Forschungsarbeiten/Research activities Arbeitsgruppe - Prof. Dr. med. Joachim Kirsch Prof. Dr. med. Joachim Kirsch Lehrstuhl II Medizinische Zellbiologie Im Neuenheimer Feld 307 D- 69120 Heidelberg Tel.: 06221/54-8657 email: [email protected] Forschungsarbeiten/Research activities I) Molekulare Anatomie postsynaptischer Membranen (Kirsch) Zusammenfassung Die Interaktion von Gephyrin mit Neurotransmitterrezeptoren einerseits und dem Zytoskelett andererseits stellt einen zentralen Vorgang während der Differenzierung glyzinerger postsynaptischer Membranen dar. Die bisherigen Befunde legen nahe, daß die gephyrinvermittelte Verankerung von Neurotransmitterrezeptoren nicht nur bei der Entstehung von Synapsen sondern auch bei deren funktioneller Anpassung im Rahmen von Lernvorgängen (synaptische Plastizität) eine Rolle spielt. Die geplanten Untersuchungen sollen der Aufklärung von molekularen und zellulären Mechanismen dienen, die für die Entstehung und die aktivitätsabhängige Plastizität von Synapsen von grundlegender Bedeutung sind. Damit will dieses Projekt einen Beitrag zur Erforschung der molekularen Grundlagen von Lern- und Gedächtnisprozessen erbringen, wie sie kognitiven Leistungen zu Grunde liegen. Die geplanten Arbeiten dienen einem besseren Verständnis 1 Zusammenfassung der postsynaptischen Verankerungsmechanismen, deren Bedeutung für Lernvorgänge unter definierten experimentellen Paradigmen im weiteren Verlauf des Projektes auf molekularem Niveau charakterisiert werden soll. Die Effizienz der Erregungsübertragung an chemischen Synapsen hängt entscheidend von der genauen Gegenüberstellung und funktionellen Anpassung der prä- und postsynaptischen Nervenzellmembranen ab. Jede Nervenzelle trägt an ihrer Oberfläche zahlreiche postsynaptische Membranspezialisierungen, die durch eine hohe Packungsdichte von Neurotransmitterrezeptoren gekennzeichnet sind. Die zellulären Mechanismen, die im Zentralnervensystem (ZNS) zur Entstehung und Stabilisierung dieser postsynaptischen Rezeptoraggregate führen, sind weitgehend unbekannt. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, daß, wie an der neuromuskulären Endplatte, auch an zentralnervösen Synapsen zelluläre Strukturproteine an Aufbau und Stabilisierung postsynaptischer Rezeptoraggregate beteiligt sind. Bei der glyzinergen Synapse des Rattenrückenmarks ist die Untersuchung der Ontogenese postsynaptischer Rezeptoraggregate bislang am weitesten fortgeschritten. Der Glyzinrezeptor (GlyR), der wichtigste inhibitorische Neurotransmitterrezeptor der unteren Neuraxis, ist ein ligandengesteuerter Ionenkanal, der aus zwei homologen Untereinheiten (a und b) besteht, die sich im stöchiometrischen Verhältnis von 3:2 zu einem pentameren Proteinkomplex zusammenlagern. Der Rezeptor kann aus solubilisierten Membranen des Rattenrückenmarks an immobilisiertem Strychnin aufgereinigt werden. Zusätzlich zu den beiden Rezeptoruntereinheiten wird dabei ein peripheres Membranprotein von 93 kD mitgereinigt. Immunhistochemische Untersuchungen mit spezifischen Antikörpern zeigten, daß dieses Polypeptid an der zytoplasmatischen Seite von glyzinergen Synapsen lokalisiert ist. Da später eine hochaffine Bindung an das Zytoskelettprotein Tubulin nachgewiesen wurde, nahm man an daß das periphere Membranprotein von 93 kD eine Brücke zwischen dem GlyR und dem subsynaptischen Zytoskelett bilden könnte. Daher wurde dieses Polypeptid, abgeleitet vom griechischen Wort für Brücke (gejura), Gephyrin genannt. 