Den Heranwachsenden verstehen und begleiten – die Mentalisierungsbasierte Therapie mit Adoleszenten (MBT-A) Univ. Prof. Dr. phil. Svenja Taubner Institut für Psychosoziale Prävention Universität Heidelberg [email protected] Inhalte: - Herausforderungen für die Gesundheit Adoleszenter - Merkmale der Adoleszenz - Mentalisierung - Entwicklung von Mentalisierung - Mentalisierung in der Adoleszenz - Psychopathologie und Mentalisierung am Beispiel von Gewalt - MBT-A HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE GESUNDHEIT ADOLESZENTER • Adoleszenz ist die Entwicklungsphase, in der ein Individuum seine Fähigkeiten für sein Erwachsenenleben erwirbt. • Größte Population der 10-24jährigen weltweit in der Geschichte der Menschheit und vermutlich Gesündeste (Nahrung, Bildung, Familiengründung, Technologiezugang) • Aber auch eine vulnerable Phase und so hat diese Altersgruppe den geringsten Gesundheitszuwachs bei verbesserter Ökonomie im Vergleich zu anderen Altersgruppen • Herausforderungen im Hinblick auf Lebensjahre und Todesfälle • „Multi-Burden countries“ (n=68) – Armut (HIV, Unterernährung) • Unfälle und Gewalt-Länder (n=28) • Länder mit Hauptlast nicht-übertragbarer Erkrankungen (psychische Störungen, chronische körperliche Erkrankungen) (n=92) • Größte Not in den NCB-Ländern haben die folgenden Minoritäten – LGBT, ohne festen Wohnsitz, junge Gewalttäter (haben eine 10mal höhere Wahrscheinlichkeit in der Adoleszenz zu sterben) GEWALT UND AGGRESSION Aggressionsentwicklung im Lebenslauf • Höhepunkt der Aggressionsentwicklung bei 2 Jahren (Nagin & Tremblay 2001, Shaw et al. 2003) • 75% der Kinder sind aggressiv! • Danach kontinuierliche Abnahme • ca. 6% zeigen stabiles körperlich-aggressives Verhalten, keine Unterschiede im IQ aber größere Furchtlosigkeit • 25% sind nie besonders aggressiv Gewalt wird verlernt, nicht erlernt! Gewalt markiert das Scheitern normaler Entwicklungsprozesse! Aggression in der Adoleszenz I • 10-20% der Jugendlichen sind psychopathologisch auffällig • Bestimmte psychische Erkrankungen beginnen in der Adoleszenz – Depression und Angst – Antisoziales Verhalten – Drogenabusus – Schizophrenie 11 Adolescent-Limited Path Life-Course Persistent Path (Moffitt 1993) Aggression in der Adoleszenz II • 62% der Todesfälle unter Jugendlichen als Folge tödlicher Verletzungen – Ursachen (Statistisches Bundesamt 2010) : • Verkehrsunfälle, Gewalt und Selbstverletzungen • Risikoverhalten (National Youth Risk Behavior Survey, Eaton et al. 2006) – Alkohol am Steuer, Fahren ohne Sicherheitsgurt – Tragen von Waffen – Substanzabusus – Ungeschützter Geschlechtsverkehr 13 Aggression in der Adoleszenz III • Einige Vereinfachungen: – „Gewalt ist jugendlich“ • Shell Jugendstudie 2006: 22% der Jugendlichen in letzen Jahr in Schlägereien verwickelt. – „Gewalt ist männlich“ • 2007: 83% der Körperverletzungen von Männern/ männlichen Jugendlichen – „Gewalt ist wiederholt“ • 50% aller registrierten Straftaten von 10% der jungen, männlichen Straftätern begangen (Daten aus Wahl, 2009) MERKMALE DER ADOLESZENZ Entscheidungs- und Risikoverhalten (Kambam & Thompson 2009) • „kalte“ Kognitionen (logisches Denken, Hypothesentestung) ist ab 14 Jahren auf dem Stand Erwachsener • „heiße“ Kognitionen in Situationen mit hoher emotionaler Involviertheit – Konformitätsdruck mit den Peers – Weniger Verantwortlichkeitsempfinden – Weniger langfristige Perspektive – Weniger Impulskontrolle – Mehr Wunsch nach „Belohnung“ oder „sensation seeking“ (Steinberg 2008) 16 Gehirnentwicklung während der Adoleszenz (Giedd et al., 1999) • vermutlich existiert eine Überproduktion