veit sorger/markus beyrer Ist die große Wirtschaftskrise schon bewältigt, und was müsste ­Österreich ändern, um bestehen zu können? Die Rezession, von der ganz Europa stark betroffen war, dürfte vorerst überwunden sein. Ein Rückschlagsrisiko besteht jedoch weiterhin. Zugleich wird es zumindest bis 2012 dauern, bis das Produktionsniveau des Jahres 2008 wieder erreicht sein wird. Damit der Übergang zu einem export- und investitionsgetragenen Aufschwung gelingt, muss konsequent an der Krisenbewältigung gearbeitet werden. Von großer Bedeutung sind daher eine kluge Budgetkonsolidierung und gezielte Wachstumsmaßnahmen. Die Erhöhung der Forschungsquote auf vier Prozent des BIP bis 2020 und die Fokussierung auf wachstumsstarke Exportmärkte sind diesbezügliche Leitlinien. 15 österreichisches jahrbuch für politik 2009 Noch ist es uns in guter Erinnerung: In der Jahresmitte 2009 war die Stimmung auf den Weltmärkten noch von einem derartigen Pessimismus geprägt, dass sich die Assoziation zu einem Mark-Twain-Zitat geradezu aufdrängte: „Der Bericht über meinen Tod wurde stark übertrieben.“ Nach der Vorherrschaft der Apokalyptiker während der ersten Krisenmonate befinden wir uns nach dem Jahreswechsel 2010 wieder in einer Phase der Hochkonjunktur – einer Hochkonjunktur der Wachstumsaussichten und einer Hochkonjunktur der Zweckoptimisten. Die Wirtschaftsforscher revidierten ihre Prognosen in den letzten Wochen des Jahres 2009 ständig nach oben: Laut OECD und EU-Herbstprognose erholt sich die Weltwirtschaft vom stärksten Konjunktureinbruch der Nachkriegsgeschichte schneller als erwartet. In ihrem Herbstbericht korrigierte die OECD für die Euro-Zone ihre Prognose für 2009 auf minus 3,9 Prozent nach minus 4,8 Prozent im Sommerbericht. Den G7-Staaten sagte die OECD für 2009 im Herbst ein Schrumpfen um 3,7 Prozent statt minus 4,1 Prozent im Sommer voraus. Für dieses Jahr geht die EU-Kommission für die EU von einem realen Plus von 0,7 Prozent aus. Österreichs Wirtschaft sollte laut EU-Herbstprognose 2010 um 1,1 Prozent wachsen – also wie gewohnt deutlich über dem EU-Durchschnitt –, und auch die heimischen Institute WIFO und IHS revidierten ihre Prognosen im Dezember für heuer auf 1,3 bis 1,5 Prozent nach oben. Das IV-Konjunkturbarometer (Mittelwert aus den Beurteilungen der gegenwärtigen Geschäftslage und der Geschäftslage in sechs Monaten) wiederum, mit dem die Industriellenvereinigung regelmäßig mehr als 400 Unternehmer mit an die 300.000 Beschäftigten befragt, beginnt sich zwar von niedrigstem Niveau ausgehend langsam zu verbessern, aber es bleibt weiter in negativem Terrain. Das heißt: Die Industriekonjunktur befindet sich weiter unter Wasser, der Abstand zur Wasseroberfläche hat sich aber verringert. Die Industriekonjunktur zeigt eine konjunkturelle Stabilisierung, aber es deutet noch nichts auf einen Wiederaufschwung hin. Der Anteil der Unternehmen, die einen verbesserten Geschäftsgang auf Sicht von sechs Monaten erwarten, liegt seit einem halben Jahr unverändert bei lediglich 16 Prozent. Im Ergebnis erwarten wir für 2009 einen BIP-Zuwachs für Österreich in der Größenordnung von bis zu 1,5 Prozent. Getragen wird dieses schwache Wachstum von den sich erholenden Exporten – und selbst in diesem Bereich wird aufgrund der ungünstigen Wechselkursentwicklung auch 16 veit sorger/markus beyrer | ist die große wirtschaftskrise schon bewältigt? weiterhin erheblicher Gegenwind herrschen. Es wird mindestens bis zum Jahr 2012 dauern, bis die gesamtwirtschaftlichen Produktions- und damit Einkommensniveaus des Jahres 2008 wieder erreicht sein werden. Dies