Die Physiologie des Kreislaufs bei Lagewechsel. Eine Geschichte

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Die Physiologie des Kreislaufs bei Lagewechsel.
Eine Geschichte erzählt nach dem Motto der "Was-passiert-dannMaschine"
Carsten Stick, Institut für Medizinische Klimatologie der Universität Kiel
Vorbemerkung: Die Physiologie des Herz-Kreislauf-Systems beim Übergang vom Liegen
zum Stehen ist nicht nur das Standardbeispiel für die vegetative Regulation einer
lebenswichtigen Größe, des arteriellen Blutdrucks, Beispiel für die biologische Antwort auf
eine Störung durch Rückkopplung (Feedback-Regulation) und nebenbei ein häufig gestellter
Prüfungsstoff, die physiologischen Vorgänge zeigen auch exemplarisch, welchen Wert die
Physiologie für das Lernen und Denken in der Medizin haben kann. Es ist eine Verkettung
von Prozessen, die nacheinander und nebeneinander ablaufen, einander bedingen, und
geregelte Rückwirkungen aufweisen. Die systematische geordnete Analyse solcher
Kausalketten fördert nicht nur das Verständnis, wie die beteiligten Mechanismen
funktionieren, sondern auch was passieren kann, wenn die physiologischen Vorgänge bei
Krankheiten nicht funktionieren oder zumindest gestört sind. Dies ist eine Grundlage für ein
rationales Handeln in Diagnostik und Therapie.
Die Schilderung der Physiologie des Kreislaufs beim Lagewechsel erfolgt hier in möglichst
kleinen Schritten von Prozessen. Sie wird nach dem Vorbild der „Was-passiert-dannMaschine“ erzählt. Zuschauer des Kinderprogramms "Sesamstraße" im NDR-Ferhsehen
werden vielleicht den Film kennen, in welchem Kermit der Frosch seine „Was-passiert-dannMaschine“ vorführt. Im Gegensatz zu dieser phantasievoll erdachten Anordnung einer
unsinnigen Maschine sollte die Kreislaufregulation allerdings möglichst funktionieren. Beide,
der Kinderfilm und dieser Text, verfolgen dasselbe didaktische Ziel, zu zeigen, wie Dinge
voneinander abhängen, damit etwas funktionieren kann.
Die Situation im Liegen
Im Liegen sind die Drücke im Gefäßsystem dominiert von den hämodynamisch wirksamen
Drücken. Das Herz fördert ein Schlagvolumen, bzw. das Herz-Zeit-Volumen (HZV) in den
Windkessel der dehnbaren herznahen Arterien vom elastischen Typ und erzeugt dabei einen
Druck. Über den peripheren Widerstand, der von den kleinen Arterien und speziell den
Arteriolen gebildet wird, fließt das Blut in den Geweben und Organen über die Kapillaren in
das Niederdrucksystem. Venolen, die kleinen und großen Venen leiten das Blut zum Herzen
zurück.
Wegen der inneren Reibung im fließenden Blut bestehen nach dem Ohmschen Gesetz in allen
Gefäßen Druckgefälle !P über dem jeweiligen Strömungswiderstand R der Gefäße. Dies
sind die hämodynamisch wirksamen Drücke, bzw. Druckdifferenzen. Der vom Herzen im
Windkessel aufgebaute mittlere arterielle Blutdruck Part . ist bis zum rechten Vorhof bis auf
wenige mmHg (4-6 mmHg) aufgebraucht. Die vom Herzen erzeugte Druck-Volumen-Energie
ist durch Reibung in Wärme überführt. Der Druck im rechten Vorhof entspricht dem
zentralen Venendruck ZVP. Der gesamte Druckabfall über alle Gefäß
widerstände, über den totalen peripheren Widerstand TPR ist nach dem Ohmschen Gesetz:
!Pges.=Part ."ZVP=HZV#TPR
Der Druck im rechten Vorhof, der ZVP ist im Vergleich zum arteriellen Blutdruck so gering,
dass man ihn für Betrachtungen des arteriellen Blutdrucks oft vernachlässigt. Mit dieser
Vereinfachung ergibt sich der Druck im arteriellen System nach dem Ohmschen Gesetz als
Produkt aus HZV und TPR (totalem peripheren Widerstand).
Part . = HZV ! TPR
Wenn die Herztätigkeit aufhört, das Herz-Zeit-Volumen also null ist, wird der
hämodynamische Druck ebenfalls null. Das Blut aus den arteriellen Gefäßen fließt in das
Niederdrucksystem bis sich die Druckgradienten ausgeglichen haben. Es herrscht dann in
allen Teilen des Gefäßsystems der statische Blutdruck. Dieser hängt nur von der
Gefäßkapazität und vom Füllungsvolumen des Gefäßsystems ab und liegt wenige mmHg über
dem zentralen Venendruck. Zusätzlich wirken in dem System kommunizierender Röhren
noch die durch die Schwerkraft bedingten hydrostatischen Drücke. Ganz genau genommen
würde der statische Blutdruck nur bei einem Herzstillstand in Schwerelosigkeit herrschen.
Unter dem Einfluss der Gravitation addieren sich dagegen immer hydrostatische Drücke.
Exkurs über den hydrostatischen Druck
Der hydrostatische Druck Phydrostat hängt nur von der Höhe h der Flüssigkeitssäule ab, die den
Druck durch ihre Dichte ρ im Schwerefeld der Erde ausübt:
Phydrostat = ! " g " h
(ρ und g bedeuten die Dichte der Flüssigkeit, also des Blutes und g die Erdbeschleunigung.)
