Psychosoziale Betreuung von erwachsenen CF-Patienten Holger Kirsch 3. Winterschool „Mukoviszidose beim Erwachsenen“ Obergurgl 5.3.-8.3.2007 Gliederung Problemstellung: Diffuse Angst vor Erwerb von Pseudomonas Aeruginosa und das Scheitern der Angstbewältigung Was wissen wir über Angstbewältigung? Bedeutung von Bindung und Mentalisierung für die Angstbewältigung Interventionsansätze: Was kann die Ärztin / der Arzt in der CF Ambulanz tun? Problemstellung: Diffuse Angst vor Erwerb von Pseudomonas Aeruginosa und das Scheitern der Angstbewältigung Interviewausschnitt : „..also für mich ging das soweit, dass ich mir bei einer Flasche Mineralwasser überlege ob ich Sybille da nach fünf Stunden noch ein Glas einschenken kann... oder ob da halt auch schon (stockt) also bei mir ist alles verkeimt…“ Ullrich und Steinkamp (2002) Mukoviszidose und Pseudomonas Aeruginosa: Infektionsangst und Maßnahmen zur Infektionsverhütung, VAS, Frankfurt Emotionale Reaktion und Handlungskonzepte Ullrich & Steinkamp (2002). Befragt wurden Eltern von Kindern, sowie Ärzte in CF Ambulanzen, die eigene Beschäftigung der Patienten bleibt außen vor (N=21 Trierer Persönlichkeitsfragebogen). Gefühlsebene N = Handlungsebene N= Stufe 1 Verleugnung Keine erkennbare Besorgnis (demonstrative Unbekümmertheit) Fatalismus 2 Es sind keine oder fast keine Maßnahmen erkennbar die spezifisch zur PA Vermeidung praktiziert werden 6 Stufe 2 Problembewusstsein aber ohne Anzeichen von gesteigerter Ängstlichkeit 12 Es lassen sich mehrere spezifische Maßnahmen als feststehendes Repertoire unterscheiden, d.h. es kommen nicht immer wieder Maßnahmen hinzu 8 Stufe 3 Sensitizer Stark besorgt mit Neigung zu angstbetonter Fixierung auf mögliche Ansteckungsquellen; Es geraten immer wieder neue mögliche Quellen in den Blick(im Extrem kann man den Eindruck haben, PA werde nachgerade „gesucht“) die Betreffenden bezeichnen sich selbst als sehr oder als übertrieben besorgt 7 Es existiert nicht nur ein ganzes Bündel an Maßnahmen, sondern die Schilderung des eigenen Handelns macht deutlich, dass immer wieder zusätzliche Maßnahmen hinzukommen 7 Arzt und Eltern in der „Beratungsfalle“ Hypothese: Es sind diffuse, intrapsychische Ängste die auf äußere Situationen verschoben werden. Existentielle Ängste werden verschoben auf die Angst vor Pseudomonasbesiedlung. z.B. Todesbedrohung (Auseinandersetzung mit Tx) - adoleszente Autonomie/Abhängigkeitskonflikte - Schuldgefühle und Gefühl des Versagens (Eltern) - Trieb- und Ambivalenzkonflikte - andere… Diese Ängste beeinflussen das Erleben und Verhalten erhöhte Ängstlichkeit beeinflusst Lebensqualität, Adherence/ Compliance und Therapiemotivation stört Exploration, Neugier und Wissensvermittlung aktiviert Bindungsmuster Kontrollbedürfnis sensitizer zeigen bei präoperativen Ängsten: längere Krankenhausaufenthalte, häufigere Komplikationen Was wissen wir über Angstbewältigung? In der Säuglingsforschung besteht Einigkeit darin, dass Affekte interaktionell moduliert werden, d.h. Angst wird von der Mutter einfühlsam reguliert, später wird diese Fähigkeit internalisiert. Eltern reagieren auf den Affektausdruck des Säuglings (z.B. Angst), sie markieren ihren spiegelnden Emotionsausdruck (als übertrieben und als eine Mischung aus verschiedenen Affekten), dies ermöglicht dem Säugling zu erkennen, dass die Mutter auf seinen Ausdruck reagiert und es nicht der Ausdruck der Mutter