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Störungen im Stoffwechsel
von Amino- und Karbonsäuren
9.1 Einleitung
Ätiopathogenese. Amino- und Organoazidopathien werden durch autosomal rezessiv vererbte Enzymdefekte im
Abbau der Aminosäuren verursacht. Unterschiedliche Karbonsäuren (Aminosäuren und ninhydrinnegative organische Säuren) stauen sich an und wirken oft neurotoxisch
oder auch hepatotoxisch. Die klinische Symptomatik wird
bestimmt durch:
Q Ausmaß und Dauer der Proteinzufuhr bzw. des endogenen Proteinabbaus (im Rahmen eines Gewebekatabolismus, z. B. bei Operationen, interkurrenten Infekten,
Nahrungsverweigerung, Erbrechen, oder auch bei Eiweißexzessen),
Q durch den Schweregrad des Enzymdefekts und
Q die spezifische Toxizität der Metaboliten.
erfolgreich praktiziert, sodass jetzt zunehmend früh diagnostizierte und erfolgreich behandelte junge Erwachsene,
zunächst mit Phenylketonurie, aus ihrer bisherigen Betreuung in pädiatrischen Zentren in die „Erwachsenmedizin“
wechseln müssen. 2002 wurde der Untersuchungsumfang
des Neugeborenenscreenings mit der Tandemmassenspektroskopie auf mehr als 20 ebenfalls behandelbare genetische Erkrankungen, unterschiedliche Aminoazidopathien,
Organoazidopathien sowie Fettsäurenoxidations- und Carnitinstoffwechseldefekte, erweitert (Schulze et al. 2003).
9.2 Phenylketonurie (PKU) und
Hyperphenylalaninämien
Definition
Einteilung. Die allenthalben übliche Unterteilung spiegelt
primär die historische Entwicklung der klinisch-chemischen Analytik wieder:
Q Aminosäuren waren seit den späten 40er-Jahren durch
die Ninhydrinreaktion gut nachzuweisen, was zur Entdeckung der Aminoazidopathien führte. Durch den Einsatz gaschromatographischer Methoden, insbesondere
in Kombination mit massenspektrometrischer Detektion, wurden Verbindungen ohne Aminogruppe empfindlich nachweisbar, eindeutig identifizierbar und
quantifizierbar.
Q Seit den 70er-Jahren konnten bei vielen Erkrankungen
pathognomonisch erhöhte organische Säuren nachgewiesen werden. Diese Erkrankungen werden als
Organoazidopathien bezeichnet. Sie zeigen meist zusätzlich diagnostische Erhöhungen spezifischer Acylcarnitine, die sich in allen Körperflüssigkeiten mit der Tandemmassenspektroskopie gut nachweisen lassen.
Neugeborenenscreening. Bei Amino- und Organoazidopathien sind betroffene Kinder bei Geburt unauffällig, allerdings oft nur für wenige Tage. Da sich bleibende Schäden nur verhindern lassen, wenn die Behandlung noch vor
den ersten Symptomen einsetzt, ergab sich die Notwendigkeit zur Untersuchung aller Kinder gleich nach der Geburt
– also ein Screening aller Neugeborenen. In den 60er-Jahren wurde durch die Initiativen des Pädiaters Horst Bickel
in der Bundesrepublik Deutschland und des klinischen Genetikers Alwin Knapp in der ehemaligen DDR das Neugeborenenscreening auf die wichtigste Aminoazidopathie,
die Phenylketonurie, flächendeckend eingeführt (Hoffmann u. Machill 1994). Seit über 30 Jahren wird in den
deutschsprachigen Ländern das Neugeborenenscreening
Die Phenylketonurie (PKU) ist mit einer Inzidenz von ca.
1 : 10 000 die häufigste genetische Krankheit des Aminosäurenstoffwechsels. Ursache ist ein autosomal rezessiv vererbter
Defekt des Enzyms Phenylalaninhydroxylase. Infolge des Enzymblocks kommt es zu einer exzessiven Erhöhung der Aminosäure Phenylalanin im Körper (Hyperphenylalaninämie). Ohne
Behandlung entsteht eine schwere Entwicklungsstörung des
Gehirns mit den Leitsymptomen geistige Behinderung, Mikrozephalie, Epilepsie und erethischem, aber auch ängstlich zurückgezogenem Verhalten. Aufgrund des flächendeckenden
Neugeborenenscreenings wird heute frühzeitig eine phenylalaninarme diätetische Behandlung der Patienten erreicht und die
Patienten entwickeln sich weitgehend normal. In Einzelfällen
wurden spät auftretende neurologische Störungen beobachtet.
Epidemiologie
Die Inzidenz der PKU-Formen Typ I und II (Tabelle 9.2) beträgt weltweit durchschnittlich 1 : 12 000 Neugeborene
mit einer Spannbreite von 1 : 1 000 000 in Finnland bis zu
1 : 2500 in der Türkei (Beaudet et al. 2001). Die Inzidenz
für Typ III beträgt 1 : 22.200, für die BH4-Kofaktordefekte
1 : 1 000 000 (Blau et al. 2001).
In Deutschland beträgt die Inzidenz der Hyperphenylalaninämien 1 : 6630; Typ I oder Typ II 78,7 %, Typ III 21,0 %,
BH4-Kofaktordefekte 0,3 % (Hoffmann u. Machill 1994). Daten des statistischen Bundesamtes erlauben es, die Prävalenz der PKU in Deutschland abzuschätzen. Über die Inzidenz der Tetrahydrobiopterin-(BH4-)responsiven Form der
auf einem Hydroxylase-Mangel beruhenden Phenylketonurie ist bislang wenig bekannt. Muntau et al. (2002) schätzen, dass bei über 80 % der Patienten mit PKU Typ II eine
Behandlung mit BH4 erfolgreich sein könnte.
Aus Hoffmann, G. F., A. J. Grau: Stoffwechselerkrankungen in der Neurologie (ISBN 9783131363213) © Georg Thieme Verlag KG 2004
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G. F. Hoffmann, P. Burgard, J. Pietz
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Aus der Inzidenz und dem Erbgang lässt sich für
Deutschland eine Heterozygotenprävalenz von 1 : 40 schätzen. Derzeit leben in Deutschland ca. 6300 behandlungsbedürftige Personen, die vor (d. h. in der Regel ohne rechtzeitige Indikationsstellung) und ca. 3400 Personen, die
nach Einführung des Screenings geboren wurden.
Pathophysiologie und Genetik
Genetik
Die von Følling (1934) erstmals beschriebene PKU ist durch
einen autosomal rezessiv vererbten Defekt des Enzyms
Phenylalaninhydroxylase (Enzym Kommission 1.14.16.1)
verursacht (Abb. 9.1). Die Phenylalaninhydroxylase (PAH)
ist auf dem langen Arm von Chromosom 12 kodiert. Derzeit
sind rund 477 verschiedene Mutationen bekannt (PAH Locus Knowledgebase: http://www.pahdb.mcgill.ca).
Phenylalaninanreicherung, Tyrosinverarmung
Die in der Leber exprimierte PAH katalysiert die Umwandlung der essenziellen Aminosäure Phenylalanin zu Tyrosin.
Die Residualaktivität und die daraus resultierende für die
Therapie bedeutsame Phenylalanintoleranz ist mit unterschiedlichen Mutationen korreliert (Guldberg et al. 1998).
Bei der klassischen PKU ist Phenylalanin im Blut und in
Körpergeweben postnatal exzessiv erhöht. Parallel entwickelt sich ein relativer Tyrosinmangel. Tyrosin ist bei
Menschen mit PKU eine semiessenzielle Aminosäure.
Abb. 9.1 Stoffwechsel von Phenylalanin
und Tyrosin; BH4 = Tetrahydrobiopterin,
Kofaktor der PAH, NTBC = 2-(2-Nitro-4-Trifluoromethylbenzoyl)-1,3-Cyclohexadion.
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9.2 Phenylketonurie (PKU) und Hyperphenylalaninämien
Obwohl die molekularen Grundlagen der PKU mittlerweile
gut aufgeklärt sind, sind die pathophysiologischen Mechanismen, die zur Hirnfunktionsstörung und Schädigung
führen, weitgehend ungeklärt. Dies betrifft sowohl die
strukturell-morphologische Schädigung des Gehirns bei
unbehandelten oder ungenügend behandelten Patienten,
die möglichen Langzeiteffekte erhöhter Phenylalaninspiegel (nach Diätbeendigung) auf das bei früh behandelten
Patienten weitgehend normal entwickelte Gehirn wie auch
den aktuell „toxischen“ Einfluss erhöhter Phenylalaninspiegel auf die Hirnfunktion.
Störung der Proteinbiosynthese. Als eine wichtige Ursache der gestörten Gehirnentwicklung bei der unbehandelten PKU wird eine Störung der Proteinbiosynthese angenommen. Dem Gehirn stehen weniger essenzielle
Aminosäuren zur Verfügung, weil deren Einstrom über die
Blut-Hirn-Schranke gehemmt wird. Der Influx der großen
neutralen Aminosäuren vom Blut in das Gehirngewebe erfolgt durch ein im Kapillarendothel lokalisiertes, Na-unabhängiges Transportersystem. Die großen neutralen Aminosäuren konkurrieren kompetitiv um diesen Transporter. Da
Phenylalanin die höchste Affinität aufweist, verursachen
Erhöhungen der Plasmakonzentration von Phenylalanin Erniedrigungen der anderen Aminosäuren im Gehirngewebe.
Die Fluxraten einiger Aminosäuren gehen bereits bei Plasma-Phenylalaninkonzentrationen ≥ 500 μmol/l dramatisch
zurück. Die resultierende Störung der Proteinsynthese
wurde tierexperimentell und in vitro belegt (Hughes u.
Johnson 1978), wobei sich die Effekte bei zusätzlicher Zufuhr der anderen Aminosäuren selbst unter gleich bleibend
hohen Konzentrationen von Phenylalanin fast vollständig
zurückbildeten.
Störung der Neurotransmittersynthese. Zu den über das
gemeinsame L-Transportersystem an der Blut-HirnSchranke in das Gehirn transportierten großen neutralen
Aminosäuren zählen die Neurotransmittervorläufer Tyrosin
und Tryptophan. Zusätzlich hemmen Phenylalanin und
auch der Phenylalaninmetabolit Phenylbrenztraubensäure
konzentrationsabhängig enzymatische Reaktionen bei der
Bildung von Dopamin und Serotonin. Unbehandelte Patienten haben im Liquor entsprechend verminderte Konzentrationen der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin sowie
deren Abbauprodukte (McKean 1972). Eine Störung der
Neurotransmittersynthese wird im Rahmen der Dopaminmangelhypothese (Butler et al. 1981) vor allem für neuropsychologisch fassbare Defizite verantwortlich gemacht
(Güttler u. Lou 1986, Welsch et al. 1990, Diamond 1994).
bilisierung des Myelins beteiligt sind, führt deren verminderte Bildung zu einer Destabilisierung und zu einem
erhöhten Myelinumsatz. Als Nettoeffekt resultiert eine
Hypo- bzw. Dysmyelinisierung. Immunhistochemische
Studien belegten, dass bei erhöhtem Phenylalanin myelinisierende Oligodendrozyten den Phänotyp nichtmyelinisierender Oligodendrozyten annehmen (Dyer et al. 1996).
Neuropathologie
Der häufigste grobmorphologische Befund der Gehirne unbehandelter PKU-Patienten ist eine ausgeprägte Reduktion
des Hirngewichts, die Ursache der klinisch beobachteten
Mikrozephalie.
Veränderungen an der weißen Substanz. Dem liegt vor
allem eine Reduktion der weißen Substanz mit Vakuolisierungen und gliöser Umwandlung bis zur fast vollständigen
Rarefizierung zugrunde (Malamud 1966, Crome u. Stern
1972). Es besteht ein verändertes Lipidmuster, insbesondere eine Reduktion von Proteolipiden und Cerebrosiden.
Zusätzlich zu diesen diffusen Störungen der Gehirnbinnenstruktur werden fokale Veränderungen nachgewiesen, die
aber meist nicht auf die Grundkrankheit, sondern auf iktale Schädigungen bezogen werden. Zusätzlich beobachten
mehrere Autoren bei einzelnen, in der Regel älteren Patienten, eine symmetrische Demyelinisierung des Marklagers
der Hemisphären und des Kleinhirns. Bei Patienten, die an
einer spastischen Paraparese litten, wurde zusätzlich eine
spinale Degeneration der Pyramidenbahn zusammen mit
anderen fokalen Degenerationsherden beschrieben. Unklar
ist, warum die Myelinisierung peripherer Nerven verhältnismäßig wenig beeinträchtigt ist.