Für ein System kommunizierender Röhren, wie es die Gefäße ja annähernd sind, ist deswegen
zu erwarten, dass die hydrostatischen Drücke Phydrostat nur von der Höhe h der hydrostatisch
wirksamen Blutsäule abhängen. Dementsprechend sollte sich der hydrostatische Druck in
Arterien und Venen, die sich in gleicher Höhe befinden, völlig gleich auswirken.
Vorraussetzung dafür ist aber, dass ununterbrochen durchgehende Flüssigkeitssäulen in den
Gefäßen bestehen. Das ist in den Venen aus zwei Gründen nicht immer der Fall: Zum einen
weisen die Venen in den Extremitäten Klappen auf, welche die Blutsäule vielfach unterteilen
können, zum anderen können die dünnwandigen Venen bei geringen transmuralen Drücken
kollabieren, was ebenfalls zur Unterbrechung der hydrostatisch wirksamen Blutsäule führt.
(Für technische Röhren mit starren Wänden spielt der hydrostatische Druck für die
hydrodynamischen Drücke und somit für den Durchfluss durch ein Rohrsystem überhaupt
keine Rolle so lange sich Zufluss und Abfluss auf gleicher Höhe befinden. Für eine
Druckleitung ist es völlig unerheblich, ob man die Leitung an einem Hindernis in einem Uförmigen Rohr über oder unter dem Hindernis vorbeiführt. Allenfalls die zusätzliche Länge
oder Sekundärströmungen oder Wirbel, die sich in Biegungen bilden können, wären für den
Strömungswiderstand zu berücksichtigen, nicht aber die Ab- oder Zunahmen des
hydrostatischen Druckes im Verlaufe eines solchen Rohrverlaufs. Der Fall, dass ein zu
großer hydrostatischer Druck ein Rohr platzen lassen könnte, sei hier mal außer Acht
gelassen.)
Der HIP
Wegen der geringen Höhendifferenzen spielen hydrostatische Drücke im Liegen
üblicherweise eine völlig untergeordnete Rolle. Die großen arteriellen und venösen
Gefäßstämme verlaufen in dieser Lage im Wesentlichen horizontal. Es existieren also in dem
System kommunizierender Röhren keine großen Höhendifferenzen. - Die geringen
hydrostatischen Drücke, die auch im Liegen vorhanden sind, führen immerhin dazu, dass sich
Ödeme beim auf dem Rücken liegenden Patienten auf dem Rücken bilden und dass sich nach
dem Tod Leichenflecken an der Unterseite des toten Körpers ausbilden. - Für die
hydrostatischen Drücke gibt es einen Bezugspunkt im Gefäßsystem, der hydrostatische
Indifferenzpunkt HIP. Dieser ist dadurch ausgezeichnet, dass der hydrostatische Druck
unabhängig von der Körperposition hier konstant bleibt - egal in welcher Lage sich der
Mensch befindet, ob er liegt, steht oder auf dem Kopf steht. Dieser HIP befindet sich etwas
caudal des Zwerchfells. Er lässt sich mit einem Katheter-Manometer in der Vena cava
tatsächlich experimentell aufsuchen.
Beim Aufrichten kommt die Gravitation in Spiel
Wird ein liegender Mensch passiv, zum Beispiel durch einen Kipptisch aufgerichtet, so
gewinnen wegen der auftretenden größeren Höhenunterschiede in den Gefäßen hydrostatische
Drücke an Bedeutung. Diese addieren sich zu den hämodynamisch wirksamen
Druckdifferenzen im Gefäßsystem. In allen Gefäßen oberhalb des hydrostatischen
Indifferenzpunktes sinken die Drücke, in allen Gefäßen unterhalb des HIP nehmen die Drücke
zu.
Der Druck in den Gefäßen der oberen Körperpartien
Im Kopf und Halsbereich nehmen die Drücke aufgrund des hydrostatischen Effektes ab. Dies
ist der erste Grund, warum Rezeptoren in den Großen zum Kopf führenden Arterien und im
Windkessel nach dem Aufrichten sofort einen verringerten Druck registrieren.
Auch der zentrale Venendruck nimmt zunächst aus rein hydrostatischen Gründen ab, weil der
rechte Vorhof bei aufrechter Haltung über dem HIP liegt. Die Dehnungsrezeptoren im rechten
Vorhof werden entsprechend ein verringertes Volumen registrieren.
Zwischendurch eine etwas genauere Betrachtung: Unterschiedliche Folgen für Arterien
und Venen (Dieser Abschnitt kann für den Gang der "Was-passiert- dann-Geschichte"
überschlagen werden, ggf. weiter bei "In den Beinarterien nimmt der Druck mit dem
Aufrichten schlagartig zu"
Allerdings sind die Verhältnisse in Arterien und Venen nicht ganz symmetrisch. In den
Arterien besteht tatsächlich eine durchgehende hydrostatische Drucksäule, weil die
Gefäßlumina der Arterien wegen der großen transmuralen Drücke immer geöffnet sind. In
den Venen sind die Dinge komplizierter: Oberhalb eines gewissen Niveaus kollabieren die
dünnwandigen Venen, nämlich dann, wenn der Venendruck aufgrund des hydrostatischen
Einflusses so gering wird, dass der transmurale Druck nicht ausreichend ist, das Gefäßlumen
offen zu halten, oder sogar leicht negativ gegenüber dem Umgebungsdruck wird. Letzteres ist
zu beachten, wenn man Venen punktiert oder katheterisiert: stets ist die Person so zu lagern,
dass ein nach außen gerichteter transmuraler Druck besteht, damit die Gefahr einer
Luftaspiration vermieden wird. So ist bei Operationen im Kopfbereich der Kopf tief zu
lagern, aber auch beim Anlegen eines Subclavia-Katheters.
