Philosophische Fakultät Institut fürfür Philosophie, Lehrstuhl fürfür Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. Philosophische Fakultät Institut Philosophie, Lehrstuhl Theoretische Philosophie, Holm Bräuer M.A. 5. Metaphysik Wie die Metaphysik zu ihrem Namen kam ... Aristoteles (384-322 v. Chr.) Aristoteles gehört zu den berühmtesten und einflussreichsten Philosophen der griechischen Antike. Er studierte 20 Jahre an Platons Akademie, zuerst als Student, später auch als Lehrer. Später ging er nach Makedonien, wo er Lehrer von Alexander des Großen war. Als Alexander König wurde, kehrte Aristoteles nach Athen zurück und gründete seine eigene Philosophenschule, das Lykeion. Organon Physik Metaphysik Nikomachische Ethik Politik τα μετα τα ϕυσικα dasjenige, was nach der Physik kommt Metaphysik SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 379 1 Die Metaphysik des Aristoteles 1. Eine philosophische Disziplin, in der es um die ersten Ursachen und Prinzipien geht. 2. Eine universale Disziplin, die das Seiende als Seiendes thematisiert. Wissenschaft vom Seienden als Seiendem veränderliche, wahrnehmbare Substanz unveränderliche, göttliche Substanz allgemeine Ontologie philosophische Theologie (erste Ursachen und Prinzipien der veränderlichen Welt) (erste Ursachen und Prinzipien der unveränderlichen Substanz) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 380 Metaphysik und Ontologie bei Micraelius und Wolff metaphysica generalis allgemeine Ontologie Johann Micraelius (1597-1658) metaphysica specialis theologia rationalis (Philosophische Theologie) Christian Wolff (1679-1754) cosmologia rationalis (Philosophische Kosmologie) psychologia rationalis (Philosophische Psychologie) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 381 2 Die Grundfrage der Ontologie Was gibt es? Was ist Bedeutung? Was ist Wissen? Was ist eine Erklärung? usw. Erfassen eines Begriffs durch eine reduktive Definition. (philosophische Analyse) W.V.O. Quine, 1908-2000 Ist die Frage nach dem, was es gibt, auch von definitorischer Natur? • Was bedeutet es, dass etwas existiert? • Was bedeutet es, dass etwas existiert? SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 382 Ontologie und Metaphysik Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie Existenz Modalität Identität Grundlagen der kategorialen Ontologie Dinge Eigenschaften Sachverhalte Ereignisse SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 383 3 Ontologie und Metaphysik Grundbegriffe der allgemeinen Ontologie Existenz Modalität Identität SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 384 Sein als Grundbegriff der Ontologie „Was bedeutet es, dass etwas existiert?“ „Sokrates ist.“ existentielle Verwendung {x | x = Sokrates} ≠ ∅ „Sokrates ist ein Mensch.“ prädikative Verwendung Sokrates ∈ {x | x ist ein Mensch} sein „Cicero ist Tullius.“ Identität Cicero = Tullius „Ein Mensch ist ein Säugetier.“ inklusive Verwendung {x | x ist ein Mensch} ⊆ {y | y ist ein Säugetier} SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 385 4 Parmenides´ Existenzparadoxie Parmenides (* 510 v. Chr.) Parmenides gehört zu den Vorsokratikern, also den griechischen Philosophen, die bevor Sokrates und besonders dessen Schüler Platon wirkten. Diese Philosophie hat in den ersten Jahrzehnten des 6. Jhds. v. Chr. mit Thales und Anaximander in Ionien und Unteritalien begonnen. (In der Zeit der Vorsokratiker hat Athen noch nicht die Monopolstellung in der Philosophie wie zu Zeiten Platons oder Aristoteles.) Parmenides gilt als der Hauptvertreter der Eleatischen Philosophie und als Vater der Ontologie. Vom Wesen des Seienden SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 386 Parmenides Existenzparadoxie A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren. Nur das, was gedacht werden kann, kann existieren. Nichtseiendes kann nicht gedacht werden. Nichtseiendes kann nicht existieren. Entweder trifft A oder B zu. Nichtseiendes kann nicht existieren. Nur das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. Rekonstruktion 1. Wenn man sinnvoll über Dinge sprechen möchte, dann muss man sich auf diese beziehen. (Nichtseiendes kann man nicht denken.) 