MEDIZIN ÜBERSICHTSARBEIT Herztumoren – Diagnostik und chirurgische Therapie Andreas Hoffmeier, Jürgen R. Sindermann, Hans H. Scheld, Sven Martens ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Primäre Herztumoren stellen auch in großen herzchirurgischen Zentren eine Rarität dar, das optimale Therapieregime insbesondere bei bösartigen Tumoren ist bislang aufgrund der geringen Fallzahlen nicht evidenzbasiert. Methode: Selektive Literaturrecherche in PubMed mit folgenden Suchbegriffen: cardiac tumor, heart tumor, cardiac myxoma, cardiac sarcoma. Zusätzlich stellen die Autoren operative Techniken und Langzeitergebnisse von 181 Patienten vor. Ergebnisse: Patienten mit Herztumoren haben meistens unspezifische Symptome, die von der Lokalisation und Infiltration abhängen. Neben der Anamnese stützen in der Regel Echokardiographie und gegebenenfalls Computerund Magnetresonanztomograhie die Diagnose. Basierend auf Autopsiestudien beträgt die Häufigkeit von Herztumoren 0,02 %, hiervon sind 75 % benigne und 25 % maligne. Myxome sind mit 50–70 % die häufigsten benignen Tumoren, und Angiosarkome sind mit 30 % die häufigsten malignen Neoplasien, gefolgt von Rhabdomyosarkomen (20 %). Etwa 10 % aller Tumorpatienten entwickeln Herzmetastasen, die aber selten klinisch in Erscheinung treten. Von 1989 bis 2012 wurden in der Klinik der Autoren 181 Patienten mit Herztumoren operiert. Die 5-Jahresüberlebensrate bei benignen Tumoren (n = 139) betrug 83 %, bei malignen Tumoren (n = 26) 30 % und bei Metastasen (n = 16) 26 %. Schlussfolgerung: Patienten mit Herztumoren müssen rasch in einem spezialisierten Zentrum operiert werden. Dies gilt auch für die gutartigen Tumoren und insbesondere die Myxome, die durch Embolisation schwerwiegende Sekundärkomplikationen für den Patienten nach sich ziehen können. ►Zitierweise Hoffmeier A, Sindermann JR, Scheld HH, Martens S: Cardiac tumors—diagnosis and surgical treatment. Dtsch Arztebl Int 2014; 111(12): 205–11. DOI: 10.3238/arztebl.2014.0205 Department für Herz-Thoraxchirurgie, Klinik für Herzchirurgie, Universitätsklinikum Münster, Westfälische Wilhelms-Universität Münster: Prof. Dr. med. Hoffmeier, Prof. Dr. med. Sindermann, Prof. Dr. med. Scheld, Prof. Dr. med. Martens Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 bwohl das Vorkommen von Herztumoren seit dem Mittelalter bekannt ist (1), stellen sie auch heute oftmals ein diagnostisches Chamäleon und eine therapeutische Herausforderung dar. Seit der ersten erfolgreichen Resektion eines Myxoms unter Anwendung der Herzlungenmaschine durch Crafoord 1954 (2) wurden die herzchirurgischen Techniken weiterentwickelt, so dass auch die Resektion maligner Tumoren möglich wurde. Es liegen keine großen Studien zur optimalen Therapie insbesondere der malignen Formen vor, häufig finden sich nur Einzelfallberichte. Die komplette Resektion in Kombination mit Chemo-/Radiotherapie ist mit Ausnahme der Lymphome die Therapie der Wahl. Basierend auf großen Autopsieserien beträgt die Häufigkeit der Herztumore 0,02 % (3). 