von Synapsen in der Präadoleszenz • vermutlich wird die Zahl der Synapsen während der Adoleszenz „verschlankt“ • die Adoleszenz ist also eine „gestalterische Phase“ der Hirnentwicklung • erfahrungsabhängig 17 Ungleichgewicht zwischen limbischer und kortikaler Entwicklung in der Adoleszenz Neurofunktionelle Entwicklung (Casey et al. 2008) Limbische Areale Präfrontaler Kortex Adoleszenz Maturierung 4-25 Jahre Alter 18 Entwicklung des Gehirns • “Windows of vulnerability” = kritische Entwicklungsphasen, in denen das Gehirn spezifische Fertigkeiten oder Funktionen entwickelt • Unterschiedliche kritische Entwicklungsfenster in Bezug auf verschiedene Hirnregionen • Wenn die Chance des Übens einer bestimmten Fertigkeit versäumt wird, so kann das Kind/ der Adoleszente dies nie lernen oder nur eingeschränkt. (Lupien et al., 2009; Teicher et al., 2008) Vulnerabilität bei Problemen der Affektregulation und dem Verhalten in der Adoleszenz Frühe Adoleszenz Mittlere Adoleszenz Späte Adoleszenz Pubertät erhöht die emotionale Erregbarkeit, sensation-seeking und die Belohnungsorientierung Phase der erhöhten Vulnerabilität bezogen auf Risikobereitschaft und Probleme bei der Affektregulation und im Verhalten Reifung der Frontalhirn-Bereiche, die regulierende Funktionen übernehmen “The developments of early adolescence may well create a situation in which one is starting an engine without yet having a skilled driver behind the wheel.” (Steinberg, Trends Cogn Sci: S. 70, 2005) 20 Mentalisierung Mentalisierung als Brückenfunktion •Fähigkeit, sich innerpsychische (mentale) Zustände in sich selbst und in anderen Menschen vorzustellen, weil das Selbst und der Andere als intentionale Wesen aufgefasst werden, deren Verhalten auf Gründen im Sinne psychischer Befindlichkeiten basiert. (Fonagy et al. 2002) Intentionalität • Mentalisierung basiert auf der Annahme, dass die Attribuierung von Intentionalität das Verhalten am ehesten vorhersagt. • Kontrast physikalischer/ biologischer Standpunkt. 23 Mentalisierung als eine Form der sozialen Kognition Ist die Fähigkeit, einen Sinn in seiner emotionalen und relationalen Welt zu sehen Ich fühle etwas… Sich selbst von außen und andere von innen zu sehen Deswegen tue ich… Das dich etwas fühlen lässt… Was mich etwas fühlen lässt… Und dann tust du… Der Fokus liegt auf dem mentalen Zustand und nicht auf dem Verhalten 24 Nur die eigene Perspektive im Blick… Sich selbst von außen und den anderen von Innen sehen… Effektives Mentalisieren • Neugier in Bezug auf mentale Zustände • Gewahrsein des Einflusses auf andere • Gewahrsein , dass mentale Zustände opak, also undurchsichtig, sind • Zulassen versch. Perspektiven • Nicht-paranoide Einstellung • Vertrauen in andere Gutes Mentalisieren Other Explicit awareness Affect External (visible) Mz Internal (opaque) Implicit automatic Cognitions Self D. Bevington Präfrontale Kapazität Posteriore und subkortikale Kapazität Leistung Switchpoint Niedrig Hoch Erregungsniveau Beispiel Cook aus „Skins“ Wie entsteht Mentalisierung? • „Das psychische Selbst taucht auf, wenn sich das Kind als denkendes und fühlendes Wesen in der Psyche einer anderen Person wahrnehmen kann.“ (Fonagy et al. 2002) 32 Soziale Bio-Feedback Theorie (Watson & Gergely) 33 Zwischen dem 3.