trifft insbesondere auch auf die Warenexporte, das eigentliche Rückgrat und den Motor des bisherigen österreichischen Wachstumserfolgs, zu. In der Zwischenzeit besteht das größte Risiko darin, dass bis zum Auslaufen der staatlichen Einmaleffekte aus den Konjunkturpaketen der Übergang zu einem export- und investitionsgetragenen Aufschwung nicht gelingt. Um dieses Risiko bestmöglich zu verringern, muss politisch weiterhin konsequent an der Krisenbewältigung gearbeitet werden – und zwar diesmal nicht mehr durch weitere Staatsausgaben, sondern indem die strukturellen Hausaufgaben angegangen werden. Selbsttragender Aufschwung bleibt auf Sicht unwahrscheinlich Ein robuster und vor allem selbsttragender Konjunkturaufschwung scheint aus heutiger Sicht eher unwahrscheinlich. Wir erleben vielmehr eine Erholung und können im besten Fall einen zähen Wiederaufstieg mit Rückschlägen erwarten. Und es besteht nach wie vor das zwar abnehmende, aber auch nicht auszuschließende Risiko eines sogenannten „DoubleDip“ – nämlich, dass der zaghafte Aufschwung durch die steigenden Rohstoffpreise, den schwachen Dollar und das Auslaufen der Einmaleffekte der Konjunkturpakete noch einmal pausiert. Die im zweiten Halbjahr 2009 einsetzende Konjunkturerholung lebt von Einmaleffekten. Sie lebt von der Kaufkraftsteigerung der Haushalte durch eine gesunkene Inflation, von den üppigen Lohnabschlüssen, von der vor allem für die Haushalte großzügigen Steuersenkung und – last but not least – von der expansiven Fiskal- und Geldpolitik. Dazu kommen noch auslaufende Einmaleffekte wie der Lagerzyklus, der sich besonders gegen Ende 2008 aufgebaut hat und im ersten Halbjahr allmählich abgebaut wurde. Was die Fundamentaldaten für einen selbsttragenden Aufschwung betrifft, also für die Steigerung des echten Wachstumspotenzials, fällt die quantitative Komponente gerade für Europa sehr schwach aus: Das Bevölkerungswachstum bzw. das Wachstum des Erwerbspersonenpotenzials ist äu- 17 österreichisches jahrbuch für politik 2009 ßerst gering, zum Teil sogar negativ, der Produktivitätszuwachs, vor allem im Dienstleistungsbereich, bleibt weit hinter den USA zurück, der Verschuldungsgrad im Unterneh­mens­sektor ist um rund 50 Prozent über dem USamerikanischen Niveau und reduziert die Investitionsdynamik. Schließlich liegt auch die Staatsschuldenquote in vielen EU-Mitgliedsstaaten weit über den 60 Prozent, die die EZB als nachhaltig stabil bewertet – Griechenland ist dafür ein besonders aktuelles und drastisches Beispiel. Insgesamt geht die Europäische Kommission in ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2009 für die EU von einem deutlichen Einbruch des Potenzialwachstums durch die Krise aus. Im ungünstigsten Szenario, jenem des „Permanent Shocks“, reduziert sich das Potenzialwachstum der EU Mitglieder, das ab 2030 aufgrund der demografischen Entwicklung ohnehin von derzeit 2,4 auf 1,5 Prozent sinken wird, ab 2030 auf 1,2 Prozent. Im günstigeren Szenario, das ein „Verlorenes Jahrzehnt“ antizipiert, geht die Kommission von einem Einbruch des Potenzialwachstums in den Jahren 2009 bis 2020 aus. In beiden Fällen jedoch sinkt das Potenzialwachstum in den nächsten zehn Jahren um die Hälfte des Vorkrisenwertes. Das ist ein tiefer, struktureller Einschnitt in das Wirtschaftsgefüge der EU, die bisher immerhin 72 Prozent unserer gesamten Exporte abgenommen und damit indirekt für rund 43 Prozent unseres Wohlstandes gesorgt hat. Wir müssen daher alles daran setzen, dass sich die gesamte Union in den kommenden Jahren verstärkt für Strukturreformen zur Erhöhung des