FALLBERICHTE 212 Schmerzlose Knoten, langsame Grössenzunahme Skrotale Kalzinose Jan Janzen a , Robert Schneider b , Reto Nagel c a Histopathologie an der Klinik Hohmad Thun; b Urologie an der Klinik Hohmad Thun; c Allgemeine Medizin Thun Fallbericht dehntes Atherom gedacht. Lateral des Hauptbefundes fielen zwei kleinere Satellitentumoren auf. Eine In der Sprechstunde stellte sich ein 47-jähriger Patient topographische Beziehung der Skrotalveränderun- mit multiplen schmerzlosen Knoten in der Skrotal- gen zum Hoden und Nebenhoden war nicht nach- haut vor. weisbar. Die Hoden und Nebenhoden waren sowohl palpatorisch als auch in der sonographischen Bild­ Anamnese gebung unauffällig und eindeutig vom Tumor ab- Dem Patienten waren die schmerzlosen Knoten in grenzbar. Laboranalytisch gab es keine relevanten der Skrotalhaut seit mehreren Jahren bekannt. Er pathologischen Befunde, insbesondere waren die ­b erichtete über eine langsame Grössenzunahme; Kalzium- und Phosphatwerte im Normbereich. Auf- ­gelegentlich habe sich zudem bröckeliger grauweis­ grund der Tumorgrösse und zum Malignitätsaus- ser Inhalt entleert. schluss wurde die operative Entfernung vorgenom- Anamnestisch besteht ein Status nach Ulcus duodeni men. Intraoperativ stellten sich die Befunde als 1995 mit Helicobacter pylori-Nachweis; nach erfolgrei- ausgedehnte knotige, zum Teil trauben­a rtig konfluie- cher Eradikationsbehandlung beschwerdefrei. Als Ne- rende subkutane Tumoren der Skrotalhaut dar. Die bendiagnosen sind eine Hypertonie sowie Status nach Tunica dartos war nicht durchbrochen. Die Tumoren lumboradikulärem Reizsyndrom L4 links bekannt. wurden exstirpiert und in eine 4%ige Formalin­ Keine Allergien. Unauffällige Familienanamnese. lösung gebracht. Befunde Histopathologie In der klinischen Untersuchung fand sich in der Übersandt wurden drei Gewebeproben: 50 × 40 × ­Medianlinie des Skrotums ein ca. 5 cm in der grössten 30 mm, 20 × 12 × 10 mm und 10 × 10 × 8 mm mit ­einem Ausdehnung messender derber, unregelmässiger, in- Gesamtgewicht von 54 g. Die jeweiligen Schnittflächen dolenter Tumor. Vordergründig wurde an ein ausge- waren gelbbraun bis weisslich; landkartenähnliche A B * * * * * Abbildungen 1A, B: Makroskopische Aspekte der skrotalen Kalzinose: grauweisse erhabene, zum Teil konfluierende Tumoren im Skrotum (Pfeile) mit gelb-weisslichen subkutan ­lokalisierten Arealen (Sterne). SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(9):212–214 FALLBERICHTE 213 ­Tumorareale fielen auf (Abb. 1). Das Material wurde per Strukturen (anorganische Kristalle) ausgeschlos- eingebettet, aufgestuft und angefärbt. In den lichtmi- sen; nur die Kollagenfaserbündel in der Umgebung kroskopischen Untersuchungen wurde subepitheliales der Einlagerungen kamen zum Vorschein. Epithelreste amorphes Material im Sinne einer diffusen Kalzinose bzw. Zystenanteile stellten sich weder in den Stan- nachgewiesen. Die wellenförmig angelegte Skrotal- dardfärbungen noch in der Immunhistochemie (Pan- haut zeigte keine Schichtungsstörungen, keinen Mor- zytokeratinmarker) dar. In der Peripherie der Tumoren bus Bowen, kein Platten­epithel­karzinom. Die Epider- waren vereinzelte Fremdkörpergranulome nachweis- mis des Skrotums stand nicht mit den Tumoren in bar (Abb. 2, 3). Verbindung. In der durchgeführten Polarisationsmikroskopie als spezielle Variante der Lichtmikroskopie Diagnose wurde die Anwesenheit doppelbrechender, anisotro- Mehrknotige skrotale Kalzinose, keine Malignität. A B C Abbildungen 2A, B, C: Mikroskopische Aspekte der skrotalen Kalzinose: eingedicktes Sekret (Pfeil), zellarme Zwischensubstanz (Pfeile), u ­ nterschiedlich grosse Kalzinoseherde (Pfeile) (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, × 100). A B Abbildungen 3A, B: Subkutane amorphe, teilweise konfluierende Herde mit Kalzifikation (Pfeile) (Hämatoxylin-Eosin-Färbung, × 100). SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(9):212–214 FALLBERICHTE 214 Verlauf Diagnostische Überlappungen gibt es mit anderen Die Tumoren wurden im Gesunden exstirpiert. Kom- Kalzinosen, wie zum Beispiel dem Morbus Teutsch- plikationsloser postoperativer Verlauf bei Wund­ länder (tumoröse Kalzinose), einer orthopädischen heilung per primam intentionem. Bislang sind keine Erkrankung mit periartikulär nachweisbaren kalkhar- Rezidive aufgetreten. ten Karbonapatitablagerungen. Über eine Kalzinose wurde auch am Penis und am äusseren weiblichen