Welt nicht nur soziale sondern auch existentielle Antworten hat. Es wird kein geschlossenes Lehrsystem dargestellt, sondern Kriterien zur Entscheidungsfindung in den komplexen Zusammenhängen heutiger Entwicklungsprozesse angeboten. Die einzelnen Beiträge zeichnen sich durch eine wirklichkeitsnahe Analyse, problemorientierte Darstellung und naturrechtliche Argumentation aus und versuchen, zu einem friedlichen Miteinander der Völker in einer zusammenwachsenden Welt beizutragen. GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): **** Die fragile Demokratie Interessante Analyse angelsächsischer und kontinentaleuropäischer Positio­nen – Rezension von Werner Lachmann Rauscher, Anton (Hg): Die fragile Demokratie – The Fragility of Democracy. Berlin 2007 (Dun­cker & Humblot) 384 S. ISBN: 078-3-428-12608-8 N ach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus und dem Erfolg von Marktwirtschaft und Demokratie, auch in Entwicklungsländern, schienen sich die Grundwerte „Freiheit“ und „Gleichheit der Bürger“ weltweit durchzusetzen. Jedoch ist das ursprüngliche Modell der Demokratie in einer Massengesellschaft gefährdet. Die Zersplitterung der Parteien (die der Repräsentanz des Wählerwillens entspricht) und die Schwierigkeit der Kompromissbildung (unter Vernachlässigung sachlicher Lösungen) bereitet Sorgen. Die Bevölkerungen trauen den Politikern kaum noch. Die Kluft zwischen Wählern und Gewählten wird größer – daher nehmen Wahlmüdigkeit und Politikverdrossenheit zu. Demokratien sind gefährdet, wenn die gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse nicht stärker den Aspekt der sozialen Gerechtigkeit berücksichtigen. In diesem Band werden die Beiträge des 9. Deutsch-Amerikanischen Kolloquiums in Wildbad Kreuth der Öffentlichkeit vorgestellt. In Teil I (8 Beiträge) werden unter dem Titel „Die Demokratie – Zu ihrer ethischen und kulturellen Begründung und Gefährdung“ grundlegende Positionen entwickelt. Sowohl „Moralische Werte zur Stabilisierung der Demokratie“ (Ockenfels) sowie „Community, Religion and Virtue in Modern Liberal Democracies“ (Cullen) zeigen ethische Gefährdungspotentiale auf. „Die Macht der Medien als Herausforderung der Demokratie“ bearbeitet Bergsdorf. Teil II behandelt in 7 Beiträgen „politische und rechtliche Strukturprobleme der Demokratie“. Oberreuter zeigt parlamentarische Erosionstendenzen auf. Über „Föderalismus – Stärke oder Schwäche der Demokratie“ referiert Becker. Den Weg „von der ‚Bonner Republik’ zur ‚Berliner Republik’“ beschreibt Aretz. Die Bedeutung der Moral für den demokratischen Kapitalismus erörtert Miller. Bei Teil III findet der Leser 4 Beiträge zum Thema „Probleme der Demokratie im globalen Kontext“. So wird u.a. „eine demokratische Struktur für die Europäische Union“ (Schwarz) sowie „Islam and Democracy in the West“ (Pell) behandelt. Teil IV beinhaltet 4 Beiträge zu „Kirche, Katholiken und Demokratie“. Meier-Walser stellt hierbei Hanns Seidel vor, Rauscher zeichnet in „Kirche und Demokratie. Der lange Weg des Zueinanderfindens“ den Anpassungsprozess der katholischen Kirche zur Demokratie nach. Spieker diskutiert die „Chancen und Grenzen der Demokratie. Ein Kommentar zu Centesimus Annus Nr. 46 und 47“. Ein Autorenverzeichnis schließt den Band ab. Das Buch greift ein wichtiges Thema auf. Die Unzufriedenheit der Wähler, die Komplexität der politischen Aufgaben mit der Neigung, Experten Vorentscheidungen treffen zu lassen und damit den Lobbyisten Einfluss zu ermöglichen, die