Potenzialwachstums einsetzt, die in den Mitgliedsstaaten auch konsequent umgesetzt werden. Europa und Österreich können sich angesichts der Krise keinen weiteren Reformstillstand leisten, wie es durch die abgelaufene Lissabon-Agenda veranschaulicht wurde. Reformen dürfen nicht nur gutgeheißen werden, sondern es ist auch die anschließende Umsetzung zu forcieren. Auf dem Nachfolgemodell „EU 2020“, das im Frühjahr 2010 beschlossen wird, lastet damit zu Recht ein großer Erfolgsdruck. Die Krise ging zwar nicht von Europa aus, dafür war Europa stark betroffen. Diese Entwicklung kam deswegen überraschend, da Europa bisher immer ein „ruhender Pol“ in der Weltwirtschaftspolitik im Vergleich zu den USA war, wo die Krise ihre Wurzeln hat: Die Konjunkturzyklen sind durch die Sozialsysteme und die automatischen Stabilisatoren weniger stark ausgeprägt, das bankenorientierte Finanzsystem auf weniger prozykli- 18 veit sorger/markus beyrer | ist die große wirtschaftskrise schon bewältigt? schen Fundamenten aufgebaut als das kapitalmarktorientierte US-System, die EZB fährt eine wesentlich stabilere Geldpolitik als die Fed, und last but not least, die Sparquote der privaten Haushalte ist mit über neun Prozent noch immer fast doppelt so hoch in der EU wie in den USA (5,1 Prozent). Es stellt sich aber heute heraus, dass sich dieser „ruhende Pol Eu­ ropa“, der oft als europäisches Markenzeichen in Krisenzeiten gelobt wurde, bei der Überwindung der Krise als „Betonklotz“ erweist. Die USA haben zwar durch ihre Dynamik ihren wesentlichen Teil zur Entstehung der „Konsum-Krise“ beigetragen, dafür erweisen sie sich aber auch bei der Exit-Strategie als viel flexibler und dynamischer. Die Wachstumsprognosen für 2010 werden einhellig sowohl bei der OECD als auch bei der Weltbank und beim IWF für die USA positiver gesehen als für den Euro-Raum. Das BIP sank im Jahr 2009 in den USA selbst laut EU-Herbstprognose nur um 2,5 Prozent – in der Euro-Zone aber um vier Prozent Für 2010 erwartet die EU-Kommission ein Wachstum von bescheidenen 0,7 Prozent in der Eurozone, im Gegensatz zu 2,2 Prozent in den USA. Das liegt sicher zum einen daran, dass die USA gleich von Beginn an mit den Konjunkturbelebungspaketen nicht „gekleckert“, sondern „geklotzt“ und sie vor allem rasch umgesetzt haben. Das liegt aber zum anderen daran, dass die USA auch in der zweiten Phase des Krisenmanagements, bei den ausständigen Strukturreformen und bei der Sanierung des Bankensektors, rascher und effizienter gehandelt haben. Rückschlagrisiko bleibt Damit sind wir schon beim ersten großen Rückschlagrisiko für die österreichischen Unternehmen. Die österreichische Wirtschaft konnte zwar im zweiten Halbjahr 2009 zu einem positiven Wachstum zurückkehren, aber in den Unternehmensbilanzen waren die Spuren der Krise noch lange nicht beseitigt – im Gegenteil: Sie sind in einem immer größeren Ausmaß erkennbar. Das zeigen sowohl rückläufige Unternehmensgewinne als auch der deutliche Rückgang der Außenfinanzierung, der nicht nur von der nach wie vor ausbleibenden Finanzierung über börsennotierte Aktien, sondern zunehmend auch von der Abschwächung der Bankkredite getrieben ist. Die 19 österreichisches jahrbuch für politik 2009 gesamte Außenfinanzierung des Unternehmenssektors hat sich im ersten Halbjahr 2009 (im Vergleich zum 1. HJ 2008) um rund zwei Drittel auf 4,8 Mrd. Euro vermindert. Den stärksten Beitrag dazu hat der Rückgang der Bankkredite geleistet, deren Wachstum sich im Verlauf des vorigen Jahres kontinuierlich abgeschwächt hat. Obwohl sich die Finanzierungsbedingungen dank niedrigerer Zinsen, der