Sharon S. Brehm, Saul M. Kassin, Stephen Fein: Social Psychology

Werbung
Sharon S. Brehm, Saul M. Kassin, Stephen Fein:
Social Psychology
Zusammenfassung
Das vorliegende Skript ist eine Zusammenstellung der
relevantesten Inhalte der Ausgabe des o.a. Lehrbuchs von 2002.
Dieses Skript ersetzt nicht die Lektüre der Prüfungsliteratur. Der
Autor gibt keine Gewähr betreffend Vollständigkeit, sowie der
Richtigkeit der Inhalte und der Übersetzung (Am Rand ist Platz
für Anmerkungen!) Viel Spaß!
1 Introduction
Anmerkung: Die Darstellung der Kap.1 & 2 ist an manchen Stellen sehr knapp gehalten. Viel
Gelaber im Buch ;-)
Soziale Interaktionen und Beziehungen können uns deshalb beeinflussen, weil wir
ihnen so viel Bedeutung zumessen. Implizite, unausgesprochene Erwartungen
anderer bewirken verschiedene kontext- (personen-) abhängige Verhaltensweisen.
1.1 Was ist Sozialpsychologie?
1.1.1 Definition:
„Sozialpsychologie ist die wissenschaftliche Untersuchung davon, wie
Individuen im Hinblick auf andere denken, fühlen und sich verhalten und
davon, wie Gedanken, Gefühle und Verhalten von Individuen von
anderen beeinflusst werden.
„Die Sozialpsychologie beschreibt und erklärt die (realen oder
imaginären) Interaktionen zwischen Individuen sowie die Ursachen
(Bedürfnis) und Wirkungen dieser Interaktionen.“[aus: Herkner]
d.h. Sozialpsychologie geht mit wissenschaftlichen Methoden alle Probleme und
Themen an, die Individuen (Bsp. Soziologie beschreibt Institutionen) in sozialen
Kontexten betreffen.
1
Soziale Kontexte können real oder imaginär sein. Bsp Die Vorstellung von
positivem/negativem Feedback hat Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein von
Vpn
1.1.2 Die Macht der Situation: Ein soz.psych. Beispielexperiment:
Haben Reagans Witze ihm zur Präsidentschaft verholfen? Studie: VPn
schauen Präsidentschaftsdebatte an 1) mit Witzen, 2) ohne Witze, 3) mit
Witzen aber ohne Gelächter des Publikums. Schlechtestes Rating für
Reagan in Bedingung 3). Grund: Fehlende Reaktion des Publikums wird
als ablehnende Haltung ggü. Reagan interpretiert, diese beeinflusst die
Einstellung der VPn.
Ortsbestimmung, Abgrenzung…
…zur Soziologie: untersucht soziale Situationen auf Gruppenniveau, Interesse in
Institutionen.
…zur klinischen Psychologie: viele Überschneidungen: SP untersucht i.d.R.
allgemein gültige, als „normal“ geltende Gesetzmäßigkeiten, aber auch das
Verhalten von Personen mit psych. Krankheiten bei Interaktionen mit anderen
Individuen.
… zur Persönlichkeitspsychologie: In der PP ist von Interesse, inwiefern Individuen
in verschiedenen Situationen konsistent handeln bzw. inwiefern eine Situation bei
verschiedenen Individuen unterschiedliches Verhalten bewirkt. Die SP untersucht die
Auswirkungen von verschiedenen soz. Situationen auf Verhalten. SP und PP sind
hochgradig komplementär.
… zur Kognitiven Psychologie: SP untersucht in vielen Fällen das Denken, Lernen,
Erinnern etc., aber eben im sozialen Kontext.
1.1.3 Sozialpsychologie und Gesunder Menschenverstand:
Unterschied liegt in der wissenschaftlichen Methodik, mit deren Hilfe Alltagswissen
überprüft wird.
1.2 Geschichte der Sozialpsychologie
1880-1920: Geburt und Kindheit der SP
2
Triplett (1898): 1. SP-Experiment über Leistung von Radsportlern (gg. Die Uhr vs.
Mit Gegnern.
Ringelmann (1913): Schlechtere Einzelleistungen beim Tauziehen
Textbücher von McDougall (1908), Ross (1908) und Allport (1924): Experimentelle
Ansätze zur Erforschung sozialpsychologischer Phänomene geben dem Fachgebiet
seine heutige Gestalt.
1930-1950: Call to Action
NS-Regime, Völkermorde, Massengewalt… Erklärungsbedürfnis
Allport u.a. : „Society for the Psychological Study of Social Issues“
Sherif (1936): Forschung zu sozialem Einfluss auf Individuen.
Zentrale Prinzipien von Kurt Lewin (1935, 1947):
1) Was wir tun hängt zum Großteil davon ab, wie wir unsere
Umwelt wahrnehmen und interpretieren (Dieselbe Situation
kann interindividuell unterschiedlich bewertet werden)
2) Verhalten ist eine Funktion der Interaktion zwischen
Individuum und Umwelt. Sowohl interne als auch externe
Faktoren beeinflussen das Verhalten, vgl. Psychoanalyse –
individuozentriert & Behaviorismus – Emphase auf äußeren
Reizen. Interaktionistische Perspektive. Kombination
aus PP und SP
3) Sozialpsychologische Theorien sollten auf wichtige
praktische Sachverhalte angewandt werden. Durch eigene
Forschung motiviert (Essen, Arbeit und soziales Umfeld),
Grundlage
der
angewandten
Sozialpsychologie
(Gesetzgebung, ABO, Gesundheitspsychologie)
Tab. 1.3 ist eine interessante Zusammenfassung von Namen, Büchern und
Experimenten, die an späterer Stelle genauer beschrieben werden.
1960 bis Mitte 70er: Confidence and Crisis
Milgrams Experimente zum Gehorsam.
Expansion der Forschungsgebiete (Aggression, Attraktivität, Stress…)
Debatte Experimentelle vs. Nichtexperimentelle Forschung, Ethische Prinzipien für
die experimentelle Forschung werden diskutiert; siehe Kelman, Rosenthal u.a.
Mitte der 70er bis 90er: Pluralismus
Verbesserungen und Erweiterungen in der Methodik etabliert, ethische Prinzipien
festgelegt.
Wegen der großen Bandbreite an Forschungsthemen benötigt die SP eine Vielzahl
verschiedener Forschungstechniken. Verschiedene Forschungstechniken verringern
3
die Wahrscheinlichkeit von Forschungsergebnissen, die durch die angewandte
Methodik entstanden sind.
Forschungsschwerpunkte:
Motivation & Emotion vs. Kognition.
Multikulturelle Perspektiven:
Abwendung von „kulturgebundener“ , „monokultureller“ (nordamerikanischer) SP
und Hinwendung zur Ansicht, dass „universelle Phänomene“ kulturabhängig sein
können.
1.3 Sozialpsychologie in einem neuen Jahrhundert
1.3.1 Die Integration von Emotion, Motivation und Kognition:
Soziale Kognition = Die Untersuchung darüber, wie Menschen
Informationen über sich und andere wahrnehmen, erinnern und
interpretieren.
Sozial-kognitive Erklärungsansätze dominierten das letzte Viertel des 20. Jh. Erst in
den vergangenen Jahren wird die Rolle von Motivation und Emotion in der SP
wiederentdeckt (Einfluss von M&E auf unbewusste Prozesse).
Beispiel: Motivationskonflikt bei Entscheidungen über sich selbst und andere Motivation 1 =
richtige Entscheidung ; Motivation 2 = Entscheidung, die uns oder andere in ein bestimmtes Licht
stellt.
1.3.2 Biologische und evolutionäre Perspektiven:
Social Neuroscience = Untersuchung des wechselseitigen Einflusses
zwischen neuronalen und sozialen Prozessen. (Einsamkeit und
Hormonausschüttung, Geschlechtsunterschiede bei Stressreaktionen, Amygdalaaktivität
bei Ansicht von Gesichtern von Weißen/Schwarzen).
Verhaltensgenetik = Untersuchung von genetischen Einflüssen auf
Verhalten.
Evolutionäre Psychologie … zieht die Prinzipien der Evolutionslehre zur
Erklärung sozialpsychologischer Sachverhalte heran.
1.3.3 Soziokulturelle Perspektiven:
Cross-cultural Research: Theorien werden auf Universalität vs.
Kulturspezifität hin getestet. (Verhaltens-)Vergleich zwischen Menschen
verschiedener Kulturen.
4
Multicultural Research: Untersuchung von (ethnischen, Rassen-) Gruppen
innerhalb einer Kultur
Bsp.: - Kulturübergreifende Forschung stellt Unterschiede zwischen
individualistischen und kollektivistischen Kulturen dar
- Wie sinnvoll ist es, Geschlechterrollen/-differenzen ausschließlich in
patriarchalischen Gesellschaften zu untersuchen?
1.3.4 Neue Technologie
Funktionelle bildgebende Verfahren.
Verfeinerte Analysemethoden (Messung von Hormonspiegeln u.ä.).
Internet: Medium und Forschungsobjekt (als Interaktionsort) zugleich.
5
2 Doing Social Psychology Research
Das Methodenkapitel gibt einen kurzen Überblick über relevante Forschungsmethoden; sind
zwar wichtig, aber die wenigsten davon sind SP-spezifisch. Dementsprechend knapp fällt
auch die Darstellung der Inhalte des Kapitels aus.
2.1 Warum sollten Foschungsmethoden gelernt werden?
2.2 Ideen entwickeln: Der Beginn des Forschungsprozesses
2.2.1 Literaturrecherche
„Treeing“ = Über Literaturverweise über andere Artikel zu ganz anderen
Artikeln gelangen.
Folge intensiver LR: Präzisierung der Fragestellung, Verbesserung der
Operationalisierung, bessere Testbarkeit der Hypothesen.
2.2.2 Hypothesen und Theorien
„Eine Hypothese ist eine explizite, überprüfbare Vorhersage über die
Bedingungen, unter denen ein Ereignis auftreten wird.“
„Eine Theorie ist ein organisiertes Gefüge von Prinzipien, die zur
Erklärung von beobachteten Phänomenen benutzt werden.“
Alternative (Hammerl): „Eine Theorie
besteht aus einem Gefüge von Sätzen,
die nachprüfbar und kommunizierbar
sind, die in systematischer Beziehung
zueinander stehen und mit deren Hilfe
sich Phänomene ordnen und zukünftige
Ereignisse voraussagen lassen.“
6
Kriterien von Theorien:
Einfach
heit
Überprüf
barkeit
Übereinstim
mung mit den
Daten
Genreali
sierbarkeit
Fruchtbar
keit
2.2.3 Basic and Applied Research
Basic Research: Forschung, deren Ziel die Erweiterung des
Verständnisses des menschlichen Verhaltens ist. Oft realisiert
durch Hypothesentestung auf Grund von Theorien.
Applied Research: Forschung mit dem Ziel der Erweiterung des
Verständnisses von natürlich auftretenden Ereignissen und der
Lösung von praktischen Problemen.
BR und AR sind in der Sozialpsychologie eng miteinander verknüpft (siehe Lewin
Kap.1 „Prinzipien“ & Zitat „Nichts ist so praktisch wie eine gute Theorie“)
2.3 Ideen verfeinern: Definition und Messung von SozPsych. Variablen
2.3.1 Konzeptuelle Variablen und operationale Definitionen: Vom Abstrakten zum
Spezifischen
Konzeptuelle Variablen sind abstrakt (Bsp.: „Konformität“).
Operationale Definitionen stellen eine Konkretisierung der KVs dar,
die so gemessen oder manipuliert werden können. (Bsp.: „Rel.
Häufigkeit, mit der sich eine Person den Urteilen anderer anschließt“).
Ihre Validität kann mit Hilfe statistischer Verfahren überprüft werden.
7
Konstruktvalidität = Das Ausmaß in dem die im Experiment
angewandten Messverfahren die ihnen zu Grunde liegenden konzeptuellen
Variablen messen bzw. das Ausmaß, in dem die im Experiment
verwendeten Manipulationen die zu manipulierenden Variablen
tatsächlich manipulieren (Kurz: „Güte der Operationalisierung“).
2.3.2 Variablenmessung: Selbstberichte und Beaobachtungen
Selbstberichte: Bsp. „Rosenberg Self-Esteem Scale“ ist ein Set von Fragen, die
zusammen die Konzeptuelle Variable (s.o.) „Selbstbewusstsein“ messen. Da
Selbstberichte nicht immer genau und manchmal irreführend sind „bogus pipeline“
(VPs wird suggeriert, dass ein unfehlbarer Lügendetektor ihre Antworten analysiert).
Probleme:
Formulierungen (HIV und Kondome),
Kontext,
Abhängigkeit von der Skalierung (Fernsehexperiment),
Gedächtnisverzerrungen (je mehr Zeit vertrichen ist, desto ausgeprägter) kontrolliert durch
a) interval-contingent-self-reports
b) signal-contingent-self-reports
c) event-contingent-self-reports (RIR)
Beobachtung: B. von komplexem Verhalten macht oft “interrater
reliability” notwendig ( = Grad, in dem verschiedene unabhängige
Beobachter übereinstimmen).
Humane und maschinelle (Herzrate, Augenbewegungen,
Reaktionsmessung…) Beobachtung.
Kann von VP (dem Beobachteten) manipuliert werden, wenn diese über die
Beobachtung Bescheid weiß.
2.4 Ideen testen: Forschungs-Designs
2.4.1 Deskriptive Forschung: Trends und Tendenzen entdecken
Beschreibung von Gefühlen, Gedanken, Verhalten.
8
Beobachtungsstudien: mit versteckten Kameras o.ä., problematisch Ethik, „bias“
Archivstudien: Untersuchung von bereits existierenden Statistiken.
Vorteil: Keine Beeinflussung des Forschungsgegenstandes durch den
„Beobachter“.
Nachteil: Keine systematische Kontrolle der Quellen mögliche (Vollständigkeit,
Genauigkeit…). Meist gebraucht bei historischen oder kulturellen Trends.
Umfragen: persönlich, über Telefon, Post, Internet.
Vorteil: Eine Vielzahl von ansonsten nicht beobachtbaren (weil ethisch nicht
vertretbar) oder manipulierbaren Variablen kann erfasst werden. Wichtig ist
Selektion der Stichprobe:
Ähnlichkeit zur Population (Repräsentativität),
random sampling (jeder in der Population muss gleiche Chance haben, in die
Studie aufgenommen zu werden; randomisieren),
Größe der Stichprobe.
2.4.2 Korrelationsforschung: Assoziationen
Untersuchung der Beziehung zwischen Variablen. „Forschung, die die
Beziehung zwischen Variablen misst, die vom Forscher nicht
manipuliert werden.“
Korrelationskoeffizient: Misst Stärke und Richtung des Zusammenhangs zweier Variablen.
Korrelationen können concurrent (beide Variablen zeitlich simultan) oder prospektiv (mit
zeitlichem Abstand) erfasst werden.
Vorteile:
Beschreibung der Beziehungen natürlich vorkommender Variablen, die nicht experimentell
manipuliert werden können (Geschlecht, Alter…)
Umgeht im Experimentellen Bereich auftretende ethische Probleme.
Kann zur Vorhersage von Variablen genutzt werden.
Nachteil:
Keine Erfassung von Kausalzusammenhängen. AB, BA, CA&B
2.4.3 Experimente: Wirkung und Ursache
Durch Experimente können Kausalzusammenhänge erschlossen
werden. Charakteristisch für E´s sind Kontrolle über die
9
unabhängigen Variablen und die Störvariablen und zufällige
Verteilung (random sampling) der VPs auf die Bedingungen.
Labor-/Feldexperimente: Experimentelle Kontrolle über das Setting vs. natürlicheres
Verhalten in real-world-settings.
Interaktion: „Statistischer Ausdruck. Beschreibt die Veränderung des Effektes einer
unabhängigen Variable als Funktion anderer unabhängiger Variablen.“
Externe Validität
-
„Mundane Realism“: Der Grad der Ähnlichkeit der experimentellen Situation mit
Situationen in der realen Welt.
„Experimental Realism“: Der Grad in dem das experimentelle Setting die VPs dazu
veranlasst, sich natürlich und spontan zu verhalten (Konföderierte und Täuschung
erhöhen ER in der Regel)
2.4.4 Meta-Analysen: Kombination von Ergebnissen verschiedener Studien
Statistische Untersuchung und Kombination mehrerer Einzelstudien, um
Stärke und Reliabilität bestimmter Effekte zu messen.
10
3 The Social Self
Gliederung:
3.1 Selbstkonzept
3.2 Selbstbewusstsein
3.3 Selbstpräsentation
3.1 Selbstkonzept
=
Summe der Annahmen eines Individuums über seine
persönlichen Eigenschaften.
Besteht aus Selbstschemata – Annahmen über sich selbst, die
die Verarbeitung von selbstrelevanten Informationen steuern
(Bsp. „Ich bin übergewichtig“)
3.1.1 Anfänge des Selbstkonzepts
Gorillas, Schimpansen und Orang-Utans erkennen sich im Spiegel (bemerken nach
Anästhesie mit Hilfe eines Spiegels, dass ihnen ein roter Punkt auf die Stirn gemalt
wurde)
Kinder beginnen zwischen 18 und 24 Monaten, sich im Spiegel zu erkennen.
Das Selbstkonzept entsteht in zwei Schritten:
1) Dich als individuell erkennen
2) Soziale Faktoren einbeziehen: Die Vorstellung davon, was andere
über dich denken beeinflusst das Selbstkonzept
Demnach sind folgende Informationsquellen für ein Selbstkonzept denkbar:
1) Introspektion
2) Wahrnehmung des eigenen Verhaltens
3) Einfluss anderer
4) Autobiographische Erinnerungen
5) Kulturelle Faktoren
3.1.2 Introspektion
11
Entsteht das Selbstkonzept, indem man in sich hineinschaut, seine Gedanken,
Gefühle… analysiert? - Jein: Die Folgerung hieraus wäre, dass andere zum
Verständnis des eigenen Verhaltens die intimsten Gefühle und Gedanken kennen
müssten. Also: Introspektion kann Selbstkonzept generieren, dies ist aber
zweifelhaft und durch Experimente in Frage gestellt worden (ziemlich seltsame
Argumentation der Damen und Herren Autoren, pp.55/56). Hier die Experimente:
1)
Wilson´s (1977) Experiment (VPn können die Gründe für ihr eigenes
Verhalten nicht erklären) wirft unter anderem die Frage auf: Verbessert
Introspektion die Genauigkeit der Selbsterkenntnis?
Dazu Wilson (1985): Einstellungen von VPn korrespondieren mit ihrem
Verhalten. Werden die Vpn gebeten, die Gründe für ihre Einstellungen zu
analysieren, hören die Einstellungen auf, mit dem Verhalten zu
korrespondieren. Introspektion kann Selbsterkenntnis verschlechtern
2)
Millar (1989): Verbesserung/Verschlechterung der Selbsterkenntnis ist
domänenspezifisch:
Die Komponente des Selbst, die kognitiv-basiertes Verhalten (bsp:
wirtschaftliche Entscheidungen) enthält, kann durch die Suche nach
objektiven Gründen genauer erklärt werden.
Die Gefühlskomponente des Selbst dagegen kann nur durch Gefühle
genauer erklärt werden.
3)
Menschen haben Probleme mit affektiven Vorhersagen (Vorhersagen über
Gefühle in imaginären oder zukünftigen Situationen auf Grund von
Introspektion).
Gilbert & Wilson (2000): VPn zeigen durability bias in Bezug auf
emotionale Reaktionen in zukünftigen Situationen (Überschätzung der
Emotionsdauer), weil sie
1)Die selbsterhaltenden Mechanismen in negativen Situationen unterschätzen
und
2)Bei der Einschätzung keine Rücksicht auf andere Faktoren nehmen, die
ganz unabhängig von den negativen/positiven Situationen im Fokus auf den
„emotionalen Gesamtzustand“ einwirken.
3.1.3 Wahrnehmung des eigenen Verhaltens
„Wie soll ich wissen, was ich denke , bevor ich höre, was ich sage?!?“
Selbstwahrnehmungstheorie (Bem, 1972): Wenn sich „innere“ Hinweisreize nur
schwer interpretieren lassen, erreicht man Selbsterkenntnis durch
Beobachtung des eigenen Verhaltens und der Situation, in der das Verhalten
12
ausgeführt wird. (Ich hab so schnell gegessen, ich muss hungrig gewesen
sein)
Situation deshalb, weil man keine Rückschlüsse auf die eigene Person auf
Grund von Verhalten zieht, dass eher durch situative Umstände (Mama sagt:
“Iss den Spinat, sonst kriegst du keinen Nachtisch!“) erklärbar ist.