Veränderungen an der grauen Substanz. Neben den Veränderungen der weißen Hirnsubstanz werden eher diskrete, entwicklungsbezogene Veränderungen in der kortikalen
grauen Substanz beschrieben. Reduziertes Zellwachstum
mit insgesamt verminderter Axonaussprossung und Synapsenbildung wurde in neuropathologischen Untersuchungen an unbehandelten PKU-Patienten nachgewiesen und wird als wichtiges Substrat der bleibenden
geistigen Behinderung gewertet (Kornguth et al. 1992). Die
Neuronenzahl scheint im Vergleich zu der sehr ausgeprägten Arborisierungsstörung eher diskret und diffus reduziert zu sein (Crome u. Stern 1972). Neuropathologische
Befunde zu frühzeitig behandelten Patienten mit PKU liegen nicht vor.
Klinik
Unbehandelte Phenylketonurie
Erhöhter Myelinumsatz. Erhöhte Phenylalaninspiegel führen zu einem erhöhten Umsatz von Myelin und Myelinproteinen (Hommes et al. 1982). Als Ursache wurde von Hommes und Matsuo (1987) die direkte Hemmung eines in den
Oligodendrozyten lokalisierten Enzymsystems, einer ATPSulfurylase, nachgewiesen. Da Zerebrosulfatide an der Sta-
Neugeborene Kinder mit PKU erscheinen unauffällig. Als
erstes klinisches Symptom der unbehandelten PKU fällt
der durch Phenylessigsäure verursachte „mäuseartige“ Geruch auf.
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Hirnfunktionsstörung
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9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Tabelle 9.1
Vergleich der Symptome bei unbehandelter und früh behandelter Phenylketonurie (PKU)
Konstitutionelle
Auffälligkeiten
Mentale
Entwicklung
Neurologische
Symptome
Unbehandelte PKU
%
Früh behandelte PKU
hypopigmentierte, helle Haut, blondes
Haar, blaue Skleren „mäusekotartiger“
Geruch
80 – 100
keine
neurodermatitisartige Ekzeme
25
nach Diätbeendigung bei Erwachsenen
schwere Intelligenzminderung, IQ überwiegend < 40, im Erwachsenenalter meist
Heimunterbringung
98
Intelligenz in Abhängigkeit von Diätbeginn und Strenge der Diät in der
Kindheit normal bis leicht erniedrigt
(–0,5 bis –1 SD)
%
10
Schulprobleme und Konzentrationsstörungen
20
Mikrozephalie
70 – 90
Steigerung von Muskeltonus
und Muskeleigenreflexen, Klonus
70
lebhafte bis gesteigerte Muskeleigenreflexe
<5
choreiforme und hyperkinetische
Bewegungsstörungen
10
„Clumsiness“, Koodinationsstörungen
5 – 10
Hypotonie
10
Ataxie
0–5
Tremor
30
geringer feinschlägiger Tremor
10 – 20
Optikusatrophie
5
Epilepsie, bei Erwachsenen meist
Grand Mal
20
im mittleren Erwachsenenalter progrediente neurologische Störung mit vollständigem mentalem Abbau, spastischer
Di- oder Tetraparese, Athetose
5
in Einzelfällen beschriebene neurologische Störungen mit mentalem Abbau, Pyramidenbahnläsion
< 0,1
schwere erethische Verhaltensstörung
mit Aggressivität, Autismus, Neigung zur
Selbstverletzung, Angststörungen
50 – 90
Depressivität, emotionale und Persönlichkeitsstörungen (wohl nicht auf „biologische“ Ursachen zu beziehen)
10 – 20
ZNS-Symptome. Ohne Behandlung führt die PKU rasch zu
einer schweren Entwicklungsstörung des Gehirns mit Mikrozephalie (Tab. 9.1). Ab etwa dem 3. Lebensmonat wird
ein Stillstand der psychomotorischen Entwicklung beobachtet. Dazu können, ebenfalls schon im Säuglingsalter,
epileptische Anfälle kommen, oft in Form der BNS-Epilepsie, die zu Beginn des Erwachsenenalters spontan sistieren
können. Im Kindesalter weisen fast alle unbehandelten Patienten pathologische EEG-Veränderungen auf. Es dominieren epileptiforme Potenziale und eine Verlangsamung
der Grundaktivität. Ab dem Jugendalter zeigen sich meist
erethisches, aggressives und autistisch erscheinendes Verhalten sowie ausgeprägte Stereotypien. Bei der Mehrzahl
der jugendlichen und erwachsenen Patienten resultiert
eine irreversible schwere geistige Behinderung mit Intelligenzquotienten unter 40.
Motorisches System. Schon beim Säugling können – eher
unspezifische – Symptome wie Hyperexzitabilität oder Bewegungsarmut und Muskelhypotonie beobachtet werden.
Störungen des motorischen Systems werden in der Regel
erst ab dem 2. oder 3. Lebensjahrzehnt beobachtet. Pedersen und Birket-Smith (1974) beschrieben uni- oder bilaterale Steigerungen der Muskeleigenreflexe, Spastik, Paraund Hemiparesen, Hypotonie und Optikusatrophie bei einzelnen unbehandelten Erwachsenen mit PKU.
Weitere Symptome. Nicht auf das ZNS bezogene Symptome der PKU sind eher geringfügig. Beim Säugling kann es
zu gehäuftem Erbrechen kommen. Die Störung der Melaninsynthese bewirkt bei unbehandelten Patienten eine
helle Pigmentierung der Haut, blaue Augen und blonde
Haare. Oft schon im Säuglingsalter oder aber nach Beendigung der Diätbehandlung mit dann stark ansteigender
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9.2 Phenylketonurie (PKU) und Hyperphenylalaninämien
Spät behandelte Phenylketonurie
Nach der Beschreibung einer wirksamen Therapie 1954
durch Horst Bickel (Bickel et al. 1954) wurde die Diätbehandlung oft bei vorgeschädigten Patienten während der
ersten Lebensjahre begonnen. Spätbehandlung bei Kindern
(nach dem 3. Lebensmonat) wird heute in Deutschland nur
noch von Migrantenfamilien aus Ländern ohne Neugeborenenscreening gesehen. Bei spät behandelten Patienten
werden die bei unbehandelten Patienten gesehenen Symptome in abgeschwächter Form beobachtet.
Leitsymptome sind hier in der Regel gesteigerte Muskeleigenreflexe, Tremor, reduzierte Leistungen in Intelligenztests, Angstsymptome, soziale Zurückgezogenheit und
Erethismus.
Die Patienten profitieren von der Diät, indem die Epilepsie
sistiert und sich die Verhaltensstörungen und teilweise
auch die kognitiven Fähigkeiten bessern. Die aufgrund der
Entwicklungsstörung des Gehirns bestehende geistige Behinderung ist aber nie vollständig rückbildungsfähig.
Die Behandlung vorgeschädigter Patienten jenseits des
Kleinkindesalters wirkt zwar im Allgemeinen nicht auf die
intellektuellen Beeinträchtigungen, Einzelfallberichte belegen jedoch, dass sich neurologische Symptome und Verhaltenauffälligkeiten unter Diät verbessern können. Gemessen am großen Aufwand, den hohen Kosten, die eine
konsequente Diätführung verlangen, sowie den Widerständen durch die Patienten selbst, werden die sich einstellenden Verbesserungen von den Familien häufig als nicht ausreichend angesehen und Diätversuche deshalb häufig
wieder abgebrochen.
Früh behandelte Phenylketonurie
Nach früh eingeleiteter Diätbehandlung verläuft die psychomotorische Entwicklung weitgehend normal (Tab. 9.1).
Neben dem Zeitpunkt des Diätbeginns ist die Qualität der
Diätführung, d. h. die Höhe der Phenylalaninblutspiegel im
Verlauf der Therapie, von entscheidender prognostischer
Bedeutung. Bei fast allen Patienten kommt es im Verlauf
des Lebens aufgrund nachlassender Compliance zu einem
kontinuierlichen oder auch in Sprüngen verlaufenden Anstieg der Phenylalaninkonzentration im Blut (Walter et al.
2002). Die im Kindesalter von den Eltern meist recht konsequent durchgesetzte diätetische Ernährung wird beim
Übergang ins Jugend- und Erwachsenenalter von vielen Patienten stark gelockert, häufig auch ganz verlassen.
Intelligenz und Neuropsychologie. Der Beginn der Behandlung innerhalb der ersten 4 Lebenswochen ist die
wichtigste Voraussetzung für eine normale Intelligenzentwicklung. Für jeden weiteren Aufschub um einen Monat ist
der IQ im Alter von 4 Jahren um 0,25 SD erniedrigt (Smith
et al. 1990). Eine Metaanalyse großer Längsschnittstudien
zur Intelligenzentwicklung früh behandelter Patienten
(Burgard 2000) ergab, dass
Q ein mittlerer Phenylalaninblutspiegel ≤ 400 μmol/l während der Kindheit eine normale Intelligenzentwicklung
ermöglicht,
Q im Vorschulalter jede darüber hinaus gehende Erhöhung
des Phenylalaninblutspiegels um je 300 μmol/l eine Reduktion des IQ um 0,5 SD nach sich zieht,
Q der Phenylalaninblutspiegel nach dem 10. Lebensjahr
auch bei Diätabbruch keinen Effekt auf den IQ hat.
Die Ergebnisse neuropsychologischer Untersuchungen an
PKU-Patienten sind nicht eindeutig (Waisbren et al. 1994).
Mit Ausnahme von Wahlreaktionszeiten wurden alle untersuchten Variablen (höhere kognitive Funktionen, Motorik, exekutive Funktionen, Gedächtnis, Einfachreaktionszeit, Daueraufmerksamkeit, visuomotorische Leistungen)
sowohl intakt als auch beeinträchtigt beschrieben. Die Divergenz der Befunde beruht auf unterschiedlichen Phenylalaninblutspiegeln der Untersuchungsteilnehmer, den
jeweils verwendeten Instrumenten sowie unterschiedlichen Fallzahlen. Eine Metaanalyse der Ergebnisse von 10
Studien, in denen mit computergestützten Verfahren
Wahlreaktionszeiten von PKU-Patienten mit gesunden
Kontrollpersonen verglichen wurden, ergab Reaktionszeitverlängerungen von 190 ms bei Kindern (7 – 10 Jahre),
80 ms bei Jugendlichen (13 – 16 Jahre) und 170 ms bei Erwachsenen (17 – 25 Jahre). Im Mittel waren alle Patienten
verlangsamt, wobei der Zusammenhang zwischen der Verlangsamung und dem aktuellen Phenylalaninblutspiegel
mit dem Alter abnahm. Regressionsanalysen sagen in allen
Altersgruppen für Blutspiegel um 360 μmol/l weitgehend
normale Reaktionszeiten vorher. Auch nach lang andauernd hohen Phenylalaninkonzentrationen zeigt sich eine
Reversibilität der Verlangsamung nach Absenkung des
Blutspiegels (Schmidt et al. 1994).
Psychiatrische Auffälligkeiten. In Studien zu früh behandelten Patienten (Überblick bei Smith 2000) zeigten sich in
allen Altersgruppen doppelte Raten für introversive Symptome (depressive Verstimmung, Ängste, Kontaktstörungen,
Selbstwertprobleme) und Aufmerksamkeitsstörungen. Expansive Störungen (dissoziales und aggressives Verhalten)
sind bei PKU-Patienten eher selten. Verhaltensauffälligkeiten sind häufiger bei IQ-Werten ≤ 90 sowie bei Risikobedingungen wie häufigen Krankenhausaufenthalten,
Schulwechseln, elterlichen Eheproblemen, Trennung von
den Eltern, der Anwesenheit weiterer chronisch kranker
Familienmitglieder, niedriger sozialer Schicht und einem
kontrollierenden Erziehungsstil zu beobachten. Die Alltagsrelevanz der Befunde wird allgemein als eher gering
eingestuft (Burgard et al. 1994, Pietz et al. 1997, Lundstedt
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Phenylalaninkonzentration im Blut entstehen ekzemartige
Hautveränderungen, die auf die Einwirkung von Phenylalaninmetaboliten zurückgeführt werden (Knox 1972). Unbehandelte erwachsene Patienten werden in Behandlungszentren der Stoffwechselmedizin selten gesehen. Diese
Patienten leben in der Regel in Heimen und anderen Einrichtungen für schwerstbehinderte Menschen.
113
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
et al. 2001, Sullivan 2001, Landolt et al. 2002). Hinsichtlich
der Ätiologie muss eine kombinierte Wirkung psychosozialer und neurobiologischer Faktoren angenommen
werden.
