pr_0310 - Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie

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Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie
Göttingen
Pressemitteilung
11. Juli 2003
Strukturen von Nukleosidkinasen: Molekulare Einblicke
in Engpässe der Chemotherapie von Virus-Infektionen
und Krebs
Die Wirkung einer wichtigen Klasse von Medikamenten, die in der
Chemotherapie gegen Tumoren und Virus-Infektionen eingesetzt
werden, wird in vielen Fällen in der Zelle durch eine ineffiziente
Umwandlung zu pharmakologisch aktiven Verbindungen begrenzt. Eine
Schlüsselrolle spielen dabei Enzyme aus der Klasse der Nukleosid- und
Nukleotidkinasen. Wissenschaftler des Max-Planck-Institutes für
biophysikalische Chemie in Göttingen und der University of Illinois in
Chicago, U.S.A., haben jetzt die Struktur und die katalytischen
Eigenschaften eines solchen Enzyms aufgeklärt, das bei der Umsetzung
von mehreren medizinisch relevanten Verbindungen von essentieller
Bedeutung ist (E. Sabini et al., Nature Structural Biology 10, 513-519,
2003).
In der Chemotherapie viraler Infektionen und zahlreicher Krebserkrankungen werden
häufig Wirkstoffe eingesetzt, die in ihrer Struktur den physiologischen Bausteinen der
Nukleinsäuren ähneln. Diese Ersatzbausteine, so genannte Nukleosid-Analoga,
werden von den viralen oder zellulären Enzymen (Polymerasen), welche die
Nukleinsäuren (DNS) als Träger der genetischen Information vervielfältigen, meist
gut angenommen; sie führen bei der Synthese eines neuen DNS-Stranges jedoch zu
einem Kettenabbruch oder zu einer instabilen Struktur und hemmen dadurch die
weitere Vermehrung der Viren oder des Tumors. Diese Nukleosid-Analoga, im
jeweiligen Fall auch als Virustatika und Cytostatika bezeichnet, sind im Vergleich zu
den natürlichen Bausteinen meist in ihrem Zucker-Anteil chemisch verändert. Damit
sie als Medikament von den Zellen aufgenommen werden können, müssen sie dem
Patienten aber als Vorläufer-Substanzen, als so genannte Pro-Drugs, verabreicht
werden. Die pharmakologisch aktiven Formen entstehen dann in den Zellen unter
Beteiligung mehrere Enzyme, deren Aufgabe es ist, diese Pro-Drugs dreifach zu
"phosphorylieren", d.h. schrittweise drei Phosphatreste anzuhängen.
So werden bestimmte Medikamente bei der Behandlung von Herpes VirusInfektionen, andere universell bei der Behandlung von AIDS eingesetzt, und einige
Pro-Drugs spielen eine bedeutende Rolle in der Therapie von Tumor-Erkrankungen,
einschließlich Leukämien. In manchen Fällen erweisen sich diese Substanzen jedoch
als wenig wirksam, entweder weil die Pro-Drugs nur unzureichend zur therapeutisch
aktiven Form umgewandelt werden, weil sich ein toxisches Zwischenprodukt anhäuft,
oder weil die Nukleosid-Analoga nicht mit ausreichender Spezifität von den Zielzellen
eingebaut werden.
Durch die Zusammenarbeit der Forschergruppen von Arnon Lavie in Chicago und
Manfred Konrad in Göttingen ist es jetzt gelungen, die Struktur der
Deoxycytidinkinase (dCK), eines Schlüsselenzyms im Nukleotidstoffwechsel des
Menschen, durch die Methode der Protein-Kristallographie aufzuklären. Dieses
Verfahren der Strukturanalyse macht in diesem Falle sichtbar, wie Medikamente von
ihren Zielproteinen erkannt und verändert werden. Das Enzym dCK phosphoryliert in
der Zelle nicht nur die natürlichen Bausteine, sondern auch eine Reihe von
medizinisch relevanten Pro-Drugs. Die hohe Auflösung (0.16 nm) der Methode
erlaubt detaillierte Einblicke in die Struktur des Enzyms und lässt die für die
Phosphorylierung kritischen Wechselwirkungen zwischen einzelnen Aminosäuren
des Enzyms und Medikamenten erkennen. Die Strukturen der Verbindungskomplexe
zwischen Enzym und Medikament können auch erklären, warum verschiedene
Medikamente unterschiedlich gut phosphoryliert werden, was sowohl durch
Messungen am gereinigten Enzym als auch in Zellkulturen und sogar am Patienten
beobachtet wurden.