Jones (1981): VPn, die sich selbstbewusst beschreiben sollten, haben ein höhere
Punktzahl im späteren Selbstbewusstseinstest als VPn, die Bescheidenheit
zeigen sollten. Funktioniert auch mit Extrovertiertheit-Introvertiertheit.
Selbstwahrnehmung von Emotionen
Facial feedback Hypothese: Veränderungen der Mimik führen zu Veränderungen
der subjektiven Emotionsempfindung (= Gefühle).
Laird (1974)
Vps sehen Cartoons und machen vorher
UV: ein lächeldes oder finsteres gesicht
AV: sind Cartoons lustig? Und ist die Vp fröhlich?
Ergebnis: Vpn sind fröhlicher und finden die Cartoons witziger, wenn sie
vorher lächeln
Erklärung der FFH:
Veränderung der Mimik Selbstwahrnehmung Nach Bem´s Theorie
Erklärung auf Grund von Verhaltensbeobachtung Gefühl
Für die Selbstwahrnehmungstheorie spricht auch, dass VPn, die sich im
Spiegel sehen, während sie finstere oder heitere Gesichtsausdrücke
nachahmen, über intensivere Gefühle berichten.
Experimente zu Körperhaltung und Emotionserlebnis zeigen ähnliche Ergebnisse.
Selbstwahrnehmung von Motivation
Motivation kann intrinsisch (Interesse, Lust) oder extrinsisch (Geld, Noten,
Anerkennung) sein.
Ein Overjustification Effect liegt dann vor, wenn eine intrinsisch
motivierte Aktivität zusätzlich mit extrinsischen Motivationen
assoziiert wird. Dadurch kann die intrinsische Motivation verloren
gehen. Anschaulicher: Aus „Spiel“ wird „Arbeit“
Experiment: Lepper (1973)
Vorschulkindern werden bunte Filzstifte gegeben, ihre
anfängliche intrinsische Motivation wird durch die mit
den Stiften verbrachte Zeit gemessen. Die Kinder
wurden dann in 2 Gruppen aufgeteilt, den Gruppen
13
wurden unterschiedliche Instruktionen gegeben (UV):
„Malt was mit den Markern“ (Gruppe „No Reward“);
„Malt was und wenn ihr die Marker nehmt bekommt ihr
Belohnung“ („Expected Reward“); „Malt was.“ Wenn
fertig bekamen sie eine Belohnung („Unexpected
Reward“)
AV: Nach einer Woche wurde wie zu Beginn die
intrinsische Motivation gemessen (also in allen 3
Gruppen die mit den Stiften verbrachte Zeit ohne
Belohnung)
Kinder in der expected reward Gruppe verbrachten
weniger Zeit mit den Stiften extrinsische Motivation wird wichtiger overjustification effect
Experimente von Amabile (1996): Arbeiten Künstler gegen Bezahlung, werden ihre
Werke von Dritten schlechter eingeschätzt. Kreativität höher bei intrinsischer
Motivation
Einschränkungen des Overj.Eff.:
1) Nicht die Belohnung an sich ist ausschlaggebend fürs Umkippen der
Motivation, sondern die Wahrnehmung der Belohnung (Lob bedeutet
positives feedback und kann intrinsische Motivation vergrößern).
2) Es existieren große individuelle Unterschiede (manche brauchen eher
intrinsische Motivation, manche brauchen extrinsische)
3) Situationale Unterschiede? Nicht erwähnt, siehe aber Künstler, Hobbies
etc.
3.1.4 Einfluss Anderer
Das Selbst ist relativ, ein soziales Konstrukt abhängig
von anderen. Der soziale Kontext beeinflusst die
Selbstbeschreibung (bei einer Selbstbeschreibung
versucht man zunächst Merkmale zu betonen, in denen
man sich von anderen unterscheidet).
Leon FESTINGER (1954): „Theorie des Sozialen Vergleichs“:
Wenn man unsicher bezüglich eigenen Fähigkeiten oder Meinungen ist, evaluiert man
sein Selbst durch Vergleiche mit anderen.
Fragen: 1) Wann vergleicht man sich mit anderen?
2) Mit wem vergleicht man sich?
14
Zu 1) Sogar öfter, als Festinger vermutete. Experiment von Klein (1997):
Studenten sollten einen Kunst-Test absolvieren. Klein teilte die SP in 4 Gruppen und gab jeweils
unterschiedliches (falsches) feedback:
a) „60% korrekt (objektiv!), 20% besser als Durchschnitt (vergleichend!)“
b) „40% korrekt, 20% besser als Durchschnitt“
c) „60% korrekt, 20% schlechter als Durchschnitt“
d) „40% korrekt, 20% schlechter als Durchschnitt“
Ein späterer Selbsteinstufungstest zeigte, dass sich die Zufriedenheit über die eigene Leistung eher am
Vergleich mit anderen als am objektiven Ergebnis orientierte!
Zu 2) In der Regel vergleichen wir uns mit Menschen, die uns in wichtigen Attributen ähnlich sind.
Schachter (1962): „2-Faktoren-Theorie der Emotion“:
Emotionserfahrung beruht auf physiologischer Erregung und
kognitiver Interpretation.
Experiment: Einer Gruppe von VPn wird Adrenalin injiziert (erzeugt
physiologische Erregung), ein Konföderierter zeigt in Anwesenheit der
VP fröhliches oder ärgerliches Verhalten. Die VPn der AdrenalinGruppe passen sich diesem Verhalten eher an. Interpretation:
Unbestimmbare Erregung Sozialer Vergleich Attribution der
Erregung Emotion
3.1.5Autobiographische Erinnerungen
1) Ohne Erinnerungen kein kohärentes Selbstkonzept.
2) Das Verhältnis von Erinnerungen zum Selbstkonzept ist reziprok.
Man erinnert sich typischer Weise eher an kurz zurückliegende
Dinge, als an Dinge die lange vorbei sind. Ausnahmen:
Jugenderinnerungen (prägend) und „erste Male“ (Pillemer, 1996,
Collegestudenten sollen Ereignisse aus ihrem ersten Collegejahr
erzählen, die meisten wählen Ereignisse aus dem ersten Monat).
Erinnerungen sind unterschiedlich stark. Flashbulb Memories
(Brown & Kulik, 1977)sind autobiographische Erinnerungen von
Dingen, die mit bestimmten externen Ereignissen (JFK´s
Ermordung, 9-11) zeitlich assoziiert waren. Sie sind zwar nicht
genauer als andere Erinnerungen, stellen aber wichtige
Meilensteine in der Autobiographie dar.
15
[Aus Skript] PHÄNOMEN: Greenwald (1980):
egozentrischer Irrtum (SIEHE 2)Reziprozität)
Tendenz sich selber in der Hauptrolle bei Aktivitäten zu sehen (kein
Experiment erwähnt, siehe die Anhörung von John Dean in der Watergate-Affäre)
PHÄNOMEN: hindsight bias (SIEHE 2)
„knew it all along effect“
Interessante Anwendungen: Ist man von
anderen von einer Einstellung überzeugt
worden, so ist man oft der Meinung, diese
Einstellung schon vorher vertreten zu haben.
Elterngenerationen sind oft der Auffassung,
dass sie nachfolgende Generation nicht so
verantwortlich handelt wie sie selbst in dem
Alter basiert darauf, dass sie ihre
Einstellungen
nicht
als
verändert
wahrnehmen
knew-it-all-along,
Selbstkonzept beeinflusst die Erinnerungen
3.1.6 Kulturelle Perspektiven
Individualismus/Kollektivismus bestimmen unser Selbstkonzept und unsere Identität
Unabhängigkeit vs. Interdependenz
Einzigartige freie Entität vs. Teil eines sozialen Netzes
Persönliches Selbst vs. Kollektives Selbst
1. Experiment von Trafimow (1991): Nordamerikanische und
chinesische Studenten sollen „Who am I?“-Fragebogen
ausfüllen. Amerikaner schreiben mehr persönliche Sachen;
Chinesen mehr Dinge, die ihre Gruppenzugehörigkeit
repräsentieren.
2. Experiment von Trafimow (1997): Studenten aus Hong
Kong, die englisch als Zweitsprache sprechen, sollen den
„Who am I?“-Test auf englisch und auf chinesisch
ausfüllen. In der chinesischen Version werden
kollektivistische Merkmale eher betont! JEDER
MENSCH HAT INDIVIDUALISTISCHE UND
KOLLEKTIVISTISCHE ZÜGE; ABHÄNGIG VON DER
(KULTURELLEN) SITUATION.
16
Diese Unterschiede existieren auch zwischen Frauen und Männern. Männer sind in
unserem Kulturkreis eher individualistisch veranlagt als Frauen.
3.2 Selbstbewusstsein
… ist die affektive Komponente des Selbst. Es besteht aus den „eigenen“ positiven
und negativen Bewertungen des Selbst.
Selbstbewusstsein ist individuell und über die Zeit
hochgradig veränderbar. Selbst die Veränderbarkeit des
Selbstbewusstseins ist individuell unterschiedlich, sowie die
Emphase und die Wertigkeit (gut-schlecht) auf/von
einzelne(n) Persönlichkeitsmerkmale(n).
3.2.1 Warum brauchen wir Selbstbewusstsein?
Theorie 1: Leary & Baumeister (2000): Selbstbewusstsein als „Soziometer“, das
uns unseren Gruppenstatus und die Wertschätzung anderer anzeigt.
Theorie 2: Greenberg et al. (1997): Menschen wollen sich als wertvolle Mitglieder
der Gesellschaft sehen, um die Angst vor dem Tod zu überwinden. Experimente
belegen, dass positives feedback ( gesteigertes Selbstbewusstsein) die Angst vor
dem eigenen Tod mindert.
Hohes Selbstbewusstsein korreliert mit Glück,
Gesundheit, gesundem Schlaf u.a.
Menschen mit niedrigem Selbstbewusstsein sind
öfter niedergeschlagen, pessimistisch und
unerfolgreicher.
Teufelskreis des niedrigen Selbstbewusstseins:
Niedriges SB Negative Erwartungen geringe Anstrengung, hohe Angst
Versagen Selbstanklage (Attribution) Niedr. SB …
3.2.2 Einflüsse von Geschlecht, Rasse und Kultur
17
Geschlecht:
Kling (1999) metaanalysierte 216 Studien zu Geschlecht und SB. Ergebnis: Keine
großen Unterschiede, außer in der Adoleszenz und jungem Erwachsenenalter
(Männer: höheres SB)
Minderheiten:
Gray-Little & Hafdahl (2000): Metaanalyse zu Schwarz/Weiß x SB. Ergebnis:
Schwarze punkten höher (entgegen der Hypothese, dass sozioökonomische Nachteile
das SB mindern!). Erklärungen: eher Beschuldigung des „Systems“; oder:
stigmatisierte Minderheiten betonen in der Regel die guten Eigenschaften ihrer
Gruppe deutlicher.
Kultur:
Die Interaktion Kultur-SB ist schwierig zu messen. Ansätze:
1) Heine (1999): Nordamerikaner punkten in SB-Tests höher als Japaner. Frage:
Haben Asiaten ein niedrigeres SB oder präsentieren sie sich nur
bescheidener?
2) Greenwald & Farnham (2001): In einem (impliziten) Wort-AssoziationsExperiment assoziieren sich Asiaten ebenso häufig wie Nordamerikaner mit
positiven Wörtern ggü. negativen Wörtern.
Frage unbeantwortet
3.2.3 Selbstdiskrepanztheorie
Higgins (1989): Selbstbewusstsein wird durch die Diskrepanz Selbstbild –
Wunschselbstbild definiert.
Eigenexperiment: Verfasse 3 Listen mit je 10 Eigenschaften. Eine liste, die
dich selbst beschreibt (= SELBSTKONZEPT); eine die dich so beschreibt,
wie sein solltest (according to others) (= SELBSTRICHTLINIEN, PERS.
STANDARD); eine, die dein Wunschselbst beschreibt.
Diese Listen können als Vorhersage zum Grad deines Selbstbewusstseins
verwendet werden. Eine Diskrepanz des Selbstkonzepts zu den anderen
Listen hat negative Auswirkungen.
Dabei spielen 3 Faktoren eine Rolle:
1) Größe der Diskrepanz
2) Wichtigkeit der einzelnen Eigenschaften
3) Genereller, individueller Fokus auf diese Diskrepanzen
18
3.2.4 Die Selbst-Bewusstseins (-Kenntnis) - Falle
Man verbringt ungefähr 8% der Zeit damit, über das Selbst nachzudenken und ist
dabei meist unglücklich.
Theorie der Selbstaufmerksamkeit („self-awareness theory“) von WICKLUND
(1972): Personen sind normaler Weise nicht auf das Selbst fokussiert; Spezielle
Situationen (über sich selbst reden, in den Spiegel schauen, eine Videoaufzeichnung
von sich selbst ansehen) verursachen aber Selbst-Bewusstsein. Meist erkennt man
dabei eine negative Diskrepanz zwischen dem beobachteten Verhalten und
irgendeinem selbstgesetzten Standard. Schema des Selbstfokus und wie wir ihn
beenden können:
hoch
Personen mit
Hohem Selbstfokus
SelbstBewusstsein
Empfänglichkeit für
Selbstdiskrepanzen
Verhalten wird Standards
Angepasst („shape up“)
Erwartungen an die
Diskrepanzreduktion
Situationen, die
Selbstfokus erfordern
niedrig
„Shape up“:
Experiment von Beaman (1979): Halloween trick-or-treaters werden mit
einer BonBon-Schüssel allein gelassen und dürfen sich 1 Bonbon
nehmen. 34% nehmen sich mehr. Wenn ein Spiegel hinter der Schüssel
ist, nehmen sich nur 12% mehr Situation bewirkt Selbstfokus,
Anpassung an öffentliche Standards
Experiment
von
Macrae
(1998):
Vpn
verwenden
in
Personenbeschreibungen weniger Stereotype, wenn sie sich im Spiegel
sehen.
„Ship Out“:
Baumeister (1991): Drogen, sexueller Masochismus, spirituelle
Ekstase, Frustessen, Selbstmord sind Wege, um dem Selbstfokus
infolge niedriger Erwartung an die Möglichkeit einer
Diskrepanzreduktion zu entfliehen.
Hull (1983): IQ-Test mit negativem Feedback. Danach Weinprobe,
AV: wieviel trinken die VPn? Personen mit hohem Selbstfokus
trinken mehr. Hull (1986) Trauriger Weise bewahrheitet sich dieser
Befund auch in der Praxis: Alkoholismus-Rückfälle sind am
19
Selbstfokus
wird beendet
(„ship out“)
wahrscheinlichsten bei der Kombination
Selbstfokus
Stress x hoher
Steele (1990): Alkohol vermindert die Diskrepanz zwischen
Selbstkonzept und Wunschselbst zusätzlich zum „ship-out“Effekt
„private
self-consciousness“
bezeichnet
die
Persönlichkeitseigenschaft, zur Introspektion zu
neigen und damit Selbstdiskrepanzen relativ zu
eigenen Standards zu reduzieren. „Public selfconsciousness“
dagegen
bezeichnet
die
Persönlichkeitseigenschaft, den Fokus auf die Sicht
anderer des Selbst zu legen und damit bei Erkennen
einer Selbstdiskrepanz das Verhalten an sozialen
Normen zu orientieren.
„Selbstfokussierte Aufmerksamkeit kann jemanden dazu motivieren, sein Verhalten
zu kontrollieren und es an persönliche oder gesellschaftliche Normen anzupassen.“
3.2.5 Grenzen der Selbstregulation
Selbstregulation bezeichnet all die Prozesse, die nötig
sind, um unser Verhalten zu kontrollieren oder zu
ändern.
THEORIE von Muraven & Baumeister (2000): Selbstkontrolle ist eine begrenzte
Ressource aus einer einzigen Quelle.
Funktioniert ähnlich wie ein Muskel: Ist die Kraft zur Selbstkontrolle
erschöpft, ist es sehr schwer, sich zu beherrschen (Auslöser egal!). D.h.
morgens aufstehen, dann auch noch in die Uni gehen, in der Mensa dem
Brechreiz widerstehen und zu dem Arsch, der dir aber Skripten gibt,
freundlich sein Abends eher der Neigung nachgeben, TV zu sehen anstatt
zu lernen oder beim Fußball die Beherrschung verlieren und die Blutgrätsche
auspacken.
20
EXPERIMENT zur Theorie von Muraven & Baumeister (1998):
Experiment von Vohs & Heatherton (2000):
Diät haltende Studentinnen wurde ein Film gezeigt.
Während des Films hatten sie freien Zugriff zu Snacks
in 1)ihrer unmittelbaren Nähe („high temptation“) 2) 3
m Entfernung („low temptation“).
Die high temptation Gruppe aß später bei einem
„Eiscreme-Geschmackstest“ mehr Eis und gab
schneller auf bei unlösbaren kognitiven Aufgaben.
(SELBSTKONTROLLRESSOURCEN ERSCHÖPFT)
Wegner (1994): „ironische Prozesse“: Je vehementer man versucht, Gedanken,
Gefühle, verhalten zu unterdrücken, desto weniger Erfolg hat man damit. Wichtige
Anwendung: Werden Geschworene dazu angehalten, unzulässiges Beweismaterial
nicht zu beachten, beachten sie es gerade deshalb!
21
ERKLÄRUNG (Wegner): Kontrollanstrengung trifft Versagensangst „ironischer
Prozess“ wird in Gang gesetzt: Beim Versuch, nicht zu versagen muss ja der Grund
fürs Versagen bewusst werden. Stellt mentale Kontrolle insgesamt in Frage!
EXPERIMENT (Wegner, 1998): VPn sollen Pendel halten.
Bedingung 1: Pendel ruhig halten
Bedingung 2: Pendel soll nicht horizontal schwingen
Bedingung 3: Wie 2 + Ablenkung der VPn (Rechenaufgabe)
Horizontalauslenkung des Pendels war in B3 > B2 > B1.
3.2.6 Mechanismen der Selbstwerterhöhung
„Implizite Selbstgefälligkeit“ ist eine unbewusste Form der
Selbstwerterhöhung. Menschen mögen die Buchstaben ihres eigenen
Namens lieber, bilden positive Assoziationen mit Dingen und
Menschen, die mit ihren eigenen Fähigkeiten assoziiert sind.
Reflexartig. Unbewusst (abgelenkte VPn schätzen sich sogar noch
positiver ein).
Die einzelnen Mechanismen sind:
1) Self-serving Cognitions
2) Self-handicapping
3) Sich im Glanz anderer sonnen
4) Abwärtsgerichtete soziale Vergleiche
zu 1) Self-serving Cognitions
Erfolg schreibt man sich selbst zu, von Misserfolg distanziert man sich.
Experiment von Shepperd (1993)
Studenten sollte angeben, wie sie bei einem Test abgeschnitten
hatten. Erhöhung der eigenen Leistung insbesondere bei
schlechten Ergebnissen.
Studenten mit schlechten Leistungen kritisierten den Test.
Erfolg schreibt man sich selbst zu, von Misserfolg distanziert
man sich.
Ziva Kunda (1987): Ganz allgemein gesagt erdenken sich Menschen
Theorien, die ihre eigenen Attribute mit positiven Ergebnissen
verknüpfen.
Unrealistischer Optimismus: Menschen schätzen (die sie betreffende) Zukunft
überdurchschnittlich ein
Bsp: Ehe, Wahlausgänge, Jobaussichten, Sportereignisse….
22
Zu 2) Self-Handicapping
Bsp. „procrastination“ : Absichtliche Aufschiebung von
termingebundenen Aufgaben. Bietet eine Entschuldigung für Versagen,
die anderenfalls mit mangelnder Fähigkeit erklärt werden müsste, was
wiederum negativ für das Selbst wäre (lack of ability).
Stephen Berglas & Edward Jones (1978): Self-handicapping bezieht sich
auf Aktionen, in denen Menschen ihre eigene Leistung sabotieren, um
sich eine Entschuldigung für antizipiertes Versagen zu konstruieren.