Zum Einfluss des aktuellen Phenylalaninspiegels auf das
Verhalten liegen 2 Doppelblindstudien mit kleinen Stichproben vor. Bei Adoleszenten und Jugendlichen wurden
keine Veränderungen während und nach der experimentellen Variation des Phenylalaninspiegels beobachtet (Griffiths et al. 1997). Vorschulkinder zeigten lediglich in der
Phase des Blutspiegelanstiegs Symptome wie Lethargie
und Hyperaktivität, die sich jedoch nach einigen Tagen
wieder zurückbildeten (Frankenburg et al. 1973). Im Vergleich zu Patienten mit Diabetes mellitus Typ I konnten
Weglage et al. (2000) keine Unterschiede im Verhalten
und Erleben beobachten. Allerdings zeigten beiden Gruppen gegenüber der Norm signifikant erhöht introversive
Symptome.
Neurologie. Verlässliche Daten zu früh behandelten Patienten mit PKU liegen aus historischen Gründen (Beginn
des Neugeborenenscreenings und frühe Behandlung) derzeit nur bis in die mittlere Lebensspanne vor. Die meisten
Patienten zeigen im Erwachsenenalter einen normalen klinisch-neurologischen Status. In Querschnittstudien kommen nur die folgenden Symptome häufiger vor:
Q feinschlägiger Halte- und Aktionstremor,
Q eher gering ausgeprägte motorische Koordinationsstörungen,
Q vereinzelt gesteigerte Muskeleigenreflexe insbesondere
an der unteren Extremität.
Bei Patienten, deren Diätbehandlung verspätet eingeleitet
oder unzureichend streng durchgeführt wurde, scheinen
solche Symptome wie auch Pyramidenbahnzeichen vermehrt vorzukommen.
Hinweise für eine späte neurodegenerative Entwicklung
bei Patienten, die in der Kindheit streng behandelt wurden,
im Jugendalter die Diät aber beendet haben, gibt es bisher
nicht. In Einzelfallberichten wurden progrediente neurologische Störungen beschrieben, die in einen kausalen Zusammenhang mit der meist im Jugendalter einsetzenden
Diätlockerung oder Diätbeendigung oder schlechter Compliance im Kindesalter gestellt werden. Die Symptomatik
ähnelt der bei unbehandelten, geistig behinderten Patienten beschriebenen neurologischen Verschlechterung im Erwachsenenalter mit spastischen Paresen, ausgeprägtem
Tremor, Epilepsie und mentalem Abbau.
PKU der Eltern
Maternale PKU. Die maternale PKU ist eine Schädigung in
utero. Bei Schwangeren mit PKU geht der Blutspiegel der
Mutter diaplazentar – um den Faktor 1,5 erhöht – auf das
ungeborene Kind über. Auch wenn das Ungeborene in der
Regel selbst nicht homozygot für PKU ist, entstehen Embryo-Fetopathien, die denen der Alkoholembryofetopathie
vergleichbar sind. Die Risiken des Kindes bei mütterlichen
Phenylalaninspiegeln > 1200 μmol/l während der gesamten
Schwangerschaft liegen bei (Lenke u. Levy 1980):
Q 92 % für geistige Behinderung (Normalbevölkerung 5 %),
Q 73 % für Mikrozephalie (4,8 %),
Q 40 % für intrauterine Dystrophie mit Geburtsgewicht
< 2500 g (9,6 %) und
Q 12 % für angeborene Herzfehler (0,8 %).
Eine Senkung des mütterlichen Phenylalaninspiegels auf
ein Niveau zwischen 60 und 360 μmol/l bereits vor der
Konzeption und im gesamten Schwangerschaftsverlauf ist
deshalb für eine normale prä- und postnatale Entwicklung
streng indiziert (Trefz et al. 1995, American Academy of Pediatrics 2001, Koch et al. 2003). Sind diese Voraussetzungen gegeben, ist die Prognose als sehr gut anzusehen.
Paternale PKU. Ist der Vater homozygot für PKU (paternale PKU), sind keine nachteiligen Folgen zu erwarten
(Fisch et al. 1991).
Defekte der Tetrahydrobiopterinbildung
Neben dem Phenylalaninhydroxylase-Defekt existieren mit
einer wesentlich geringeren Inzidenz verschiedene erbliche Störungen der Synthese oder der Reduktion des Phenylalaninhydroxylase-Kofaktors Tetrahydrobiopterin (Abb.
9.1; Kap. 7). Die entsprechenden Gene sind auf den Chromosomen 4, 10, 11 und 4 lokalisiert). Die resultierende Hyperphenylalaninämie ist variabel ausgeprägt. Klinisch
resultiert eine neurodegenerative Erkrankung mit extrapyramidalen Bewegungsstörungen und einer schweren Epilepsie, die unbehandelt im Kindesalter tödlich verläuft.
Diagnostik
Neugeborenenscreening. Die Entwicklung eines einfach
durchzuführenden mikrobiologischen Hemmtests durch
Guthrie und Susie (1963) ermöglichte, die PKU bereits kurz
nach der Geburt in einem generellen Screening aller Neugeborenen zu diagnostizieren. Hierzu wird dem Säugling
in den ersten Lebenstagen eine Blutprobe aus der Ferse
entnommen und auf Filterpapierkarten in spezielle Screeninglabors verschickt. Flächendeckend wird dieses Screening in Deutschland seit 1969 durchgeführt. Grenzwert für
weitere diagnostische Maßnahmen ist ein Blutspiegel
> 150 μmol/l (Hoffmann et al. 1994). Behandlungsbedürftig
sind Neugeborene mit Blutspiegeln über 600 μmol/l.
Diagnosebestätigung. Die Diagnose wird durch Bestimmung der Aminosäuren im Plasma (erhöhtes Phenylalanin
und erniedrigtes Tyrosin) bestätigt. Verschiedene Schweregrade sind durch unterschiedlich schwere Mutationen (variable Restaktivitäten des Enzyms) erklärlich (Tab. 9.2).
Unterhalb von 600 μmol/l (10 mg%) liegt eine persistierende, nicht diätpflichtige Hyperphenylalaninämie (milde
Hyperphenylalaninämie) vor. In der klinischen Praxis
bestimmt die Höhe des Phenylalaninblutspiegels ohne Behandlung die Therapieindikation. Dazu werden Maximal-
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9.2 Phenylketonurie (PKU) und Hyperphenylalaninämien
Tabelle 9.2
115
In Deutschland unterschiedene Schweregrade der Phenylketonurie (PKU) nach Schmidt et al. 1989
Differenzialdiagnose
Restaktivität der PAH
in vivo* (enzymatischer Phänotyp)
Phenylalaninblutspiegel bei standardisierter Proteinbelastung**
(metabolischer Phänotyp)
Phenylalanintoleranz im Alter
von 5 Jahren
Therapieempfehlung***
Typ I
klassische PKU
<1%
> 1200 μ mol/l
< 21 mg/kg/d
lebenslange Behandlung
Typ II
milde PKU
1–3 %
600 – 1200 μ mol/l
21 – 50 mg/kg/d
Behandlung im Kindesund Jugendalter
Typ III
Non-PKU-HPA
>3%
< 600 μ mol/l
> 115 mg/kg/d
Behandlung nur bei
maternaler PKU
genetische Defekte der Tetrahydrobiopterinbildung (BH4-Kofaktor)
sekundäre Phenylalaninerhöhungen
Tyrosinämien
Q
Frühgeburtlichkeit
Q
Leber- oder Nierenversagen
Q
Einnahme von Trimethoprim
Q
Zytostatikatherapie
* = Leberbiopsie, ** = Schmidt et al. 1989, *** = entsprechend den Empfehlungen der APS (Burgard et al. 1999)
werte des Phenylalaninspiegels während einer standardisierten Proteinbelastung oder im klinischen Verlauf
bestimmt. Standardisierte Eiweißbelastungen und Bestimmungen der Phenylalanintoleranz sind sehr aufwendig
und erfordern einen mehrtägigen stationären Krankenhausaufenthalt. Häufig wird die Differenzialdiagnose (s. u.)
deshalb im Verlauf der Behandlung (ex juvantibus) abgeschätzt und durch eine genetische Diagnostik ergänzt. Für
die häufiger vorkommenden Mutationen sind Korrelationen mit dem Phänotyp bekannt (Guldberg et al. 1998). Die
Enzymaktivitätsbestimmung mithilfe einer Leberbiopsie
ist nie indiziert.
PKU-Einteilung. Die Einteilung der PKU ist international
uneinheitlich: die Diagnose „Non-PKU-HPA“ wird in Großbritannien „atypische milde PKU“ genannt (jedoch mit der
Obergrenze 900 μmol/l); in Dänemark wird zwischen klassischer und milder PKU eine moderate Form unterschieden
(Guldberg et al. 1995). Die Non-PKU-HPA wird teilweise
auch als milde Hyperphenylalaninämie (MHP) bezeichnet.
Seit kurzem wird auch eine Tetrahydrobiopterin-(BH4-)responsive Form der auf einem PhenylalaninhydroxylaseMangel beruhenden Phenylketonurie unterschieden (Erlandsen u. Stevens 2001, Muntau et al. 2002), bei der das
Hydroxylasedefizit durch eine erhöhte orale Gabe von BH4
(partiell) ausgeglichen werden kann. Gesicherte Langzeitbefunde zur Behandlung mit BH4 liegen jedoch noch nicht
vor. Die Uneinheitlichkeit der Nomenklatur ist für die Evaluation der Behandlung bedeutsam, da Stichproben mit
gleicher Bezeichnung Patienten mit unterschiedlichen metabolischen Phänotypen enthalten können.
Magnetresonanztomographie. Die ersten auffälligen
MRT-Befunde wurden bei Patienten beobachtet, die aufgrund klinisch-neurologischer Störungen untersucht wurden (Villasana et al. 1989, Thompson et al. 1990). Vor allem
in T2-gewichteten Bildern zeigten sich Signalanhebungen
im Marklager. Das Maximum lag im Parietal- und Okzipitallappen. Die MRT-Befunde wurden zunächst in den Kontext der neurologischen Symptome gestellt und als Zeichen
einer aktiven Demyelinisierung interpretiert. Früh behandelte Patienten ohne neurologische Störungen zeigen jedoch vergleichbare MRT-Befunde (Thompson et al. 1993)
(Abb. 9.2). Ein Bezug zum Mutationstyp ist nicht belegt
(Walter et al. 1993). Neurophysiologische Untersuchungen
(VEP, SEP, NLG, TKMS) zeigten keinen Zusammenhang mit
den MRT-Veränderungen (Cleary et al. 1994). Die Reversibilität der Marklagerveränderungen bei erneut strenger
Diätbehandlung ist nachgewiesen (Bick et al. 1993, Cleary
et al. 1995, Walter et al. 1997).
Mit der Methode der diffusionsgewichteten MRT konnte
im Bereich der Läsionen in der weißen Substanz ein eingeschränktes Diffusionsmuster nachgewiesen werden. Heute
werden die bei PKU-Patienten gesehenen Signalveränderungen in der weißen Substanz weitgehend einheitlich als
Dysmyelinisierung interpretiert.
Differenzialdiagnosen
Von genetischen Defekten der Phenylalaninhydroxylase
müssen vor Beginn einer diätetischen Therapie sekundäre,
teilweise vorübergehende Erhöhungen des Phenylalaninspiegels und vor allem genetische Defekte in der Synthese
oder der Regenerierung von Tetrahydrobiopterin, dem Ko-
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Q
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
a
b
Abb. 9.2a u. b In der kranialen MRT (T2-Gewichtung TR 3600, TE 80) sichtbar werdende Signalanhebungen der parietookzipitalen, frontalen und zentralen weißen Substanz eines erwachsenen Patienten mit früh behandelter klassischer Phenylketonurie (aktueller Plasmaspiegel von Phenylalanin 1100 μ mol/l unter stark gelockerter, überwiegend vegetarischer Diät), die nach heutigem
Erkenntnisstand einer diffusen Wassereinlagerung bei Dysmyelinisierung entsprechen.
faktor der Phenylalaninhydroxylase, abgegrenzt werden
(Abb. 9.1). Dazu werden bei erhöhten Phenylalaninwerten
folgende Untersuchungen durchgeführt:
Q Tetrahydrobiopterin-Belastungstest,
Q Bestimmung der Pterine im Urin,
Q Aktivitätsbestimmung der Dihydropteridinreduktase aus
einer Trockenblutprobe.
Therapie und Therapiemonitoring
Die Therapie der Defekte der Tetrahydrobiopterinbildung
ist in Kap. 7 dargestellt. Die phenylalaninreduzierte Diätbehandlung der PKU ist eine überprüfte und praktikable Interventionsmethode (Bickel et al. 1954, Hoffmann et al.
1994, Poustie u. Rutherford 2000). Die Dauerbehandlung
erfolgt durch den Kinderarzt und die örtliche Kinderklinik.
