Kapitel 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Inhalt 3.1 Einleitung 3-3 3.2 Zusammenfassung erster Hauptsatz 3-3 3.3 Innere Energie 3-4 3.4 Arbeit 3-7 3.5 Wärme 3-11 3.6 Zusammenfassung Innere Energie 3-12 3.7 Enthalpie 3-12 3.8 Reaktionsenthalpie 3-17 Verzeichnis der Beispiele Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel Beispiel 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 Ionisierungsenergie und Ionisierungsenthalpie 3-14 Wärmeaustausch: glühendes Eisen und kaltes Wasser 3-15 Relative molare Enthalpien von Eisen bei 0 °C, 100 °C und 1000 °C3-17 Transformationsenthalpie von Calcit zu Aragonit 3-21 Standard Reaktionsenthalpie im Bleiakkumulator 3-21 Der Satz von Hess 3-21 Berechnung der Standard-Bildungsenthalpie von Methan 3-22 Berechnung einer Standard-Bildungsenthalpie 3-24 Temperaturänderung in der Systemumgebung 3-24 Standard Reaktionsenthalpie im Bleiakkumulator bei 80 °C 3-26 Verzeichnis der Tabellen Tabelle Tabelle Tabelle Tabelle 3.1 3.2 3.3 3.4 Benennungen der Enthalpien von Übergangsprozessen Standard-Bildungsenthalpien des Protons und des Elektrons. Standard-Bildungsenthalpien reiner Stoffe bei 298 K Standard- Wärmekapazitäten 3-19 3-21 3-24 3-26 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Verzeichnis der Figuren Figur Figur Figur Figur Figur Figur Figur 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 Zustandsfunktion und Weg Isoliertes System Arbeit als wegabhängige Grösse Volumenarbeit bei Ausdehnung Konstantes Volumen oder konstanter Druck Ionisierungsenthalpie Enthalpie als Funktion der Temperatur Hinweise zum Text • • • 3-2 Dieses Kapitel enthält einigen Text in Boxen. Darin stehen im Allgemeinen Definitionen, Erläuterungen und Beschreibungen von Versuchsanordnungen. Die Boxen mit einem Stern * enthalten mathematische Herleitungen der Gleichungen im Haupttext. Sie gehören nicht zur Lektüre des Haupttextes. Wenn Sie aber mehr über eine Herleitung wissen wollen, lesen Sie sie ruhig. Die wichtigen Formeln stehen im Haupttext und sind eingerahmt. 3-5 3-6 3-7 3-8 3-11 3-14 3-17 3.1 Einleitung «Die Energie der Welt ist konstant.» R.J.E. Clausius 1865 3.1 Einleitung Zum ersten Hauptsatz der Thermodynamik über die Konstanz der Energie im Universum gibt es viele Interpretationen. Formulierungen des 1. Hauptsatzes • Die Energie im Universum kann weder zu- noch abnehmen. • Die Energie eines isolierten Systems ist konstant. • Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden. • Es gibt kein Perpetuum mobile erster Art. • Die Änderung der inneren Energie eines Systems ist gleich der Summe der am oder vom System verrichteten Arbeit und der mit der Umgebung ausgetauschte Wärme. Erfahrungsgemäss scheint es möglich, dass ein geschlossenes System Energie «produzieren» kann: Ein Benzin/Luft-Gemisch, das im geschlossenen Zylinder eines Motors reagiert, «produziert» Wärme und drückt den Kolben weg. Dies sind zwei unterscheidbare Erscheinungsformen von Energie: Wärme und Arbeit. Das Systeminnere hat derweil weder Masse verloren noch gewonnen, es hat nur seine Zusammensetzung geändert, von Benzin plus Sauerstoff zu Kohlendioxid plus Wasser. Dieses Beispiel beschreibt genau das Thema dieses Kapitels. Die im Motor entstehende Wärme ist Energieabfall, der abgeführt werden muss; gebraucht werden kann nur die Kolbenbewegung als Arbeitsverrichtung vom System an der Umgebung (Antrieb der Räder). Aber dieselbe Reaktion führen wir auch aus, um nur Wärme zu nutzen, dabei verpufft die Arbeit der Volumenausdehnung ungenutzt im Kamin. Stellt sich die Frage, ob es sich nicht einrichten liesse, im ersten Fall aus derselben Reaktion nur die Kolbenbewegung aber keine Wärme zu erzeugen (das würde mindestens ¾ des Benzins sparen) und im 2. Fall auch die Arbeitsverrichtung der Volumenausdehnung in Nutzwärme zu wandeln. Ziel dieses Kapitels ist es, solche Prozesse, die jede Reaktion begleiten, im Detail und mathematisch exakt zu erfassen. Dabei kommen folgende Begriffe und ihre Symbole vor: • ∆U: Änderung der inneren Energie des Systems, positiv oder negativ. • q: Wärmeänderung im System durch Wärmezufuhr von aussen oder durch Prozesse im Systeminneren. • w: Arbeitsverrichtung am System (w > 0) oder vom System (w < 0) mit Arbeitsverrichtung von der oder an der Umgebung. • ∆V: Volumenänderung des Systems, z. B. bei Schieben des Kolbens oder durch Prozesse im Systeminneren. 3.2 Zusammenfassung erster Hauptsatz Der erste Hauptsatz handelt von der Konstanz der inneren Energie im Universum oder innerhalb eines von der Umgebung isolierten Systems. Die innere Energie ist eine Zustandsgrösse, die üblicherweise durch die Zustandsvariablen Volumen, Temperatur und Zusammensetzung beschrieben wird. Ein Absolutwert der inneren Energie ist a priori für kein System und für keinen Stoff bestimmbar, nur ihre Änderung ist messbar, also quantifizierbar. Ein 3-3 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Ein geschlossenes System kann innere Energie mit der Systemumgebung austauschen über genau zwei EnergieErscheinungsformen: als Wärme oder als Arbeit. Cp beschreibt die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie für Prozesse bei konstantem Druck, und sie gibt an, wie viel Wärme man einem System zuführen muss, um seine Temperatur um einen bestimmten Betrag zu erhöhen. geschlossenes System kann innere Energie mit der Systemumgebung austauschen über genau zwei Energie-Erscheinungsformen: Als Wärme oder als Arbeit. Arbeit tritt vor allem als Volumenarbeit auf. Die Anteile Arbeit und Wärme der inneren Energie können beeinflusst werden durch die Bedingungen der Energieumwandlungsprozesse. Als solche gelten idealisierte Prozessführungen: Reversible Prozesse, adiabatisch oder diatherm geführte Prozesse und Prozesse bei konstantem Druck oder bei konstantem Volumen. Die innere Energie ist einerseits die energetische Basisgrösse der Thermodynamik und andererseits die ideale Grösse für Gasreaktionen in geschlossenen Gefässen mit konstantem Volumen. Für die Praxis der Chemie ist die Thermodynamik für Prozesse bei konstantem Druck (meistens Atmosphärendruck) von grösserer Bedeutung; dabei tritt anstelle der Wärme die thermodynamische Grösse Enthalpie. Auch die Enthalpie ist eine Zustandsgrösse, ihre Zustandsvariablen sind der Druck, die Temperatur und die Zusammensetzung. Die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie ist eine derart wichtige Grösse, dass sie einen eigenen Namen und ein eigenes Symbol erhielt: Wärmekapazität (C). Wir unterscheiden die Wärmekapazität bei konstantem Druck (Cp) und bei konstantem Volumen (Cv). Weil die Enthalpie auf der inneren Energie begründet ist, lassen sich auch von ihr keine Absolutwerte angeben. Um tabellierbare Werte zu erhalten, musste der Nullpunkt der Skala willkürlich festgesetzt werden: Die StandardBildungsenthalpien (∆f H °) aller elementaren Stoffe und die des Protons in wässriger Lösung wurden auf 0 gesetzt. Über diese Nullpunktwerte elementarer Stoffe lassen sich die Standard-Bildungsenthalpiewerte aller Substanzen oder Ionen über Enthalpiemessungen bestimmen. Solche findet man tabelliert in thermodynamischen Tabellen. Die Standard-Bildungsenthalpien der Substanzen und Spezies ihrerseits ermöglichen eine Berechnung von Reaktionsenthalpien (∆rH °) aller chemischen Reaktionen, d. h. wir können für jede chemische Reaktion eine Voraussage machen über ihre Reaktionswärme. Eine Folge der Enthalpie als Zustandsgrösse ist der Satz von Hess; er ermöglicht uns, auch die Enthalpie messtechnisch nicht zugänglicher Teilprozesse innerhalb eines geschlossenen Kreisprozesses zu berechnen. 3.3 Innere Energie Der Name innere Energie kommt daher, dass man sie unterscheiden will von der äusseren Energie, also der Energie, die durch Bedingungen der äusseren Lage des Systems im Universum zustande kommen; z.B. dem Ort im Schwerefeld der Erde, seiner Bewegung und seiner Beschleunigung relativ zu einem ruhenden Koordinatensystem. Für die innere Energie spielt es mithin keine Rolle, ob das System auf dem Boden oder dem Labortisch, in Zürich oder in Los Angeles oder im fahrenden Wagen beobachtet wird. Die innere Energie eines Systems ist die Summe aller ihm innewohnenden Energien. Die innere Energie hat das Symbol U und die Einheit Joule. Es ist a priori unmöglich, einen Absolutwert der inneren Energie eines Systems zu bestimmen oder zu berechnen, egal wie klein das System ist und unabhängig von der Stoffart oder –reinheit. Messbar sind nur Änderungen der inneren Energie ∆U, welche sich ergeben, wenn der Zustand des Systems ändert. 