-5.Lebensjahr Integration: Mentalisierung Modus der Äquivalenz • • Gefühle und Gedanken sind Teil der physikalischen Realität Realitätsorientiert aber nicht mentalisierend (keine Metakognition, keine Repräsentationalität) „Als-Ob“ Modus • • Abkoppelung von Repräsentation und Realität Mentalisierend aber nicht realitätsorientiert 34 MENTALISIERUNG IN DER ADOLESZENZ Reflexionsfähigkeiten als Motor der Veränderung? • Dezentrierung des Selbst: – Gefühl der (unerträglichen) Einsamkeit – Geschichtlichkeit – Umarbeitung der eigenen Kindheitserinnerungen – Kindheitserinnerungen erhalten eine lebensgeschichtliche Bedeutung • Reflexion verschiedener Selbstzustände • Vertiefung Metakognitiver Fähigkeiten • Multiple-Perspektiven 36 Entwicklungspsychopathologie Risiko- und Schutzfaktoren für die Entwicklung von Gesundheit vs. Krankheit Soziale Kognitionen bei externalisierenden Störungen • Keine Defizite bei False-Belief-Tests (Happé & Frith, 1996). • Kinder mit SSV zeigen einen übertrieben positiven Mentalisierungsstil in Bezug auf die Gedanken, die sie anderen über sich unterstellen (Ha et al., 2011). • Haben Defizite im verstehen von Emotionen (Sharp, 2008). • Zeigen Defizite der korrekten Zuordnung von mentalen Befindlichkeiten bei anderen (Happé & Frith, 1996). • Die meisten dieser Studien erfassen “offline” Mentalisierung (Sharp & Venta, 2012). Sozial-kognitive Informationsverarbeitung (Crick & Dodge, 1994) Soziale Reize Proaktiv aggressiv Sehr gute ToM, aber Störung der Empathie Kodierung Auswahl Ergebnisevaluation Reaktiv aggressiv „Theory of nasty minds“ Interpretation Zielklärung Soziale Informationsverarbeitung bei gewalttätigen jungen Männern In Koop. mit Prof. John Haynes, Bernsteincenter for Computational Neuroscience, und Prof. Gerhard Roth & PD Thorsten Fehr, Universität Bremen • Stimuli: Bremen Aggression Inventory (BrAIn, Fehr, 2010) • 90 Videos à 5 sec. Länge, die interaktionelle Situationen aus der Ich-Perspektive filmisch darstellen • Positive Interaktion (z.B. freundliches Lächeln) • Neutrale Interaktion (z.B. aneinander vorbeigehen) • Reaktiv aggressive Interaktion (z.B. schubsen, bedrohen, Provokation) • n(EG)=24, n(KG)=22 Taubner et al. (in prep) Gold-Standard Operationalisierung von Mentalisierung: Gesamtwertung Reflective Functioning Scale (Fonagy et al. 1998) 9 Außergewöhnlich 7 5 3 Deutlich Durchschnittlich Fraglich od. niedrig 1 -1 Abwesend Negativ Durchschnittlich bis hoch Negativ bis niedrig Reflective Functioning Scale – Beispiele: I: Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich ihre Eltern Ihnen als Kind gegenüber so verhalten haben, wie sie es getan haben? A: Die haben sich immer gut verhalten... Was soll es da für Gründe geben? Ich bin die Tochter. B: Mein Vater hatte auch keinen richtigen Vater, also ich weiß nicht ob das, ich bin auch selber oft am Überlegen, ob das eine Entschuldigung dafür ist, wie er ist oder was er gemacht hat oder was er nicht gemacht hat, aber ähm er hat seinen Vater auch glaub ich ein, zwei Mal gesehen oder so und kennt ihn auch nicht richtig, weiß auch nicht wo der jetzt lebt und das könnte halt, naja das prägt ja ein Kind auch und das ist dann entscheidend für die Entwicklung C: Ja, ich denke, dass beide auch sehr viel Selbstwertzweifel hatten, an sich selbst und ihrem eigenen Wert gezweifelt haben, und an ihrem eigenen Vermögen, so äh, dass meine Mutter auch sehr viel Bestätigung immer brauchte, so von außen auch, und mein Vater eben auch, hm, dass er, also immer darunter gelitten hat, dass er nicht studieren konnte, und sich alles selbst aneignen musste, und immer wieder auch Bestätigung gesucht hat bei anderen. Und auch, mein Vater ist auch recht streng erzogen worden, hat, ich denke auch sehr viel Prügel bekommen als Junge, […] also ich denke, sie hat auch viel Mangel erlebt, so, wenig Zuwendung und Wärme, so, und jetzt, klar, konnte sie das natürlich nicht weitergeben, und ja, wo ich denke, dass sie sich schon