6. Zusammenfassung Ionotrope Glutamatrezeptoren (iGluRs) vermitteln den Großteil der exzitatorischen Neurotransmission im zentralen Nervensystem von Säugetieren. Die in dieser Arbeit untersuchten delta-Rezeptoren, GluD1 und GluD2, werden allerdings allein auf Grund von Sequenzhomologien zu der Familie der iGluRs gezählt. Agonisteninduzierte Ionenströme durch die delta-Rezeptoren wurden bisher nicht beobachtet, und es ist wenig darüber bekannt, wie sie ihre physiologischen Funktionen ausüben. Eine mögliche Erklärung für die bisher nicht nachweisbare Ionenkanalfunktion ist, dass bisher unbekannte akzessorische Proteine für die Bildung funktioneller delta-Rezeptoren essentiell sind. Ein Ziel dieser Arbeit bestand daher darin, Interaktionspartner der Rezeptoren zu identifizieren. Dazu wurden delta-Rezeptorkomplexe affinitätschromatographisch oder durch Immunpräzipitation aus murinen neuralen Stammzellen, menschlichen embryonalen Nierenzellen sowie Mäuse-Cerebelli aufgereinigt und massenspektrometrisch analysiert. Hierbei wurden u. a. folgende Proteine im Komplex mit den delta-Rezeptoren identifiziert: Alpha-Enolase, D-3-Phosphoglycerat-Dehydrogenase, Flotillin-1, Flotillin-2, Protein 14-3-3 und die Na+ /K+ -ATPase-Untereinheit α3. Der Einfluss dieser potentiellen Interaktionspartner auf die Funktion der delta-Rezeptoren kann nun in weiterführenden Studien untersucht werden. Zur Identifikation möglicher funktioneller Domänen von delta-Rezeptoren wurden in dieser Arbeit verschiedene delta-Rezeptorchimären und -mutanten elektrophysiologisch in Xenopus-Oocyten charakterisiert. Wie die GluD2-Rezeptorchimäre mit der Ligandenbindungsdomäne (LBD) eines Kainat-Rezeptors aus einer vorangegangenen Studie bildeten die entsprechende GluD1-Chimäre und eine GluD2-Chimäre mit der LBD eines AMPARezeptors funktionelle ligandenaktivierte Ionenkanäle. Das Agonistenprofil der Chimären ähnelte jeweils dem des entsprechenden LBD-Donors. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Ionenporen von GluD1 und GluD2 prinzipiell durch ligandeninduzierte Konformationsänderungen geöffnet werden können. Dies deutet darauf hin, dass der Hauptunterschied zwischen delta- und anderen ionotropen Glutamatrezeptoren innerhalb der LBD zu finden ist, da alle anderen Domänen die Bildung eines ligandenaktivierten Ionenkanals erlauben. Mit den funktionellen Chimären war es möglich, die Bildung von delta-Rezeptorkomplexen und deren mögliche Interaktion mit anderen Proteinen genauer zu analysieren. 206 6. Zusammenfassung So wurde näher untersucht, ob die delta-Rezeptoren – wie in der Literatur postuliert – Heteromere mit anderen Glutamatrezeptorunterfamilien bilden. Für eine solche Heteromerbildung mit AMPA- oder NMDA-Rezeptoruntereinheiten konnte in dieser Arbeit allerdings kein Hinweis gefunden werden. Die transmembranen AMPA-Rezeptor-regulierenden Proteine (TARPs), die einen großen Einfluss auf die Funktion von AMPA-Rezeptoren haben, veränderten die Eigenschaften der GluD2-Rezeptorchimären nicht, und der GluD2Wildtyprezeptor zeigte auch in Gegenwart von TARPs keine ligandenaktivierte Ionenkanalfunktion. Gleiches gilt für den kürzlich identifizierten GluD2-Interaktionspartner Cbln1: Er beeinflusste weder die Funktion der Chimären noch bewirkte er, dass eine GluD2-Funktion messbar wurde. Da Cbln1 als sekretorisches Protein an die extrazelluläre Domäne von GluD2 bindet, in dieser Arbeit aber nicht in der extrazellulären Lösung nachgewiesen werden konnte, kann der fehlende Effekt allerdings auch auf einer zu geringen Proteinkonzentration beruhen. Die Chimären ermöglichten außerdem weitergehende Untersuchungen der funktionellen Domänen der delta-Rezeptoren. Dabei wurde nachgewiesen, dass die GluD2-Ionenpore sich wie die eines