Existenzängste der Bürger und der empfundene Mangel an sozialer Gerechtigkeit stellen Gefährdungspotentiale der demokratischen Regime dar. Die politische Ohnmacht gegenüber globalen ökonomischen Prozessen unterminiert die Zustimmung der Bürger zur Demokratie. Interessant ist die ausgewogene Darstellung zwischen angelsächsischen und kontinentaleuropäischen Positionen zu den angesprochenen Themen. Die Lektüre soll den Leser für diese Themen sensibilisieren – was auch gelingt. GWE-Bewertung (4 von 5 Sternen): **** Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann U nter dem Thema „Die Zukunft des Euro – Zerbruch der Gemeinschaftswährung oder Aufbruch zur politischen Union“ fand die diesjährige Wirtsachaftsfachtagung der christlich orientierten Gesellschaft zur Förderung von Wirtschaftswissenschaften und Ethik (GWE) vom 3.– 6.11.2011 in Bad Blankenburg statt. In den Vorträgen und workshops kam eine Fülle von oft stark divergierenden Meinungen und Überzeugungen zum Ausdruck. Nach dem Eindruck dieses Teilnehmers kam es trotz hochkarätiger Redner und viel Sachverstand nicht zu einem mehrheitlichen Konsens, den man als eine „christliche Position“ zu dieser Problematik bezeichnen und der die Frage beantworten könnte: Was soll ich als Christ meinem Bundestagsabgeordneten zu dieser Thematik sagen? Ich mache daher den Versuch, einige Thesen zu formulieren, die sich aus den Vorträgen, aus sonstigen Äußerungen von Fachleuten sowie aus eigenen Überzeugungen herleiten, und an- schließend eine mögliche „christliche Position“ daraus zu folgern. These 1. Europa befindet sich auf dem Weg zu einer stark zentralistischen politischen Union, einem machtvollen Zentralstaat mit stark sozialistischem und planwirtschaftlichem Einschlag, starken Demokratiedefiziten und zunehmend antichristlichen Vorzeichen. Der Weg führt höchstwahrscheinlich über eine schrittweise Vermehrung von Kompetenzen der EU-Kommission auf Kosten von Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten. Stichworte wie Wirtschaftsregierung, enormer politischer Druck auf die europäische Zentralbank, Vergemeinschaftung riesiger Staatsschulden durch schwindelerregende, ständig steigende Haftung der Mitgliedsländer, Fiskalunion und „Durchgriffsrechte“ auf nationales Haushalts- recht und nationales Vermögen (wie Gold- und Währungsreserven), Schulden- und Transferunion verbunden mit vielfachem kollektivem Rechtsbruch, aber auch zahlreiche Entwicklungen im nicht-wirtschaftlichen Bereich – nicht zuletzt die Verbannung des Gottesbezuges aus der europäischen Verfassung – weisen die Marschrichtung. These 1 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten. 1.1 Europäischer Zentralstaat rückt näher Die Geschichte der europäischen Integration lässt sich als ein beständiges Ringen zwischen zwei Richtungen lesen: einer liberalen und einer sozialistischen Vision Europas…. Die sozialistische Vision …. will Europa als Festung ausbauen: protektionistisch nach außen und interventionistisch nach innen. Ihr Ziel ist ein europäischer Zentralstaat, der die Interventionsziele verwirklichen kann. Die 21 Fortsetzung: Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann Integration erfolgt von oben durch die Vereinheitlichung von Regeln und durch Umverteilung. Diese Vision geht auf die rationalistisch-französische Geistestradition zurück, die Hayek auch „scientistisch“ nannte …. Eine technokratische Elite leitet den Staat zum Wohl der Menschen. Dafür braucht sie eine große