Was passiert dann? Lehrtext zur Physiologie des Lagewechsels

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Die Physiologie des Kreislaufs bei Lagewechsel.
Eine Geschichte erzählt nach dem Motto der "Was-passiert-dannMaschine"
Carsten Stick, Institut für Medizinische Klimatologie der Universität Kiel
Vorbemerkung: Das Beispiel der Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems
beim Übergang vom Liegen zum Stehen ist nicht nur ein häufig gestellter
Prüfungsstoff, es zeigt auch exemplarisch, welchen Wert die Physiologie für das
Lernen und Denken in der Medizin haben kann. Es ist eine Verkettung von
Prozessen, die nacheinander und nebeneinander ablaufen, einander bedingen,
und geregelte Rückwirkungen aufweisen. Die systematische geordnete Analyse
solcher Kausalketten fördert nicht nur deren Verständnis, sondern auch das
Verständnis von Störungen solcher Vorgänge. Dies ist eine Grundlage für ein
rationales Handeln in Diagnostik und Therapie.
Die Schilderung der Physiologie des Kreislaufs beim Lagewechsel erfolgt hier
in möglichst kleinen Schritten von Prozessen. Sie wird nach dem Vorbild der
„Was-passiert-dann-Maschine“ erzählt. Zuschauer des Kinderprogramms
"Sesamstraße" im NDR-Ferhsehen werden vielleicht den Film kennen, in
welchem Kermit der Frosch seine „Was-passiert-dann-Maschine“ vorführt. Im
Gegensatz dazu sollte die Kreislaufregulation doch möglichst funktionieren.
Die Situation im Liegen
Im Liegen sind die Drücke im Gefäßsystem dominiert von den hämodynamisch
wirksamen Drücken. Das Herz fördert ein Schlagvolumen, bzw. das Herz-ZeitVolumen (HZV) in den Windkessel der dehnbaren herznahen Arterien vom
elastischen Typ und erzeugt dabei einen Druck. Über den peripheren
Widerstand, der von den kleinen Arterien und speziell den Arteriolen gebildet
wird, fließt das Blut in den Geweben und Organen über die Kapillaren in das
Niederdrucksystem. Venolen, die kleinen und großen Venen leiten das Blut zum
Herzen zurück.
Wegen der inneren Reibung im fließenden Blut bestehen nach dem Ohmschen
Gesetz in allen Gefäßen Druckgefälle !P über dem jeweiligen Strömungswiderstand R der Gefäße. Dies sind die hämodynamisch wirksamen Drücke,
bzw. Druckdifferenzen. Der vom Herzen im Windkessel aufgebaute mittlere
arterielle Blutdruck Part . ist bis zum rechten Vorhof bis auf wenige mmHg (4-6
mmHg) aufgebraucht. Die vom Herzen erzeugte Druck-Volumen-Energie ist
durch Reibung in Wärme überführt. Der Druck im rechten Vorhof entspricht
dem zentralen Venendruck ZVP. Der gesamte Druckabfall über alle
Gefäßwiderstände, über den totalen peripheren Widerstand TPR ist nach dem
Ohmschen Gesetz:
!Pges. = Part . " ZVP = HZV #TPR
Der Druck im rechten Vorhof, der ZVP ist im Vergleich zum arteriellen
Blutdruck so gering, dass man ihn für Betrachtungen des arteriellen Blutdrucks
oft vernachlässigt. Mit dieser Vereinfachung ergibt sich der Druck im arteriellen
System nach dem Ohmschen Gesetz als Produkt aus HZV und TPR (totalem
peripheren Widerstand).
Part . = HZV !TPR
Der HIP
Wegen der geringen Höhendifferenzen im Liegen spielen hydrostatische Drücke
üblicherweise keine Rolle. Die großen arteriellen und venösen Gefäßstämme
verlaufen in dieser Lage im Wesentlichen horizontal. Für die hydrostatischen
Drücke gibt es einen Bezugspunkt im Gefäßsystem, der hydrostatische
Indifferenzpunkt HIP. Dieser ist dadurch ausgezeichnet, dass der hydrostatische
Druck unabhängig von der Körperposition hier konstant bleibt - egal in welcher
Lage sich der Mensch befindet, ob er liegt, steht oder auf dem Kopf steht. Dieser
HIP befindet sich etwas caudal des Zwerchfells. Er lässt sich mit einem
Katheter-Manometer in der Vena cava tatsächlich experimentell aufsuchen.