Unterstützung durch die Wirtschaftspolitik und geringerer Risikoprämien zuletzt wieder verbessert haben, wird sich der Zugang zu Finanzierungsmitteln für viele ohnedies vom Konjunktureinbruch betroffene Unternehmen auch im Jahr 2010 noch als sehr schwierig gestalten. Und die Kapitalaufnahme auf dem Aktienmarkt wird auch heuer nach wie vor kaum möglich sein. Die einzige realistische Finanzierungsmöglichkeit für große Unternehmen war im Vorjahr der Anleihenmarkt, der bereits mehr als die Hälfte der gesamten Außenfinanzierung der Unternehmen abdeckt. Aber auch hier werden heuer viele Unternehmen vor eine Herausforderung gestellt werden. Auch wenn die Risikoaufschläge nun wieder gesunken sind, so bleiben Anleihen doch relativ teuer. Das von uns initiierte Unternehmensliquiditätsstärkungsgesetz zielt auf die Verbesserung der Liquidität österreichischer Leitbetriebe ab, muss aber in der Abwicklung über die jeweilige Hausbank auch funktionieren. Eine Entwarnung für 2010 im Bereich der Unternehmen klingt jedenfalls anders. Österreich wird sich, im Gegenteil, auf eine starke Insolvenzwelle einstellen müssen. In den ersten drei Quartalen 2009 hat sich die Anzahl der Insolvenzen bereits um mehr als zehn Prozent erhöht und war besonders stark in der exportorientierten Industrie ausgeprägt. Da die Entwick­lung der Unternehmensinsolvenzen üblicherweise ein nachlaufender Konjunkturindikator ist, wäre selbst bei einem Konjunkturaufschwung heuer nicht unmittelbar eine Verminderung der Insolvenzen zu erwarten. Erholung des Arbeitsmarktes erst 2012 Auch beim Arbeitsmarkt handelt es sich um einen nachlaufenden Konjunkturindikator und auch hier wird ein Aufschwung, wie er derzeit prognostiziert wird, nicht ausreichen, um die Lage zu entschärfen – denn erst ein reales Wachstum von mehr als zwei Prozent würde die Arbeitslosenquote 20 veit sorger/markus beyrer | ist die große wirtschaftskrise schon bewältigt? tatsächlich senken. Nach einer Phase deutlicher Beschäftigungsexpansion in den Jahren 2006 bis 2008, in der die Zahl der aktiven Beschäftigungsverhältnisse um durchschnittlich mehr als zwei Prozent pro Jahr gewachsen war, fühlt sich der drastische Anstieg der Arbeitslosenquote um 1,3 Prozentpunkte noch schmerzvoller an. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass die Konjunkturpakete und die Kurzarbeit den Anstieg der Arbeitslosigkeit bisher halbwegs eingedämmt haben. Eine echte Entlastung am Arbeitsmarkt wird wahrscheinlich erst im Jahr 2012 eintreten. Was die Kurzarbeit betrifft, so ist in der Krise ein Phänomen augenscheinlich geworden, wie auch das Institut für Weltwirtschaft in Kiel festgestellt hat: Je produktiver die Unternehmen in den vergangenen Jahren geworden sind, desto weniger rasch bauen sie nun Arbeitsplätze ab. In jenen Ländern, wie Deutschland, den Niederlanden und Österreich, in denen die Lohnstückkosten in den vergangenen Jahren stetig gesunken sind, ist ein ausgeprägtes „Horten“ von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in den Unternehmen zu beobachten. In den anderen Ländern, wie z. B. Spanien, die eine schwache Lohnstückkostenentwicklung haben, sinkt die Beschäftigung wesentlich dramatischer. Die Unternehmen in Österreich, die stark auf Produktivität gesetzt haben, können also nun Beschäftigung kurzfristig besser horten, um nach der Krise wieder durchstarten zu können. Herausforderung kluge Budgetkonsolidierung Das Resümee: je produktiver die Unternehmen und die Arbeitnehmer werden, desto mehr Puffer gibt es in Zeiten des Abschwungs. Aus diesen Erfahrungen der Unternehmen kann auch die