Machtfülle…. Auf der Seite der sozialistischen Vision steht traditionell die französische Politelite …. Unterstützung erfährt diese Vision gemeinhin von den Südländern und Sozialdemokraten aller Parteien…. Wilhelm Röpke sah im rationalistisch-kartesianischen Denken den Grund für den Glauben an die Überlegenheit einer Planwirtschaft. Der liberal-konservative Ökonom pries die Vielfalt und den Wettbewerb in Europa. Daher warnte er schon in den fünfziger Jahren: „Wenn wir versuchen wollten, Europa zentralistisch zu organisieren, einer planwirtschaftlichen Bürokratie zu unterwerfen und gleichzeitig zu einem mehr oder weniger geschlossenen Block zu schmieden, so ist das nicht weniger als ein Verrat an Europa“…. 22 1.3 Regierungen die schon immer ein ­zentrales und planwirtschaftliches Europa wollten Durch den Beschluss der G 20 vom November 2008, keine systemrelevante Bank insolvent gehen zu lassen, und das falsche Handeln unserer Zentralbanken und Regierungen haben unsere überschuldeten Großbanken ein Erpressungspotential in die Hand gelegt bekommen, das zu einem Haftungsauschluss für Banken geführt hat, der sämtlichen marktwirtschaftlichen und rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht. Unsere überschuldeten Banken nutzten im Frühjahr 2010 dieses Erpressungspotential im Fall Griechenland und auch anschließend, um im Schulterschluss mit der EU-Kommission und der EZB und jenen europäischen Regierungen, die schon immer ein zentralistisches und planwirtschaftliches Europa wollten, die anderen europäischen Regierungen und Parlamente zum kollektiven Rechtsbruch des europäischen Primärrechts, zum Bruch der No-Bail-out-Klausel zu bewegen (Schäffler/Tofall 15.09.2011). zusätzliche Kompetenzen. Das wird umso deutlicher, als Kommissionschef Jose Manuel Barroso seine Vorschläge zur Haushaltskontrolle mit dem Vorstoß für Eurobonds verknüpft …. Wie die vertiefte Budgetkontrolle verschaffen sie …. der EU-Behörde mehr Einfluss. Doch hat Barroso in einem recht: Haushaltsdisziplin ist eine notwendige Bedingung für das Überleben der Währungsunion. Zu dieser Disziplin müssen die Staaten gezwungen werden können. Deren bisherige gegenseitige Kontrolle ist spätestens mit der Aufweichung des Stabilitätspakts gescheitert. Mehr Kontrolle durch die Kommission – auch um den Preis von partiellen Eingriffen in die nationale Souveränität – ist die natürliche Alternative (Mussler 24.11.2011). These 2. Die gemeinsame Währung ist eine machtvolle Waffe zur Durchsetzung dieser Entwicklung. Einerseits beschwört die spezielle Konstruktion des Euro eine Staatsschuldenkrise herauf. Andererseits werden zur „Lösung“ der Krise nur Maßnahmen zugelassen, die die Entwicklung zum Zentralstaat fördern. Diese Maßnahmen der Zentralisierung und Gemeinschaftshaftung werden in erpresserischer Weise als alternativlos erklärt. Hierzu gehört auch das erpresserische Schüren von Angst vor einem Zusammenbruch unseres Finanzsystems, während tatsächlich Alternativen existieren, und zwar sehr viel attraktivere als die zentralstaatfreundliche. These 2 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten. Im Maastricht-Vertrag wurde das Ziel einer Einheitswährung festgeschrieben. Der Keim zur Transferunion ist in dieser schon angelegt. Denn die spezielle Konstruktion des Euro beschwört eine Staatsschuldenkrise herauf, die mangels Mut zur Liberalisierung mit Zentralisierung und Gemeinschaftshaftung „gelöst“ wird …In ihrer Not haben sich die Euro-Regierungen in eine Art