Beim Aufrichten kommt die Gravitation in Spiel
Wird ein liegender Mensch passiv, zum Beispiel durch einen Kipptisch
aufgerichtet, so werden, wegen der auftretenden Höhenunterschiede in den
Gefäßen zusätzlich zu den hamodynamisch wirksamen Druckdifferenzen im
Gefäßsystem hydrostatische Drücke wirksam. In allen Gefäßen oberhalb des
hydrostatischen Indifferenzpunktes sinken die Drücke. So nehmen die Drücke
im Kopf und Halsbereich aufgrund des hydrostatischen Effektes ab. Dies ist der
erste Grund, warum Rezeptoren in den Großen zum Kopf führenden Arterien
und im Windkessel nach dem Aufrichten sofort einen verringerten Druck
registrieren.
Auch der zentrale Venendruck nimmt zunächst aus rein hydrostatischen
Gründen ab, weil der rechte Vorhof bei aufrechter Haltung über dem HIP liegt.
Die Dehnungsrezeptoren im rechten Vorhof werden entsprechend ein
verringertes Volumen registrieren.
In den Beinarterien nimmt der Druck mit dem Aufrichten schlagartig zu.
In den Gefäßen unterhalb des hydrostatischen Indifferenzpunktes nehmen die
hydrostatischen Drücke dagegen zu. Allerdings erfolgen die Druckzunahmen
unterschiedlich schnell. In den Arterien erfolgen die hydrostatischen Druckänderungen sofort ohne Verzögerung. Denn die Arterien sind durchgehend offen, so
dass wie bei kommunizierenden Röhren durchgehende Drucksäulen bestehen,
die hydrostatisch wirksam sind. Mit dem Aufrichten vom Liegen zum Stehen
steigt der Druck in der Fußrückenarterie oder in der Arteria tibialis posterior
schlagartig von 90 oder 95 mmHg auf vielleicht 180 oder 190 mmHg an. Die
Werte sind Beispiele, die im Einzelfall von dem Ausgangsblutdruck und der
Körpergröße abhängen. alle hier genannten Werte sind keine Naturkonstanten ,
sondern Beispiele!
Venenklappen verhindern das Versacken des Blutes
In den Venen erfolgt der Druckanstieg verzögert. Beim Aufrichten schließen die
Klappen in den Venen der Beine. Sie verhindern so einen Rückstrom peripherwärts und unterteilen die Blutsäule in viele kurze Segmente. Da sich in den
Venen zunächst keine durchgehende hydrostatische Drucksäule ausbildet, ist der
Venendruck beispielsweise auf dem Fußrücken oder in der Vena saphena magna
in Knöchelhöhe unmittelbar nach dem Aufrichten noch gering. Andererseits gibt
es dadurch, dass die Venenklappen nach dem Aufrichten zunächst geschlossen
sind, auch keinen venösen Rückstrom aus diesen Venen zum rechten Herzen.
Der venöse Rückstrom aus den Beinen ist, wenn nicht Null, so doch erheblich
reduziert. Dies trifft zu, bevor überhaupt Blut "in die Beine versackt" ist, wie
man häufig lesen kann.
Eine große arterio-venöse Druckdifferenz steigert die Durchblutung in den
Beinen
Der mit dem Aufrichten unmittelbar gesteigerte Druck in den Arterien der
unteren Extremität und der zunächst noch geringe Druck in den Venen bedeutet
eine erhöhte arterio-venöse Druckdifferenz. Nach dem Ohmschen Gesetz
bewirkt diese eine Steigerung der Stromstärke über den peripheren Widerstand.
Dies hat zwei Folgen: zum einen ist die Beindurchblutung unmittelbar nach dem
Aufrichten erhöht. Zum anderen strömt das Blut schneller aus dem arteriellen
Windkessel. Dies ist der zweite Grund, weswegen die Pressorezeptoren in
Carotissinus und Aortenbogen einen geringeren Blutdruck registrieren werden.
Klinische Anekdote als Einschub:
Die erhöhte Beindurchblutung aufgrund der unterschiedlichen hydrostatischen
Drücke in Arterien und Venen nach dem Aufrichten und die daraus folgende
Steigerung der Durchblutung machen sich Patienten mit peripherer arterieller
Verschlusskrankheit der Beinarterien zu nutze. Bei sehr fortgeschrittener
Stenosierung der Beinarterien kann wegen der Unterversorgung der Gewebe ein
Ruheschmerz auftreten. Dies geschieht wegen der „Nachtabsenkung“ des
arteriellen Blutdrucks bevorzugt im Schlaf. Die Patienten wachen vor Schmerz
auf, richten sich im Bett auf und lassen die Beine über die Bettkante baumeln.
