Parvovirus B19 - Deutsches Ärzteblatt

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M E D I Z I N
Susanne Modrow
Parvovirus B19
Ein Infektionserreger
mit vielen Erkrankungsbildern
Zusammenfassung
Infektionen mit Parvovirus B19 verursachen eine der klassischen Kinderkrankheiten, die
meist problemlos verlaufenden Ringelröteln
(Erythema infectiosum). In den letzten Jahren
fand man, dass Parvovirus-B19-Infektionen jedoch auch mit schweren Erkrankungen wie Arthritiden und Arthralgien, Anämien, Thrombound Granulozytopenien, Hepatitiden und Myokarditiden einhergehen können. Hierbei persistiert das Virus oft über längere Zeiträume im
Blut oder in bestimmten Geweben. Des Weiteren können Infektionen bei schwangeren Frauen zu Spontanaborten, Totgeburten oder Hydrops fetalis führen. Da durchschnittlich die
Hälfte der Frauen im gebärfähigen Alter keinen
Immunschutz besitzt, stellen Parvovirus-B19Infektionen eine häufige viruskorrelierte Komplikation während der Schwangerschaft dar.
Aufgrund der neuen epidemiologischen Datenlage sollten die Parvovirus-B19-Infektionen
und die Übertragungswege des Virus mehr Beachtung als bisher erfahren.
Schlüsselwörter: Parvovirus B19, persistierende Infektion, Schwangerschaftskomplikation,
Übertragungsweg, Immuntherapie
Summary
Parvovirus B19: An Infectious Agent With
Various Manifestations
Parvovirus B19 is the aetiological agent of
one of the classical diseases of childhood, the
rash illness fifth disease (erythema infectiosum). Beside this usually harmless illness
parvovirus B19 was, however, found to be associated with a variety of severe diseases such
as arthritis, anemia, thrombo- and granulocytopenia, hepatitis and myocarditis. In these
cases parvovirus B19 may persist over long periods of time in the peripheral blood or in individual organs of the patients. During pregnancy infections may result in spontaneous abortions, intrauterine fetal death and hydrops
fetalis. Since about half of the young adults are
not immune, parvovirus B19-infections should
be assumed as an important reason for viruscorrelated problems during pregnancy. Based
on these epidemiological data that were accumulated during the past years clinicians should
pay more attention to B19-infections and the
mode of viral transmission.
Key words: parvovirus B19, persistent infection, complication during pregnancy, transmission, immunotherapy
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arvovirus B19 wurde erstmals 1975
in der Konserve eines gesunden
Blutspenders nachgewiesen (7).
Bereits einige Jahre später gelang es,
dieses Virus als den Verursacher der
Ringelröteln, einer mit einem Hautausschlag einhergehenden Kinderkrankheit, zu identifizieren (1). Mit einem
Durchmesser der Partikel von 18 bis 26
nm zählt Parvovirus B19 zu den kleinsten bekannten Viren. Man ordnet es
dem Genus Erythrovirus in der Familie
der Parvoviridae zu, in der es den einzigen humanpathogenen Erreger darstellt. Die Viruskapside sind nicht von
einer Hüllmembran umgeben und
äußerst stabil (Abbildung 1). Sie bestehen aus zwei Strukturproteinen (VP1und VP2-Protein) und enthalten ein
einzelsträngiges, etwa 5 600 Basen langes DNA-Molekül als Erbinformation.
Parvovirus B19 infiziert bevorzugt die
Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen. In diesen Zielzellen erfolgt der
produktive Replikationszyklus, in dessen Verlauf ein weiteres virales Protein,
das Nichtstrukturprotein NS1, gebildet
wird. Die infizierten Zellen setzen
große Mengen von Viren frei und werden letztendlich durch Einleitung der
Apoptose zerstört.
Epidemiologie und
Übertragung
Infektionen durch Parvovirus B19 erfolgen überwiegend in der Kindheit:
Durch den Nachweis von virusspezifischen Antikörpern findet man bei 40
bis 50 Prozent der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren, dass sie den Status einer abgelaufenen B19-Infektion haben
und immunologisch vor Reinfektionen
geschützt sind. Da aber auch Erwachsene infiziert werden, steigt die DurchInstitut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene (Direktor: Prof. Dr. med. Hans Wolf) der Universität Regensburg
seuchungsrate auf etwa 70 bis 80 Prozent bei den 40- bis 50-Jährigen.
