Neuroligin-2 reguliert den Aufbau inhibitorischer Synapsen im

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Varoqueaux, Frédérique | Neuroligin-2 reguliert den Aufbau inhibitorischer Synapsen ...
Tätigkeitsbericht 2009/2010
Neurobiologie
Neuroligin-2 reguliert den Aufbau inhibitorischer Synapsen
im Nervensystem
Varoqueaux, Frédérique
Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin, Göttingen
Abteilung – Molekulare Neurobiologie
Korrespondierender Autor
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Zusammenfassung
Die schnelle Signalübertragung zwischen Nervenzellen des Zentralnervensystems erfolgt an erregenden und hemmenden Synapsen. Zuverlässigkeit und Effizienz der synaptischen Übertragung
basieren auf dem korrekten molekularen Aufbau von Synapsen, der durch ein reguliertes Zusammenspiel von Adhäsions-, Gerüst-, Rezeptor- und Signalproteinen gewährleistet wird. Postsynaptische
Adhäsionsproteine der Neuroligin-Familie sind als Schlüssel-Regulatoren während der Ausbildung
erregender glutamaterger Synapsen bekannt. Neueste Erkenntnisse zeigen, dass Neuroligine auch die
Entstehung hemmender GABAerger und glycinerger Synapsen steuern.
Abstract
Fast neuronal communication in the central nervous system takes place at excitatory and inhibitory
synapses. The accuracy and efficiency of synaptic transmission rely on the proper assembly of specific
adhesion, scaffold, receptor, and signaling proteins. Postsynaptic adhesion proteins of the Neuroligin
family were identified as key regulators of this assembly process at excitatory glutamatergic synapses.
Recent studies showed that Neuroligins also regulate the formation of GABAergic and glycinergic
synapses. Thus, Neuroligins are essential regulators of synaptogenesis at all fast synapses in the
central nervous system.
Einführung
Als Synaptogenese bezeichnet man die Entstehung und Reifung funktioneller Synapsen zwischen den
Nervenzellen. Dieser Prozess ist von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung neuronaler
Netzwerke im Gehirn. Synapsen sind asymmetrische Kontaktstellen zwischen Nervenzellen, die auf
eine zeitlich und räumlich exakte Signalübertragung ausgelegt sind. Die Signalübertragung an Synapsen wird durch die Ausschüttung von Neurotransmittern in den synaptischen Spalt initiiert, wobei mit
Transmitter gefüllte kleine synaptische Vesikel mit einem spezialisierten Bereich der präsynaptischen
Membran, der „Aktiven Zone“, fusionieren. Freigesetzte Neurotransmitter werden dann von spezifischen Rezeptoren in der gegenüberliegenden postsynaptischen Membran gebunden und verändern
den physiologischen Status der postsynaptischen Zelle, was zur Weiterleitung des synaptischen
Signals führt. Die Neurotransmitter-Rezeptoren sind Teil eines komplexen Proteinnetzwerkes in der
postsynaptischen Membran, das als „Postsynaptic Density“ oder PSD bezeichnet wird (Abb. 1).
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Abb. 1: Zellbiologie der Synaptogenese
Die Entstehung von Synapsen (Synaptogenese) erfolgt in zwei Schritten. Zunächst muss der Wachstumskegel
eines auswachsenden Axons die richtige Zielzelle erkennen. Nach der Ausbildung des ersten Kontakts zwischen
Axon und Zielzelle erfolgt ein Reifungsprozess, in dem alle wichtigen prä- und postsynaptischen Proteine und
Organellen an die Synapse rekrutiert werden. Erregende und hemmende Synapsen unterscheiden sich besonders in der Zusammensetzung ihrer postsynaptischen Kompartimente.
Urheber: Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin/Varoqueaux
Es wird vermutet, dass Adhäsionsproteine maßgeblich an den molekularen Prozessen der Synapsenbildung beteiligt sind, insbesondere bei der Initiation des ersten Kontakts eines axonalen Wachstumskegels mit der Zielmembran und bei der anschließenden Reifung und Konsolidierung der Synapse
durch Rekrutierung spezifischer Proteine in das jeweilige prä- und postsynaptische Kompartiment.