Politik lernen, denn Produktivität zu steigern, bedeutet Effizienzpotenziale bereits dann zu heben, wenn Krisen noch nicht in Sicht sind. Dies entspricht bekanntermaßen nicht zwingend politischer Logik. In Zeiten guter Konjunktur war beispielsweise kaum Bereitschaft für Strukturreformen vorhanden. Ein Beispiel: Österreich schleppt seit jeher ein strukturelles Defizit mit sich und obwohl die Steuereinnahmen zeitweise regelrecht sprudelten, stiegen die Staatsschulden kontinuierlich an. Durch sinkende Steuereinnahmen, steigende Arbeitslosigkeit und die aktuelle Notwendigkeit, konjunkturell gegenzusteuern, wird die Schuldenquote im Jahr 2013 knapp 83 Prozent des BIP betragen und der 21 österreichisches jahrbuch für politik 2009 Zinsendienst soviel ausmachen wie für die gesamten Ausgaben für Bildung und Forschung vom Finanzministerium für 2013 vorgesehen sind. Wir werden dann für die Fehler der Vergangenheit soviel ausgeben, wie für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit. Hier zählt keine Laissez-faire-Politik mehr, sondern es muss ernsthaft gegengesteuert werden. Einsparungspotenziale gäbe es jedenfalls genug: Angefangen von der schon fast zu Tode geredeten Verwaltungsreform bis zur längst überfälligen Föderalismusreform. Hervorzuheben sind die Ausgabenbereiche, die in ­Zukunft am dynamischsten ansteigen werden – und zwar die Altersausgaben. Allein bei den Pensionen wird der Bundesbeitrag (also die Einnahmenlücke, die vom Steuerzahler gedeckt werden muss) von derzeit rund 6,5 Mrd. Euro auf ca. 11,3 Mrd. Euro im Jahr 2025 anwachsen. Hier können eigentlich „selbstverständliche“ Maßnahmen viel bewirken. Zum Beispiel das Heranführen des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter. Österreich ist ja leider zusammen mit Frankreich das Schlusslicht Europas beim durchschnittlichen Pensionsantrittsalter. Alleine eine Erhöhung des tatsächlichen Antrittsalters um ein Jahr würde in Österreich bereits Einsparungen von jährlich 1,2 Mrd. Euro bewirken. Ohne Wachstum wird die Budgetkonsolidierung kaum möglich sein. Wir müssen daher ebenso danach trachten, so rasch wie möglich auf die Wachstumsstraße zurückzukehren. Die Aussichten auf schnelles und signifi­ kantes Wachstum in Österreich stehen nicht zum Besten. Umso wichtiger ist es, hier kluge unterstützende Impulse zu setzen. Mehr Wachstum entsteht zum einen durch Investitionen in die Wissensgesellschaft: Um das Ziel einer Forschungsquote von drei Prozent des BIP bis 2010 bzw. vier Prozent bis 2020 zu erreichen, muss auch in Zeiten der Krise weiteres Augenmerk auf die F&E-Ausgaben gelegt werden. Die konkrete Umsetzung des in Alpbach angekündigten Forschungsfinanzierungsgesetzes, das eine Planungssicherheit in der Forschung bis 2020 ermöglicht, wäre hier ein wichtiger erster Schritt. Zudem könnten die Aufwendungen für den Klimaschutz eine stärkere Technologieorientierung erhalten, um die ambitionierten Klima-Ziele vermehrt durch eigene Technologien erreichen zu können. Ein starker und sinnvoller Wachstumstreiber wäre zum anderen eine thermische Sanierungsoffensive im Gebäudesektor, die mit hohen inlandswirksamen Wertschöpfungseffekten verbunden wäre; oder auch die Besei- 22 veit sorger/markus beyrer | ist die große wirtschaftskrise schon bewältigt? tigung der Blockade von Investitionen in die Infrastruktur. Dem zügigen Ausbau von Infrastrukturprojekten (Straße, Bahn, Kraftwerke, Speicher, Leitungen der Strom- und Gasversorgung, Breitband etc.) stehen nämlich oft nicht finanzielle Hürden im Weg, sondern vielmehr mangelnder politischer Mut, langwierige Genehmigungsverfahren