Späte Karriere in neuer Rolle: das Sehpigment

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Signaltransduktion
Späte Karriere in neuer Rolle:
das Sehpigment Rhodopsin
OLIVER P. ERNST, MARTIN HECK, FRANZ J. BARTL, KLAUS PETER HOFMANN
INSTITUT FÜR MEDIZINISCHE PHYSIK UND BIOPHYSIK, CHARITÉ BERLIN
Rhodopsin, das Sehpigment in den Stäbchenzellen der Wirbeltiernetzhaut, ist seit 130 Jahren bekannt. Es macht sich nun nützlich als Prototyp
eines G-Protein-gekoppelten Rezeptors.
Rhodopsin, visual pigment of the rod cell, was first described in 1878.
It plays now a role as a model for G protein-coupled receptors.
ó Wenn man in mondloser Nacht unter
einem Baum liegt und gegen den bedeckten
˚ Abb. 1: Blick vom Zytoplasma auf die
inaktiven und aktiven Konformationen des
Rhodopsins. Kristallstruktur des inaktiven
Rhodopsins (grün) mit gebundenem 11-cisRetinal (rotes Kalottenmodell, [5]). In der
aktiven Rezeptorkonformation, hier als
Opsin* (blau) ohne Retinal-Ligand, hat das
Helixbündel seine Struktur geändert. Die
nun ausgeklappte Helix TM6 ermöglicht die
Öffnung der zytoplasmatischen Oberfläche
des Rezeptors. Das G-Protein bzw. ein
Schlüsselfragment davon (violett) bindet in
diese Öffnung [8].
Nachthimmel blickt, beginnt man bereits die
Umrisse des Baumes zu sehen. Unter diesen
Bedingungen wird nur alle paar Minuten ein
Lichtquant in einer der über 100 Millionen
Stäbchenzellen unserer Netzhaut absorbiert.
Das Rhodopsin, das die fast rauschfreie Detektion des Lichts ermöglicht und den Lichtreiz
über die anschließende visuelle Kaskade in
elektrische Erregung umsetzt, wurde schon
1878 als „Sehpurpur“ beschrieben [1]. Die
Entdecker, Wilhelm Kühne und Franz Boll,
haben schon geahnt, dass ihre Arbeit erst der
Anfang der Erforschung dieses Gegenstands
sein würde. So schreibt Kühne: „Mit der Entdeckung der Lichtempfindlichkeit des Sehpurpurs hat sich vielfach … die Ansicht ausgebildet, dass man nun ziemlich genau wisse, wie die Erregung der Opticusenden durch
Licht zustande komme. Ich kann dieser Meinung nur sehr bedingt beipflichten …“ Er
konnte aber nicht ahnen, welche Karriere
ganz anderer Art seinem Protein noch
beschieden sein sollte.
Diese Karriere resultierte aus einem Paradigmenwechsel um 1980, als das Rhodopsin,
nach einer heftig diskutierten Rolle als Kalziumkanal, als G-Protein-gekoppelter Rezeptor (GPCR) erkannt wurde [2]. Das Rhodopsin
ist heute, neben seiner Zugehörigkeit zu der
mehr als 1.000 Spezies umfassenden Gruppe der Retinalproteine [3], vor allem als
Modell für G-Protein-gekoppelte Rezeptoren
von Bedeutung.
GPCRs
Die Familie der GPCRs umfasst mehr als
800 Proteine beim Menschen und wird in fünf
Klassen unterteilt, die jeweils eine Sequenzhomologie von mehr als 20 Prozent aufweisen
(siehe GPCRDB-Datenbank unter www.gpcr.
org). Die möglichen Liganden reichen von
Geruchs- und Geschmacksstoffen, Aminosäuren, Peptidhormonen, Neuropeptiden,
Nukleotiden zu Lipidverbindungen und Ionen.