bemüht hat, oder sie beide sich das vorgenommen haben. Mentalisierung und Störung des Sozialverhaltens • Mentalisierungsdefizite bei aggressiven Adoleszenten und Erwachsenen (Levinson & Fonagy, 2004; Taubner et al., 2010; Möller et al., 2014) • Taubner et. al, 2010 (n=48): • Mit SSV: • Ohne SSV: RF-Score: M = 2.6 RF-Score: M = 4.7 • Cropp, Taubner et al., submitted (N=134): • Mit SSV: • Ohne SSV: RF-Score: M= 1.4 RF-Score: M= 4.0 RF bei Adoleszenten Patient group Control group (N=38) (N=96) Reflective Functioning overall score, M (SD) 1.4 (0.9) 4.0 (1.4) Descriptive Range M Number of SCID-I diagnoses, N=117 Number of SCID-II diagnoses, N=117 History of childhood trauma (CTQ/ CECAQ), N=132 aSpearman’s (Cropp, Taubner et al. submitted) F p effect size η2 81.31 ˂0.001 .38 SD Correlationsa RF SCID-I 0-7 1.22 1.70 -.56*** 0-5 0.79 1.17 -.39*** .66*** % yes no 31.1 68.9 -.39*** .37*** SCID-II .29** rho, * p<0.05, ** p<0.01, *** p<0.001 (two-tailed test). ÄTIOLOGIE AUS SICHT DER MENTALISIERUNGSTHEORIE WHO (2013) weltweit: Sexueller Missbrauch: – Insgesamt 9,6% (Europa 18 Mio.) – Mädchen: 13,4% – Jungen: 5,7 % Physischer Missbrauch: – Insgesamt: 22,9% (Europa 44 Mio.) Psychischer Missbrauch: – Insgesamt: 29,1% (Europa 55 Mio.) 88 (3) „Prävalenz- und Versorgungsstudie KiD 0-3 des NZFH“ 285 (12) 185 (7) 52 (2) 164 (7) 575 (20) 425 (15) 190 (6) 1941 (68) 516 (16) Verteilung der teilnehmenden Familien und Arztpraxen 238 (7) 577 (18) 358 (12) 170 (6) 1024 (36) 1057 (38) 8063 Familien (271 Arztpraxen) Ergebnisse aus KiD 0-3 Prävalenz von Verletzung/Vernachlässigung in Abhängigkeit von Risiko-Kumulation* und Alter der Kinder bis 1 Jahr alt 18% 16% 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% zwischen 1-2 Jahre alt 2+ Jahre alt 16% 9% 8% 5% 0% 1% 2% 1% 2% 5% 4% 1% 16% 1% 1% 0 1 Risikofaktor 2 3 4 oder mehr Risikofaktoren (n=1591) Risikofakotren Risikofaktoren Risikofaktoren (n=2725) (n=901) (n=428) (n=424) * Auf der Basis der 12 vorher gezeigten Risikofaktoren [Datenquelle: KiD 0-3 Hauptstudie] N=161 Ergebnisse: Mentalisierung .371** .230 Aversive frühe Erfahrungen GewaltPotential Bindung ** = p < 0.01 * = p < 0.05 Kinder, die keine Beruhigung und Rückversicherung in ängstigenden Situationen erfahren.. (Derryberry u. Rothbart 1997) • Werden weniger aufmerksam für angstauslösenden Informationen und lernen keine adäquaten Regulationsstrategien, sondern entwickeln andere Bewältigungsformen (z. B. Zwang) • Profitieren nicht von den positiven Folgen erlebter Angst (Affektregulation, Impulskontrolle, Empathie und Bewusstheit für Angst). 56 SSV & Mentalisierung Gehemmte Mentalisierung • Schutzmechanismus • Anpassung an den Missbrauchskontext • Hill et al. (2007, 2008) • Aufgabe des intentionalen Standpunkts • z.B. wütende Stimme „nur“ laut oder drohende Handbewegung „nur“ als erhobener Arm Posteriore und subkortikale Kapazität Leistung Präfrontale Kapazität Niedrig Hoch Erregungsniveau Gewalttätigkeit vor dem Hintergrund gehemmter Mentalisierung • Fehlattribuierung (hostility-attribution-bias) • Kein psychischer Spielraum, im Zuge dessen sich die Zuschreibungen und Überzeugungen bei näherer Prüfung als unwahr erweisen könnten. • Körper und Motorik werden als Regulierung von Erregungszuständen genutzt. • Niedrige Hemmschwellen (Violence Inhibition Mechanism, Blair 1995) • Geschwächte Urheberschaft Beispiel Beschämung aus „Die Kriegerin“ Gewalt zur Wahrung der Selbstkohärenz • Fragile Selbststruktur führt zu interpersonellem Rollenzwang, Rigidität • Vermeintliche oder tatsächliche Demütigungen müssen abgewendet werden • Ohne Mentalisierung wird Beschämung