75 % der Tumore sind benigne, 25 % maligne (3). Metastasen werden mit über 10 % bei Tumorerkrankten am Sektionstisch wesentlich häufiger als primäre Neubildungen des Herzens diagnostiziert. Das Vorhofmyxom ist der häufigste primäre kardiale Tumor des Erwachsenen. Bei Kindern tritt überwiegend das Rhabdomyosarkom auf (3, 4). Die Erfahrungen der Autoren aus 23 Jahren fasst die Grafik zusammen. O Klinisches Bild Die Symptome präsentieren sich unspezifisch in Abhängigkeit von der Lokalisation, der Infiltration und unabhängig von der Tumorart. Die Sekundärkomplikationen zeigen, dass nach Diagnosestellung eines Herztumors immer eine dringliche Operationsindikation besteht, auch dann, wenn es sich um einen gutartigen Tumor handelt (5–7). Allgemeinsymptome Häufig manifestieren sich Herztumore – insbesondere Lymphome – durch subfebrile Temperaturen, Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Myalgien, Nachtschweiß, Husten oder eine Leukozytose (7, 8). Bei malignen Tumoren findet sich häufig ein blutiger Perikarderguss (6). Obstruktion Tumoren im Bereich der Vorhöfe oder Atrioventrikularklappen können eine Einengung der Einflussbahn verursachen und so das Bild einer Mitral- beziehungsweise Trikuspidalklappenstenose hervorrufen. Mobile, gestielte Neoplasien führen in der Regel zu einer paroxysmalen Herzinsuffizienz beziehungsweise Dyspnoe in 205 MEDIZIN GRAFIK 116 Myxom 13 Metastasen anderer Tumoren 11 Fibroelastom 7 Angiosarkom 7 Sarkom, gering differenziert 9% 4 Nierenzellkarzinom lipomatöse Hyertrophie 3 Fibrom 3 Lymphom 3 Rhabdomyosarkom 2 Rhabdomyom 2 14 % n = 181 1989–2012 2 Liposarkom Leiomyosarkom 1 Osteosarkom 1 Lipom 1 Hämangiom 1 Fibrosarkom 1 malignes Phäochromozytom 1 Paragangliom 1 neuroendokrin 1 0 77 % benigne 20 maligne 40 60 Anzahl Metastasen 80 100 120 Inzidenz der Herztumoren, die im Zeitraum von 1989–2012 in der Klinik für Herzchirurgie des Universitätsklinikums Münster diagnostiziert und behandelt wurden. Abhängigkeit von der Körperhaltung (8–10). Bei wandinfiltrierendem Wachstum kann das Bild einer hypertrophen oder restriktiven Kardiomyopathie entstehen. Klinisch imponiert das Bild einer Herzinsuffizienz (6). Durch ein Einwachsen in die obere Hohlvene kann auch ein Vena-Cava-superior-Syndrom ausgelöst werden. Arrhythmien Herzrhythmusstörungen und insbesondere AV-Blockierungen können durch tumoröse Infiltration der Leitungsbahnen beziehungsweise des Myokards entstehen. Dies gilt insbesondere für Fibrome. Manchmal manifestiert sich ein Herztumor klinisch erstmalig als plötzlicher Herztod (5). Embolisation Häufig werden Herztumoren erst nach einem Schlaganfall, einer Embolie in periphere Gefäße oder einer Lungenarterienembolie diagnostiziert, die durch abgelöste Tumoranteile beziehungsweise Mobilisation von thrombotischen Auflagerungen verursacht werden. Dabei ist auch an gekreuzte Embolien zu denken (5). Deshalb sollten alle im Rahmen einer therapeutischen Maßnahme gewonnenen Emboliefragmente histologisch untersucht werden. Insbesondere Myxome neigen durch ihren gallertartigen Aufbau zur Embolisation (5, 10). 206 Diagnostik Bei Verdacht auf einen Herztumor muss differenzialdiagnostisch zunächst ein Thrombus oder eine Vegetation ausgeschlossen werden. Im Rahmen der Anamnese sollte auch an die myxomatoiden Syndrome gedacht werden. Nach der Anamnese stellt die Echokardiographie das erste diagnostische Verfahren dar (Abbildung 1) (11). Kann ein Herztumor mit Hilfe der Echokardiographie nicht bestätigt werden, kommen weiterführende Verfahren wie die Computertomographie (Abbildung 2) oder die Magnetresonanztomographie zum Einsatz (8, 12). Mit Hilfe der 18F-FluordeoxyglukosePositronenemissionstomographie/Computertomographie-(FDG/PET-CT-)Untersuchung war es den Autoren möglich, mit einer Sensitivität von über 90 % zwischen