2 Mechanismen der Entstehung von Gephyrin- und GlyR-Aggregaten Fig. 1: Modell der gephyrinvermittelten Verankerung des GlyR am subsynaptischen Zytoskelett. Der inhibitorische GlyR wird über seine b Untereinheit(en) durch eine Gephyrinmatrix an subsynaptischen Mikrotubuli und Mikrofilamenten verankert. Die Interaktion mit Mikrofilamenten erfolgt entweder direkt (außen) oder indirekt durch Vermitlung eines aktinbindenden Proteins (?) Mechanismen der Entstehung von Gephyrin- und GlyR-Aggregaten Diese Modellvorstellung geht davon aus, daß sich anfänglich ungeclusterte GlyR-Komplexe in der Ebende der neuronalen Plasmamembran bewegen. Treffen diese Rezeptorkomplexe auf einen aktiven glyzinergen präsynaptischen Bouton, werden diese Rezeptoren aktiviert. Da die Aktivierung des Glyzinrezeptors in embryonalen Neuronen, im Gegensatz zu der Situation im erwachsenen Tier, zu einer Depolarisation der neuronalem Plasmamembran führt, kann es durch (lokale) Potentialschwankungen zu Öffnung spannungsabhängiger Calciumkanäle vom L-Typ kommen. Dieser Calciuminflux bewirkt wahrscheinlich indirekt die lokale Aggregation von Gephyrin unter der differenzierenden postsynaptischen Membran. Diese mittelbar calciuminduzierten Gephyrinaggregate wirken nun ihrerseits als "Diffusionsfallen" für weitere GlyR-Polypeptide, die in der Plasmamembran diffundieren. Die aktivitätsabhängige Aggregation des GlyR in der postsynaptischen Membran stellt einen neuen und grundlegenden Mechanismus der Aggregation von Neurotransmitterrezeptoren dar. 3 II) Zelluläre Organisation der Molybdän-Kofaktor Biosynthese II) Zelluläre Organisation der Molybdän-Kofaktor Biosynthese im Interdisziplinären Zentrum für klinische Forschung (IZKF) Projektleiter: Joachim Kirsch 4 im Interdisziplinären Zentrum für klinische Forschung (IZKF) Der Molybdän-Kofaktor (Moko) bildet die prosthetische Gruppe aller Molybdoenzyme mit Ausnahme von Nitrogenase. Moko-Defizienz führt beim Menschen zu einer drastischen Reduktion der enzymatischen Aktivitäten von Sulfitoxidase, Xanthinoxidase und Aldehydoxidase. Die höchsten Aktivitäten der genannten Enzyme werden in viszeralen Organen wie Leber, Niere, Lunge und Herz nachgewiesen. Das klinische Erscheinungsbild wird jedoch geprägt durch eine schwere neurologische Symptomatik mit generellen Anzeichen einer gestörten synaptischen Inhibition, wie gesteigerter Muskeltonus, Myokloni, Opisthotonus, Athetosen und therapierefraktäre epileptische Anfälle. Diese Symptomatik wird generell auf die Akkumulation toxischer Metabolite insbesondere von Sulfit und Thiosulfat zurückgeführt, ohne daß die Pathomechanismen jedoch bekannt wären. Die enzymatischen Voraussetzungen sowie die Intermediärprodukte der Moko-Biosynthese sind noch weitgehend unbekannt. Einer der letzten Syntheseschritte umfaßt jedoch die Übertragung einer Molybdatgruppe auf ein spezielles Pteringerüst, das Molybdopterin (MPT). Dieser Vorgang wird bei Prokaryonten durch das Produkt des MogA-Gens, bei Pflanzen durch das Polypeptid cnx1 katalysiert. Tatsächlich ist der carboxyterminale Anteil (E-Domäne) von cnx1 homolog