EXP: Berglas & Jones
Studenten machen 2 Tests. Eine Gruppe ist im ersten
Teil erfolgreich, die andere nicht. Zwischen den Tests
werden Drogen (leistungssteigernd oder
leistungsmindernd) gegeben.
erfolglose Männer wählen die leistungsmindernde
Droge
self-handicapping
Strategien: Einnahme von Wirkstoffen; Verleugnung, gelernt zu haben; Ziele
zu hoch ansetzen; Stress und Krankheit simulieren;
Dianne Tice (1991): Gründe für Self-Handicapping:
Menschen mit niedrigem Selbstbewusstsein defensives
SH, Entschuldigung für Versagen
Menschen mit hohem Selbstbewusstsein Weitere
Steigerung der eigenen Leistung
„Nebenwirkungen“: Objektive Leistungsverschlechterung, Ansehen bei anderen sinkt
Zu 3) Sich im Glanz anderer sonnen
Bask in reflected glory (Cialdini, 1976): Sein
Selbstbewusstsein steigern, indem man sich mit anderen,
erfolgreichen (Leuten, Gruppen) identifiziert (assoziiert).
„BIRGing“.
Experiment von Snyder (1986): VPn werden in Problemlöse-TEAMS
eingeteilt, die entweder positives (Erfolg), kein oder negatives Feedback
bekommen. Am Ende darf sich jeder ein Abzeichen seines teams mitnehmen.
Gruppe positiv: 68% nehmen
Abzeichen mit, in der no-FeedbackGruppe 50% und in der neg. Feedback-Gruppe 9%.
in der pos. Gruppe findet BIRGing statt, in der neg. CORFing (Cut off
reflects failure).
23
Zu 3) Abwärtsgerichtete soziale Vergleiche
Festinger: Bei sozialen Vergleichen wird nicht immer objektive
Information
gesucht,
sondern,
in
einem
Akt
der
“Selbstwertverteidigung”, eben Information, die einen steigernden
Effekt auf das Selbstbewusstsein hat.
Anne Wilson & Michael Ross (2000): Temporale Vergleiche zwischen dem jetzigen
und einem früheren Selbst dienen demselben Zweck wie abwärtsgerichtete soziale
Vergleiche.
Wenn nahe stehende (ähnliche) Personen mehr Erfolg haben als man selbst, sind 2
Reaktionen unterscheidbar:
1) Man sonnt sich im Glanz des anderen
2) Man fühlt sich überschattet und erfährt „soziale
Eifersucht“ (=Neid, Ärger und Abfall des Selbstbewusstseins)
passiert nur bei Domänen, die relevant fürs Selbstkonzept
sind (Tesser, 1988)
Bewältigungsreaktion…
…für gezwungene aufwärtsgerichtete soziale Vergleiche (Collins, 1996):
Experiment von Mark Alicke (1997): VPn, die mit einem „besseren“
Konföderierten konfrontiert wurden, schätzten die Intelligenz,
Fähigkeit…. des Konföderierten überdurchschnittlich zu unabhängigen
Beobachtern ein („Mit einem Genie braucht man sich nicht vergleichen“)
3.2.7 Sind positive Illusionen adaptiv?
Anders gefragt: Ist das konstante Selbstbelügen durch SSC´s, SH,
BIRGing,
und
abwärtsgerichtete
soziale
Vergleiche
gesundheitsfördernd oder Symptom einer psychischen Störung?
Wäre nicht eine reale Sicht der Dinge gesünder?
Review von Shelley Taylor (1988): Depressive und Menschen mit geringem
Selbstwertgefühl haben realistischere Weltanschauungen („depressiver
Realismus“). „Die Illusionen helfen, dass die Welt jedes einzelnen ein
wärmerer, attraktiverer, auch für andere lohnenswerterer Platz zum leben wird“
Hypothese umstritten.
24
Siehe Roy Baumeister (1988): Die Illusionen provozieren chronische Muster
selbstzerstörerischen Verhaltens (Alkohol, Versagen durch SH, Kontrollillusion
und Spielsucht)
Siehe Randall Colvin (1995): Personen mit „aufgeblähtem“ Selbstwertgefühl (ASWG)
werden von ihren eigenen Freunden weniger geschätzt als andere; ASWG korreliert mit
einigen negativen Persönlichkeitseigenschaften.
Studie von Todd Heatherton (2000):
Problem noch ungelöst; es scheint, als ob es für das Selbstkonzept zunächst adaptiv ist,
das SB aufzublähen; maladaptiv ist aber jedenfalls, dass man dadurch von anderen weniger
gemocht wird.
25
3.3 Selbstpräsentation
Spotlight-effect: Leute überschätzen in der Öffentlichkeit das Ausmaß der Aufmerksamkeit,
das ihnen zuteil wird.
Experiment von Thomas Gilovich (2000): VPn betreten einen Raum voll mit Leuten und
haben dabei ein T-Shirt mit einem schmeichelnden/peinlichen Logo an. AV: Diskrepanz
zwischen Einschätzung der Identifizierung des Logos durch andere und tatsächlicher
Beachtung des Logos. Ergebnis: 23-40% Überschätzung.
Self-Presentation = Strategien, die Menschen anwenden um ihr Ansehen (ihr Bild) bei
anderen zu formen.
3.3.1 Die 2 Gesichter der Selbstpräsentation
1. strategische Selbstdarstellung
2. Selbstverifikation
= Beeinflussung anderer durch
= Wunsch, dass andere uns so sehen wie
Körpersprache und verbale
wir selbst es tun
Kommunikation
Experiment von William Swann (1987):
Menschen wollen ihr eigenes
Ziele allgemein: gemocht werden/
kompetent wirken; Einflussgewinn, Macht,
Selbstkonzept bestätigen. Deshalb wählen
Bestätigung
sie selektiv Feedback aus, das ihrem
Strategische Ziele abstrakt: integration
eigenen SK entspricht! Konföderierte
(mit anderen zurechtkommen) & selfbezeichnen VPn als dominant bzw.
submissiv. Diese Einschätzung wird nur
promotion (Respekt, Status)
bei Konsistenz mit eigenem SK akzeptiert.
bei Übertreibung der beiden Ziele kann
Gegenteil bewirkt werden
Bei Inkonsistenz versuchen die VPn
Es kostet weniger Aufwand, sich so
„nach“ dem Experiment durch ihr
darzustellen, wie man ist, als sich zu
Verhalten die Konfis vom Gegenteil zu
verstellen (Beth Pontari, 2000)
überzeugen.
Gefahren: z. B. Sonnenbankkrebs,
Magersucht, Drogensucht, AIDS,
Verkehrsunfälle
26
Was geschieht bei einem Konflikt von Strategischer Selbstdarstellung und Selbstverifikation
(Bsp. Bei Schüchternheit, Sozialer Inkompetenz, Schwächen die man ungern zugibt)?
Giesler (1992): 64% der VPn mit niedrigem SB wählen aus 2 Alternativen einen
Interaktionspartner, der sie vorher negativ beurteilt hat (Selbstverifikation!) verglichen mit
25% der Personen mit hohem SB.
Der Wunsch einen Eindruck zu vermitteln, der mit dem eigenen Selbstkonzept
übereinstimmt, scheint manchmal größer zu sein, als Förderung des Selbstwertes in den
Augen anderer mittels strategischer Selbstpräsentation.
3.3.2 Individuelle Unterschiede beim Self-Monitoring
Self-Monitoring = Die Tendenz, Verhalten zu ändern als Antwort auf die
die Selbstpräsentation betreffenden Anforderungen der Situation. Oder
einfacher: Tendenz, eigenes Verhalten situationsgerecht anzupassen.
(Snyder, 1987)
Personen mit niedrigem Selbst-monitoring:
neigen eher zu Selbstverifikation
konsistent in ihrem Verhalten
Personen mit hohem Selbstmonitoring:
sensitiver für strategische Selbstdarstellung
adaptiv, was verschiedenste soziale Situationen betrifft
mit höherer W´keit ängstlich und depressiv, wenn sie soz. Erwartungen nicht erfüllen
Die Self-Monitoring-Skala (Snyder & Gangestad) misst das SelfMonitoring und ist
gleichzeitig ein wichtiger Prädiktor für differentielles Verhalten in sozialen Situationen.
Entwicklung: SelfMonitoring nimmt mit dem Alter ab.
27
4 Perceiving Persons
Gliederung:
4.1 Beobachtung:
4.2 Attribution
4.3 Integration
4.4 Confirmation Biases
Soziale Wahrnehmung = Genereller Terminus für den Prozess des Verstehens von anderen.
4.1 Beobachtung: Elemente Sozialer Wahrnehmung
Verstehen anderer erfolgt über indirekte Anhaltspunkte aus 3 Quellen:
1) Personen
2) Situationen
3) Verhalten
4.1.1 Personen: Beurteilung nach dem äußeren Schein
Soziale Beobachtung/erster Eindruck wird durch Größe, Gewicht, Haarfarbe, Hautfarbe,
Kleidungsfarbe (EXP von Aldert Vrij: Häftlinge werden mit dunkler Kleidung aggressiver
eingeschätzt, 1997), Namen (Harry, Walter, Dorothy werden nicht so intelligent eingeschätzt
wie Kevin, Michael, Michelle; Young, 1993)… beeinflusst.
Beste Beispiele:
Phrenologie (Gall, Fowler)
Physiognomie: EXP von Ran Hassin (2000): Von Gesichtern wird auf
Verhalten geschlossen und bekannte Persönlichkeitsmerkmale werden
in Gesichter „hineininterpretiert“. Konsequenzen vor Gericht und in der
Arbeitswelt.
Erklärungen:
1) genetische Programmierung (Kindchenschema) oder
2) gelernte Assoziation: Kindchenschema – Hilflosigkeit wird
generalisiert oder
3) es gibt tatsächlich eine Korrelation von Aussehen und Verhalten.
EXP von Kenny (1992): VPn formen auf Grund
von Fotos/Videos Eindrücke von Personen, die mit
deren Selbstbeschreibungen korrelieren
28
4.1.2 Situationen: Die Skripts des Lebens
Skripts = Vorhandene Vorstellungen von bestimmten Situationstypen.
Erleichtern die Voraussage dieser Situationen. Erfahrung lässt Skripts
detailreicher werden.
Bsp: Erstes Date. Festes Skript. Werden VPn
gebeten, ein 10-Punkte-erstes-Date-Skript in die
richtige Reihenfolge zu ordnen, kriegens die mit der
größten Expertise am schnellsten gebacken.
Skripts und Expertise bilden die Basis für das Verstehen von verbalem und nonverbalem
Verhalten anderer.
Beeinflussung sozialer Wahrnehmung durch Skripts:
1) In best. Situationen sehen wir, was wir erwarten (Trope, 1986, lässt VPn ambige
Gesichter emotionsmäßig beurteilen. Dasselbe Gesicht wird dabei je nach
Vorinformation völlig gegensätzlich eingeschätzt)
2) Wir benutzen die Skripts, um Verhalten zu erklären.
4.1.3 Hinweise durch Verhalten
Menschen erkennen die Bedeutung des Verhaltens einer Person, indem sie das Verhalten in
diskrete Einheiten zerlegen. Entscheidend ist die Feinheit der Einheiten: VPn, die instruiert
werden, das beobachtete Verhalten in feine Einheiten zu unterteilen, beobachten genauer,
erkennen mehr bedeutungshaltige Verhaltenweisen, erinnern mehr Details über die Person
und schätzen die Person positiver ein.
Nonverbales Verhalten:
„Verhalten, das die Gefühle einer Person ohne Worte enthüllt – durch Mimik, Körpersprache
und Prosodie.“
Mimik:
DARWIN; Emotionsausdrücke sind angeboren, 6 unterscheidbare universelle
Emotionsausdrücke können von allen Personen richtig erkannt werden. Videos
von Emotionsausdrücken (action) werden richtiger erkannt als Fotos. Adaptiver
Mechanismus: Das Erkennen und Interpretieren von Mimik ist überlebenswichtig
(in einer Menge von neutralen Gesichtern werden negative Emotionsausdrücke
schneller entdeckt als positive; Theorie nach Darwin, Experiment von Christine
Hansen, 1988).
29
Körpersprache/Gestik:
Handgesten, Haltung, Gang. Augenkontakt: Interkulturelle Übereinstimmung von
Interpretationen des Augenkonakts, typischer Weise basiert die Interpretation des
Augenkontakts auf einer bereits vorhandenen positiven/negativen Beziehung
(Kleinke, 1986). Berührung: Nancy Henley (1977): W´keit, jemand zu berühren
ist größer, wenn dieser jemand einen niedrigeren sozioökonomischen Status hat
Berührung ist ein Zeichen von Intimität und Freundschaft, aber auch von
Kontrolle und Dominanz. Handschlag: kann Eindrücke vermitteln (Chaplin, 2000).
Unterscheidung von Wahrheit und Täuschung:
Freud: Lügen ist nicht möglich, eine Täuschung kann durch Körpersignale entlarvt werden.
Ekman & Friesen (1974): Die „Kommunikationskanäle“ sind unterschiedlich schwer zu
kontrollieren. Lügen werden nur schlecht über Gesicht und verbale Kommunikation entlarvt,
dafür besser über Körpersprache und Prosodie (DePaulo, 1982).
Auch Experten tun sich hierbei sehr schwer!
30
4.2 Attribution: Von Elementen zu Dispositionen
Um Personen so gut verstehen zu können, dass man Voraussagen über ihr
zukünftiges Verhalten machen kann, müssen die Dispositionen (stabile
Charaktereigenschaften) der Personen auf Grund ihres Verhaltens inferiert
werden.
4.2.1 Attributionstheorien
Es geht um die Frage, WARUM Personen sich so oder so Verhalten Versuch, die Gründe
für Verhalten zu verstehen, um der sozialen Umwelt einen Sinn zu geben.
„Eine Gruppe von Theorien, die beschreiben, wie Personen die Gründe für Verhalten
erklären.“
1) Attributionstheorie von HEIDER (1958):
Wir alle beobachten, analysieren und erklären (attribuieren) Verhalten. Grundlegende
Unterscheidung Heiders:
Personale Erklärungen
. Situationale Erklärungen
Attribution von Verhaltensweisen
auf interne Charakteristika des
Akteurs:
Persönlichkeit, Stimmung,
Fähigkeiten, Anstrengung
Attribution von Verhalten auf
externe Faktoren:
Aufgabe an sich, andere Leute,
Glück oder Pech
2) Attributionstheorie von JONES & DAVIS (1965):
= Correspondent Inference Theory: Man versucht darauf zu
schließen, dass/ob eine einzelne Aktion mit einer dauerhaften
Charaktereigenschaft einer Person korrespondiert.
Der Grad der Korrespondenz (und damit der Erfolg unserer Schlussfolgerungen)
hängt von 3 beurteilbaren Faktoren ab:
a) Grad der Wahlfreiheit. Freiwilliges Verhalten lässt eher Schlüsse auf die
Persönlichkeit zu, Studie von Jones (1967): Student schreibt Artikel über Castro (1 positive
Position, 1 negative Position). VPn beurteilen seine „wahre“ Position (= korrespondierende
Schlussfolgerung auf dauerhafte Eigenschaft). UV: Der Student konnte seine Position selbst
wählen oder ein Professor gab ihm die Aufgabe. Ergebnis: Verhalten (Artikel) wird als
korrespondierender eingeschätzt, wenn er freie Wahl hatte.
31
b) Grad der „Erwartetheit“ des Verhaltens. Dispositionale Schlussfolgerungen
werden umso wahrscheinlicher getroffen, je weiter ein Verhalten von der
subjektiven Norm des Beobachters abweicht. Bsp: Über wen glaubt man mehr zu
wissen: Den braven Steuerzahler oder jemanden, der öffentlich zugibt, keine
Steuern zu zahlen?
c) Anzahl der Effekte des Verhaltens. Glaubt der Beobachter nur einen
Verhaltenseffekt zu erkennen, ist es wahrscheinlicher, dass dieser Effekt generell
mit den Dispositionen des Akteurs korrespondiert, d.h. wenige mögliche
Ergebnisse erhöhen die Sicherheit einer dispositionalen Attribution. Bsp: Warum
bleibt jemand bei einem Job, der gut bezahlt, interessant und nahe gelegen ist? Warum bleibt
jemand bei einem Job, der gut bezahlt ist? Was sagt das über seine Motive/Dispositionen?
3) Kovariationstheorie von KELLEY (1967):
Berücksichtigt (im Gegensatz zur Jones-Theorie!), dass Personen sowohl personal, als
auch situational attribuieren. Menschen denken dabei „experimentell“ und benutzen das
Kovariationsprinzip zur Ursachenzuschreibung: Faktoren die präsent sind, wenn ein best.
Verhalten auftritt und bei ansonsten gleichen Bedingungen fehlen, wenn das Verhalten nicht
auftritt, müssen für das Verhalten kritisch (= KAUSAL) sein.
Welche Art Kovariationsinformationen sind besonders nützlich?
a) CONSENSUS: Übereinstimmung des Verhaltens mit dem Verhalten anderer.
Wenn ja (positiv) situationale Attribution
b) DISTINKTHEIT: Reaktionen der Person auf verschiedene Stimuli. Wenn
Kovariation mit anderen Situationen niedrig situationale Attribution
c) KONSISTENZ: Reaktionen der Person auf denselben Stimulus zu verschiedenen
Zeiten. Wenn Konsistenz hoch personale Attribution
Kovariationstheorie in vielen Experimenten gestützt.
4.2.2 Attributionsneigungen
Beschränkung kognitiver Kapazitäten nicht immer
können objektive (theoretische) Attributionen (s.o.)
angewandt werden. D.h. oft existiert eine
Attributionsbefangenheit, Attributionen werden der
Einfachheit und Schnelligkeit halber mit Hilfe „mentaler
Abkürzungen“ vorgenommen.
32
4.2.2.1 Kognitive Heuristiken
… sind Daumenregeln, die es uns ermöglichen, schnelle aber ungenaue Entscheidungen (also
auch Attributionen) zu treffen. Typen:
1) VERFÜGBARKEITSHEURISTIK:
Die Tendenz, die W´keit für ein Ereignis (Verhalten) anhand dessen
einzuschätzen, wie leicht (und wie viele) einem dazu Beispiele einfallen.
EXP von Tversky (1973): Gibt es mehr Wörter im
Englischen mit „r“ an erster oder an dritter Position?
Eigentlich an 3., aber VPn sagen 1., weil ihnen dazu
mehr Beispiele einfallen.
Konsequenzen:
a) Falscher-Konsensus-Effekt (Tendenz zu überschätzen, wie sehr die
Meinungen, Attributionen… anderer mit unseren eigenen Meinungen…
übereinstimmen) EXP von Krueger (1994): VPn sollen über Aussagen in einem
Persönlichkeitstest Meinungen kundtun und danach einschätzen, wie viel % anderer dieselbe
Antwort gegeben hätten konsequente Überschätzung des Konsensus
b) Grundratentrugschluss („base-rate fallacy“): Auf Statistiken wird weniger
Rücksicht genommen als auf Einzelfälle. Folge: falsche Risikoeinschätzungen
2) KONTRAFAKTISCHES DENKEN:
= die Tendenz, sich alternative Ergebnisse oder Ereignisse vorzustellen, die
anstelle des wirklich Passierten hätten vorkommen können.
Hat reziproke Auswirkungen auf Emotion und Stimmung: Gedachtes Ergebnis
besser Frustration; Gedachtes Ergebnis schlechter Erleichterung;
Stimmung schlecht Dinge könnten so viel besser laufen…..
Kontrafaktisches Denken kommt öfter bei Aktionen mit
unerwünschten/erwünschten Ausgängen vor als bei Passivität (Bsp.
Wertpapiere verkauft, Aktienkurs steigt KFD; dagegen: Aktien gehalten,
Kurs fällt)
Kontrafaktisches Denken kommt besonders dann vor, wenn die realen und
imaginären Ereignisse nahe beieinander liegen (Victoria Medvec (1995):
Bronzemedaillengewinner sind glücklicher als Silbermedaillengewinner!)
33
4.2.2.2 Fundamentaler Attributionsfehler
= Bei Attributionen überschätzen Menschen die Rolle von
Persönlichkeitsfaktoren und übersehen situationale Faktoren (Ross, 1977)
Siehe Jones (1967): Obwohl den VPn gesagt wurde, dass der Student den
Auftrag hatte, diese oder jene Position einzunehmen (was eigentlich keinen
Schluss auf seine Dispositionen zuließe), attribuierten sie sein Verhalten auf
seine Einstellungen!
Experiment von Lee Ross (1977): TV-Quiz
Vp wurden per Zufall auf die Rollen Quizmaster
und Kandidat verteilt.
Quizmaster dachte sich Fragen aus und stellte
diese.
Anschließende Bewertung der Intelligenz (durch neutrale
Zuschauer, durch Quizmaster & durch Kandidaten selbst).
Die Kandidaten konnten ca. 40% der gestellten Fragen
beantworten. Die vorher festgestellte Intelligenz beider
Gruppen war identisch.