benignen und malignen Prozessen zu unterscheiden (Abbildung 3) (13). Wird im Rahmen dieser Untersuchungen der Verdacht auf ein Malignom bestätigt, muss eine weiterführende Diagnostik erfolgen. Lässt sich kein Tumor in einem anderen Organ finden, ist von einem primär malignen Herztumor auszugehen. Besteht der Verdacht auf ein Lymphom, sollte dieser rasch mit einer Biopsie histologisch gesichert werden, um im Anschluss eine Behandlung mit Chemo- und/oder Strahlentherapie einzuleiten (14). Bestehen Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung, sollte die Diagnostik um eine Koronarangiographie oder CT-KoronarDeutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 MEDIZIN angiographie ergänzt werden, um im Rahmen der Herztumoroperation auch bestehende Koronarstenosen mit einem Bypass zu versorgen. Eine Angiographie ist auch manchmal hilfreich, um die Ausdehnung von stark vaskularisierten Tumoren – zum Beispiel Angiosarkome – zu bestimmen. Primäre Herztumoren müssen dann – wenn möglich – zeitnah komplett reseziert werden (Abbildung 4). Benigne Tumoren Myxome Epidemiologie – Unter den primären Herztumoren beträgt der Anteil der Myxome je nach Publikation 50–70 %, Grafik (4, 9, 10, 15, 16). Die Myxome treten häufig im mittleren Lebensalter auf und betreffen Frauen häufiger als Männer. Auch im Kindesalter kommen Myxome vor. Sie machen in dieser Altersgruppe jedoch nur 10 % der benignen Tumoren aus (3, 6). Makropathologie – Etwa 75 % aller Myxome entstehen im linken Vorhof, etwa 18 % sind rechtsatrial lokalisiert. Ein Auftreten in den Ventrikeln ist selten. Meistens wachsen Myxome polypartig gestielt in die betroffene Herzhöhle hinein und können diese im Extremfall ausfüllen. Während der Diastole ist auch ein Prolaps des Tumors in Richtung des Ventrikels möglich. Ihr Ursprung liegt meistens im Bereich der Fossa ovalis, selten entspringen sie dem subendokardialen Gewebe der Vorhofwände oder der Herzklappen. Der Tumor hat in der Regel eine weiche und gelatinöse Konsistenz, die Oberfläche ist meist spiegelnd-glatt und oft thrombotisch bedeckt. Myxome haben einen durchschnittlichen Durchmesser von 5 bis 6 cm (Abbildung 5), können aber auch bis zu 15 cm groß werden (17). Histopathologie – Es handelt sich um Neoplasien multipotenter Mesenchymzellen im subendokardialen Gewebe. Der exakte histogenetische Ursprung ist nicht endgültig identifiziert (18). Das histologische Bild ist geprägt von sogenannten Myxomzellen. Diese polygonalen und gelegentlich mehrkernigen Zellen haben ein eosinophiles Zytoplasma und sind von einem myxoiden Stroma umgeben. Degenerative Veränderungen wie zystische Formationen, Hämorrhagien, Fibrosierungen und Verkalkungen sowie Drüsenformationen kommen vor (Lithomyxome) (17). Myxomatoide Syndrome – Mehr als 90 % aller Myxome treten sporadisch auf und rezidivieren bei vollständiger Resektion selten (3, 6, 16). Dagegen entstehen etwa 10 % der Myxome familiär gehäuft im Rahmen des seltenen Carney-Syndroms. Dies bezeichnet die Kombination aus kardialen und kutanen Myxomen, endokriner Überfunktion (19) (Nebenniere, Hypophyse, Schilddrüse, Sertoli-Zellen) und Hyperpigmentierung der Haut in Form einer Lentiginose (20). Die Akronyme NAME (Nävi, atriale Myxome, myxoide Neurofibrome, Epheliden) und LAMB (Lentiginose, atriale Myxome, mukokutane Myxome und blaue Nävi) bezeichnen die Kombination gemeinsam auftretender Befunde und werden als Unterformen des