Parvovirus B19 wird üblicherweise
oral durch Tröpfcheninfektion übertragen. In akut infizierten Personen findet
man das Virus im Blut, zum Teil in sehr
großen Konzentrationen von 1011 bis zu
1013 Partikeln pro Milliliter. In dieser
frühen Phase der akuten Infektion, in
der noch keine virusspezifischen Antikörper vorliegen, können die virale
DNA und infektiöse Partikel auch im
Speichel nachgewiesen werden. Die Virusmengen im Speichel und peripheren
Blut sinken zeitgleich mit der Ausbildung einer spezifischen Immunantwort
ab. Die Erreger sind meist schon wenige Wochen nach der Infektion eliminiert und können auch mit äußerst senTextkasten 1
Erkrankungen, die in Zusammenhang mit
Parvovirus-B19-Infektionen auftreten
Immunkompetente Personen
Häufig:
Ringelröteln (Erythema infectiosum), transiente
Anämie, transiente Thrombozytopenie, transiente Granulozytopenie, Arthralgien/Arthritis
Selten:
Persistierende Thrombozytopenie, persistierende
Granulozytopenie, Purpura Schönlein-Henoch,
idiopathische thrombozytopenische Purpura,
Panzytopenie, virusassoziiertes hämophagozytäres Syndrom (VAHS), akutes Leberversagen/Hepatitis, Myokarditis, Glomerulonephritis, Enzephalitis, Myelitis transversa
Patienten mit hämatologischen
Grunderkrankungen
Schwere Anämie, aplastische Krise
Schwangere Frauen
Spontanabort, Hydrops fetalis, intrauteriner
Kindstod
Immunsupprimierte Patienten
Chronische Anämie, chronische Arthritis, chronische Thromboczytopenie, chronische Granulozytopenie, chronische Panzytopenie, Erythroblastopenie (pure red cell aplasia), Myokarditis/Perikarditis/akutes Herzversagen, akutes Leberversagen/Hepatitis, Meningitis/Enzephalitis
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sitiven diagnostischen Nachweismethoden nicht mehr aufgespürt werden. In
etwa 20 Prozent der Infizierten etabliert
sich jedoch eine chronisch persistierende Form der B19-Infektion, während
derer man im Blut zwar wesentlich geringere Virusmengen (103 bis 107 Partikel pro Milliliter), diese aber über längere Zeiträume nachweisen kann.
Da Parvovirus B19 im Blut der Patienten vorhanden ist, kann die Übertragung
der Infektion auch durch Schmierinfektionen von Blut und durch kontaminierte
Blutkonserven erfolgen. Die Erreger besitzen keine Lipidmembran als Hülle und
sind daher besonders stabil gegenüber
chemischen und physikalischen Inaktivierungsmethoden. Deswegen sind sie
als infektiöse Viren auch in Blutprodukten vorhanden (33). Man konnte zeigen,
dass weder Erhitzen auf 80°C für 72
Stunden oder auf 100°C für 30 Minuten
noch die üblicherweise zur Abtötung
membranumhüllter Viren eingesetzte
Behandlung mit Lösungsmitteln und Detergenzien die Infektiosität von Parvovirus B19 zerstören (38). Da durchschnittlich eine von 1 000 bis 2 000 Blutspenden
die Erreger in zum Teil sehr großen Mengen enthält, sind infektiöse Parvoviren in
Blutprodukten wie den Gerinnungsfaktoren VIII und IX, in Albumin und weiteren aus menschlichem Blutplasma gewonnenen Präparaten (zum Beispiel
PPSB) vorhanden (3, 13, 48). Deswegen
zeigen Hämophiliepatienten, insbesondere solche mit schweren Störungen der
Blutgerinnung, die häufig mit Faktor
VIII oder IX substituiert werden, bereits
im Kindesalter eine Serokonversionsrate
von fast 100 Prozent. Auch das ist ein
Hinweis dafür, dass infektiöse B19-Viren
in aus Blutplasma gewonnenen Präparaten vorhanden sind.