Intelligenz der Quizmaster wurde stark überschätzt (in
allen 3 Gruppen, am stärksten von neutralen Beobachtern)
Intelligenz der Kandidaten wurde eher unterschätzt (und
zwar am stärksten von den Kandidaten selbst)
Wodurch entsteht der FAF?
Theorie von Daniel Gilbert & Patrick Malone (1995): 2-Stufen-Modell der Attribution
Stufe 1: Das Verhalten wird erkannt (und kategorisiert) und eine schnelle, automatische
personale Attribution wird vorgenommen. Reflexartig
Stufe 2: Die Schlussfolgerung wird korrigiert und situationalen Faktoren wird Rechnung
getragen verlangt Aufmerksamkeit, Denken, Aufwand.
d.h. der fundamentale Attributionsfehler basiert darauf, wie wir attribuieren.
Kombiniert mit Heider´s (1958) Attributionstheorie: Aufmerksamkeit richtet sich auf den
salienten Reiz (die Person), es entsteht ein Wahrnehmungs-Bias und man attribuiert
Ereignisse (Verhalten) auf die auffälligeren Reize.
Experiment von Shelley Taylor (1975): VPn sehen
einen Disput zwischen 2 Schauspielern aus
verschiedenen Positionen und sollen beurteilen, wer von
beiden das Gespräch dominiert Einschätzung der
Vpn: Jeweils der gegenüber sitzende (sich im Blickfeld
befindliche) Schauspieler wird als dominant
eingeschätzt.
„Actor-Observer-Effekt“: Die Tendenz, für das Verhalten anderer personale Attributionen
zu gebrauchen und für das eigene Verhalten eher situationale Attributionen.
34
Experiment von Saulnier (1981): befragt Gefangene und
deren Anwälte zu den Gründen für ihre Verbrechen.
Während die Anwälte eher personal attribuieren,
atttribuieren die Gefangenen selbst vorübergehendsituational.
4.2.3 Attributionen als kulturelle Konstrukte
Experiment von Joan Miller (1984): Befragt Inder und
Amerikaner verschiedenen Alters. „Beschreibe die Gründe von
positiven/negativen Verhaltensweisen, die du in deinem Leben
beobachtet hast.“ Bei Kindern ist der Anteil personaler A´s
in beiden Kulturen gleich. Bei Erwachsenen Amerikanern
treten mehr personale A´s auf als bei erwachsenen Indern.
Ara Norenzayan & Richard Nisbett (2000): Westliche Kulturen betonen das Individuum und
die ihm eigenen Attribute. Ost-Aiatische Kulturen gewichten mehr den sozialen Hintergrund.
1. Experiment dazu: „fish-test“: amerikanische und japanische
Studenten sehen das Fisch-Bild (p. 111) und sollen so viel wie
möglich davon erinnern. Japaner erinnern mehr vom
Hintergrund, der „fokale“ Fisch wird in beiden Gruppen gleich
detailliert erinnert.
2. Experiment (Hong, 2000): Bikulturelle Studenten werden in
Bedingung 1vor dem fish-test Amerika symbolisierende Bilder
gezeigt, in der B2 China symbolisierende. Bei B1 sehen die
Bikulturellen den fokalen Fisch eher als „führend“, in der B2 als
„gejagt“.
4.2.4 Motivationale Voreingenommenheit
1) David Dunning (2001):
Der Wunsch nach Selbstwerterhöhung verursacht auch einen Bias unserer
sozialen Wahrnehmung (nicht nur unserer Selbstwahrnehmung, siehe Kap.3). Andere werden positiver eingeschätzt, wenn sie in wichtigen Charakteristika mit dem
Selbstkonzept übereinstimmen.
2) Experiment von William Klein & Ziva Kunda (1992):
Vpn sollen an einem Quiz teilnehemen und sehen vorher (B1) ihren Partner oder (B2)
ihren Gegner, die jeweils sämtliche Probefragen richtig beantworten. Wie schätzen
die VPn die Gründe für diesen Erfolg ein? Bei Partnern wird personal attribuiert
(Wissen), bei Gegnern eher situational (Glück).
35
3) „Personale Verteidigungs-Motive“ können dazu führen, dass wir andere für ihr
Pech verantwortlich machen (= personal attribuieren).
Experiment von Lerner & Simmons (1966): Aus einer VPnGruppe wird eine (in Wahrheit konföderierte) VP
herausgegriffen, die bei einem Gedächtnisexperiment
Elektroschocks erhält. Die Übrigen Vpn zeigen kein
Mitleid, sondern Abwertung des „Kollegen“, obwohl oder
gerade weil es zufälliger Weise nicht sie selbst getroffen hat.
Theorie von Melvin Lerner (1980): „Belief in a Just World“:
Der Glaube, dass jeder im Leben das bekommt, was er verdient.
Führt dazu, dass Menschen Opfer herabsetzen. Der Selbstschutz besteht darin,
dass wir uns selbst glauben machen, vor unabsehbarem Unglück gefeit zu sein
(„Arme Leute sind faul“, „Frauen, die von ihren Ehemännern geschlagen werden,
provozieren das ja“). Interessant: Je ärmer das Land (die Kultur, Gruppe…), desto
weniger ausgeprägt ist dieser Glaube.
Ist dieses Phänomen nur eine Form des fundamentalen Attributionsfehlers? vermutlich nicht: Die „Verantwortlichkeit“ der Opfer in den Augen des Beobachters
steigt mit:
a) Der Schwere der Folgen des Ereignisses
b) Der Ähnlichkeit der Situation mit der des Beobachters
c) Der Selbstbedrohungsangst des Beobachters (je mehr Angst wir haben, desto mehr
müssen wir uns schützen)
Experiment von Hafer (2000):
1) VPn sehen einen von 2 Filmen von einem
Gewaltopfer. UV1: Die Täter werden bestraft / UV2:
Die Täter fliehen
2) VPn machen eine Art Stroop-Test mit neutralen
Wörtern und welchen aus einem
Ungerechtigkeitswortschatz, in dem ihre
Involviertheit über die Differenz der Reaktionszeiten
zwischen den Wortkategorien erfasst wird.
3) Die VPn mit UV2 brauchten länger zur
Identifizierung der Ungerechtigkeitswortfarben und
schätzten das Opfer als verantwortlicher ein.
36
4.3 Integration: Von Dispositionen zu Eindrücken
Dispositionen sind quasi einzelne, 1-dimensionale, aus
Verhaltensbeobachtung und Attributionen hergeleitete
Persönlichkeitsmerkmale. Um einen Gesamteindruck zu erzeugen,
müssen sie miteinander kombiniert (integriert) werden.
4.3.1 Informationsintegration: Die Rechenart
Impression Formation = Der Prozess der Informationsintegration, durch den man
einen zusammenhängenden Eindruck von einer Person erhält.
Beruht die IF auf einem additiven oder Durchschnitts- Modell?
Experiment von Norman Anderson (1965): VPn – 4 Gruppen – erhalten
Personenbeschreibungen mit
1) Zwei sehr positiv skalierten Eigenschaften
2) Den 2 sehr positiven und zwei moderat positiven eigenschaften
3) 2 sehr negativen Eigenschaften
4) Den 2 sehr negativen und zwei moderat negativen Eigenschaften.
Die Ergebnisse stützen das Durchschnittsmodell: Die moderaten Eigenschaften
relativieren die stark polaren Eigenschaften.
Theorie von Norman Anderson (1981): InformationsIntegrations-Theorie. Kombinierte (integrierte) Eindrücke
basieren auf (1) den Dispositionen des Beobachters und (2)
dem gewichteten Durchschnitt der Charakteristika der
Zielperson.
4.3.2 Abweichungen von der Arithmetik
...durch…
1) Charakteristika des Beobachters
a) Zwischen Beobachtern: Jeder Beobachter gewichtet seine Beobachtung
unterschiedlich. Dornbusch (1965): Die Beobachtungen eines Beobachters
verschiedener Zielpersonen unterscheiden sich nicht so stark wie die
Beobachtungen vieler Beobachter von einer Zielperson. Grund: Bei der
Beobachtung wird das Selbst als Standard genommen + man versucht, in anderen
Personen zunächst die eigenen Vorteile zu erkennen.
37
b) Beobachter inhärent: Stimmungsschwankungen führen zu unterschiedlicher
Personenwahrnehmung. Ist man positiv gestimmt, erkennt man auch in anderen eher
positive Dispositionen (Forgas, 2000)
2) Priming-Effekte
Priming = Items (Wörter, Einstellungen, Konzepte…), die
kürzlich gebraucht wurden, fallen einem leichter ein und
beeinflussen damit die Interpretation neuer Information.
Tory Higgins (1977): VPn werden Wörter wie
(UV1) brave, independent oder (UV2) reckless,
careless präsentiert (getarnt als
Gedächtnisexperiment). Danach lasen sie eine
Geschichte über einen abenteuerlustigen Kerl
und sollten diesen Charakter beurteilen. Die
UV1´s formten dabei mehr positive Eindrücke
als die andere Gruppe. Priming funktioniert nach
Bargh (1982) noch besser, wenn die primenden
Wörter sehr schnell dargeboten werden.
38
Auch Motivation (Tanya Chartrand, 1999 Scrabble-Experiment) und soziales
Verhalten (s.Abb.) kann geprimed werden.
3) Charakteristika der Zielperson
Individuen können grob auf Grund von 5 Charakteristika unterschieden werden:
Extrovertiertheit, emotionale Stabilität, Offenheit für Erfahrungen, Annehmlichkeit,
Gewissenhaftigkeit
- Diese Faktoren sind unterschiedlich leicht zu beurteilen (Die meisten
Übereinstimmungen zwischen Beobachtern existieren bei Extrovertiertheit. Daraus
folgt, dass Ex ein leicht zu beobachtendes Personencharakteristikum ist).
39
- Es existiert eine sog. „trait negative bias“, d.h. dass man negative Eigenschaften
gewöhnlich mehr gewichtet als positive. Warum? Normalerweise schätzt man
Personen zunächst positiv ein. Wird diese Erwartung verletzt, schenkt man
automatisch mehr Aufmerksamkeit (siehe Politiker: Negative
Eigenschaften/Konzepte sind im Wahlkampf oft ausschlaggebender); Die „trait
negative bias“ ist adaptiv: negative Eigenschaften aktivieren ein Alarmsystem im
Gehirn (Unterschiede zwischen positiven und negativen Eindrücken sichtbar
gemacht via fMRI von Tiffany Ito, 1998)
4) Kontextfaktoren
a) Implizite Persönlichkeitstheorien:
Fall O.J. Simpson: Die Amerikaner hatten sich ein „Netzwerk von Vermutungen
über die Verknüpfungen von Verhalten und Persönlichkeitsmerkmalen“ (=IP) des
Stars zurecht gelegt. Die Anklage (2 Menschen getötet) konnte nicht in das überaus
positive Netzwerk O.J.S. integriert werden.
Experiment 1 von Solomon ASCH (1946): „Das Vorhandensein eines einzelnen
Merkmals kann das Vorhandensein vieler anderer Merkmale implizieren.“ Einer
Gruppe von VPn wurde ein Mensch als intelligent, fleißig, warm, zielorientiert,
vorsichtig beschrieben, einer anderen Gruppe als i, fl, kalt, zo, vo. kalt & warm
sind nach Asch Zentrale Eigenschaften, die sowohl die genannten, als auch
ungenannte Persönlichkeitsmerkmale positiv/negativ beeinflussen.
b) Der Primacy-Effekt
Zuerst präsentierte Eigenschaften haben den größten Einfluss auf die
Personenwahrnehmung.
Experiment 2 von Solomon ASCH (1946): Präsentiert Gruppe 1 von VPn eine Liste
von Persönlichkeitseigenschaften (intelligent, fleißig, impulsiv, kritisch, stur und
neidisch) und einer anderen Gruppe 2 dieselbe Liste in umgekehrter Reihenfolge Die Gruppe 1 formte positivere Eindrücke von der Person als die Gruppe 2.
Erklärungen:
- Wenn einmal ein Eindruck entstanden ist, wird nachfolgender Info weniger
Aufmerksamkeit geschenkt. Erhält man dennoch die Aufmerksamkeit aufrecht, wird
der erste Eindruck mit größerer W´keit modifiziert. Studenten formen nach einer
Prüfung schneller Eindrücke und behalten diese (Aufmerksamkeit reduziert). Es
gibt dabei interindividuelle Unterschiede im „need for closure“, d.h. wie sehr man
danach verlangt, kognitive Unsicherheit zu reduzieren. „need for closure“ hoch Primacy-Effekte wahrscheinlich
- „change-of-meaning hypothesis“: Nachfolgende Information wird als mit erster
Information konsistent interpretiert führt zur Umbewertung der Eigenschaften in
Asch´s Experiment 2.
40
4.4 Confirmation Biases: Von den Eindrücken zur Realität
Confirmation Bias = Das Phänomen, dass Menschen Informationen
suchen, interpretieren und erfinden, die ihre bereits bestehenden Ansichten
verifizieren/stützen.
4.4.1 Beharrlichkeit von Überzeugungen
Experiment von John Darley (1983): „Hannah“
VPn werden gebeten, das akademische Potential der 9-jährigen Hannah zu
beurteilen. UV ist Vorinformation. UV1: „high-expectation“-Gruppe (Hannah
stammt aus guten Verhältnissen mit 2 Akademikereltern); UV2: „lowexpectation“-Gruppe (Hannah lebt in heruntergekommener Nachbarschaft mit
Eltern, die´s zu nichts gebracht haben). AV: Veränderung der Einschätzung
von Lese- und Mathematikpotential, bevor und nachdem die VPn jeweilige
Tests von Hannah auf Video verfolgten (Sie ist dabei durchschnittlich!). Die „low-expectation“-Gruppe schätzte nach dem Test Hannah´s Potential
schlechter ein, die „high-expectation“-Gruppe dagegen besser. Ambiguitive
Info wird als konsistent mit 1. Eindruck interpretiert.
Was passiert, wenn nachfolgende Infos der ersten Überzeugung widersprechen??
Experiment von Craig Anderson (1980): 2 Gruppen von
VPn hören gegensätzliche Statements zu Feuerwehrmännern
und Risikobereitschaft (gut/schlecht) und sollen jeweils
Gründe für ihre Version nennen (also: sich eine Theorie
zurecht legen). Beiden Gruppen wird dann gesagt, dass das
ursprüngliche Statement falsch sei In beiden Gruppen
besteht dennoch eine sog. „belief peseverance“ (d.h., die VPn
hielten an der ersten Version fest, obwohl diese ja diskreditiert
wurde).
TESSER (1978) geht davon aus, dass eine vorgefasste Meinung
zu einem Thema einfach dann gestärkt wird, wenn wir über das
Thema nachdenken.
ANDERSON (1986) vermutet, dass demnach vorgefasste
Meinungen dadurch relativiert werden können, indem man Leute
gezielt über Gründe für alternative Meinungen nachdenken lässt
(und nicht einfach über das Thema).
41
4.4.2 Confirmatory Hypothesis Testing
Experiment von William Swann (1978):
- Phase 1: VPn bekommen Interviewpartner und erfahren, dass er (1) extrovertiert
oder (2) introvertiert ist.
- Phase 2: VPn dürfen aus einem Fragenkatalog fragen auswählen und den Partner f
ragen
- Phase 3: ANDERE VPn hören sich die Interviews an und entscheiden, ob die
Interviewten ex- oder introvertiert sind.
In Phase 1 werden die Interviewten zufällig zugeordnet; In Phase 2 wählen die
VPn mehrheitlich Fragen aus, die ihre vorgefasste Meinung bestätigen! (die eher auf
Ex-/Introvertiertheit abzielen); In Phase 3 beurteilen die VPn die Interviewten
gemäß den von den Interviewern vorgefassten Meinungen.
ZUCKERMAN (1995): Ist ein erster Eindruck gefasst,
verläuft die nachfolgende Infosuche einseitig. Dadurch
werden die Eindrücke bestätigt.
4.4.3 Self-Fulfilling-Prophecy
=
Ein Prozess, bei dem Erwartungen des Beobachters von einer Person
dazu führen, dass sich die Person so verhält, dass sich die
Erwartungen erfüllen.
Analog zu: Robert Merton (1948): Der Präsident einer
Bank erwartet die Zahlungsunfähigkeit Kunden
erfahren das Kunden rennen zur Bank und wollen ihr
Geld Bank wird zahlungsunfähig
Robert Rosenthal & Lenore Jacobson (1968): „Pygmalion im Klassenzimer“
Lehrer, denen Glauben gemacht wird, dass gewisse Schüler einen „intellektuellen
Wachstumsschub“ erfahren werden, beeinflussen die Leistung dieser Schüler, so dass sie im
Endeffekt wirklich positivere Ergebnisse erzielen (Sie werden nach einiger Zeit sowohl von
ihren Lehrern als auch objektiv durch IQ-Tests besser bewertet).
42
2 mögliche Erklärungen:
a) Rosenthal (1985): Anfängliche Erwartungen bestimmen Verhalten des Lehrers lenkt
Verhalten des Schülers
b) Lee Jussim (1996): Lehrer schätzen die Schüler korrekt ein.
Funktioniert auch beim Militär und vor Gericht (die Urteile von Geschworenen orientieren
sich daran, dass sie vom Richter, der eine vorgefasste Meinung schuldig/unschuldig hat,
instruiert werden).
Prinzip der „Sich selbst erfüllenden Propezeihung“:
Verhalten des
Beobachters
ggü. der Zielperson
Erwartung des
Beobachters
Verhalten der
Zielperson ggü.
dem Beobachter
Möglichkeiten, diese Kaskade zu unterbrechen:
1) Link zwischen Erwartungen und Verhalten des Beobachters: Beobachter muss dazu
motiviert werden, die Wahrheit herauszufinden
2) Link zwischen Erwartungen und Verhalten des Beobachters: Je mehr Macht der
Beobachter über die Zielperson hat, desto eher kommt es zu Verhalten, dass eine SFP
fördert.
3) Link zischen Verhalten des Beobachters und der Zielperson: Wenn Zielpersonen die
Ansichten des Beobachters kennen, verhalten sie sich oft gegensätzlich, um den
Eindruck zu relativieren.
43
4.5 Soziale Wahrnehmung: Zusammenfassung
Wie akkurat ist soziale Wahrnehmung?
David Dunning (1990): Menschen überschätzen die Genauigkeit ihrer Vorhersagen vom
Verhalten anderer Personen, egal ob sie diese länger kennen oder nur einen kurzen Eindruck
von ihnen haben.
1) Je näher und länger man Personen kennt, desto genauer ist man in seinen
Beurteilungen und Vorhersagen
2) Je enger begrenzt und ja näher beim Beobachter das Verhalten ist, desto genauer sind
Einschätzungen (Swann, 1984)
3) Erlernen von W´keit und Logik erhöht die Genauigkeit
4) Die Motivation, Genauigkeit und Offenheit zu zeigen, erhöht die Güte der
Einschätzungen; Die Motivation, möglichst schnell, bestätigend und geschlossen
einzuschätzen, vermindert die Genauigkeit der Einschätzung.
44
5 Wahrnehmung von Gruppen
Gliederung:
5.1 Stereotype
5.2 Vorurteile
5.3 Sexismus
5.4 Rassismus
5.5 Effekte auf stigmatisierte Ziele
In diesem Kapitel geht es um die Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen von Individuen
gegenüber Gruppen.
Definitionen :
1) Gruppe = 2 oder mehr Personen, die als miteinander in Beziehung stehend
wahrgenommen werden, weil sie
a) miteinander über die Zeit interagieren
b) Mitglieder einer selben sozialen Kategorie sind oder
c) mindestens eine Gemeinsamkeit haben bezüglich ihrer Ziele,
Identität oder Schicksals
2) Stereotyp = Eine Überzeugung, die eine Gruppe von Personen mit bestimmten
Eigenschaften verbindet
3) Vorurteil = Negative Gefühle gegenüber Personen, die sich aus ihrer
Gruppenzugehörigkeit ergeben
4) Diskriminierung = Verhalten, dass sich gegen Personen auf Grund deren
Gruppenzugehörigkeit richtet.
5) Sexismus = Vorurteile und Diskriminierung auf Grund des Geschlechts einer Person.
6) Rassismus = Vorurteile und Diskriminierung auf Grund der Rasse einer Person.
45
5.1 Stereotype
5.1.1 Zustandekommen von Stereotypen
2 Prozesse sind dafür nötig:
1) Soziale Kategorisierung: Die Klassifikation von Personen in Gruppen auf Grund
dessen, dass diese Personen gemeinsame Eigenschaften besitzen (männlich,
schwarz…).