3-4 3.5 Wärme 3.3.1 Vorzeichenregelung Ändert irgendeine Grösse im System, sei dies die innere Energie, die Temperatur oder der Druck, so können diese Änderungen immer positives oder negatives Vorzeichen haben. Dazu gilt eine strikte Regelung: Die Beurteilung wird immer vom betrachteten System aus geführt. D.h. wird dem System etwas zugeführt, so hat diese Änderung ein positives Vorzeichen; wird etwas aus dem System abgeführt, hat eine solche Änderung ein negatives Vorzeichen. Das Vorzeichen steht für die Richtung der Änderung, der Zahlenwert für ihren Betrag. 3.3.2 Innere Energie – eine wegunabhängige Zustandsgrösse Die innere Energie ist eine Zustandsgrösse. Zustandsgrössen werden durch Zustandsvariable beschrieben, unabhängig vom Weg1, auf dem dieser Zustand erreicht wurde. Damit ist auch jede Zustandsänderung wegunabhängig. U Zustand A Weg 1 Weg 2 Zustand B Figur 3.1 Zustandsfunktion und Weg Zustandsfunktionen – z. B. die innere Energie – und ihre Änderungen sind wegunabhängig. Es ist unmöglich, von A nach B auf Weg 1 dem System die Energie UB – UA zu entnehmen und mit weniger Energieeintrag UA – UB auf Weg 2 wieder beim selben Systemzustand A zu landen. Anderenfalls könnte man dies kontinuierlich durchführen und hätte so eine Energiemaschine: ein «Perpetuum mobile 1. Art». Wäre demgegenüber die innere Energie oder ihre Änderung eine wegabhängige Grösse, so könnte man einem System vom Zustand A nach Zustand B auf dem Weg 1 viel Energie (UB – UA) entziehen und nutzen und anschliessend auf einem Weg 2 mit wenig Energiezufuhr (UA – UB) wieder beim Anfangszustand A landen, was natürlich unsinnig ist. Die beiden Änderungen der inneren Energie ∆U (Weg 1) und ∆U (Weg 2) sind umgekehrt gleich: ∆U (Weg 1) = –∆U (Weg 2). 3.3.3 Innere Energie – mathematische Formulierungen Die Aussage des ersten Hauptsatzes lautet, dass die innere Energie des Universums – und damit auch die eines beliebigen isolierten Systems – konstant ist. Da wir ihren Absolutwert aber nicht kennen, ergibt sich als einzige, aber wichtige Schlussfolgerung die Tatsache, dass die Änderung der inneren Energie ∆U in einem isolierten System null ist: ∆U isoliertes System = 0 . (3-1) Energieänderungen können aber nur als Wärmeübertragung q oder als Arbeitsverrichtung w auftreten. Daher gilt: ∆U isoliertes System = q + w = 0 . 1 (3-2) Der Begriff Weg darf nicht wörtlich (Fussweg) genommen werden, man versteht darunter ganz allgemein ein Verfahren oder eine Prozessführung, einen Verfahrens«weg». 3-5 3 Erster Hauptsatz Innere Energie In der Praxis haben wir es (fast) immer mit geschlossenen Systemen zu tun, die mit ihrer Umgebung nur Energie austauschen. Die Umgebung ist dann vom Rest der Welt isoliert (Figur 3.2). Das bedeutet, dass die Summe der Energien von geschlossenem System und der Umgebung konstant ist. Jede Änderung der Energie des Systems muss zwangsläufig die gleiche Änderung mit umgekehrtem Vorzeichen in der Umgebung hervorrufen. Mit den Subscripten S für das geschlossene System, im Folgenden nur „System“ genannt, und U für die Umgebung gilt: ∆U U = −∆U S . Figur 3.2 Isoliertes System, das im Inneren ein geschlossenes System enthält (vgl. Figur 2.5). (3-3) Messbar sind Energieänderungen ausschliesslich in der Umgebung. Daraus lässt sich jedoch auf die Energieänderungen im System zurückschliessen. 3.3.3.1 Zustandsfunktion der inneren Energie Die Funktion der inneren Energie U ist: U = U (V,T,nA ,…,nJ ,…n N ). (3-4) Die innere Energie U oder ihre Änderung dU lassen sich exakt beschreiben durch die zwei Zustandsvariablen V und T plus so viele Stoffvariablen, wie das System Anzahl Komponenten aufweist. *Totales Differenzial der Zustandsfunktion der inneren Energie Aus der Funktionsgleichung (3-4) und den Regeln zur Bildung des totalen Differenzials wird die totale Änderung der inneren Energie: ∂U dU = ∂V T , nJ ∂U dV + ∂T V , nJ N dT + ∂U ∑ ∂n J=A dnJ (3-5) T , n B≠ J Die Gleichung (3-5) besagt, dass sich die innere Energie des Systems ändert, weil sich dessen Volumen ändert und zwar proportional zu der Volumenänderung (dV) und weil sich dessen Temperatur ändert und ebenfalls proportional zu dieser Änderung (dT) und weil sich die Stoffmengen n jedes Stoffs J ändern, proportional zu jeder dieser Stoffmengenänderungen (dnJ). Damit haben wir alle Einflussgrössen auf die innere Energie des Systems erfasst. Innere Energie bei konstanter Zusammensetzung Für die folgenden wichtigen Erkenntnisse über die Eigenschaften der inneren Energie resp. ihrer Änderung, sind die stofflichen Änderungen im System unwichtig, wir können sie weglassen. Unser vereinfachtes System ändert seine Zusammensetzung also nicht: Alle dnJ sind null, der letzte Summand in Gleichung (3-5) fällt weg. Zur leichteren Vorstellung dieses Sachverhalts dürfen wir annehmen, das System enthalte nur einen Stoff in einer Phase. Totales Differenzial der inneren Energie bei konstanter Zusammensetzung Das totale Differenzial der inneren Energie für ein System konstanter Zusammensetzung vereinfacht sich dann gegenüber dem allgemeingültigen (3-5) zu: ∂U ∂U (3-6) dV + dT dU = ∂V ∂T T V Auch für das System konstanter Zusammensetzung gilt die Aufteilung der inneren Energieänderung in einen Arbeits- und einen Wärmeanteil. Für eine infinitesimal kleine Energieänderung dU erhält man: dU = δw + δq . (3-7) dU Infinitesimale Änderung der wegunabhängigen Grösse innere Energie. δw Infinitesimale Änderung der wegabhängigen Grösse Arbeit δq Infinitesimale Änderung der wegabhängigen Grösse Wärme Die Aussage von Gleichung (3-7) ist: Die innere Energieänderung dU ist eine Zustandsfunktion, also wegunabhängig. Sie ist zusammengesetzt als Summe aus den zwei je wegabhängigen Grössen Arbeit w und Wärme q. Auch wenn wir am Gesamten (dU) nichts verbessern können, so lassen sich – je nach Prozessweg – doch die Anteile an Arbeit und Wärme, jeweils auf Kosten des anderen, verbessern. Ideal wäre es, man könnte den einen oder den anderen Summanden null machen, dann stünde die gesamte Energienutzung vollständig zur Verfügung, um ausschliesslich zu wärmen (Heizen mit δw = 0 ) oder um ausschliesslich Arbeit zu gewinnen (Autofahren mit δq = 0 ). Dass dies unmöglich ist, ist eine fundamentale Erkenntnis aus der Thermodynamik. 3-6 3.5 Wärme 3.4 Arbeit Der Begriff Arbeit ist aus der Umgangssprache bekannt, aber wenig genau festgelegt und deshalb für die exakten Naturwissenschaften nicht brauchbar. Wann immer wir den Begriff Arbeit verwenden, gilt die in der Physik exakt definierte Grösse: Arbeit ist das Produkt aus einer Kraft mal die Wegstrecke, entlang der die Kraft wirkt. Das Gesetz für eine infinitesimale Arbeitsverrichtung basiert auf den vektoriellen Grössen F und s und lautet: d w = F ·d s . (3-8) Die Energieform «Arbeit» unterscheidet sich von den anderen Energieformen dadurch, dass nur sie sich in jede andere Energieform verlustlos umwandeln lässt. «Arbeit» stellt demnach die höchstwertige Energieform dar. 3.4.1 Arbeit – eine wegabhängige Grösse Eine Eigenheit wegabhängiger Grössen ist, dass ihr Wert vom Prozessweg abhängt und nicht einfach als Differenz zwischen End- und Anfangszustand gegeben ist, wie bei Zustandsgrössen. In Figur 3.3 ist die Abhängigkeit der Arbeit vom Weg (Verfahrensweg) in drei Bildern schematisch gezeigt. m1 m2 Verlust: 100% Verlust m2 m1 m1 Verlust: 0% m2 A B m2 m1 C Figur 3.3 Arbeit als wegabhängige Grösse Darstellung durch drei verschiedene Verfahren. A: Fallenlassen der Masse m erzeugt Wärme, Lärm und Deformierung, welche nicht mehr spontan in Arbeit umsetzbar sind. B: Ein Teil der in m1 gespeicherten Arbeit wird in m2 wieder erhalten, der Rest ist als Arbeit verloren, nicht aber als Energie. C: bei optimaler Prozessführung können 100 % der Arbeit in m1 auf m2 übertragen werden, es wird keine Wärme freigesetzt. Die Umsetzung innerer Energie in Arbeit ist eine vom Verfahrensweg abhängige Grösse. Im Bild A wird die gesamte in der Masse m gespeicherte Arbeit nutzlos verschleudert als Wärme, Lärm und mechanische Verformung (alle sind Energieformen, aber keine davon kann spontan wieder in Arbeit umgewandelt werden). Im Bild B lässt sich zumindest ein Teil der am Anfang gespeicherten Arbeit wieder als Arbeit erhalten (als potentielle Energie der Masse m2). Im Bild C können, bei langsamer Prozessführung, theoretisch 100 % der in m gespeicherten Arbeit wieder in Arbeit (als potentielle Energie von m 1 2 gespeichert) überführt werden. Das Annähern an die theoretischen 100 % ist eine Aufgabe für Ingenieure durch Minimieren der Reibungsverluste. Eine Folge dieser Abhängigkeit vom Verfahrensweg ist, dass die Gesamtenergie, die auf einem geschlossenen Weg vom Zustand A auf einem Weg 1 zum Zustand B führt und dann auf dem Weg 2 zurück zum Zustand A, nicht den Wert null ergibt (wie für Zustandsfunktionen). Zur Unterscheidung wegabhängiger Grössen von Zustandsgrössen erhalten die beiden auch leicht verschiedene mathematische Symbole ( δ resp. d ). 