Klinik
Dem relativ einfachen molekularen
Aufbau von Parvovirus B19 steht eine
große Bandbreite unterschiedlicher Erkrankungen gegenüber, mit denen die
Infektionen einhergehen können (Textkasten 1). Der Verlauf der Infektion
und die Schwere der dabei auftretenden Symptome sind hauptsächlich
vom hämatologischen und immunologischen Status der Patienten abhängig.
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Immunkompetente Personen
Knapp ein Drittel der Parvovirus-B19Infektionen verlaufen ohne Symptome.
Vor allem bei Kindern verursacht das Virus das Erythema infectiosum (Ringelröteln), im englischen Sprachgebrauch
auch als „slapped cheek disease“ oder
„fifth disease“ bekannt. Der Ausdruck
„fifth disease“ bezieht sich auf die fünf
Kinderkrankheiten, die mit der Bildung
eines Hautausschlags verbunden sind:
Masern, Röteln, Windpocken, Scharlach und eben die Ringelröteln. Das
lang als häufigste Komplikation der
Parvovirus-B19-Infektion im Erwachsenenalter, die bevorzugt bei erwachsenen Frauen auftritt. Hier fand man in 50
Prozent der Fälle Arthropathien, vor
allem der kleinen Gelenke beider Hände und Füße (25, 36, 46). Die Gelenkbeschwerden dauern gewöhnlich ein bis
zwei Wochen an. Bei etwa 20 Prozent
der Patienten bleiben sie jedoch über
zwei Monate oder auch über Jahre bestehen oder können immer wiederkehren. In diesen Fällen bleibt das Virus im
peripheren Blut und/oder in den betrof-
Abbildung 1: Kryoelektronenmikroskopische Aufnahme vom Parvovirus-B19-Partikel (VP2-Kapside).
Links: Aufsicht auf die strukturierte Oberfläche der Partikel; rechts: Querschnitt durch ein Partikel.
Bei infektiösen Viren ist der Hohlraum mit dem Genom ausgefüllt, das aus einzelsträngiger DNA besteht.
Erythema infectiosum ist durch ein unspezifisches Prodromalstadium mit erkältungsähnlichen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, leichter Übelkeit
und Durchfällen gekennzeichnet. Nach
etwa zwei bis fünf Tagen erscheint der
charakteristische Ausschlag, zuerst als
feurig-rote Eruption auf den Wangen
(Abbildung 2a). Nach weiteren ein bis
vier Tagen folgt ein zweites Stadium:
Ein makulopapulöses Exanthem, das
häufig die Form der für die Ringelröteln typischen Girlanden oder Ringeln
zeigt (Abbildung 2b). Bei Kindern verlaufen die Parvovirus-B19-Infektionen
im Allgemeinen problemlos und mild.
Gerade in jüngster Zeit häufen sich jedoch die Befunde, die auch in Kindern
das Auftreten von Gelenkentzündungen mit der B19-Infektion assoziieren
(19, 22). Diese Symptomatik galt bis-
fenen Gelenken vorhanden – es entwickeln sich somit persistierende Parvovirus-B19-Infektionen (5, 37, 44, 45).