Carney-Syndroms angesehen (21, 22). Als Ursache dieser Syndrome ist eine genetisch heterogene Mutation des TumorDeutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 Abbildung 1: Transösophageale Echokardiographie (circa 50 Grad) bei Myxom im rechten Vorhof. (TU, Myxom; RA, rechter Vorhof; AK, Aortenklappe; S, Vorhofseptum) Abbildung 2: Computertomographie Sarkom rechter Vorhof und Ventrikel (TU, Tumor; RV, rechter Ventrikel; LV, linker Ventrikel; LA, linker Vorhof; VCS, Vena Cava Superior) suppressorgens PRKAR1A (protein kinase A regulatory subunit-1-alpha gene) auf Chromosom 17q22–24 nachgewiesen (23). Charakteristisch sind das Auftreten der Myxome schon in jungen Jahren mit einem Häufigkeitsgipfel in der dritten Lebensdekade und eine Neigung zu Rezidiven auch nach vollständiger Resektion. Außerdem treten diese Myxome häufiger multizentrisch auf und zeigen oft eine atypische Lokalisation. Weitere gutartige Tumoren Alle weiteren benignen Herztumoren stellen Raritäten dar und werden nur kurz vorgestellt: 207 MEDIZIN tum. Lipome sind im Gegensatz zur LHIS meistens von einer Kapsel umhüllt (25). Rhabdomyom – Rhabdomyome stellen mit etwa 40–60 % die häufigsten primären Herztumoren im Kindesalter dar (26). Im Erwachsenenalter sind sie eine Rarität. Sie entsprechen einer fokalen hamartomatösen Ansammlung der quergestreiften Kardiomyozyten und stellen im engeren Sinn keine Neoplasien dar (25). Am häufigsten entstehen Rhabdomyome im Myokard des linken Ventrikels oder im interventrikulären Septum (25). Etwa die Hälfte aller Rhabdomyome sind mit der tuberösen Sklerose assoziiert und auch bei angeborenen Herzfehlern können begleitend Rhabdomyome auftreten (26). Makroskopisch erscheint der Tumor als einzelner oder häufiger multiple umschriebene, weißliche, in der Regel intramurale Knoten, die meist eine Größe von wenigen Zentimetern haben (25). Ein typisches Merkmal ist die Tendenz zur spontanen Rückbildung bei 50 % der Patienten (26). Abbildung 3: Positronenemissionstomographie/Computertomographie (PET-CT) kugeliges Sarkomrezidiv (TU, Tumor) Maligne Tumoren Die verschiedenen Sarkomformen haben an den malignen Herztumoren einen Anteil von bis zu 75 % und kommen in jeder Herzhöhle vor (Abbildung 6). Ihr Ursprung liegt jedoch häufig im rechten Vorhof. Unbehandelt überleben die Tumorpatienten nur wenige Monate (7, 16, 17). Angiosarkome Die infiltrierend wachsenden Angiosarkome (Abbildung 6) stellen mit 30 % die häufigste Form maligner Herztumoren dar. Sie entstehen aus mesenchymalen Angioblasten und treten gehäuft bei Männern im mittleren Lebensalter auf (3, 15, 27). Ihre Histologie zeigt eine Infiltration des Myokards mit Spindelzellen, die häufig hyperchromatine Kerne und mitotische Figuren in unterschiedlichen Stadien aufweisen. Auch Riesenzellen und ausgeprägte Nekrosen kommen vor. Die malignen Endothelzellen bilden vaskuläre Strukturen (15). Abbildung 4: Explantiertes Herz nach Ex-Situ-Resektion eines Sarkoms und bereits ersetzter Mitralklappe (MK) vor Reimplantation ( LA, Resektionsrand linker Vorhof; Ao, Aorta; PA, Pulmonalarterie; Pfeil, Kardioplegiekatheter) Papilläres Fibroelastom (endokardiales Papillom) – Das papilläre Fibroelastom ist ein seltener (5 %) gutartiger Tumor des (valvulären) Endokards. Es ist für drei Viertel aller Tumoren der Herzklappen verantwortlich (24). Das durchschnittliche Alter der betroffenen Patienten liegt bei 60 Jahren (24). Makroskopisch