3-7 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Arten von Arbeit In der Thermodynamik gibt es verschiedene Arten von Arbeit, z. B: • Arbeit durch Ändern der Länge von Grenzlinien zwischen zwei sich berührenden Phasen. • Arbeit durch Ändern der Oberfläche von zwei in Kontakt stehenden Phasen. • Arbeit durch elektrischen Strom (Batterie und Brennstoffzelle). • Arbeit durch Volumenänderung des Systems. Die ersten drei Arbeitsverrichtungen sind eher spezielle Situationen, die nicht behandelt werden und die üblicherweise in thermodynamischen Betrachtungen ausgeschlossen werden durch Angaben wie: «Nur Volumenarbeit», «keine Nichtvolumenarbeit». o. ä. Die Arbeitsverrichtung durch Volumenänderung hingegen tritt bei Zustandsänderungen regelmässig auf (Kolbenbewegung im Motor) und wird im Folgenden genauer betrachtet. 3.4.2 Volumenarbeit Volumenarbeit des Systems tritt auf, wenn sich das Systemvolumen gegen einen äusseren Druck verändert. Naturgemäss sind Volumenänderungen bei Flüssigkeiten und bei Festkörpern sehr viel kleiner als bei Gasen und deshalb meist vernachlässigbar. Die Volumenänderung gegen einen Druck führt zu einer Änderung der inneren Energie im System. In ist das System vor und nach der Volumenarbeit dargestellt. Wir nehmen an, der gasdicht schliessende Stempel mit der Oberfläche A sei masse- und reibungsfrei beweglich (sodass bei der Arbeitsverrichtung keine Wärme entsteht). Das im Zylinder eingeschlossene Gas sei das System S, alles darum herum die Umgebung U, die vom Rest der Welt isoliert ist. In der Umgebung sei der Druck p, der die Kraft F = p·A auf den Stempel ausübt. Für die Änderung vom Anfangszustand zum Endzustand ergibt sich bei einer Volumenänderung von ∆V ein Weg von ∆s = ∆V/A gegen die Kraft F. Für die Arbeit als Produkt von Kraft mal Weg erhalten wir: w = –p ∆V. Die Gleichung gilt unter der Einschränkung, dass durch die Volumenänderung des Systems keine Druckänderung in der Umgebung stattfindet, das Volumen der Umgebung also viel grösser ist als die Volumenänderung des Systems. Diese Bedingung ist fast immer gegeben, vor allem, wenn die Umgebung die Atmosphäre ist. p p Oberfläche A ∆s System Anfang 3-8 ∆U System Ende Figur 3.4 Volumenarbeit bei Ausdehnung Ein System (S) dehnt sich gegen den äusseren Druck p der Umgebung aus. Das System verrichtet dabei Arbeit gegen den Aussendruck p. Der Innendruck im System muss nicht bekannt sein, nur die Änderung des Systemvolumens, ∆V. Bei einer Volumenzunahme (+∆V) verliert das System Arbeit (–w). 3.5 Wärme Schlussfolgerungen zur Volumenarbeit • Eine Volumenzunahme des Systems verringert dessen innere Energie, resp. vergrössert die innere Energie der Umgebung – und umgekehrt. • Die Arbeit ist nur von der Volumenänderung des Systems und dem Druck der Umgebung abhängig. Sie ist nicht abhängig vom Innendruck des Systems und auch nicht von der Druckdifferenz! • Wenn der Aussendruck null ist, so verbraucht das System keine Arbeit, um zu expandieren (die Arbeit gegen das Vakuum ist null). • Bei isochoren Bedingungen (System mit konstantem Volumen), z. Bsp. weil das Reaktionsgefäss starre Wände hat, so ist die Volumenarbeit null. Was wir unter Volumenarbeit verstehen wurde eben beschrieben: Es ist die Volumenänderung (meistens -ausdehnung) des Systems gegen einen äusseren Druck. Den Zusammenhang mit der damit einhergehenden Änderung der inneren Energie des Systems finden wir, wenn wir auf Gleichung (3-7) zurückgreifen: dU = δw + δq . (3-7) *Volumenarbeit adiabatisch Im adiabatischen System (s. Kap. 2.2.3.3) ist kein Wärmetransfer mit der Umgebung möglich, also ist in der Gleichung (3-7) δq = 0 . Damit wird die innere Energieänderung nur durch den Transfer von Arbeit bestimmt: dU ad = dw . (3-9) Die Änderung der inneren Energie ist gleich der Änderung der Arbeit (des Arbeitsinhalts) des Systems. Weil U immer eine wegunabhängige Zustandsgrösse ist, wird für das adiabatische System auch die Arbeitsverrichtung eine wegunabhängige Grösse, also dw statt δw . Aus der Physik entnehmen wir das Gesetz über Arbeitsverrichtung: dw = −F ds mit F als Betrag des Kraftvektors und ds als Betrag des Verschiebungsvektors und einem Minuszeichen, falls Kraftvektor und Verschiebungsvektor entgegengesetzt sind. Werden für F = p A und für ds = dV/A substituiert so erhält man für die Arbeitsverrichtung des adiabatischen Systems: dw = − p dV . (3-10) Die Änderung des Arbeitsinhalts eines Systems ist gleich dem negativen Produkt aus dem Druck der auf das System wirkt mal dessen Volumenänderung. Es sei nochmals betont, dass p der Aussendruck ist mit einer Kraft senkrecht zur Begrenzungsfläche und nicht der Innendruck des Systems! Deshalb auch das negative Vorzeichen: Der Arbeitsvorrat des Systems nimmt ab, wenn sein Volumen zunimmt. Gleichung (3-10) beschreibt die differentielle Volumenarbeit. Die gesamte Volumenarbeit w ergibt sich durch Addition aller infinitesimalen Arbeitsverrichtungen dw, wenn alle infinitesimal kleinen Volumenschritte dV zwischen dem Anfangsvolumen V1 bis zum Endvolumen V2 addiert werden. Dazu werden beide Seiten der Gleichung (3-10) integriert. Wir können dies an den bekannten Grenzen tun: Links von der Arbeit bei Volumen 1: w(V1) bis zur Arbeit bei Volumen 2: w(V2) und rechts von Volumen V1 bis Volumen V2: w (V2 ) ∫ V2 dw = w (V1 ) − ∫ p ⋅ dV . (3-11) V1 Die linke Seite können wir integrieren: Das Integral von dw ist w, an den Grenzen w(V1) bis w(V2) erhalten wir w(V2) – w(V1) = w. Somit ist die Integralform der Volumenarbeit: V2 w = −∫ p ⋅ dV . (3-12) V1 p ist der auf dem System lastenden Aussendruck gegen Aussendruck p abhängig vom Systemvolumen, z. B. weil mengedrückt wird, so muss p als p = p(V) behandelt Gleichung Error! Reference source not found. gilt den eine Volumenvergrösserung angehen muss. Ist der die Umgebung klein ist und durch positives dV zusamund die funktionale Abhängigkeit eingebracht werden. immer, für die meisten Situationen lassen sich aber 3-9 3 Erster Hauptsatz Innere Energie 3.4.4 Spezialfälle der Volumenarbeit * Expansion gegen Vakuum Ist aussen Vakuum, der Aussendruck also null, so wird der ganze Integralterm (3-12) 0 Joule: Es ergibt keine Arbeit, ein Gas gegen Vakuum zu expandieren oder anders gesagt: Bei der Expansion gegen den äusseren Druck null kann dem System keine Volumenarbeit entnommen werden. Expansion gegen konstanten Aussendruck In den meisten Fällen darf man annehmen, dass während der geringen Volumenänderung des Systems der äussere Druck unverändert bleibt (unabhängig vom Anfangs- oder Enddruck im System). Je grösser die Umgebung, desto mehr ist diese Annahme gerechtfertigt. Ein sich gegenüber dem Atmosphärendruck mechanisch ausgleichendes System läuft immer bei konstantem Druck ab, und diese Situation trifft für die allermeisten der unter natürlichen oder unter Laborbedingungen ablaufenden Prozesse zu. Mathematisch gesehen können wir für den Fall von konstantem äusserem Druck diese Grösse in Gleichung (3-12) als Konstante vor das Integrationszeichen nehmen. Nach Integration über dV erhalten wir dann den Spezialfall mit der Kennzeichnung wp für die Volumenarbeit bei konstantem Aussendruck p und vom Systemvolumen V1 bis V2 (∆V = V2 – V1): w p = − p ∆V . (3-13) Konstanter Aussendruck ist der Regelfall, Gleichung (3-13) also die Gleichung der Wahl zur Berechnung der Arbeitsverrichtung eines Systems das dem konstanten Aussendruck p ausgesetzt ist und gegen diesen eine Volumenänderung erbringt (∆V > 0) oder erleidet (∆V < 0). 