2. Diejenigen Dinge, auf die man sich sprachlich beziehen kann, müssen existieren. (Nichtseiendes kann nicht existieren.) („Platons Bart“) 3. Also kann es kein Nichtseiendes geben, da es nicht möglich ist, von etwas auszusagen, dass es nicht existiert. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 387 5 Lösungen der Existenzparadoxie Immanuel Kant (1724-1804) 1. Existenz ist keine Eigenschaft Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will, (selbst in der durchgängigen Bestimmung) denke, so kommt dadurch, dass ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht sagen, dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. Denke ich mir sogar in einem Ding alle Realität außer einer, so kommt dadurch, dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde etwas anderes, als ich dachte, existieren. (Kant, Kritik der reinen Vernunft) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 388 Lösungen der Existenzparadoxie 2. Existenz ist ein Eigenschaft höherer Ordnung Existenz ist eine Eigenschaft 2. Ordnung, also eine Eigenschaft von Eigenschaften (bzw. Mengen oder Klassen). Gottlob Frege Bertrand Russell Dieser Stuhl ist rot. „Rot“ ist eine Eigenschaft 1. Ordnung (Eigenschaft von einem Ding.) Rot ist eine Farbe. „Farbe“ ist eine Eigenschaft 2. Ordnung (Eigenschaft einer Klasse.) Eine Eigenschaft 2. Ordnung kann nicht auf Gegenstände angewendet werden! # Dieser Stuhl ist eine Farbe. Rot ist eine Farbe. Elefanten existieren. Die Menge der Farben enthält das Element ROT. Die Menge der Elefanten besitzt mindestens ein Element. Problem der negativen Existenzaussagen, vorkommen: Pegasus existiert nicht. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie in denen Eigennamen 389 6 Lösungen der Existenzparadoxie 3. Existenzquantor und Bezugsrahmen ⇒ Elefanten existieren. Es gibt mindestens ein x, so dass x Elefant ist. ⇒ ∃x (Elefant (x)) Rudolf Carnap W.V. Quine ... wobei ∃ der sog. Existenzquantor, x die von diesem Quantor gebundene Variable und (...) der sog. Skopus des Existenzquantors ist. Der Quantifikationsbereich [d.h. die Domäne von Gegenständen, die die Variable als Wert annehmen darf] ist abhängig von einer Sprache oder Theorie. Die Antwort auf die Frage nach dem, was es gibt, kann nur relativ zu einem Bezugsrahmen oder einem Sprachsystem beantwortet werden. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 390 Lösungen der Existenzparadoxie Anthony Kenny 4. Existenz als Aktualität Dinosaurier existieren nicht mehr, obwohl es früher welche gab. Es gibt zwar Tote, aber die Menschen, die sie mal waren, existieren nicht mehr. Aktualität kann einzelnen Dingen wie ein Prädikat unterster Stufe sowohl zuals auch abgesprochen werden. In diesem Sinne kann man von etwas sagen, es beginne zu existieren, existiere noch immer oder existiere nicht mehr. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 391 7 Die alethischen Modalitäten A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren. B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren. Aussagen, in denen die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. vorkommen, nennt man Modalaussagen. Die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. heißen Modaloperatoren. notwendig Das, was ist, muss der Fall sein. kontingent Das, was ist, könnte nicht der Fall sein. möglich Das, was nicht ist, könnte der Fall sein. unmöglich Das, was nicht ist, kann nicht der Fall sein. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 392 Die alethischen Modalitäten Die epistemische Interpretation der Modalitäten ontologisch epistemisch notwendig a priori möglich a posteriori Beispiel: 2+2=4 Alle Schwäne sind weiß. Kripke über notwendige Sätze a posteriori und das kontingente Apriori Goldbachs Vermutung Goldbachs Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl, die größer als zwei ist, die Summe von zwei Primzahlen sein muss. Wenn diese Vermutung wahr ist, dann handelt es sich um eine notwendige Wahrheit; wenn sie falsch ist, dann ist sie notwendig falsch. Das Urmeter in Paris In Paris liegt ein Stab, dessen Länge als Standard für das Meter dient. Ist es eine notwendige Wahrheit, dass dieser Stab einen Meter lang ist? Wenn apriorische Sätze notwendig wahr sind, müssen wir dies bejahen, denn dieser Stab in Paris ist ja per Definition (a priori) einen Meter lang. Das brauchen und können wir nicht empirisch überprüfen, denn das Urmeter ist ja der Standard für jede Längenmessung. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 393 8 Modalitäten und mögliche Welten Mögliche Welten Es ist notwendig, dass S. Es ist möglich, dass S. w1 w1 w2 wahr w2 wahr w3 w3 w4 falsch w4 falsch w5 w5 ... ... Es ist unmöglich, dass S. w1 w2 wahr w3 w4 falsch w5 ... Existieren alternative mögliche Welten tatsächlich? Realismus: Auch die anderen möglichen Welten mit ihren Einwohnern, auch wenn sie in unserer Welt nicht aktuell existieren, existieren tatsächlich und sind real. Aktualismus: Nur diejenigen Entitäten existieren, die auch in unserer Welt existieren. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 394 Lewis´ realistische Deutung David Lewis (1941-2001) Lewis gilt als einer der wichtigsten amerikanischen Philosophen, der auf fast allen Gebieten der theoretischen Philosophie arbeitete und wichtige Beiträge lieferte. Am einflussreichsten waren vielleicht seine Arbeiten zum Begriff der möglichen Welten. SS 2008 Convention. A Philosophical Study (1969) „General Semantics“ (1970) Counterfactuals (1973) „Adverbs of Quantification“ (1975) „How to Define Theoretical Terms“ (1978) „Scorekeeping in a Language Game“ (1979) „Attitudes De Dicto and De Se“ (1979) Einführung in die Theoretische Philosophie 395 On the Plurality of Worlds (1986) 9 Lewis´ realistische Interpretation • Die realistische Interpretation möglicher Welten setzt eine Pluralität von Universen voraus, die genau so real sind, wie der Kosmos, in dem wir leben. Unsere Welt ist lediglich Teil der umfassenden Realität aller Kosmen. • Die anderen Welten können wir wegen der raum-zeitlichen und der kausalen Trennung von unserer Welt nicht erreichen. Es ist sinnlos nach räumlichen, zeitlichen oder kausalen Verbindungen zwischen den Individuen der verschiedenen Welten zu fragen. • In Bezug auf die Identität von Individuen in verschiedenen Welten kann der Realist aufgrund der unterstellten Realität der anderen Welten nicht behaupten, dass diese mit den Gegenstücken (counterfactuals), die in den anderen Welten existieren, identisch sind. Dass Merkel in einer anderen Welt Philosophin statt Bundeskanzlerin ist, muss demnach so analysiert werden, dass ein ihm ähnliches Gegenstück in einer anderen Welt Philosoph ist. Es gibt keine Transwelt-Identität, sondern nur Welt-gebundene Individuen, die ähnliche Gegenstücke in anderen Welten besitzen. • Die anderen möglichen Welten sind nicht weniger real als unsere aktuale Welt. Der Ausdruck „aktual“ dient lediglich als indexikalischer Ausdruck, der sich auf diejenige Welt bezieht, in der er geäußert wird. Er impliziert keinen ontologischen Vorrang unserer Welt gegenüber allen anderen. Die aktuale Welt ist daher nicht diejenige Welt, die allein existiert, sondern eben diejenige Welt, in der dieser Ausdruck jeweils geäußert wird. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 396 Modalitäten und mögliche Welten Eigenschaft: Eine Eigenschaft P ist eine Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge von Individuen zuordnet, auf die der entsprechende Allgemeinbegriff P zutrifft. Essentielle Eigenschaft: Ein Individuum x hat eine Eigenschaft P notwendig, wenn in jeder möglichen Welt, in der es ein Gegenstück y zu x gibt, y P besitzt. Proposition: Die Proposition, die ein Satz S ausdrückt, ist die Menge der möglichen Welten, in denen S wahr ist. Notwendigkeit: Ein Satz S ist notwendig, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist. Eine notwendige wahre Proposition muss als die Menge aller möglichen Welten dargestellt werden. Davon gibt es aber nur eine, so dass alle notwendigen Wahrheiten miteinander identisch sind. Notwendig falsche Propositionen sind in keiner möglichen Welt wahr sind und müssen damit als die leere Menge von Welten dargestellt werden, die es ebenfalls nur einmal gibt. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 397 10 Plantingas aktualistische Deutung Alvin Plantinga Die aktualistische Sicht auf mögliche Welten wird u.a. von Alvin Plantinga vertreten. Er lehrt an der Universität von Notre Dame (Indiana) und ist vor allem durch seine religionsphilosophischen wie auch seine ontologischen Arbeiten bekannt geworden. „Transworld Identity or Worldbound Individuals“ (1973) The Nature of Necessity (1974) „Actualism and Possible Worlds“ (1976) „How to be an Anti-Realist“ (1982) „Two Concepts of Modality. Modal Realism and Modal Reductionism“ (1987) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 398 Plantingas aktualistische Interpretation Nichtreduktivität • Mögliche Welten sind maximale, kohärente, mögliche Tatsachen, d.h. abstrakte Entitäten, die realisiert sein können oder nicht. Nur eine einzige dieser möglichen maximalen Tatsachen besteht: unsere aktuale Welt. • Ein Gegenstand x existiert in einer möglichen Welt w, wenn es unmöglich ist, dass w aktual ist, ohne dass x existiert. Existenz ist keine echte Präsenz in einer Welt, sondern sondern sie wird kontrafaktisch behauptet: Würde die Welt w aktual sein, dann würde x existieren. • Ein Aktualist nimmt an, dass die Rede von ein und demselben Individuum in verschiedenen Welten sinnvoll ist. Wenn wir also behaupten, dass Merkel auch Philosophin sein könnte, dann sagen wir etwas über die aktuale Merkel aus und nicht über irgendein ähnliches Gegenstück von Merkel in einer anderen Welt (Transwelt-Identität). SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 399 11 Identität Identität und Existenz In der Logik wird der Begriff der Existenz oft über den Begriff der Identität eingeführt: a existiert =def Es gibt mindestens ein x, so dass gilt: x = a. Formen der Identität • numerische vs. qualitative Identität (Selbigkeit vs. Gleichheit) • notwendige vs. kontingente Identität • absolute vs. relative Identität • synchrone vs. diachrone Identität SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 400 Eigenschaften der Identität Reflexivität Symmetrie Transitivität x=x x=y→y=x x=y&y=z→x=z Leibniz´ Gesetz x = y ↔ ∀F [F(x) → F(y)] Ununterscheidbarkeit des Identischen x = y → ∀F [F(x) → F(y)] Falls x mit y identisch ist, dann stimmt x mit allen Eigenschaften von y überein stimmt. Identität des Ununterscheidbaren ∀F [F(x) → F(y)] → x = y Falls x in allen Eigenschaften mit y übereinstimmt, dann ist x identisch mit y. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 401 12 Identitätsbedingungen „No entity without identity.