PI LEDERGERBER "Monolithe" Kunsthalle Wil, 6. November bis 26. Dezember 1999 Pi Ledergerber 1951 1968-72 1975 1975-78 seit 1979 seit 1985 seit 1998 Geboren in Stans Bildhauerausbildung in Luzern Matura Studien in Physik und Philosophie, Universität Bern Atelier in Bern Atelier in der "Fabrik" in Burgdorf Arbeitsaufenthalte in Berlin Lebt in Bern und arbeitet in Burgdorf Einzelausstellungen (Auswahl) 1989 Galerie im "Chäslager", Stans 1990 Galerie im Amtshimmel, Baden Galerie Mäder, Basel 1993 Galerie Margit Haldemann, Bern 1994 "Kunst im Rohbau", Salem-Spital, Bern Kunstraum Medici, Solothurn 1995 Fabrik Burgdorf Galerie Robol, Wien 1996 Kunsthalle Burgdorf 1998 Kunstraum Medici, Solothurn Galerie Cachet, Wien Kunstraum "farb", Langenthal 1999 Kunsthalle Wil Gruppenausstellungen (Auswahl) 1989 "Raumwechsel", Kulturzentrum Kammgarn, Schaffhausen "Skulptur", Fabrik Burgdorf 1990 "Raster und Bewegung", Galerie Margit Haldemann, Bern 1991 "Raumwechsel 2", Kulturpanorama, Luzern 1992 Kulturaustausch, Städtische Galerie, Schwenningen, D Jahresausstellung, Kunsthalle Bern 1993 Kunsthalle Winterthur "Climat 93", Genf 1994 Berner Biennale, Kunsthaus Langenthal "Skulptur Heute", M. L. Wirth, Hochfelden ZH Jahresausstellung, Kunsthalle Bern 1995 "Skulptur Heute", M. L. Wirth, Hochfelden ZH Jahresausstellung, Kunsthalle Bern 1998 Skulpturenweg Grauholz, Bern-Schönbühl 1999 "Quo vadis", Galerie Contempo, Grenchen "Stadt/Land", Museum Wünsdorf, D Abbildungen: 1. Block, 1996, Tessiner Gneis, achtteilig, 82x40x30 cm (Titel) 2. Skulptur, 1995, Tessiner Gneis, fünfteilig, 138x85x28 cm 3. Monolith, 1998, Kalkstein, vierteilig, 92x55x55 cm 4. Quader, 1995/96, Tessiner Gneis, achtteilig, 87x105x105 cm (innen) 5. Quader, 1995, Tessiner Gneis, dreiteilig, 99x115x19 cm (innen) Fotos: David Aebi / Muriel Steiner Mit der freundlichen Unterstützung von: Stadt Burgdorf Bundesamt für Kultur © 1999 Kunsthalle Wil und Autor, Poststrasse 10, CH-9500 Wil/SG Die Sprache des Gesteins Vom Fels der Berge herausgebrochen, verschifft, per Bahn ausgeliefert, erhält der Bildhauer Pi Ledergerber seine Kuben, Quader und Platten. Unterschiedliches Gestein in Form grosser Blöcke bildet sein Ausgangsmaterial. Jeder Stein erfordert eine besondere technische Behandlung und eine Formgebung, welche die spezifischen Möglichkeiten seiner Struktur zum Tragen bringt. Das Material wirkt stilbildend innerhalb der Vorstellung von Ledergerber. Als Bildhauer, der unmittelbar – ohne vorgängiges Modell – am Material arbeitet, durch die sogenannte "taille directe", hat er einen scharfen Sinn für die persönliche Wesensart der inneren Bindung seiner Gesteine erworben. Das sinnliche und geistige Erlebnis des Steins ist ein Teil der plastischen Idee selbst. Auch im verwandelten Stein bleibt das Natürliche gegenwärtig – die Skulpturen erinnern an verwitterte Felsen, doch der menschliche Formwille ist spürbar. Ledergerber fasst die sichtbare Welt und die Welt seiner reinen Vorstellung in räumlicher, dreidimensionaler Körperlichkeit auf. Die Werke beginnen bereits mit der sorgfältigen Auswahl des Steines. Gneis ist nicht einfach Gneis; die Farben nuancieren in verschiedenen Grauwerten bis hin zu Grünlich-Grau. Als Bildhauer erlebt Ledergerber das Volumen zuerst in der klaren, kubischen Urform, dem grossen, schweren Quader. Dieser ist bereits auf ein bestimmtes Mass zugesägt oder gespalten. Ledergerber folgt einem Arbeitskonzept, dessen Spuren sichtbar bleiben und dem Betrachter erlauben, den Vorgang zu rekonstruieren. Es handelt sich um verschiedene Techniken, den Stein zu bearbeiten. Das konzeptuelle System seines Schaffens bezieht sich auf die verschiedenen Möglichkeiten, den Stein in Teile zu zerlegen: ihn entzweizusägen oder mit Keilen zu spalten, die Aussenseite auf verschiedene Arten zu behandeln, Bruchstellen oder Spuren von Abschlägen sichtbar lassend, gelegentlich die Fläche glättend, um danach die Elemente wieder zum Ganzen zusammenzubauen. Die Monumentalität dieser Skulpturen beruht auf der Dialektik zwischen der Unmittelbarkeit des Materialeindrucks und dem Elementaren der Form. Aus dem Grundprinzip von Teilung, Bearbeitung und Zusammenfügen hat sich Ledergerber verschiedene formale Möglichkeiten erschlossen. So wandelt er den vollen Block mit einfachen Eingriffen um, in ein architektonisches Konzept, zur Raum umschliessenden Konstruktion von Stützen und Lasten. Dabei dringt er nicht wie in der klassischen Bildhauerei von aussen nach