Weil Parvovirus B19 durch seinen
ausgeprägten Tropismus erythroide
Vorläuferzellen befällt und zerstört,
kommt es im Infektionsverlauf zu akuten Anämien. Eine vorübergehende
Abnahme der Retikulozyten und der
Hämoglobinwerte als Hinweis auf die
virusbedingte Zerstörung der Erythrozytenvorläufer findet man daher bei allen, auch bei den ansonsten asymptomatischen B19-Infektionen (2). Ähnlich wie die Arthritiden können auch
die Anämien über längere Zeit andauern oder rekurrieren (17, 18, 49). Außer
Anämien treten aber auch Veränderungen in den Werten anderer Blutzellen
auf. Man findet oft eine akute, gelegentlich auch persistierende Abnahme
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der Thrombozyten und der neutrophilen Granulozyten (4, 24, 39, 40). Diese
Symptomatik kann in Einzelfällen zu
lebensbedrohenden und auch tödlichen
Verläufen führen. Des Weiteren wurden auch Purpura Schönloch-Henlein,
idiopathische
thrombozytopenische
Purpura (Morbus Werlhof) sowie transitorische Panzytopenien als mögliche
Folgen der Parvovirus-B19-Infektion
beschrieben (10, 39). In einigen Fällen
beobachtet man im Infektionsverlauf
Weiterhin stehen akute Hepatitiden
oder Fälle von akutem Leberversagen
gelegentlich im Verdacht, durch Parvovirus-B19-Infektionen verursacht zu
sein. In Leberbiopsien der Patienten
fand man vereinzelt B19-Genome, wie
häufig die Infektion allerdings mit dieser Symptomatik assoziiert ist, ist nicht
geklärt (8, 14, 43). Auch wurden gelegentliche Fälle von akuter Glomerulonephritis als Folge einer B19-Infektion
beschrieben (26).
Hämatologische Erkrankungen
Weil Parvovirus B19 durch seinen ausgeprägten Tropismus Erythrozytenvorläuferzellen infiziert und zerstört, entwickeln Patienten mit Erkrankungen des
blutbildenden Systems häufig schwere
akute Anämien. Damit muss vor allem
bei Patienten mit Sichelzellanämie, erblicher Sphärozytose und verschiedenen
Thalassämien, aber auch bei solchen mit
hämolytischer Autoimmunanämie oder
mit Enzymanomalien der roten Blutkörperchen wie Pyruvatkinasedefizienz gerechnet werden. In diesen Fällen tritt
plötzlich eine lebensbedrohende Anämie auf, die oft mit einem völligen Fehlen
der Retikulozyten einhergehen kann.
Diese aplastischen Krisen können jedoch
auch ohne hämatologische Grunderkrankung bei Patienten mit erythroidem
Stress, beispielsweise verursacht durch
schwere Blutverluste bei Unfällen oder
chirurgischen Eingriffen oder durch Eisenmangelanämien auftreten. Sie müssen umgehend mit Bluttransfusionen
therapiert werden, um Dekompensationen zu vermeiden.
Schwangere Frauen
a
b
Abbildung 2: Manifestationen der Ringelröteln; a) feurig-rote Eruption auf den Wangen; b) Ringelund girlandenförmiger Ausschlag auf den Extremitäten
die Ausbildung des virusassoziierten
hämophagozytären Syndroms (VAHS).
Dieses ist durch eine reversible Hyperplasie der Histiozyten sowie eine ausgeprägte Hämophagozytose und Zytopenie gekennzeichnet. Die Erkrankung
nimmt einen meist gutartigen, selbstlimitierenden Verlauf.
Frühere Hinweise, dass die Virusinfektion ätiologisch mit der Entstehung
des SLE (SLE, systemischer Lupus
erythematodes) in Verbindung steht,
konnten nicht bestätigt werden und sind
daher umstritten (12, 47). Die Parvovirus-B19-Infektion kann jedoch einem
akuten SLE sehr stark ähneln und in
Einzelfällen bei zugrunde liegendem
SLE neue Schübe dieser Autoimmunerkrankung auslösen (11, 21). Ähnliches
gilt für Patienten mit Sjögren-Syndrom
als Grunderkrankung (35).
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In jüngster Zeit wird jedoch eine
weitere schwere Erkrankung als kausal durch Parvovirus B19 verursacht
diskutiert. In Patienten mit Myokarditis und dilatativer Kardiomyopathie
findet man in Endothelzellen von Endomyokardbiopsien gehäuft Virusgenome, etwa 30 Prozent der untersuchten Proben erwiesen sich dabei als positiv. Es scheint sich allerdings nicht
um eine Symptomatik zu handeln, die
mit akuten B19-Infektionen einhergeht. Das Parvovirus persistiert hier
im Myokard der Patienten (9, 27, 29).
Inwieweit sich diese Befunde bestätigen lassen, bleibt weiteren Untersuchungen vorbehalten. Allerdings sollte man bei ungeklärter kausaler Genese von Myokarditiden auch an Parvovirus B19 als ursächliches Agens denken.