handelt es sich um weiße, gelatinöse im Blutstrom flottierende Gebilde, die an eine Seeanemone erinnern. Der Tumor ist meist 1–2 cm groß (6, 17, 24). Lipomatöse Hypertrophie (LHIS) und Lipom – Lipome und die LHIS entstehen durch eine gutartige, neoplastische Proliferation von reifen Adipozyten. Die lipomatöse Hypertrophie betrifft das interatriale Sep- 208 Rhabdomyosarkome Sie entstehen aus der quergestreiften Muskulatur des Herzens und stellen mit 20 % die zweithäufigste primäre maligne Herzerkrankung dar (3, 17). Beide Geschlechter sind gleich häufig betroffen. Rhabdomyosarkome können in jeder Herzkammer und auch multipel auftreten, sie wachsen invasiv. Makroskopisch erscheinen sie als weiche Knoten mit einer zentralen Nekrose, die auch die Herzklappen infiltrieren können (3). Diese aggressive Tumorart kann auch auf die umgebenden Organe übergreifen und das Perikard, die Pleura oder das Mediastinum infiltrieren. Fibrosarkome Sie machen circa 10 % aller malignen Formen aus und entstehen aus den Fibroblasten des Herzbindegewebes. Im Gegensatz zu den Fibromen kommen sie bevorzugt im Erwachsenenalter vor und können auch multipel auftreten (17). Dieser knotige, infiltrierend wachsende graue Tumor mit seiner festen Konsistenz entwickelt sich häufig im rechten Vorhof und wächst intrakavitär, Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 MEDIZIN aber auch das Perikard kann infiltriert werden. Histologisch sind gebündelte Spindelzellen ein Charakteristikum (27). Leiomyosarkome Diese aggressiv wachsenden Tumoren gehen von der glatten Muskulatur des Herzens aus und haben einen Anteil von 9 % an den primären malignen Herztumoren (28). Sie kommen in jedem Lebensalter vor und sind auf beide Geschlechter gleich häufig verteilt. Makroskopisch imponieren sie als weiche Masse, die über die Grenzen des Herzens hinaus wachsen. Histologisch findet man elongierte, eng gelagerte Spindelzellen. Dazwischen existieren Zonen zellarmer Areale (29). Li-Fraumeni-Syndrom Insbesondere bei jungen Herztumor-Patienten unter 45 Jahren mit bereits durchgemachten Tumorerkrankungen muss differenzialdiagnostisch an das autosomaldominant vererbte Li-Fraumeni-Syndrom gedacht werden. Als Entstehungsursache wird heute eine Mutation des TP53 Gens auf Chromosom 17p13.1 angenommen (30). Abbildung 5: Exzidiertes Myxom mit Basis Metastasen Durch hämatogene oder lymphogene Streuung können periphere Tumoren auch am Herzen zu Absiedlungen führen (26, 31). Die exakte Inzidenz bei Tumorpatienten ist unbekannt, die Angaben dazu stammen in der Regel aus großen Autopsiestudien. Mit über 10 % werden Herzmetastasen bei Tumorerkrankten am Sektionstisch wesentlich häufiger als primäre Neubildungen des Herzens diagnostiziert (26, 31). Klinisch treten sie jedoch viel seltener in Erscheinung, weil die Symptome der Primärerkrankung das klinische Bild beherrschen und die Prognose bestimmen (26). Makroskopisch sind kardiale Metastasen in der Regel solide, klein und können multipel vorkommen. Eine chirurgische Versorgung ist in der Regel kritisch zu sehen, da die Metastasen häufig nicht solitär und nicht nur im Herz auftreten. In Einzelfällen ohne weiteren Organbefall ist jedoch durchaus eine Resektion zu diskutieren, wenn der Befund komplett entfernt werden kann (32). Abbildung 6: Explantiertes Herz im Schnitt, Hämangiosarkom des linken Ventrikels (TU) Therapie Sobald die Diagnose eines Herztumors gestellt