Fehlfunktionen hemmender Synapsen als Ursache neurologischer

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Eulenburg, Volker et al. | Fehlfunktionen hemmender Synapsen als Ursache neurologischer ...
Tätigkeitsbericht 2008
NeurobiologieStruktur- und Zellbiologie
Fehlfunktionen hemmender Synapsen als Ursache neurologischer
Erkrankungen
Eulenburg, Volker; Betz, Heinrich;
Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt/Main
Abteilung - Neurochemie
Korrespondierende Autoren
Eulenburg, Volker,
E-Mail: [email protected]
Betz, Heinrich,
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Glyzin und GABA sind die beiden wichtigsten hemmenden Botenstoffe im zentralen Nervensystem.
Störungen der hemmenden Erregungsübertragung konnten bereits mit neurologischen Erkrankungen
wie Epilepsie oder Hyperekplexie assoziiert werden. Durch die Analyse gentechnisch veränderter
Mäuse wurden nun zwei neue Genorte, das Collybistin- und das Glyzintransporter 2-Gen, als an
diesen Krankheiten beteiligt identifiziert. Genetische Untersuchungen an Patienten belegen, dass beide
Genorte in der Tat Krankheitsgene beim Menschen darstellen.
Abstract
Glycine and GABA are the two principal inhibitory neurotransmitters in the mammalian central nervous system. Dysfunctions of inhibitory neurotransmission are major causes of neurological diseases
like epilepsy or a predominantly spinal form of neuronal hyperexcitability, hyperekplexia. Here, the
analysis of genetically modified mice revealed two novel disease genes associated with malfunctioning of inhibitory synapses, the collybistin and the glycine transporter 2 genes. Genetic screening of
human patients established mutations in both genes as causal for human disease.
Einleitung
Die Aminosäure Glyzin ist neben der γ-Aminobuttersäure (GABA) im zentralen Nervensystem der
wichtigste hemmende Botenstoff (Neurotransmitter). Glyzin und GABA werden in den Nervenendigungen in kleinen Membranbläschen, den sog. synaptischen Vesikeln, gespeichert (Abb. 1). Bei Erregung der Nervenzelle verschmelzen diese Vesikel mit der Zellmembran und schütten so ihren Inhalt
auf die Zielneurone aus. Hier binden beide Neurotransmitter an spezifische Rezeptoren und bewirken
so eine Hemmung (Inhibition) dieser Zellen. Diese wird durch die Wiederaufnahme der Neurotransmitter mittels hochaffiner Transportproteine in die Nervenendigung oder in umgebende Stützzellen
(Glia) beendet.
© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
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Abb. 1: Schematische Darstellung einer inhibitorischen Synapse
An inhibitorischen Synapsen wird Glyzin in der vorgeschalteten Nervenendigung in Membranvesikeln gespeichert. Nach Erregung verschmelzen diese in einem Calcium-abhängigen Prozess mit der Zellmembran und
schütten ihren Inhalt auf die Zielzelle aus. Das so freigesetzte Glyzin bindet an der nachgeschalteten Zelle an
spezifische Rezeptoren, die durch das Protein Gephyrin an der Synapse verankert sind. Dies aktiviert und öffnet
den Rezeptorionenkanal, durch den Chlorid in die Zelle einströmt kann und so eine Hemmung der Zielzelle bewirkt. Anschließend wird das Glyzin durch hochaffine Transporter (GlyT1 und GlyT2) aus der Synapse entfernt
und die Hemmung des Zielneurons beendet.
Urheber: Max-Planck-Institut für Hirnforschung/Eulenburg
Aus früheren Studien an Mäusen ist bekannt, dass Störungen der Erregungsübertragung an inhibitorischen Synapsen schwerwiegende Konsequenzen für die Funktion des Nervensystems haben (Übersicht in [1]). So führen zum Beispiel Mutationen in den Rezeptorproteinen, die die Hemmung von
Zielzellen durch GABA oder Glyzin vermitteln, zu Epilepsie beziehungsweise Hyperekplexie, das
heißt zu Erkrankungen, welche auf Übererregbarkeit von Nervenzellen im Gehirn bzw. Rückenmark
zurückzuführen sind [1; 2]. Auch die Inaktivierung von Genen für Ankerproteine, welche die Rezeptoren an der Synapse halten, oder für Transporter, die die Neurotransmitter nach erfolgter Signalweiterleitung in die umliegenden Zellen schaffen, verursachen schwere Fehlfunktionen der jeweiligen
Synapsen. Zum Beispiel zeigen Mäuse, denen das Protein Gephyrin fehlt, welches für die synaptische
Verankerung von GABA- und Glyzin-Rezeptoren verantwortlich ist, erhebliche Veränderungen in der
Zahl und im Erregungszustand der die Muskulatur innervierenden Nervenzellen im Hirnstamm und
Rückenmark – die Tiere sterben am ersten Tag nach der Geburt aufgrund von Schluck- und Atemstörungen [3; 4]. Vergleichbare Symptome zeigen Mäuse, die Mutationen in Glyzinrezeptor-Genen tragen
[5; 6] oder denen der Glyzintransporter 2 (GlyT2) fehlt [7].