Das Kollabieren der Hautvenen bzw. deren Wiederauffüllen lässt sich an der eigenen Hand
oder den Hautvenen des Unterarmes gewissermaßen im Selbstversuch beobachten. Dies geht
besonders gut in warmer Umgebung mit entsprechend starker Hautdurchblutung und
geringem Venentonus. In Abhängigkeit vom hydrostatischen Druck werden die Venen prall
gefüllt, wenn man die Hand herabhängen lässt. Sie entleeren sich zusehends, wenn man den
Arm sukzessive über das Herzniveau anhebt. Dabei ist deutlich zu erkennen, dass die Venen
bei erhobenem Arm tatsächlich kollabieren. Oft zeichnen sich die kollabierten Venen als
konkave Einziehung der Haut ab, was bei entsprechender Beleuchtung (im Streiflicht) gut zu
sehen ist.
Bei einem nach oben ausgestreckten Arm wird also der hydrostatische Druck wohl in den
Arterien, nicht aber in gleichem Maße in den Venen wirksam, weil letztere kollabieren, so
dass keine durchgehende Flüssigkeitssäule besteht. Der Venendruck wird dann nicht um den
gleichen Betrag negativ, um den der arterielle Druck abnimmt, sondern wird nur ungefähr auf
Null abnehmen oder vielleicht etwas negativ gegenüber dem Umgebungsdruck sein.
An diesem Verhalten der dünnwandigen Venen wird klar, welche Bedeutung es hat, dass die
Gefäße des Zentralnervensystems von einem Liquorraum umgeben sind, in dem sich
hydrostatische Druckänderungen gleichsinnig wie in den Gefäßen auswirken, so dass der
transmurale Druck im wesentlichen erhalten bleibt. Die Venen im Liquorraum dürften
deswegen von hydrostatischen Druckänderungen zumindest wesentlich weniger beeinflusst
werden als die Venen außerhalb zum Beispiel im Gesicht. Entsprechendes gilt
selbstverständlich auch für die Arterien im Liquorraum.
Eine praktische Bedeutung hat der Venenkollaps beim Arbeiten mit über dem Kopf
ausgestreckten Armen. Während der arterielle Blutdruck entsprechend der hydrostatisch
wirksamen Höhe abnimmt, sinkt der Venendruck nur etwa bis auf Null ab, weil die Venen
dann kollabieren. Diese ungleiche Abnahme des Druckes verringert die arterio-venöse
Druckdifferenz und damit den wirksamen Perfusionsdruck. Wegen der geringeren
Durchblutung ist Muskelarbeit mit über dem Kopf ausgestreckten Armen besonders
ermüdend.
In den Beinarterien nimmt der Druck mit dem Aufrichten schlagartig zu.
In den Gefäßen unterhalb des hydrostatischen Indifferenzpunktes nehmen die hydrostatischen
Drücke zu. Allerdings erfolgen die Druckzunahmen unterschiedlich schnell. In den Arterien
erfolgen die hydrostatischen Druckänderungen sofort ohne Verzögerung. Denn die Arterien
sind durchgehend offen, so dass wie bei kommunizierenden Röhren durchgehende
Drucksäulen bestehen, die hydrostatisch wirksam sind. Mit dem Aufrichten vom Liegen zum
Stehen steigt der Druck in der Fußrückenarterie oder in der Arteria tibialis posterior
schlagartig von 90 oder 95 mmHg auf vielleicht 180 oder 190 mmHg an. Die Werte sind
Beispiele, die im Einzelfall von dem Ausgangsblutdruck und der Körpergröße abhängen. alle
hier genannten Werte sind keine Naturkonstanten, sondern Beispiele!
Venenklappen verhindern das Versacken des Blutes
In den Venen erfolgt der Druckanstieg dagegen verzögert. Beim Aufrichten schließen die
Klappen in den Venen der Beine. Sie verhindern so einen Rückstrom peripherwärts und
unterteilen die Blutsäule in viele kurze Segmente. Da sich so in den Venen zunächst keine
durchgehende hydrostatische Drucksäule ausbildet, ist der Venendruck beispielsweise auf
dem Fußrücken oder in der Vena saphena magna in Knöchelhöhe unmittelbar nach dem
Aufrichten noch gering. Andererseits gibt es dadurch, dass die Venenklappen nach dem
Aufrichten zunächst geschlossen sind, auch keinen venösen Rückstrom aus diesen Venen zum
rechten Herzen. Der venöse Rückstrom aus den Beinen ist, wenn nicht Null, so doch
erheblich reduziert. Dies trifft zu, bevor überhaupt Blut "in die Beine versackt" ist, wie man
häufig lesen kann.