ist. Fonagy P, Target M ( 2002) Neubewertung der Entwicklung der Affektregulation vor dem Hintergrund von Winnicotts Konzept des „falschen Selbst“. Psyche 56: 839-862 Angst und die „zwischenmenschliche“ Entstehung von Angstbewältigung Der spiegelnde Ausdruck der Mutter entschärft die Angst des Kindes. Später wird das primäre Gefühl zusammen mit der Reaktion der Mutter als Gedächtnisspur, bzw. als Repräsentanz (Vorstellung) aufbewahrt. Das Affektspiegelungsmodell hat klargemacht, dass ein markierter und kongruenter Umgang mit den Affekten des Säuglings ihm ermöglicht, an den Reaktionen des Anderen ein Bild von den eigenen Zuständen zu gewinnen. Lit: Köhle (1996) in Uexküll: Psychosomatische Medizin, S.222-230, sowie Dornes (1993) Bindungsmuster Aus dieser Choreografie gegenseitiger Einfühlung entsteht ein Arbeitsmodell für die Bewältigung unangenehmer Affekte (Angst) und ein Modell für Beziehungen (Bindungsmuster) Im ersten Jahr etabliert sich ein spezifischer Bindungsstil mit hoher Stabilität (nachgewiesen bis ins Erwachsenenalter, sogar über mehrere Generationen). Die Bindungsmuster stellen Verhaltens- und Erlebensweisen des Kindes und des späteren Erwachsenen dar, die eingesetzt werden, wenn das Bindungssystem aktiviert wird also Schutz gesucht wird Man unterscheidet sicher gebunden von unsicher gebundenen Stilen (vermeidend, ambivalent, desorganisiert) Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst Mentalisierung ist eine Fähigkeit das Verhalten anderer Menschen vorauszusehen und zu erklären und zwar in Begriffen ihrer psychischen Befindlichkeiten, also dessen was sie annehmen, wünschen, hoffen, beabsichtigen. Sie ist eine kognitive Leistung, die dem eigenen Verhalten und dem anderer einen Sinn gibt... Sie ermöglicht Denken als Probehandeln, Reflexion als Instrument der Impulskontrolle und Affektregulation. Die Reifung ist abhängig von Interaktionserfahrungen, Bindung und dem affektiven Austausch mit den Bezugspersonen Lit. Fonagy, Gergely, Jurist, Target (2004) Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst Lotte Köhler (2004) Frühe Störungen aus der Sicht zunehmender Mentalisierung. F Psychoanal 20:158-174 das Mentalisierungskonzept beschreibt die kognitive Reifeentwicklung im 2.- 4. Lebensjahr abhängig von den Interaktionserfahrungen In kritischen Lebensphasen wird die Reflektionsfähigkeit behindert, dies betrifft u.a. die Einfühlung in Beziehungen, Angstbewältigung, Phantasiearmut, konkretistisches Denken Merkmale von gelungenen Mentalisierungsprozessen - flexibles Denken, ohne in einer Sichtweise zu erstarren. - Jeder kann seine Meinung oder seine Gefühle äußern. Die Gedanken und Gefühle der anderen werden berücksichtigt und respektiert. - Verständnis dafür, dass Verhalten von einer Person ausgeht und nicht etwas ist, was einem geschieht. - Liebevoller Humor. Formen der Mentalisierungsstörung Nicht-Mentalisieren führt zu dem Versuch, Verhalten zu kontrollieren, anstatt es zu verstehen. - Inneres Erleben wird nicht wahrgenommen. - Der Unterschied zwischen (inneren) Meinungen, Wünschen, Gedanken, Gefühle und der (äußeren) Realität wird nicht wahrgenommen - Verhalten wird durch äußere Kausalität (z.B. „Wir haben uns gestritten, weil es so heiß war“) anstatt durch innere Kausalität erklärt. - Äußere Regeln und Details werden wichtiger als Gefühle. Die Unfähigkeit, mit verschiedenen Sichtweisen zu „spielen“. Handeln, ohne