sowie Kompetenzzersplitterung im Bereich der Raumordnung. Auch der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze für Unter-Dreijährige wäre eine wichtige Investition in die Zukunft, um eine optimale Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Weiter vorhandene Stärken optimieren Schließlich müssen wir weiterhin darauf setzen, was uns vor der Krise stark gemacht hat: Das sind erstens die Leitbetriebe in Österreich, die unverschuldet und an vorderster Front von der Krise getroffen wurden. Gerade die Krise macht bewusst, welche enorme Multiplikatorwirkung sie auf die Volkswirtschaft haben: Allein 150 ausgewählte Leitbetriebe in Österreich haben vor der Krise eine gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung von 45 Mrd. Euro erwirtschaftet, 540.000 Beschäftigungsverhältnisse in Österreich geschaffen und gesichert sowie rund 122.000 KMU-Zulieferfirmen am Leben erhalten. Wenn man berücksichtigt, dass die Krise diesen Leitbetrieben knapp neun Mrd. Euro an Wertschöpfung, vier Mrd. Euro an Arbeitnehmerentgelten und rund zwei Mrd. Euro an Investitionen kosten wird, dann tritt die tragende Rolle von Leitbetrieben bei der Bewältigung der gegenwärtigen Krise offen zutage. Ein erfolgreiches Krisenmanagement, ein Ende des Abschwungs und – in späterer Folge – ein Wiederaufschwung kann daher nur über und mit unseren Leitbetrieben stattfinden. Zum zweiten ist die Erfolgsgeschichte unseres Exports fortzusetzen: In keinem anderen EU-Mitgliedsstaat ist die Exportquote in den vergangenen zehn Jahren so stark gewachsen wie in Österreich. Die österreichische Industrie hatte vor der Krise eine Exportintensität von 56 Prozent. Mehr als die Hälfte des Umsatzes wurde also exportiert. In einigen Branchen wie bei der Metall- oder Papiererzeugung sind es sogar 68 Prozent, bei der chemischen Industrie und dem Maschinenbau sogar 72 bis 74 Prozent sowie in der KfZ-Zulieferindustrie an die 77 Prozent. Zu dieser inten- 23 österreichisches jahrbuch für politik 2009 siven Einbindung der österreichischen Volkswirtschaft in die internationale Arbeitsteilung gibt es ebenso wenig Alternativen wie zur Spezialisierung der Unternehmen auf exportorientierte Industrien und industrienahe Dienstleistungen. Nur so kann unser Land an den Megatrends des globalen Strukturwandels teilhaben, die sich daraus ergebenden Chancen und komparativen Wettbewerbsvorteile sichern und ausbauen. Im Fokus der Wirtschaftspolitik muss daher stehen, weiterhin auf Globalisierung und Welthandel zu setzen. Wir dürfen nicht den Fehler begehen, uns aus Angstverhalten nur mehr auf den Faktor Binnenmarkt zu fokussieren und beispielsweise die Binnennachfrage „künstlich“ durch überzogene – d. h. von der Produktivitätsentwicklung entkoppelte – Lohnerhöhungen stimulieren zu wollen. Eine solche Lohnpolitik würde die Lohnstückkosten am Standort Österreich in die Höhe treiben, Investitionen unattraktiv machen, Arbeitsplätze vernichten und so letztlich die Binnennachfrage schwächen. Auch eine staatliche Nachfragepolitik, die ausschließlich den privaten Konsum künstlich anzutreiben versucht, würde nur ein Strohfeuer entfachen und wäre auf Dauer nicht erfolgversprechend. Nachhaltig erfolgreiche Nachfragepolitik setzt auf Investitionen, auf die Wettbewerbsfähigkeit und den Standort. Denn exportierende Unternehmen aus Österreich weisen laut einer Studie des Wiener Institutes für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) eine um 66 Prozent höhere Arbeitsproduktivität, um 23 Prozent höhere Löhne und eine sogar um 72 Prozent höhere Investitionsintensität als