Eine große arterio-venöse Druckdifferenz steigert die Durchblutung in den Beinen
Der mit dem Aufrichten unmittelbar gesteigerte Druck in den Arterien der unteren Extremität
und der zunächst noch geringe Druck in den Venen bedeutet eine erhöhte arterio-venöse
Druckdifferenz. Nach dem Ohmschen Gesetz bewirkt diese eine Steigerung der Stromstärke
über den peripheren Widerstand. Dies hat zwei Folgen: zum einen ist die Beindurchblutung
unmittelbar nach dem Aufrichten erhöht. Zum anderen strömt das Blut schneller aus dem
arteriellen Windkessel. Dies ist der zweite Grund, weswegen die Pressorezeptoren in
Carotissinus und Aortenbogen einen geringeren Blutdruck registrieren werden.
Klinische Anekdote als Einschub:
Die erhöhte Beindurchblutung aufgrund der unterschiedlichen hydrostatischen Drücke in
Arterien und Venen nach dem Aufrichten und die daraus folgende Steigerung der
Durchblutung machen sich Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit der
Beinarterien zu nutze. Bei sehr fortgeschrittener Stenosierung der Beinarterien kann wegen
der Unterversorgung der Gewebe ein Ruheschmerz auftreten. Dies geschieht wegen der
„Nachtabsenkung“ des arteriellen Blutdrucks bevorzugt im Schlaf. Die Patienten wachen vor
Schmerz auf, richten sich im Bett auf und lassen die Beine über die Bettkante baumeln. Wie
geschildert steigert die vergrößerte arterio-venöse Druckdifferenz die Durchblutung über die
verengten Arterien und baut das Versorgungsdefizit ab. Der Schmerz lässt nach, die Patienten
legen sich bis zur nächsten Schmerzattacke wieder schlafen.
Mit der Zeit steigt auch der Druck in den Beinvenen.
Das aus den Arterien über Arteriolen, Kapillaren und Venolen fließende Blut füllt dann
sukzessive die Venen. Die Venenklappen werden nach und nach geöffnet. Es bauen sich
immer größere Segmente durchgehender Drucksäulen auf. Der Venendruck steigt zunächst
steiler später flacher an, bis sich, wenn alle Klappen geöffnet sind, auch in den Venen
durchgehende Drucksäulen ausgebildet haben, die hydrostatisch wirksam sind. Um
Zahlenbeispiele zu nennen, der Venendruck am Fußrücken oder am Knöchel in der Vena
saphna magna steigt von vielleicht 10 bis 12 mmHg im Liegen auf 80 oder 90 mmHg im
Stehen. Der Wert ist wieder abhängig von der Körperlänge der Versuchsperson.
Bei längerem ruhigen Stehen wird die arterio-venöse Druckdifferenz in den Beinen wieder
hergestellt. Es herrschen, wenigstens idealerweise, dieselben hämodynamisch wirksamen
Druckdifferenzen wie im Liegen. Allerdings sind zu diesen Drücken je nach Höhe die
hydrostatischen Drücke addiert.
Es sei in dieser Geschichte nicht verschwiegen, dass die Steigerungen der transmuralen
Drücke in den Widerstandsgefäßen zur Erhöhung des myogenen Tonus, in den
Austauschgefäßen mit einer Steigerung des kapillären Filtrationsdrucks einhergehen. Ersteres
führt zur Verringerung der Beindurchblutung beim längeren Stehen, letzteres zu einer
Vermehrung der transkapillären Auswärtsfiltration, zur Vermehrung der interstitiellen
Flüssigkeit, zur Bildung eines physiologischen Ödems.
Doch der Hauptstrang der Geschichte geht einen anderen Weg:
Die Venen werden durch den hydrostatischen Druck gedehnt
Die Venen als Kapazitätsgefäße haben eine viel größere Compliance, d.h. Dehnbarkeit als die
Arterien. Unter dem erhöhten hydrostatischen Druck beim Stehen werden sie deswegen
gedehnt und nehmen ein vermehrtes Blutvolumen auf. Dabei werden sie durch das Blut, das
aus den Arterien über die Arteriolen, die Kapillaren und die Venolen fließt gefüllt. Dies gilt
wenigstens, solange die Venenklappen funktionstüchtig sind. Die Beinvenen der unteren
Extremität nehmen dabei geschätzt ein Volumen von etwa 500 ml auf. Dieser Vorgang wird
in vielen Lehrbüchern verkürzt als „Versacken von Blut in den Beinvenen“ bezeichnet. In der
Erzählung im Stile der „Was passiert dann Maschine“ zeigt sich, dass es eine ganze Kette
physikalisch-physiologischer Vorgänge ist, die sich dahinter verbirgt.
Der zentrale Venendruck zentral in mehrere Hinsicht
Die Verlagerung von Blut in die Kapazitätsgefäße der unteren Extremitäten führt dazu, dass
der venöse Rückstrom nach dem Aufrichten verringert bleibt. Dies ist neben der direkten
hydrostatisch bedingten Abnahme und dem nahezu kompletten Stop des venösen Rückstroms
aus den Beinen unmittelbar nach dem Aufrichten ein weiterer Grund dafür, dass der zentral
venöse Druck beim längeren Stehen gegenüber dem Liegen verringert ist.