existentiell vernichtend (keine Trennung zwischen physisch und psychisch) (Gilligan 2009). • Irrtum des Gewalttätigen: Gedanken und Gefühle könnten über physische Akte ausgelöscht werden. Beispiel Beschämung II aus „Die Kriegerin“ Evidenz-basierte psychotherapeutische Behandlung! • Problem: • Bestrafungsorientierte Programme sind ineffektiv (Cullen 2013) • Das Justizsystem als solches ist ein Risikofaktor für den Rückfall (Petrosino et al. 2014) • Gruppenangebote verstärken Delinquenz (Lilienfeld 2007) • „Nothing-Works“ Pessimismus ist noch in den Köpfen • Aber internationale Meta-Analysen zeigen: – Therapeutische Interventionen haben die höchste Wirksamkeit (Lipsey et al. 2009 an 548 Studien) – Programme, die die Eltern oder das soziale Netz involvieren, sind am besten evaluiert MENTALISIERUNGSBASIERTE THERAPIE FÜR ADOLESZENTE (MBT-A) Der MBT-Ansatz basiert auf der Sichtweise, dass ein Kernproblem in der Vulnerabilität für einen Verlust/Zusammenbruch an Mentalisierungsfahigkeit liegt. Diese Vulnerabilität wird mit interpersoneller Sensibilität assoziiert, welche dysregulierte Emotionen und Impulsivität hervorruft. MBT liegt die Hoffnung zugrunde, an dieser Vulnerabilität arbeiten zu können und die Intervention verfolgt das Ziel, die Mentalisierungsfähigkeiten zu verbessern. Kernzusammenfassung für neue Kliniker(1) 1. Kollaborativer Prozess 2. Fokusformulierung der Probleme des/der Patienten/in zu Beginn der Behandlung und ein Fokus in jeder Sitzung – Verlauf der Gesamtbehandlung und in jeder Sitzung 3. Identifikation von nicht-mentalisierenden Prozessen 4. Generelle Haltung – Nicht-wissende Haltung 5. Grundsätze für Kliniker – Versuche die Mentalisierungskapazität wiederherzustellen oder aufrechtzuerhalten – Interventionen müssen zu der Mentalisierungsfähigkeit des/der Patienten/in passen – Identifizierung der Mentalisierungspole Kernzusammenfassung für neue Kliniker(2) 6. Grundsätze für Kliniker (Fortsetzung) – – – – – Fokus auf die Aufrechterhaltung der Mentalisierung des Therapeuten authentische und offene Therapeuten Aufmerksam für Brüche in der Mentalisierung Das Ausmaß des affektiven Erregungsniveaus managen Fokus auf Kontingenz und Markierung von Interventionen 7. Verlauf der Sitzungen: Interventionen strukturieren von empathischer Validierung zur Exploration, Klärung, und Challenge durch Affektidentifizierung und affektivem Fokus, um die Beziehung zum Therapeuten zu mentalisieren 8. Explizite Identifikation der Gefühle des/der Therapeuten/in in Bezug auf die Verarbeitungsprozesse des/der Patienten/in Mentalisierungs-Basierte Therapie für Jugendliche mit Störung des Sozialverhaltens (Taubner, Gablonski, Volkert, Bateman, Fonagy, Nolte, Sevecke & Rossouw) • Indikation: Diagnose SSV • Setting: 30 Einzel- und 10 Familiensitzungen • Verbesserung von Mentalisierung im Kontext der therapeutischen Beziehung in Bezug auf gewalttätiges Verhalten • Klare Ziele und Einbezug des Helfersystems • Integration von spieltherapeutischen Elementen und Visualisierung innerer Prozesse MBT-SSV: Ablauf 1 Ziele Spezifische Prozesse Beurteilung der Mentalisierung und Gesamtpersönlichkeit • • • • PatientIn und Familie für Behandlung gewinnen • • Diagnosestellung Psychoedukation Hierarchie therapeutischer Ziele Stabilisierung von Verhaltensproblemen und sozialen Schwierigkeiten Überprüfung der Medikation und Krisenplan Schriftliche Fokusformulierung 2 Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit Wenn Symptome und Verhaltensprobleme kontrolliert sind, wird an interpersonalen Problemen mit dem Ziel gearbeitet, konstruktive und intime Beziehungen