Konsequenz: Schnelle Eindrucksbildung, Erfahrungen werden mit aktuellen
Interaktionen verbunden, spart Zeit und Aufwand
Nachteil: Überschätzung der Unterschiede zwischen Gruppen,
Unterschätzung der Unterschiede innerhalb derselben Gruppe (Krueger, 1989)
2) Ingroup- vs. Outgroup-Sicht: Der zweite Prozess folgt aus der Sozialen
Kategorisierung. Sind erstmal Gruppen gebildet, kommt es zu dem Phänomen, dass die
Gruppen, zu denen der Beobachter gehört („INGROUPS“) anders wahrgenommen
werden als die „OUTGROUPS“, zu denen der Beobachter nicht gehört.
Outgroup homogeneity effect: Die Annahme, dass es
zwischen Mitgliedern von outgroups mehr Ähnlichkeiten
gibt als zwischen Mitgliedern der ingroups.
GRÜNDE: a) Weniger persönlicher Kontakt mit
outgroups
b) Beobachter kennt oft nur Stichproben, die wenig
repräsentativ sind (Fußballfans aus XY)
Soziokulturelle und Motivationale Faktoren…
…beeinflussen die beiden genannten Prozesse.
Ein schwarzer männlicher Feuerwehrmann wird zunächst als schwarz kategorisiert;
Mitglieder der Ingroup werden differenzierter betrachtet Warum?
1. Faktor: Priming
2. Faktor: Soziokulturelle Einflüsse: Meinungen von Medien, Freunden, Eltern; in
kollektivistischen Kulturen werden Ingroup-Unterschiede weniger ausgeprägt
wahrgenommen
3. Faktor: Motivation: Was passiert mit dem Schwarzen, wenn mein Haus brennt? Die
Ingroup wird als homogener wahrgenommen, wenn ihre Interessen bedroht sind.
46
5.1.2 Wie Stereotype die Wahrnehmung von Individuen stören
Bei Verhaltensbeobachtung von Outgroup-Mitgliedern interpretieren wir
ambiges Verhalten als konsistent mit dem jeweiligen Stereotyp (Ein
Pfadfinder ergreift den Arm einer alten Frau, die über die Straße geht. Ein Skinhead
ergreift den Arm einer alten Frau, die über die Straße geht).
Experiment von Sagar (1980): schwarze und weiße
Sechstklässler sehen Videos, in denen ein schwarzer einen
weißen Jungen anrempelt und umgekehrt. Das (ambige)
Verhalten wird beim Schwarzen als aggressiver beurteilt.
Confirmation Biases:
Die Störung der Wahrnehmung durch Stereotype ist eine Form von CB:
- In Anlehnung an das Extrovertiert-Introvertiert-Interview-Experiment von William
Swann (siehe Kap. 4.4.2) gibt Yacoov Trope (1997) seinen VPn die (willkürliche)
Information, dass ihre Interviewpartner zu bestimmten Gruppen gehören Confirmatory Hypothesis Testing, es werden weniger und einseitige Fragen
gestellt.
- Experiment von ASCH (1946): VPn sehen ein Bild von einer überfüllten U-Bahn,
im Fokus ein Schwarzer und ein Weißer, der ein Rasiermesser hält. Nachdem das
Bild sukzessive 5 weiteren Vpn erzählt worden ist, hält in der Version der letzten VP
in der Reihe plötzlich der Schwarze das Rasiermesser Information, die Stereotypen
entspricht wird leichter behalten als stereotypinkonsistente Information!
Kontrasteffekte:
KONTRASTE, also (in der Sozialpsychologie) von den Erwartungen (die durch Stereotype
entstanden sind) des Beobachters abweichendes Verhalten, werden als STÄRKER
wahrgenommen, als sie eigentlich sind.
47
5.1.3 Überleben von Stereotypen: Sich selbst aufrecht erhaltende Mechanismen
1) Illusorische Korrelationen: Überschätzung der Assoziation von Variablen, die in
Wahrheit nur wenig oder gar nicht korrelieren (Chapman, 1967). Können auf 2
verschiedenen Prozessen beruhen:
a) Assoziationen zwischen distinkten (abweichenden, weniger oft
auftretenden Variablen) werden häufig überschätzt:
b) Erwartete Assoziationen werden überschätzt.
Experiment von Chapman (1967): Wortpaare
wie (bacon-eggs) und (lion-tiger) werden mit
der gleichen Häufigkeit wie Wortpaare wie
(bacon-lion) oder (eggs-tiger) präsentiert. VPn berichten aber, typische Wortpaare wären
häufiger gewesen.
Man überschätzt das gemeinsame Auftreten von stereotypen
Gruppen und stereotypem Verhalten (= Variablen, die man als
assoziiert erwartet)
2) Attributionen:
a) Diskriminierung kann die Leistung von Stereotypisierten vermindern.
Beobachter begehen dabei oftmals den Fundamentalen Attributionsfehler,
berücksichtigen also situative Faktoren nicht und attribuieren auf die Person, wodurch
der Stereotyp gestärkt wird.
48
b) Bei Verhalten, das dem Stereotyp widerspricht, attribuiert man eher auf die
Situation, um den Stereotyp nicht verwerfen zu müssen (Bsp. Frau schlägt Mann im
100m-Lauf)
3) Subtyping:
Ausnahmen von einem Stereotyp werden oft in eine Unterkategorie eingeteilt
(„Karrierefrauen“), die das Stereotyp nicht etwa relativiert, sondern eher noch stärkt.
Wann passiert das?
a) Wenn die Ausnahmen auf mehrere Arten abweichen.
b) Wenn die Ausnahme nur wenige Mitglieder der Gruppe
betrifft.
c) Wenn die Ausnahmen stark abweichen.
Die Chance, Stereotype zu ändern ist gering, wenn man dem Beobachter nur
wenige krasse Ausnahmen präsentiert. Besser: Präsentation vieler moderater
Ausnahmen.
4) Self-Fulfilling-Prophecies:
Experiment von Carl Wood (1974): Vorstellungsgespräch mit weißen „Chefs“ und
schwarzen und weißen „Bewerbern“ Bei den Schwarzen saßen die Chefs weiter
weg und behandelten die Bewerber kühler, was die Bewerber ihrerseits dazu
veranlasste, sich nervöser und unsicherer zu verhalten. Die Gruppe der Schwarzen
war letztlich auch nach objektiven Kriterien schlechter.
5.1.4 Ist Stereotypisierung unausweichlich?
Stereotype existieren oft auf impliziter Ebene („unbewusst“), d.h. selbst
wenn man Stereotype nicht teilt, kann das bloße Vorhandensein dieser
Stereotype im eigenen Umfeld die oben beschriebenen Effekte haben.
Erklärung:
Stereotype als Automatismen:
Patricia Devine (1989): Automatische vs. Kontrollierte Prozesse. Durch das
Erlernen (Gewahrwerden) von Stereotypen in Familie, Schule… ist man sich der
Stereotype bewusst und aktiviert sie automatisch, wenn man mit stigmatisierten
(stereotypisierten) Personen interagiert. Wird man sich dessen nicht bewusst, sind
alle gut gemeinten Lektionen seitens Eltern, Lehrer… kontraproduktiv.
Experiment von Devine (1989): Subliminale Präsentation
von Stimuli („Africa, ghetto, welfare, basketball“) führt zu Priming führt dazu, dass VPn Verhalten der
entsprechenden Gruppe negativer beurteilen.
49
Die Aktivierung von Stereotypen kann implizit und automatisch erfolgen und die
Wahrnehmung und die Urteilsfähigkeit beeinträchtigen. Aber: Es gibt individuelle
Unterschiede.
Motivationale Faktoren können Stereotype aktivieren. Bsp: Wenn das
Selbstbewusstsein leidet werden Stereotype bemüht, um das Selbstbewusstsein zu
schützen.
Kontrolle automatischer Aktivierung:
- Stereotype können kurzzeitig bewusst kontrolliert werden, aber auf lange Zeit
zeigt sich ein Reboundeffekt dieser Kontrolle.
Experiment von Neil Macrae (1994): 2 Gruppen von VPn sollen
ein Bild mit einem Skinhead beschreiben. 1 Gruppe wird
gewarnt, dass Stereotype die Wahrnehmung beeinflussen können
und wendet in der Beschreibung weniger Stereotype an. Nach
einiger Zeit sollen die VPn ein weiteres Bild mit einem Skinhead
beschreiben; dabei lässt die gewarnte Gruppe dann mehr
stereotypbeeinflusste Beschreibungselemente einfließen.
- Margo Monteith dagegen geht davon aus, dass die oben beschriebenen Effekte von
der Motivation des Beobachters abhängen: Je motivierter der Beobachter generell
ist, ein Stereotyp zu unterdrücken, desto unwahrscheinlicher werden
Reboundeffekte. Die beste Strategie dabei ist, sich auf individuelle Aspekte der
Zielperson zu konzentrieren.
- De-Automatisierung kann gelernt werden.
- Weitere Wege zur Kontrolle von Stereotypen:
a) Die Perspektive eines Mitgliedes einer stereotypisierten Gruppe einnehmen
verhindert Reboundeffekte und Stereotypaktivierung auf lange Sicht.
b) Motivation, andere Gruppen fair und gleichwertig zu beurteilen Steigt in
der Regel, wenn man selbst die Verhaltensregeln der eigenen Kultur verletzt
hat
c) Motivation, ein Mitglied einer stereotypisierten Gruppe zu mögen Kritik
und Lob von Mitgliedern der stereotypisierten Gruppe haben gegensätzliche
Effekte: Lob mindert negative Stereotype und fördert zudem positive; Kritik
dagegen steigert negative Stereotype und macht die Entstehung positiver
Stereotype unwahrscheinlich.
50
Überwindung von Stereotypen:
Für die Überwindung von Stereotypen (besser: das Nicht-Anwenden in bestimmten
Situationen) sind 3 Faktoren wichtig:
1. Die Menge an persönlichen Informationen über die Zielperson. Steigt mit der Zeit, die
man mit der Person verbringt (Die Infos sollten natürlich positiv sein…).
2. Die kognitive Fähigkeit des Beobachters, sich auf ein Individuum aus einer
stereotypisierten Gruppe zu konzentrieren. (Wenn man unter Zeitdruck steht,
unaufmerksam ist… neigt man eher zu Stereotypisierung).
3. Die Motivation, sich einen möglichst genauen Eindruck zu bilden.
51
5.2 Vorurteile
5.2.1 Intergruppenkonflikt
Experiment von Muzafar Sherif (1961): „Robbers Cave“
2 Gruppen von 11-jährigen weißen Jungen wurden in ein Ferienlager
verfrachtet. Nachdem jede Gruppe isoliert von der anderen eine
Gruppenidentität etabliert hatte, wurden Spiele und Turniere zwischen den
Gruppen organisiert.
Rivalität, Gewaltbereitschaft entsteht zwischen den Gruppen.
Durch übergeordnete Ziele konnte der Frieden wiederhergestellt werden
Theorie des Realistischen Konflikts
= Feindschaft zwischen Gruppen wird durch einen direkten Wettkampf um
beschränkte Ressourcen verursacht (Levine & Campbell, 1972).
Die Entstehung von Vorurteilen ist jedoch weit komplexer:
1. kann die Beschränktheit der Ressourcen imaginär sein,
2. ist oft nicht absolute, sondern relative Deprivation (denen geht´s
besser wie uns) entscheidend und
3. sind es oft nicht die eigenen, sondern die Interessen der Ingroup, die
gefährdet sind und somit Vorurteile provozieren.
5.2.2 Theorie der Sozialen Identität
= Ingroups werden gegenüber Outgroups bevorzugt, verteidigt…, um den
eigenen Selbstwert zu erhöhen (TSI, Tajfel, 1982; John Turner, 1985)
Experiment von Henri Tajfel (1971): VPn werden aufgrund einer
minimalen Gemeinsamkeit in zwei Gruppen aufgeteilt. Die VPn
wissen um diese Gemeinsamkeit (Vorexperiment). Sie haben die
Aufgabe, untereinander eine Anzahl von „Punkten“ zu verteilen,
die später gegen Geld getauscht werden können. Den Mitgliedern
der Ingroup werden dabei mehr Punkte zugeschossen.
Ingroup Favoritism - Outgroups werden gegenüber der Ingroup benachteiligt. Zeigt sich
schon bei subtilsten Aspekten der Sprache: Wörter wie „wir“, „uns“ rufen in VPn positivere
Emotionen aus als Wörter wie „sie“, „ihnen“!
Wichtiger Grundzug der Theorie ist, dass das Selbstwertgefühl aus einer unmittelbar
persönlichen Komponente, sowie aus verschiedenen Sozialen Identitäten besteht.
52
Erklärung von religiösem Fanatismus, Rassismus, Patriotismus. Und weil´s so wichtig ist,
noch mal eine Grafik zur Selbstwerterhöhung nach der THEORIE DER SOZ. IDENTITÄT:
Voraussagen der Theorie:
1. Bedrohungen des eigenen Selbstwertgefühls erhöhen die Favorisierung der Ingroup
2. Die Ingroup favorisierende Handlungen steigern das Selbstwertgefühl!
Situationale, individuelle und kulturelle Unterschiede:
1) Relative Gruppengröße (Marilynn Brewer, 1999): Gruppen von Minderheiten
besitzen größere Loyalität und ein höheres Maß an Vorurteilen gegenüber Outgroups.
2) Status innerhalb der Ingroup: Neulinge sind anfälliger für Vorurteile als bereits
etablierte Mitglieder.
3) Abhängigkeit des Selbstwertes vom Wert der Gruppe („social dominance
orientation“, das Verlangen nach Dominanz der Ingroup ist individuell
unterschiedlich ausgeprägt)
4) Ein möglicher Unterschied zwischen kollektivistischen und individualistischen
Kulturen wurde bisher noch nicht eindeutig herausgearbeitet.
Reaktionen auf niedrigen Status:
Wie geht man nach der TSI mit Gruppenmitgliedern um, die einen
niedrigen Status haben?
Wie geht man damit um, wenn die gesamte Gruppe einen niedrigen
Status hat?
53
Branscombe (1993): Mitglieder der eigenen Gruppe werden besonders negativ beurteilt,
wenn die Ingroup wichtig für den sozialen Status ist und diese Mitglieder die subjektiven
Standards der Ingroup nicht erfüllen.
Hat dagegen die gesamte Gruppe niedrigen Status, zeigt sich keine Minderung des
Selbstwertgefühls bei den einzelnen Mitgliedern.
5.3 Sexismus
5.3.1Geschlechterstereotype
9 Monate alte Säuglinge unterscheiden bereits männliche und weibliche
Gesichter (Habituationsparadigma, AV = Betrachtungszeit).
Prototypische Bilder existieren in ähnlicher Weise kulturübergreifend.
Diese Stereotype beeinflussen das Verhalten (sowohl von Eltern als auch den
Kindern) von Geburt an. Experiment von Rubin (1974): Gesichtszüge…. Von
Neugeborenen werden je nach Geschlecht unterschiedlich beschrieben. Das
Verhalten, das Eltern, Verwandte, alle Interaktionspartner dem Kind auf
Grund seines Geschlechts entgegen bringen, bestimmt wiederum das
Verhalten des Kindes.
Alle 6-jährigen Kinder denken, dass Mädchen ein größeres
Verletzungsrisiko bei risikoreichen Spielen haben.
5.3.2 Stimmen Geschlechterstereotype?
Oder genauer (sozialpsychologischer): „Reflektieren GS Unterschiede
zwischen den Geschlechtern, die unter bestimmten sozialen und historischen
Bedingungen bestehen?“
Frage ungeklärt. Der heutige Forschungsstand lässt 2 Schlüsse zu.
1) Annahmen über Geschlechtsunterschiede enthalten ein Körnchen Wahrheit
[Stand wirklich so drin…]
2) Dieses Körnchen Wahrheit wird vom Alltagspsychologen stark vereinfacht
und übertrieben.
54
5.3.3 Was erhält GS am Leben?
Das Übliche: illusory correlations, biased attributions, CB´s und SFP´s.
+
Idealbilder von Männern und Frauen in der jeweiligen Kultur.
Soziokulturelle Erklärungsansätze:
1) Media image & Popular Culture: Bsp. “Face-ism”: In Zeitungen werden die
Gesichter von Männern größer abgebildet Dominanz;
Experiment von Laurie Rudman (1995): Mehr
sexuell bezogenes, abwertendes Verhalten von
Männern gegenüber Frauen nach Ansicht von
TV-Spots, die dieses Image übertragen.
2) Social role Theory (Alice EAGLEY, 1987): Wahrgenommene Unterschiede
zwischen Männern und Frauen basieren auf realen Unterschieden, die aber
fälschlicher Weise auf das Geschlecht und nicht auf die sozialen Rollen
bezogen werden.
5.3.4 Geschlechterdiskriminierung
Berufswahl: Geschlechtsunterschiede eklatant, in bestimmten Berufen
haben Frauen/Männer schlechtere Jobaussichten, Frauen sind im
Allgemeinen weniger gut bezahlt.
5.3.5 Ambivalenter Sexismus
Peter Glick & Susan Fiske (1996): Eine Form von Sexismus, die von Einstellungen
gegenüber Frauen gekennzeichnet ist, die sowohl negative, missgünstige Ansichten und
Gefühle, als auch zugeneigte, galante, aber möglicherweise (negativ) gönnerhafte Ansichten
und Gefühle reflektieren.
Ambivalenter Sexismus = Feindlicher Sexismus + wohlwollender Sexismus.
Korrelation zwischen den beiden Arten des Sexismus.
55
5.4 Rassismus
5.4.1 Going under Cover: Moderner und Impliziter Rassismus
Moderner Rassismus: Keine offene Form des Rassismus. R zeigt sich, sobald er sozial
akzeptabel ist. Theorien des modernen Rassismus haben gemeinsam, dass sie Widersprüche
und Spannungen betonen, die zu subtilen, oft unbewussten Formen von Vorurteilen und
Diskriminierung führen.
Impliziter Rassismus: Rassismus operiert oft unbewusst und ungewollt, ohne dabei
Schuldgefühle zu erzeugen oder rassistisches Verhalten zu berichtigen.
Messmethoden:
- Reaktionszeiten können zur Messung von Vorurteilen herangezogen werden.
Bsp. Weiße VPn sollen reagieren, wenn Wortpaare „zusammenpassen“. Sie
reagieren nicht schneller, wenn „Schwarzer“ oder „Weißer“ mit negativen Worten
assoziiert sind, aber schneller, wenn „Weißer“ mit positiven Worten assoziiert ist
(dass sie beim „Schwarzen“ länger nachdenken müssen, zeigt ihre – versteckten Vorurteile; John Dovidio, 1997). Diese Resultate können nicht durch Selbstbericht
vorausgesagt werden.
- Modern Racism Scale (McConahay, 1986) enthält symbolische Fragen, die den
Grad des Rassismus individuell messen; allerdings können motivierte VPn den Test
überlisten.
- bona fide pipeline: Vpn sehen sich eine Serie von Gesichtern unterschiedlicher
ethnischer Herkunft an und sollen gleichzeitig so schnell wie möglich Adjektive als
gut/schlecht beurteilen. Gemessen werden die Reaktionszeiten der Beurteilungen.
Weiße VPn sind langsamer in der Beurteilung von „guten“ Adjektiven, wenn
diese unmittelbar nach einem Bild mit einem Schwarzen präsentiert wurden.
Schwarze VPn sind schneller bei der Kombination schlecht/weiß. Guter
Prädiktor für späteres Verhalten
- Implicit Association Test (IAT): selbst machen auf www.yale.edu/implicit !!!
56
5.4.2 Kontakt zwischen Gruppen: Eine Lösung?
Wie kann man modernen & impliziten Rassismus beseitigen?
Aufhebung der Rassentrennung in der Schule: Brown vs. Board of
Education of Topeka (1954). Dahinter steht die
KONTAKTHYPOTHESE: Direkter Kontakt zwischen verfeindeten
Gruppierungen sollte unter bestimmten Bedingungen Vorurteile
reduzieren. – Hat leider nicht funktioniert! Walter Stephan (1986): Review
von Studien vor und nach der AufRT: 13% der Weißen gaben geringere
Vorurteile an, 34% hatten dieselben Vorurteile und bei 53% hatten
größere Vorurteile.