Die Therapieplanung und regelmäßige Kontrolle der Stoffwechseleinstellung ist nur unter der Federführung eines
Stoffwechselzentrums möglich. Speziell im Kindes- und Jugendalter ist in regelmäßigen klinischen Untersuchungen
die neurologische, kognitive und somatische Entwicklung
zu überwachen (Tab. 9.3).
Kindes- und Jugendalter
Säuglinge. Im Säuglingsalter ist die Behandlung meist unproblematisch. Da Muttermilch relativ wenig Phenylalanin
enthält, können Säuglinge etwa die Hälfte ihrer Nahrung
durch Stillen erhalten.
Diät ab dem Kindergartenalter. Ab dem Kindergartenalter besteht die Diät aus mehreren Komponenten. Phenylalaninarme natürliche Lebensmittel und Spezialprodukte
(z. B. aus Stärkemehl hergestellte Brote, Gebäcke und Nudeln) werden auf der Basis vorliegender Tabellen in berechneten Mengen aufgenommen. Viele Obst- und Gemüsesorten enthalten relativ wenig Phenylalanin und sind
deshalb die wesentlichen natürlichen Proteinquellen. Auf
Fleisch, Geflügel, Fisch, Wurst, Käse und Getreideprodukte,
Hülsenfrüchte, Nüsse und Kakao muss nahezu vollständig
verzichtet werden.
Die Diät ist mit erheblichen Kosten verbunden, durch ständiges Wiegen und Rechnen sehr aufwendig und erfordert
gute Nahrungsmittelkenntnisse, um eine ausgewogene
Nährstoffzufuhr zu gewährleisten (Schulz u. Bremer 1995).
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116
9.2 Phenylketonurie (PKU) und Hyperphenylalaninämien
117
Lebensalter
Phenylalaninblutspiegel
EinstellungsHäufigkeit
ziel [μ mol/l]
Monitoring*
Klinisches
Monitoring**
Proteinbedarf
[g/kgKG/d]
Phenylalanintoleranz
[mg/d]
phenylalaninfreie ASM
Typ***
[g/d]****
0 – 3 Monate
40 – 240
wöchentlich
alle 3 Monate
≈ 2,2
≈ 130 – 400
1
3 – 10
4 – 12 Monate
40 – 240
wöchentlich
alle 3 Monate
≈ 2,1
≈ 130 – 400
1
3 – 10
1 – 2 Jahre
40 – 240
wöchentlich
alle 3 Monate
≈ 1,7
≈ 130 – 400
2
20 – 50
2 – 3 Jahre
40 – 240
wöchentlich
alle 3 Monate
≈ 1,7
≈ 200 – 400
2
20 – 50
4 – 6 Jahre
40 – 240
14-tägig
alle 3 – 6 Monate
≈ 1,6
≈ 200 – 400
2
20 – 50
7 – 9 Jahre
40 – 240
14-tägig
alle 6 Monate
≈ 1,4
≈ 200 – 400
2
20 – 50
10 – 12 Jahre
40 – 900
monatlich
alle 6 Monate
≈ 1,1
≈ 350 – 800
2
50 – 90
13 – 15 Jahre
40 – 900
monatlich
alle 6 Monate
≈ 1,0
≈ 350 – 800
2
50 – 90
Adoleszente/
Erwachsene
40 – 1200
2 – 3-monatlich
jährlich
≈ 0,9
≈ 450 – 1000
3
60 – 150
*
= zusätzlich zu den Zeitpunkten des klinischen Monitorings Bestimmung eines Nüchternaminosäurenprofils, Blutbild, Mineralien,
Spurenelemente, Ca-, P-Stoffwechsel, AP, GOT, GPT sowie ein Status von Vitaminen und Serumfetten
** = Diätberatung, anthropometrische Daten, allgemeiner Gesundheitszustand, neurologische und psychologische Entwicklung/Funktionen
*** = entsprechend dem Bedarf verschiedener Altersgruppen sind die Aminosäurenmischungen unterschiedlich zusammengesetzt
**** = möglichst gleichmäßig über den Tag verteilt einzunehmen
Den größten Teil ihres Eiweißbedarfs nehmen die Patienten über industriell gefertigte phenylalaninfreie Aminosäurenmischungen auf, die auch mit Spurenelementen,
Mineralstoffen und Vitaminen angereichert sind. Der unangenehme (metallische) Geschmack und Geruch beeinträchtigt die Compliance. Kinder und Jugendliche empfinden die Diät als Belastung, können sie nur schwer in den
Alltag integrieren und nehmen sich deshalb als Außenseiter wahr (Weglage 1993).
Da Phenylalanin eine essenzielle Aminosäure ist, muss
dem Körper regelmäßig eine dem Lebensalter angepasste
Phenylalaninmenge zugeführt werden, um einer Mangelernährung – die im Extremfall zu schwersten Entwicklungsbeeinträchtigungen führen kann – vorzubeugen.
Während Phasen schnellen Wachstums im Kleinkindalter
und der Pubertät ist einem erhöhten Phenylalaninbedarf
Rechnung zu tragen. Gleichzeitig ist zu beachten, dass in
katabolen Stoffwechsellagen (z. B. beim Fasten oder bei fieberhaften Infekten) körpereigenes, phenylalaninhaltiges
Protein abgebaut wird, was zu einem raschen Anstieg des
Phenylalaninblutspiegels führen kann. Aus diesen Gründen
sind regelmäßige Bestimmungen des Blutspiegels und
kurzfristige Anpassungen der Nährstoffzufuhr notwendig.
Blutabnahmen sind für viele Patienten mit Ängsten vor der
Blutentnahme selbst, häufig auch mit Befürchtungen eines
schlechten Messergebnisses verbunden. In einer Untersuchung von Weglage (1993) an 34 Jugendlichen mit PKU
berichteten 79 % an den Tagen unmittelbar vor der Blutabnahme eine strengere Diät als üblich einzuhalten.
Phenylalaninblutspiegel. In Deutschland orientiert sich
das Einstellungsziel für den Phenylalaninblutspiegel an den
in der Tab. 9.3 zusammengefassten Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen
(Burgard et al. 1999). Außerdem liegen für Großbritannien
(Medical Research Council Working Party on Phenylketonuria 1993) und für die USA (National Institutes of Health Consensus Development Conference Statement: phenylketonuria 2001) publizierte Behandlungsempfehlungen vor. Diese
Empfehlungen unterscheiden sich in Details (zum Vergleich
der britischen und deutschen Empfehlungen s. Burgard u.
Smith 1999). Entsprechend der deutschen Empfehlung ist
die Behandlung ab Phenylalaninblutspiegeln ≥ 600 μmol/l
(Großbritannien: ≥ 400 μmol/l, USA: ≥ 420 – 600 μmol/l) indiziert. Diese muss unmittelbar nach einer Bestätigung des
positiven Screeningbefundes und innerhalb des 1. Lebensmonats beginnen. Die Behandlung der Patienten sollte in einem interdisziplinären Team die Bereiche der Medizin, Biochemie, Ernährungsberatung, Soziales und Psychologie
abdecken (Management of PKU 1999).
Prognose. Bei einem frühen Behandlungsbeginn und einer
Behandlung entsprechend den aktuellen Empfehlungen ist
eine normale Entwicklung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter zu erwarten.
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Tabelle 9.3 Monitoring und Einstellungen bei phenylalaninreduzierter Diätbehandlung nach Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für pädiatrische Stoffwechselstörungen
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Erwachsenenalter
Im Erwachsenenalter stellt sich als zentrale Frage die der
Behandlungsnotwendigkeit bzw. die Art und das Ausmaß
der Behandlung. Aufgrund des noch unbekannten Verlaufs
früh behandelter Patienten im Erwachsenenalter ist die
Indikation zur regulären klinischen Verlaufsdiagnostik gegeben. Bei neurologischen Symptomen sind alternative
Erklärungen, wie z. B. ein Mangel an Vitamin B12, auszuschließen. Wenngleich die klinische Bedeutsamkeit neuropsychologischer Befunde für die Mehrzahl der Patienten
nicht gegeben bzw. im Alltag unbedeutend ist, ist in Einzelfällen jedoch stets zu prüfen, ob sich durch eine Verbesserung der diätetischen Einstellung Befund und Befinden
positiv beeinflussen lassen (Burgard et al. 1999, Cleary u.
Walter 2001).
9.3 Andere Aminoazidopathien
9.3.1 Tyrosinämie Typ I
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Tyrosinämie Typ I liegt bei etwa
1 : 150 000. Die Tyrosinämie Typ I wird durch einen autosomal rezessiv vererbten Mangel der Fumarylacetoacetase
(Abb. 9.1) verursacht, welche am Ende des Abbauweges
von Phenylalanin und Tyrosin die Spaltung von Fumarylacetoacetat in Fumarat und Acetoacetat katalysiert. Es entstehen die hochreaktiven und toxischen Metaboliten Fumarylacetoacetat, Maleylacetoacetat, Succinylacetoacetat
und Succinylaceton, welche intrazellulär mit Makromolekülen und Glutathion reagieren sowie die Porphobilinogensynthese hemmen. Die Tyrosinerhöhung selbst wird
durch eine ebenfalls sekundäre Hemmung des Enzyms Tyrosinaminotransferase hervorgerufen.
Klinik
Die bei der Tyrosinämie Typ I akkumulierenden Metaboliten schädigen primär Leber und Nieren (Fernandes et al.
2000). Klinisch zeigt sich die Erkrankung oft als akutes Leberversagen in der Säuglingszeit oder als protrahierte Hepatopathie mit zirrhotischem Umbau, Hepatomen und hepatozellulärem Karzinom. Nierenfunktionsstörungen führen
zu einer hypophosphatämischen Rachitis und können bis
zum Nierenversagen fortschreiten. Eine erhebliche Morbidität resultiert aus der Hemmung der Porphobilinogensynthese, die eine periphere Neuropathie sowie neurologische
Krisen entsprechend einer akuten Porphyrie verursacht.
wege entstehende phenolische Säuren. α-Fetoprotein im
Serum ist z. T. exorbitant erhöht. Diese Veränderungen, wie
auch der Nachweis erhöhter Leberenzyme und fortschreitender Leberfunktionsstörungen, kommen auch bei anderen infektiösen oder genetischen Lebererkrankungen vor.
Pathognomonisch für das Vorliegen einer Tyrosinämie
Typ I ist der Nachweis von Succinylaceton in der Analytik
der organischen Säuren. Relativ spezifisch sind ferner Erhöhungen der 5-Aminolävulinsäure im Urin infolge der
gehemmten Porphobilinogensynthese. Der Enzymdefekt
wird in Lymphozyten oder Fibroblasten bestätigt. Neue diagnostische Ansätze untersuchen die Hemmung der Aktivität der Porphobilinogensynthese z. B. in einer Trockenblutkarte, wodurch sich auch die Möglichkeit einer
spezifischen Diagnose im Rahmen des Neugeborenenscreenings ergibt (Schulze et al. 2001).
Therapie und Prognose
Therapie. Während früher die Leber- bzw. kombinierte
Leber-, Nierentransplantation die einzige Erfolg versprechende Therapieoption waren, eröffnete Anfang der 90erJahre die Entdeckung von 2-(2-Nitro-4-Trifluoromethylbenzoyl)-1,3-Cyclohexadion (NTBC) als potenter Hemmstoff
der 4-Hydroxyphenylpyruvatdioxygenase (ein im Tyrosinabbau oberhalb der bei Tyrosinämie Typ I defekten Fumarylacetoacetase lokalisiertes Enzym, Abb. 9.1) ein neues Therapieprinzip (Lindstedt et al. 1992). Unter der Behandlung
mit NTBC steigen die Tyrosinspiegel zwar noch weiter an,
die Bildung der hochreaktiven toxischen Metaboliten
Fumarylacetoacetat, Maleylacetoacetat, Succinylacetoacetat
und Succinylaceton wird aber verhindert. Leber- und Nierenfunktion normalisieren sich langsam, ebenso die Porphobilinogensynthese. Erforderlich bleibt eine phenylalaninund tyrosinarme Diät.
Prognose. Die Prognose hat sich unter dieser Behandlung
entscheidend gebessert, wobei Langzeitbeobachtungen
noch fehlen.
9.3.2 Tyrosinämien Typ II und III
Pathophysiologie
Die Tyrosinämie Typ II wird durch einen Mangel der Tyrosinaminotransferase am Anfang des Abbauwegs von Tyrosin verursacht, die Tyrosinämie Typ III durch einen Defekt
des Folgeenzyms 4-Hydroxyphenylpyruvatdioxygenase
(Abb. 9.1).