zu MogA, aber auch der aminoterminale Anteil (G-Domäne) zeigt eine deutliche Homologie zu einem weiteren prokaryontischen Genprodukt (MoeA), das ebenfalls an der Moko-Biosynthese beteiligt ist. Die Primärstrukturen dieser drei Proteine wiederum zeigen signifikante Homologien zu dem Produkt des cinnamon-Gens von Drosophila, von dem ebenfalls eine Beteilgung an der Moko-Biosynthese nachgewiesen wurde, und zu dem Vertebratenpolypeptid Gephyrin. Letzteres wurde bislang in einem völlig anderen Zusammenhang diskutiert. Ursprünglich wurde Gephyrin als peripheres Membranprotein charakterisiert, das zusammen mit dem inhibitorischen Glyzinrezeptor aus solubilisierten 5 Publikationen/Publications 1995-1998 Rückenmarksmembranen aufgereinigt werden kann. Es ist an der zytoplasmatischen Seite glyzinerger Synapsen lokalisiert und spielt eine entscheidende Rolle für die Bildung postsynaptischer Aggregate des inhibitorischen Glyzinrezeptors und seiner Verankerung mit dem Zytoskelett. Im ZNS konnten verschiedene Spleißvarianten der Gephyrin mRNA nachgewiesen werden, die sich durch Insertion von vier Oligonukleotidkassetten im 5'-Bereich der kodierenden Region unterscheiden. Weitere Spleißvarianten konnten in zahlreichen anderen Organen, darunter Leber, Niere, Lunge und Herz identifiziert werden, die gewebespezifisch exprimiert werden. Bislang ist die Funktion von Gephyrin außerhalb des ZNS unklar, der Nachweis von Gephyrintranskripten in allen bisher untersuchten Organen ist jedoch konsistent mit der Annahme einer universellen Funktion dieses Polypeptids. Die Homologie der Primärstruktur von Gephyrin mit Proteinen, die in Prokaryonten, Pflanzen und Invertebraten an der Moko-Biosynthese beteiligt sind, legt nahe, daß auch Gephyrin in diesem Stoffwechselweg von Bedeutung sein könnte, umgekehrt deutet das vorwiegend neurologische Erscheinungsbild einer Moko-Defizienz auf eine gestörte synaptische Inhibition und eine mögliche Beteiligung von Gephyrin hin. Daher soll in dem beantragten Projekt der Zusammenhang zwischen Gephyrin und der Moko-Biosynthese näher charakterisiert werden. Insbesondere soll die Frage untersucht werden, wie dieser Stoffwechselweg in verschiedenen Zelltypen (Leber- und Nervenzellen) organisiert ist und welche Folgen eine Störung der subzellulären Organisation auf die Zellphysiologie hat. Im einzelnen sollen folgende Fragestellungen bearbeitet werden: 1. Identifikation von humanen bzw. murinen Polypeptiden, die an der Moko-Biosynthese beteiligt sind durch "low stringency screening" geeigneter cDNA-Banken. 2. Herstellung spezifischer Antikörper gegen diese Polypeptide und immunohistochemische und -zytochemische Untersuchungen zu subzellulären Lokalisation des Moko-Biosynthesewegs in Nerven- und Leberzellen. 3. Untersuchung der katalytischen Aktivität(en) von Gephyrin und Identifikation der verantwortlichen Proteindomänen. 