Weltweite Vielfalt der menschlichen Speichel-Mikroflora

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Populationsgenetik
Weltweite Vielfalt der menschlichen
Speichel-Mikroflora
DOMINIQUE QUINQUE, VANO NASIDZE, JING LI, MARK STONEKING
MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR EVOLUTIONÄRE ANTHROPOLOGIE, LEIPZIG
Erstmals wurde die Vielfalt der mikrobiellen Mundhöhlenflora in einer
weltweiten Studie detailliert untersucht. Die partielle Sequenzierung des
bakteriellen rRNA-Gens gibt neue Aufschlüsse über die normale Bandbreite der mikrobiellen Flora.
The microbial variation in the human oral cavity was investigated in a
detailed worldwide study. Partial sequencing of a bacterial RNA gene provides new insights into the normal variation of the salivary microbiome.
ó Viele molekularbiologische Analysen zeigen eine enorme Vielfalt der Mikroflora in
der menschlichen Mundhöhle. So wurden
mehr als 600 verschiedene Bakterienarten in
der Mundhöhle nachgewiesen [1]. Da der
Fokus dieser Untersuchungen vorwiegend auf
der Identifizierung von Krankheitserregern
lag, gibt es bisher nur begrenzte Informationen über die normale Variation der mikrobiellen Mundhöhlenflora gesunder Probanden. Unsere Studie ist die erste detaillierte
Untersuchung zur globalen Vielfalt der normalen Mikroflora in der menschlichen Mundhöhle [2].
Dessau/Leipzig,
Deutschland
Die Mundhöhle gilt als Eintrittspforte für
Bakterien in den menschlichen Körper, sodass
wichtige Interaktionen zwischen der Speichel-Mikroflora und anderen Mikrobiomen
des menschlichen Körpers, insbesondere dem
Intestinaltrakt, bestehen können. Um die Rolle der Bakterien bei Erkrankungen vollständig zu verstehen, sind weitere Erkenntnisse
zur Vielfalt und Zusammensetzung der Speichel-Mikroflora nötig. Ein weiterer Grund für
die Erforschung der Bakterienflora im
menschlichen Speichel ist die Tatsache, dass
Speichel eine bevorzugte Quelle von menschlicher DNA als Grundlage für epidemiologi-
Warschau,
Polen
Ankara,
Türkei
Oakland,
Kalifornien
Batumi,
Georgien
Shanghai,
China
Baton Rouge,
Louisiana
Surigao,
Philippinen
La Paz, Bolivien
Buenos Aires,
Argentinien
Pointe Noire,
Kongo
Johannesburg,
Südafrika
˚ Abb. 1: Karte mit Orten der Probenentnahme. Jeweils zehn Speichelproben wurden an
12 Orten gesammelt; insgesamt wurden 120 Proben analysiert.
BIOspektrum | 07.09 | 15. Jahrgang
sche und populationsgenetische Untersuchungen darstellt.
Verschiedene Studien haben gezeigt, dass
Bakterien mit dem Menschen ko-evolvieren.
So weist z. B. das Variationsmuster des
Magenbakteriums Helicobacter pylori eine
enge Korrelation mit der weltweiten Migration des Menschen auf, die auf Analysen von
humanen DNA-Variationen basieren [3]. Darüber hinaus zeigte sich, dass sich zwei ethnische Gruppen, die sich nicht auf der Basis
der herkömmlichen genetischen Marker
unterscheiden lassen, durch Variationen in
den H. pylori-Populationen voneinander
abgrenzen [4]. Da H. pylori-basierte Analysen
eine Magenbiopsie erfordern, wäre es von großem Vorteil, einen ähnlich informativen Keim
im menschlichen Speichel zu identifizieren.
Partielle Sequenzierung des
16S-rRNA-Gens von 120 Individuen
An zwei verschiedenen Orten in jeweils sechs
geografischen Regionen (Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Afrika) wurden Speichelproben von jeweils zehn Personen gesammelt (Abb. 1). Die Probanden durften nicht
aus demselben Haushalt stammen, den Ort
der Entnahme bis zwei Monate vor der Probensammlung nicht verlassen haben und zum
Zeitpunkt der Probenentnahme an keinen
offensichtlichen Zahnerkrankungen leiden.