Klinik
Diagnostik
Die Tyrosinämien werden im erweiterten Neugeborenenscreening nicht zuverlässig erfasst. Erhöht finden sich die
Aminosäuren Tyrosin, Methionin, in geringerem Ausmaß
Phenylalanin, sowie andere, über alternative Stoffwechsel-
Tyrosinämie Typ II. Patienten mit Tyrosinämie Typ II
(Richner-Hanhart-Syndrom, okulokutane Tyrosinose) leiden ab dem Säuglingsalter unter Hornhautläsionen mit
Photophobie, vermehrtem Tränenfluss, Fremdkörpergefühl
und Konjunktivitiden. Unbehandelt entwickeln sich Nar-
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118
9.3 Andere Aminoazidopathien
Tyrosinämie Typ III. Die wenigen bislang dokumentierten
Patienten mit Tyrosinämie Typ III zeigten eine ähnliche
Symptomatik, wobei sich in einem Fall zusätzlich eine Ataxie fand, in einem anderen eine schwere epileptische Enzephalopathie.
Diagnostik
Biochemisch sind die Tyrosinämien Typ II und III durch
eine massiv erhöhte Konzentration von Tyrosin und (geringer) Phenylalanin im Blut und Urin sowie durch eine starke
Tyrosylurie charakterisiert. Die Abgrenzung von der Tyrosinämie Typ I gelingt durch die unterschiedliche klinische
Symptomatik sowie das Fehlen der Marker α-Fetoprotein,
Methionin und vor allem Succinylaceton (s. o.). Eine Unterscheidung zwischen Tyrosinämie Typ II und III erfordert
den Nachweis des zugrunde liegenden Enzymdefekts in einer Leberbiopsie.
Therapie
Zur Therapie der Tyrosinämien Typ II und III eignet sich
eine kombinierte phenylalanin- und tyrosinarme Diät.
9.3.3 Ahornsirupkrankheit
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Ahornsirupkrankheit liegt bei etwa
1 : 200 000. Die Erkrankung wird durch einen autosomal
rezessiv erblichen Mangel der Dehydrogenase verzweigtkettiger Ketosäuren verursacht. Dieses mitochondriale Enzym bewirkt die dehydrierende Decarboxylierung und Aktivierung mit Coenzym A (CoA) der durch reversible
Transaminierung von Leucin, Isoleucin und Valin entstandenen α-Ketosäuren.
Klinik
Die Ahornsirupkrankheit verursacht eine progrediente Enzephalopathie mit Somnolenz und Koma (Fernandes et al.
2000). Als erste Symptome treten bei der am häufigsten
vorkommenden schweren Verlaufsform zwischen dem 3.
und 5. Lebenstag Lethargie und Trinkschwäche auf. Die
Kinder verschlechtern sich rasch. Oft fällt der typische Geruch von Ahornsirup bzw. Maggi auf. Kinder mit milderen
Verlaufsformen infolge einer Restaktivität des Enzyms
fallen durch progrediente Entwicklungsverzögerung, neurologische Störungen, vor allem Ataxie und Anfälle, sowie
rezidivierende ketoazidotische Entgleisungen (Differenzialdiagnose: ketonämisches Erbrechen!) auf.
Diagnostik
Die Ahornsirupkrankheit wird im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei akutem klinischem
Verdacht kann im Neugeborenenalter der Nachweis einer
Ketonurie hilfreich sein. Bei der Analyse der Aminosäuren
im Plasma zeigt sich neben massiven Erhöhungen von Valin, Isoleucin und Leucin eine erhöhte Konzentration des
pathognomonischen Metaboliten L-Alloisoleucin. Bei der
Analyse der organischen Säuren im Urin finden sich neben
den verzweigtkettigen α-Ketosäuren auch die korrespondierenden α-Hydroxysäuren erhöht. Die Ketosäuren lassen
sich durch den einfachen DNPH-(Dinitrophenylhydrazin-)Test rasch im Urin nachweisen (Blau et al. 2002).
Therapie und Prognose
Therapie. Initial ist zur akuten Entgiftung des Kindes eine
intensivmedizinische Notfalltherapie mit Infusion von Glucose und Insulin und ggf. Blutaustauschtransfusion oder
Dialyse erforderlich (Fernandes et al. 2000, Hoffmann et al.
2002). Langfristig ist eine eiweißarme Ernährung erforderlich, mit Supplementierung eines Aminosäurengemischs
ohne Leucin, Isoleucin und Valin. Wenige Patienten sprechen auf eine hoch dosierte Gabe des Kofaktors Thiamin
(5 mg/kgKG/d) an.
Prognose. Die Prognose ist nur bei rascher Diagnose (vor
dem 5. Lebenstag) und konsequenter Therapie befriedigend. Spezifische Probleme bei maternaler Ahornsiruperkrankung scheinen nicht zu bestehen.
9.3.4 Stoffwechselerkrankungen
mit erhöhten Homocysteinspiegeln
Homocysteinstoffwechsel. Homocystein ist ein Zwischenprodukt des Abbaus von Methionin und hat darüber
hinaus eine zentrale Rolle im zellulären Transfer von Methylgruppen (Abb. 9.3). In natürlichen Proteinen kommt
die Aminosäure nicht vor. Die von Vitamin B12 (Methylcobalamin) und indirekt von Folsäure (5-Methyltetrahydrofolat) abhängige Remethylierung von Homocystein zu Methionin ist essenziell für die ausreichende Produktion von
S-Adenosylmethionin, dem wichtigsten Methylgruppendonor des Zellstoffwechsels (notwendig für die Synthese
z. B. von Cholin, Kreatin, Adrenalin, DNA-Methylierung). Da
Homocystein toxisch ist, wird es rasch zu Methionin umgewandelt oder über Cystein abgebaut.
Ätiopathogenese. Erhöhte Homocysteinspiegel weisen
entweder auf einen gestörten Abbau oder auf eine mangelnde Verfügbarkeit von Methylcobalamin hin; Letztere
kann durch angeborene oder erworbene Störungen im Vitamin-B12-(Cobalamin-)Stoffwechsel oder im Folsäure-
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ben und in der Folge eine Sehbehinderung. Ab dem Kleinkindalter treten ferner Hyperkeratosen sowie schmerzhafte Blasenbildung auch an Hand- und Fußsohlen auf. Ungefähr die Hälfte der Patienten entwickelt eine milde
mentale Retardierung, insbesondere eine Sprachentwicklungsverzögerung, Störungen der Feinmotorik und, seltener, Autoaggressivität.
119
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Abb. 9.3 Stoffwechsel schwefelhaltiger Aminosäuren und des zytosolischen Methylgruppentransfers; MTHFR = Methylentetrahydrofolatreduktase.
zyklus verursacht werden. Auch der Abbau von Homocystein über Cystathionin zu Cystein ist vitaminabhängig;
beide dafür notwendigen Enzyme benötigen als Kofaktor
Vitamin B6 (Pyridoxin). Genetische Defekte der verschiedenen im Homocysteinstoffwechsel involvierten Enzyme,
einschließlich der Defekte in Aufnahme, Transport oder intrazellulärer Transformation der Kofaktoren, sprechen therapeutisch vielfach (auch in Abhängigkeit von den im Einzelfall vorliegenden Mutationen) auf pharmakologische
Dosen der involvierten Vitamine/Kofaktoren an. Erhöhte
Homocysteinspiegel können nicht nur durch die primären
Enzymopathien sondern durch eine Vielzahl pathologischer Konstellationen bedingt sein, vor allem nutritive Vitaminmangelzustände sowie eine gesteigerte Aktivität von
Makrophagen bei Infektionen und Tumorerkrankungen.
Pathophysiologie. Pathophysiologisch beschleunigen erhöhte Homocysteinspiegel die Progredienz der Arteriosklerose und erhöhen das Risiko thromboembolischer
Komplikationen. In Tierversuchen stimuliert Homocystein
die Proliferation glatter Muskelzellen in der Gefäßwand,
übt toxische Effekte auf die Kollagene der Elastica interna
aus und bewirkt konsekutiv eine Verdickung der Basalmembran. Thrombozyten werden aktiviert und vermehrt
umgesetzt; es resultiert eine Thromboseneigung. Auch
fördert Homocystein die Ablagerung von Lipiden und Proteinen in den Gefäßwänden und trägt schließlich zur Bil-
dung freier Radikale und damit zur Oxidation von LDLCholesterol bei.
Zahlreiche aktuelle Studien belegen, dass Homocystein
ein wesentlicher unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen und für ischämische Hirninfarkte ist
(Perry et al. 1995). Das Risiko steigt mit dem Plasmaspiegel
von Homocystein, ohne dass ein Schwellenwert nachweisbar wäre. Erhöhte Homocysteinspiegel bei Schwangeren
wurden des Weiteren als Risikofaktor für die Entstehung
von kindlichen Neuralrohrdefekten identifiziert (van-derPut et al. 1995).
Diagnostik. Starke Erhöhungen von Homocystein werden
in der normalen Aminosäurenanalytik erkannt. Für den
Nachweis von milden Hyperhomozysteinämien ist die Untersuchung von frischem (oder eingefroren gelagertem
bzw. verschicktem) Plasma mittels spezieller Analyseverfahren notwendig (Blau et al. 2002).
Klassische Homozystinurie
Epidemiologie.
1 : 100 000.
Die
Häufigkeit
beträgt
mindestens
Ätiologie und Pathogenese. Die klassische Homozystinurie beruht auf einem autosomal rezessiv erblichen Defekt
der Cystathionin-β-Synthetase, des ersten Enzyms des Ho-
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9.3 Andere Aminoazidopathien
mocysteinabbaus (Abb. 9.3). Folge sind massiv erhöhte Homocysteinkonzentrationen in Blut und Urin sowie durch
erhöhte Remethylierung oder verminderten Abbau ebenfalls stark erhöhte Konzentrationen von Methionin.
prinzipiell gut. Wird über lange Zeit mit hohen Dosen Pyridoxin behandelt, müssen die Patienten regelmäßig auf das
Auftreten einer sensorischen Polyneuropathie untersucht
werden.
Klinik. Betroffene Patienten sind bei Geburt unauffällig.
Unbehandelt entwickeln sie eine chronisch progrediente
Multisystemerkrankung mit folgenden Symptomen (Mudd
et al. 1985):
Q ZNS: psychomotorische Retardierung (ca. 80 %), Anfälle,
psychiatrische Symptome,
Q Augen: Ectopia lentis (ca. 90 % zwischen dem 3. und
10. Lebensjahr), Katarakte, Glaukom, Retinadegeneration; wichtiges Frühsymptom ist eine sich rasch verschlechternde Myopie,
Q Skelett: marfanoider Habitus, Pes cavus, Genu valgum,
Skoliose, bikonkave Wirbelkörper, Osteoporose (gelegentlich mit pathologischen Frakturen),
Q arterielle Thromboembolien: Hirninfarkte, Herzinfarkte,
periphere arterielle Embolien (häufigste Todesursache),
Q Beinvenenthrombosen.
Störungen des zytosolischen
Methylgruppentransfers
Diagnostik. In einigen Ländern ist eine Methioninbestimmung zur Identifizierung von Patienten mit klassischer
Homozystinurie in das Neugeborenenscreening integriert
(Großbritannien, Irland, Japan, Teile von Deutschland und
den USA). Leider werden durch den Screeningtest nicht
alle Patienten zuverlässig erfasst. Im Urin lässt sich typischerweise eine deutliche Ausscheidung schwefelhaltiger
Säuren (Disulfide) über eine positive Brandprobe nachweisen. Im Plasma finden sich Homocysteinwerte zwischen
200 und 400 μmol/l (normal altersabhängig < 9 – 18). Eine
starke Homozystinurie lässt sich durch Dünnschichtchromatographie oder quantitative Aminosäurenanalyse nachweisen und gab der Erkrankung ihren Namen. Der Enzymdefekt kann in unterschiedlichen Geweben, üblicherweise
in Fibroblasten, bestätigt werden.
Therapie. Etwa 50 % der Patienten sprechen auf pharmakologische Dosen von Pyridoxin (Vitamin B6) an. Eine weitergehende Normalisierung des Homocysteinspiegels (bei
gleichzeitiger Erhöhung der Methioninspiegel) lässt sich
durch alternative Remethylierung mit Betain (bis zu 3 ×
3 g/d) erreichen. Günstig ist eine zusätzlich Supplementierung mit Folsäure (5 mg/d). Bleibt der Plasmahomocysteinspiegel oberhalb des Zielwertes von 30 μmol/l, muss
entsprechend den Diättherapien bei anderen Aminoazidopathien eine methioninarme Diät eingehalten werden. Die
Behandlung muss lebenslang durchgeführt werden.