Die Optimierung der Rezeptoren auf ihren
jeweiligen biologischen Zweck ist in einer vor
etwa 750 Millionen Jahren einsetzenden Evolution erreicht worden. In allen GPCRs führt
die Interaktion mit einem aktivierenden
Liganden (Agonisten) zu Änderungen der Tertiärstruktur des Rezeptors, die vom G-Protein
(und anderen, regulatorisch wirksamen Proteinen) „erkannt“ wird. 80 Prozent der Hormone und anderen primären Signalstoffe des
menschlichen Organismus wirken auf GPCRabhängige Signalwege, ebenso wie mehr als
die Hälfte der neu auf den Weltmarkt kommenden Pharmaka [4] und klassische Drogen, wie z. B. Opium, Heroin, LSD und
Haschisch. GPCRs sind direkt oder indirekt an
der Kontrolle nahezu aller physiologischen
Vorgänge beteiligt. Ein grundlegendes Verständnis der molekularen Mechanismen
GPCR-vermittelter Signalübertragung ermöglicht eine effizientere Entwicklung von Substanzen für die therapeutische Intervention.
Thema mit Variationen:
die GPCR-Struktur
Das Rhodopsin ist der Archetyp der GPCRKlasse I (Rhodopsin-ähnliche GPCRs), die
90 Prozent der GPCRs umfasst. Im Jahr 2000
ist die Röntgenstrukturanalyse des inaktiven
11-cis-Retinal-gebundenen Rhodopsins gelungen (Abb. 1 und 2, [5]). In den Jahren 2007
und 2008 wurden dann die Strukturen des
A2A-Rezeptors und des β1- und β2-adrenergen-Rezeptors gelöst (Übersicht in [6]). Diese
Strukturen zeigen ebenfalls eine inaktive Konformation und belegen die außerordentliche
Ähnlichkeit der 7-Transmembranhelix(7-TM)Architektur für verschiedene GPCRs der Klasse I. Unserem Labor gelang 2008 die Röntgenstrukturanalyse des Retinal-freien Apoproteins Opsin in seiner aktiven Opsin*-Form.
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Es konnte in seiner freien Form und im Komplex mit einem synthetischen Peptid aus der
primären Erkennungsregion des G-Proteins
kristallisiert werden [7, 8]. Beide Strukturen
zeigen eine aktive Rezeptorkonformation mit
offener zytoplasmatischer Domäne, an die das
G-Protein koppeln kann (Abb. 1). Die Interaktion mit dem G-Protein wird durch Helixbewegungen ermöglicht, insbesondere ein
„Ausklappen“ der Helix TM6. Diese Struktur
erlaubt nun einen fundierten Einblick in die
strukturellen und dynamischen Vorgänge der
GPCR/G-Protein-Kopplung [9] und kann als
Ausgangspunkt zur Modellierung der aktiven Konformation anderer GPCRs genutzt
werden.
Aktivierung des Rhodopsins
Absorbiert Rhodopsin ein Photon, so isomerisiert das 11-cis-Retinal in die all-trans-Konfiguration, aus dem starken inversen Agonisten 11-cis-Retinal wird damit der Agonist
all-trans-Retinal. Auf die Retinal-Isomerisierung folgen einige schnelle (ps/μs) irreversible Reaktionen, die als Rhodopsin-spezifische
photosensorische Funktion verstanden werden können (Abb. 2). Die darauf folgenden
langsameren (ms) Transformationen zwischen den Meta-Intermediaten bilden ein
Dreischrittschema der Rezeptoraktivierung
[9]. Alle Meta-Intermediate stehen miteinander im Gleichgewicht und sind analog zu den
high und low affinity states bei anderen
GPCRs. Die beiden Meta-IIb-Produkte besitzen laut EPR-spektroskopischer Analyse die
offene Konformation mit ausgeklappter Helix
TM6.
Transduktion und Regeneration
Die Signalkaskade, die vom aktivierten Rhodopsin angestoßen wird, ist ebenfalls ein Prototyp eines G-Protein-gekoppelten Systems.