Wenn Parvovirus B19 schwangere Frauen infiziert, dann kann das mit schweren
Folgen für den Fetus verbunden sein. Infektionen in der Frühschwangerschaft
können zum Spontanabort führen. Wie
häufig dies geschieht, ist unklar. Vor allem im zweiten und dritten Trimester der
Schwangerschaft können die Viren transplazentar auf den Fetus übertragen werden. Man schätzt, dass dies in 10 bis 20
Prozent der schwangeren Frauen mit Parvovirus-B19-Infektion geschieht (Public
Health Working Party on Fifth Disease)
(34). In diesem Entwicklungsstadium findet das Virus im Fetus infizierbare Zellen
vor – es vermehrt sich vor allem in den
Pronormoblasten der fetalen Leber. Virusgenome konnte man aber auch im fetalen Myokard und der Lunge nachweisen. Als Folge der Zerstörung der
Erythrozytenvorläufer und der damit
verbundenen Unterbrechung der Bildung von roten Blutkörperchen kommt
es im Fetus zur Ausbildung von schweren
Anämien mit der Folge von Ödemen und
Wassereinlagerungen im Gewebe (Aszi½ Jg. 98½
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tes, Hydrothorax, Hydroperikard). Dieser Hydrops fetalis führt unbehandelt
fast immer zum Tod des ungeborenen
Kindes und zum Abort. Spontane Rückbildungen wurden nur sehr selten berichtet. Neuere Untersuchungen in Schweden, in deren Rahmen die intrauterinen
fetalen Todesfälle in der Spätschwangerschaft untersucht wurden, zeigten jedoch
auch bei 15 Prozent dieser nicht mit Hydrops verbundenen Fälle eine Assoziation mit Parvovirus-B19-Infektionen (28,
42). Hinweise auf Schädigungen oder
Missbildungen des Fetus als Folge der
B19-Infektion gibt es bisher nicht. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland
durchschnittlich die Hälfte der Frauen
im gebärfähigen Alter keinen Immunschutz aufweist, stellt die ParvovirusB19-Infektion heute wohl neben den Zytomegalievirus-Infektionen die häufigste
viruskorrelierte Komplikation während
der Schwangerschaft dar.
Grafik
Immunsupprimierte Patienten
In immunsupprimierten Patienten (angeborene Immundefizienzen, Transplantationspatienten, HIV-infizierte Personen) verlaufen die Parvovirus-B19-Infektionen meist chronisch persistierend
und verursachen schwere, lebensbedrohende Erkrankungen (15, 20, 30). Außer
schweren, chronischen Anämien, Retikulozytopenien und Neutropenien zählt
hierzu die Erythroblastopenie (PRCA,
pure red cell aplasia). Vor allem die PRCA ist in chemotherapeutisch immunsupprimierten Transplantationspatienten mit lebensbedrohenden Komplikationen verbunden. Bei dieser Patientengruppe findet man im Gegensatz zu immungesunden gehäuft Myokarditis, Perikarditis, akutes Herz- und Leberversagen, Meningitis und Enzephalitis. Man
schätzt die B19-assoziierte Mortalität in
Transplantationspatienten auf etwa sieben Prozent (41).
Diagnostik
Akute Infektionen weist man durch das
Vorhandensein von Virusgenomen im
peripheren Blut durch die PolymeraseKettenreaktion (PCR) nach. Etwa eine
Woche nach dem Kontakt mit dem Vi½ Jg. 98½
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Virusvermehrung, Antikörperbildung und Symptome im Verlauf der Parvovirus-B19-Infektion; a)
akute Infektion; b) persistierende Infektion
rus sind in der frühen Inkubationsphase
noch vor dem Auftreten der ersten
IgM-Antikörper gegen die Strukturproteine sehr große Virusmengen im
peripheren Blut vorhanden (Grafik a).