Wie geschildert steigert die vergrößerte arterio-venöse Druckdifferenz die
Durchblutung über die verengten Arterien und baut das Versorgungsdefizit ab.
Der Schmerz lässt nach, die Patienten legen sich bis zur nächsten
Schmerzattacke wieder schlafen.
Mit der Zeit steigt auch der Druck in den Beinvenen.
Das aus den Arterien über Arteriolen, Kapillaren und Venolen fließende Blut
füllt dann sukzessive die Venen. Die Venenklappen werden nach und nach
geöffnet. Es bauen sich immer größere Segmente durchgehender Drucksäulen
auf. Der Venendruck steigt zunächst steiler später flacher an, bis sich, wenn alle
Klappen geöffnet sind, auch in den Venen durchgehende Drucksäulen ausgebildet haben, die hydrostatisch wirksam sind. Um Zahlenbeispiele zu nennen,
der Venendruck am Fußrücken oder am Knöchel in der Vena saphna magna
steigt von vielleicht 10 bis 12 mmHg im Liegen auf 80 oder 90 mmHg im
Stehen. Der Wert ist wieder abhängig von der Körperlänge der Versuchsperson.
Bei längerem ruhigen Stehen wird die arterio-venöse Druckdifferenz in den
Beinen wieder hergestellt. Es herrschen, wenigstens idealerweise, dieselben
hämodynamisch wirksamen Druckdifferenzen wie im Liegen. Allerdings sind zu
diesen Drücken je nach Höhe die hydrostatischen Drücke addiert.
Es sei in dieser Geschichte nicht verschwiegen, dass die Steigerungen der
transmuralen Drücke in den Widerstandsgefäßen zur Erhöhung des myogenen
Tonus, in den Austauschgefäßen mit einer Steigerung des kapillären Filtrationsdrucks einhergehen. Ersteres führt zur Verringerung der Beindurchblutung beim
längeren Stehen, letzteres zu einer Vermehrung der transkapillären Auswärtsfiltration, zur Vermehrung interstitiellen Flüssigkeit, zur Bildung eines
physiologischen Ödems.
Doch der Hauptstrang der Geschichte geht einen anderen Weg.
Die Venen werden durch den hydrostatischen Druck gedehnt
Die Venen als Kapazitätsgefäße haben eine viel größere Compliance, d.h.
Dehnbarkeit als die Arterien. Unter dem erhöhten hydrostatischen Druck beim
Stehen werden sie deswegen gedehnt und nehmen ein vermehrtes Blutvolumen
auf. Dabei werden sie durch das Blut, das aus den Arterien über die Arteriolen,
die Kapillaren und die Venolen fließt gefüllt. Dies gilt wenigstens, solange die
Venenklappen funktionstüchtig sind. Die Beinvenen der unteren Extremität
nehmen dabei geschätzt ein Volumen von etwa 500 ml auf. Dieser Vorgang
wird in vielen Lehrbüchern verkürzt als „Versacken von Blut in den Beinvenen“
bezeichnet. In der Erzählung im Stile der „Was passiert dann Maschine“ zeigt
sich, dass es eine ganze Kette physikalisch-physiologischer Vorgänge ist, die
sich dahinter verbirgt.
Der zentrale Venendruck zentral in mehrere Hinsicht
Die Verlagerung von Blut in die Kapazitätsgefäße der unteren Extremitäten
führt dazu, dass der venöse Rückstrom nach dem Aufrichten verringert bleibt.
Dies ist neben der direkten hydrostatisch bedingten Abnahme und dem nahezu
kompletten Stop des venösen Rückstroms aus den Beinen unmittelbar nach dem
Aufrichten ein weiterer Grund dafür, dass der zentral venöse Druck beim
längeren Stehen gegenüber dem Liegen verringert ist.
Der zentrale Venendruck (ZVP) hat seinen Namen davon, dass er eben den
Venendruck im Zentrum vor dem rechten Herzen in den großen Venen oder
bereits im rechten Vorhof bezeichnet. Von zentraler Bedeutung ist dieser Druck
aber noch in mehrerer Hinsicht: Er liegt nahe am statischen Blutdruck und ist
somit ein Maß für den Füllungszustand des Gefäßsystems, speziell des
Kapazitäts- oder Niederdrucksystems. Dies ist der Grund, weswegen der ZVP in
der Intensivmedizin häufig gemessen wird. Beispielsweise kann anhand des
ZVP entschieden werden, ob Volumen in den Kreislauf infundiert werden sollte
oder nicht. Beispielsweise zeigt ein Anstieg des ZVP bei der chronisch
kongestiven Herzinsuffizienz die Wasserreteintion an und ist in diesem
Zusammenhang ein Maß für die Insuffizienz.