Prognose. Die Prognose hängt vom Zeitpunkt des Therapiebeginns sowie dem Grad der Pyridoxinabhängigkeit ab.
Sie ist bei einem Behandlungsbeginn in früher Kindheit
Ätiologie und Pathogenese. Störungen des zytosolischen
Methylgruppentransfers können durch verschiedene Enzymopathien verursacht werden, darunter genetische Defekte
der Methioninsynthase, der Methylcobalaminsynthese oder
der 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR), der
häufigsten Erkrankung aus dieser Gruppe (Abb. 9.3).
Klinik. Typische Krankheitsbilder sind eine früh beginnende progrediente epileptische Enzephalopathie bzw.
eine progrediente Neurodegeneration, wobei die intraund interfamiliäre Variabilität groß ist (Fernandes et al.
2000). Neben der meist im Säuglingsalter beginnenden,
rasch progredienten Enzephalopathie finden sich neurodegenerative Krankheitsverläufe sowie eine Neigung zu
Thrombosen im Bereich der Hirngefäße. Im späteren
Lebensalter wird eine unterschiedliche Dynamik der
Krankheitsverläufe beobachtet, in Einzelfällen nach bis zu
jahrzehntelanger Symptomfreiheit. Neben epileptischen
Enzephalopathien sollte eine Störung des Methylgruppentransfers z. B. auch bei einem Hinterstrangsyndrom erwogen werden. Störungen im Cobalaminstoffwechsel, welche
auch die Synthese von Adenosylcobalamin beeinträchtigen, führen durch den gestörten Abbau von Methylmalonyl-CoA ggf. zu klinischen und biochemischen Symptomen
einer Methylmalonazidurie (s. u.).
Diagnostik. Störungen des zytosolischen Methylgruppentransfers werden im erweiterten Neugeborenenscreening
nicht zuverlässig erfasst. Neben der mäßig bis stark erhöhten Homocysteinkonzentration ist insbesondere eine
erniedrigte Methioninkonzentration im Blut (und ggf. Liquor) richtungsweisend. Beim 5,10-Methylentetrahydrofolatreduktase-Mangel ist 5-Methyltetrahydrofolat im Liquor
erniedrigt; der zugrunde liegende Enzymdefekt wird in Fibroblasten nachgewiesen. Cobalaminstoffwechselstörungen zeigen neben einer megaloblastären Anämie oft auch
eine deutlich erhöhte Ausscheidung der Methylmalonsäure
im Urin.
Therapie. Die Verabreichung von Betain (bis zu 20 g/d, auf
mehrere Dosen verteilt) steht im Vordergrund und führt zu
einem Anstieg von Methionin (und dadurch zur erhöhten
Verfügbarkeit von S-Adenosylmethionin) sowie zur Besserung der mentalen Funktionen und neurologischen
Symptome. Darüber hinaus wird vielfach eine zusätzliche
Substitution von Methionin empfohlen. Die meisten Patienten mit MTHFR-Mangel zeigen keine Besserung auf Vitamingaben, während Vitamin B12 hoch dosiert bei Patienten mit Methioninsynthase-Mangel bzw. Störungen der
Methylcobalaminsynthese verabreicht wird.
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Bei jeder sich rasch verschlechternden Myopie und Linsenektopie im Kindesalter ist eine quantitative Bestimmung
von Homocystein im Plasma indiziert.
121
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Prognose. Die Prognose ist variabel sowohl zwischen verschiedenen Störungen als auch unerklärterweise innerhalb
der gleichen Erkrankung.
Milde Hyperhomozysteinämie
Ätiologie, Pathogenese und Genetik. Vor einigen Jahren
wurde eine in polymorpher Häufigkeit vorkommende Mutation (677C → T) im Methylentetrahydrofolatreduktase(MTHFR-)Gen identifiziert, die zu einem thermolabilen
MTHFR-Protein (A222V) führt. Speziell bei homozygoten
Personen (immerhin ca. 5 % der Allgemeinbevölkerung)
mit niedrigen Folsäurespiegeln führt diese Variante über
eine verminderte Bereitstellung von 5-Methyltetrahydrofolat zu einer Beeinträchtigung der Remethylierung von
Homocystein und in der Folge zu hochnormalen bzw. erhöhten Homocysteinspiegeln im Plasma. Zahlreiche Studien zeigten, dass eine milde Hyperhomozysteinämie bzw.
Homozygotie für die MTHFR-Variante 677C → T bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen, ischämischen
Hirninfarkten (Perry et al. 1995) sowie in Familien mit
Spina bifida signifikant gehäuft vorkommt (van-der-Put et
al. 1995) (wobei eine milde Hyperhomozysteinämie allerdings nur in etwa 25 % der Fälle durch die MTHFR-Variante
erklärt ist). Durch Gabe von Folsäure lassen sich die Homocysteinspiegel im Plasma und die Wahrscheinlichkeit für
das Auftreten der o. g. Komplikationen senken. So wurde
nachgewiesen, dass zumindest in manchen Populationen
die Inzidenz von Neuralrohrdefekten durch perikonzeptionelle Folsäuresupplementierung deutlich vermindert wird.
Es ergeben sich wesentliche Konsequenzen für eine primäre und sekundäre Prävention; so wird in einigen Ländern Folsäure Lebensmitteln, wie z. B. Mehl, generell zugesetzt.
Diagnostik. Zur Diagnostik der milden Hyperhomozysteinämien müssen Nüchternspiegel bestimmt werden. Eine
Methioninbelastung ist hingegen unphysiologisch und von
unklarer Wertigkeit. Daneben kann auch der primäre Nachweis der MTHFR-Variante diagnostisch hilfreich sein.
Therapie. Erhöhte Homocysteinspiegel können durch Therapie mit 5 mg Folsäure/Tag halbiert werden. Bei über 90 %
der milden Hyperhomozysteinämien werden die Blutspiegel durch eine kombinierte Therapie von 5 mg Folsäure
und 100 mg Vitamin B6/Tag normalisiert. Manche Behandlungsprotokolle beinhalten zusätzlich 0,4 mg Vitamin B12.
Grundsätzlich soll Folsäure nur bei ausreichendem Vitamin-B12-Spiegel isoliert substituiert werden – andernfalls
könnten ausgeprägte Schädigungen des ZNS entstehen
(vgl. Kap. 16.4). Fest etabliert ist die perikonzeptionelle Folsäuresupplementierung bei allen Frauen mit 0,4 mg/d zur
Prävention von Neuralrohrdefekten bzw. 4 mg/d als Wiederholungsprophylaxe.
9.3.5 Hartnup-Krankheit
Ätiologie und Pathogenese. Diese autosomal rezessiv vererbte Krankheit ist Folge eines Defekts der Aufnahme neutraler und zyklischer Aminosäuren im Darm und im Nierentubulus. Der Körper verarmt an Tryptophan, wodurch
nicht ausreichend Nicotinamid hergestellt wird.
Klinik. Pellagraähnliche Hauterscheinungen an belichteten
Hautpartien, zerebelläre Ataxie und psychomotorische Retardierung sind die Folgen.
Diagnostik. Die Diagnose wird durch die vermehrte Ausscheidung von neutralen Aminosäuren und Indolkörpern
im Urin gestellt.
Therapie und Prognose. Die Therapie besteht in Lichtschutz und der Gabe von Nicotinamid (50 – 200 mg/d). Bei
rechtzeitiger Diagnosestellung ist die Prognose exzellent.
9.4 Wichtige
Organoazidopathien
Definition
Organoazidurien unterscheiden sich hinsichtlich Pathogenese
und Klinik nicht grundsätzlich von Aminoazidopathien. Sie sind
jedoch meist mitochondrial lokalisiert und involvieren CoA-aktivierte Karbonsäuren. Daher bedingen sie eine sehr viel substanziellere Störung des Energiestoffwechsels.
Eiweißexzesse, Mangelernährung oder Katabolismus (z. B. interkurrente Infekte, Impfungen, Unfälle, Operationen, Steroidtherapien) mit unbalancierter Nahrungszufuhr und Abbau des
körpereigenen Eiweißes können rasch zu einem Anstieg toxischer Metabolite mit der Folge akuter, lebensbedrohlicher
Stoffwechselentgleisungen führen. In jedem Lebensalter können Patienten innerhalb kürzester Zeit schwerste zerebrale
Schädigungen erleiden oder versterben. Die Akutbehandlung
sollte in einem mit den notwendigen Maßnahmen vertrauten
Stoffwechselzentrum erfolgen. Alle Patienten sollten einen
Notfallausweis bzw. ein Medaillon mit den wichtigsten Erstinformationen und Telefonnummern sowie Angaben über unverzüglich durchzuführende Maßnahmen bei sich tragen.
9.4.1 Isovalerianazidurie
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Isovalerianazidurie liegt um 1 : 150 000.
Ihr liegt ein autosomal rezessiv vererbter Defekt des Enzyms Isovaleryl-CoA-Dehydrogenase im Abbau der Aminosäure Leucin zugrunde. Die sich anstauende Isovaleriansäure wirkt inhibitorisch auf den Zitronensäurezyklus, den
mitochondrialen Sauerstoffverbrauch der Leber sowie die
Granulopoese von Knochenmarkzellen.
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122
9.4 Wichtige Organoazidopathien
Etwa die Hälfte der Betroffenen erkrankt während der Neonatalperiode mit Nahrungsverweigerung, rezidivierendem
Erbrechen, Lethargie, Somnolenz und häufig Hypothermie.
Wegen der gastrointestinalen Symptomatik wurde häufiger die Verdachts-(Fehl-)diagnose einer hypertrophen
Pylorusstenose gestellt bis hin zur operativen Therapie.
Gewöhnlich ist im akuten Stadium ein penetranter
„Schweißfußgeruch“ festzustellen, der von der kurzkettigen Fettsäure Isovaleriansäure herrührt. Laborchemisch
finden sich eine Ketoazidose, Hyperammonämie, Hypokalzämie sowie, infolge einer Knochenmarkdepression
Thrombo-, Neutro- und/oder Panzytopenien. Da die Diagnose oft nicht rechtzeitig gestellt wird, verstirbt etwa die
Hälfte der Patienten im Rahmen einer Stoffwechselkrise
(Fernandes et al. 2000).
Bei der chronisch intermittierenden Form der Isovalerianazidurie kommt es bei Infekten oder durch vermehrte
Eiweißbelastung rezidivierend zu Erbrechen, Lethargie
oder Koma, metabolischer Azidose und dem schon erwähnten „Schweißfußgeruch“.
Diagnostik
Die Isovalerianazidurie wird im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei akutem klinischem
Verdacht ist die Analytik der organischen Säuren (z. B.
N-Isovalerylglycin, N-Isovalerylglutaminsäure, 3- und
4-Hydroxyisovaleriansäure) oder der Acylcarnitine (Isovalerylcarnitin) diagnostisch. Eine enzymatische und/oder
molekulare Bestätigung der Verdachtsdiagnose ist nicht erforderlich, zudem weltweit nur in einzelnen Speziallaboratorien verfügbar. Eine Pränataldiagnostik ist wegen der
prinzipiell guten Behandelbarkeit nur in Ausnahmefällen
indiziert.
Therapie und Prognose
Therapie. In der akuten Krise müssen folgende, für die
meisten Organoazidurien geltenden Therapieprinzipien,
rasch und konsequent umgesetzt werden (Fernandes et al.
2000, Hoffmann et al. 2002):
Q Reduktion der Eiweißzufuhr,
Q Glucose-/Insulin-/Lipidinfusionen, um eine katabole
Stoffwechsellage zu beheben,
Q Korrektur der metabolischen Azidose.
Die Langzeittherapie besteht in einer proteinreduzierten
Diät, evtl. unter Verwendung einer leucinfreien Aminosäurenmischung. Zur Förderung der Isovaleriansäureausscheidung in Form von Isovalerylglycin und Isovalerylcarnitin
sowie zur Vermeidung eines sekundären Carnitinmangels
sollten Glycin (150 mg/kgKG) und L-Carnitin (100 mg/
kgKG) supplementiert werden.
Prognose. Ist die erste metabolische Krise schadlos überstanden und die Diagnose gestellt, kann bei konsequenter
Behandlung die Prognose als gut bezeichnet werden. Wie
bei anderen Organoazidurien, nimmt die Häufigkeit von
Entgleisungen mit zunehmendem Alter ab. Probleme bei
maternaler Isovalerianazidurie scheinen nicht zu bestehen.