AMPA- oder Kainat-Rezeptors verhält. Mutagenesestudien zeigten darüber hinaus, dass die Permeabilitätseigenschaften der GluD2-Pore durch die gleichen Aminosäurereste bestimmt werden wie bei AMPA- und Kainat-Rezeptoren. Dies steht im Einklang mit Beobachtungen anderer Arbeitsgruppen an der konstitutiv offenen GluD2Lurcher -Mutante. Auch die Linkerregion, die die LBD mit der Ionenpore verbindet und für die Übersetzung der Ligandenbindung in die Kanalöffnung wichtig ist, wurde mit Hilfe der Chimären untersucht. Die Mutation eines konservierten Arginins (R660) innerhalb dieser Linkerregion zu Glutamat führte bei der GluD1-Chimäre zu einer Potenzierung der agonisteninduzierten Stromantworten. Bei AMPA- und Kainat-Rezeptoren bewirken entsprechende Mutationen eine verringerte Desensitisierung, so dass anzunehmen ist, dass dies auch bei der GluD1-Chimäre der Fall ist. Bei Wildtyp-GluD2 und der GluD2-Chimäre führten Mutationen des R660 zu Glutamat oder Serin zur Bildung konstitutiv offener Ionenkanäle. Dies lässt den Schluss zu, dass die Linkerregion in delta-Rezeptoren wie in AMPA- und Kainat-Rezeptoren eine wichtige Rolle für die Stabilität geschlossener Kanalkonformationen spielt. Die konstitutiv offenen R660E- und R660S-Mutanten von GluD2 ließen sich wie die natürlich vorkommende GluD2-Lurcher -Mutante durch Glycin oder D-Serin, die der GluD2-Chimäre mit Kainat-Rezeptor-LBD durch Glutamat teilweise schließen. Die hierbei ablaufenden Konformationsänderungen sind wahrscheinlich mit denen vergleichbar, die während der Desensitisierung anderer ionotroper Glutamatrezeptoren ablaufen. Des Weiteren deuteten Ioneneffekte darauf hin, dass es durch die Mutationen zu einer Bildung von Ca2+ - oder Mg2+ -Bindestellen in der GluD2-Chimäre kam, die ebenfalls die Desensitisierungseigenschaften der Chimären beeinflussten. 207 6. Zusammenfassung Im Rahmen der Untersuchung konstitutiv offener delta-Rezeptormutanten wurde in dieser Arbeit auch ein in der Literatur existierender Widerspruch über die funktionellen Eigenschaften der künstlichen Lurcher -Mutante von GluD1 aufgeklärt. Während die Lurcher -Mutation in Maus-GluD1 zur Bildung konstitutiv offener Ionenkanäle führt, geschieht dies bei Ratten-GluD1 nicht. Ursache für diesen Unterschied ist die Seitenkette an Position 822 (Glutamat im Maus-, Aspartat im Rattenprotein) in der Linkerregion, die folglich eine wichtige Rolle für die Konformation der Ionenpore von GluD1 spielt. Außerdem wurde gezeigt, dass intrazelluläre Polyamine die Ionenpore von Maus-GluD1Lurcher wie beim GluD2-Lurcher -Kanal blockieren können, extrazelluläre Polyamingifte jedoch nicht. Dies legt nahe, dass es in der Ionenpore strukturelle Unterschiede zwischen GluD1-Lurcher und GluD2-Lurcher gibt. Anders als bei GluD2-Lurcher hatten D-Serin, Glycin und NMDA keinen Effekt auf den spontanen Ionenfluss durch MausGluD1-Lurcher. Hierbei stellt der im Rahmen dieser Arbeit erbrachte Nachweis, dass die Ströme durch GluD2-Lurcher nicht nur durch D-Serin- und Glycin- sondern auch durch NMDA-Applikation reduziert werden können, einen weiteren Beleg für die Ähnlichkeit zwischen der GluD2-LBD und der LBD des NMDA-Rezeptors GluN1 dar. Die vorliegende Arbeit liefert eine Reihe weiterer deutlicher Hinweise, dass die meisten Domänen der delta-Rezeptoren für die Bildung funktioneller ligandenaktivierter Ionenkanäle ausgelegt sind und der Grund für die bisher nicht nachweisbare Funktion in der LBD liegt. Außerdem wurden funktionelle Domänen der delta-Rezeptoren im Detail charakterisiert und mögliche Interaktionspartner identifiziert. Die gewonnen Erkenntnisse stellen somit einen wichtigen Schritt zur Aufklärung der bisher nur wenig charakterisierten elektrophysiologischen Eigenschaften der delta-Rezeptoren dar. 208