worden ist, sollte der Patient in einem interdisziplinär arbeitenden Zentrum behandelt werden. Entscheidend ist, dass das Vorgehen zwischen Onkologen, Strahlentherapeuten und Chirurgen eng abgestimmt wird. Insbesondere für Herzchirurgen stellen Herztumoren eine besondere Herausforderung dar, weil ein weites chirurgisches Spektrum beherrscht werden muss. Das behandelnde Herzzentrum muss daher die gesamte Palette der Herzchirurgie mit Erwachsenen- Kinder- und Rhythmuschirurgie sowie die Transplantation und die Kunstherzimplantation vorhalten. Das optimale Therapieregime insbesondere bei bösartigen Tumoren ist bislang aufgrund der geringen Fallzahlen nicht evidenzbasiert festgelegt. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 Einfache Tumorresektion Sie wird in der Regel bei gutartigen Tumoren wie Myxomen durchgeführt. Dabei muss der Anschluss der Herz-Lungenmaschine vorsichtig erfolgen, um kein Tumormaterial abzulösen. Deshalb eröffnen die Autoren bei der Operation beide Vorhöfe von der rechten oberen Pulmonalvene aus, ohne den Tumor oder seine Basis zu verletzen. Es gelingt dann, den Tumor mitsamt seiner Wurzel komplett aus dem Septum zu entfernen. Immer schließt sich die Inspektion aller Herzhöhlen zum Ausschluss weiterer Tumoren an (16). Der entstandene Defekt wird mit Patchmaterial rekonstruiert. Neben den üblichen Risiken eines Eingriffs mit Herz-Lungenmaschine ist dieser Eingriff komplikationsarm. 209 MEDIZIN TABELLE Übersicht über die aktuellen Erfahrungen und Langzeitergebnisse nach chirurgischer Therapie am Universitätsklinikum Münster* Alter des Patienten zum Operationstermin (Median Jahre) Geschlecht m/w (%) Häufigste Lokalisationen (%) Liegedauer postoperativ (Median Tage) Benigne (n = 139) Maligne (n = 26) Metastase (n = 16) 60,7 +/– 17,4 54,5 +/– 19,4 51,2 +/– 18,7 46/54 63/27 35/36 Li-Vorhof (70) Re-Vorhof (14) Re-Vorhof (39) Re-Vorhof (50) Li-Vorhof (35) Re-Ventrikel (50) Septum (37) 7,0 +/– 7,2 13,0 +/– 9,7 7,0 +/– 8,7 1-Jahres-ÜLR (%) 95 47 56 5-Jahres-ÜLR (%) 83 30 26 10-Jahres-ÜLR (%) 75 22 26 *korrespondierend zur Grafik, retrospektive Analyse (Stand: 01/ 2013); ÜLR, Überlebensrate; Li, links; Re, rechts Komplexe Tumorresektion Diese ist möglich, wenn sich die Geschwulst auf das Herz beschränkt und bei bösartigen Tumoren die umgebenden Gewebe nicht infiltriert hat. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien mit Befall des rechten Herzens kann die gesamte rechte Herzhälfte reseziert werden. Die Lungendurchblutung wird dann mit der aus der Kinderherzchirurgie bekannten Fontan-Zirkulation sichergestellt (16, 33). Eine chronische Rechtsherzinsuffizienz kann die Folge sein. Ex-Situ-Resektion Wenn die Hinterwand des linken Vorhofes oder auch die großen Gefäße dorsal in den Tumorprozess mit einbezogen sind, kann man das Herz zur sicheren Tumor-resektion auch aus dem Thorax herausnehmen, um die Tumoroperation präzise durchführen zu können. Versucht man in solchen Situationen, den Tumor konventionell zu resezieren, führt die ungenügende Tumoreinsicht zur inkompletten Resektion und damit zu ungünstigen Langzeitergebnissen. Nimmt man stattdessen das Herz aus KERNAUSSAGEN ● Patienten mit Herztumoren leiden oft unter unspezifischen Symptomen wie Gewichtsverlust, Abgeschlagenheit, Herzinsuffizienz, Arrhythmien und Embolisationen. ● Die Häufigkeit von Herztumoren beträgt in Autopsiestudien 0,02 %. ● 75 % der Tumoren sind benigne, wobei