Der Frank-Starling-Mechanismus mal rückwärts gedacht
Physiologisch ist der zentrale Venendruck auch deswegen von zentraler
Bedeutung, weil er der Füllungsdruck des rechten Herzens ist. Er bestimmt die
Vorlast des Herzens. Der Frank-Starling-Mechanismus wird gern und
regelmäßig in der Weise dargestellt, dass eine Erhöhung des venösen
Blutangebots mit einer Erhöhung des ZVP und des enddiastolischen
Füllungsdrucks, einer Erhöhung des enddiastolischen Ventrikelvolumens, d.h.
insgesamt einer Erhöhung der Vorlast einhergeht. Das Herz beantwortet diese
Erhöhung der Vorlast automatisch mit dem Auswurf eines vergrößerten
Schlagvolumens. Beim Lagewechsel vom Liegen zum Stehen und beim
anschließenden ruhigen Stehen tritt der umgekehrte Fall ein: Der venöse
Rückstrom ist, wie an verschiedenen Stationen dieser Geschichte erzählt,
verringert, der zentrale Venendruck, der enddiastolische Füllungsdruck, das
enddiastolische Füllungsvolumen des Ventrikels, kurz die Vorlast des Herzens
sind verringert. Entsprechend wirft das Herz ein kleineres Schlagvolumen aus.
Ausnahmsweise ein Sprung in der Geschichte
An dieser Stelle sei ein Sprung vom rechten Herzen zu linken Ventrikel und ins
arterielle System erlaubt. Die ausgelassenen Zwischenschritte der Geschichte
werden später nachgeholt.
Das Ohmsche Gesetz für den Gesamtkreislauf: Der mittlere Blutdruck ist
das Produkt aus Herz-Zeit-Volumen und totalem peripheren Widerstand
Ein verringertes Schlagvolumen bedeutet bei gleicher Herzfrequenz ein
verringertes Herz-Zeitvolumen, d. h. eine verringerte Gesamtstromstärke im
Kreilauf. Das Herz pumpt pro Zeit weniger Blut in den Windkessel. Bei
gleichem Abfluss von Blut aus dem Windkessel in die peripheren Organe und
Gewebe resultiert eine Abnahme Blutdrucks. Nach dem Ohmschen Gesetz wird
der mittlere Blutdruck im arteriellen System aus dem Produkt von Herz-ZeitVolumen und totalem peripheren Widerstand bestimmt. (Siehe oben!)
Das Herz-Zeit-Volumen ergibt sich seinerseits aus dem Produkt von HerzSchlagvolumen und Herzfrequenz:
HZV = SV ! HF
Schnelle Änderungen des Blutdrucks werden durch Reflexe beantwortet
In dieser Geschichte zeigte sich, dass der mittlere Blutdruck im Windkessel aus
verschiedenen Gründen im Stehen abnimmt: Zunächst ist der Druck im Aortenbogen und den zum Kopf führenden Arterien direkt aus hydrostatischen
Gründen verringert. Diese Arterien liegen über dem hydrostatischen Indifferenzpunkt. Sodann ist unmittelbar nach dem Aufrichten der Abstrom aus dem
Windkessel wegen einer verstärkten Beindurchblutung erhöht. Schließlich ist
das Herz-Zeit-Volumen durch ein kleineres Herzschlagvolumen als Folge eines
verminderten venösen Blutangebotes reduziert. All dies führt dazu, dass der
mittlere Blutdruck abfällt. Der Blutdruckabfall wird durch den Pressorezeptorenreflex beantwortet.
Was ist ein Reflex?
Ein Reflex ist eine Reaktion, die an über einen Reflexbogen abläuft. Die
Minimalausstattung eines Reflexbogens besteht aus folgenden fünf
Komponenten: dem Rezeptor, der Afferenz, mindestens einer zentralen Synapse,
einer Efferenz und einem Effektor.
Worauf reagieren Prossorezeptoren?
