Wärmehaushalt Definition. milde Hypothermie: Temperatur 36,0 – 36,5 ° C; mäßiggradige Hypothermie 32,0 – 36,0 °C, schwere Hypothermie < 32,0 °C [41] Ursachen. Kältebelastung durch Auskühlen, nasse Haut, kalte Atemgase bei Beatmung, Infektion, Schock, Sepsis, Hypothyreose, Benzodiazepine Klinische Zeichen und Befunde bei Hypothermie. kühle Peripherie und marmoriertes blasses Hautkolorit bei Zentralisation, Erregung oder Apathie/Lethargie bis hin zum Koma, Areflexie, Abfall von Herzfrequenz, Blutdruck und Atemfrequenz, Apnoen und Bradykardien, Hypoglykämie, Hypoxämie, metabolische Azidose, disseminierte intravasale Gerinnung, Thrombozytenfunktionsstörungen, PPHN, verminderte Medikamentenmetabolisierung, Depression des Immunsystems mit erhöhter Infektanfälligkeit, Surfactant-Inaktivierung und Störung der Surfactant-Neubildung !Bei einer Hypothermie muss das Neugeborene langsam aufgewärmt werden (ca. 1 °C pro Stunde). Am besten geschieht dies im Inkubator mit maximaler Feuchtigkeit, mit einer Plastikfolie zugedeckt und mit einer Mütze auf dem Kopf. Therapeutische Hypothermie s. Kap. 3. 7.2.2 Hyperthermie Eine Hyperthermie kommt seltener als eine Hypothermie vor, ist aber ein ernst zu nehmender Zustand, der sorgfältig abgeklärt und behandelt werden muss. Sie ist beim Neugeborenen relativ selten und entweder auf einen erhöhten Sollwert oder – wesentlich häufiger – eine externe Überwärmung zurückzuführen [39]. Neben einer Infektion können schwere Hirnfehlbildungen oder eine 7.3 Wärmepflege 7.3.1 Temperaturmessung Der tatsächlichen Körperkerntemperatur am nächsten kommt die rektale Messung mit einem flexiblen Thermistor, der bis etwa 3 – 5 cm rektal eingeführt wird. Auch die mit einem herkömmlichen Thermometer rektal gemessene Temperatur korreliert gut mit der Körperkerntemperatur und liegt normalerweise zwischen 36,5 und 37,5 °C. Eine einmalige postnatale rektale Messung ist außerdem ein effektiver Screeningtest für Analatresien [32]. Wegen des – geringen – Risikos einer Perforation wird jedoch die axilläre Messung empfohlen; die axilläre Temperatur liegt etwa 0,5 °C niedriger als die rektal gemessene. Die Hauttemperatur kann mit einer Tempera- 134 schwere Asphyxie zu einem erhöhten Sollwert mit der Folge einer Hyperthermie führen [32]. Ursächlich ist hier eine fehlende Temperaturkontrolle als Folge einer Schädigung des Hypothalamus [6]. Ein wichtiges klinisches Unterscheidungsmerkmal zwischen erhöhtem Sollwert und Überwärmung ist die Temperaturdifferenz zwischen Körperstamm und Peripherie. Ein überwärmtes Neugeborenes hat eine warme Peripherie (Differenz 1 – 2 °C), während ein Neugeborenes mit Infektion eine kühle Peripherie hat (Differenz > 3 °C) [32]. Schwere Hyperthermie geht mit erhöhtem Sauerstoffverbrauch einher und kann u. U. zu Schock, disseminierter intravasaler Gerinnung und Organschäden wie Leber- oder Hirnschädigungen (intraventrikuläre Hämorrhagie, periventrikuläre Leukomalazie) führen [1, 32]. Definition. Temperatur > 37,5 °C [41] Ursachen. Überwärmung durch Atemgase oder andere externe Wärmequellen (Fototherapie, Isolette, Wärmestrahler), gestörte Wärmeabgabe (Kleidung, Tücher), Infektion (auch mütterliche Infektion), Sepsis, Meningitis, Hirnblutung Klinische Zeichen und Befunde bei Hyperthermie. Flüssigkeitsverlust und Hypernatriämie, Apnoen, Hirnschädigung !Messelektroden bei servogesteuerten Geräten überprüfen! Der Betrieb von Wärmestrahlern und Wärmebetten sollte immer über ein Servokontrollsystem erfolgen, das die abgegebene Wärme rückgekoppelt mit der Hauttemperatur reguliert. Bei eingeschränkter Perfusion können externe Wärmequellen bereits bei niedrigeren Temperaturen zu Hautverbrennungen führen! tursonde am Oberbauch oder Rücken gemessen werden, beim reifen Neugeborenen liegt sie bei 35,5 – 36,5 °C, beim Frühgeborenen bei 36,2 – 37,2 °C und bei extrem kleinen Frühgeborenen entspricht sie in etwa der rektalen Temperatur. Dies spiegelt den geringeren Gradienten (Differenz zwischen peripherer Temperatur und Kerntemperatur) bei kleinen Frühgeborenen wider [27]. MERKE: Der Gradient zwischen peripherer Temperatur und Körperkerntemperatur ist bei Neu- und Frühgeborenen aufgrund des geringen subkutanen Fettgewebes mit 0,5 – 1,5 °C [22] deutlich geringer als beim Erwachsenen (3 – 4 °C). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 7 7.3 Wärmepflege Erstversorgung Während der Erstversorgung ist die Vermeidung einer Hypothermie extrem wichtig, aber auch eine Hyperthermie sollte vermieden werden [31]. Gesunde Neugeborene werden abgetrocknet, in vorgewärmte, trockene Tüchern eingewickelt und, falls möglich, der Mutter auf den Bauch gelegt, feuchte Tücher sollten gewechselt werden [31]. Die Temperatur im Geburtszimmer sollte warm sein (25 – 28 °C) [41], die Türen geschlossen, um Zugluft zu vermeiden [16, 31]. Im Rahmen der Erstversorgung bei kranken Neugeborenen wird das Neugeborene in warme Tücher auf den Reanimationstisch mit Wärmestrahler und Wärmematratze gelegt und abgetrocknet, Frühgeborene werden stattdessen mit einer Klarsichtfolie abgedeckt, der Kopf sollte mit einer Baumwollmütze bedeckt werden. Die Temperatur im Erstversorgungsraum sollte bei 28 – 30 ° C liegen. Respiratorische Wärmeverluste werden vermieden durch angewärmten und befeuchteten Sauerstoff bei der Erstversorgung. Eine kürzlich durchgeführte Cochrane-Analyse hat gezeigt, dass das Risiko einer Hypothermie bei Frühgeborenen oder untergewichtigen Neugeborenen durch Hautkontakt mit der Mutter, Plastikfolieoder -beutel und Wärmematten signifikant gesenkt werden kann. Baumwollmützen waren bei Kindern unter 2000 g grenzwertig signifikant effektiv [25]. 7.3.3 Transport Abhängig vom Wetter und von der Entfernung ist bei einem Transport eines Neugeborenen und speziell eines Frühgeborenen ein Wärmeverlust durch Radiation wahrscheinlich. Dieser kann durch „Einpacken“ des Neugeborenen in gewärmte Tücher, eine Abdeckung des Transportinkubators und ggf. Wärmematten reduziert werden. Für Transporte innerhalb einer Klinik sollten die räumlichen Gegebenheiten in modernen Perinatalzentren so gestaltet sein, dass lange Wege vom Kreißsaal zur Neonatologie vermieden werden. In einer randomisierten Studie bei sehr kleinen Frühgeborenen konnte hierbei kein signifikanter Unterschied in der Aufnahmetemperatur nach Inkubatortransport und Transport in der offenen Pflegeeinheit nachgewiesen werden. Die Zieltemperatur von 36,5 – 37,5 °C bei Aufnahme wurde bei etwa ⅔ der Frühgeborenen erreicht [28]. 7.3.4 Frühgeborene und hypotrophe Neugeborene Frühgeborene und kranke Neugeborene werden meist nackt gepflegt, um eine kontinuierliche Beobachtung zu gewährleisten und leichteren Zugang für Eingriffe zu haben. Dies führt zu einer erhöhten Temperaturlabilität, da nackte Neugeborene eine um etwa den Faktor 3 niedrigere Resistenz gegen Wärmeverlust haben als bekleidete [15]. Die Körpertemperatur extremer Frühgeborener sinkt bei Eingriffen wie Intubationen, Legen von Zugängen, Anfertigung von Röntgenbildern oder pflegerischen Maßnahmen [29]. Aus diesem Grund sollte die Zeit für solche Eingriffe begrenzt sein, die Türen des Inkubators sollten nicht unnötig offen stehen und eventuell sollte eine zusätzliche Wärmelampe benutzt werden. Diese darf nicht über dem Inkubator stehen, da dadurch dessen Wärmesteuerung gestört und die Plexiglaswände beschädigt werden könnten. Daneben ist auf ausreichende Feuchtigkeit im Inkubator zu achten. Bei einem Absinken der Luftfeuchtigkeit von 80 auf 60 % kann die Körpertemperatur extremer Frühgeborener innerhalb von 5 min um 1 °C sinken [19]. Tücher, Kleidung oder andere Gegenstände in unmittelbarer Nähe des Kindes sind vorzuwärmen, ebenso Bolusgaben z. B. von Kochsalzlösung oder Blut. Auf jeder Neonatologie sollte für unerwartete Geburten oder Aufnahmen ein Inkubator oder eine offene Pflegeeinheit jederzeit bereitstehen und vorgewärmt sein. Die Heizungen der Beatmungsgeräte sollten vor Inbetriebnahme aufgewärmt und mit Wasser gefüllt sein [19]. Hautkontakt mit Mutter oder Vater (Känguruh-Pflege) ist auch bei sehr unreifen Frühgeborenen eine effektive Methode, um die Körpertemperatur stabil zu halten [2, 40]. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 7.3.2 7 MERKE: Wärmeschutzmaßnahmen haben oberste Priorität; vor allem während der Erstversorgung und in den ersten Lebensstunden. 7.3.5 Pflege des Neugeborenen im Inkubator Für die Inkubatorpflege des Neugeborenen auf Station werden Doppelwandinkubatoren bevorzugt, da durch die doppelten Wände der Wärmeverlust reduziert wird. Die Gradientensteuerung, also die Messung sowohl der peripheren als auch der zentralen Temperatur, gibt am besten Auskunft darüber, ob sich das Frühgeborene in einer komfortablen thermischen Umgebung befindet (Komfortzone) [21]. Günstigstenfalls werden sehr unreife Frühgeborene in den ersten 2 Lebenswochen daher mittels Gradientensteuerung gepflegt. Bei der Gradientensteuerung wird die periphere Temperatur am Fußrücken oder an der Fußsohle und die Kerntemperatur am Stamm gemessen. Die Temperaturdifferenz (Gradient) sollte sich zwischen 0,2 und 2 °C bewegen und die Kerntemperatur sollte zwischen 37 und 38 °C liegen (Tab. 7.1). Sofern die Inkubatortemperatur auf über 35 °C eingestellt werden muss, ist die Verwendung von zusätzlichen Folien hilfreich. Der Vorteil dieser Methode ist das frühe Erkennen von Temperaturschwankungen und -abfällen, die bei der Einpunktmessung nicht erfasst werden, da das Frühgeborene vermehrt Energie aufwendet, um die Kerntemperatur aufrechtzuerhalten, und diese sich zunächst noch im 135 7 Wärmehaushalt Tab. 7.1 Interpretation der Gradientensteuerung. Gradient Interpretation 0,2 – 2 °C normal > 2 °C Hypothermie periphere Vasokonstriktion Kreislaufinsuffizienz persistierender Ductus arteriosus Dopamin Infektion/Sepsis < 0,2 °C Hyperthermie periphere Vasodilatation Merke: Relaxantien, Sedativa oder Anästhetika können eine Zunahme der peripheren Perfusion bedingen, es kommt zum vermehrten Wärmeverlust und in der Folge zur Abnahme der Kerntemperatur. Richtwerte für die Inkubatoreinstellung (doppelwandiger Inkubator). Gestationsalter (SSW) Inkubatortemperatur (°C) Relative Feuchte 1.– 2. Lebenswoche (%) Relative Feuchte ab 3. Lebenswoche (%) 24 – 25 36 85 26 – 27 35 85 28 – 29 34 80 jeden 2. Tag um 5 % reduzieren, bis zu einem Wert von 50 % 30 – 31 33 80 32 32 75 33 31 75 34 30 70 Anmerkung: Die Tabelle gibt ungefähre Richtwerte für nackte Neugeborene an. Die Feuchte muss in Abhängigkeit der Inkubatortemperatur geregelt werden und sollte nicht unter 50 % reduziert werden. In den ersten Lebensstunden kann eine höhere Temperatur notwendig sein, im Lauf der ersten Lebenstage kann die Temperatur häufig reduziert werden. Normbereich befindet, obwohl bereits eine katabole Stoffwechsellage eingetreten ist. Bei Frühgeborenen > 1250 g und reifen Neugeborenen kann die „klassische“ ISC-Temperatursteuerung (ISC: Infant Servo Control) verwendet werden. Dabei wird die Inkubatortemperatur über die Hauttemperatur des Neugeborenen geregelt. Die Messung der Hauttemperatur erfolgt mittels einer Temperatursonde, die am Stamm befestigt wird. Die ISC-Steuerung hat den Nachteil größerer Schwankungen der Lufttemperatur, z. B. bei der Pflege des Neugeborenen. Außerdem wird die Temperatur bei Neugeborenen mit Fieber, bei Ablösung der Sonde oder bei direkter Exposition der Sonde gegenüber anderen Wärmequellen inadäquat reguliert [7]. Im Luftbetriebsmodus (Air Mode Control) wird die gewünschte Lufttemperatur im Inkubator eingestellt und über eine Temperatursonde im Inkubator reguliert. Dies führt, verglichen mit der ISC-Steuerung, zu stabileren Umgebungstemperaturen, reduzierten Temperaturschwankungen und niedrigeren zentral-peripheren Temperaturgradienten bei sehr unreifen Frühgeborenen [7]. Richtwerte für die Inkubatortemperatur sind in Tab. 7.2 aufgeführt. 