In Zusammenarbeit mit Arbeitsgruppen in Braunschweig und Göttingen konnten Wissenschaftler am
Max-Planck-Institut für Hirnforschung mit Collybistin ein weiteres Protein identifizieren, das für die
Funktion von inhibitorischen Synapsen wichtig ist. Collybistin gehört zu einer großen Familie intrazellulärer Signalproteine, den so genannten kleinen GTPasen, die viele zelluläre Prozesse regulieren
[8]. Durch die Herstellung von sog. Knockout-Mäusen, in denen das Collybistin-Gen inaktiviert ist,
konnten die Forscher zeigen, dass Collybistin für die synaptische Lokalisation von Gephyrin und
bestimmten inhibitorischen GABAA-Rezeptorsubtypen in Vorderhirnbereichen wie dem Hippocampus
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und den Mandelkernen (Amygdala), nicht aber im Rückenmark, wichtig ist [9; 10]. Dies zeigt, dass
inhibitorische Rezeptoren über unterschiedliche Regulationsmechanismen an Synapsen verankert
werden können. Funktionell wird die Collybistin-Defizienz bei Mäusen an einer Reduktion der hemmenden Erregungsübertragung sichtbar [9]. Auf der Verhaltensebene bewirkt sie neben einer milden
Form von Epilepsie auch Störungen im Angst- und Lernverhalten [9], wie Abbildung 2 zeigt.
Abb. 2: Angstverhalten von Collybistin-defizienten (KO) Mäusen
Mäuse, denen die kleine GTPase Collybistin fehlt, und deren Wildtyp-Geschwister wurden in einen neuen, den
Mäusen unbekannten Käfig gesetzt und ihr Bewegungsverhalten während der nächsten 10 min registriert. Während
Wildtyp-Mäuse das komplette ihnen zur Verfügung stehende Areal explorieren, bleiben Collybistin-KO-Mäuse in
den Randbereichen des Käfigs und besuchen den weniger geschützten mittleren Bereich des Käfigs nur sporadisch.
Dieses Verhalten zeigt, dass Collybistin-KO-Mäuse ängstlicher sind als ihre genetisch unveränderten Geschwister.
Urheber: Max-Planck-Institut für Hirnforschung/Eulenburg;Papadopoulos
Dass diese in Mausmodellen erhaltenen Befunde auch für humane Erkrankungen relevant sein können,
konnte in der Vergangenheit für viele Mutationen in Glyzinrezeptor-Genen gezeigt werden (Übersicht in
[2]). Hier existiert ein direkter Zusammenhang zwischen dem Auftreten der vererbbaren Form der sog.
Hyperekplexie („Schreckkrankheit“) und bestimmten Mutationen in den Rezeptorgenen. Aber auch für
die anderen oben genannten Gene des inhibitorischen Synapsenapparates wurde inzwischen nachgewiesen, dass sie Krankheitsgene beim Menschen sein können. So erschienen im letzten Jahr zwei humangenetische Arbeiten, in denen berichtet wird, dass Mutationen bzw. Defekte im Collybistin-Gen Formen des
Schwachsinns zugrunde liegen, die ähnlich wie bei den Collybistin-defizienten Mäusen u.a. mit erhöhter
Ängstlichkeit, veränderter Motorik und Anfällen assoziiert sind [10; 11].
Da GlyT2-defiziente Mäuse eine ähnliche Symptomatik wie Hyperekplexie-Patienten (verstärkte
Schreckreaktion, spontaner Tremor sowie spastische Muskelkrämpfe) aufweisen, haben die Wissenschaftler um Eulenburg und Betz untersucht, ob Mutationen im GlyT2-Gen auch für die Entstehung humaner Formen der Hyperekplexie verantwortlich sein könnten. In der Tat konnten in mehreren Hyperekplexie-Patienten, bei denen keine Mutationen in Glyzinrezeptor-Genen gefunden wurden, Mutationen im
GlyT2-Gen identifiziert werden, die zumindest teilweise zu defekten Transporterproteinen führen [13].
Diese Assoziation von GlyT2-Mutationen mit der humanen Erbkrankheit Hyperekplexie wurde von einer
weiteren Arbeitsgruppe bestätigt und erweitert [14], sodass Mutationen im
GlyT2-Gen neben Mutationen in den Glyzinrezeptor-Genen heute zu den häufigsten genetischen Ursachen für Hyperekplexie gezählt werden (Abb. 3).
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Abb. 3: Membrantopologie des humanen GlyT2
Positionen, in denen Mutationen bei Hyperekplexie-Patienten gefunden wurden, sind in der Figur angegeben
(rote Punkte). Die Art der Substitution ist zusätzlich angegeben.
Urheber: Max-Planck-Institut für Hirnforschung/Eulenburg
Zusammenfassend zeigen all diese Untersuchungen, dass Defekte der inhibitorischen Neurotransmission Ursache schwerer Erkrankungen bei Tier und Mensch sein können. Die Wissenschaftler erwarten,
dass die Identifizierung neuer, an der hemmenden Erregungsübertragung beteiligter Gene und Proteine
weitere humanrelevante Pathogenesemechanismen aufdecken wird. Deren molekulare Untersuchung
ist wichtig, weil sich darüber auch neue Therapieansätze erschließen lassen. Für eine Glyzinrezeptormutation, die beim Menschen Hyperekplexie verursacht, konnten die Forscher zeigen, dass die Regelfunktion des mutierten Rezeptors in vitro und in einem Mausmodell zumindest vorübergehend durch
klinisch vielfach eingesetzte Anästhetika „geheilt“ werden kann [15].
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© 2008 Max-Planck-Gesellschaft
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