Nach der Kontakthypothese müssen 4 Bedingungen erfüllt sein, damit sich eine
Verbesserung der Beziehungen zwischen den Gruppierungen ergibt:
1. Der Kontakt sollte in einer Umgebung erfolgen, in der die Gruppen gleichen Status
haben
2. Der Kontakt sollte persönliche Interaktionen (One-on-One-Situationen) beinhalten.
3. Mitglieder der Gruppen sollte nach Möglichkeit die Chance zur Kooperation an
gemeinsamen Zielen gegeben werden.
4. Der Kontakt zwischen den Gruppen sollte durch soziale Normen, die von den
zuständigen Autoritäten definiert werden, unterstützt werden.
Eine Metaanalyse von Thomas Pettigrew (2000) bestätigt die Bedingungen der
Konakthypothese.
„Jigsaw-Classroom“ (Elliot Aronson, 1978): Kooperative
Lernmethode; Klasse wird in kleine Gruppen eingeteilt, innerhalb
jeder Gruppe ist der Einzelne für einen bestimmten Lehrinhalt
verantwortlich, den er den anderen beibringen soll. hilft, Vorurteile
abzubauen, die Noten von Minderheiten verbesserten sich.
Dekategorisierung: Durch Überschneidung der Gruppen (siehe
Jigsaw-Classroom) heben sich die Differenzen zwischen den
ursprünglichen Gruppen auf.
Rekategorisierung: Durch ein übergeordnetes Ziel entsteht eine
Kategorisierung auf der nächsthöheren Hierarchieebene.
57
5.5 Effekte auf Stigmatisierte Ziele
5.5.1 Diskriminierung wahrnehmen
Experiment von Jennifer Crocker (1991): Schwarze Studenten füllen einen
Selbstbeschreibungsfragebogen aus. Ihnen wird gesagt, dass sie dabei von einem
Weißen Konföderierten beobachtet werden oder nicht. Der Weiße gibt anschließend
positives/negatives Feedback. Abschließend füllen die VPn einen
Selbstwertfragebogen aus. Wenn sie glauben, dass sie nicht beobachtet wurden,
steigt ihr Selbstbewusstsein nach positivem Feedback und sinkt nach negativem
Feedback. Bei Beobachtung steigt der Selbstwert nach negativem Feedback NICHT
und SINKT nach positivem Feedback, weil die VPn in dieser Bedingung Vorurteile
für den Erfolg/Misserfolg verantwortlich machen.
Das Attribuieren von negativem Feedback auf Diskriminierung (siehe Experiment) kann den
Selbstwert schützen, allerdings
(1) kann dabei selbstrelevante Information verloren gehen und
(2) das Gefühl mangelnder Kontrolle über das eigene Leben aufkommen
5.5.2 „Stereotype Threat“ und Akademischer Erfolg
„Stereotype Threat“ = Die Angst von Mitgliedern bestimmter
Gruppen, in gewissen Situationen (Domänen) auf Grund ihrer
Gruppenzugehörigkeit diskriminiert zu werden. ST beeinflusst die
Identität und intellektuelle Performance dieser Gruppenmitglieder
(Claude STEELE, 1997)
ST kann den Akademischen Erfolg auf zwei Arten mindern:
(1) Die Reaktionen (Angst, Unaufmerksamkeit, Abgelenktheit) können die Performance
direkt beeinflussen.
(2) Chronische ST kann zur „Disidentifikation“ des Individuums mit der entsprechenden
Domäne führen. Zweck = Schutz des Selbstbewusstseins, die Domäne ist nicht länger
relevant für das Selbstkonzept (Frauen können nicht Autofahren, Weiße sind
intelligenter).
58
Experiment von Claude Steele (1995):
Abwandlung des Experimentes: Es wird kein „Intelligenztest“ durchgeführt, aber zuvor in einer Bedingung die
VPn gebeten, ihre Rasse anzugeben. Dachten die schwarzen (nicht aber die weißen!) VPn vor dem
Experiment kurzzeitig an die mögliche Diskriminierung, verschlechterte sich auch ihre durchschnittliche
Testleistung.
Experiment von Stephen Spencer (1999): Männliche und weibliche Studenten, die gut in Mathematik waren und
für deren Identität ihre Matheskills wichtig waren. Bekamen einen schwierigen Mathetest vorgelegt + die
Information (a) „im Test zeigen sich im Allgemeinen keine Geschlechtsunterschiede“ oder (b) „im Test
schneiden Männer generell besser ab.“ Frauen haben in Bedingung (b) niedrigere Punktzahlen als Männer, in
Bedingung (a) zeigt sich kein Geschlechtsunterschied.
59
Experiment von Barbara Fredrickson (1998): Kontexteffekte auf die Leistung von Frauen in Mathematiktests:
Frauen und Männer werden gebeten, für eine Werbekampagne Kleidung zu testen und müssen (a) in einer
Bedingung Rollkragenpullover und (b) in der anderen Bedingung Schwimmkleidung anziehen, während sie
einen Mathetest absolvieren. Frauen schneiden in der Bikini-Bedingung schlechter ab
Verschiedenheit von ST´s:
Weiße und Schwarze VPn spielen Minigolf. Als relevant für den Erfolg bei
dem Spiel wird einmal vorab „natürliche athletische Fähigkeiten“ und einmal
„sportliche Intelligenz“ angegeben. Guess what?! (Nein!, Doch! ;-)
Experiment von Jeff Stone, 1999).
Weil die meisten Menschen sich mehreren Gruppen zuordnen können, die
alle unterschiedlichen Stereotypen unterliegen können, ergeben sich in
manchen Situationen je nach Kategorisierung unterschiedliche Ergebnisse
(Bsp. In den USA werden Frauen als schlecht in Mathetests angesehen,
Asiaten aber im allgemeinen als überdurchschnittlich Asiatische Frauen
haben „die Wahl“ –> Experiment von Margaret Smith, 1999)
60
6 Einstellungen
Gliederung:
6.1 Untersuchung von Einstellungen
6.2 Überzeugung mittels Kommunikation
6.3 Überzeugung mittels unserer eigenen Handlungen
In diesem Kapitel geht es um den sozialen Einfluss auf Einstellungen
„Einstellung“ = Eine positive, negative oder gemischte Reaktion auf eine Person, ein Objekt
oder eine Idee.
„Überzeugung“ = Der Prozess der Einstellungsänderung
6.1 Die Untersuchung von Einstellungen
Objekte, Personen, Ideen werden also in positiver und negativer Richtung bewertet. Daraus
ergibt sich:
hoch
Positive Einstellung
Ambivalenz
Indifferenz
Negative Einstellung
Positive
Reaktion
niedrig
Negative Reaktion
Niedrig
Hoch
Anstatt sich der Ambivalenz bewusst zu werden, kann man auch eine der beiden
Dimensionen aktiv ausblenden Bsp. Moderner Rassismus
Menschen unterscheiden sich im „need for evaluation“. Der Wert des NFE korreliert positiv
mit der Reaktion der Person auf positive/negative Reize.
„Sinn“ von Einstellungen: E´s sind adaptiv; sie ermöglichen uns schnelle Urteile über
Objekte und erleichtern uns die Interpretation von Situationen.
61
6.1.1 Messung von Einstellungen
Ein Überblick von Fishbein & Ajzen (1972) stellt über 500 verschiedene Verfahren zur
Einstellungsmessung dar. Sie können in 2 Kategorien eingeteilt werden: Selbst-Report und
Verdeckte Messung.
Selbst-Report
Nachteile:
A) Antworten auf Einstellungsfragen hängen sehr stark vom Wortlaut der Frage ab und vom
Kontext, in dem sie gestellt werden. Einzelne Fragen geben die Einstellungen nur ungenau
wieder, man verwendet „Attitude Scales“, also Fragebögen mit mehreren Fragen (bsp:
LIKERT-Scale, 1932: Befragten wird eine Liste von Statements über ein
einstellungsrelevantes Objekt gegeben und sie sollen auf einer Skala von 0-n angeben, wie
sehr sie mit dem Statement übereinstimmen)
B) dem Self-Report liegt die Annahme zugrunde, dass die Befragten ihre wahren
Einstellungen preisgeben. Allerdings: Soziale Erwünschtheit.
Lösung: „bogus pipeline“: Die Befragten werden an eine Maschine angeschlossen; man teilt
ihnen mit, dass es sich um eine Art Lügendetektor handelt.
Verdeckte Messung
1) Verhaltensbeobachtung: Gesichtsausdruck, Stimme, Körpersprache. Problem:
Monitoring der Zielpersonen (Selbstkontrolle zwecks sozialer Erwünschtheit).
2) Messung Physiologischer Signale: … wie Herzschlagrate, Schwitzen o.ä. Problem:
Misst zwar Stärke, aber nicht Richtung der Einstellung.
3) Gesichts-EMG: Zeichnet willkürliche und unwillkürliche Muskelbewegungen auf,
deren Verteilungsmuster mit positiven/negativen Einstellungen korrelieren.
4) EEG
Implizite Einstellungen können beispielsweise mit dem IAT gemessen werden. Jedoch haben
die bisher verwendeten Tests nur eine bedingte Vorhersagekraft betreffend realer sozialer
Situationen.
6.1.2 Die Verbindung zwischen Einstellungen und Verhalten
Experiment von Richard LaPiere (1934): Geht auf Reise mit einem chinesischen
Pärchen (Einstellungen ggü. Chinesen in den USA damals generell negativ) und
besucht Hotels, Campingplätze, Restaurants. Sie wurden nur einmal abgelehnt. Nach dem Road Trip schreibt er die besuchten Adressen unter einem anderen
Namen an, ob sie ihren Service für ein chinesisches Pärchen anbieten würden und
erhält in 90% der Fälle Absagen. Einstellungen korrespondieren nicht mit
Verhalten. Trotz massiver methodischer Mängel regte der Befund viel
Forschungsinteresse an.
Einstellungen im Kontext:
62
Icek Ajzen & Martin Fishbein (1977): Einstellungen korrelieren nur dann mit Verhalten,
wenn die Einstellungsmessungen das in Frage stehende Verhalten möglichst präzise erfassen.
Umso spezifischer die Fragen, desto genauer die Verhaltensvorhersage.
„Theorie des geplanten Verhaltens“
(Ajzen, 1991)
Einstellungen gegenüber einem spezifischen Verhalten
werden mit subjektiven Normen (was wir glauben, was
andere von unserem Verhalten halten) und der
wahrgenommenen Kontrolle über das Verhalten
kombiniert. Aus dieser Kombination entsteht eine Absicht,
die dann je nach externen Faktoren zu dem spezifischen
Verhalten führt oder nicht.
Stärke von Einstellungen:
Tesser (1993): Starke Einstellungen sind genetisch programmiert. Zwillingsforschungen
unterstützen diese Hypothese. Bei Fragen nach grundlegenden Einstellungen antworten VPn
schneller und ändern ihre Einstellungen mit geringerer W`keit in Richtung sozialer Normen
ab.
Einstellungen gegenüber Objekten sind umso stärker,
(1) je unmittelbarer man von den Objekten betroffen ist
(2) wenn die Objekte mit religiösen oder politischen Überzeugungen verknüpft sind
(3) je mehr sie Freunde, Familie und soziale Ingroups betreffen
Einstellungen sind umso stärker, je besser man informiert ist.
Einstellungen sind stärker, wenn man mit den einstellungsrelevanten Objekten persönliche
Erfahrungen gemacht hat.
63
6.2 Überzeugung durch Kommunikation
6.2.2 Zwei Routen zur Überzeugung
Richard Petty und John Cacioppo (1986): Kommunikationsverarbeitung seitens des
Rezipienten geschieht auf 2 Wegen:
(1) Der zentrale (direkte) Weg: Der Rezipient denkt über die Kommunikation nach
und wird von den Inhalten und den Argumenten (Gewicht, Qualität) überzeugt.
(2) Der periphere (indirekte) Weg: Die Überzeugung geschieht auf Grund von
oberflächlichen Cues.
Welcher Weg vom Überzeugten eingeschlagen worden ist, hängt vom Willen und der
Fähigkeit ab, die gesendete Information nachzuvollziehen.
Der Zentrale Weg
Überzeugung benötigt nach William McGuire (1969) und Anthony Greenwald (1968)
drei Mechanismen:
(a) Reception
(b) Acceptance
(c) Elaboration
Punkt (c) umfasst den Prozess des Nachdenkens und Abwägens.
Der periphere Weg
Die periphere Route besteht aus der Nutzung von einfachen Heuristiken und
Daumenregeln. Sprechereigenschaften werden mit einbezogen, Länge der
Nachricht, Statistiken, Expertenmeinungen, Vertrautheit, Mehrheit
Wahl des Wegs
(Durch Kommunikation entstandene) Überzeugung ist das Ergebnis des
Zusammenspiels 3er Faktoren: Quelle (wer?), Botschaft (was und in welchem
Kontext?) und Empfänger (wem?). Die Verarbeitungsstrategie (zentral/peripher) der
Zuhörer hängt von deren Fähigkeit und Motivation ab, die zentrale Route
einzuschlagen.
6.2.3 Die Quelle
Frage: Mit welchen Eigenschaften überzeugt man am besten und warum?
(1) Glaubwürdigkeit: Sender sollte (a) Kompetenz (oft Expertise) haben und (b)
vertrauenswürdig sein (letzteres wird meist auf Grund von Stereotypen eingeschätzt:
Apotheker sind vertrauenswürdiger als Autoverkäufer, oder?).
Einfache Regel („self-interest-rule“): Die Glaubwürdigkeit eines Senders sinkt, wenn
er einen Vorteil aus der Argumentation oder dem Kontext zieht (Geld, Freiheit…)
64
Folgen der SIR: Nimmt jemand einen Standpunkt ein, der von ihm nicht erwartet
wird, scheint er glaubwürdiger. +. „overheard communicator“-Effekt: Ein Sender
wirkt glaubwürdiger, wenn die Botschaft nicht explizit für den Empfänger ist (…..).
(2) Sympathie (Liebenswürdigkeit): (a) Sender sollte dem Empfänger ähnlich sein
(Identifikation). Ähnlichkeit ist multidimensional. Am überzeugendsten, wenn sie mit
den Inhalten der Botschaft korrespondiert (Berscheid, 1966). (b) Sympathie entsteht
durch Physische Attraktivität des Senders. Experiment von Shelly Chaiken (1979):
Attraktive StudentInnen bekommen eine Petition zur Mensaabschaffung in 41% der
Fälle unterzeichnet, unattraktive in nur 32%. Kann unter Umständen die Wichtigkeit
der Argumente überschatten; ist in der Werbung natürlich bei Schönheitsrelevanten
Produkten besonders effektiv.
Was ist wichtiger – Quelle oder Nachricht selbst?
Hängt vom Grad der Betroffenheit des Empfängers ab: Ist man direkt betroffen, so orientiert
man sich eher an den Argumenten. Bei einem niedrigen Level der Involviertheit wird meist
die (unaufwändigere) periphere Route gewählt. Experiment von Richard Petty (1981):
Studenten hören gute (schlechte) Argumente von einem Professor (ein Schüler) für einen
Einstufungstest im nächsten Jahr (in 10 Jahren). ACHTUNG: Grundlegendes Paradigma der
Einstellungsforschung! Unterscheidung peripher-zentral!!!
Schläfer-Effekt (Hovland & Weiss, 1951):
Verzögerte Wirkungsverstärkung des überzeugenden Einflusses einer nicht
glaubwürdigen Quelle.. Erklärung: „discounting cue hypothesis“ –
Argumente eine unglaubwürdigen Quelle werden zunächst unter Vorbehalt
aufgenommen. Nach einiger Zeit wird aber der Inhalt von der Quelle
getrennt und die Vorbehalte verschwinden. Erinnert man VPn dann an die
Quelle, stellt sich der ursprüngliche Effekt wieder ein (Hovland, 1953). Oder
einfacher: Die Leute erinnern sich oft an die Nachricht und vergessen die
Quelle. Funktioniert nur richtig gut, wenn man die Quelleninformation
unmittelbar nach den Argumenten bekommt, nicht schon während der
Nachricht.
6.2.4 Die Nachricht
Informationsstrategien:
Hängen von der Wahl der Route ab.
Länge einer Nachricht: Gut, wenn Zuhörer unaufmerksam, weil oberflächlich Länge als
Güte der Argumente interpretiert wird. Wird der zentrale Weg gewählt, ist Quantität nur in
Verbindung mit Qualität der Argumente nützlich.
65
Reihenfolge der Argumente: Bei gegensätzlichen Argumenten ist Zeit der entscheidende
Faktor. Im Einzelnen:
Punkt Yes
Punkt No
1 Woche
Entscheidung
PRIMACY
Punkt Yes
1 Woche
Punkt No
Entscheidung
RECENCY
Punkt Yes
Punkt No
Entscheidung
----Punkt Yes
1 Woche
Punkt No
1 Woche
Entscheidung ----(Experiment von Norman Miller, 1959). Überlege kurz, was das für Implikationen für die
Bundestagswahl hat.
Wieviel Abweichung verträgt eine Botschaft?
Wie stark sollte eine Nachricht von den Einstellungen der Zuhörer abweichen, um einen
maximalen Effekt zu erreichen? Eher schwach.
Vergleich: U-förmige Verteilung. Größter Effekt bei moderater Einstellungsdiskrepanz.
Zur Effektivität von Angst
„Scare tactics“, also Diffamierung oder drastische, emotionale Beschreibung unerwünschter
Folgen sind in Politik, Religion und Werbung weit verbreitet.
Angst steigert die Initiative zum Nachdenken über Alternativ-Positionen, aber nur, wenn
diese Positionen explizit genannt und Verhaltenshinweise geboten werden.
Zur Effektivität von positiven Emotionen
Positive Emotionen können Einstellungsänderungen erleichtern. Petty (1993): Positive
Emotionen führen dazu, dass der periphere Weg eingeschlagen wird, lassen also zusätzlich
oberflächliche Hinweisreize zur Änderung beitragen. Wie? 3 alternative Erklärungen:
(1) Positive Emotionen wirken ablenkend Ohne Aufmerksamkeit periphere Route
(2) Kritik hat eine Schutzfunktion, die bei guter Stimmung lockerer wird.
(3) Positive Emotionen sollen möglichst beibehalten werden kein kritisches
Nachdenken über neue Informationen erwünscht.
Subliminale Botschaften
…sind Nachrichten, die dem Empfänger so kurz präsentiert werden, dass er sie nicht bewusst
wahrnimmt. Brean (1958): In einem Autokino werden während der Filme die SB´s „drink
coke“ und „eat popcorn“ eingeblendet, woraufhin der Popcorn- & Cola-Absatz deutlich
steigt.
Experiment von A.C. North (1999): In einem Supermarkt werden an verschiedenen Tagen
deutsche oder französische Songs gespielt (wir können das Grauen nur erahnen…). Der
Weinkonsum passt sich entsprechend an (83% deutsche Weine an Tagen mit deutscher
Volksmusik, 65% französische Weine an Tagen mit französischen Chansons),
Aber: Generell unterstützt die Forschung diese Befunde NICHT. Nur der Glaube an das
Vorhandensein subliminaler Botschaften unterstützt Einstellungsänderung: „What you expect
is what you believe, but not necessarily what you get“
6.2.5 Das Publikum (Die Empfänger)
66
Der Eindruck, den eine Nachricht hinterlässt, wird von 2 Zuhörer-Effekten mitbestimmt: Von
der Persönlichkeit der Zuhörer und ihren Erwartungen.
Individuelle Unterschiede / Gruppen
Die „leicht zu überzeugende Persönlichkeit“ gibt es nicht. Gemäß der
interaktionistischen Perspektive kommt es aufs Setting an.
Petty & Cacioppo (1982): Personen unterscheiden sich im „Need for
Cognition“ (wie sehr sie kognitiv anstrengende Aufgaben mögen). Hoher NC bedeutet eher zentraler Weg, niedriger NC bedeutet eher
peripherer Weg. Untersucht und bestätigt mit grundlegendem
Paradigma der Einstellungsforschung.
Self-Monitoring: Personen mit hohem SM werden eher von Imagebasierten Werbespots angesprochen als Personen mit niedrigem SM.
Kulturelle Faktoren: Werbung ist kulturspezifisch, der Fokus ist
jeweils verschieden. Experiment von Sang-Pil Han und Sharon Shavitt
(1994): Gruppen- und Individuenorientierte Werbung wird
Amerikanern und Koreanern gezeigt. AV = Präferenz (guess what?) Damit sie überzeugt, sollte eine Nachricht die kulturellen Werte der
Empfänger berücksichtigen.
Vorwarnung
Ergebnis: Erschwert die Überzeugung.