Der zentrale Venendruck (ZVP) hat seinen Namen davon, dass er eben den Venendruck im
Zentrum vor dem rechten Herzen in den großen Venen oder bereits im rechten Vorhof
bezeichnet. Von zentraler Bedeutung ist dieser Druck aber noch in mehrerer Hinsicht: Er liegt
nahe am statischen Blutdruck und ist somit ein Maß für den Füllungszustand des
Gefäßsystems, speziell des Kapazitäts- oder Niederdrucksystems. Dies ist der Grund,
weswegen der ZVP in der Intensivmedizin häufig gemessen wird. Beispielsweise kann
anhand des ZVP entschieden werden, ob Volumen in den Kreislauf infundiert werden sollte
oder nicht. Beispielsweise zeigt ein Anstieg des ZVP bei der chronisch kongestiven
Herzinsuffizienz die Wasserretention an und ist in diesem Zusammenhang ein Maß für die
Insuffizienz.
Der Frank-Starling-Mechanismus mal rückwärts gedacht
Physiologisch ist der zentrale Venendruck auch deswegen von zentraler Bedeutung, weil er
der Füllungsdruck des rechten Herzens ist. Er bestimmt die Vorlast des Herzens. Der FrankStarling-Mechanismus wird gern und regelmäßig in der Weise dargestellt, dass eine Erhöhung
des venösen Blutangebots mit einer Erhöhung des ZVP und des enddiastolischen
Füllungsdrucks, einer Erhöhung des enddiastolischen Ventrikelvolumens, d.h. insgesamt einer
Erhöhung der Vorlast einhergeht. Das Herz beantwortet diese Erhöhung der Vorlast automatisch mit dem Auswurf eines vergrößerten Schlagvolumens. Beim Lagewechsel vom Liegen
zum Stehen und beim anschließenden ruhigen Stehen tritt der umgekehrte Fall ein: Der
venöse Rückstrom ist, wie an verschiedenen Stationen dieser Geschichte erzählt, verringert,
der zentrale Venendruck, der enddiastolische Füllungsdruck, das enddiastolische
Füllungsvolumen des Ventrikels, kurz die Vorlast des Herzens sind verringert. Entsprechend
wirft das Herz ein kleineres Schlagvolumen aus.
Ausnahmsweise ein Sprung in der Geschichte
An dieser Stelle sei ein Sprung vom rechten Herzen zu linken Ventrikel und ins arterielle
System erlaubt. Die ausgelassenen Zwischenschritte der Geschichte werden später
nachgeholt.
Das Ohmsche Gesetz für den Gesamtkreislauf: Der mittlere Blutdruck ist das Produkt
aus Herz-Zeit-Volumen und totalem peripheren Widerstand
Ein verringertes Schlagvolumen bedeutet bei gleicher Herzfrequenz ein verringertes HerzZeitvolumen, d. h. eine verringerte Gesamtstromstärke im Kreislauf. Das Herz pumpt pro Zeit
weniger Blut in den Windkessel. Bei gleichem Abfluss von Blut aus dem Windkessel in die
peripheren Organe und Gewebe resultiert eine Abnahme Blutdrucks. Nach dem Ohmschen
Gesetz wird der mittlere Blutdruck im arteriellen System aus dem Produkt von Herz-ZeitVolumen und totalem peripheren Widerstand bestimmt. (Siehe oben!)
Das Herz-Zeit-Volumen ergibt sich seinerseits aus dem Produkt von Herz-Schlagvolumen
und Herzfrequenz:
HZV =SV !HF
Schnelle Änderungen des Blutdrucks werden durch Reflexe beantwortet
In dieser Geschichte zeigte sich, dass der mittlere Blutdruck im Windkessel aus
verschiedenen Gründen im Stehen abnimmt: Zunächst ist der Druck im Aortenbogen und den
zum Kopf führenden Arterien direkt aus hydrostatischen Gründen verringert. Diese Arterien
liegen über dem hydrostatischen Indifferenzpunkt. Sodann ist unmittelbar nach dem
Aufrichten der Abstrom aus dem Windkessel wegen einer verstärkten Beindurchblutung
erhöht. Schließlich ist das Herz-Zeit-Volumen durch ein kleineres Herzschlagvolumen als
Folge eines verminderten venösen Blutangebotes reduziert. All dies führt dazu, dass der
mittlere Blutdruck abfällt. Der Blutdruckabfall wird durch den Pressorezeptorenreflex
beantwortet.
Was ist ein Reflex?
Ein Reflex ist eine Reaktion, die an über einen Reflexbogen abläuft. Ein Reflex ist also an
einen Reflexbogen geknüpft. Die Minimalausstattung eines Reflexbogens besteht aus
folgenden fünf Komponenten: dem Rezeptor, der Afferenz, mindestens einer zentralen
Synapse, einer Efferenz und einem Effektor.
Worauf reagieren Pressorezeptoren?
Adäquate Reize für die Pressorezeptoren im Aortenbogen und den Carotissinus sind der
Blutdruck und Blutdruckänderungen. Pressorezeptoren sind proportional-differential
Rezeptoren. Die Pressorezeptoren antworten auf die druckbedingte Dehnung der Gefäßwände
mit erhöhter Entladungsrate. Steile kurze Steigerungen des Drucks, wie sie während der
Austreibungsphase des Herzens vorkommen, werden durch kurze phasische Steigerung der
Aktionspotentialfrequenz beantwortet. Bleiben die Drücke länger auf einer Höhe, adaptieren
die Pressorezeptoren an diesen Druck. Ihre zunächst bei einer Druckänderung gesteigerte oder
verringerte Entladungsrate nähert sich wieder einem mittleren Niveau. Pressorezeptoren
haben auch bei normalem arteriellen Blutdruck eine (Ruhe-) Entladungsrate. Diese schwankt
im Rhythmus des Druckpulses.
