5. Ontologie und Metaphysik

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Philosophische
Fakultät
Institut
fürfür
Philosophie,
Lehrstuhl
fürfür
Theoretische
Philosophie,
Holm
Bräuer
M.A.
Philosophische
Fakultät
Institut
Philosophie,
Lehrstuhl
Theoretische
Philosophie,
Holm
Bräuer
M.A.
5. Ontologie und
Metaphysik
Wie die Metaphysik zu ihrem
Namen kam ...
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Organon (Logik)
Physik (Naturphilosophie)
Metaphysik
(Ontologie
Theologie)
Nikomachische Ethik
Politik
und
natürliche
τα μετα τα ϕυσικα
dasjenige, was nach der Physik kommt
Metaphysik
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 382
1
Die Metaphysik des Aristoteles
1. Eine philosophische Disziplin, in der es um die ersten Ursachen und
Prinzipien geht.
2. Eine universale Disziplin, die das Seiende als Seiendes thematisiert.
Wissenschaft vom Seienden als Seiendem
veränderliche, wahrnehmbare
Substanz
unveränderliche, göttliche
Substanz
allgemeine Ontologie
philosophische Theologie
(erste Ursachen und Prinzipien
der veränderlichen Welt)
(erste Ursachen und Prinzipien der
unveränderlichen Substanz)
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 383
Metaphysik und Ontologie
bei Micraelius und Wolff
metaphysica generalis
allgemeine Ontologie
Johann Micraelius
(1597-1658)
metaphysica specialis
theologia rationalis
(Philosophische Theologie)
Christian Wolff
(1679-1754)
cosmologia rationalis
(Philosophische Kosmologie)
psychologia rationalis
(Philosophische Psychologie)
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 384
2
Die Grundfrage der Ontologie
Was gibt es?
Was ist Bedeutung?
Was ist Wissen?
Was ist eine Erklärung?
usw.
Erfassen des Wesens
eines Begriffs durch
eine reduktive
Definition.
W.V.Quine, 1908-2000
Ist Frage nach dem, was es gibt, auch von definitorischer Natur?
• Was bedeutet es, dass etwas existiert?
• Was bedeutet es, dass etwas existiert?
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 385
Ontologie und Metaphysik
Grundbegriffe der Ontologie
Existenz
Modalität
Identität
Grundlagen der kategorialen Ontologie
Dinge
Eigenschaften
Sachverhalte
Ereignisse
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 386
3
Ontologie und Metaphysik
Grundbegriffe der Ontologie
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 387
Sein als Grundbegriff der
Ontologie
„Was bedeutet es,
dass etwas existiert?“
existentielle Verwendung
„Sokrates ist.“
{x | x = Sokrates} ≠ ∅
prädikative Verwendung
„Sokrates ist ein Mensch.“
Sokrates ∈ {x | x ist ein Mensch}
sein
Identität
„Cicero ist Tullius.“
Cicero = Tullius
inklusive Verwendung
„Ein Mensch ist ein Säugetier.“
{x | x ist ein Mensch} ⊆ {y | y ist ein Säugetier}
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 388
4
Parmenides Existenzparadoxie
Parmenides (* 510 v. Chr.)
Vom Wesen des Seienden
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 389
Parmenides Existenzparadoxie
A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren.
Nur das, was gedacht werden kann, kann existieren.
Nichtseiendes kann nicht gedacht werden.
Nichtseiendes kann nicht existieren.
Entweder trifft A oder B zu.
Nichtseiendes kann nicht existieren.
Nur das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
Rekonstruktion
1. Wenn man sinnvoll über Dinge sprechen möchte, dann muss man sich auf diese
beziehen. (Nichtseiendes kann man nicht denken.)
2. Diejenigen Dinge, auf die man sich sprachlich beziehen kann, müssen existieren.
(Nichtseiendes kann nicht existieren.)
3. Also kann es kein Nichtseiendes geben, da es nicht möglich ist, von etwas auszusagen,
dass es nicht existiert.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 390
5
Lösungen der
Existenzparadoxie
Immanuel Kant
(1724-1804)
1. Existenz ist keine Eigenschaft
Wenn ich also ein Ding, durch welche und wie viel Prädikate ich will,
(selbst in der durchgängigen Bestimmung) denke, so kommt dadurch,
dass ich noch hinzusetze, dieses Ding ist, nicht das mindeste zu dem
Dinge hinzu. Denn sonst würde nicht eben dasselbe, sondern mehr
existieren, als ich im Begriffe gedacht hatte, und ich könnte nicht
sagen, dass gerade der Gegenstand meines Begriffs existiere. Denke
ich mir sogar in einem Ding alle Realität außer einer, so kommt
dadurch, dass ich sage, ein solches mangelhaftes Ding existiert, die
fehlende Realität nicht hinzu, sondern es existiert gerade mit
demselben Mangel behaftet, als ich es gedacht habe, sonst würde
etwas anderes, als ich dachte, existieren. (Kant, Kritik der reinen
Vernunft)
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 391
Lösungen der
Existenzparadoxie
2. Existenz ist ein Eigenschaft höherer Ordnung
Gottlob Frege
Bertrand Russell
Existenz ist eine Eigenschaft 2. Ordnung, also eine Eigenschaft von
Eigenschaften.