Prozess: Experiment von Jonathan Freedman und David Sears (1965):
In einer Bedingung (1) wurden die Vpn informiert, welche Position der
Sprecher einnehmen wird (kognitiver Effekt), in der anderen Bedingung
(2) wurden sie informiert, dass der Sprecher versuchen wird, sie zu
überzeugen. Beide Male sind die Vpn schwerer zu überzeugen als
ohne Vorwarnung.
Grund: In Bedingung (1) werden die Vpn mit dem Argument „geimpft“
(INOCULATION HYPOTHESIS – wird man einem schwachen
Überzeugungsversuch ausgesetzt erhöht dies die spätere Resistenz
gegen weitere Versuche). In Bedingung (2) schlägt die
REAKTANZTHEORIE (Jack BREHM) zu. ERKLÄRUNG
67
6.3 Überzeugung durch eigene Handlungen
6.3.1 Rollen: Die Welt als Bühne
Irving Janis (1968): Einstellungsänderungen bestehen eher fort, wenn man das
einstellungsdiskrepante Verhalten selbst ausgeübt hat, anstatt (passiv) überzeugt worden zu
sein. Experiment (1954): VPn bekommen Rede gehalten oder ein Outline der Rede in die Hand gedrückt mit
der Vorgabe, die Rede selbst zu halten. Grund: Der Aktive ist dazu gezwungen, die Nachricht zu
lernen. Gedächtnisexperimente belegen, dass man eigene Argumente besser behält.
Experiment von Higgins (1978): VPn lesen Geschichte von einem Mann und
sollen sie anschließend einer weiteren VPn erzählen, von der sie wissen, dass sie
(1) den Mann mag oder (2) den Mann nicht mag. Die Erzählungen passen sich
der Einstellung des Gegenübers an (soziale Erwünschtheit) Die
EINSTELLUNGEN passen sich den Erzählungen an!
Wir helfen anderen, weil wir sie mögen und wir verletzen sie, weil wir sie hassen. Kehrseite
der Medaille: Wir mögen andere, weil wir ihnen helfen und wir hassen sie, weil wir sie
verletzen. - „Saying is believing“.
6.3.2 Die klassische Kognitive-Dissonanz-Theorie
Kognitive Konsistenz = Zustand, der durch Kompatibilität von Ansichten, Einstellungen und
Verhalten gekennzeichnet ist.
Kurz: Leon Festinger´s (1957) Theorie der kognitiven Dissonanz besagt, dass kognitive
Inkonsistenz eine psychologische Spannung (= kognitive D.) erzeugt. Daraufhin entsteht die
Motivation, diese Spannung zu reduzieren.
Sehr kurz:
Kog. Inkonsistenz Spannung Motivation zur Spannungsreduktion
Wichtig: Diskrepanz verursacht nicht zwangsläufig
Dissonanz.
Bsp: Mousse au chocolat – Fressen bei Diät erzeugt kognitive
Dissonanz. Geht man aber beim Löffeln davon aus, dass es
kalorienreduzierte Mousse-au-chocolat ist und erfährt erst danach,
dass es keine war, entsteht keine KD.
Dissonanz entsteht in der Regel dadurch, dass man sich
wissentlich inkonsistent verhält.
68
EXPERIMENT von Leon FESTINGER und J. Merill Carlsmith
(1959)
Zur Rechtfertigung von einstellungsdiskrepantem
Verhalten („Wenn Tun Glauben bedeutet“):
Teil 1: 1h lang sind langweilige Tätigkeiten zu absolvieren.
Teil 2: Vpn bekommen (1) 1$ oder (2) 20$ dafür, dass sie der folgenden VP
erzählen, dass das Experiment hochinteressant sei. In (3) mussten die VPn
überhaupt nichts tun (Kontrollgruppe).
In (2) erhielten die VPn eine ausreichende externe Kompensation
(Rechtfertigung) für die Lüge. (1) stellt eine unzureichende Rechtfertigung
(allgemein „insufficient justification“ = Eine Bedingung, in der man ein
einstellungsdiskrepantes Verhalten ausführt, ohne dafür viel zu bekommen)
dar, es entsteht KD Zur Reduktion hat man 2 Möglichkeiten: (a) Verhalten
leugnen (selten möglich) oder (b) Einstellung ändern Ergebnis: (3) und (2)
fanden das Experiment langweilig, (1) reduzierten die KD durch
Einstellungsänderung und fanden das Experiment interessanter als (3) und
(2).
2 Implikationen:
1. Bei einer Diskrepanz von Einstellung und Verhalten wird
manchmal die Einstellung verändert.
2. Unzureichende Strafen (= „insufficient deterrence“) können
auch zu Einstellungsänderung führen.
Rechtfertigung des Aufwands: Wir mögen das, wofür wir leiden.
Bei einer Inkonsistenz von Aufwand und Ergebnis (viel probiert, wenig erreicht) kann KD
entstehen Motivation für eine Neuinterpretation des Ergebnisses (der Aufwand kann ja
nicht mehr reduziert, höchstens geleugnet werden) Einstellungsänderung gegenüber dem
Ergebnis zur Rechtfertigung des Aufwands.
Befunde:
- Je härter Psychotherapiepatienten an ihrer Genesung arbeiten, desto wahrscheinlicher wird
ein Erfolg.
- 58% der Vietnam-Veteranen sagen, dass der Krieg nötig war gegenüber 29% aller
Amerikaner.
Rechtfertigung von schwierigen Entscheidungen
Definition: Eine Entscheidung ist dann schwierig, wenn die möglichen Ergebnisse einen
ähnlichen subjektiven Wert besitzen.
KD entsteht durch die negativen Aspekte der gewählten Alternative, sowie die positiven
Aspekte der nicht gewählten Alternative.
Reduktion der KD sollte demnach über die Übertreibung der positiven Aspekte der
gewählten Alternative und der negativen Aspekte der nicht gewählten Alternative geschehen.
Experiment von Jack Brehm (1956): Studentinnen sollen verschiedene Produkte bewerten und dürfen
anschließend eines von 2 Produkten als Belohnung mitnehmen. In (1) haben sie die Wahl zwischen zwei sehr
unterschiedlich bewerteten Alternativen, in (2) sollen sie zwischen 2 Alternativen wählen, die sie als gleich
wünschenswert bewertet haben. Danach folgt eine zweite Bewertung derselben Items Ergebnis: In der
Gruppe mit der Wahl zwischen wertäquivalenten Items bekommen die gewählten Items bessere Bewertungen
und die nicht gewählten schlechtere.
69
Bsp: Bei abgeschlossenen Wetten steigt das Vertrauen in die Richtigkeit der Wette. Bei
Wahlen ist man sich sicherer, dass der eigene Kandidat gewinnt, nachdem man gewählt hat.
Kurz: Entscheidung post-decision-dissonance Dissonanzreduktion durch
Überbewertung
6.3.3 Neuere Ansätze zur Theorie der Kognitiven Dissonanz
KD braucht bestimmte Entstehungsbedingungen. Nach Cooper und Fazio (1984):
(1) Negative Konsequenzen. Das Verhalten muss eigentlich nicht einmal
einstellungsinkonsistent sein. Negative Folgen eines Verhaltens allein können zu KD
führen (Wenn die Absicht mit dem Ergebnis im Widerspruch steht).
(2) Persönliche Verantwortung. D.h. es muss Wahlfreiheit gegeben sein und die Folgen
des Verhaltens müssen vorhersehbar sein.
(3) Physiologische Erregung. Entsteht meist durch freiwilliges einstellungsdiskrepantes
Verhalten.
(4) Attribution der Erregung auf das eigene Verhalten.
Diese 4 Entstehungsbedingungen lassen sich als Prozess zusammenfassen:
Klassische vs. Neue Dissonanztheorie:
Einstellungsdiskrepantes Verhalten
verursacht nicht immer KD, weil manchen
Leuten Konsistenz egal ist und weil
Einstellungsveränderung möglicher Weise
negative Konsequenzen voraussetzt.
Einstellungsdiskrepantes Verhalten kann
auch ohne negative Konsequenzen KD
verursachen. Experiment von Eddie Harmon-Jones
(1996): VPn trinken ein mit Zucker oder Essig
versetztes Getränk und sollen („no choice“, 1) bzw.
werden gefragt („high choice“, 2) ein schriftliches
Statement zum Geschmack (zu) verfassen, das
anschließend vernichtet wird (-> KEINE negativen
Konsequenzen!) trotzdem wird in der high-choiceBedingung der Geschmack des mit Essig versetzten
Getränkes positiver dargestellt (Rechtfertigung der
Entscheidung ohne negative Konsequenzen
70
des Verhaltens)
6.3.4 Alternative Wege zur Selbstüberzeugung
Können die empirisch gewonnenen Fakten auch anders erklärt werden?
3 Alternative Ansätze:
(1) Selbstwahrnehmungstheorie (Daryl Bem, 1965): Gefühle und Einstellungen
werden zum Teil aus der Beobachtung des eigenen Verhaltens inferiert.
Hypothese: Vpn bekommen eine Beschreibung eines klassischen DissonanzExperimentes und sollen die Ergebnisse vorhersagen. Hypothese: Wenn sie
exakte Voraussagen treffen, ohne dass bei ihnen selbst physiologische Erregung
und damit KD entsteht, würde das heißen, dass für Einstellungsveränderungen
gar kein Dissonanzgefühl nötig ist (Dieselbe Verhaltensinformation, aber kein
Konflikt, kalte Vernunft, Schlussfolgerung durch Verhaltensbeobachtung bringt
die Einstellungsänderung). Kritik von Fazio (1977): Beide Theorien sind richtig,
aber in verschiedenen Situationen: Hochdiskrepantes Verhalten erzeugt
Dissonanz, während geringfügig diskrepantes Verhalten Veränderungen durch
Selbstwahrnehmung erzeugt.
(2) Impression-Management Theorie: Entscheidend ist nicht die Motivation,
konsistent zu handeln, sondern der Wunsch, dass unser Handeln konsistent
ERSCHEINT. Der Fokus der Theorie liegt also auf der Selbstpräsentation.
Wenn die IMT zutrifft erzeugt KD nur berichtete, keine wahre
Einstellungsänderung! D.h. bei anonymer Einstellungsbewertung oder bogus
pipeline sollte sich keine EV ergeben. Forschung zeigt ambivalente
Ergebnisse, wahrscheinlich wieder einmal situationsabhängig…
(3) Selbstbestätigungstheorie von Elliot Aronson (1999): Dissonanz erzeugende
Handlungen bedrohen eigentlich das Selbstkonzept. Die entstehenden Gefühle
von Schuld, Ehrlosigkeit, Heuchelei motivieren dazu, die Einstellung zu
verändern. Claude Steele (1988): Dissonanzerzeugende Situation Irgendein
Selbstbestätigungsprozess zur Wiedereinrenkung des Selbstkonzepts Reduktion der KD. Das bedeutet: Wenn man die 1$-VPn in der FestingerCarlsmith-Studie irgendeine Problemlöseaufgabe erfolgreich beenden lässt,
sollten sich die Einstellungen nicht ändern, weil die selbstbestätigende
Erfahrung den Wunsch nach Dissonanzreduktion vermindert. Allerdings:
Funktioniert die Reparatur des Selbstwertgefühls nicht, erzeugt letztlich doch
die KD eine Spannungsreduktion und damit eine Einstellungsänderung.
71
Experiment mit klassischem Paradigma zur Zusammenfassung:
Zusammenfassender kritischer Vergleich der Selbstüberzeugungstheorien:
72
7 Konformität
Gliederung:
7.1 Sozialer Einfluss als Automatismus
7.2 Konformität
7.3 Compliance
7.4 Gehorsam
7.5 Das Kontinuum des Sozialen Einflusses
In diesem Kapitel geht es um die Automatismen des Sozialen Einflusses
„Sozialer Einfluss“ = Beeinflussung des Individuums durch realen und imaginären Druck
von anderen.
„Konformität“ = Die Tendenz, seine Wahrnehmung, seine Meinung und sein Verhalten den
Normen der Gruppe anzupassen.
„Compliance“ = (Einwilligung) Veränderungen im Verhalten auf Grund direkter
Bitten/Fragen/Wünsche.
„Gehorsam“ = Veränderungen im Verhalten auf Grund von Befehlen einer Autorität.
Die 3 Formen automatischen Einflusses sind nicht klar voneinander abgrenzbar, sondern
lassen sich als Kontinuum des Sozialen Einflusses darstellen:
73
7.1 Sozialer Einfluss als Automatismus
Experiment von Stanley Milgram (1969): Konföderierte blicken nach oben, 80% der
Passanten machen es ihnen nach.
72h alte Neugeborene imitieren bereits Gesichtsausdrücke.
„Chamäleon-Effekt“ (Tanya Chartrand, 1999): Auch Erwachsene
ahmen Verhaltensweisen ihrer Interaktionspartner nach. Im Experiment:
Imitieren von Fußwippen, im Gesicht kratzen von Konföderierten.
„Mood Contagion“ (Stimmungsansteckung, Roland Neumann, 2000):
VPn hören abstrakte philosophische Diskussion (entweder mit trauriger,
neutraler oder glücklicher Stimme) vom Band. Keine Interaktion,
aber dennoch sind die VPn je nach Stimmung des imaginären
Interaktionspartners glücklicher oder trauriger als davor.
74
7.2 Konformität
Allgemein:
Konformität ist weit verbreitet. Es ist schwer, soziale Normen zu brechen. In einem
Experiment von Milgram (1978) sollten einige seiner Assistenten Fahrgäste in der U-Bahn
fragen, ob sie ihre Plätze für sie frei machen (Verletzung von Benimmregeln nonkonformes Verhalten). Viele von den Assistenten wollten und konnten diese Aufgabe
nicht ausführen, andere gaben bei der Frage an, krank zu sein (Rechtfertigung).
VPn, die sich in Experimenten konform
verhalten (müssen), geben ihre Konformität
oft nicht zu und reinterpretieren sie (siehe
unten Experimente von Asch, Sherif).
Konformität ist für die friedliche Koexistenz von Menschen notwendig, aber Konformität in
den falschen Situationen kann negative Konsequenzen haben.
7.2.1 Die frühen Klassiker
Experiment von Muzafar Sherif (1936)
Coverstory: Experiment zur visuellen Wahrnehmung. Entsprechend
sitzt eine Gruppe von VPn in einem abgedunkelten Raum und soll
schätzen, wie weit sich ein kleiner Lichtpunkt in einer gewissen Zeit
bewegt hat – in Wahrheit bewegt sich der Lichtpunkt nicht, es entsteht
allenfalls eine optische Bewegungstäuschung (= „autokinetischer
Effekt“).
Zunächst sitzt jeder allein im Raum, die Schätzungen reichen von 330cm.
In allen weiteren Sitzungen werden 3er-Gruppen gebildet.
Ergebnis: Anfangs gehen die Schätzungen noch weit auseinander, doch
schon in der 4. Sitzung herrscht absolute Konformität bezüglich des
Wegs, den der Punkt zurückgelegt haben soll!
Informationaler Einfluss anderer
75
Experiment von Solomon Asch (1951)
Coverstory: Experiment zur visuellen Diskrimination.
VPn sitzen mit 6 Konföderierten in einem Raum, sie werden instruiert,
in jedem Durchgang nacheinander laut zu schätzen, welche von 3
Vergleichslinien dieselbe Länge wie eine Standardlinie hat. Die VP sitzt
dabei an 6. Position. Nach 2 Durchgängen wählen sämtliche
Konföderierten eine falsche Linie, wobei klar ersichtlich ist, dass sie die
falsche Linie gewählt haben.
Ergebnis: Die Vpn schließen sich in 37% der Fälle der „Meinung“ der
Konföderierten an!
Normativer Einfluss anderer
7.2.2 Warum zeigen Menschen Konformität?
Es gibt 2 Gründe für Konformität:
(1) Information: Man will in seinen Urteilen korrekt sein und bedient sich deshalb des
Informationalen Einflusses anderer (deren Urteilen also – besonders in
ambivalenten/unsicheren Situationen).
(2) Normen: Um negative soziale Konsequenzen zu umgehen, verhalten sich Menschen
konform und müssen sich hierbei vom Normativen Einfluss anderer leiten lassen.
Die beiden Einflussarten treten normaler Weise simultan auf. Aber:
Sie haben unterschiedliche Arten der Konformität zur Folge:
Informationaler Einfluss führt überwiegend zu Privater
Konformität („private conformity“), also einer Veränderung der
Ansichten des Individuums, wenn es eine Position, die von anderen
vertreten wird, persönlich akzeptiert. Es herrscht die Überzeugung,
dass die anderen korrekt entschieden haben (siehe Sherif, 1936). Der
Effekt ist vergleichsweise lang anhaltend.
Normativer Einfluss führt in der Regel zu Öffentlicher Konformität
(„public conformity“), also einer oberflächlichen Veränderung im
sichtbaren Verhalten, die allerdings auf keiner wirklichen
Überzeugung basiert, sondern lediglich dem realen oder imaginären
Gruppendruck Rechnung trägt (siehe Asch, 1951; Politik). Der
Effekt ist vergleichsweise kurzfristig.
76
Ein Experiment von Robert Baron (1999, siehe Abbildung) zeigt, dass beide Prozesse
von der Motivation der VPn abhängen (Die Vpn sollten in einem Line-Up den Täter
erkennen, in der schwierigen Bedingung sahen sie zuvor ein Bild des Täters für 1/2s,
in der einfachen Bedingung 2x für je 10s. In der low-motivation Bedingung wurde das
Experiment als Pilotstudie deklariert, in der high-motivation Bedingung bekamen die
VPn für hits Geld):
Entscheidend für die Art des Einflusses ist die Schwierigkeit der Aufgabe!
7.2.3 Einfluss von Mehrheiten
Situationale und personale Faktoren für Konformität:
(1) Gruppengröße: Konformität steigt bis zu einer GG von 4 Personen, danach
stagniert sie. Nach David Wilder (1977) orientiert man sich nicht an der
totalen Anzahl der Meinungen, sondern an der Anzahl der Meinungen, die
man als unabhängig annimmt.
77
(2) Kenntnis der Normen: Nur bei Wissen um und Konzentration auf die
relevanten Normen entsteht Konformität. Bsp. a) Alkoholkonsum sinkt
eher, wenn falsche Normen korrigiert werden, als wenn die „Therapie“ auf
persönliche Verantwortung ausgerichtet ist; b) „Müllstudien“ von Cialdini:
Der Müll wird dort weggeworfen, wo sich anderer Müll befindet. Bei
Beobachtung = Orientierung an sozialen Normen wird auch Müll
weggeworfen (Tiefgaragenexperiment).
(3) Alliierte: In Asch´s Experiment verringerte sich die Konformität bei
Präsenz eines Verbündeten um 80%. Grund: 2 Möglichkeiten –
Informationaler Einfluss oder Reduzierung von normativem Druck. Und
die Reduzierung gewinnt: Experiment von Vernon Allen (1969): Einer der
Konföderierten wählt eine andere Linie, die jedoch auch falsch ist kein Informativer
Einfluss, trotzdem wird die Konformität dadurch erheblich reduziert Reduzierung
des normativen Konformitätsdrucks.
(4) Alter: Konformität erreicht in der Pubertät einen Höhepunkt und nimmt mit
dem Alter ab.
(5) Geschlecht: In privaten Settings gibt es keine Unterschiede. Unterschiede
zeigen sich bei der Art der Aufgabe (männliche vs. weibliche Aufgaben): Je
sicherer die Vpn sich auf einem Terrain fühlen, desto weniger konform
verhalten sie sich. Unterschiede zeigen sich auch in der Öffentlichkeit, wo
sich Frauen eher konform verhalten. Dieser Befund spiegelt wahrscheinlich
die traditionelle Geschlechterrollenverteilung und die Erwartungen, die auf
Grund dessen entstehen wider.
(6) Kultur: Andere Kulturen – andere Normen. So weit, so gut. Aber in
individualistischen Kulturen ist Konformität auch etwas weniger verbreitet
als in kollektivistischen Kulturen.
7.2.4 Einfluss von Minderheiten
Bertrand Russell:
„Normale Leute werden von Abweichungen
von der Norm zur Raserei getrieben.
Größtenteils deshalb, weil sie ein solches
Abweichen als Kritik an ihnen selbst ansehen.“
Minderheiteneinfluss = Der Prozess, im Zuge dessen Abweichler eine Veränderung in der
Gruppe bewirken.