zu denken. Pasco Fearon, Mary Target et.al. In: P. Fonagy und J. Allen (Hg.): Handbook of Menatization-based Therapy. Wiley Press (2006) Interventionsansätze: Was kann die Ärztin/ der Arzt in der CF Ambulanz tun? •Zuhören (Angst als Indikator für andere Konflikte?) •Informationsvermittlung Vertrauen in die Behandlung und Informationssuche sind die wichtigsten Copingmechanismen Intervention planen •Selbst •Vermittlung Psychologische/psychosoziale Betreuung im Team Die Betonung und Wiedererlangung einer Normalität bedeutet die Anerkennung der Kompetenz. Ein zu deutliches Drängen zur Hilfestellung stellt diese Kompetenz (des einzelnen und des Familiensystems) in Frage und wirkt eher destabilisierend, daher die häufige Abwehr oder die CFFamilie als „Trutzburg“ (Ullrich, 1997). Anstatt davon auszugehen dass die Familie / Person Probleme hat und Hilfe bedürfe liegt hier die Betonung auf den Fähigkeiten dass und wie die Person Krisen bisher gemeistert hat. „Dies impliziert eine Rolle des nicht wissenden interessierten und sokratisch fragenden Außenstehenden der Beziehung aufbaut.…“ Ullrich, Gerhard (1998): Mukoviszidose, Beiträge und Bibliographie zu psychosozialen Aspekten einer lebenslangen Erkrankung Lit. Fearon, Target et.al. In: P. Fonagy und J. Allen (Hg.): Handbook of Menatization-based Therapy. Wiley Press (2006), Übers. Kristin White 1. Identifizieren und Förderung von Mentalisierung/Reflektion 2. Förderung der Neugierde über das Innenleben. („Was glauben Sie, was in ihm jetzt vorgeht?“) 3. Wenn Mentalisierung in der Interaktion nicht stattfindet: Anhalten und Forschen. Nachfragen, was jedes Familienmitglied denkt und wie es sich fühlt. 4. Nicht-mentalisierende Teufelskreise erkennen, benennen und verstehen lernen. 5. Versteckte oder nicht ausreichend wahrgenommene Gefühle unterstreichen. 6. Einladen, die Dinge anders zu sehen. (Was ist, wenn die Behandlung / IV Antibiose nicht stattfindet?“ „Wie würde es Ihnen/ Ihren Eltern damit gehen?“) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Entwicklungsanforderungen bei 14-20 jährigen CF Patienten: - Ablösungskonflikte und Autonomie - Peer-Beziehungen unter dem Aspekt der Krankheitsprogression, Hygiene und Gefahr von Kreuzinfektionen - Balance zwischen Therapieanforderungen, konkurrierenden Interessen und Zielen - Therapie-Compliance - Lebensplanung unter dem Aspekt unsicherer Lebensperspektive, Berufsfindung und berufl. Integration - Partnerschaft, Sexualität und Familienplanung Hardt v.d., H, Hürter, P, Lange, K, Ullrich, G (1997): Versorgungssituation chronisch kranker Jugendlicher beim Übergang in das Erwachsenenalter, Expertise für das Bundesministerium für Gesundheit, VAS, Frankfurt. (S.128f) 14- 20 jährige CF-Patienten sind mehrheitlich nicht von gesunden Altersgenossen zu unterscheiden (von der Hardt et al 1997) Jugendliche und junge Erwachsene sind überwiegend gut angepasst und eine verminderte LQ ist erst in den letzten 2-3 Jahren zu erwarten. Systematische Befragungen (Shepherd et al 1990) zeigten keine signifikanten Unterschiede in „emotional und social support“, Lebenszufriedenheit, etc. (2) Hardt v.d., H, Hürter, P, Lange, K, Ullrich, G (1997): Versorgungssituation chronisch kranker Jugendlicher beim Übergang in das Erwachsenenalter, Expertise für das Bundesministerium für Gesundheit, VAS, Helms (1993) Growing up with Cystic fibrosis. Br.J.Hosp.Med. 326-332