3.4.4.1 Reversible isotherme Expansion eines idealen Gases Dies ist die angestrebte und effizienteste Art der Volumenexpansion; das was die Ingenieure von Explosionsmotoren anstreben. Es gelten das ideale Gasgesetz, konstante Temperatur und Reversibilität des Druckausgleichs während des Prozesses: Wir bezeichnen p und w als prev und w rev : id. Gas prev = paussen = pinnen = n RT 1 . V (3-14) Daraus folgt die Arbeit der reversiblen, isothermen Expansion idealer Gase: w rev (ideales Gas) = − n RT ⋅ ln V2 V1 . (3-15) Natürlich ist dieser Fall der Gasexpansion stark idealisiert (ideales Gas, isotherm, reversibel), dafür ist es sehr einfach, die dabei in der Umgebung nutzbare Arbeit (wUmgebung = –wSystem) zu berechnen. 3-10 3.5 Wärme 3.5 Wärme Ausser Arbeitsverrichtungen am/vom System gibt es nur Wärmeänderungen, welche die innere Energie beeinflussen: Eine Wärmeaufnahme aus der Umgebung führt zu einer Erhöhung, eine Wärmeabgabe zu einer Verringerung der inneren Energie eines Systems. Wie die Arbeit, welche im allgemeinen Fall eine wegabhängige Grösse ist, so ist auch die Wärme eine wegabhängige Grösse, d. h. vom Verfahren abhängig, wie die Wärmezufuhr oder -wegnahme geschieht. Die folgenden Überlegungen gelten unabhängig vom Systeminhalt, sei dieser fest, flüssig oder gasförmig. Nur wegen der grösseren Effekte und besseren Vorstellbarkeit nehmen wir an, das System sei ein ideales Gas konstanter Zusammensetzung. 3.5.1 Wärme ist eine bekannte «Sache», aber man läuft Gefahr, sie unkorrekt zu verstehen, da man „Wärme“ allzu gern mit „Temperatur“ gleichsetzt. Diese beiden haben natürlich etwas miteinander zu tun, sie sind aber nicht dasselbe. Um eine Badewanne voll Wasser von 20 °C auf 40 °C zu erwärmen muss man viel mehr Wärmeenergie (Stromkonsum) zuführen, als um eine Friteuse voll Öl von 20 °C auf 180 °C zu erhitzen. Wärmezufuhr Überlegen wir uns, was passiert, wenn wir dem System aus der Umgebung eine genau bekannte Wärmemenge zuführen (dies ist sehr einfach machbar, z.B. durch einen Tauchsieder, der eine exakt bestimmbare Energiemenge aus der Batterie in der Umgebung bezieht und im System vollständig in Wärme umwandelt). Man realisiert sofort, dass es unmöglich sein wird, bei der Wärmezufuhr das Systemvolumen und den Druck konstant zu halten: Wir müssen eine Entscheidung treffen! Diese Entscheidung: • • Prozess bei konstantem Druck oder Prozess bei konstantem Volumen ist so wichtig, dass sie zwei parallele Sets thermodynamischer Grössen ergibt, von denen nicht eines richtig und das andere falsch ist, sondern je nach experimentellen Randbedingungen das eine geeigneter ist als das andere. V = konstant p = konstant p nimmt zu V nimmt zu Figur 3.5 Konstantes Volumen oder konstanter Druck Wird ein geschlossenes System erwärmt (oben), so bleibt entweder das Volumen konstant (Mitte) oder der Druck bleibt konstant (unten). 3.5.1.1 Wärmezufuhr bei konstanten Volumen Betrachten wir vorerst die Auswirkungen auf das System und seine innere Energie, wenn wir das Volumen konstant halten, das System also ein starres Gefäss ist. Die Wärmezufuhr kann nicht zu einer Abnahme der inneren Energie wegen der Volumenzunahme (Volumenarbeit) führen, sondern nur zu einer Temperaturerhöhung und damit (laut idealem Gasgesetz) zu einer Druckerhöhung (z. B. Dampfkochtopf). Die ganze dem System zugeführte Wärmeenergie erscheint als Wärmeänderung im System, da keine Volumen- 3-11 3 Erster Hauptsatz Innere Energie arbeit verrichtet wird. Für Systeme mit konstantem Volumen ist die innere Energie U die geeignete Zustandsgrösse. 3.5.1.2 Wärmezufuhr bei konstantem Druck Als zweite Möglichkeit betrachten wir die Auswirkungen bei einer Wärmeänderung, die bei konstantem Druck erfolgt, d.h. wir lassen es zu, dass sich das Systemvolumen während der Wärmezufuhr vergrössert (Festkörper und Flüssigkeiten in offenen Gefässen, Gase in solchen mit beweglichem Kolben). Die ausschliesslich als Wärme zugeführte Energie wird in diesem Fall z. T. als Arbeit verbraucht, nämlich als Volumenarbeit gegen den konstanten äusseren Druck, und nur der Rest der zugeführten Wärmeenergie kann über die Temperaturerhöhung die Wärmemenge des Systems vergrössern. Oder anders gesagt, unter konstanten Druckbedingungen braucht es gesamthaft mehr zugeführte Wärmemenge q, um das System um 1 Kelvin zu erwärmen als es bräuchte unter konstanten Volumenbedingungen. 3.6 Zusammenfassung Innere Energie • Der Absolutwert der inneren Energie eines Systems ist nicht bestimmbar. Messbar sind nur Änderungen der inneren Energie. • Die Änderung der inneren Energie ist die Summe der am oder vom System verrichteten Arbeit und der dem System zu- oder abgeführten Wärme. • Die am oder vom System verrichtete Arbeit, und die dem System zu- oder abgeführte Wärme, sind wegabhängige Funktionen. • Die Summe der zwei je wegabhängigen Grössen Arbeit und Wärme ergibt eine wegunabhängige Grösse, die Zustandsfunktion: Änderung der inneren Energie. • Je nachdem, ob die Änderung eines Systems unter konstanten Volumenoder unter konstanten Druckbedingungen abläuft, ergeben sich andere Auswirkungen einer Wärmeänderung auf die Temperaturänderung des Systems. 3.7 3.7.1 Enthalpie Definition der Enthalpie Die Enthalpie ist eine thermodynamische Zustandsgrösse, die auf der inneren Energie basiert. Die Enthalpie ist so definiert, dass sich für die Bedingung eines konstanten Drucks einfache Zusammenhänge ergeben. Da Reaktionen im Labor, in der Umwelt oder in biologischen Systemen meistens bei konstantem Druck ablaufen – und nicht ein konstantes Volumen haben, wie Gase in geschlossenem Behälter – ist die Enthalpie H für unsere Zwecke besser geeignet, als die innere Energie U. Die Enthalpie ist immer eine korrekte Grösse, nicht nur bei konstantem Druck, aber für einen solchen wird sie rechnerisch oder messtechnisch besonders einfach. 3-12 3.7 H U p V H : = U + pV [H ] Enthalpie [U ] Innere Energie Druck (von System und Umgebung im Gleichgewicht) [p ] Volumen [V ] Enthalpie (3-16) =J =J = N m− 2 = m3 • Die Enthalpie eines Systems ist die Energie, die um das Produkt Druck mal Volumen grösser ist als die innere Energie des Systems. • Die Enthalpie ist eine Zustandsgrösse, sie setzt sich ausschliesslich aus Zustandsgrössen (U, p, V) zusammen. • Von der Enthalpie sind keine Absolutwerte bestimmbar, weil sie die nicht bestimmbare Grundgrösse innere Energie enthält. *Totales Differenzial der Enthalpie Um das totale Differenzial der Enthalpie formulieren zu können, braucht man ihre Zustandsfunktion mit den Zustandsvariablen. Wie bei der inneren Energie und auch allen weiteren Zustandfunktionen genügt ein Set von 3 Zustandsvariablen für ein 1-Stoffsystem plus so viele weitere, wie das System eine zusätzliche Anzahl Komponenten hat. Die Enthalpie hat anstelle der Variablen V die Variable p: Die Zustandsvariablen der Enthalpie sind der Druck, die Temperatur und die Zusammensetzung: H = H(p, T, nJ ) . (3-17) Das totale Differenzial der Enthalpieänderung wird damit (s. Anhang): ∂H ∂H · dp + · dT + dH = ∂p ∂T T,n p,n J N ∂H ∑ ∂n J=A J · dnJ . (3-18) J p,T ,nK≠J Dies ist das «komplette» totale Differenzial, das keine Vereinfachung beinhaltet und es ist die Ausgangsbasis für die kommenden Betrachtungen, wo dann eine oder zwei Zustandsvariablen als konstant betrachtet werden (z. B. nur der Druck, nur die Temperatur, nur die Zusammensetzung oder der Druck und die Temperatur oder der Druck und die Zusammensetzung), was den obigen Ausdruck jeweils vereinfacht. 3.7.2 Abhängigkeiten der Enthalpie Die Funktionsgleichung der Enthalpie listet alle Variablen auf, von denen sie abhängig ist. Die Enthalpie ist von drei Parametern abhängig: • vom Druck, • von der Temperatur und • von den Stoffarten, den Stoffmengen und der Stoffzusammensetzung. Die Druckabhängigkeit der Enthalpie ist für uns irrelevant, weil: – Für ideale Gase ist: ∂H ∂p = 0. ∂H ∂p : T ,nJ – Für kondensierte Stoffe ist: extrem klein . T , nJ Die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie ist so wichtig, dass sie ein eigenes Symbol hat: die Wärmekapazität Cp. Die stoffliche Abhängigkeit der Enthalpie beschreibt als Reaktionsenthalpie die Enthalpieänderung bei einer chemischen Reaktion. 