G-Protein ist das Transducin (Gt), Effektor ist
eine cGMP-spezifische Phosphodiesterase
(PDE6). Unter physiologischen Bedingungen
werden etwa 350 G-Proteine pro Sekunde
durch ein einzelnes aktiviertes Rhodopsinmolekül aktiviert. Das elektrische Signal ent-
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˚ Abb. 2: Aktivierungsschema des Rhodopsins. Das Apoprotein Opsin und der Chromophor
11-cis-Retinal (pink) sind über eine Schiff-Base mit Lys-296 verbunden. Durch Lichtabsorption und
cis/trans-Isomerisierung des Retinals entstehen zunächst die Batho- und Lumi-Intermediate
(photosensorische Funktion, rosa unterlegt), die mit der Bildung von Meta I in ein G-Proteinabhängiges Gleichgewicht (blau unterlegt) münden. Die spektral identischen Subzustände
Meta IIa, Meta IIb und Meta IIb·H+ entwickeln sich sequenziell durch Deprotonierung der RetinalSchiff-Base (SB, 1), Bewegung der Helix TM6 (2) und Protonenaufnahme im ERY-Sequenzmotiv in
Helix TM3 (3, Übersicht in [9]). Das freie Apoprotein Opsin entsteht durch Hydrolyse der SchiffBase und Dissoziation des all-trans-Retinals aus seiner Bindungstasche. Die aktive Konformation
Opsin*·H+ steht im Gleichgewicht mit Opsin und kann durch niedrigen pH-Wert stabilisiert werden. Im unteren Teil der Abbildung ist die Analogie der Meta-Intermediate zu den low- (R) und
high affinity-Zuständen (R*) der durch diffundierende Liganden (L) aktivierbaren GPCRs dargestellt.
steht durch cGMP-Abfall und Blockade des
von Na+ und Ca2+ getragenen Rezeptorstroms
durch die Plasmamembran. Der cGMP-Spiegel wird durch die verzögerte Feedback-Aktivierung einer Guanylatzyklase (GC) durch
Ca2+-bindende Proteine zurückgestellt. Wie
bei anderen GPCRs wird der aktive Zustand
des Rezeptors durch Interaktion mit einer
Rezeptorkinase (GRK1), Phosphorylierung
des Rezeptor-C-Terminus und nachfolgende
Interaktion des phosphorylierten Rezeptors
mit Arrestin beendet (Abb. 3). Der gesamte
Aktivierungs-/Deaktivierungzyklus bildet ein
geschlossenes funktionelles Modul, bei dem
in ca. 200 Millisekunden aus dem Input„Photon“ der Output-„Photostrom“ gebildet
wird.
Aus dem Arrestin-Rezeptor-Komplex wird
dann das Retinal langsam freigesetzt und das
freie Apoprotein Opsin mit 11-cis-Retinal wieder zum lichtempfindlichen Rezeptor rekombiniert. Die dazu notwendige Re-Isomerisie-
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0.5
pA
Output
30.000 R/μm2
0.0
0.0
0.5
dafür, dass eine solche Verallgemeinerung
möglich ist. Wer hätte vor 30 Jahren gedacht,
dass der Sehprozess und die hormonelle
Anregung einer Zelle so viel gemeinsam
haben?