innen vor, um eine im Stein enthaltene Figur freizulegen, sondern er zerteilt den Block. Vom grossen Quader bricht er eine Platte weg, sprengt davon einen Balken ab – den Block lässt er in drei Teile zersägen, zwei schmale aussen und einen breiten in der Mitte, nimmt den mittleren heraus und legt den schmalen Quader wie einen Balken auf die beiden Wände. Dabei fügt er die Teile in ihre ursprüngliche Position zusammen – die Bruchfugen passen exakt aufeinander. Die Aussenmasse, Höhe, Breite und Tiefe, entsprechen genau dem Ausgangsmaterial. Der Titel "Quader" weist auf diese Tatsache hin. Vom Aussehen her wären diese Konstellationen aus einzeln gefertigten Teilen mit weniger Aufwand zu realisieren. Die Idee, den ursprünglichen Monolith im gestalteten Werk zu erhalten, lässt dies nicht zu. Trotzdem der Konstruktionsvorgang ein völlig anderer ist, lassen sich diese Skulpturen vor dem Hintergrund architektonischer Ideen verstehen. Im Hinweis auf unsere Kultur, die gebrochenen Stein zur Errichtung von Gebäuden verwendet, wird unter anderem auch der ohne Mörtel feingefügte Pont du Gard (Nîmes) heraufbe- schworen. Die Konzeption dieser Skulpturen basiert auf nachvollziehbaren Analogien der plastischen Volumen von Skulptur und Architektur – dazu gehören im besonderen eine Reihe von Stelen. Die das ursprüngliche Mass der Blöcke beibehaltenden Werke machen die Dialektik naturbedingter Teilungsprozesse und kalkuliert gespalteter Einschnitte mit dem Ergebnis der geometrischen Form anschaulich. Als einfache geometrische Zeichen vereinen sie in sich die ureigensten Mittel der Skulptur, die stehende und die liegende Figur. Bei einer weiteren Werkgruppe steht wie bei seinen tektonischen Skulpturen die Aufspaltung der grossen Blöcke aus Tessiner Gneis in Teile am Anfang, hier allerdings in mehrere gleichgrosse Quader. Diese werden zur Gestalt von wie natürlich verwittertem Gneis behauen und anschliessend haargenau ineinandergepasst und zusammengestellt oder aufeinandergeschichtet. Daran lässt sich auch hier gut erkennen, dass die Skulptur aus einem Stück gearbeitet wurde. Dabei kann als weiterer Hinweis eine Blockseite noch als glatte Fläche erhalten sein. Ledergerber hält seine Abstraktion in den Grenzen der Naturgesetze des Steins. Ein verinnerlichtes Raumgefühl und ein bemerkenswerter Sinn für Geschlossenheit, trotz einer spannend-bizarr gezackten Silhouette, charakterisiert diese Skulpturen. Sie zeigen, wie der harte Stein, Gneis, gerade in der Abstraktion durch seine spezifischen Eigenschaften die lebendige Formvorstellung des Bildhauers beeinflussen kann. Ledergerber weiss, was es heisst, zum Gehalt des Materials vorzudringen. Das ist mehr als eine Entdeckung neuer Formbereiche, es bedeutet, zu einer wirklichen Zwiesprache mit dem Geist des Steins zu finden. In den an Steinmale oder antike Steinsetzungen erinnernden Skulpturen in Form elementarer Gesteine scheint sich der Wunsch nach archaischer Ursprünglichkeit auszudrücken. Diese Deutungsmöglichkeit liegt den "monolithischen" Skulpturen zugrunde, die letztendlich den Prozess veranschaulichen, gestaltende Form als neugeschaffene Ordnung einer vormaligen Einheit zu behaupten. Das Aufsplittern und Wiederzusammenfügen von Formen ergibt einen räumlichen Rhythmus, der sich als Gestalt weder in menschlicher noch in pflanzlicher Figürlichkeit verliert, sondern eine autonome Form bildet, die aus einem persönlichen Gestaltungswillen entstanden und stets horizontal und vertikal ausgerichtet ist. Ihre Stärke liegt auf der überzeugenden, originalen Beschaffenheit einer Skulptur, die nur auf die Schöpfungskraft von Mensch und Natur zurückgeführt werden kann. Mit seinem Schaffen steht Ledergerber keineswegs isoliert innerhalb der zeitgenössischen Bildhauerkunst. Zwar an die Steinbildhauerei der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts anknüpfend, beschreitet er, auf die dem Stein innewohnenden Strukturen horchend, allerdings einen eigenen Weg, der ihn zu neuen Lösungen führt. Er unterwirft den Stein seinem Formwillen, aber er braucht nichts anderes darzustellen als nur sich selbst, als ein Bruchstück von dem grossen Fels, von dem der Block gewonnen wurde. Natürlich wird das Handwerk absolut gekonnt eingesetzt – jedoch nicht für vordergründige Bravourstücke. Kultur heisst für Ledergerber, dem Gestein sein eigenes "Leben", das den natürlichen Gesetzen von Wachstum und Zerfall unterliegt, sprechenden Ausdruck zu verleihen. Frank Nievergelt