“ W.V. Quine Bündeltheorien Identität des Ununterscheidbaren ∀F [F(a) ↔ F(b)] → a = b Essentialismus (Substanzentheorie) ∀Fe [Fe(a) ↔ Fe(b)] → a = b Substanz-Kriterium Haecceitas ∀Fhaec [Fhaec(a) ↔ Fhaec(b)] → a = b Haecceitas-Kriterium Bare Partikulars (Substrattheorie) Substrat-Kriterium ∃z [S(z, a) & S(z, b)] → a = b Raum-Zeit-Regionen Lemmon Kriterium SS 2008 (xa, ya, za) = (xb, yb, zb) → a = b Einführung in die Theoretische Philosophie 402 Diachrone Identität Theseus´ Schiff Fall 1: Stellen wir uns ein Schiff aus Holz vor und nennen es S zu t1. Nun werden die Teile von S im Laufe der Zeit alle durch neue Teile ersetzt bis zu einem Zeitpunkt t2, zu dem das Schiff vollständig aus ersetzten Teilen besteht. Nennen wir dieses Schiff zum Zeitpunkt t2 entsprechend Sneu. Frage: Ist S identisch mit Sneu? Fall 2: Stellen wir uns nun vor, die alten Teile des Schiffes S werden jedes Mal in irgendein Lagerhaus gebracht, so dass, nachdem das ganze Schiff erneuert wurde, das alte Schiff aus den alten Teilen zum Zeitpunkt t2 woanders wieder aufgebaut werden kann. Nennen wir nun das wiederaufgebaute Schiff Salt. Frage: Ist S identisch mit Salt? Problem: Das restaurierte Schiff Sneu und das wieder aufgebaute Schiff Salt sind zwei (numerisch) verschiedene Schiffe. Mit welchem der beiden ist S identisch? SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 403 13 Diachrone Identität Perdurantismus vs. Endurantismus Salt Endurantismus S S t0 t1 Sneu t2 Perdurantismus t zeitliche Teile von Salt S ist zeitlicher Teil von Salt und zeitlicher Teil von Sneu zeitliche Teile von Sneu t0 t1 SS 2008 t2 Einführung in die Theoretische Philosophie t 404 Ontologie und Metaphysik Kategoriale Ontologie Dinge Eigenschaften Sachverhalte Ereignisse SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 405 14 Dinge und ihre Eigenschaften Dinge sind konkret (räumlich und zeitlich lokalisierbar) Dinge sind den Sinnen zugänglich Dinge sind partikulär Dinge verändern sich Dinge existieren nur kontingenterweise Dinge sind irreduzibel und ontologisch basal (Nominalismus) Dinge sind komplex und ontologisch abgeleitet (Realismus) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 406 Das Universalienproblem Der Tisch ist rot. Der Dalai Lama ist weise. Die Blume ist schön. Gibt es so etwas wie die Röte, die Weisheit oder die Schönheit – also allgemeine bzw. universale Entitäten? Realismus Nominalismus Tropentheorie Ja, es gibt universale Gegenstände. Nein, es gibt keine universalen Gegenstände. Wir haben es nur mit konkreten Einzeldingen zu tun, von denen gewisse Eigenschaften „ausgesagt“ werden. Eigenschaften sind konkret und gegenüber den Einzelgegenständen basal. ante rem SS 2008 in re Einführung in die Theoretische Philosophie 407 15 Dinge und ihre Eigenschaften Bündeltheorie Konkrete Einzelgegenstände sind Bündel von Eigenschaften, die in der Relation der Kopräsenz (Koaktualität) zueinander stehen. Bare Particulars Theorie Konkrete Einzeldinge sind Komplexe aus zwei Konstituenten, einem eigenschaftslosen Substrat (bare particular) und einem Bündel von Eigenschaften, die diesem Substrat jeweils zukommen. Tropentheorie Konkrete Einzelgegenstände sind Mengen kopräsenter Tropen. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 408 Probleme der Bündeltheorie Max Blacks identische Kugeln SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 409 16 Probleme: bare particulars und Tropentheorie Bare Partikulars Theorie Widersprüchlichkeit Infiniter Regress Tropentheorie Ähnlichkeit Lokalisierung Ultraessentialismus vs. Antiessentialismus SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 410 Nominalismus Warum gibt es keine Universalien? Multiple Exemplifizierung Identitätsbedingungen Ockhamsches Rasiermesser Spielarten des Nominalismus Strikter Nominalismus Metalinguistischer Nominalismus Konstruktiver Nominalismus SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 411 17 Nominalismus Bezugnahme auf abstrakte Entitäten Tapferkeit ist eine Tugend. Rot ist eine Farbe. Strikter Nominalismus Tapfere Menschen sind tugendhaft. Rote Dinge sind farbig. Metalinguistischer Nominalismus „Tapferkeit“ ist ein Tugend-Prädikat. „Rot“ ist ein Farb-Prädikat. Konstruktiver Nominalismus Die Menge der Farben enthält als Element die Menge der roten Gegenstände. Die Menge der Tugenden enthält als Element die Menge der Tapferen. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 412 Konstruktiver Nominalismus Koextensionalität Lebewesen mit Nieren Lebewesen mit Herz w1 w2 w3 w4 w5 ... w1 w2 w3 w4 w5 ... {a, b, c, d} {a, b, c} {c, d} {a, d} {∅} {a, b, c, d} {a, b, c} {a, b} {b, c, d} {∅} Mengenzugehörigkeit Ein Gegenstand x gehört genau dann zur Menge M, wenn er dem Gegenstand a ähnlich ist und a ein paradigmatischer Gegenstand für M ist, d.h. wenn er zu der von a konstituierten Ähnlichkeitsklasse gehört. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 413 18 Dinge und ihre Eigenschaften Realismus Bündeltheorie Bare Particulars Tropentheorie Eigenschaften sind basal und abstrakt basal und abstrakt basal und konkret Dinge sind Bündel kopräsenter Eigenschaften Komplexe aus Bündeln von Eigenschaften und einem Substrat als dem Träger derselben Bündel kopräsenter Eigenschaften Probleme Leibniz-Prinzip Widersprüchlichkeit Infiniter Regress Ähnlichkeit Lokalisierung Essenzen? Ultraessentialismus Antiessentialismus Ultraessentialismus Nominalismus Strikter Nominalismus Metalinguistischer Nominalismus Konstruktiver Nominalismus Eigenschaften beruhen auf irreduziblen Tatsachen der Welt haben einen metalinguistischen Charakter a) sind Mengen b) sind Funktionen Dinge sind basal und konkret basal und konkret basal und konkret Probleme Bezugnahme auf abstrakte Entitäten Linguistische Universalien Koextensionalität Ähnlichkeit SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 414 Was spricht für Sachverhalte? 1. Die Erfolglosigkeit von Nominalismus und Realismus Weder die (realistische) Reduktion von Dingen auf Bündel von Eigenschaften, noch die (nominalistische) Elimination der Eigenschaften scheinen erfolgreich zu sein. 2. Der unauflösbare Zusammenhang von Dingen und Eigenschaften „... wir nehmen Dinge, Eigenschaften und Beziehungen nie abgesondert und für sich wahr ..., sondern immer nur im Zusammenhang von Sachverhalten.“ (Erwin Tegtmeier) 3. Das Wahrmacher-Prinzip (truth-maker principle) Wenn der Satz „Dieser Tisch ist rot.“ wahr ist, dann muss der Sachverhalt des Rot-seins des Tisches existieren. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 415 19 Sachverhaltskonzeptionen Sachverhalte sind konkrete, partikulare Entitäten, deren Konstituenten konkrete Entitäten (Dinge, konkrete Eigenschaften) sind. (David Armstrong) Sachverhalte sind abstrakte Entitäten, deren Konstituenten konkrete und abstrakte Entitäten (Dinge, abstrakte Eigenschaften) sind. (Betrand Russell) Sachverhalte sind abstrakte Entitäten, deren Konstituenten nur abstrakte Entitäten sind. (Gottlob Frege) Sachverhalte sind ontologisch basal und nicht aus anderen Entitäten zusammengesetzt. Dinge oder Eigenschaften sind Abstraktionen aus und nicht Konstituenten von Sachverhalten. (Francis Bradley) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 416 Sachverhalte Identitätsbedingungen für Sachverhalte? Über jeden Gegenstand lassen sich endlos viele wahre Aussagen treffen: Dieser Tisch ist rot. Dieser Tisch ist einen Meter hoch. Dieser Tisch hat vier Beine. ... Diese Sätze haben alle unterschiedliche Wahrmacher. SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 417 20 Donald Davidson: Gibt es Ereignisse? Donald Davidson (1917 – 2003) Davidson gilt als einer der prominentesten Vertreter der analytischen Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Aufsätze