Adäquate Reize für die Pressorezeptoren im Aortenbogen und den Carotissinus
sind der Blutdruck und Blutdruckänderungen. Es sind proportional-differenzial
Rezeptoren. Die Pressorezeptoren antworten auf die druckbedingte Dehnung der
Gefäßwände mit erhöhter Entladungsrate. Steile kurze Steigerungen des Drucks,
wie sie während der Austreibungsphase des Herzens vorkommen, werden durch
kurze phasische Steigerung der Aktionpotentialfrequenz beantwortet. Bei länger
anhaltenden Drücken adaptieren die Pressorezeptoren an das Druckniveau. Ihre
zunächst bei einer Druckänderung gesteigerte oder verringerte Entladungsrate
nähert sich wieder einem mittleren Niveau. Pressorezeptoren haben auch bei
normalem arteriellen Blutdruck eine (Ruhe-) Entladungsrate.
Der Presorezeptoren-Reflex weist direkte und reziproke Verschaltungen
auf.
Die Aktivität der Pressorezeptoren wird über die Nervi vagi und
glossopharyngei in die Medulla oblongata geleitet. Die Fasern dieser Afferenzen
enden im Nucleus tractus solitarii. Von hieraus gibt es Verschaltungen zum
Nucleus ambiguus. Über ein erregendes Interneuron werden vagale Efferenzen
zum Herzen erregt, so dass der Effekt einer vermehrten Pressorezeptorenerregung eine ebenfalls vermehrte Aktivität parasympatischer Fasern am Herzen
(sog. parasympathische Kardiomotorneurone) ist.
Eine weitere zentrale Verschaltung führt über Interneurone zu Neuronen in der
rostralen ventrolateralen Medulla, die eine tonische Ruheaktivität aufweisen und
über Efferenzen für den Ruhetonus der sympathischen Vasokonstriktorneurone
und der sympathischen Neurone zum Herzen verantwortlich sind. Diese
Verschaltung führt aus dem Nucleus tractus solitarii in die caudale ventrolaterale
Medulla. Von hier projizierende hemmende Interneurone zu den tonisch aktiven
Neuronen der rostralen ventrolateralen Medulle. Mit der Überträgersubstanz
GABA (γ-Aminobuttersäure) hemmen diese Neurone die tonische Aktivität der
rostralen ventrolateralen Medulla und damit die Aktivität der sympatischen
Efferenzen zu Herz und Gefäßen. Eine erhöhte Aktionspotentialfrequenz der
Afferenzen von den Pressorezeptoren führt über diese reziproke Verschaltung
zur Hemmung der sympathischen Efferenzen.
Wie wirken sich diese Verschaltungen nach dem Lagewechsel an Herz und
Gefäßen aus?
Das passive Aufrichten hatte wie in den Schritten oben geschildert eine
Abnahme des Blutdrucks in den zum Kopf führenden Arterien zur Folge. Die
Pressorezeptoren werden entsprechend weniger erregt, eine verminderte
Aktionspotentialfrequenz in den Afferenzen hat nach der beschriebenen
Umschaltung in der Medulla oblongata folgende Effekte:
Die parasympathische Aktivität am Herzen wird gehemmt.
Die direkte Umschaltung über erregende Neurone vom Nucleus tractus solitarius
auf den Nucleus ambiguus führt zu reduzierter Aktivität in den vagalen Efferenzen zum Herzen. Da die parasympathischen Einflüsse auf den Sinusknoten,
die Vorhöfe und den Atrioventrikulaknoten, die in Ruhe typischerweise
überwiegen, werden hierdurch abgeschwächt. Die Folge ist eine Zunahme der
Herzfrequenz (chronotrope Wirkung) sowie positiv inotrope bzw. positiv
dromotrope Wirkungen am Vorhofmyokard bzw. dem Atrioventrikularknoten.
Die sympathische Aktivität wird verstärkt
Auf die sympathische Aktivität haben die verringerten Aktionspotentialfrequenzen in den Affererenzen von den Pressorezeptoren einen reziproken
Effekt. Die spontanaktiven Neurone in der rostralen ventrolateralen Medulla
werden durch die hemmenden Interneurone weniger gehemmt. Entsprechend
nimmt die Aktivität in den sympathischen Efferenzen zu.
Der Sympathikus entfaltet vermehrte Aktivität an Herz und Gefäßen
Am Herzen führt die gesteigerte sympathische Aktivität zu positiv chronotroper
Wirkung am Sinusknoten und den Vorhöfen. Hier wird der Effekt einer
geringeren Vagusaktivität verstärkt. Zusätzlich entfaltet die verstärkte
sympathische Aktivität am Kammermyokard eine positiv inotrope Wirkung.