Der Presorezeptoren-Reflex weist direkte und reziproke Verschaltungen auf.
Die Aktivität der Pressorezeptoren wird afferent über die Nervi vagi und glossopharyngei in
die Medulla oblongata geleitet. Die Fasern dieser Afferenzen enden im Nucleus tractus
solitarii. Von hieraus gibt es Verschaltungen zum Nucleus ambiguus. Über ein erregendes
Interneuron werden vagale Efferenzen zum Herzen erregt, sodass der Effekt einer vermehrten
Pressorezeptorenerregung eine ebenfalls vermehrte Aktivität parasympatischer Fasern am
Herzen (sog. parasympathische Kardiomotorneurone, kardioinhibitorische Neurone) ist.
An dieser Stelle gibt es ein Dilemma für jeden, der nicht selbst auf diesem speziellen Gebiet
der Neurophysiologie arbeitet und so auf sekundäre und tertiäre Quellen angewiesen ist: Ein
ausgewiesener Fachmann auf dem Gebiet des autonomen Nervensystems versichert, die
Verschaltung auf die parasympathischen vagalen Efferenzen geschehe über den Nucleus
ambiguus. Viele der üblichen Quellen wie Lehrbücher und Monographien folgen dem
allgemeinen Schema, dass die viszeromotorischen parasympathischen Efferenzen dem
Nucleus dorsalis nervi vagi entstammen. Andere Autoren wiederum schreiben, der Hauptteil
der präganglionären kardioinhibitorischen Vagusfasern des efferenten Schenkels des
Pressorezeptorenreflexes, entspränge dem Nucleus ambiguus, ein kleinerer Teil dem Nucleus
dorsalis nervi vagi.
Wie immer dem auch sei, festzuhalten ist, dass die von den Pressorezeptoren ausgehenden
afferenten Impulse nach Umschaltung im verlängerten Mark zu efferenten kardioinhibitorischen Impulsen über den N. vagus führen. Die Hemmung der Herztätigkeit durch den Vagus
erfolgt bereits in Ruhe bei normalem Blutdruck. Unterbrechen der von den Pressorezeptoren
ausgehenden Afferenzen führt akut zu Tachykardie und Blutduckanstieg. Die
Pressorezeptoren wurden aus diesem Grunde auch als „Blutdruckzügler“ bezeichnet.
Hemmung des Parasympathikus beispielsweise durch Atropin führt ebenfalls zur
Tachykardie. Diese Beispiele zeigen, dass der Parasympathikus in Ruhe den überwiegenden
Einfluss auf das Herz ausübt.
Eine weitere zentrale Verschaltung führt über Interneurone zu Neuronen in der rostralen
ventrolateralen Medulla, die eine tonische Ruheaktivität aufweisen und über Efferenzen für
den Ruhetonus der sympathischen Vasokonstriktorneurone und der sympathischen Neurone
zum Herzen verantwortlich sind. Die Verschaltung der Pressorezeptoren-Afferenzen auf diese
sympathischen Neurone führt aus dem Nucleus tractus solitarii in die caudale ventrolaterale
Medulla. Von hier projizierende hemmende Interneurone zu den tonisch aktiven Neuronen
der rostralen ventrolateralen Medulla. Mit der Überträgersubstanz GABA (γAminobuttersäure) hemmen diese Neurone die tonische Aktivität der rostralen ventrolateralen
Medulla und damit die Aktivität der sympatischen Efferenzen zu Herz und Gefäßen.
Eine erhöhte Aktionspotentialfrequenz der Afferenzen von den Pressorezeptoren führt über
diese reziproke Verschaltung zur Hemmung der sympathischen Efferenzen.
Wie wirken sich diese Verschaltungen nach dem Lagewechsel an Herz und Gefäßen
aus?
Das passive Aufrichten hatte wie in den Schritten oben geschildert eine Abnahme des
Blutdrucks in den zum Kopf führenden Arterien zur Folge. Die Pressorezeptoren werden
entsprechend weniger erregt, eine verminderte Aktionspotentialfrequenz in den Afferenzen
hat nach der beschriebenen Umschaltung in der Medulla oblongata folgende Effekte:
Die parasympathische Aktivität am Herzen wird gehemmt.
Die direkte Umschaltung über erregende Neurone vom Nucleus tractus solitarius auf den
Nucleus ambiguus führt zu reduzierter Aktivität in den vagalen Efferenzen zum Herzen. Die
kardioinhibitorischen parasympathischen Einflüsse auf den Sinusknoten, die Vorhöfe und den
Atrioventrikulaknoten, die in Ruhe typischerweise überwiegen, werden hierdurch
abgeschwächt. Die Folge ist eine Zunahme der Herzfrequenz (chronotrope Wirkung) sowie
positiv inotrope bzw. positiv dromotrope Wirkungen am Vorhofmyokard bzw. dem
Atrioventrikularknoten.
Die sympathische Aktivität wird verstärkt
Auf die sympathische Aktivität haben die verringerten Aktionspotentialfrequenzen in den
Affererenzen von den Pressorezeptoren einen reziproken Effekt. Die spontanaktiven Neurone
in der rostralen ventrolateralen Medulla werden durch die hemmenden Interneurone weniger
gehemmt. Entsprechend nimmt die Aktivität in den sympathischen Efferenzen zu.