auf den Gebieten der Semantik, der Erkenntnistheorie, der Philosophie des Geistes sowie der Ontologie waren sehr einflussreich. Davidsons großes Vorbild war W.V. Quine, an dessen Position er kritisch und konstruktiv angeschlossen hat. „The Logical Form of Action Sentences“ (1967) „Truth and Meaning“ (1967) „On Saying That“ (1968) „Events as Particulars“ (1970) „Mental Events“ (1970) „Radical Interpretation“ (1973) „A Coherence Theory of Truth and Knowledge“ (1983) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 418 Donald Davidson: Gibt es Ereignisse? Doris singt. Doris singt. Doris exemplifiziert die Eigenschaft des Singens. Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen und von Doris ist. ∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris) Singen (d) Doris singt bei Nacht laut in ihrem Wohnzimmer. Doris, bei Nacht, laut und in Doris´ Wohnzimmer stehen in der vierstelligen Relation des Singens. Singen (d, nachts, laut, in d´s WZ) SS 2008 Doris singt bei Nacht laut in ihrem Wohnzimmer. Es gibt ein Ereignis, welches ein Singen ist, von Doris ist, bei Nacht stattfindet, laut ist und in Doris` Wohnzimmer stattfindet. ∃e (e ist ein Singen & e ist von Doris & e ist bei Nacht & e ist laut & e ist im Wohnzimmer) Einführung in die Theoretische Philosophie 419 21 Was sind Ereignisse? Ereignisse als Elemente von Kausalbeziehungen Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie dieselbe kausale Rolle besitzen. (D. Davidson) Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie dieselbe Raumzeitstelle ausfüllen. (W.V.O. Quine) Ereignisse als Exemplifikationen von Eigenschaften Ereignisse sind genau dann miteinander identisch, wenn sie denselben Träger besitzen, dieselbe Eigenschaft exemplifizieren und zur selben Zeit vorkommen. (J. Kim) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 420 Ereignisse als Elemente von Kausalbeziehungen Identitätskriterium für Ereignisse „Ereignisse sind dann und nur dann identisch, wenn sie genau dieselben Ursachen und Wirkungen haben“ (Donald Davidson) e1 = e2 := ∀ u, w ((u verursachte e1) ↔ (u verursachte e2) & (e1 verursachte w) ↔ (e2 verursachte w)) Probleme Ereignisse vs. Zustände Zirkularität SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 421 22 Ereignisse als Raum-Zeit-Zonen Identitätskriterium für Ereignisse (Lemmon-Kriterium) „we may ... identify events with space-time-zones“ (E.J. Lemmon) „... physical objects are well individuated, being identitical if and only if spatiotemporally identical. (W.V. Quine) Probleme Drehung und Erwärmung SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 422 Kim: Ereignisse als Eigenschaftsexemplifikationen Jaegwon Kim Kim ist ein koreanisch-amerikanischer Philosoph, der derzeit an der Brown University lehrt. Er beschäftigt sich vor allem mit der Philosophie des Geistes, der Ontologie sowie der Wissenschaftstheorie. „Events and Their Descriptions“ (1969) „Events as Property Exemplifications“ (1976) „Psychophysical Supervenience“ (1982) „Mental Causation in a Physical World“ (1993) Supervenience and Mind (1993) Philosophy of Mind (1996) Mind in a Physical World (1998) SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 423 23 Kim: Ereignisse als Eigenschaftsexemplifikationen Identitätsbedingung für Ereignisse [x, P, t1] = [y, Q, t2] :=def x = y; P = Q, t1 = t2 Kanonische Notation: [x, P, t] x ... der Träger von e P ... die konstitutive Eigenschaft von e t ... die Zeit des Vorkommens von e Probleme Feinkörnigkeit Sebastian spaziert gemütlich durch Bologna. Wie viele Ereignisse finden statt? Ereignis 1: Sebastians Spaziergang. Ereignis 2: Sebastians gemütlicher Spaziergang Ereignis 3: Sebastians Spaziergang durch Bologna SS 2008 Einführung in die Theoretische Philosophie 424 24