führen zu können 3 Abschluss • • Bearbeitung und Vorbereitung der Trennung Follow-Up Programm Für die Therapie motivieren durch… • Zusammenarbeit • Hervorrufen neuer Ideen (evocation) • Autonomie • Konfrontation &/or Direktion • Belehrung (education) • Authorität Pro Kontra Aufhören Kiffen besser fühlen weniger Geld ausgeben mehr Geld einnehmen mehr Realität verliert, schmeckt gut Zigaretten mehr dann habe ich gar nichts mehr/bin nichts mehr kein Respekt von „Leuten“ kein „Einkommen“ f. Essen/Trinken/Kippen + Familie Angst vor dem Erwachsen-werden Kiffen „weniger Zigaretten“ lernt Leute kennen Ich bin interessant für andere (Jungs und ne schlechte Sorte Mädchen) erlaubt gut Fühlen, schweben lustig Job, der Spaß macht keine Sorgen ernst genommen (sozialer Aufstieg) meine Welt, wie sie mir gefällt (Freiheit) für manche abstoßend vor allem Mädchen (gute) Besitz + Dealen strafbar kaputt am nächsten Morgen Stress mit Familie Geheimnis Schulden, Stress mit Dealern Hemmschwelle für Straftaten sinkt bei Suchtdruck Man kann gefickt werden (gefährlich) geringe Gewinnspanne keine Zeit 5 für Aufhören auf einer Skala von 1-10 4 für Zutrauen auf einer Skala von 1-10 Fokusformulierung • Ziele – Hilft das Denken von Therapeut/in und Patient/in zu organisieren – jeder sieht verschiedene Gedankenstrukturen – Modelliert einen mentalisierenden Ansatz– es wird nicht angenommen, dass der/die Patient/in dies kann (explizit, klar und mit Beispielen) – Modelliert Bescheidenheit, was die Natur der Wahrheit angeht • Risikomanagement – Analyse der Risikokomponenten auf eine intentionale Art und Weise – Vermeide Überstimulierung durch die Fokusformulierung • Überzeugungen vom Selbst – Beziehungen von diesen zu spezifischen (variierenden) internen Zuständen – Historische Aspekte in Kontext gesetzt • Zentrale aktuelle Probleme in Beziehungskontext gesetzt – Identifikation von Bindungsmustern – was wird aktiviert – Hürden, die damit verbunden sind • Positive Aspekte – Wann Mentalisierung funktioniert hat und die Situation verbessert hat • Antizipation der sich entfaltenden Behandlung – Wirkung der individuellen- und Gruppentherapie Lieber S., seit einigen Wochen kommen du und deine Familie zu Gesprächen. Du machst jetzt den zweiten Anlauf, eine Therapie zu beginnen und ich würde mich freuen, wenn du das nächste Jahr dabei bleibst. Deine Familie (Mama und Schwester) und du haben sehr unterschiedliche Vorstellungen, was sich ändern sollte. Du leidest darunter, dass sie ein so schlechtes Bild von dir haben und sie wünschen sich, dass du dich änderst, mehr Verantwortung übernimmst und nicht in eine kriminelle Karriere abrutschst. Du hast mir erzählt, dass dir deine Familie sehr wichtig ist, aber dass du dich von Ihnen oft nicht richtig anerkannt fühlst. Dann zweifelst du vielleicht an deinem Selbstwert. Auch in der Schule hast du dich nicht wohlgefühlt, fühltest dich von Lehrern zurückgewiesen und hattest große Ängste vor anderen zu sprechen. Du hast mit 13 Jahren mit dem Kiffen und Zocken angefangen und bist immer weniger zur Schule gegangen. Vielleicht hat dir das mit den schlechten Gefühlen geholfen, dich aber von vielen Menschen und Zielen (besserer Schulabschluss) ferngehalten. Dann hast du neue Kontakte mit den Leuten geknüpft, die Marihuana verkaufen. Aktuell fühlst du dich in dieser Gruppe ernstgenommen und wertgeschätzt, was für dich sehr wichtig ist. Das Kiffen und Dealen hat dich aber auch schon in Schwierigkeiten gebracht, wenn du Schulden nicht zurückzahlen konntest oder unter Sucht-Druck geraten bist. Ich erlebe dich aktuell als sehr verunsichert, was du in der