Der Sympathikus entfaltet vermehrte Aktivität an Herz und Gefäßen
Am Herzen führt die gesteigerte sympathische Aktivität zu positiv chronotroper Wirkung am
Sinusknoten und den Vorhöfen. Hier wird der Effekt einer geringeren Vagusaktivität
verstärkt. Zusätzlich entfaltet die verstärkte sympathische Aktivität am Kammermyokard eine
positiv inotrope Wirkung.
Die Wirkungen auf das Herz
Hämodynamische Resultate der Wirkungen von Parasympathikus und Sympathikus auf da
Herz sind, dass sowohl die Steigerung der Herzfrequenz als auch die Zunahme der
Kontraktionskraft von Vorhöfen und Kammern eine zumindest teilweise Kompensation des
mit dem Aufrichten verringerten Herz-Zeitvolumens erreichen. Die positiv inotropen Effekte
fördern sowohl über eine schnellere und verstärkte Kontraktion als auch über eine schnellere
Erschlaffung den Ventilebenenmechanismus zur Förderung des venösen Rückstroms und die
diastolische Füllung der Ventrikel. Gleichzeitig wird das Schlagvolumen auf Kosten des
Restvolumens gesteigert. Alle diese Reaktionen führen allerdings nicht zur vollständigen
Kompensation. Das Herzzeitvolumen bleibt trotz Steigerung der Herzfrequenz und der
Ejektionsfraktion beim ruhigen Stehen gegenüber dem Liegen erniedrigt.
Die Wirkungen auf die Gefäße
Die gesteigerten Entladungsraten in sympathisch-adrenergen Vasokonstriktorneuronen führen
über die Freisetzung von Noradrenalin aus den Varikositäten der postganglionären
sympathischen Fasern zur Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur, zur Erhöhung des
Gefäßtonus. Dies führt in den kleinen Arterien und Arteriolen, also den Widerstandsgefäßen,
zu Steigerungen des peripheren Widerstands. Das Blut fließt langsamer aus dem Windkessel
des arteriellen Systems über den peripheren Widerstand und die Kapillaren in das
Niederdrucksystem. Die Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur in den venösen Gefäßen
verringert die Kapazität des Niederdrucksystems. Der im Stehen verringerte venöse
Rückstrom wird hierdurch tendentiell wieder etwas kompensiert.
Auch vom Niederdrucksystem gehen Reflexe aus
Bisher wurden nur die Reaktionen als Folge einer verminderten Pressorezeptorenerregung im
arteriellen System beschrieben. Tatsächlich befinden sich auch im Niederdrucksystem
Dehnungsrezeptoren, die ganz ähnliche Antworten bei Lagewechsel bewirken. Es wurden
verschiedene Rezeptoren in den Herzvorhöfen, speziell am Übergang von den Venen zu den
Vorhöfen beschrieben und charakterisiert. Diese Rezeptoren werden wie die Pressorezeptoren
durch Dehnung erregt. Da sie sich jedoch im Niederdrucksystem befinden ist es folgerichtig,
diese Dehnungsrezeptoren Volumenrezeptoren zu nennen. Denn die Druckvolumenkurve des
Niederdrucksystems verläuft viel flacher als die des arteriellen Systems. Die Compliance des
Niederdrucksystems ist etwa um zwei Größenordnungen größer als die des arteriellen
Systems (50 bis 200 fach). Die Antworten auf eine verminderte Erregung der
Volumenrezeptoren in den Vorhöfen sind ähnlich wie die einer verminderten
Pressorezeptorenerregung. Allerdings sollen die Reflexe sich besonders auf das Herz und die
Nierendurchblutung, weniger auf die Muskeldurchblutung auswirken.
Die Wirkung auf die Nierendurchblutung erscheint plausibel und lässt sich leicht merken,
wenn man die weitere Rolle der atrialen Volumenrezeptoren im Rahmen der mittelfristigen
Herz-Kreislauf- und Volumenregulation über den Gauer-Henry-Reflex (Reflexwirkungen
über vagale Afferenzen, den Hypothalamus und die Neurohypophyse, Regulation der ADHAusschüttung aus dem Hypophysenhinterlappen) bedenkt. Auch die Freisetzung, bzw. beim
Stehen die verminderte Freisetzung von atrialem natriuretischem Peptid aus den Vorhöfen
und deren Wirkungen auf die Natrium und Wasserausscheidung gehören hierher. Macht man
sich über diese Vorgänge Gedanken, so ist bei einer Schilderung im Stile einer "Was-passiertdann-Geschichte" besonders auf die Vorzeichen zu achten. Beim Stehen beispielsweise
werden die Vorhöfe weniger gedehnt, weil sie oberhalb des HIP liegen und der venöse
Rückstrom vermindert ist. Dies führt zu geringerer Erregung der Volumenrezeptoren.
Entsprechend wird die Freisetzung von ADH aus dem HHL weniger gehemmt, die
Rückresorption von Wasser aus den distalen Tubuli und Sammelrohren der Niere gefördert,
die Diurese gehemmt. Entsprechend wird die Freisetzung von ANP verringert.
Was ist das Ergebnis der Störung und der darauf folgenden Kreislaufregulation?