Neuroligine sind postsynaptische Adhäsionsproteine, die durch direkte Interaktion mit präsynaptischen Adhäsionsproteinen der Neurexin-Familie prä- und postsynaptische Proteinnetzwerke miteinander verbinden. Die Neuroligin-Neurexin-Interaktion erfolgt durch die Bindung der jeweiligen
extrazellulären Bereiche der beiden heterologen Adhäsionsproteine. Obwohl sich die molekularen
Eigenschaften und Bestandteile erregender und hemmender Synapsen teilweise sehr unterscheiden,
dient das von Neuroliginen und Neurexinen gebildete heterotypische Adhäsionssystem als Organisator beider Typen von Synapsen. Während die molekularen Grundlagen der Funktion von Neuroliginen in erregenden Synapsen weitgehend bekannt sind, blieben die der Neuroligin-Funktion an
inhibitorischen Synapsen zu Grunde liegenden molekularen Mechanismen bislang allerdings unklar.
Die Struktur der Neuroligine
Das Maus-Genom enthält vier Neuroligin-Gene (Nlgn1 bis Nlgn4). Neuroligine sind Typ-1-Transmembranproteine mit einer großen extrazellulären Domäne, die Ähnlichkeiten zur Acetylcholinesterase aufweist, aber enzymatisch inaktiv ist. Es wird derzeit angenommen, dass verschiedene
Spleißvarianten der extrazellulären Domäne von Neuroliginen spezifisch mit verschiedenen NeurexinSpleißvarianten interagieren können. Neuroligine besitzen eine kurze intrazelluläre Domäne, die
am C-terminalen Ende ein konserviertes Motiv für die Interaktion mit PDZ-Domänen enthaltenden
Proteinen aufweist (Abb. 2; [1]).
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Abb. 2: Neuroligine
Oben: Neuroligine bestehen aus einer extrazellulären Domäne (EZD), die Ähnlichkeit mit Serin-Esterasen hat,
aber nicht katalytisch aktiv ist, einer Transmembrandomäne (TMD) und einer intrazellulären Domäne (IZD).
Die EZD enthält zwei alternativ gespleißte Regionen (A, B). Unten: Die Sequenz der IZD enthält Bindungsstellen für Gephyrin (Gephyrin-BM) und PDZ-Domänen (PDZ-BM).
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Gerüstproteine erregender Postsynapsen (MAGUKs, MAGIs, u.a. PSD-95) enthalten eine Reihe
solcher PDZ-Domänen. Weil diese PDZ-Domänen-Proteine wiederum direkt mit postsynaptischen
Rezeptoren, Ionenkanälen und anderen Signalproteinen interagieren, können Neuroligine indirekt
Einfluss auf die Zusammensetzung des postsynaptischen Proteinnetzwerkes ausüben. An hemmenden
Synapsen sind solche durch PDZ-Domänen vermittelten Interaktionen offenbar nicht von Bedeutung.
Neuroligin-Verteilung im Gehirn
In vivo ist Neuroligin-1 hauptsächlich in erregenden Synapsen zu finden, während Neuroligin-2
zumeist nur in inhibitorischen GABAergen und glycinergen Postsynapsen anzutreffen ist
(Abb. 3; [2]).
Abb. 3: Neuroligin-2 in inhibitorischen Synapsen
Mithilfe von Immunfluoreszenzfärbungen an Schnittpräparaten des Kleinhirns kann man nachweisen, dass
Neuroligin-2 (rot) mit VIAAT (grün, rechts), einem Markerprotein inhibitorischer Synapsen, kolokalisiert, nicht
aber mit VGluT1 (grün, links), einem Markerprotein erregender Synapsen.
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Die Verteilung der beiden übrigen Neuroligin-Isoformen ist bislang noch nicht im Gehirn studiert
worden. In Primärkulturen von Neuronen, die aus dem Hippocampus gewonnen wurden, findet man
Neuroligin-3 sowohl in erregenden als auch in hemmenden Postsynapsen. Weitere In-vitro-Untersuchungen lassen auf eine bevorzugte Lokalisierung von Neuroligin-4 in erregenden Synapsen schließen.