3-13 3 Erster Hauptsatz Innere Energie 3.7.3 *Wird das totale Differenzial der Gleichung (3-16) gebildet und für dU die Gleichungen (3-7) und (3-10) eingesetzt, so erhält man für die Enthalpieänderung (3-19). Enthalpieänderung bei konstantem Druck Es geht in diesem Abschnitt nicht um die Druckabhängigkeit der Enthalpie, also nicht darum, festzustellen wie gross die Enthalpieänderung für verschiedene Drücke wird. Eine solche Druckabhängigkeit gibt es zwar, aber sie ist für den praktischen Bedarf im Chemielabor, in der Biologie oder in der Umwelt irrelevant (anders kann dies sein in den geologischen Wissenschaften bei u. U. extremem Druck). Hier geht es ausschliesslich um die Konstanz des Drucks (egal bei welchem Wert) im Ablauf einer chemischen Reaktion oder eines physikalischen Prozesses. Druckkonstanz kann immer angenommen werden für offene Systeme, die mit der Atmosphäre im Druckausgleich stehen. Die Gleichung (3-16) kann wie folgt umgeformt werden (s. Kasten*): dH = dq + V dp . (3-19) Bei konstantem Druck ist dp = 0. Dann gilt die wichtige Beziehung: dH = ( dq )p So ist z. B. in einer galvanischen Zelle (s. Beispiel 3.5, die elektrische Arbeit verrichtet, die Wärmeänderung δq nicht gleich der Enthalpieänderung dH. Für eine messbare Enthalpieänderung, ∆H , wird die Gleichung (3-20) zu: Beispiel 3.1 p° p° p° ∆V p° A(g) ideales Gas A+(g) e-(g) +q ∆ionH° ideales Gas (3-20) Die Enthalpieänderung eines geschlossenen Systems ist gleich der zu- bzw. abgeführten Wärme q (konstanter Druck und nur Volumenarbeit). ∆H = q adiabatisch p = konst., nur Volumenarbeit. p = konstant, nur Volumenarbeit. (3-21) Ionisierungsenergie und Ionisierungsenthalpie Im Abschnitt Bindung wurde die Differenz der Werte von Ionisierungsenergie (I oder Ei) und –enthalpie (∆ionHm) erwähnt und auf die Thermodynamik verwiesen. Wir haben jetzt die Werkzeuge, diesen Unterschied klar zu machen. Die erste Ionisierungsenergie ist die Änderung A der inneren Energie ∆U vom Anfangszustand (Atom mit Elektron, U = E + – A(g)) zum Endzustand (Ion und abgetrenntes Elektron, U = A (g) + e (g)). Der entsprechende Prozess kann so formuliert werden: A(g) → A+ (g) + e− (g) Figur 3.6 Ionisierungsenthalpie Schematische Anordnung zum Messen der Standard-Ionisierungsenthalpie ∆ionH° und der daraus berechneten Ionisierungsenergie I. Die Ionisierungsenergie ist definiert als die Änderung der inneren Energie dieses Prozesses bei 0 K. I : = ∆ionU (0) . Bei einer Temperatur T haben einatomige Teilchen pro Mol eine um 3 RT 2 grössere innere Energie. Damit wird die Ionisierungsenergie: I (T ) = ∆ionU (0) + 3 RT . 2 Gemessen wird beim Ionisierungsversuch nicht direkt die Änderung der inneren Energie, sondern die Enthalpieänderung bei konstantem Druck (Figur 6.6). Die dabei aufgewendete Wärme dient nicht nur zur Ionisierung, sondern auch zur Vergrösserung des Systemvolumens um den Betrag ∆V 3-14 3.7 Enthalpie gegen den Aussendruck p. Die Ionisierungsenthalpie ∆rH° hat demnach einen um p ⋅ ∆V = RT grösseren Wert als die Ionisierungsenergie I(T). ∆ionH (T ) = I m + 5 RT 2 Bei T = 298 K wird die Standard-Ionisierungsenthalpie um 6.20 kJ mol−1 grösser als die Ionisierungsenergie, was im Vergleich zu dieser sehr wenig ist. 3.7.4 Temperaturabhängigkeit der Enthalpie: Wärmekapazität bei konstantem Druck Jede Wärmeänderung an einem System führt zur Temperaturänderung, aber jedes System reagiert mit unterschiedlich starker Temperaturänderung auf eine gleiche Wärmemenge. Die Eigenschaft, eine Wärmezufuhr oder -abfuhr in Temperaturänderung umzusetzen, heisst Wärmekapazität. Die Wärmekapazität hat die Einheit Joule pro Kelvin, sie ist eine Stoffeigenschaft. Reinstoffe haben ihre typische Wärmekapazität; Stoffmischungen haben eine Wärmekapazität, die nur angenähert aus denen der Einzelstoffe addierbar ist. Meistens braucht man statt der extensiven Grösse Cp die intensive Grösse Cp,m, die molare Wärmekapazität bei konstantem Druck mit der Einheit J mol−1K−1 . Tabelliert findet man Wärmekapazitätswerte bei Standardbedingungen (molare Wärmekapazität bei p = p°) und einer angegebenen Temperatur für die Spezies B als: C p, m ( B ) . Definiert ist die Wärmekapazität Cp bei konstantem Druck, als die partielle Ableitung der Enthalpie nach der Temperatur bei konstantem Druck. Dies ist der erste Term im 2. Summanden des totalen Differenzials der Enthalpie in Gleichung (3-18): ∂H . (3-22) C p : = ∂T p, n J Die Wärmekapazität ist die Grösse, welche die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie quantifiziert: Ist ihr Wert gross, so braucht viel Enthalpie (Wärmezufuhr bei konstantem Druck), um die Temperatur um 1 °C zu erhöhen. Ein kleiner Wert heisst, dass die Enthalpiedifferenz bei zwei verschiedenen Temperaturen klein ist. So hat 1 mol Wasser bei 26 °C eine um ca. 75 Joule grössere Enthalpie als bei 25 °C; demgegenüber weist Diamant für dieselbe Temperaturdifferenz nur eine Enthalpiezunahme von ca. 6 Joule pro Mol auf. Die Wärmekapazitäten sind über die Temperatur beinahe konstante Grössen, aber exakt besehen sind die Wärmekapazitäten bei konstantem Druck keine Konstanten, sondern Zustandsgrössen, und damit abhängig von den drei Zustandsvariablen: Druck, Temperatur und Zusammensetzung. In unseren Betrachtungen werden wir sie aber meist als konstant ansehen. Beispiel 3.2 Wärmeaustausch: glühendes Eisen und kaltes Wasser 3 In 1 dm Wasser von θ = 25 °C wird 1 kg glühendes Eisen von θ = 725 °C gebracht. Welche Temperatur herrscht nach Einstellung des thermischen Gleichgewichts (GG) im System Wasser/Eisen? Kommt das Wasser zum Kochen? Das System sei adiabatisch und bei konstantem Druck p = p°. Lösung: Prinzipielle Überlegungen: Das adiabatische System kann mit der Umgebung keine Wärme austauschen, die Gesamtwärme bleibt erhalten: q H O + q Fe = 0 . 2 Von Anfang (kaltes Wasser und heisses Eisen) bis Ende (Eisen und Wasser bei der Gleichgewichtstemperatur, TGG) ist der Druck konstant, also gilt: (dqH O )p + (dqFe )p = dH H O + dH Fe = 0 . 2 2 Mit der Definitionsgleichung der Wärmekapazität erhalten wir wegen dH = Cp ·dT: , C p, H O ⋅ dT + C p, Fe ⋅ dT = 0 . 2 3-15 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Wir integrieren diese Gleichung; für Wasser von T1, H O bis TGG und für 2 Eisen von T1, Fe bis TGG (T sind die Anfangstemperaturen von Wasser und 1 von Eisen). Die Cp -Werte seien Konstanten: T C p, H O ⋅ 2 T dT + C p, Fe ⋅ ∫ T1, H ∫ dT = 0 . T1, Fe 2O Das Integral von dT ist T, die Grenzen sind je T1 und TGG: C p, H O (TGG − T1, H O ) + C p, Fe (TGG − T1, Fe ) = 0 . 2 2 Die gesuchte Variable ist die Gleichgewichtstemperatur, TGG: C p, H2O ⋅ T1, H2O + C p, Fe ⋅ T1, Fe TGG = C p, H2O + C p, Fe . Wärmekapazitäten sind extensive Grössen. Aus den Tabellen haben wir nur die molaren Standard-Wärmekapazitäten, aber über die Stoffmengen nH O und nFe lassen sich die extensiven Wärmekapazitäten für die jeweiligen 2 Stoffmengen Wasser und Eisen berechnen: C p, H O = n H O ⋅ C p, H O 2 2 und 2 C p, Fe = n Fe ⋅ C p, Fe . Die Stoffmengen berechnen wir aus der Stoffdichte, dem Stoffvolumen und der Molmasse für Wasser, resp. der Stoffmasse und der Molmasse für Eisen: nH2O = ρH2O VH2O und M H2O nFe = mFe M Fe . Alles zusammengebaut ergibt für die Wärmekapazitäten von Wasser und von Eisen: C p, H O = 2 ρH O VH O 2 M H2O 2 C po, H O und 2 Daten: H2O(298): V = ρ M = T = 1 C po, H O = 3 C p, Fe = 1.00 dm Fe: –3 997 kg m –1 18.0 g mol 298 K –1 –1 75.3 J K mol 2 m mFe M Fe C po, Fe . = 1.00 kg –1 M = 55.9 g mol T = 998 K 1 –1 –1 C po, Fe = 25.1 J K mol Alles eingesetzt ergibt: TGG = 366 K (θGG = 93 °C), das Wasser kocht nicht! Interpretation: Die Massen von Wasser und von Eisen sind ca. gleich, die Stoffmenge und die molare Wärmekapazität des Wassers sind je ca. das 3-fache des Eisens. Auf die Masse bezogen benötigt Wasser also ca. 10 mal mehr Wärmeenergie, um seine Temperatur um gleich viel zu erhöhen wie Eisen. 