Aus dem isolierten Erbgut wurde ein sehr
variabler Abschnitt des bakteriellen 16SrRNA-Gens vervielfältigt und kloniert. Die
Sequenzierung dieser Untereinheit der ribosomalen Nukleinsäure ist eine anerkannte
Methode zur Einordnung einer Art in den universellen Stammbaum des Lebens. Ungefähr
120 Klone wurden pro Individuum sequenziert. Nach dem Aussortieren von möglichen
Chimären und anderen Artefakten wurden
schließlich 14.115 Sequenzen für anschließende Analysen verwendet.
103 neue bakterielle Gattungen in der
Mundhöhle
Durch den Abgleich der Sequenzen mit der
RDPII-Datenbank, einem Datenspeicher, der
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W I S S E N SCH AFT
mittlerweile mehr als eine Million Sequenzen der ribosomalen Untereinheit enthält, ließen sich die Sequenzen 101 bekannten Bakteriengattungen zuordnen, von denen 39 bisher noch nicht in der Mundhöhle gefunden
wurden (Tab. 1).
1,8 Prozent der Sequenzen konnten in keine bekannte Gattung eingestuft werden. Die
unklassifizierten Sequenzen wurden mithilfe eines phylogenetischen Baums 64 Kladen
zugeordnet, die jeweils potenziell unbekannte Arten repräsentieren. So wurden in dieser
Studie etwa 103 bisher noch nicht aus der
Mundhöhle bekannte bakterielle Gattungen
identifiziert.
Tab. 1: Zusammenfassung der Verteilung der
Sequenzen und Gattungen der Speichel-Mikroflora.
Population
Anzahl der
Sequenzen
Anzahl der
Gattungen
Argentinien
1188
46
Bolivien
1221
43
Kalifornien
1182
39
Louisiana
1115
41
Deutschland
1155
43
Polen
1167
46
Georgien
1186
55
Keine geografische Strukturierung
Türkei
1145
45
Die Anzahl der Gattungen innerhalb der Individuen bewegte sich zwischen sechs und 30,
während die Anzahl der Gattungen pro Probenort von 39 bis 55 reichte. Einige Gattungen sind selten, während andere Gattungen
sehr häufig vorkommen. So fallen 22,7 Prozent aller Sequenzen auf die häufigste Gattung Streptococcus.
Ein Vergleich der Verteilung der Gattungen
ergab, dass Kalifornien mit 20,4 Prozent und
der Kongo mit 25,4 Prozent Variation die größten Unterschiede zwischen den Individuen
besitzen, während Georgien und die Türkei
mit jeweils 4,6 Prozent Variation den geringsten Unterschied aufweisen [2]. Obwohl die
genetische Struktur stark von geografischen
Gegebenheiten abhängt, zeigten multidimensionale Skalierungen, dass die Unterschiede in der Zusammensetzung der Gattungen zwischen Individuen des gleichen
Ortes größer sind als die der Individuen verschiedener Orte. Somit liegt keine geografische Strukturierung der Mundflora vor.
Zusätzlich wurde ein multivariater statistischer Test (UniFrac-Analyse) durchgeführt,
um mikrobielle Gemeinschaften in einem
phylogenetischen Kontext miteinander zu vergleichen [2]. Auch dieser Test zeigte keine
signifikante geografische Strukturierung der
Mikroflora des menschlichen Speichels.