nächsten Zeit machen willst. Am liebsten würdest du vielleicht ein paar Jahre viel Geld mit Drogenverkauf machen, aber du ahnst, dass dies mit Risiken verbunden ist und dich von deiner Familie und einem „normalen“ Leben weiter entfernen könnte. Du wünschst dir eine Freundin, aber viele Mädchen lehnen deinen Lebensstil ab. Es ist sehr schwer, alles unter einen Hut zu bekommen… Du hast sehr hohe Ansprüche an dich und wie du mit anderen umgehen möchtest, z. B. zuverlässig und großzügig sein. Du verstehst nicht, wenn deine Mutter deine Freunde nicht mitversorgen möchte und erlebst das als egoistisch. Wenn deine Mutter Forderungen an dich stellt und du dich von ihr nicht wertgeschätzt fühlst, dann kannst du sehr wütend werden und ziehst dich zurück. Deine Mutter erscheint mir manchmal hilflos und versucht dich vielleicht aus der Reserve zu locken, indem sie dich bloßstellt. Dann ist bei dir manchmal ein Punkt erreicht, wo du dich nur noch in die Ecke gedrängt fühlst und du die Baseballkappe vor das Gesicht ziehst, damit nichts Schlimmeres aus Wut passiert. Obwohl du versuchst, die Kontrolle zu behalten, gehen dann auch Sachen kaputt. Am Ende bist du vielleicht verzweifelt, weil genau das Gegenteil passiert, was du dir wünschst. Wenn du dann bekifft bist, kannst du deiner Mutter wieder zeigen, wie gern du sie hast und dass du ein großes Bedürfnis nach Nähe und Harmonie hast. In der Therapie könnte es darum gehen, für dich zu klären, wann du andere und dich nicht mehr verstehen kannst und wie es möglich wäre, eine bessere Beziehung zu deiner Familie aufzubauen, damit es nicht ständig eskaliert. Auch würde ich gerne mit dir klären, ob es möglich ist, dass du Selbstvertrauen auch außerhalb der Dealerfreunde aufbauen kannst und eine realistische Perspektive für deine Zukunft. Das kann nur gelingen, wenn du regelmäßig teilnimmst und nicht bekifft zur Stunde kommst. Auch sollte das Kiffen nicht deinen kompletten Tag ausfüllen, damit du über dich und deine Wünsche nachdenken kannst. Deine Familie ist bereit, mit dir gemeinsam einen neuen Weg zu gehen. Ich gespannt, wie du dich entscheiden wirst. Ich finde dich schon jetzt sehr mutig, dass du einen zweiten Anlauf wagst. Interventionshierarchien am wenigsten Mentalisierung der Beziehung Basis-Mentalisierung Klären, Elaborieren, Fordern am meisten Validierung: Unterstützung/ Empathie 30 Hemmungskreislauf der Mentalisierung in einer Familie starke Emotionen ängstigende, untergrabende, frustrierende, stressige oder zwingende Interaktionen Unsicherheit darüber, ob Gefühle real sind der Versuch andere oder sich selbst zu kontrollieren oder zu verändern schwache Mentalisierung Unfähigkeit Gefühle anderer zu verstehen oder sogar ihnen Beachtung zu schenken Andere scheinen unbegreiflich 88 Teufelskreise der Mentalisierungsprobleme in Familien starke Emotionen ängstigende, untergrabende, frustrierende, stressige oder zwingende Interaktionen schwache Mentalisierung Person 1 der Versuch andere oder sich selbst zu kontrollieren oder zu verändern Unfähigkeit Gefühle anderer zu verstehen oder sogar ihnen Beachtung zu schenken andere scheinen unbegreiflich starke Emotionen ängstigende, untergrabende, frustrierende, stressige oder zwingende Interaktionen schwache Mentalisierung Person 2 der Versuch andere oder sich selbst zu kontrollieren oder zu verändern Unfähigkeit Gefühle anderer zu verstehen oder sogar ihnen Beachtung zu schenken andere scheinen unbegreiflich 89 Der MBT-F - Loop Wahrnehmen und Benennen Generalisieren (und Veränderung erwägen) Den Moment mentalisieren Prüfen 98 Herzlichen Dank! 80 Zum Weiterlesen…