nicht-exportierende Unternehmen auf. Es ist eine gewaltige „Exportprämie“, die nicht nur den Unternehmen, sondern auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zugute kommt. Die dritte Stärke, die es auszubauen gilt, ist unsere Orientierung an den Wachstumsmärkten in Mittel- und Osteuropa. Ein großer Teil des bisherigen österreichischen Wachstumsbonus gegenüber der Euro-Zone ist auf unser starkes Engagement in der MOEL-Region zurückzuführen. Die österreichischen Unternehmen haben als „Early Mover“ die Chancen der Ostöffnung rechtzeitig erkannt und erfolgreich genützt. Vor der Krise gingen bereits mehr als 23 Prozent der heimischen Warenexporte nach Mittelund Osteuropa und mehr als 20 Prozent des österreichischen BIP wurden bereits in Mittel- und Osteuropa investiert. Bei aller übertriebenen Skepsis und oft ungerechtfertigt scharfer Berichterstattung in den internationalen 24 veit sorger/markus beyrer | ist die große wirtschaftskrise schon bewältigt? Medien über unser Engagement in dieser Wachstumsregion muss angesichts der Fakten festgehalten werden: Während westeuropäische Staaten von den Ratingagenturen am laufenden Band herabgestuft werden, stehen in Osteuropa Verbesserungen auf der Tagesordnung. Viele Analysten bestätigen, das Westeuropa stressanfälliger ist als Osteuropa – zumal die prognostizierten Insolvenzraten der Unternehmen in zahlreichen alten EU-Mitgliedsstaaten seit der Krise wesentlich schneller in die Höhe schossen als in den neuen Mitgliedsstaaten. Bei sämtlichen Ratingagenturen haben jedenfalls Slowenien, die Slowakei, Tschechien, Polen und sogar Estland aktuell ein besseres Investment-Rating als zum Beispiel Griechenland. Osteuropa bleibt jedenfalls eine Region mit starken Fundamentaldaten und langfristig sehr guten Wachstums- und Ertragschancen. Der Nachholprozess wird noch mindestens zwei Generationen anhalten. Wichtig ist jetzt, dass der „Wachstumsmotor Mittel- und Osteuropa“ auf Touren gehalten wird, und dass wir an unserem Engagement, das unbestritten mit Risiken, aber vor allem auch mit Chancen verbunden ist, in turbulenten Zeiten wie diesen festhalten. Das Engagement im Osten birgt jetzt wieder neue Chancen: Demnächst dürfte die größte Privatisierungswelle in den MOEL seit 1990 anstehen, nicht zuletzt weil ausländische Direktinvestoren in den MOEL rar geworden sind und auch die öffentlichen Haushalte durch die Rezession tiefe Löcher aufweisen. Laut der KBC Bank stehen in Polen rund zehn Milliarden Euro an Assets bis Ende 2010 zum Verkauf; in Rumänien sind Privatisierungen um rund vier Milliarden Euro anvisiert und in Ungarn wird die nächste Regierung nach den Wahlen 2010 die Privatisierungspläne wohl auch aktivieren müssen. Das ist eine große Chance für österreichische Unternehmen. Das ist auch ein Grund, warum Liquidität sichergestellt werden muss. Ein Unternehmer weiß, nur wer schnell und flexibel agiert und die entsprechende finanzielle Rückendeckung hat, wird sich auf den globalen Märkten behaupten können. Die österreichische Industrie wird die Chancen, die sich nun neu eröffnen, auch nutzen. Der produzierende Sektor hat bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass er zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, dass auf die richtigen Technologien gesetzt wird, und dass in der gegenwärtigen Weltwirtschaft Marktanteile nicht mehr durch Größe und Um- 25 österreichisches jahrbuch für politik 2009 satzvolumen, sondern vor allem durch Schnelligkeit, Kreativität und Nachhaltigkeit sowie durch die richtige Vernetzung mit der übrigen Wirtschaft errungen werden können. 26