Funktionelle Konsequenzen der Neuroligin-Deletion in Mäusen
Während der Gehirnentwicklung kann man eine ansteigende Expression von allen Neuroliginen
beobachten, wobei Neuroligin-4 während aller Entwicklungsphasen weniger stark exprimiert wird als
die übrigen drei Isoformen. Die genetische Elimination der drei häufigeren Neuroligin-Isoformen
in der Maus (Neuroligin-1, Neuroligin-2 und Neuroligin-3) hat dramatische Konsequenzen für die
Gehirnfunktion. Entsprechende dreifach-deletionsmutante Mäuse (NL-TKOs) sterben schon wenige
Stunden nach der Geburt aufgrund einer komplexen synaptischen Fehlfunktion [3] insbesondere
im Atmungszentrum des Hirnstamms. Morphologische Untersuchungen zeigten, dass Synapsen in
NL-TKOs zwar noch in normaler Anzahl angelegt werden, deren Reifung jedoch stark behindert ist.
Weiterhin ist das ausbalancierte Zusammenspiel zwischen erregender und hemmender Neurotransmission, das für eine normale Funktionsfähigkeit des Gehirns notwendig ist, in NL-TKOs gestört [3].
Ursprünglich war vermutet worden, dass Neuroligine bereits bei der Initiation der Ausbildung von
Synapsen eine wichtige Rolle spielen. Im Gegensatz dazu hat die Analyse der NL-TKOs gezeigt, dass
Neuroligine nicht die Initialphase der Synaptogenese, sondern vielmehr die Reifung von Synapsen
regulieren und so für eine funktionierende Signalübertragung zwischen Nervenzellen sorgen.
Im Gegensatz zu NL-TKOs leben und vermehren sich Neuroligin-2-defiziente Mäuse genauso wie
ihre Wildtyp-Geschwister. Allerdings ergab eine detaillierte Analyse dieser Mutanten, dass Neuroligin-2 für die hemmende Neurotransmission von wesentlicher Bedeutung ist. Elektrophysiologische
Untersuchungen am Stammhirn von Neuroligin-2-defizienten Mäusen zeigten klare und spezifische
Defizite in GABAergen und glycinergen Synapsen, d.h. in allen inhibitorischen Synapsentypen.
Begleitende biochemische Untersuchungen weisen darauf hin, dass diese Defizite auf eine erniedrigte
Anzahl funktioneller GABA- und Glyzinrezeptoren an der Oberfläche hemmender Synapsen zurückzuführen ist [4].
Molekulare Grundlagen der Neuroligin-2-Funktion an hemmenden Postsynapsen
Jüngst haben wir im Rahmen einer Suche nach möglichen Interaktionspartnern des intrazellulären
C-Terminus von Neuroligin-2 mit Gephyrin ein Protein identifiziert, das für die funktionelle Rolle von
Neuroligin-2 an inhibitorischen Synapsen eine wesentliche Rolle spielen könnte [4]. Gephyrin ist
das einzige bekannte Gerüstprotein hemmender Synapsen und dort für die Rekrutierung von GABAund Glycinrezeptoren essentiell. Die Bedeutung der Interaktion von Neuroligin-2 mit Gephyrin wird
durch die auf GABAerge und glycinerge Synapsen beschränkten phänotypischen Veränderungen in
Neuroligin-2-defizienten Mäusen untermauert. Überraschenderweise enthalten jedoch alle NeuroliginIsoformen die Aminosäuresequenz, die für die Gephyrinbindung zuständig ist (Gephyrin BM, Abb. 2;
[4]), sodass dieses Sequenzmotiv nicht allein für die Sortierung der verschiedenen Neuroligin-Isoformen
in verschiedene Synapsen verantwortlich sein kann.
Neben Neuroligin-2 ist der GDP/GTP-Austauschfaktor Collybistin als wichtiger Interaktionspartner
von Gephyrin bekannt. In Koexpressionsexperimenten in heterologen Zellen wurde gezeigt, dass
Collybistin die Lokalisierung von Gephyrin entscheidend beeinflussen kann. Interessanterweise
konnte diese Aktivität bislang aber nur für Collybistin ohne SH3-Domäne nachgewiesen werden,
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obwohl der überwiegende Teil von Collybistin im Gehirn diese SH3-Domäne aufweist. Es war also
bislang unbekannt, welcher Faktor das native Collybistin aktivieren könnte. Wir fanden nun, dass die
Anwesenheit von Neuroligin-2 zur Umverteilung von Gephyrin führt, wenn gleichzeitig Collybistin
(mit oder ohne SH3-Domäne) anwesend ist (Abb. 4; [4]).