9.4.2 Propionazidurie
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Erkrankung liegt bei ca. 1 : 100 000. Der
Propionazidurie liegt ein Defekt der Propionyl-CoA-Carboxylase im Abbau des Propionyl-CoA zugrunde, welches im
Intermediärstoffwechsel aus verschiedenen Quellen (Isoleucin, Valin, Methionin, Threonin, ungeradzahlige Fettsäuren, Cholesterolseitenkette, Darmbakterien) entsteht. Das
sich aufstauende Propionyl-CoA geht als äußerst reaktionsfreudige Verbindung eine Fülle von Nebenreaktionen ein
(Lehnert et al. 1994). Die Gesamtheit der verschiedenen
Metaboliten ist für die im akuten Schub auftretende metabolische Azidose verantwortlich. Durch Hemmung der
N-Acetylglutamatsynthetase, einem wichtigen Enzym der
Harnstoffsynthese, verursacht Propionyl-CoA in metabolischen Krisen schwere Hyperammonämien. Des Weiteren
übt die Propionsäure einen starken inhibitorischen Effekt
auf die mitochondriale Energieproduktion aus und beeinträchtigt das Wachstum der Stammzellen im Knochenmark.
Klinik
In 80 % der Fälle manifestiert sich die Propionazidurie nach
unauffälliger Schwangerschaft und Geburt in den ersten
Lebenstagen mit zunächst unspezifischen Symptomen wie
Appetitlosigkeit, Trinkschwäche, rezidivierendem Erbrechen, Dehydratation, Gewichtsverlust und Muskelhypotonie (Lehnert et al. 1994). Wenig später entwickelt sich eine
schwere metabolische Azidose mit Hyperammonämie und
eine ausgeprägte neurologische Symptomatik mit Dyspnoe, Somnolenz, Apathie, Krampfanfällen und Koma.
Wenn die Kinder überleben, resultieren als Folgeschäden
oft fokale und generalisierte Krampfanfälle, zerebrale Atrophie und Entwicklungsretardierung. Im Jugendalter entwickeln Patienten häufig Dystonien, eine Chorea und pyramidale Symptome. Postmortal wurden Läsionen der
Basalganglien und Myelinisierungsstörungen beschrieben.
Diagnostik
Die Propionazidurie wird im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei akutem klinischem Verdacht ist die Analytik der organischen Säuren (z. B. Methylcitrat, 2-Methyl-3-oxovalerat und 3-Hydroxypropionat)
oder der Acylcarnitine (Propionylcarnitin) diagnostisch relevant. Bestätigt wird die Diagnose durch die Bestimmung
der Propionyl-CoA-Carboxylase in Leukozyten oder Fibroblastenkulturen oder mittels Mutationsanalytik. Enzymatische und/oder molekulargenetische Untersuchungen sind
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Klinik
123
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
zur Sicherung der Diagnose nicht erforderlich, wohl aber
für die Durchführung einer Pränataldiagnostik in Hochrisikofamilien. Eine Pränataldiagnostik kann auch zuverlässig über die Bestimmung pathologischer Metabolite
im Fruchtwasser mit Stabile-Isotopen-Verdünnungstechnik erfolgen.
Therapie und Prognose
Therapie. Besonders bei ausgeprägter oder rasch progredienter Hyperammonämie oder bereits manifester Enzephalopathie (Koma) ist eine unverzügliche Verlegung in
ein Stoffwechselzentrum empfehlenswert, das die Akutdiagnostik der relevanten biochemischen Parameter sowie
die Möglichkeit der extrakorporalen Detoxifikation (Hämodiafiltration) vorhält. Bereits vor der Verlegung müssen diagnostische und therapeutische Maßnahmen eingeleitet
werden (Fernandes et al. 2000, Hoffmann et al. 2002):
Q Reduktion der Eiweißzufuhr,
Q Glucose-/Insulin-/Lipidinfusionen, um eine katabole
Stoffwechsellage zu beheben,
Q Korrektur der metabolischen Azidose und Carnitingabe,
Q spezifische Therapie der Hyperammonämie mit intravenöser Infusion von Argininhydrochlorid und Natriumbenzoat (bis zu 350 mg/kgKG/24 h) (s.a. Kap. 10).
Die Langzeittherapie besteht aus einer individuell angepassten und immer wieder adaptierten Isoleucin-, Valinund Methionin-reduzierten Ernährungstherapie, einschließlich einer spezifischen Aminosäuremischung. Zusätzlich muss im Intervall L-Carnitin mit 100 mg/
kgKG/24 h substituiert werden.
Prognose. Für die Prognose der Propionazidurie sind der
Zeitpunkt der Diagnosestellung und die adäquate Therapie
der metabolischen Entgleisung insbesondere auch in der
Zeit zwischen Erstmanifestation und Diagnosestellung von
entscheidender Bedeutung. Prinzipiell ist eine normale
psychomotorische Entwicklung möglich, jedoch können
schon kurze Episoden mangelhafter Kontrolle zu irreversiblen Schäden bis hin zum Tod führen.
einer Methylmalonazidurie oft auch eine Hyperhomozysteinämie und Störung im zytosolischen Methylgruppentransfer (s. o.). Insbesondere eine veganische Fehlernährung kann im Säuglingsalter einen alimentären
Vitamin-B12-Mangel verursachen und zu einer den genetischen Defekten vergleichbaren Gedeihstörung, neurodegenerativer Symptomatik und laborchemischen Veränderungen führen.
Klinik
Patienten mit isolierter Methylmalonazidurie infolge eines
Defekts der Methylmalonyl-CoA-Mutase präsentieren sich
meist mit akuten Stoffwechselkrisen, vergleichbar Patienten mit Propionazidurie, die ohne rasche spezifische Behandlung tödlich enden oder zu schweren Residualschäden führen. Fast regelmäßig finden sich eine schwere
Ketoazidose (92 %), Hyperammonämie (71 %), Hyperglyzinämie/urie (68 %) sowie in 50 – 60 % eine Leuko-/Thrombopenie/Anämie. Die Methylmalonsäure ist in allen Körperflüssigkeiten stark vermehrt, während Homocystein und
Serum-Cobalamin normal sind.
Patienten mit genetischen Defekten, die zu einem kombiniertem, intrazellulärem Adenosyl- und Methylcobalamin-Mangel führen, zeigen ähnliche Symptomatik und
Befunde, jedoch entstehen vermehrt neurologische (Irritabilität, Gedeihstörung, Entwicklungsretardierung, Ataxie,
Lethargie und Krämpfe) sowie, insbesondere bei späterer
Manifestation, neuropsychiatrische Symptome (Anorexie,
Antriebslosigkeit, Delirium, Psychose). Laborchemisch treten zusätzlich zu den oben beschriebenen Veränderungen
eine Homozystinurie/ämie mit Hypomethioninämie und
eine megaloblastische Anämie auf.
Zusätzlich zu möglichen Folgeschäden einer oder mehrerer Stoffwechselentgleisungen im Säuglings- und Kindesalter entwickeln Patienten im Jugendalter häufig Dystonien, eine Chorea und pyramidale Symptome. Zusätzlich
entsteht oft eine Osteoporose sowie eine spezifische Nierenschädigung, die im Jugendlichen- oder frühem Erwachsenenalter in eine terminale Niereninsuffizienz mündet.
Diagnostik
9.4.3 Methylmalonazidurien
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit aller Methylmalonazidurien wird auf ca.
1 : 100 000 geschätzt und bewegt sich damit in der gleichen Größenordnung wie die der Propionazidurie. Methylmalonazidurien werden durch Störungen der mitochondrialen Methylmalonyl-CoA-Mutase verursacht. Entweder
durch einen primären Enzymdefekt (mut0 ohne Restaktivität oder mut– mit Restaktivität) oder einen Mangel des Vitamin-B12-Kofaktors Adenosylcobalamin. Vitamin B12 ist
auch Kofaktor der Remethylierung von Homocystein zu
Methionin (hier als Methylcobalamin). Dementsprechend
verursachen Störungen im Cobalaminstoffwechsel neben
Methylmalonazidurien werden im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei akutem klinischem
Verdacht ist die Analytik der organischen Säuren (Methylmalon-, Methylzitronen-, 2-Methyl-3-oxovalerian- und
3-Hydroxypropionsäure) oder der Acylcarnitine (Propionylcarnitin und, nur bedingt zuverlässig, Methylmalonylcarnitin) diagnostisch. Für die weitere Differenzierung ist
die parallel durchzuführende quantitative Aminosäurenanalytik (Glycin, Homocystein, Methionin) erforderlich.
Biochemische Untersuchungen an kultivierten Fibroblasten (14C-Propionat-Fixation, Methylmalonyl-CoA-MutaseBestimmung, Komplementierungsanalysen, molekulargenetische Untersuchungen) erlauben die endgültige
Differenzierung der unterschiedlichen Defekte. Eine Pränataldiagnostik muss individuell geplant werden. Sie kann
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9.4 Wichtige Organoazidopathien
Therapie und Prognose
Therapie. Besonders bei ausgeprägter oder rasch progredienter Hyperammonämie oder bereits manifester Enzephalopathie (Koma) ist eine unverzügliche Verlegung in
ein Stoffwechselzentrum empfehlenswert, das die Akutdiagnostik der relevanten biochemischen Parameter sowie
die Möglichkeit der extrakorporalen Detoxifikation (Hämodiafiltration) vorhält. Bereits vor der Verlegung müssen diagnostische und therapeutische Maßnahmen eingeleitet
werden (Fernandes et al. 2000, Hoffmann et al. 2002):
Q Reduktion der Eiweißzufuhr,
Q Glucose-/Insulin-/Lipidinfusionen, um eine katabole
Stoffwechsellage zu beheben,
Q Korrektur der metabolischen Azidose und Carnitingabe.
Initial muss ein Behandlungsversuch mit Vitamin B12
(1 – 5 mg Hydroxycobalamin i. m. über mehrere Tage)
durchgeführt werden. Die Hyperammonämie muss spezifisch mit intravenöser Infusion von Argininhydrochlorid
und Natriumbenzoat (bis zu 350 mg/kgKG/24 h) behandelt
werden (s.a. Kap. 10).
Falls keine Vitamin-B12-Abhängigkeit vorliegt, besteht
die Langzeittherapie aus Ernährung, in der Isoleucin, Valin
und Methionin reduziert sind sowie in der L-Carnitin-Substitution (100 mg/kgKG/24 h). Bei den meisten Defekten
mit Vitamin-B12-Abhängigkeit ist eine orale Supplementierung ungenügend.
Prognose. Die Prognose der Methylmalonazidurien ist differenziert: Vitaminabhängige Erkrankungen haben in Abhängigkeit vom Zeitraum bis zur Diagnosestellung eine
befriedigende Prognose, während sich bei fehlender Vitamin-B12-Abhängigkeit bzw. Restaktivität trotz frühzeitigem Therapiebeginn oftmals eine psychomotorische
Retardierung, extrapyramidale Bewegungsstörungen, Osteoporose und progressive Niereninsuffizienz entwickeln.
9.4.4 3-Hydroxy-3-methylglutarazidurie
Klinik
Etwa ein Drittel der Patienten erkranken schon in der Neonatalzeit, bei den übrigen wird die Erkrankung zwischen
dem 3. und 11. Monat manifest, mit rezidivierendem oder
unstillbarem Erbrechen, schwerer metabolischer Azidose,
hypoketotischer Hypoglykämie und Hyperammonämie.
Nicht selten versterben Kinder in einer akuten Reye-Syndrom-artigen Krise. Neurologisch findet man neben Atemproblemen (Tachy-, Hyper-, Dyspnoe) häufig Muskelhypo-/
hypertonie, Hyperreflexie, Lethargie, Koma, Krämpfe sowie
geistige Retardierung. Neuroradiologisch dokumentieren
sich zerebrale Atrophien und Läsionen der weißen Substanz.
Diagnostik
Die 3-Hydroxy-3-methylglutarazidurie wird im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei
akutem klinischem Verdacht ist die Analytik der organischen Säuren (neben 3-Hydroxy-3-methylglutarsäure u. a.
3-Methylglutacon-, 3-Methylglutar- und 3-Hydroxyisovaleriansäure sowie 3-Methylcrotonylglycin) oder der Acylcarnitine (3-Methylglutarylcarnitin) diagnostisch. Die enzymatische und/oder molekulare Bestätigung ist nicht
unbedingt erforderlich und kann in Leukozyten, Lymphozyten oder kultivierten Fibroblasten erfolgen.
Therapie und Prognose
Therapie. Während akuter Krisen steht die Behandlung
der Hypoglykämie durch reichliche Glucoseinfusionen
ganz im Vordergrund, wodurch die katabole Stoffwechsellage durchbrochen wird. Meist bessert sich dadurch auch
die metabolische Azidose. Bezüglich der Langzeittherapie
ist zu beachten, dass diätetisch neben einer proteinreduzierten (1,5 – 2 g/kgKG/d) auch eine fettarme (ca. 25 % des
täglichen Kalorienbedarfs als Fett) Kost gegeben werden
muss. Entscheidend ist die prompte Behandlung kataboler
Stoffwechsellagen (Notfallausweis).