Myxome am häufigsten sind, und 25 % sind maligne Neoplasien, hier dominieren Angiosarkome und Rhabdomyosarkome. ● In der Klinik für Herzchirurgie des Universitätsklinikums Münster wurden von 1989 bis 2012 insgesamt 181 Patienten mit Herztumoren operiert. ● Die 5-Jahresüberlebensrate bei benignen Tumoren betrug 83 %, bei malignen dem Körper heraus, kann man alle Strukturen durch Drehung optimal einsehbar machen. Die Herzanatomie wird anschließend mit Kunststoffmaterial (Prothesen, Patches, Klappen) oder biologischem Gewebe wiederhergestellt und das so behandelte Herz reimplantiert (Abbildung 4) (34–37). Je nach Größe der resezierten Herzanteile kann eine Links- und/oder Rechtsherzinsuffizienz als Sekundärkomplikation resultieren. Implantation eines Kunstherzens (Total Artificial Heart [TAH]) Liegen keine Tochtergeschwülste vor und hat der Tumor das linke Herz mit befallen, so kann man auch als letzten Ausweg – insbesondere bei jüngeren Patienten – die Anwendung eines Kunstherzens in Betracht ziehen. Als Komplikationen nach erfolgreicher Implantation sind insbesondere Blutungen, Thrombosen, Infektionen und Embolien unter dem notwendigen Antikoagulationsregime erwähnenswert (38). Herztransplantation (HTx) Als letzte Möglichkeit kann in Einzelfällen auch eine Herztransplantation in Betracht kommen, wenn Fernmetastasen ausgeschlossen sind (39). Auch die Autoren haben dieses Verfahren bei 2 Patienten erfolgreich realisieren können. Eine besondere Gefahr für die Patienten besteht darin, dass zum Transplantationszeitpunkt nicht bekannte Mikrometastasen unter der notwendigen Immunsuppression in der Regel exazerbieren. Ergebnisse Die Ergebnisse der Autoren sowie auch die der Literatur weisen auf (8), dass die chirurgische Therapie der gutartigen Herztumoren in jedem Lebensalter ausgezeichnet ist und Rezidive äußerst selten sind. Im Langzeitverlauf ist die Tumorerkrankung nur selten Todesursache. In der Literatur zeigen die Langzeitergebnisse, dass die Prognose bei malignen Tumoren des Herzens ausgesprochen schlecht ist. Für das Überleben nach Diagnosestellung werden Zeiträume von sieben Monaten bis maximal zwei Jahren angegeben (8, 16, 17, 40). Die Mehrzahl der Patienten verstirbt im Langzeitverlauf im Rahmen einer Fernmetastasierung (16, 35, 40). Bei rein konservativer Behandlung mit Chemo- und Strahlentherapie ist mit einer Überlebensdauer von knapp einem Jahr zu rechnen (8, 40). Die einfache, nicht vollständige Resektion (Debulking) kann das Überleben nur kurzfristig um wenige Monate verlängern (8, 40). Überfuhr et al. berichteten im Jahr 2002 von vier Patienten, die aufgrund eines Herztumors transplantiert und prä- beziehungsweise postoperativ Chemotherapie erhielten. Mit dieser Methode konnte eine mittlere Überlebensdauer von 18 Monaten erreicht werden, ein Patient überlebte 37 Monate (39). Mit der radikal durchgeführten Resektion – unter Umständen in Kombination mit einer postoperativen Chemotherapie – gelingt es, die Langzeitergebnisse bei guter Lebensqualität zu verbessern Tabelle (16). Neubildungen 30 % und bei Metastasen 26 %. Die Arbeit wurde durch die DFG-Förderung HO 4295/2–1 unterstützt. 210 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 111 | Heft 12 | 21. März 2014 MEDIZIN Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 2. 8. 2013, revidierte Fassung angenommen: 3. 2. 2014 LITERATUR 1. 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