Kongo
1178
42
Südafrika
1247
41
China
1149
49
Philippinen
1182
47
14115
101
Wenig Einfluss von Kultur und
Umwelt auf Speichelzusammensetzung
Wenngleich kein geografisches Muster zu
erkennen ist, gibt es doch bestimmte Gattungen, die in ihrer Häufigkeit von einem Ort
zum anderen charakteristisch variieren. Den
größten Unterschied in der Häufigkeitsverteilung weist Enterobacter auf, der 28 Prozent
der Sequenzen im Kongo repräsentiert, aber
Gesamt
Literatur
[1] Fabian TK, Fejerdy P, Csermely P (2008) Salivary genomics, transcriptomics, and proteomics: The emerging concept
of the oral ecosystem and their use in the early diagnosis of
cancer and other diseases. Cur Genomics 9:11–21
[2] Nasidze I, Li J, Quinque D et al. (2009) Global diversity in
the human salivary microbiome. Genome Res 19:636–43
[3] Falush D, Wirth T, Linz B et al. (2003) Traces of human
migrations in Heliocobacter pylori populations. Science
299:1582–1585
[4] Wirth T, Wang X, Linz B et al. (2004) Distinguishing
human ethnic groups by means of sequences from
Heliocobacter pylori: Lessons from Ladakh. Proc Natl Acad Sci
USA 101:4746–4751
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. Mark Stoneking
Max-Planck-Institut für evolutionäre
Anthropologie
Deutscher Platz 6
D-04103 Leipzig
Tel.: 0341-3550-502
Fax: 0341-3550-555
[email protected]
www.eva.mpg.de/genetics
AUTOREN
Vano Nasidze
in Kalifornien, China, Deutschland, Polen und
der Türkei gar nicht nachgewiesen werden
konnte.
Um den Einfluss von Umwelt und Kultur zu
untersuchen, wurde eine multivariate Regressionsanalyse durchgeführt, die die Beziehung
von möglichen Einflussfaktoren (Populationsgröße, Entfernung zum Äquator, durchschnittliche Jahrestemperatur und durchschnittlicher Jahresregenfall) zueinander darstellt. Auch die Variablen Alter und Geschlecht
wurden untersucht. Entgegen den Erwartungen ergaben sich in dieser Studie keine
Zusammenhänge zwischen der Mundhöhlenflora und umweltbedingten sowie kulturellen
Einflüssen. Als einzige signifikante Assoziation stellt sich der Abstand der untersuchten
Probanden zum Äquator dar [2]. Dieser scheinbare Zusammenhang sollte jedoch mit Vorsicht betrachtet werden, da erstens diese Assoziation vorwiegend durch den Kongo bestimmt
wird und zweitens viele andere Faktoren mit
dem Abstand zum Äquator variieren (z. B. UVIndex). Weitere Untersuchungen sind nötig,
um zu bestimmen, welche mit der Entfernung
zum Äquator korrelierenden Parameter für
diese Assoziation verantwortlich sind.
Unsere Studie bietet einen Ausgangspunkt
für weitere Untersuchungen über die Vielfalt
der Mundhöhlenflora sowie für die Erforschung des Einflusses von Umwelt, Ernährung
und Genetik auf diese Mikroorganismen. ó
1998 Promotion (Genetik), Tbilisi State University, Georgien.
1991 Promotion (Anthropologie), N. I. Vavilov Institute of
General Genetics, Moskau,
Russland. Seit 1999 Wissenschaftler am MPI für evolutionäre Anthropologie, Leipzig.
Dominique Quinque
1997–2000 Medizisch-technische Laboratoriumsassistenz,
Universität Halle. Dort 2001
Forschungsassistentin in der
Molekularen Gastroenterologischen Onkologie. Seit 2002
Forschungsassistentin am MPI
für evolutionäre Anthropologie, Leipzig.
Jing Li
2000–2003 M. S. (Computational Pharmaceutical Analysis), China Pharmaceutical
University, Nanjing, China.
Dort 2003–2006 Promotion
(Biophysik) und seit 2007
Postdoc, National Drug Screening Laboratory.
Mark Stoneking
1986 Promotion, University of
California, Berkeley, USA; dort
1986–1988 Postdoc. 1989–
1990 Associate Research
Scientist, Dept. of Human Genetics, Emeryville, California,
USA. 1990–1994 Assistant
Professor, Pennsylvania State
University; dort 1994–1998
Associate Professor of Anthropology. Seit 1999 Professor
am MPI für evolutionäre Anthropologie, Leipzig.
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