Da kein Zellkultursystem zur Züchtung
der Erreger existiert, kann man die Viruspartikel nur durch Hämagglutinations- oder serologische Antigennachweistests nachweisen. Deutlich empfindlicher und daher heute üblich ist jedoch der DNA-Nachweis. Antikörper
der IgM-Klasse sind ebenfalls ein Anzeichen für eine akute Infektion, nachweisbare Konzentrationen findet man
frühestens etwa zehn Tage nach Viruskontakt. Eingesetzt werden hierzu
ELISA- oder Western-Blot-Tests. Der
Einsatz partikulärer Formen der VP2Proteine als Antigen hat sich insbesondere in empfindlichen IgM-Capture-
Tests und für den Nachweis von Antikörpern bewährt, die gegen konformationelle Epitope gerichtet sind. Bei einigen Patienten fällt die IgM-Konzentration allerdings sehr schnell wieder ab
und bereits drei Wochen später sind
diese Immunglobuline nicht mehr vorhanden. Deswegen sollte bei schwangeren Frauen zum sicheren Ausschluss einer akuten Infektion immer auch die
Durchführung eines PCR-Tests in Erwägung gezogen werden.
IgG-Antikörper gegen die Strukturproteine und eine gleichzeitig negative
PCR sowie negative Befunde bezüglich
des IgM-Nachweises sind diagnostische
Hinweise auf den Status einer abgelaufenen B19-Infektion mit erfolgter Eliminierung der Viren aus dem peripheren Blut. Personen mit diesen serologischen Parametern gelten als immun und
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Textkasten 2
Vorgehensweise bei Parvovirus-B19-Infektionen während der Schwangerschaft
❃ Erhebung des Immunstatus
IgG/IgM gegen die Strukturproteine VP1 und
VP2
Mögliche Ergebnisse:
1) IgG positiv/IgM negativ:
abgelaufene Infektion, Immunschutz vorhanden
2) IgG negativ/IgM positiv:
akute Infektion, kein Immunschutz
3) IgG negativ/IgM negativ:
Verdacht auf akute Infektion, kein Immunschutz, Wiederholung
Bei 2) plus 3):
Nachweis der Virus-DNA (PCR) im mütterlichen
Blut, positives Ergebnis bei akuter Infektion
❃ Beim Nachweis einer akuten B19-Infektion:
– engmaschige Ultraschallkontrolle
– Kontrolle des Hämoglobinwerts im fetalen
Blut
– Kontrolle der Virus-DNA (Fruchtwasser und
mütterliches Blut)
– Bestimmung von Antikörpern gegen NS1Proteine
– eventuell Immunglobulintherapie
❃ Beim Nachweis von Hb-Werten < 10 g/dl oder
bei sich ausbildenden Ödemen (Wasseransammlungen) im Feten:
– Intrauterine Bluttransfusionen
sind vor einer erneuten Infektion mit
Parvovirus B19 geschützt. Die IgG-Antikörper sind erstmals etwa zwei Wochen nach Kontakt mit dem Virus nachweisbar, sie steigen dann in ihrer Konzentration an und bleiben lebenslang
erhalten (Grafik a). Ein Teil der IgGAntikörper ist neutralisierend und an
der Eliminierung des Virus aus dem peripheren Blut beteiligt. Deswegen sinken zusammen mit der Zunahme der
IgG-Konzentrationen die nachweisbaren Viruskonzentrationen rasch ab. Bei
den meisten Infektionen sind bereits
vier Wochen nach Infektion keine Erreger mehr nachweisbar.
Bei den persistierenden Infektionsverläufen bleiben die Virusgenome im
peripheren Blut über die PCR über längere Zeiträume von bis zu mehreren
Jahren durch die PCR nachweisbar,
wenn auch mit 103 bis 107 Genomäquivalenten pro Milliliter Blut in deutlich
geringeren Konzentrationen als in den
frühen Infektionsphasen (Grafik b).
Bei den B19-assoziierten Arthritiden,
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den Myokarditiden und auch den Hepatitiden findet man die Viren oft nur in
Biopsien der erkrankten Organe. Mit
Ausnahme der immunsupprimierten
Patienten sind zugleich auch IgG-Antikörper gegen die Strukturproteine und
häufig auch gegen das NS1-Protein vorhanden (16, 31, 32). Letztere sind ein
wichtiger serologischer Hinweis dafür,
dass in den Personen eine chronische
Parvovirus-B19-Infektion abläuft oder
dass im Vorfeld eine B19-Infektion mit
verzögerter Viruseliminierung stattgefunden hat.