3.7.4.1 Enthalpie bei anderer Temperatur Die Enthalpie eines Systems ist eine temperaturabhängige Grösse. Die Empfindlichkeit, mit der die Enthalpie, H, des Systems auf eine Temperaturänderung reagiert, wird durch die Wärmekapazität des Systems charakterisiert. Sind die Enthalpie und die Wärmekapazität des Systems bei irgendeiner Temperatur bekannt, so kann die Enthalpie bei jeder beliebigen anderen Temperatur berechnet werden durch Integration der Gleichung (3-22): H (T2 ) ∫ H (T1 ) T2 dH (T )= ∫ C p (T ) dT . (3-23) T1 Genau genommen ist die Wärmekapazität eine Funktion der Temperatur: Cp = Cp(T). Wir betrachten sie jedoch als konstant innerhalb nicht allzu 3-16 3.7 Enthalpie drastischer Temperaturänderungen. Dies führt dann auf die einfacheren Ausdrücke (3-24) und (3-25). ∆H (T ) = C p · ∆T (3-24) H(T2) In ausgeschriebener Form: H (3-25) ∆H H (T2 ) − H (T1 ) = C p (T2 − T1 ) Cp 1 Die Gleichungen (3-24) und (3-25) sind von allgemeiner Bedeutung; sie gelten für ein Stoffgemisch beliebiger Grösse ebenso wie für einen Reinstoff B in beliebiger Menge oder pro Mol Stoffmenge (dann: Hm und Cp,m), falls Cp als genügend konstant betrachtet werden darf und zwischen T1 und T2 kein Phasenübergang vorkommt (Phasenübergänge s. Kapitel 7.). Beispiel 3.3 Relative molare Enthalpien von Eisen bei 0 °C, 100 °C und 1000 °C Man berechne die Enthalpie von 1 mol reinem Eisen bei den 3 Temperaturen: 0 °C, 100 °C und 1000 °C relativ zur definierten molaren Enthalpie bei 25 °C. Eisen hat eine molare Wärmekapazität von 25.1 J K-1mol-1, und wir nehmen an, sie sei konstant über die Temperaturintervalle (was für den Temperatursprung auf 1000 °C nicht sehr genau ist). H(T1) ∆T T1 T T2 Figur 3.7 Enthalpie als Funktion der Temperatur Änderung der Enthalpie um ∆H bei einer Temperaturänderung um ∆T bei konstanter Wärmekapazität Cp. Lösung Gleichung (3-25) für die molaren Enthalpien bei den drei Temperaturen gibt: H m, Fe (T2 ) − H m, Fe (T1 ) = C p, m, Fe · (T2 − T1 ) : H m, Fe ( 273 K ) − 0 kJ mol -1 = 25.1 J mol -1 K−1 ⋅ ( 273 K − 298 K ) = −0.628 kJ mol -1, H m, Fe ( 373 K ) − 0 kJ mol -1 = 25.1 J mol -1 K−1 ⋅ ( 373 K − 298 K ) = 1.88 kJ mol -1, H m, Fe ( 1273 K ) − 0 kJ mol -1 = 25.1 J mol -1 K−1 ⋅ ( 1273 K − 298 K ) = 24.5 kJ mol -1 . 3.8 Reaktionsenthalpie Man mag sich zu Recht fragen, wo denn auf den letzten 20 Seiten die Chemie geblieben sei. Es war viel die Rede von Energie, Enthalpie, Volumen, Druck und Temperatur, aber nie von Chemie und chemischen Reaktionen. Dies stimmt und kommt wohl daher, dass die Grundgrössen innere Energie, Enthalpie, Wärmekapazität und die noch einzuführenden Grössen Entropie und Gibbs-Energie für alle materiellen Systeme gelten und historisch aus der Physik entwickelt wurden. Im Folgenden werden wir aber spezifisch den Einfluss chemischer Reaktionen auf energetische Grössen behandeln. Schon im Namen des Titels «Reaktionsenthalpie» ist die chemische Reaktion enthalten. Das Symbol ist ∆rH : Das tiefgestellte r steht für Reaktion oder Prozess, ∆ steht für Unterschied, Differenz oder Änderung und H steht für Enthalpie. Es geht um Enthalpieänderung im System, hervorgerufen durch eine chemische Reaktion. Die Reaktionsenthalpie ist die Zusammensetzungsabhängigkeit der Enthalpie. 3-17 3 Erster Hauptsatz Innere Energie 3.8.1.1 Exotherme Reaktion: ∆rH < 0 Endotherme Reaktion: ∆rH > 0 Exotherme und endotherme Reaktion Wenn bei einer Reaktion (unter konstantem Druck) «Reaktionswärme» entsteht, so ist dies fachsprachlich ausgedrückt die Reaktionsenthalpie. Ist diese negativ, verliert das System Enthalpie und es gibt Wärme ab: Die Reaktion ist exotherm. Bei Reaktionen mit positiver Enthalpieänderung nimmt das System aus der Umgebung Enthalpie auf und die Reaktion heisst endotherm. 3.8.1.2 Reaktionsenthalpie und Reaktionslaufzahl Die Zusammensetzung des Systems wurde bis jetzt mit den Stoffmengen der einzelnen Stoffe (n1, …, nn) beschrieben. Für geschlossene chemische Reaktionssysteme verläuft die Zusammensetzungsänderung aber ausschliesslich nach der Reaktionsstöchiometrie. Die synchrone Änderung der Stoffmengen oder -anteile aller am Reaktionsablauf beteiligten Spezies beschreiben wir mit der Reaktionslaufzahl ξ (s. Kapitel Stöchiometrie): dξ = 1 1 1 1 dn A = dnB = … = dnJ = … = dn . νA νB νJ νN N Damit können wir den Summenausdruck im totalen Differenzial der Enthalpie in Gleichung (3-18), der die voneinander unabhängigen Änderungen jedes Einzelstoffes vorsieht, ersetzen durch den Ausdruck mit der Reaktionslaufzahl ξ. Dieser ist besser geeignet, Zusammensetzungsänderungen bei chemischen Reaktionen zu erfassen: N ∂H ∂H dξ = ∑ ∂ξ p,T J=A ∂nJ p,T , n dn J . (3-26) K≠J So wie wir für das partielle Differenzial ( ∂H /∂T )p,n die Ersatzgrösse Cp J die einführten, führen wir hier für das partielle Differenzial (∂H ∂ξ ) p ,T Ersatzgrösse ∆rH ein. Sie hat den Namen Reaktionsenthalpie und die Einheit Joule pro Mol: ∂H ∆rH : = . ∂ξ p,T 3.8.2 p° = 1 bar –3 c° = 1 mol·dm –1 m° = 1 mol·kg ungemischte Stoffe (3-27) Standard-Reaktionsenthalpie Konstanter Druck heisst: Gleicher Druck vor, während und nach der Reaktion. Um Reaktionsenthalpien unterschiedlicher Reaktionen miteinander vergleichen zu können, muss auch der effektive Druck in allen Reaktionen gleich sein. Reaktionsenthalpien werden angegeben als Standard-Reaktionsenthalpien. Standardbedingungen sind ein Set von Zustandsbedingungen, die gleichermassen gelten für den Anfangszustand wie für den Endzustand des Prozesses. Gelten für eine thermodynamische Grösse Standardbedingungen, so wird die Grösse mit einer hochgestellten Null geschrieben, z. B. die Standard-Reaktionsenthalpie als: ∆ rH (in einigen Lehrbüchern wird der Standardzustand mit einer quergestrichenen Null bezeichnet, z.B. ∆rHϴ). 3.8.2.1 Standardbedingungen • Der Standarddruck ist p°. • Der Standardzustand eines Stoffs ist die reine Substanz xB = 1 bei p°. • Die Standardkonzentration einer gelösten Spezies B ist cB oder mB . • Im Standardzustand mehrerer Stoffe zusammen sind diese ungemischt. 3-18 3.8 Reaktionsenthalpie Die Temperatur gehört nicht zum Standardzustand, sie muss zusätzlich angegeben werden, üblich sind die Angaben bei TR = 298.15 K; wir nennen dies die Referenztemperatur. Die Bedingung, dass die Stoffe im ungemischten Zustand sein müssen, kommt daher, dass man die Effekte der Mischenthalpie und Mischentropie nicht in diesen Berechnungen haben will. Diese Effekte, die sehr wichtig sind, kommen sehr wohl in die Gesamtberechnung, sind aber nicht Teil der Standard-Reaktionsberechnungen (s. auch Standard-Reaktionsentropie, Kap. 4, und Standard Reaktions-Gibbs-Energie, Kap. 5). 3.8.2.2 Standardenthalpie physikalischer Prozesse Enthalpieänderungen, die eine Änderung des physikalischen Zustands begleiten, werden allgemein als Übergangs-Enthalpieänderung bezeichnet. Verwendet werden dafür meistens die englischen Ausdrücke. Bekannteste Beispiele sind der Schmelzprozess, der Verdampfungsprozess und der Sublimationsprozess. Weitere sind in der Tabelle 3.1 unten zu finden. Für das Schmelzen von Eis zu Wasser gilt: H2 O ( s ) = H2 O ( l ) ∆fusH ° ( 273 K ) = 6.01kJ mol−1 . Wird bei Standardbedingungen Eis (reines Eis bei Standarddruck) zu flüssigem Wasser (reines Wasser bei Standarddruck) geschmolzen (to fuse: schmelzen), so müssen dafür pro Mol Stoffmenge 6.01 kJ investiert werden. Das Verdampfen ist ebenfalls ein physikalischer Prozess: H2O ( l ) = H2O ( g ) ∆vapH ° ( 373 K ) = 40.656 kJ mol−1, ∆vapH ° ( 298 K ) = 44.016 kJ mol−1 . Am Siedepunkt, an welchem der Druck aus historischen Gründen 1 atm (1 atm = 1.01325 bar) beträgt, benötigt man 40.656 kJ Wärmeenergie, um 1 mol flüssiges Wasser vollständig in Dampf (bei gleicher Temperatur) überzuführen (to vaporize: verdampfen). Will man 1 mol Wasser bei 25 °C verdampfen, braucht es dagegen 44.016 kJ. Bei der Kondensation von Wasserdampf ist der Prozess genau umgekehrt, und die Kondensationsenthalpie bei 25 °C ist der negative Wert der Verdampfungsenthalpie: ∆condH ° ( 298 K ) = −44.016 kJ mol -1 . Tabelle 3.1 Benennungen der Enthalpien von Übergangsprozessen Übergang Transformation Fusion Vaporisation Sublimation Mixing Solution Hydration Ionisation Reaction Combustion Formation Prozess Phase α → Phase β s→l l→g s→g rein → Mischung gelöster Stoff → Lösung ± ± B (g) → B (aq) + – B → B (g) + e Reaktanten → Produkte B + O2(g)→ CO2(g)+H2O(l) elementare Stoffe → Verbindung Symbol ∆trsH ∆fusH ∆vapH ∆subH ∆mixH ∆solH ∆hydH ∆ionH ∆r H ∆c H ∆f H 3-19 3 Erster Hauptsatz Innere Energie 3.8.2.3 Standard-Reaktionsenthalpie chemischer Reaktionen Die Standard-Reaktionsenthalpie, ∆rH°(T) ist die Enthalpieänderung pro Mol Stoffumsatz bei der Temperatur T, wenn die Reaktanten im Standardzustand zu Produkten im Standardzustand umgewandelt werden. Die Substanzen starten, verbleiben und enden in (hypothetisch) ungemischtem Zustand. 