Genitale (Vulva, Labien) berichtet [14, 15]. Diskussion Bei der skrotalen Kalzinose (SK) handelt es sich um eine relativ seltene gutartige Erkrankung [1–5]. Fazit Ungewöhnlich ist in unserem Fall die beträchtliche Im geschilderten Fall handelt es sich um eine unge- Grösse des Konglomerattumors von 8 cm, passend zur wöhnlich grosse, konfluierende skrotale Kalzinose dokumentierten langjährigen Anamnese. Meistens mit einem Durchmesser von 8 cm. Abhängig von der sind die Herde bei der SK kleiner als 1 cm, vereinzelt fin- Tumorgrösse ist die vollständige Exstirpation das den sich Literaturangaben mit Durchmessern von 3 cm. Mittel der Wahl. Differentialdiagnostisch sollte eine metastatische Calcinosis cutis im Rahmen einer Niereninsuffizienz berücksichtigt werden. Dies war bei unserem Patienten nicht der Fall. Auch die Kalzium- und Phosphatwerte lagen im Normbereich. Zur Ätiologie der skrotalen Kalzinose gibt es verschiedene Theorien [6–11]: Höchstwahrscheinlich liegt eine erworbene Ätiologie nach Okklusion ortsständiger apokriner, ekkriner oder auch Misch-Schweissdrüsen der Skrotalhaut zugrunde. Durch eingedicktes Sekret kommt es zu einer zystischen Dilatation des vorgelagerten Ausführungsganges mit nachfolgender Destruktion der Epithel­ auskleidung und riesenzellhaltiger entzündlicher Reaktion. Anschliessend tritt eine Vernarbung und Verkalkung auf, das amorphe Material konfluiert und bildet die makroskopisch charakteristischen Knoten. Bei unserem Patienten wurden im Operationspräparat keine Epithelreste nachgewiesen. Savin berichtete in seiner Dissertation über den Nachweis von Epithel­ resten bei nur 4 von insgesamt 54 untersuchten Pa­ tienten [12]. Ätiologisch weist er zudem auf Mikrotraumen und eine gestörte Schweissabgabe beim Tragen enganliegender bzw. einschnürender Kleidung hin [13]. Auch wir favorisieren diesen Pathomechanismus und möchten hinzufügen, dass die spezifische MateKorrespondenz: Dr. med. Jan Janzen, MPhil Histopathologie an der Klinik Hohmad CH-3600 Thun info[at]janlab.ch rialzusammensetzung der Kleidung (nicht atmungsaktiv) eine Okklusion/Obliteration unterstützen kann. Zudem ist nachvollziehbar, dass bei zusätzlich bestehender mangelhafter Hygiene dieser Körper­ region die Pathogenese beeinflusst wird. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2015;15(9):212–214 Finanzierung / Interessenkonflikte Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbin­ dungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert. Literatur 1 Fisher BK, Dvoretzky I. Idiopathic calcinosis of the scrotum. Arch dermatol. 1978;114:957. 2 Pak K, Kim CJ, Konishi T, et al. Idiopathic calcinosis of the scrotum. Jpn J Urol. 1988;79:339. 3 Shapiro I, Platt N, Torres-Rodriguez VM. Idiopathic calcinosis of the scrotum. Arch dermatol. 1970;102:199. 4 Song DH, Lee KH, Kang WH. Idiopathic calcinosis of the scrotum: Histopathologic observations of fifty-one nodules. J Am Acad Dermatol. 1988;19:1095. 5 Theuvenet WJ, Nolthenius-Puytaert T, Juraha G, et al. Massive deformation of the scrotal wall by idiopathic calcinosis of the scrotum. Plast Reconstr Surg. 1984;74:539. 6 Fuzesi I, Hollweg G, Lagrange W, et al. Idiopathic calcinosis of the scrotum: Scanning electron microscopic study with X-ray microanalysis Ultrastruct Pathol. 1991;15:167. 7 Polk P, McCutchen WT, Phillips G, et al. Polypoid scrotal calcinosis: An uncommon variant of scrotal calcinosis. South Med J. 1996;89:896. 8 Takayama H, Pak K, Tomoyoshi T. Electron microscopic study of mineral deposits in idiopathic calcinosis of the scrotum. J Urol. 1982;127:915. 9 Wright S, Navsaria H, Leigh IM. Idiopathic scrotal calcinosis is idiopathic. J Am Acad Dermatol. 1991;24:727. 10 Zamora S, Betkerur V, Giinan P, et al. Calcific dystrophy of scrotal skin. Br J Urol. 1982;54:198. 11 Akosa SB, Gilliand EA, Ali MH, et al. Idiopathic scrotal calcinosis: A possible aetology reaffirmed. Br J Plast Surg. 1989;42:324. 12 Savin S. Histopathologische Untersuchung zur Pathogenese der skrotalen Kalzinose. Inaugural-Dissertation, Würzburg; 2007. 13 Savin S. Persönliche Mitteilungen, Befunddiskussion 3. April 2014. 14 Ozcelik B, Serin IS, Basbug M, et al. Idiopathic calcinosis cutis of the vulva in an elderly woman. A case report J Reprod Med 2002;47(7):597–9. 15 Sanchez-Merino JM, Bouso-Montero M, Fernandez-Flores A, et al. Idiopathic calcinosis cutis of the penis. J Am Acad Dermatol. 2004;51: S118–9.