Schuldensozialismus durch Vergemeinschaftung der Haftungsrisiken begeben …. Überschuldete Staaten werden mittels neuer Schulden gerettet und müssen im Gegenzug Kompetenzen abgeben…. Die Einrichtung einer Wirtschaftsregierung ist absehbar…. Auch wenn einige Medien derzeit von einer deutschen Dominanz fabulieren: Betrachtet man die Geschichte, so zeigt sich der rationalistisch-französische Ursprung dieser Ideen. Der steuernde, dirigistische EU-Zentralstaat rückt näher (Bagus 07.11.2011). Deutschland selbst haftet im Fall einer Zahlungsunfähigkeit Italiens, Griechenlands, Irlands, Portugals und Spaniens mittlerweile nach Angaben des Münchener Ifo-Instituts über alle Rettungsmaßnahmen und indirekt durch die Eingriffe der Europäischen Zentralbank mit bis zu 560 Milliarden Euro …. Der scheidende Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Jürgen Stark, äußerte derweil …. seine Besorgnis über die Unabhängigkeit der EZB. „Der politische Druck auf die EZB ist derzeit enorm“. Die Debatte über die Erweiterung der Aufgaben der EZB „berührt nicht nur unsere Unabhängigkeit, sondern gefährdet sie“, sagte er. Wie Stark lehnte auch sein Nachfolger Jörg Asmussen einen Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB in noch größerem Umfang ab (Ohne Autor 28.11.2011). 1.2 Dirigismus und ­Zentralismus auf dem Vormarsch 1.5 Zusätzliche ­Kompetenzen für die EU-Kommission 2.2 Europäischer Superstaat durch kollektiven Rechtsbruch Soll die Integration spontan, von unten geschehen – oder zentralistisch von oben? Mit der Schuldenkrise ist Europa in eine Interventionsspirale geraten. Dirigismus und Zentralismus sind auf dem Vormarsch (Bagus 07.11.2011). Es ist nicht zu verkennen, dass die EU-Kommission mit ihren neuen Vorschlägen zur Kontrolle der nationalen Haushaltspolitik eigene Interessen verfolgt. Es geht ihr nicht (nur) um mehr Haushaltsdisziplin, sondern (auch) um Die heutigen Regierungen des Euroraums, die EU-Kommission und die EZB verabreden sich hingegen wiederholt zum kollektiven Rechtsbruch …. um mit Hilfe des kollektiven Rechtsbruchs …. einen europäischen Superstaat zu 1.4 Deutschlands Haftung und der ­politische Druck auf die EZB 2.1 Erpressung durch Angst vor ­Zusammenbruch des Finanzsystems Das heutige Europa ist auf dem Weg in die monetäre Planwirtschaft und den politischen Zentralismus, weil wir uns durch die Angst vor einem Zusammenbruch unseres Finanzsystems erpressen lassen (Schäffler/Tofall 15.09.2011). Fortsetzung: Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens – von Prof. Dr. Friedrich Hanssmann gründen, und bemänteln diese Usurpation verbal als europäische Solidarität (Schäffler/Tofall 15.09.2011). 2.3 Bundesregierung erklärt ihre ­Rettungspolitik für „alternativlos“– Die ­Alternative der Bankenrekapitalisierung Staatsinsolvenzen werden kommen, sie sind nicht zu verhindern. Ansteckungsgefahren vermeidet man durch rechtzeitige Rekapitalisierung der Banken und nicht durch Garantieerklärungen für Staatsschulden (das heißt „Rettungsschirme“)…. meinsame Währung wirkt dadurch als Selbstläufer in Richtung starker Sozialstaat. Hypo-Real-Estate keine Angst mehr haben (Schäffler/Tofall 15.09.2011). These 4. These 6. Die zentralistische „Eurorettungspolitik“ ist wegen zahlreicher Rechtsbrüche rechtswidrig, bekämpft Schulden mit Schulden und setzt falsche Anreize, indem sie das Leben über die Verhältnisse belohnt und weiterhin dazu ermutigt. Der Aspekt der Rechtswidrigkeit wird ausführlich abgehandelt in (Schachtschneider 2011). Die Vorteile einer Wirtschaftsunion sind auch ohne Währungsunion zu haben. These 6 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten. These 5. Während ein Rettungsschirm die gesamte Kreditaufnahme eines Staates garantiert und so innerhalb weniger Jahre den Großteil der Staatsschuld verbürgen muss, kann eine Bankenrekapitalisierung gezielt und vergleichsweise kostengünstig vorgenommen werden, weil nur dort Kapital zugeschossen wird, wo systemische Risiken bestehen. Alle anderen Investoren (Finanzinvestoren ebenso wie private Haushalte) müssen die Risiken ihrer selbstverschuldeten Anlageentscheidung selbst tragen…. Eine geordnete Insolvenz Griechenlands könnte das Siechtum des Landes im Würgegriff von Schuldendienst und Austeritätspolitik beenden und wie ein Befreiungsschlag wirken. Aber die EU kann dies nur verkraften, wenn ihre Banken zuvor rekapitalisiert wurden…. Die Verantwortung, darüber zu entscheiden, obliegt dem Bundestag, der sich in einer für die Zukunft Deutschlands und Europas so bedeutenden Frage nicht zum Erfüllungsgehilfen einer Regierung machen lassen darf, die wider besseres Wissen ihre eigene Politik für alternativlos erklärt (Hau/Lucke 16.09.2011). These 3. Bei der großen Verschiedenheit der europäischen Länder schafft eine gemeinsame Währung in diesem „nicht optimalen Währungsraum“ so schwere Probleme, dass das Bedürfnis nach einem starken Zentralstaat verschärft wird. Professor Renate Ohr war bereits 1992 Initiatorin eines Manifests von 62 Professoren gegen den Vertrag von Maastricht mit dem Titel „Die EG-Währungsunion führt zur Zerreißprobe“. Sie hat recht behalten. Die ge- Die Einstellung der zentralistischen Eurorettungspolitik und die daraus folgenden Bankenzusammenbrüche würden nicht bedeuten, dass der Zahlungsverkehr nicht aufrechterhalten werden kann. Zu seiner Aufrechterhaltung gibt es mehrere Alternativen. Das Ende des Euro wird (in Schachtschneider 2011) sogar zwangsläufig gesehen. These 5 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten. 6.1 Scheitern des Euro kein Horrorszenario Der Hauptpfeiler der europäischen Integration, der EU-Binnenmarkt, hängt nicht vom Euro ab. Die Vorteile der intensiven Markverflechtungen sind auch ohne Euro nutzbar. Stabilität und Wachstum bei den Binnenmarkt-Partnern sind wichtiger als eine einheitliche Währung…..Marktintegration bedeutet die Öffnung nationaler Märkte gegenüber Anbietern und Nachfragern der Partnerstaaten …. Auch wenn der EU-Binnenmarkt noch nicht „vollkommen“ ist, sind doch klare Erfolge identifizierbar …. Es ist nicht gerechtfertigt, für den Fall eines Scheiterns des Euro Horrorszenarien an die Wand zu malen (Ohr 28.10.2011). 5.1 Keine Angst vor Insolvenz der ­Deutschen Bank oder der Hypo-Real-Estate These 7. Sollten die anderen EU-Staaten die Zahlungsfähigkeit des überschuldeten und zahlungsunfähigen Staates nicht gewährleisten, werden wir (Zusatz des Verfassers: die Banken) vernehmbar auf die Folgen aufmerksam machen und unser Erpressungspotential ausspielen. Dieses Erpressungspotential besteht in der Drohung, dass der gesamte Banken- und Finanzsektor und der gesamte Zahlungsverkehr zusammenbrechen würden, falls eine systemisch relevante Bank Insolvenz anmelden muss…. Auf den Kurzschluss einer Gleichsetzung von Zusammenbruch unseres überschuldeten Bankensystems und Zusammenbruch des gesamten Zahlungsverkehrs fällt man in unseren westlichen Gesellschaften deshalb angsterfüllt herein, weil wir uns das