3.8.3 Standard-Bildungsreaktionen Eine der einfachsten chemischen Reaktionen ist die Bildung einer Verbindung aus den entsprechenden elementaren Stoffen im Standardzustand. Die entsprechende Reaktionsenthalpie heisst Standard-Bildungsenthalpie und hat das Symbol ∆f H (oder in Deutsch ∆b H ). Beispiel: C(s) + O2 (g) = CO2 (g) oder in der thermodynamischen Schreibweise: −C(s) − O2 (g) + CO2 (g) = 0 . Die entsprechende Reaktionsenthalpie heisst Bildungsenthalpie ∆f H von CO2(g). Wenn wir absolute Werte der Enthalpie für Reaktanten und Produkt hätten, so könnten wir die Reaktionsenthalpie dieser Reaktion sehr einfach ausrechnen: ∆r H Standardenthalpien von reinen Substanzen und von Ionen in wässriger Lösung findet man in thermodynamischen Tabellen, aufgelistet als Standard-Bildungsenthalpien. Tabelliert sind die Werte bei einer angegebenen Temperatur, üblicherweise bei T = 298.15 K, der Referenztemperatur TR. = −hC(s) − hO 2 (g) + hCO . 2 Absolutwerte energetischer Stoffgrössen kennt man nicht, aber Energiedifferenzen kann man sehr exakt messen. Damit ist man gezwungen, ausgewählten Stoffen einen Energiewert per definitionem zuzuordnen (so wie man für Höhenmessungen dem Meeresspiegel den Höhenwert 0 m ü. M. zugeordnet hat). Man hat dazu die elementaren Stoffe gewählt, weil elementare Stoffe in der Chemie energetisch nicht miteinander verglichen werden können, da es keine chemischen Reaktionen gibt, welche einen elementaren Stoff in einen anderen umwandeln könnte. In deutschsprachigen Tabellen ist anstelle von f für das engl. „formation“ b für „Bildung“ geschrieben. Die Standard-Bildungsenthalpie, ∆ f H elementarer Stoffe in ihrem Referenzzustand ist per definitionem auf 0 gesetzt bei jeder Temperatur. Der Referenzzustand eines elementaren Stoffs ist sein stabilster Zustand bei der angegebenen Temperatur und Standarddruck (als einzige Ausnahme gilt Phosphor, bei welchem weisser Phosphor der Referenzzustand ist). Damit haben wir folgende Nullpunktdefinition der Enthalpie: ∆f H ° ( elementare Substanz, Referenzzustand ) : = 0 . Die Standard-Reaktionsenthalpie bei der Temperatur T ist die Summe der StandardBildungsenthalpien mal stöchiometrische Zahl der an der Reaktion beteiligten Spezies. (3-28) In der Schreibweise der chemischen Gleichung mit negativen stöchiometrischen Koeffizienten für Reaktanten und positiven für Produkte, erhalten wir für die Berechnung der Standard-Reaktionsenthalpie: ∆rH ° (T ) : = N ∑ νJ ·∆f H J (T ) (3-29) J=A 3.8.3.1 Standard-Bildungsenthalpie von H+(aq) und e–(aq) Geladene Spezies in Lösungen sind keine Substanzen. Man muss für genau ein Ion eine Nullpunktsdefinition vereinbaren. Gewählt wurde das Proton; die des Elektrons ist eine logische Folge, weil die Reaktion von H+(aq) + e– (aq) zu elementarem Wasserstoff (H2(g)) führt, der den definierten Wert 0 hat. Der Referenzzustand gelöster Spezies ist die unendlich verdünnte 3-20 3.8 Reaktionsenthalpie Lösung. Die Standardbedingungen sind bei Standarddruck, p° und Standardkonzentration, c°, der Spezies. Für jede Temperatur gilt: ∆f H ° ( H + aq , Ref. ) : = 0 . (3-30) Spezies H+(aq) – e (aq) Kehren wir zum oben erwähnten Beispiel zurück: −C(s) − O2 (g) + CO2 (g) = 0 ∆r H = ? ∆fH°/kJmol 0 0 -1 Tabelle 3.2 Standard-Bildungsenthalpien des Protons und des Elektrons. In den Tabellen finden wir: ∆f H ( CO2 ,g ) = −393.51kJ mol−1 ∆f H ∆f H ( O2 ,g ) = 0 kJ mol−1 ( C,s ) = 0 kJ mol−1 Wir wenden nun die Formel (3-29) an: ∆rH = +∆f H ( CO2 ,g ) − ∆f H ( O2 ,g ) − ∆f H ( C,s ) = −393.51 kJ mol−1 − 0 kJ mol−1 − 0 kJ mol−1 = −393.51 kJ mol−1 Natürlich ist diese Reaktionsenthalpie gerade gleich der Bildungsenthalpie ∆f H von CO2(g), da hier CO2 aus den elementaren Stoffen gebildet wird.. Beispiel 3.4 Transformationsenthalpie von Calcit zu Aragonit Man berechne die Transformationsenthalpie ∆trsH° des Phasenüberganges von kristallinem Calciumcarbonat in der Struktur Calcit zu kristallinem Calciumcarbonat in der Struktur Aragonit bei 298 K. Man nennt verschiedene Kristallstrukturen derselben Substanz verschiedene Modifikationen der Substanz. Calcit und Aragonit sind zwei Modifikationen des kristallinen Calciumcarbonats, CaCO3(s). Daten: ∆fH°(298)/kJ mol–1 Substanz CaCO3(s, Calcit) –1206.9 CaCO3(s, Aragonit) –1207.1 Lösung: Transformationsprozess: CaCO3(s, Calcit) = CaCO3(s, Aragonit) oder: –CaCO3(s, Calcit) + CaCO3(s, Aragonit) = 0. ∆trsH CaCO (TR ) = −H CaCO , Calcit (TR ) + H CaCO , Aragonit (TR ) 3 3 3 = −∆f H CaCO , Calcit (TR ) + ∆f H CaCO 3 3, Aragonit (TR ) . = −0.2 kJ ⋅ mol−1 Beispiel 3.5 Standard Reaktionsenthalpie im Bleiakkumulator Man berechne die Standard-Reaktionsenthalpie bei der Stromentnahme aus dem Bleiakkumulator (Autobatterie). Die Reaktionsgleichung ist: Pb ( s ) + PbO2 ( s ) + 2 H2SO4 ( aq ) = 2 PbSO4 ( s ) +2 H2O ( l ) . Daten: Substanz Pb(s) ∆fH°(298)/kJmol–1 0 PbO2(s) –277.4 H2SO4(aq) –909.27 Substanz ∆fH°(298)/kJmol–1 Pb SO4(s) –920.0 H2O(l) –285.83 3-21 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Lösung: Wir schreiben die Reaktionsgleichung in der Form ∑ J νJJ = 0 . − Pb (s )− PbO2 (s ) − 2 H2SO4 (aq ) + 2PbSO4 (aq ) + 2 H2O (l ) = 0 . Berechnung der Reaktionsenthalpie nach Formel (3-29): ∆rH ° ( 298 ) = −(0) − ( −277.4 ) − 2 ( −909.27 ) + 2 ( −920.0 ) + 2 ( −285.83 ) = −315.72 kJ mol−1 . – Interpretation: Pro mol Stoffumsatz bei der Stromentnahme (207 g Blei, 2 mol verschobene e ) verliert das System (Bleiakkumulator) 316 kJ Enthalpie (–316 kJ). Die Enthalpieänderung ∆H ist aber nicht gleich der Wärmeänderung qp, weil die Voraussetzung «nur Volumenarbeit» hier nicht gegeben ist (s. Gleichung (3-20)). Nicht alle Verbindungen können direkt aus den elementaren Stoffen hergestellt werden. Deren ∆f H ist daher nicht direkt messbar. Hier kommt uns der Satz von Hess zu Hilfe. 3.8.3.2 Gemäss dem Satz von Hess darf man chemische Gleichungen samt ihren Enthalpien (und Gibbs-Energien) wie algebraische Gleichungen behandeln (gilt allgemein für alle Reaktionsgrössen). Der Satz von Hess Reagiert ein chemisches System direkt vom Ausgangs- zum Endzustand, so ist die dabei auftretende Reaktionsenthalpie gleich der Summe der Reaktionsenthalpien, wenn die Reaktion über Zwischenzustände abläuft. Beispiel 3.6 Der Satz von Hess Betrachten wir die Oxidation von Kohlenmonoxid CO(g) mit Sauerstoff zu Kohlendioxid. Wir messen die entsprechende Reaktionsenthalpie ∆rH 1 . 1) CO(g) + 1 O2 (g) = CO2 (g) 2 ∆rH 1 = −283.0 kJ mol−1 Alternativ könnte man Kohlenstoff unter verschiedenen Bedingungen mit Sauerstoff oxidieren: 2) C(s) + 1 O2 (g) = CO(g) ∆rH 2 = −110.5 kJ mol−1 3) C(s) + O2 (g) = CO2 (g) ∆rH 3 = −393.5 kJ mol−1 2 Subtrahieren wir Gleichung 2) von Gleichung 3), so erhalten wir: 1 O (g) 2 2 = CO2 (g) − CO(g) oder nach Umformung CO(g) + 1 O2 (g) = CO2 (g) . 2 ∆r H = ∆r H 3 − ∆r H 2 = −393.5 kJ mol−1 − (−110.5 kJ mol−1 ) = −283.0 kJ mol−1 Ist die Standard-Reaktionsenthalpie für eine Reaktion nicht bekannt, so lässt sie sich errechnen durch Kombination von Reaktionen mit bekannten Standard-Reaktionsenthalpien. Beispiel 3.7 Berechnung der Standard-Bildungsenthalpie von Methan Die Standard-Bildungsenthalpie (Standard-Bildungsenthalpien siehe unten) von Methan kann nicht aus den elementaren Stoffen Graphit und Wasserstoff direkt bestimmt werden, Messbar sind aber die Verbrennungsreaktionen 3-22 3.8 Reaktionsenthalpie ∆cH von Methan, von Graphit und von Wasserstoff. Man berechne daraus die Standard-Bildungsenthalpie von Methan. Lösung Als Verbrennungsreaktionen (combustion) zählt man alle Reaktionen mit elementarem Sauerstoff, die nicht Bildungsreaktionen sind. Gesucht ist die Standard-Bildungsenthalpie von Methan: (x) C (Graphit )+ 2H2 (g )= CH4 (g ); ∆f H CH = ? 