Die Wirkungen auf das Herz
Hämodynamische Resultate der Wirkungen von Parasympathikus und
Sympathikus auf da Herz sind, dass sowohl die Steigerung der Herzfrequenz als
auch die Zunahme der Kontraktionskraft von Vorhöfen und Kammern eine
zumindest teilweise Kompensation des mit dem Aufrichten verringerten HerzZeitvolumens erreichen. Die positiv inotropen Effekte fördern sowohl über eine
schnellere und verstärkte Kontraktion als auch über eine schnellere
Erschlaffung den Ventilebenenmechanismus zur Förderung des venösen
Rückstroms und die diastolische Füllung der Ventrikel. Gleichzeitig wird das
Schlagvolumen auf Kosten des Restvolumens gesteigert.
Die Wirkungen auf die Gefäße
Die gesteigerten Entladungsraten in sympathisch-adrenergen Vasokonstriktorneuronen führen über die Freisetzung von Noradrenalin aus den Varikositäten
der postganglionären sympathischen Fasern zur Kontraktion der glatten
Gefäßmuskulatur, zur Erhöhung des Gefäßtonus. Dies führt in den kleinen
Arterien und Arteriolen, also den Widerstandsgefäßen, zu Steigerungen des
peripheren Widerstands. Das Blut fließt langsamer aus dem Windkessel des
arteriellen Systems über den peripheren Widerstand und die Kapillaren in das
Niederdrucksystem. Die Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur in den
venösen Gefäßen verringert die Kapazität des Niederdrucksystems. Der im
Stehen verringerte venöse Rückstrom wird hierdurch tendentiell wieder etwas
kompensiert.
Was wurde in dieser Was-passiert-dann-Geschichte übergangen?
Obwohl die Geschichte bereits jetzt wesentlich länger geworden ist, als
ursprünglich vorausgedacht, sind doch noch manche Schritte ausgelassen. So
kann man noch erzählen, wie die Signale von der Medulla oblongata über den
Vagus, dessen prä- und postsynaptischen Fasern zum Herzen gelangen, dass in
diesem Teil des vegetativen Nervensystems Acetylcholin die Überträger-
substanz ist, dass dieser Transmitter in den vegetativen Ganglien nikotinische
Rezeptoren erregt und zur Öffnung von ligandengesteuerten Kanälen führt,
welche postsynaptisch Einwärtsströme und damit exitatorische postsynaptische
Potentiale (EPSPs) erzeugen, dass aber am Herzen selbst das ACh aus den
postganglionären parasympathischen Fasern an muskarinischen Rezeptoren
wirkt, teils über inhibitorische G-Proteine, Hemmung der Adenylatcyklase und
Reduktion des cyklischen Adenosinmonophosphats (cAMP), teils aber auch
über einen rezeptorgesteuerten Kaliumkanal.
Für die postganglionäre Überträgersubstanz des Sympathikus, das Noradrenalin
lässt sich die Geschichte ebenfalls erweitern. β-Rezeptoren am Herzen, α- und
β-Rezeptoren an den Gefäßen....
Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste.
Deswegen bricht die Geschichte der "Was-passiert-dann?-Maschine" hier ab.
Sinn war es, einmal zu zeigen, wie viele Schritte in einer Kette von Vorgängen
oft genannt werden können, in einer Kette, die manchmal ganz verkürzt mit
einem Schlagwort benannt wird. Üblicherweise hat man nicht die Zeit oder die
Kenntnisse, sich alle Schritte zu vergegenwärtigen. Man ist gezwungen, sich auf
eine Auswahl zu beschränken, allein um den Überblick nicht zu verlieren und
sich nicht zu verzetteln. Innerhalb einer zu treffenden Auswahl von Ereignissen
sollte man aber das Prinzip der Folgerichtigkeit, also das Prinzip der „Waspassiert-dann-Maschine“ beachten. Ein solches Vorgehen hilft sehr, Mängel und
Widersprüche zu entdecken, sei es in den eigenen Kenntnissen, sei es in den
Darstellungen in Lehrbüchern, sei es in den Kenntnissen überhaupt. Ein
Sachverhalt, den man nicht in dieser Weise darstellen kann, ist vermutlich noch
nicht genügend klar. So zumindest meine Vermutung.
© Carsten Stick Dezember 2006, letzte Änderung 27. Nov. 2007
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Carsten Stick
Institut für Medizinische Klimatologie der
Universität Kiel
Olshausenstr. 40
23098 Kiel
Email: [email protected]
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