Denken in Ordnungen abgewöhnt haben…. Zu einem Banken-Run wird es dann nicht kommen, wenn der Staat die genannte Garantie für bestimmte Zahlungen übernimmt und wenn das beschriebene Szenario in der Öffentlichkeit durch die Massenmedien soweit verständlich verbreitet wird, dass die Menschen vor einem Insolvenzantrag der Deutschen Bank oder der Die Eurorettungspolitik resultiert mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in hohen Inflationsraten. Inflation ist eine Form der Enteignung sowohl durch Preissteigerungen als auch durch Weginflationierung von Schulden und Entwertung von Ersparnissen. Sie trifft besonders die Leistungsträger und die Schwachen. These 7 wird gestützt durch folgende Äußerungen von Fachleuten. 7.1 Der Griff nach den Reserven und ­verbotene Staatsfinanzierung über die ­Zentralbank bedeuten unweigerlich Inflation Hinter einem scheinbar technischen Vorgang (Anmerkung des Verfassers: „Sonderziehungsrechte“ beim IWF und deren Verpfändung!) verbirgt sich nichts anderes als der Griff nach den Reserven …. Nur dank des Widerstands Jens Weidmanns, des Präsidenten der Bundesbank und vormaligen Wirtschaftsberaters von Bundeskanzlerin Merkel, wurde dieser Vorstoß vom Verhandlungstisch der Rettungseuropäer genommen – vorerst zumindest. Es bleibt ein 23 Fortsetzung: Die Zukunft des Euro – Versuch einer christlichen Position Über die GWE Ziel – Arbeit – Impressum Euro-Rettungspolitik verstößt gegen grundsätzliche Normen des christlichen Glaubens Das Ziel Rätsel, warum Frau Merkel das nachweislich falsche Rettungskonzept (mit Schulden zu hohe Schulden bekämpfen) weiterverfolgt…. Erst wurde versucht, mit Krediten Zeit zu kaufen. Dieser Ansatz scheiterte auch deswegen, weil die Strukturreformen ausblieben…. Dann wurde versucht, die sparsamen Nordländer für den Süden der Eurozone haften zu lassen. …. Das stößt an Grenzen, nachdem selbst Deutschland sich der besten Bonitätsnote nicht mehr sicher sein kann …. Als Mittel der letzten Wahl wollen die Rettungseuropäer jetzt die Notenpresse anwerfen. Der Griff nach dem Gold der Bundesbank wäre der Auftakt zur verbotenen Staatsfinanzierung über die Zentralbank. Als Folge droht unweigerlich Inflation …. (Steltzner 07.11.2011). These 8. Auch die Erhaltung des Friedens ist ohne Währungsunion möglich, etwa durch NATOMitgliedschaft, während eine politische Union bei der großen Verschiedenheit der europäischen Länder nur um den Preis eines starken Zentralstaates möglich ist. Rückkehr sollte vorrangig für die überschuldeten Länder und möglichst sofort erfolgen. 3. Da Inflation eine Beraubung der Leistungsträger und Schwachen ist, verstößt sie gegen den in den zehn Geboten verankerten Eigentumsschutz. Die inflationäre Eurorettung ist daher sofort einzustellen. 4. Die Bibel leitet den Einzelnen dazu an, die eigene Existenz und dazu einen Überschuss zu erwirtschaften, der für Bedürftige bestimmt ist: „Wer gestohlen hat, stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit Händen etwas Gutes, auf dass er habe, zu geben dem Dürftigen“ (Eph. 4, 28). Dies gilt sinngemäß auch für den, der für seinen Konsum Schulden macht, sei es der Einzelne oder der Staat. Auch aus diesem Grund ist eine Rettungspolitik, die Schulden mit Schulden bekämpft, spätere Generationen belastet und falsche Anreize (nämlich zur Verschuldung) setzt, sofort einzustellen. 