4 Bekannt sind: (a) CH 4 ( g ) + 2 O2 ( g ) = CO2 ( g ) + 2 H2O ( l ) ; ∆cH CH = −890 kJ mol−1 , (b) C ( Graphit ) + O2 ( g ) = CO2 ( g ) ; ∆f H CO = −393.51 kJ mol−1 (c) H2 ( g ) + ∆f H H O = −285.83 kJ mol−1 1 O 2 2 4 2 ( g ) = H2O ( l ) ; 2 Wie müssen wir nun die Gleichungen a) bis c) kombinieren, damit die Bildungs-Gleichung von Methan, x), resultiert? Dazu schreiben wir die Gleichungen a) bis c) in einer Tabelle auf. In der Kopfzeile stehen alle Spezies und in den Zeilen stehen die stöchiometrischen Koeffizienten dieser Spezies in den verschiedenen Gleichungen (Achtung: die Gleichungen sind aber in der thermodynamischen Form zu schreiben!). In der ersten Zeile stehen die stöchiometrischen Koeffizienten der Wunschgleichung. Wir benötigen einen Koeffizienten von +1 für CH4. Das lässt sich nur durch Multiplikation von a) mit -1 erreichen. Zur Gleichung –a) addieren wir zwei Mal die Gleichung c), um den Koeffizienten des Wassers auf 0 zu bringen (in der Gleichung x) ist er auch 0.) Zur Gleichung –a)+2c) addieren wir noch die Gleichung b), um den Koeffizienten bei CO2 auf 0 zu bringen. Resultat: Gleichung –a)+2c)+b) hat genau die Koeffizienten der gesuchten Gleichung. x) a) CH4(g) H2(g) 1 -2 -1 O2(g) C(s) CO2(g) ∆f H CH -1 -2 b) H2O(l) 1 -1 -1 2 4 ∆cH CH 4 ∆f H CO 1 2 c) -1 -½ 1 ∆f H H O 2 -a) 1 2 2c) -a)+2c) 1 -2 -1 -2 1 -1 -1 -2 −∆f H CH 4 2 2⋅ ∆f H 0 −∆f H CH + 2 ⋅ ∆f H H O H2O 4 b) -1 -1 2 ∆f H CO 1 2 -a)+2c)+b) 1 -2 0 -1 0 0 −∆f H CH + 2 ⋅ ∆f H H O + ∆f H CO 4 2 2 Die gesuchte Gleichung lautet nun: −C(s) − 2 H2 (g) + CH4 (g) = 0 . Die Reaktionsenthalpie dieser Umsetzung ist ∆f H CH . Diese setzt sich gemäss dem Satz von Hess aus den Reaktionsenthalpien von 4 a) bis c) wie folgt zusammen: ∆f H CH = −∆cH CH + 2 ⋅ ∆f H H O + ∆f H CO (-a)+2c)+b)). 4 Einsetzen: ∆f H CH = −75.17 kJ mol 4 2 2 −1 4 3-23 3 Erster Hauptsatz Innere Energie 3.8.3.3 Standard-Bildungsenthalpie reiner Stoffe Die Herstellung (Bildung) einer Substanz aus den elementaren Stoffen ist in den allermeisten Fällen exotherm, deshalb haben der überwiegende Teil der Stoffe eine negative Standard-Bildungsenthalpie (s. Tabelle 3.3). Die Standard-Bildungsenthalpie für Ethanol hat folgende Reaktionsgleichung: 2C(s,Graphit ) + 3H2 (g ) + 1 O2 (g ) = C2H5OH (l ). 2 Reiner Stoff H2O(l) H2O(g) CaCO3(s) ∆fH°/kJmol –285.83 –241.82 –1206.9 C2H5OH(l) –277.69 CH3COOH HCl(g) –484.5 C6H6(l) +49.0 H2O2(l) –187.78 Pb(s) –1 –92.31 0 PbO2(s) –277.4 PbSO4(s) –920.0 H2SO4(aq) –909.27 Tabelle 3.3 Standard-Bildungsenthalpien reiner Stoffe bei 298 K Bei der Bildungsreaktion unter Standardbedingungen und der Referenztemperatur von 298.15 K werden pro Mol erzeugtes Ethanol 277.69 kJ Enthalpie an die Umgebung abgegeben; damit wird die Standard-Reaktionsenthalpie –1 von Ethanol bei 25.00 °C –277.69 kJmol , weil 1 mol Ethanol 277.69 kJ weniger Enthalpie enthält, als 2 mol Graphit plus 3 mol Wasserstoff plus 0.5 mol Sauerstoff im ungemischten Zustand zusammen haben. Es sind viele solchermassen zustande gekommene Messwerte, die in thermodynamischen Tabellenwerken angegeben sind; einige Beispiele finden sich am Rand. Wegen des Satzes von Hess ist es nicht nötig, eine Reaktion ausgehend von elementaren Stoffen zu machen, um ihre Standard-Bildungsenthalpie zu bestimmen. Man kann dazu irgendeine Reaktion nehmen, wenn die Standard-Bildungsenthalpien aller anderen Spezies bekannt sind, wie im folgenden Beispiel gezeigt wird. Beispiel 3.8 Berechnung einer Standard-Bildungsenthalpie Bei der unten stehenden Reaktion von Essigsäure mit Ethanol entstehen Essigsäure-ethylester und Wasser. Man berechne die Standard-Bildungsenthalpie von Essigsäure-ethylester, wenn diese von Essigsäure, von Ethanol und von Wasser bekannt sind, und die Standard-Reaktionsenthalpie der angegebenen Reaktion bei 298 K einen gemessenen Wert von: ∆rH °(298 ) = +33.16 kJ(molEster )-1 ergibt. – CH3COOH (l ) – CH3CH2OH (l ) + CH3C(O)OCH2CH3 (l ) + H2O (l ) = 0 . Lösung Aus Gleichung (3-29) isolieren wir die unbekannte Standard-Bildungsento o o = ∆rH ° – νEth ·∆f H Eth − νSre ·∆f H Sre − νH O ·∆f H Ho O . halpie: νEster ·∆f H Ester 2 o (+1)·∆f H Ester o ∆f H Ester 2 = 33.16 – (−1) − (277.69) − (−1) − (484.5) − (+1) − (285.83) ( 298 ) = −443.2 kJ mol−1. Denselben Wert (innerhalb messtechnischer Abweichungen) hätte man auch erhalten, wenn Essigsäure-ethylester aus den elementaren Stoffen erzeugt worden wäre – dies ist jedoch kaum möglich. Beispiel 3.9 Temperaturänderung in der Systemumgebung Nehmen wir an, wir würden die Reaktion von Beispiel 3.8 so durchführen, dass genau 1 mol Essigsäure-ethylester entstehen, die dabei 33.16 kJ Enthalpie aus der Umgebung (Wasser) aufnehmen. Welche Menge Wasser als Systemumgebung wird benötigt, wenn wir seine Abkühlung um 1 K gerade noch tolerieren (das ist immer noch ca. konstante Temperatur)? Die Standardwärmekapazität von Wasser bei 298 K ist: C p,o H O, l (298 ) = 75.291J K mol−1 . 2 Die Reaktionsenthalpie ist die Enthalpieänderung im System; die Umgebung erleidet die umgekehrt gleiche Enthalpieänderung, weil: ∆H S + ∆H U = 0 . Die Enthalpieänderung ist andererseits das Produkt aus Wärmekapazität und Temperaturdifferenz (Gl. (3-24)) und die Wärmekapazität ist die molare 3-24 3.8 Reaktionsenthalpie Wärmekapazität (die Standardwärmekapazität ist die molare Wärmekapazität bei Standarddruck) mal die Stoffmenge. Bekannt in unserem Problem sind also die molare Wärmekapazität von Wasser (Cp°), die Temperaturdifferenz ( ∆T = –1K) und die Enthalpieänderung ∆H U : ∆H U = −∆rH = nH O ·C p, H O ·∆T . Daraus erhalten wir nH2O: 2 nH O = 2 −∆rH S = C p , H O · ∆T 2 2 −33.16·103 J 75.291J K-1 mol -1 · ( −1K ) = 440 mol . Bei einem molaren Volumen von Wasser bei 25 °C von 0.0181 dm3 mol-1 sind 3 dies ca. 8 dm Wasser. 3.8.4 Temperaturabhängigkeit der Reaktionsenthalpie Die Temperaturabhängigkeit der Kirchhoffsche Gesetz beschrieben. Reaktionsenthalpie wird durch das * Im Abschnitt 3.7.6 wurde die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie beschrieben: H B (T2 ) − H B (T1 ) = T2 ∫T 1 C p, B (T ) dT (3-31) Aus Abschnitt 3.8 kennen wir die Reaktionsenthalpie und aus 3.8.2 die Standard-Reaktionsenthalpie ∆rH (T ), die berechnet werden kann aus tabellierten Standard-Bildungsenthalpie-Daten bei T (meistens TR): N ∆ rH (T ) = ∑ νJ ∆f H (T ) (3-29) J=A Das Kirchhoff-Gesetz Weil sowohl die Enthalpie als auch die Wärmekapazität Zustandsgrössen sind, lassen sich (3-31) und (3-29) kombinieren zum Kirchhoff-Gesetz, das die Reaktionsenthalpie ∆rH bzw. die StandardReaktionsenthalpie ∆ rH bei einer beliebigen Temperatur T2 formuliert: ∆rH (T2 ) = ∆rH (T1 )+ ∫ T2 T1 ∆rC p (T ) (3-32) Dabei ist ∆rC p (T ) die Differenz der molaren Wärmekapazitäten aller Produkte und aller Reaktanten unter Standardbedingungen und gewichtet durch die stöchiometrischen Zahlen der Reaktionsgleichung: ∆rC p (T ) : = ∂ ∆H ∂T r N (T ) = ∑ νJ C p, m, J (T ) (3-33) J=A Die Kirchhoff-Gleichung (3-32) ist exakt, auch für temperaturabhängige Wärmekapazitäten von Reaktanten und Produkten. Für eine konstante Reaktions-Wärmekapazität wird sie zur für uns wichtigen Gleichung: ∆rH (T2 ) = ∆rH (T1 ) + ∆rC p · ∆T (3-34) 3-25 3 Erster Hauptsatz Innere Energie Beispiel 3.10 Standard Reaktionsenthalpie im Bleiakkumulator bei 80 °C Spezies C p, m / –1 J K mol Pb(s) PbO2(s) PbSO4(s) H2O(l) H2SO4(aq) –1 26.44 64.64 137 75.29 –293 Man berechne die Standard-Reaktionsenthalpie bei der Stromentnahme aus dem Bleiakkumulator (Autobatterie) bei einer Betriebstemperatur unter der Motorhaube von 80 °C. Die Reaktionsgleichung und die Daten der StandardBildungsenthalpien und der Standard molaren Wärmekapazitäten bei 298 K sind (s. Tabelle 3.3 und Tabelle 3.4): − Pb (s )− PbO2 (s ) − 2 H2SO4 (aq ) + 2PbSO4 (aq ) + 2 H2O (l ) = 0 ∆fH°/kJ mol–1: –1 0 Cp,m°/J K mol–1:26.44 Tabelle 3.4 StandardWärmekapazitäten Standardwerte bei TR. –277.4 –909.27 64.64 –293 –920.0 137 –285.83 75.29 Lösung Die Standard-Reaktionsenthalpie bei 298 K haben wir berechnet im Beispiel ∆rH (298 ) = −315.72 k J K−1 mol−1 . 3.5 zu: Die Rechnung zur Standard-Reaktionswärmekapazität erfolgt nach gleichem Schema, bzw. nach Definitionsgleichung (3-34) und ergibt: ∆rC p = −1 ( 26.44 ) − 1 ( 64.64 ) − 2 ( −293 ) + 2 ( 137 ) + 2 ( 75.29 ) = 919.5 kJ mol−1. Die Wärmekapazität von: 2 Mol festem Bleisulfat plus 2 Mol Wasser sind –1 um 920 JK grösser als von: 1 Mol metallischem Blei plus 1 Mol festes Bleidioxid plus die 2 Mol Schwefelsäure von 2 Liter 1-molare Schwefelsäurelösung, d. h. die Wärmekapazität ist um 920 Joule pro Kelvin gestiegen pro Mol Stoffumsatz Blei (oder Bleidioxid). Die Standard-Reaktionsenthalpie bei 80 °C berechnen wir aus der bei 298 K plus der Standard-Reaktionswärmekapazität mal die Temperaturdifferenz, wie nach Gleichung (3-34) vorgegeben: ∆rH ( 353 ) = − 315.72·103 J mol –1 + 920 J K−1 mol –1 ·55 K = −265.12 kJ mol−1. Die betriebswarme Autobatterie produziert weniger Reaktionsenthalpie bei der Stromentnahme als die kalte Batterie. 3-26