Abb. 4: Neuroligin-2 bindet Gephyrin und aktiviert Collybistin
A: Werden lediglich Neuroligin-2 und Gephyrin in Fibroblasten exprimiert, findet man Gephyrin in intrazellulären Aggregaten (rote Pfeile). B: Zusätzliche Koexpression von ständig aktivem Collybistin (ohne SH3Domäne) führt zu einer Rekrutierung aller drei Proteine an die Zelloberfläche (rote Pfeilspitzen). C: Natives
Collybistin (mit SH3-Domäne) besitzt diese Fähigkeit nicht. D. Die zusätzliche Koexpression von Neuroligin-2
wirkt aktivierend auf die Interaktion von Gephyrin und nativem Collybistin, und erlaubt die Ausbildung von
oberflächlichen Mikroaggregaten (rote Pfeilspitzen).
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Zusammenfassung
Die verschiedenen Neuroligin-Isoformen sind spezifisch in verschiedenen postsynaptischen Membranen lokalisiert. Während Neuroligin-1, Neuroligin-3 und Neuroligin-4 hauptsächlich in erregenden
Postsynapsen angetroffen werden, wo sie mittels ihres PDZ-Domänen-Bindungsmotivs mit Gerüstproteinen dieses Synapsentyps interagieren und somit entscheidend für den funktionellen Aufbau
dieser Synapsen sind, befindet sich Neuroligin-2 hauptsächlich in hemmenden Synapsen. Dort kann es
direkt mit dem Gerüstprotein Gephyrin und dem GTP/GDP-Austauschfaktor Collybistin interagieren.
Gephyrin organisiert die Rekrutierung von GABA- und Glycinrezeptoren an hemmenden Synapsen.
Die Befunde der Wissenschaftler am MPI für experimentelle Medizin zeigen, dass Neuroligin-2 einen
entscheidenden Beitrag zur molekularen Organisation des Proteinnetzwerkes in hemmenden Postsynapsen leistet.
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Abb. 5: Modell der Funktion von Neuroligin-2 an hemmenden Synapsen
Neuroligine können durch zwei Bindungsmotive differentiell mit Gerüstproteinen erregender und hemmender
Synapsen interagieren und steuern so deren strukturelle und funktionelle Reifung. Im Falle hemmender
Synapsen koordiniert ein Komplex aus Neuroligin-2, Gephyrin und Collybistin die Rekrutierung von GABAund Glycinrezeptoren an die postsynaptische Membran.
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Die Wissenschaftler schlagen ein Modell vor (Abb. 5; [4]), demzufolge Neuroligine durch zwei
Bindungsmotive differentiell mit Gerüstproteinen erregender und hemmender Synapsen interagieren
können und so deren strukturelle und funktionelle Reifung steuern. Im Falle hemmender Synapsen
koordiniert ein Komplex aus Neuroligin-2, Gephyrin und Collybistin die Rekrutierung von GABAund Glycinrezeptoren an die postsynaptische Membran.
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Literaturhinweise
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The complexity of PDZ domain-mediated interactions at glutamatergic synapses:
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[2] F. Varoqueaux, S. Jamain, N. Brose:
Neuroligin 2 is exclusively localized to inhibitory synapses.
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[3] F. Varoqueaux, G. Aramuni, R. L. Rawson, R. Mohrmann, M. Missler, K. Gottmann, W. Zhang,
T. C. Südhof, N. Brose:
Neuroligins are essential for synapse function but not for initial synapse formation.
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[4] A. Poulopoulos, G. Aramuni, G. Meyer, T. Soykan, M. Hoon, T. Papadopoulos, M. Zhang,
I. Paarmann, C. Fuchs, K. Harvey, P. Jedlicka, S. Schwarzacher, H. Betz, R. J. Harvey, N. Brose,
W. Zhang, F. Varoqueaux:
Neuroligin 2 drives postsynaptic assembly at perisomatic inhibitory synapses through gephyrin
and collybistin.
Neuron 63, 628–642 (2009).
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