Therapie
Bisher sind keine antiviralen Chemotherapeutika zur Behandlung der Parvovirus-B19-Infektion verfügbar. Es
gibt auch keinen Impfstoff. Wie bereits
oben erwähnt, müssen Patienten mit
schweren Anämien und aplastischen
Krisen möglichst umgehend mit Bluttransfusionen behandelt werden. Immunsupprimierte Patienten, die im Verlauf einer Organ- oder Knochenmarktransplantation akute oder persistierende B19-Infektionen entwickeln, werden
mit Immunglobulinpräparaten therapiert, die hohe Konzentrationen B19spezifischer Antikörper enthalten. In
den meisten Fällen wird dadurch eine
Regression der B19-assoziierten Symptome erreicht (6, 23).
Ein besonderes Problem in der Therapie akuter B19-Infektionen stellen
B19-negative schwangere Frauen dar,
die nach Kontakt mit B19-infizierten
Personen serokonvertieren. Unabhängig davon, ob die Frauen im Verlauf der
akuten Infektion selbst die Symptome
einer frischen Parvovirusinfektion zeigen oder diese ohne Krankheitsanzeichen verläuft, kann das Virus auf den
Fetus übertragen werden. Dieser kann
während des zweiten und dritten
Schwangerschaftstrimesters als Folge
der Infektion einen Hydrops fetalis entwickeln, der in aller Regel zum Tod des
werdenden Kindes und zum Abort
führt. Auch ein Zusammenhang der fetalen Infektionen mit intrauterinem
Kindstod ist beschrieben. Ist in einer
schwangeren Frau eine akute B19-Infektion serologisch und/oder symptomatisch nachgewiesen, muss der Fetus
in engmaschigen Ultraschallkontrollen
auf die Ausbildung hydropischer Ödeme untersucht werden. Zugleich müssen dopplersonographische Untersuchungen zur Abschätzung des Anämierisikos im ungeborenen Kind durchgeführt werden. Weist das über Nabelschnurpunktion gewonnene fetale Blut
Hämoglobinwerte von unter 10 g/dl auf,
dann muss der Hb-Wert durch intrauterine Bluttransfusionen (20 bis 80 ml)
angehoben werden. Ähnliches gilt,
wenn im Ultraschallbild erste Ödeme
erkannt werden. Letztendlich kann
auch eine Blutaustauschtransfusion am
werdenden Kind durchgeführt werden.
Es zeigte sich, dass durch diese Vorgehensweise die Kinder ohne Ausbildung
von Folgeerscheinungen gerettet werden konnten. Eine Aufstellung der Vorgehensweise beim Kontakt schwangerer Frauen mit B19-infizierten Personen ist in Textkasten 2 gegeben.
Neben diesen Möglichkeiten scheint
es jedoch auch sinnvoll, bereits bei Diagnose einer akuten B19-Infektion der
schwangeren Frau Immunglobulinpräparate zu verabreichen. Hierzu liegen zwar keine ausführlichen Studien
sondern nur Fallberichte vor. Immunglobuline können aber ähnlich wie in
immunsupprimierten Patienten geeignet sein, die Virämie während der akuten Infektion in schwangeren Frauen
zu kontrollieren und somit die Übertragung auf den Fetus zu verhindern. In
jeden Fall sollte jedoch zuerst die serologische Diagnosestellung einer frischen Parvovirus-B19-Infektion erfolgt
sein.
Danksagung: Die Autorin dankt Prof. Dr. Hans Wolf, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Universität Regensburg, und Priv.-Doz. Dr. Hartwig Lehmann, Rheumaklinik
Bad Bramstedt, für das kritische Lesen des Manuskripts
und für eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen.
❚ Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 2001; 98: A 1620–1624 [Heft 24]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser
und über das Internet (www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.
Anschrift der Verfasserin:
Prof. Dr. rer. nat. Susanne Modrow
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Universität Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
E-Mail: [email protected]
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