Prognose. Sind während der Erstmanifestation oder im
Verlauf weiterer Stoffwechselattacken keine bleibenden
Schäden entstanden, ist die Langzeitprognose als günstig
anzusehen.
Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der 3-Hydroxy-3-methylglutarazidurie liegt
bei ca. 1 : 200 000. Ursächlich ist ein Defekt der 3-Hydroxy3-methylglutaryl-(HMG-)CoA-Lyase, welche die Spaltung
von HMG-CoA in Acetoacetyl-CoA und Acetyl-CoA katalysiert. Diese Reaktion wird sowohl als letzter Schritte im
Leucinabbau als auch in der hepatischen Ketogenese benötigt. Die hohe Konzentration organischer Säuren führt
während akuter Krisen zu schweren metabolischen Azidosen. Darüber hinaus entwickelt sich durch die den Fettsäurenoxidationsdefekten vergleichbare gestörte Ketogenese
eine hypoketotische Hypoglykämie.
9.4.5 Glutarazidurie Typ I
Ätiologie und Pathogenese
Die Häufigkeit der Glutarazidurie Typ I in Mitteleuropa beträgt etwa 1 : 100 000 Neugeborene, in manchen genetisch
homogenen Populationen wie der Amish Community
(Pennsylvania, USA) bis zu 1 : 400 (Baric et al. 1998, Hoffmann u. Zschocke 1999). Ein autosomal rezessiv vererbter
Mangel der Glutaryl-CoA-Dehydrogenase im Abbau der
Aminosäuren Lysin, Hydroxylysin und Tryptophan (Abb. 9.4)
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enzymatisch, molekular oder auch über die Bestimmung
pathologischer Metabolite mit Stabile-Isotopen-Verdünnungstechnik im Fruchtwasser erfolgen.
125
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Abb. 9.4
Metabolischer Block und pathologische Metaboliten bei Glutarazidurie Typ I.
führt zum Anstau von Glutaryl-CoA, welches in großen
Mengen zu Glutarsäure hydrolysiert und im Urin ausgeschieden wird. Kleinere Mengen werden zu Glutaconund 3-Hydroxyglutarsäure metabolisiert oder mit L-Carnitin zu Glutarylcarnitin konjugiert.
Klinik
Bei Geburt besteht als einziges Krankheitszeichen häufig
eine Makrozephalie, welche in den ersten Lebensmonaten
perzentilenkreuzend zunimmt. Sonst entwickeln sich die
meisten Patienten über Monate unauffällig oder zeigen relativ unspezifische Symptome wie eine mäßige Muskelhypotonie, Irritabilität und Zittrigkeit. Die Kinder erkranken dann mit durchschnittlich 9 Lebensmonaten an einer
akuten enzephalopathischen Krise. Diese verursacht eine
striatale Schädigung. Häufig wird die akute Erkrankung als
Enzephalitis und die entstandene irreversible, schwere
dyston-dyskinetische Bewegungsstörung mit profunden
Dyskinesien als Folgeschädigung fehlgedeutet. Die Intelligenz der Kinder ist zunächst weitgehend unbeeinträchtigt.
Bleibt die Erkrankung undiagnostiziert und unbehandelt,
entwickeln sich in späteren Lebensjahren oft zusätzlich
eine generalisierte Hirnatrophie, eine Spastik mit Pyramidenbahnzeichen und eine geistige Retardierung. Ungefähr
25 % der Patienten erleiden keine enzephalopathische Krise, sondern entwickeln schleichend eine dyston-dyskinetische Bewegungsstörung und geistige Retardierung (Baric
et al. 1998, Hoffmann u. Zschocke 1999). Einzelne Patienten bleiben während Kindheit und Jugend symptomfrei.
Sie können lebenslang asymptomatisch bleiben oder im Erwachsenenalter einen psychomentalen Abbau mit leukodystrophen Veränderungen in der MRT entwickeln.
Diagnostik
Spezifische Diagnostik. Die Glutarazidurie wird im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei akutem klinischem Verdacht ist die Diagnose durch den Nachweis der in allen Körperflüssigkeiten meist reichlich zu
findenden Glutarsäure leicht zu stellen, jedoch sind auch
Fälle beschrieben, bei denen trotz schwerer klinischer
Symptomatik nur gering erhöhte oder sogar unauffällige
Konzentrationen der Glutarsäure im Urin vorlagen. Darüber hinaus findet sich bei der Acylcarnitinanalyse eine
erhöhte Konzentration von Glutarylcarnitin. In Einzelfällen
kann die exakte quantitative Bestimmung der Glutarsäure
und der 3-Hydroxyglutarsäure im Urin und Liquor
diagnostisch weiterhelfen. In seltenen Fällen muss die Indikation zur Enzymuntersuchung in Leukozyten oder Fibroblastenkulturen oder zur molekulargenetischen Untersuchung allein aufgrund der typischen klinischen und
neuroradiologischen Symptomatik gestellt werden.
Pränataldiagnostik. Eine Pränataldiagnostik ist wegen der
prinzipiell guten Behandelbarkeit nur in Ausnahmefällen
indiziert. Sie kann enzymatisch, molekular oder auch über
die Bestimmung pathologischer Metaboliten mit StabileIsotopen-Verdünnungstechnik durchgeführt werden. In jedem Falle ist ein Screening sowohl jüngerer wie auch älterer Geschwister sinnvoll.
Neuroradiologie. Im CT bzw. MRT zeigen sich bereits im
präsymptomatischen Stadium frontotemporale Atrophien
und eine verzögerte Myelinisierung. Subdurale Hämatome
und Hygrome können im späten Säuglingsalter als Hinweise auf eine Kindesmisshandlung fehlgedeutet werden.
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9.4 Wichtige Organoazidopathien
Bei den neurologisch erkrankten Patienten lässt sich zusätzlich eine Schädigung der Nuclei caudati sowie der
Globi palladi nachweisen. Ohne spezifische Behandlung
entwickelt sich eine progrediente Hirnatrophie, mit frontotemporal betonter Atrophie sowie zerstörten Nuclei caudati und Globi palladi.
127
gen. Frühzeitig diagnostizierte und behandelte Kinder entwickeln sich demgegenüber normal.
9.4.6 Störungen des Biotinstoffwechsels
Therapie. Grundpfeiler sind eine Eiweißreduktion oder,
spezifischer, eine lysinarme Diät unter Aufstockung von
fehlendem Eiweiß durch eine lysinfreie und tryptophanreduzierte Aminosäurenmischung, eine Carnitinsupplementierung und konsequent und zuverlässig durchgeführte
Notfallmaßnahmen schon im Frühstadium interkurrenter
Infekte (Fernandes et al. 2000). Da Riboflavin ein Coenzym
der Glutaryl-CoA-Dehydrogenase ist, sollte eine mögliche
(aber sehr seltene) Riboflavinabhängigkeit ausgetestet
werden.
Zur Milderung der neurologischen Symptome nach einer
enzephalopathischen Krise können z. B. Baclofen, Vigabatrin oder Diazepam, nicht jedoch Valproat, eingesetzt werden. Da die intellektuellen Funktionen bei schweren körperlichen Beeinträchtigungen lange Jahre erhalten bleiben,
ist eine technische Unterstützung (z. B. Rollstuhl, Sprachcomputer) besonders wichtig. Im Gefolge von Koordinationsstörungen auftretende Ernährungsschwierigkeiten
können durch ein Gastrostoma gemildert werden.
Prognose. Nach aufgetretener erster neurologischer
Symptomatik ist die Prognose schlecht. Trotz Therapieeinleitung bessert sich das Krankheitsbild nicht oder nur wenig, und etwa 20 % der Patienten versterben im Rahmen
krisenhafter neurologischer Verschlechterungen, unbeeinflussbarer Hyperthermien oder interkurrenter Erkrankun-
Die Häufigkeit des schweren Biotinidase-Mangels (Restaktivität < 10 %) liegt bei 1 : 73 000 (Hoffmann u. Machill
1994). Biotin, ein Vitamin des B-Komplexes, ist das Coenzym von 4 CO2-fixierenden Carboxylasen, der zytosolischen Acetyl-CoA- sowie der mitochondrialen PropionylCoA-, 3-Methylcrotonyl-CoA- und Pyruvatcarboxylasen
(Abb. 9.5). Durch die Holocarboxylasesynthetase wird es
kovalent an die entsprechenden Apoenzyme gebunden. Sowohl zur enteralen Aufbereitung des an Protein gebundenen Biotins als auch zur endogenen Rückgewinnung aus
Biotinylpeptiden und Biocytin (einem Konjugat von Biotin
mit Lysin) wird das Enzym Biotinidase benötigt. Beide Enzymdefekte werden autosomal rezessiv vererbt.
Der Holocarboxylasesynthetase-Mangel wird meist
schon im Neugeborenenalter symptomatisch, da die Aktivität der Carboxylasen von Anfang an gestört ist. Der Biotinidase-Mangel führt in Abhängigkeit von enzymatischen
(ohne Restaktivität, mit geringer Restaktivität und normaler Michaelis-Konstante, Km-Variante mit verringerter Affinität für Biocytin) und äußeren Variationen (Ernährung,
metabolische Belastungen) im Verlaufe von Wochen bis
Jahren (im Mittel mit 3 Monaten) zur Biotinveramung und
klinischen Symptomen. Selten kann ein Biotinmangel in jedem Lebensalter aus einer Darmsterilisation oder Langzeiternährung mit rohem Eiweiß resultieren.
Abb. 9.5 Biotinstoffwechsel. Die Carboxylierungen von 3-Methylcrotonyl-CoA, Propionyl-CoA, Acetyl-CoA und Pyruvat sind biotinabhängig. Ein multipler Carboxylase-Mangel kann durch fehlende Aktivierung der Apoenzyme (Holocarboxylasesynthetase)
oder durch mangelnde Bereitstellung von Biotin aus Biocytin und proteingebundenem Biotin (Biotinidase-Mangel) verursacht werden.
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Epidemiologie, Ätiologie und Pathogenese
Therapie und Prognose
9 Störungen im Stoffwechsel von Amino- und Karbonsäuren
Klinik
Literatur
Bei Defekten im Biotinstoffwechsel können sich sowohl
metabolische Krisen als auch eine progrediente neurologische Symptomatik entwickeln. Metabolische Krisen sind
durch Ketoazidose, Lactatazidose wie auch Hyperammonämie gekennzeichnet. Häufige Symptome sind Muskelhypotonie, Lethargie und myoklonische Anfälle, gefolgt
von Ataxie, Entwicklungsretardierung, Optikusatrophie,
Amaurose, sensoneuralem Hörverlust und Sprachstörungen. Ferner findet man respiratorische Probleme (Hyperventilation, Stridor, Apnoe) sowie ekzematöse Hautveränderungen und Alopezien.
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Eine enzymatische Bestimmung der Biotinidase-Aktivität
ist in das Neugeborenenscreening integriert. Auch Patienten, die an einem Holocarboxylasesynthetase-Mangel leiden, werden im erweiterten Neugeborenenscreening zuverlässig erfasst. Bei klinischem Verdacht sind in der
Analytik der organischen Säuren viele pathologische Metaboliten wie bei Propionazidurie erhöht (s. o.), zudem
Lactat, 3-Hydroxyisovaleriansäure und häufig 3-Methylcrotonylglycin.
Die Biotinidase kann quantitativ exakt in Fibroblastenkulturen bestimmt werden. In Leukozyten oder Fibroblastenkulturen können auch die Aktivitäten aller Carboxylasen differenziert bestimmt und somit die Diagnose eines
multiplen Carboxylase-Mangels, bzw. eines Holocarboxylasesynthetase-Mangels gesichert werden. Die krankheitsverursachenden Mutationen können sowohl für den
Biotinidase-Mangel wie für den Holocarboxylasesynthetase-Mangel in Speziallaboratorien nachgewiesen werden,
wobei eine molekulare Bestätigung nicht unbedingt erforderlich ist. Speziell beim Biotinidase-Mangel ist ein Geschwisterscreening sinnvoll.
Therapie und Prognose
Therapie. Beim Biotinidase-Mangel führen tägliche orale
Gaben von 5 – 10 mg Biotin zu einer raschen Normalisierung des Intermediärstoffwechsels und oft zu einer frappierend raschen klinischen Besserung. Zur Therapie des
Holocarboxylasesynthetase-Mangels werden oft höhere
Dosen an Biotin benötigt (bis 50 mg/d).
Prognose. Sind noch keine irreversiblen Schäden durch
wiederholte metabolische Krisen gesetzt, ist die Prognose
des Biotinidase-Mangels sehr gut.
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