Dieser Stuhl ist rot.
Rot ist eine Farbe.
Eine Eigenschaft 2. Ordnung kann nicht auf Gegenstände angewendet werden!
# Dieser Stuhl ist eine Farbe.
Rot ist eine Farbe.
Elefanten existieren.
Die Menge der Farben enthält das Element ROT.
Die Menge der Elefanten besitzt mindestens ein Element.
Problem der negativen Existenzaussagen,
vorkommen: Pegasus existiert nicht.
Bräuer
in
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
denen
Eigennamen
Folie 392
6
Lösungen der
Existenzparadoxie
Rudolf Carnap
W.V. Quine
3. Existenzquantor und Bezugsrahmen
⇒
Elefanten existieren.
Es gibt mindestens ein x, so dass x Elefant ist.
⇒
∃x (Elefant (x))
... wobei ∃ der sog. Existenzquantor, x die von diesem Quantor gebundene
Variable und (...) der Skopus (Bereich) des Existenzquantors ist.
Der Quantifikationsbereich ist abhängig von der Sprache oder Theorie.
Die Antwort auf die Frage nach dem, was es gibt, kann nur relativ zu einem
Bezugsrahmen oder einem Sprachsystem beantwortet werden.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 393
Lösungen der
Existenzparadoxie
4. Existenz als Aktualität
Anthony Kenny
Dinosaurier existieren nicht mehr, obwohl es früher welche gab.
Es gibt zwar Tote, aber die Menschen, die sie mal waren, existieren nicht mehr.
Aktualität kann einzelnen Dingen wie ein Prädikat unterster Stufe sowohl zuals auch abgesprochen werden.
In diesem Sinne kann man von etwas sagen, es beginne zu existieren, existiere
noch immer oder existiere nicht mehr.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 394
7
Die alethischen Modalitäten
A Das Seiende existiert und es ist nicht möglich, nicht zu existieren.
B Das Seiende existiert nicht und es ist notwendig, nicht zu existieren.
Aussagen, in denen die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. vorkommen,
nennt man Modalaussagen.
Die Ausdrücke „möglich“, „notwendig“ usw. heißen Modaloperatoren.
notwendig
Das, was ist, muss der Fall sein.
kontingent
Das, was ist, könnte nicht sein.
möglich
Das, was nicht ist, könnte sein.
unmöglich
Das, was nicht ist, kann nicht der Fall sein.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 395
Modalitäten
Die epistemische Interpretation der Modalitäten
ontologisch
epistemisch
notwendig
a priori
möglich
a posteriori
Beispiel:
2+2=4
Alle Schwäne sind weiß.
Kripke über notwendige Sätze a posteriori und das kontingente Apriori
Goldbachs Vermutung
Goldbachs Vermutung besagt, dass jede gerade Zahl, die größer als zwei ist, die Summe
von zwei Primzahlen sein muss. Wenn diese Vermutung wahr ist, dann handelt es sich um
eine notwendige Wahrheit; wenn sie falsch ist, dann ist sie notwendig falsch.
Das Urmeter in Paris
In Paris liegt ein Stab, dessen Länge als Standard für das Meter dient. Ist es eine
notwendige Wahrheit, dass dieser Stab einen Meter lang ist? Wenn apriorische Sätze
notwendig wahr sind, müssen wir dies bejahen, denn dieser Stab in Paris ist ja per
Definition (a priori) einen Meter lang. Das brauchen und können wir nicht empirisch
überprüfen, denn das Urmeter ist ja der Standard für jede Längenmessung.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 396
8
Modalitäten und mögliche
Welten
Mögliche Welten
Es ist notwendig, dass S. Es ist möglich, dass S.
w1
w1
w2
wahr
w2
wahr
w3
w3
w4
falsch
w4
falsch
w5
w5
...
...
Es ist unmöglich, dass S.
w1
w2
wahr
w3
w4
falsch
w5
...
Existieren alternative mögliche Welten tatsächlich?
Realismus: Auch die anderen möglichen Welten mit ihren Einwohnern, auch
wenn sie in unserer Welt nicht aktuell existieren, existieren tatsächlich und sind
real.