Mit diesen Kenntnissen ergeben sich jetzt auch neue Möglichkeiten, durch gezieltes
Verändern des Enzyms Varianten zu erzeugen, die bereits etablierte Pro-Drugs
selektiver und effizienter aktivieren. So ist es bereits gelungen, die menschliche dCK
so zu verändern, dass sie das natürliche Substrat Deoxycytidin 50-fach und ein
Analog 4-fach besser phosphoryliert als das natürlich vorhandene Enzym. Die
kritische Rolle dieses Enzyms in der Chemotherapie zeigt sich unter anderem in
einer direkten Korrelation zwischen der Aktivität des Enzyms und der Empfindlichkeit
von Tumorzellen auf Nukleosid-Analoga. So sind Zellen mit fehlender oder stark
verringerter dCK-Aktivität resistent gegen eine Behandlung mit verschiedenen ProDrugs; durch verstärkte Expression des Enzyms können die Zellen aber andererseits
gegen diese Antitumor-Substanzen empfindlicher gemacht werden.
Die Arbeiten der internationalen Forschergruppe zeigen beispielhaft, wie die
detaillierte Kenntnis der Struktur eines Schlüsselenzyms des menschlichen
Organismus dazu beitragen kann, die teilweise sehr unterschiedliche Wirkung von
klinisch etablierten Pharmaka auf molekularer Ebene zu verstehen. Die Ergebnisse
zeigen deshalb auch Wege auf für die Entwicklung neuer Medikamente, die in den
Zellen besser zur aktiven Wirksubstanz umgesetzt werden und damit eine wesentlich
bessere therapeutischen Wirkung entfalten könnten. Als langfristige Perspektive
könnten durch gezielte Strukturveränderung auch die Eigenschaften des
menschlichen Enzyms so optimiert werden, dass es die schon lange Zeit klinisch
eingesetzten Pro-Drugs effizienter umwandelt und dann für Gen- oder Proteintherapeutische Strategien bei der Behandlung gewisser Tumoren und Leukämien
geeignet ist.
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Abb.1: Umwandlung von Pro-Drugs zu aktiven Wirksubstanzen. (A) In
menschlichen Zellen werden Nukleoside (N), die Vorläufer-Bausteine für die
Synthese von Desoxyribonukleinsäure (DNS), durch Enzyme aus der Familie der
Kinasen dreifach phosphoryliert. Die Triphosphate sind dann Substrate für
Enzyme, die DNS-Polymerasen, welche für die Bildung von Nukleinsäure-Ketten
verantwortlich sind. Als Therapeutika verabreichte Nukleosid-Analoga (NA) werden
relativ gut in die Zellen aufgenommen, werden dann jedoch mit sehr
unterschiedlicher Effizienz durch die Kinasen phosphoryliert. Ihr Einbau in die DNS
zerstört deren Struktur: Viren können sich dann nicht weiter vermehren, und Zellen
sterben ab. (B) Beispiele für die chemischen Strukturen einiger Nukleosid-Analoga
(Pro-Drugs), die von großer therapeutischer Bedeutung sind. Im Vergleich zu den
physiologischen Substanzen wie Deoxycytidin und Deoxyguanosin sind die NAMoleküle in ihrem Zucker-Anteil chemisch verändert.
Originalveröffentlichungen:
Sabini, E., S. Ort, C. Monnerjahn, M. Konrad and A. Lavie: Structure of human
dCK suggests strategies to improve anticancer and antiviral therapy. Nature Struct.
Biol. 10, 513-519 (2003).
Monnerjahn, C., and M. Konrad: Modulated nucleoside kinases as tools to improve
the activation of therapeutic nucleoside analogues. ChemBioChem 4, 143-146
(2003).
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Abb.2: Schematische Darstellung der räumlichen Struktur der menschlichen
Deoxycytidinkinase (dCK). Das Enzym dCK besteht aus zwei identischen
Untereinheiten, die einen sehr stabilen Komplex bilden und jeweils ein
katalytisches Zentrum besitzen. Hier ist die Bindung der Substrate Deoxycytidin
(dC) und Adenosindiphosphat (ADP) gezeigt. In jeder Untereinheit ist die aus 260
Aminosäuren bestehende Polypeptidkette in charakteristischer Weise gefaltet:
Fünf nahezu parallel orientierte Elemente (ß-Stränge) sind umgeben von zehn
schraubenartigen Strukturelementen (α-Helices).
Weitere Informationen erhalten Sie von:
Dr. Manfred Konrad, Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, Abteilung
Molekulare Genetik (Direktor: Prof. D. Gallwitz), Am Fassberg 11, 37077 Göttingen.
Tel.: 0551-201 1706, Fax: 0551-201 1718, eMail: [email protected]. Wenn nicht
erreichbar, wenden Sie sich bitte an Christian Monnerjahn in Magdeburg: Tel.
039203-71 4537, eMail: [email protected]
Sie finden Text und Bilder auch in elektronischer Form unter www.mpibpc.mpg.de/PR/03_10/.
Herausgegeben von:
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christoph Nothdurft
37070 Göttingen
Tel: 0551 201 - 1641
Fax: 0551 201 - 1151
eMail: [email protected]
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