4. Aufklärung der Primärstruktur von nicht-neuronalem Gephyrin und Identifikation von Gephyrinbindeproteinen in nicht-neuronalem Gewebe durch das "Two-Hybrid" System. Der Zusammenhang zwischen subzellulärer Kompartmentalisierung und Zellphysiologie ist bislang nur wenig beachtet und im Hinblick auf klinisch relevante Krankheitsbilder kaum untersucht worden. Am Beispiel der Moko-Biosynthese sollen die oben skizzierten Untersuchungen die Grundlage schaffen für ein Verständis pathologischer Zustände, die auf eine fehlerhafte Kompartmentalisierung von Signalketten und/oder metabolischer Vorgänge zurückzuführen sind. Das drastische klinische Erscheinungsbild der Moko-Defizienz läßt vermuten, daß solche Zusammenhänge von großer Bedeutung für den Funktionszustand von Zellen und Organismen sind. Publikationen/Publications 1995-1998 6 Originalpublikationen/Articles Originalpublikationen/Articles • Sassoè-Pognetto, M., Kirsch, J., Grünert, U., Greferath, U., Fritschy, J.M., Möhler, H., Betz, H., and Wässle, H. Colocalization of gephyrin and GABAA-receptor subunits in the rat retina J. Comp. Neurol. 357,1-14 (1995) • Kirsch, J., and Betz, H. The postsynaptic localization of the glycine receptor-associated protein gephyrin is regulated by the cytoskeleton J. Neurosci. 15, 4148-4156 (1995) • Laube, B., Kuhse, J., Rundström, N., Kirsch, J.,Schmieden, V., and Betz, H. Modulation of the inhibitory glycine receptor by zinc ions J. Physiol. 483, 613-619 (1995) • Meyer, G., Kirsch, J., Betz, H., and Langosch, D. Identification of a gephyrin binding motif on glycine receptor b subunit Neuron 15, 563-572 (1995) • Kirsch, J., Kuhse, J., Betz, H. Targeting of glycine receptor subunits to gephyrin-rich domains in transfected human embryonic kidney cells Mol. Cell. Neurosci. 6 , 450-461 (1995) • Béchade, C., Colin, I., Kirsch, J., Betz, H., Triller, A. Glycine receptor b subunit and gephyrin expression in cultures spinal neurons: a quantitative analysis Eur. J. Neurosci. 8, 429-435 (1996) • Hirai, H., Kirsch, J., Betz, H., and Kuhse, J. Transmembrane topology of the NMDA receptor subunit NR1: the region between M3 and M4 participates in glycine binding Proc. Natl. Acad. Sci. USA 93, 6031-6036 (1996) • Ramming, M., Betz, H. and Kirsch, J. Analysis of the promotor region of the murine gephyrin gene FEBS Lett. 405, 137-140 (1997) • Friauf, E., Hammerschmidt, B. and Kirsch, J. Development of adult type glycine receptors in the central auditory system of rats J. Comp. 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The inhibitory glycine receptor: architecture, synaptic localization, and molecular pathology of a postsynaptic ion-channel complex Curr. Opin. Neurobiol. 5, (1995), 318-323. 7 Übersichten/Reviews • Kirsch, J., and Kröger, S. Postsynaptic anchoring of receptors: a cellular approach to neuronal and muscular sensitivity The Neuroscientist 2, (1996), 100-108. • Kirsch, J., Meyer, G., and Betz, H. Synaptic targeting of ionotropic neurotransmitter receptors Mol. Cell. Neurosci. 8, (1996) 93-98. • Wheal, H.V., Chen, Y., Mitchell, J., Schachner, M., Maerz, W., Wieland, H., van Rossum, D., and Kirsch, J. Molecular mechanisms that underlie structural and functional changes at the postsynaptic membrane during synaptic plasticity Progr. in Neurobiol. (1998) (in press) • Davies, P. Anderton, B., Kirsch, J., Konnerth, A., Nitsch, R., and Sheetz, M. First one in, last one out: the role of GABAergic transmission in generation and degeneration Progr. in Neurobiol. (1998) (in press) Handbuchartikel/Book chapters • Kirsch, J. and Betz, H Gephyrin in: Guidebook of cytoskeletal and mortor proteins (T. Kreis, R. Vale eds.) Oxford University Press 1998 (in press) 8