ó
1.0
Zeit (s)
Abschaltung
RK
Feedback
Arr
Ca2+
Input
GTP/GDP
G
1 Photon
R
Synapse
Innensegment
Außensegment
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R*
G*
GC
GTP
cGMP
PDE
Literatur
Ch
Na+
Ca2+
GMP
Detektion/ Verstärkung
˚ Abb. 3: Das Funktionsmodul der visuellen Signaltransduktion. In der Stäbchenzelle (schematische Darstellung links) werden einzelne Lichtquanten von Rhodopsin detektiert (Lichtaktivierung
R → R*). Die Verstärkung des Inputs erfolgt durch Aktivierung von zahlreichen G-Proteinen
(GDP→GTP-Austausch) und Effektoren (PDE) sowie die Hydrolyse des zytosolischen cGMPs. Output der Zelle ist ein Photostrom (oben rechts), der durch Schließung von cGMP-abhängigen Kanälen (Ch) in der Plasmamembran generiert wird. Der Funktionszyklus schließt sich durch Deaktivierung des Rezeptors über eine Rezeptorkinase (RK) und Arrestin (Arr). Der cGMP-Spiegel wird über
einen Ca2+-abhängigen Feedback-Mechanismus von einer Guanylatzyklase (GC) rückgestellt.
rung des Retinals erfolgt in einem komplexen
Metabolismus [10], der sich nicht durch lichtinduzierte trans/cis-Re-Isomerisierung des
Retinals im Rhodopsin umgehen lässt [11].
Das Liganden-freie Opsin akkumuliert, wenn
keine Regeneration des Rhodopsins erfolgt,
und kann unter geeigneten Bedingungen als
relativ stabiles Substrat der oben beschriebenen Strukturuntersuchungen dienen.
Quo vadis Rhodopsin?
Auch nach 130 Jahren wissen wir noch nicht
genau, „wie die Erregung der Opticusenden
durch Licht zustande kommt“. Unser Wissen
über die molekularen Mechanismen der Sig-
nalübertragung ist ebenso bruchstückhaft wie
unser Verständnis systemischer Eigenschaften, wie z. B. des extrem niedrigen Dunkelrauschens des gesamten visuellen Transduktionsmoduls. Immerhin bieten geschlossene funktionelle Module die Chance, systemische Eigenschaften aus dem molekularen
Detail heraus zu verstehen [12]. Dies versuchen wir im SFB 740 (www.sfb740.de), wo
verschiedene Module vergleichend erforscht
werden. Das Ziel ist dabei nicht nur, das
jeweils eigene System besser zu verstehen,
sondern auch allgemeine Funktionsprinzipien zu finden, die in verschiedenen Modulen
wiederkehren. Die GPCRs sind ein Beispiel
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Building functional modules from molecular interactions.
Trends Biochem Sci 31:497–508
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Klaus Peter Hofmann
Institut für Medizinische Physik und Biophysik
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Ziegelstraße 5–9
D-10117 Berlin
Tel.: 030-450-524-111
Fax: 030-450-524-952
[email protected]
AUTOREN
Oliver P. Ernst
Martin Heck
Jahrgang 1965. 1985–1990 Chemiestudium; 1994 Promotion, Universität Freiburg. 1993–1994 Forschungsaufenthalt
Rockefeller University New York. 1995–2010 Charité-Universitätsmedizin Berlin. 2003 Habilitation. 2010 Canada Excellence Research Chair in Structural Neurobiology, University
of Toronto, Kanada.
Jahrgang 1962. 1981–1989 Chemiestudium; 1994 Promotion, Universität Freiburg. Seit 1994 am Institut für Medizinische Physik und Biophysik, Charité Berlin. Seit 2004
Lehr-Koordinator der Chemie an der Charité.
Franz J. Bartl
Klaus Peter Hofmann
Jahrgang 1961. 1986–1992 Chemiestudium in Konstanz und
München; 1996 Promotion, LMU München. 1996–2010
Charité Berlin, Institut für Medizinische Physik und Biophysik. 2004 Habilitation, HU Berlin. Seit 2009 Lehr-Koordinator der Physik an der Charité.
Jahrgang 1943. 1963–1968 Physikstudium; 1973 Promotion, LMU München; 1980 Habilitation in Freiburg. 1994–
2010 Direktor des Instituts für Medizinische Physik und
Biophysik, Charité Berlin. Seit Mai 2010 pensioniert und
tätig als Sprecher des SFB 740 und Projektleiter eines
2010 ERC Advanced Grant.
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