Aktualismus: Nur diejenigen Entitäten existieren, die auch in unserer Welt
existieren.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 397
Lewis´ realistische Deutung
David Lewis (1941-2001)
Convention. A Philosophical Study (1969)
„General Semantics“ (1970)
Counterfactuals (1973)
„Adverbs of Quantification“ (1975)
„How to Define Theoretical Terms“ (1978)
„Scorekeeping in a Language Game“ (1979)
„Attitudes De Dicto and De Se“ (1979)
On the Plurality of Worlds (1986)
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 398
9
Plantingas aktualistische
Deutung
Alvin Plantinga
„Transworld
Identity
or
Worldbound
Individuals“ (1973)
The Nature of Necessity (1974)
„Actualism and Possible Worlds“ (1976)
„How to be an Anti-Realist“ (1982)
„Two Concepts of Modality. Modal Realism
and Modal Reductionism“ (1987)
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 399
Modalitäten und mögliche
Welten
Eigenschaft: Eine Eigenschaft P ist eine Funktion, die jeder möglichen Welt die Menge von
Individuen zuordnet, auf die der entsprechende Allgemeinbegriff P zutrifft.
Essentielle Eigenschaft: Ein Individuum x hat eine Eigenschaft P notwendig, wenn in
jeder möglichen Welt, in der es ein Gegenstück y zu x gibt, y P besitzt.
Proposition: Die Proposition, die ein Satz S ausdrückt, ist die Menge der möglichen
Welten, in denen S wahr ist.
Notwendigkeit: Ein Satz S ist notwendig, wenn er in allen möglichen Welten wahr ist.
Eine notwendige wahre Proposition muss als die Menge aller möglichen
Welten dargestellt werden. Davon gibt es aber nur eine, so dass alle
notwendigen Wahrheiten miteinander identisch sind.
Notwendig falsche Propositionen sind in keiner möglichen Welt wahr sind
und müssen damit als die leere Menge von Welten dargestellt werden, die es
ebenfalls nur einmal gibt.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 400
10
Identität
„No entity without identity.“ W.V. Quine
Identität und Existenz
a existiert =def Es gibt mindestens ein x, so dass gilt: x = a.
Numerische vs. qualitative Identität (Selbigkeit vs. Gleichheit)
Notwendige vs. kontingente Identität
Absolute vs. relative Identität
Synchrone vs. diachrone Identität
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 401
Eigenschaften der Identität
Reflexivität
Symmetrie
Transitivität
x=x
x=y→y=x
x=y&y=z→x=z
Leibniz´ Gesetz
x = y ↔ ∀F [F(x) → F(y)]
Ununterscheidbarkeit des Identischen x = y → ∀F [F(x) → F(y)]
Falls x mit y identisch ist, dann ist x von y insofern ununterscheidbar, als x mit allen
Eigenschaften von y überein stimmt.
Identität des Ununterscheidbaren
∀F [F(x) → F(y)] → x = y
Falls x in allen Eigenschaften mit y übereinstimmt, dann ist x identisch mit y.
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 402
11
Identitätsbedingungen
Bündeltheorien
Identität des Ununterscheidbaren
∀F [F(a) ↔ F(b)] → a = b
Raum-Zeit-Regionen
Lemmon Kriterium
(xq, ya, za) = (xb, yb, zb) → a = b
Essentialismus (Substanzentheorie)
∀Fe [Fe(a) ↔ Fe(b)] → a = b
Substanz-Kriterium
Bare Partikulars (Substrattheorie)
Substrat-Kriterium
∃z [S(z, a) & S(z, b)] → a = b
Haecceitas
∀Fhaec [Fhaec(a) ↔ Fhaec(b)] → a = b
Haecceitas-Kriterium
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 403
Diachrone Identität
Theseus´ Schiff
Fall 1: Stellen wir uns ein Schiff aus Holz vor und nennen es S zu t1. Nun
werden die Teile von S im Laufe der Zeit alle durch neue Teile ersetzt bis zu
einem Zeitpunkt t2, zu dem das Schiff vollständig aus ersetzten Teilen besteht.
Nennen wir dieses Schiff zum Zeitpunkt t2 entsprechend Sneu.
Frage: Ist S identisch mit Sneu?
Fall 2: Stellen wir uns nun vor, die alten Teile des Schiffes S werden jedes Mal
in irgendein Lagerhaus gebracht, so dass, nachdem das ganze Schiff erneuert
wurde, das alte Schiff aus den alten Teilen zum Zeitpunkt t2 woanders wieder
aufgebaut werden kann. Nennen wir nun das wiederaufgebaute Schiff Salt.
Frage: Ist S identisch mit Salt?
Problem: Das restaurierte Schiff Sneu und das wieder aufgebaute Schiff Salt
sind zwei (numerisch) verschiedene Schiffe. Mit welchem der beiden ist S
identisch?
Bräuer
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
Folie 404
12
Diachrone Identität
Perdurantismus vs. Endurantismus
Salt
Endurantismus
S
t0
S
t1
Sneu
t
t2
zeitliche Teile
von Salt
Perdurantismus
S ist zeitlicher Teil von Salt und zeitlicher Teil von Sneu
zeitliche Teile
von Sneu
t0
Bräuer
t1
Einführung in die Theoretische Philosophie
SS 2006
t
t2
Folie 405
13
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