5. Da die Eurorettungspolitik überdies rechtswidrig ist, ist sie auch deswegen vom christlichen Standpunkt, der Rechtstreue und Vertragstreue erfordert, abzulehnen, auch wenn die Regierung selbst ihr eigenes Recht bricht. Die GWE ist ein Verein zur Förderung von Forschung und Lehre in den Wirtschaftswissenschaften auf Grundlage einer Ethik, die auf dem biblischen Welt- und Menschenbild beruht. Die Arbeit Wir regen Forschung zu wirtschaftsethischen Fragen an und unterstützen diese, führen Fachtagungen und Seminare durch und geben den halbjährlichen Informationsdienst „Wirtschaft und Ethik“ heraus. Zu den Themen Wirtschafts­ethik, Entwicklungspolitik und ökologische Wirtschaftspolitik bereiten wir wissenschaftliche Publikationen vor und geben sie heraus. Vorstand Vorsitzender der GWE e.V. ist Prof.i.R. Dr. h.c. Werner Lachmann Ph.D., stellvertretender Vorsitzender ist Prof. Dr. Karl F ­ armer. Darüber hinaus gehören dem Vorstand an: Dr. Otto Haß, Dr. Helmut de Craigher, ­ Matthias ­Vollbracht, Prof. Dr. Harald Jung. Christliche Position 1. Christen haben einen starken Zentralstaat mit Recht zu fürchten. Die meisten Staaten dieser Art – natürlich besonders die totalitären – haben ihre christlichen Bürger grausam verfolgt, vom römischen Reich bis zu den nationalsozialistischen, kommunistischen und islamischen Staaten. Eine Ablehnung eines starken europäischen Zentralstaates ist daher aus christlicher Sicht folgerichtig. Eine Wirtschafts- und Verteidigungsunion reichen aus. 2. Wenn die Währungsunion ein Selbstläufer zum starken Zentralstaat (der unter 1. beschriebenen Art) ist, ist sie aus den gleichen Gründen abzulehnen. Überdies ist sie abzulehnen, weil die spezielle Konstruktion des Euro eine Staatsschuldenkrise heraufbeschwört, die unter der vorherrschenden politischen Kultur zur Transferunion führt, aber auch ohne Transferunion zu großen wirtschaftlichen Schäden für Anleger, Steuerbürger und ganze Volkswirtschaften führen würde. Um solche Schäden künftig zu vermeiden, ist eine Rückkehr zu nationalen Währungen wünschenswert. Diese 24 Mitgliedschaft Literatur Bagus, Ph.: Europäischer Schuldensozialismus. FAZ 07.11.2011, S. 12 Hau, H./Lucke, B.: Die Alternative zum Rettungsschirm. FAZ 16.09.2011, S. 12 Mussler, W.: Barrosos Punkt. FAZ 24.11.2011, S.11 Ohne Autor: Zügige Änderungen der Euro-Verträge geplant. Berlin und Paris machen Druck/ Euro-Finanzminister wollen EFSF-Hebelung auf eine Billion Euro. FAZ 28.11.2011, S. 11 Ohr, R.: Braucht der Markt den Euro? FAZ 28.10.2011, S. 12 Schachtschneider, K.A. u.a.: Das Euro-Abenteuer geht zu Ende: Wie die Währungsunion unsere Lebensgrundlagen zerstört. Rottenburg 2011. Schachtschneider, K.A. u.a.: Die Rechtswidrigkeit der Euro-Rettungspolitik: Ein Staatsstreich der politischen Klasse. Rottenburg 2011. Schäffler, F./Tofall, N.: EU-Superstaatsgründung aus Angst vor einem Crash des Finanzsystems? FAZ 15.09.2011, S. 12 Steltzner, H.: Jetzt die Notenpresse. FAZ 07.11.2011, S. 1 Wer Christ ist und aktiv die Anliegen der GWE unterstützen möchte, kann einen Antrag auf Mitgliedschaft beim Vorstand stellen. Impressum „wirtschaft und ethik“ Herausgeber: Gesellschaft zur Förderung von Wirtschafts­wissen­schaften und Ethik e.V. (GWE) Wacholderweg 6 91154 Roth-Bernlohe Tel./Fax:+49 (0)9172-2450/-2523 Bürozeit:Di: 9–12 Uhr E-Mail:[email protected] Internet:http://wirtschaftundethik.de Bankverbindung: Sparda-Bank Nürnberg e.G. BLZ 760 905 00 Kto.-Nr. 102 10 60 IBAN: DE82 7609 0500 0001 0210 60 BIC: GENODEF 1S06 Satz: Matthias Vollbracht/Karin Rekowski Druck: Haider, Roth Bitte teilen Sie uns Adressänderungen rechtzeitig mit.