Nach dem Aufrichten einer Person wird der Blutdruck kurz abfallen. Viele Menschen spüren
dies an kurzem Schwindel oder andeutungsweisem "Schwarz vor Augen werden". In dieser
Phase kann der linke Ventrikel einige Schlagvolumina aus dem zentralen Blutvolumen des
Lungenkreislaufs entnehmen, und damit den stark verringerten venösen Rückstrom zum
rechten Vorhof kurz überbrücken, bis die geschilderten Reflexantworten wirksam werden.
Mit Einsetzen der Reaktionen wird die Herzfrequenz ansteigen, der systolische Blutdruck
wird leicht verringert sein, wieder auf das ursprüngliche Niveau wie im Liegen ansteigen oder
sogar etwas erhöht sein. Ersteres lässt sich aus der Abnahme des Schlagvolumens erklären,
letzteres aus der positiv inotropen Wirkung am Herzen plausibel machen: das verringerte
Schlagvolumen wird mit größerer Kraft schneller aus dem Ventrikel geworfen, was einen
steileren Druckanstieg bewirkt. Der diastolische arterielle Blutdruck wird leicht ansteigen.
Erklärbar ist dies mit der Zunahme des totalen peripheren Widerstands und mit der Steigerung
der Herzfrequenz. Die Blutdruckamplitude wird verringert sein. Dies entspricht dem kleineren
Schlagvolumen und der Verkürzung der Herzperiode (Herzfrequenzerhöhung). Insgesamt
wird der Kreislauf beim ruhigen Stehen mit einem verringerten Herz-Zeit-Volumen einige
oder auch längere Zeit stabil reguliert werden. Früher oder später wird eine aufrechte
Körperhaltung ohne Bewegung zum Kreislaufkollaps führen. Eine Extremform des
orthostatischen Kreislaufversagens ist die in der Antike übliche Form der Hinrichtung, die
Kreuzigung.
Was wurde in dieser "Was-passiert-dann-Geschichte" übergangen?
Obwohl die Geschichte bereits jetzt wesentlich länger geworden ist, als ursprünglich
vorausgedacht, sind doch noch manche Schritte ausgelassen. So kann man noch erzählen, wie
die Signale von der Medulla oblongata über den Vagus, dessen prä- und postsynaptischen
Fasern zum Herzen gelangen, dass in diesem Teil des vegetativen Nervensystems
Acetylcholin die Überträgersubstanz ist, dass dieser Transmitter in den vegetativen Ganglien
nikotinische Rezeptoren erregt und zur Öffnung von ligandengesteuerten Kanälen führt,
welche postsynaptisch Einwärtsströme und damit exitatorische postsynaptische Potentiale
(EPSPs) erzeugen, dass aber am Herzen selbst das ACh aus den postganglionären
parasympathischen Fasern an muskarinischen Rezeptoren wirkt, teils über inhibitorische GProteine, Hemmung der Adenylatcyklase und Reduktion des cyklischen
Adenosinmonophosphats (cAMP), teils aber auch über einen rezeptorgesteuerten
Kaliumkanal.
Für die postganglionäre Überträgersubstanz des Sympathikus, das Noradrenalin lässt sich die
Geschichte ebenfalls erweitern. β-Rezeptoren am Herzen, α- und β-Rezeptoren an den
Gefäßen, unterschiedliche Verteilungen dieser Rezeptoren an Muskulatur und Haut...
Aber auch die "einfache" Mechanik der Flüssigkeiten wurde nicht vollständig behandelt.
Zwar wurde eingeschoben, dass Venen kollabieren können oder dass die Venenklappen die
Drucksäule unterteilen können, auch wurde nebenbei die hydrostatische Rolle des Liquor
cerebrospinalis erwähnt, entsprechend müssten aber auch die Drücke im Thorax und im
Bauchraum betrachtet werden. Die Folgen der Steigerung der transmuralen Drücke in den
Austauschgefäßen der unteren Extremität, die zu einer vermehrten Auswärtsfiltration von
Flüssigkeit ins Interstitium und somit zum Flüssigkeitsverlust des Intravalsalraums führt,
wäre genauer zu besprechen. Schließlich könnte man sich mit den Störungen der
orthostatischen Regulation beschäftigen.
Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste.
Deswegen bricht die Geschichte der "Was-passiert-dann?-Maschine" hier ab. Sinn war es,
einmal zu zeigen, wie viele Schritte in einer Kette von Vorgängen oft genannt werden
können, in einer Kette, die manchmal ganz verkürzt mit einem Schlagwort benannt wird.
Üblicherweise hat man nicht die Zeit oder die Kenntnisse, sich alle Schritte zu
vergegenwärtigen. Man ist gezwungen, sich auf eine Auswahl zu beschränken, allein um den
Überblick nicht zu verlieren und sich nicht zu verzetteln. Innerhalb einer zu treffenden
Auswahl von Ereignissen sollte man aber das Prinzip der Folgerichtigkeit, also das Prinzip
der „Was-passiert-dann-Maschine“ beachten. Ein solches Vorgehen hilft sehr, Mängel und
Widersprüche zu entdecken, sei es in den eigenen Kenntnissen, sei es in den Darstellungen in
Lehrbüchern, sei es in den Kenntnissen überhaupt. Ein Sachverhalt, den man nicht in dieser
Weise darstellen kann, ist vermutlich noch nicht genügend klar. So zumindest meine
Vermutung.
© Carsten Stick Dezember 2006, letzte Änderung 19. Mai 2009
Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. Carsten Stick
Institut für Medizinische Klimatologie der
Universität Kiel
Olshausenstr. 40
23098 Kiel
Email: [email protected]
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