136 7.3.5.1 Inkubatorfeuchte Der insensible Wasserverlust lässt sich z. B. durch Anfeuchten der Atemluft und eine hohe relative Luftfeuchtigkeit bei hoher Umgebungstemperatur verringern. Bei Absinken der Umgebungstemperatur nimmt die relative Feuchte zu, nicht jedoch der Wassergehalt. Wird die Luft im Inkubator stärker befeuchtet, so verringert sich der Wärmeverlust durch Abnahme der Verdunstung. Die relative Feuchtigkeit kann, je nach Unreife des Frühgeborenen, auf bis zu 85 % im Inkubator hochreguliert werden (Tab. 7.2). Bei sehr unreifen Frühgeborenen kann der Einsatz einer zusätzlichen Klarsichtfolie notwendig sein. Im Lauf der ersten 2 Lebenswochen nimmt die Durchlässigkeit der Haut für Wasser ab, sodass die Feuchtigkeitswerte schrittweise reduziert werden können. Für die Pflege eines Frühgeborenen im Inkubator ist eine adäquate, der Unreife und dem Alter angepasste Luftbefeuchtung essenziell. So konnte schon in den 1950er Jahren eine signifikante Reduktion der Mortalität bei Frühgeborenen in den ersten 5 Lebenstagen durch eine höhere Luftfeuchtigkeit gezeigt werden [36]. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Tab. 7.2 7.3 Wärmepflege Pflege des Neugeborenen unter einer offenen Pflegeeinheit mit radiativer Wärmelampe Als Alternative zum Inkubator eignet sich für Neugeborene, die nackt beobachtet werden müssen, eine offene Pflegeeinheit mit einer radiativen Wärmelampe, die etwa 90 cm über dem Kind angebracht ist. Die Wärmeleistung der Lampe wird über die Hauttemperatur geregelt, gemessen mit einer Temperatursonde am Oberbauch. Durch diese Servorsteuerung schwankt die Wärmeabgabe über die Lampe stark und Temperaturschwankungen des Neugeborenen werden schnell ausgeglichen. Der Wärmeverlust durch Konvektion und Evaporation ist höher als im Inkubator, aufgenommen wird die Wärme über Radiation. Die basale Stoffwechselrate ist etwas höher [20] und die Differenz zwischen Hauttemperatur an Stamm und Extremitäten größer als bei der Inkubatorpflege [32]. Neben der Wärme wird durch Evaporation auch vermehrt Wasser verloren, was zu einer hypernatriämischen Dehydratation führen kann [8, 17]. Der Wasserverlust kann durch die Verwendung einer Klarsichtfolie reduziert werden [3]. Vorteile hat die offene Pflegeeinheit beim Handling des Neugeborenen oder wenn Eingriffe durchgeführt werden müssen. Eine Cochrane-Analyse konnte keine Unterschiede in klinisch wichtigen Outcomeparametern zwischen Inkubatorpflege und Pflege in der offenen Einheit zeigen [8]. MERKE: Eine kühle Peripherie kann auch andere Gründe als „nur“ eine kühle Umgebungstemperatur haben. Deshalb ist die Einstellung und Interpretation der Temperaturverläufe je nach klinischer Situation zu hinterfragen. Literatur [1] Bacon C, Scott D, Jones P. Heatstroke in well-wrapped infants. Lancet 1979; 1: 422 – 425 [2] Bauer K, Pyper A, Sperling P et al. Effects of gestational and postnatal age on body temperature, oxygen consumption, and activity during early skin-to-skin contact between preterm infants of 25-30-week gestation and their mothers. Pediatr Res 1998; 44: 247 – 251 [3] Baumgart S. Reduction of oxygen consumption, insensible water loss, and radiant heat demand with use of a plastic blanket for low-birth-weight infants under radiant warmers. 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