78
Power of Style:
(1) „consistent dissent“:
Moscovici (1996): Konsistenzstrategie. Mehrheiten sind mächtig per
se, die Macht von Minderheiten stammt von der Qualität (style) ihres
Verhaltens ab. Wiederholung von Argumenten, Konsistenz und die
Konfrontation mit einer Person, die das Selbstvertrauen hat, einen
unpopulären Standpunkt zu vertreten, veranlasst einige Mitglieder der
Mehrheit, ihren Standpunkt zu überdenken. Hilfreich ist dabei, wenn
sich die Mehrheit in irgendeinem Punkt mit der Minderheit
identifizieren kann (Bsp: Geschworene).
Experiment zur Wichtigkeit von Konsistenz (Wendy Wood, 1994):
Asch´s setting mit Farbexperiment: Eine Minderheit bezeichnet
konsistent zwei blaue Farbtafeln in einer Reihe von anderen blauen
Farbtafeln als „grün“ 1/3 der Vpn „sehen“ mindestens einmal eine
grüne Farbtafel.
(2) „first conform, then dissent“
Hollander (1958): Alternativstrategie zur Konsistenzstrategie:
Abweichler sollen sich zunächst konform verhalten und „ideosyncrasy
credits“ (Zwischenmenschliche „Punkte“, die Personen von anderen
erhalten, wenn sie sich konform verhalten) sammeln. Danach werden
ihnen Abweichungen von der Norm leichter verziehen und ihr Status
erlaubt es ihnen, dass ihre Argumente kritisch verarbeitet werden.
Ganz der Vater?
Anders formuliert: Ist der Prozess, durch den Minderheiten Einfluss
nehmen, mit dem Modell der Konformität zu Mehrheiten erklärbar oder
sind es 2 verschiedene Prozesse?
Befunde und Schlussfolgerungen:
(1) Der relative Einfluss von Mehrheiten und Minderheiten hängt von der
Objektivität oder Subjektivität des Urteils ab. Bei Meinungen schließt man
sich leichter Minderheiten an als bei Fakten.
(2) Der relative Einfluss der beiden hängt davon ab, ob die öffentliche oder
die private Meinung gemessen wird. Bei indirekten Messungen weicht
man stärker von der Mehrheit ab, ohne seine Meinung jedoch im
öffentlichen Bereich auszusprechen.
Zweck von „Abweichlern“: Abweichler regen Mitglieder der Mehrheit zu
genauem Nachdenken an. Dies kann zu Vorteilen bei Problemlöse- und
Gedächtnisaufgaben führen.
79
7.3 Compliance
Während Konformität die Reaktion auf implizite Normen darstellt, setzt „Einwilligung“
explizite Anfragen, Bitten oder Wünsche voraus.
Diese expliziten Anfragen sind meist direkt und unmittelbar erkenntlich, sie können jedoch
auch subtil sein – indirekte Überzeugung in Werbung, Politik, Verhandlungen.
7.3.1 The Discourse of Making Requests
Taktiken zur Erreichung von Compliance:
(1) schnell sprechen (Heuristik: Schnellsprecher müssen intelligent und gut informiert
sein)
(2) unerwartet , überraschend anfragen
(3) Formulierung der Frage (Begründung, egal wie sinnlos, reicht meist) Vorsicht,
funktioniert nicht in allen Situation, aber meistens funktioniert dafür:
(4) Atypische Bitte (Haste mal 87 Cent?)
7.3.2 Die Norm der Reziprozität
Negativ: Sanktionen, Rache
Positiv: Schuld begleichen, Nettigkeiten erwidern
Sinn der Reziprozitätsnorm ist die Vorhersagbarkeit und Fairness
sozialer Situationen. Reziprozität kann allerdings auch missbraucht
werden.
Experiment von Dennis Regan (1971): je 1 Vp und 1 Konföderierter
nehmen an einem Experiment über „Ästhetik“ teil. Während einer
Pause verlässt der Konföderierte den Raum und kommt (1) mit 2
Becher Cola – 1 für sich, der andere für die VP, (2) mit nichts zurück.
In Bedingung (3) wird die VPn VOM VL zu einer Cola überredet „nach“ dem Experiment bietet der K der Vp in allen 3 Bedingungen
Lose zu je 25 cent an. VPn kaufen mehr Lose, wenn der K ihnen
vorher den Gefallen mit der Cola getan hat. Der K macht in diesem
Fall Gewinn (1971 war Cola billig…)
Das Schuldgefühl, das aus einem Gefallen resultiert, hat ein Zeitlimit: Für
kleine Aufmerksamkeiten beträgt es ungefähr eine Woche (Jerry Burger,
Abwandlung des Regan-Experimentes, 1997).
Individuelle Unterschiede: Mit Hilfe eines Fragebogens, der „Reziproke Ideologie“ misst,
kann festgestellt werden, inwieweit man dem Klischee eines „creditors“ (Gläubiger)
entspricht, d.h. zu welchem Grad man andere durch kleine Gefallen ausbeutet.
80
7.3.3 Fallen stellen: Sequentielle Bitt-Strategien
Taktiken nach Robert CIALDINI (2001):
(1) Foot-in-the-Door: 2-stufiger Prozess. Kleine Bitte Selbstwahrnehmungstheorie: Vom Verhalten wird auf den eigenen Charakter
geschlossen (Attribution des Verhaltens auf den Charakter) Große Bitte
Man will konsistent erscheinen. Burger (1999) metaanalysierte und kam zu
dem Ergebnis, dass die FITD-Technik die Chance der Einwilligung zu großen
Bitten um durchschnittlich 13% erhöht. Die Technik funktioniert nicht, wenn die
erste kleine Bitte zu trivial ist oder die VPn dafür bezahlt werden (keine Attribution auf
Charakter!) oder die VPn nicht motiviert sind, konsistent zu handeln oder die VPn zu jung
sind um die Implikationen zu verstehen. Aber: Funktioniert auch, wenn die VPn eine Bitte
nicht erfüllen konnten (spricht für Selbstwahrnehmungstheorie)
(2) Low-Balling: 2-stufiger Prozess. Bitte Einigung nachträgliche
Vergrößerung der Bitte durch addieren von Kosten. Experiment von Cialdini
(1978): Vpn werden (1) gebeten, an einem Experiment teilzunehmen, das um 7 a.m. anfängt.
31% willigen ein. VPn werden (2) gebeten, an einem Exp. teilzunehmen. Erst nach der
Einwilligung wird ihnen die Uhrzeit genannt. Trotzdem bleiben 56% dabei. Grund:
Commitment. Die getroffene Entscheidung wird durch Gedanken an die
positiven Aspekte gerechtfertigt. Zusätzlich fühlt man eine Schuld gegenüber
dem Verhandlungspartner, wenn man einen (fast) bestehenden Vertrag wieder
löst.
(3) Door-in-the-Face: Große Bitte Ablehnung kleine Bitte Einwilligung.
Im Experiment von Cialdini willigten 50% auf die kleine Bitte hin ein
(gegenüber 17%, die vorher um keinen großen Gefallen gebeten worden
waren). Erklärungen: Perzeptueller Kontrast (2. Bitte wirkt kleiner im
Kontext); Reziproke Konzession (Die Konzession des Vertragspartners sollte
mit einer eigenen Konzession erwidert werden, so dass die Bahn für einen
Kompromiss geebnet wird – wichtig für den sozialen Frieden).
(4) That´s-not-all-Technik: Anfrage Diskont oder Bonus Einwilligung.
Experiment von Jerry Burger (1986): 1 Gruppe von Vpn wird Kuchen zu 75 Cent angeboten,
1 anderen Gruppe Kuchen zu 1$, der Preis wird aber auf 75 Cent reduziert. Die erste Gruppe
kaufte in 44% der Fälle, die zweite in 73%.
Sämtliche Techniken können kombiniert werden. Sie haben gemeinsam, dass sie aus einem
2-stufigen Prozess bestehen, in dessen Verlauf sich der Umfang der Bitte verändert.
81
7.4 Gehorsam
7.4.1 Milgram: Die Macht destruktiven Gehorsams
Experiment (1963):
Coverstory: je 2 Vpn nehmen an einem Experiment teil, das die Effekte
von Bestrafung auf die Lernleistung untersucht. 1 VP ist ein
Konföderierter. Per „Losverfahren“ wird der Konföderierte als
Lernender und die eigentliche VP als Bestrafer eingeteilt.
Lernender wird unter Aufsicht der Vp an einen Stuhl gefesselt und
mit einer Anlage versehen, die ihm Elektroschocks applizieren soll. Die
VP, in einem separaten Raum sitzend, hat nun die Aufgabe,
Gedächtnistests mit dem K durchzuführen und bei jedem Fehler einen
Elektroschock wachsender Intensität zu applizieren (75Volt-450Volt).
Vorab wurde der VP ein Testschock gegeben, damit sie sich von dessen
Schmerzhaftigkeit überzeugen kann. Der K erklärt dem VL vor dem
Experiment, dass er Herzprobleme hat.
Während die VP dem Lernenden immer intensivere Schocks geben,
hören sie die Antworten des K und seine Reaktionen auf die Schocks.
Diese werden immer verzweifelter und schmerzvoller, er weist
nochmals auf seine Herzprobleme hin und hört schließlich bei einer
Stärke von 330Volt auf, Antworten/Reaktionen zu geben (die
Antworten und Reaktionen wurden vorher auf Band gesprochen und
werden der VP über Lautssprecher zugespielt. Während der gesamten
Zeit hält sich der VL in der Nähe der VP auf und gibt bei Bedenken der
VP den Befehl, weiterzumachen.
Ergebnis: In einer vorab durchgeführten Befragung geben andere Vpn
an, dass sie bei einem solchen Experiment den Befehlen des VL nur bis
zu einer durchschnittlichen Schockstärke von 135Volt gehorchen und
das Experiment danach aus ethischen/moralischen Gründen abbrechen
würden. Im tatsächlichen Experiment gehen jedoch 65% der VPn bis
zur höchsten Schockstärke von 450Volt, obwohl der K keine Reaktion
mehr zeigt und der 450Volt-Schalter das Label XXX trägt.
Der gehorsame Teilnehmer
Milgram führte eine Kontrollgruppe ein, in der der VL nicht anwesend war und somit die
VPn keine Befehle zum Weitermachen erhielten. In der KG weigerten sich die VPn sehr
früh in der Schocksequenz weiterzumachen.
Nahezu alle Teilnehmer zeigten massive Stresssymptome.
82
Adorno (1950), Stone (1993): F- („Fascist“-) Scale zur Messung
einer „autoritären Persönlichkeit“. Hohe Werte in der F-Scale
korrelieren mit Sturheit, Dogmatik, sexueller Repressivität,
Intoleranz gegenüber anderen Meinungen, Affinität zu Strafen und
Submissives Verhalten gegenüber Autoritäten.
Weitere Faktoren, die Gehorsam beeinflussen:
Die Autorität
Im Vergleich zu Vorgesetzten, höheren Dienstgraden, Lehrern… hatte der VL in Milgram´s
Experiment eher wenig (!) Autorität. Die physische Anwesenheit der Autoritätsperson ist
wichtig (siehe Abbildung).
Feldexperiment von Hofling (1966): VL gibt sich als Arzt aus und weist
telefonisch Krankenschwestern an, eine Überdosis zu geben. Von den 22
Angewiesenen müssen 21 bei der Präparation des Medikaments unterbrochen
werden.
Das Opfer
Physische Distanz vom Opfer schafft auch emotionale Distanz (siehe Abbildung, Adolf
Eichmann, Hiroshima-Bomber).
83
Das Vorgehen
Verantwortlichkeit wurde im Standardexperiment dem VL zugeschrieben. Wenn die Vp die
Verantwortung für das Opfer trägt, sinkt die Gehorsamkeitsrate (Tilker, 1970). Experiment
von Wesley Kilham (1974): VPn werden in 2 Gruppen aufgeteilt und eine „Befehlskette“
wird gebildet: VL Überbringer Ausführender. Die Überbringer der Befehle waren in
54% der Fälle gehorsam, die Ausführenden in 28%.
Graduelle Eskalation verleiht dem Paradigma von Milgram eine Eigendynamik, die ähnlich
der Foot-in-the-Door Taktik funktioniert. Leider wird diese Taktik laut Amnesty International
in vielen Staaten zum Foltertraining herangezogen.
Verbündete
Konföderierte, die gegen die weitere Teilnahme am Experiment rebellieren, verringern
Gehorsam (siehe Grafik).
[7.4.2 Milgram im 21. Jahrhundert – Ausgabe 2005]
Experiment von Wim Meeus (1995): VPn sollen mit Bewerbern
(in Wahrheit Konföderierte) einen Einstellungstest durchführen,
der über deren letztendliche Zulassung entscheiden würde.
Während des Tests sollen die VPn den Bewerber („zum Zweck der
Leistungserfassung unter Stressbedingungen“) mit abwertenden
Kommentaren (15 „Stresserzeugende Bemerkungen“)
beschimpfen. Experimentalgruppe (1) mit VL, der wie bei
Milgram darauf besteht, dass sie VPn weitermachen;
Kontrollgruppe (2) ohne VL.
Ergebnis: In (1) packen 92% der VPn alle Beschimpfungen aus,
obwohl sie der K darauf hinweist, dass sie aufhören sollen, dass er
den Job unbedingt braucht, wütend wird usw. In (2) brechen
sämtliche VPn ab.
84
7.5 Kontinuum des Sozialen Einflusses
7.5.1 Theorie des Sozialen Eindrucks
= Der soziale Einfluss auf (eine) Zielperson(en) ist eine Funktion der Stärke der anderen,
sowie der Unmittelbarkeit der Druckausübung und der relativen Anzahl der
„Quellenpersonen“ zu den „Zielpersonen“. Bibb LATANÉ (1981)
(1) Stärke: Wird bestimmt durch den Status, die Fähigkeiten und die Beziehung der
Quelle zum Ziel.
(2) Unmittelbarkeit ist die zeitliche und räumliche Nähe der Quelle zum Ziel. Je näher,
desto größer der Eindruck. Selbstversuch: Welche sieben Personen heben den größten
Einfluss auf dich? Wo wohnen sie und wie oft interagiert ihr? (nach Latané, 1995)
(3) Relative Anzahl: Wie aus Asch´s Experimenten ersichtlich gibt es hier einen
Höchstwert (siehe 7.2 Konformität)
Resistenz gegen sozialen Druck tritt mit größerer W´keit dann auf, wenn die Quellen weit
weg sind oder die Ziele viele. Entsprechend der Theorie sinkt dann der soziale Eindruck.
Kritik: Die Theorie des Sozialen Eindrucks lässt gute Prognosen zu, erklärt aber nicht die
Ursachen des sozialen Einflusses.
Latané & Todd L´Herrou (1995): „Sozialer Eindruck ist ein dynamischer, sich ständig
verändernder Prozess.“ (Heißt eigentlich nur, dass die genannten Variablen ungenügend
definiert und operationalisiert sind Forschungsbedarf)
7.5.2 Perspectives on Human Nature
Der Grad der Konformität variiert von Kultur zu Kultur und von einer Generation zur
nächsten. Einen optimalen Konformitätswert scheint es nicht zugeben, genauso wenig ist
absolute Nonkonformität dem sozialen Frieden zuträglich.
85
8 Gruppenprozesse
Gliederung:
8.1 Kollektive Prozesse: Die Anwesenheit Anderer
8.2 Gruppenprozesse: Die Interaktion mit Anderen
8.3 Kooperation, Konkurrenzkampf, Konflikt
In diesem Kapitel geht es um Sozialen Einfluss im Kontext der Gruppe.
Untersuchung von Gruppen geschieht auf 3 Ebenen:
a) Individuen in der Gruppe
b) Gruppe als Ganzes
c) Interaktionen zwischen Gruppen
8.1 Kollektive Prozesse
„Kollektiv“ = Eine Ansammlung von Leuten, die gemeinsamen Aktivitäten nachgehen, aber
nur minimal direkt interagieren (keine „Echte Gruppe“, in der häufig interagiert wird).
Bsp.: Aerobic-Gruppe während des Trainings, Konzertbesucher…
8.1.1 Social Facilitation
= Gesetz der Sozialen Förderung; Ein Prozess, bei dem die Anwesenheit
anderer zu einer Leistungssteigerung bei einfachen Aufgaben führt und zu
einer Leistungsverschlechterung bei schwierigen Aufgaben.
Norman Triplett (1898): „Theorie der Dynamogenese“. Bei Radfahrern beobachtete
Leistungssteigerung in Gruppen Experiment: Kinder sollen allein oder in
Gruppen Schnüre aufwickeln Kinder sind in Gruppen schneller Andere
Forscher erzielen gegensätzliche Ergebnisse
86
Theorie von Robert Zajonc (1965): „mere presence theory of social facilitation“
Anwesenheit anderer Erhöhte physiologische Erregung Tendenz zur
Dominanten Reaktion („dominant response“ = Reaktion, die von einem gegebenen
Reiz am schnellsten und leichtesten hervorgerufen wird) Bei leichten Aufgaben
(dominante Reaktion meist korrekt) Leistungssteigerung, bei schweren Aufgaben
(DR meist inkorrekt, weil Aufgabe komplex oder ungewohnt)
Leistungsverschlechterung.
Metaanalyse von Bond & Titus (1983) bestätigt die Aufhebung der Inkonsistenz der bisherigen Forschung (seit
Triplett) zu diesem Thema durch Zajonc´s Theorie.
Alternativen zur Theorie der bloßen Anwesenheit anderer:
1) „Evaluation Apprehension Theory“ (Cottrell, 1968): Die Anwesenheit anderer soll
Effekte der „social facilitation“ nur dann provozieren, wenn diese anderen als
potentielle Bewerter der eigenen Leistung angesehen werden (wenn bemerkt wird,
dass andere ihre Aufmerksamkeit auf die erbrachte Leistung richten). Experiment von
Cottrell (1968): VPn lernen eine Aufgabe (1) allein, (2) in Anwesenheit anderer oder (3) in
Anwesenheit anderer, denen die Augen verbunden worden sind in (1) und (3) weniger dominante
Reaktionen als in (2).
2) „Distraction-Conflict-Theory“ (Baron, 1986): Die Anwesenheit anderer soll Effekte
der „social facilitation“ nur dann provozieren, wenn diese anderen von der
eigentlichen Aufgabe ablenken und einen Aufmerksamkeitskonflikt verursachen.
Alle Objekte (z.B. Blinklichter), können ablenkend wirken, die Theorie ist nicht auf die Anwesenheit
anderer Menschen beschränkt.
Wahrscheinlich rufen sowohl die bloße Anwesenheit anderer, als auch die Bewertung und
die Aufmerksamkeitsverschiebung die Effekte der Social Facilitation hervor.
8.1.2 Soziales Faulenzen
= Eine durch die Gruppe hervorgerufene Verminderung der Leistung des
Einzelnen bei einfachen Aufgaben, bei denen die Einzelbeiträge
integriert werden (Bibb Latané, 1979).
Max Ringelmann (1880s): Untersuchung von Gruppenperformance in Situationen, in denen
die Leistung des Einzelnen nicht individuell bestimmt werden kann. Ergebnis:
Individuelle Leistung sinkt (Bsp: Tauziehen)
Erklärungsalternativen:
a) Der einzelne erbringt weniger Leistung und/oder
b) Mangelnde Koordination
87
Experiment von Alan Ingham (1974): Vpn werden die Augen
verbunden, sie dürfen an einer Tauziehmaschine tauziehen und
werden (1) informiert, dass sie zusammen mit anderen ziehen oder
(2) informiert, dass sie alleine ziehen (in Wahrheit ziehen die in
beiden Bedingungen alleine). Ergebnis: Vpn ziehen in (2) 20%
fester als in (1).
Stephen Karau & Kipling Williams (1993): Metaanalyse bestätigt Soziales Faulenzen, zeigt
aber auch Faktoren, die SF verringern:
a) Glaube an die Identifizierbarkeit der eigenen Leistung durch andere oder sich selbst.
b) Bedeutsamkeit der Aufgabe für den Einzelnen
c) Glaube, dass eigene Leistung wichtig für ein erfolgreiches Ergebnis ist.
d) Glaube an Bestrafung der Gruppe für schlechte Leistung.
e) Kleine Gruppengröße.
f) Kohäsive Gruppe: Mitgliedschaft wichtig, die Gruppenmitglieder mögen sich.
Soziales Faulenzen ist bei Frauen und Mitgliedern kollektivistischer Kulturen weniger häufig.
Theorie von Karau & Williams: Modell der kollektiven Leistung
(„collective effort model“): Individuen leisten in der Gruppe dann
viel, wenn sie glauben, dass ihre Leistung wichtig, relevant und
bedeutsam für Ergebnisse ist, die sie persönlich wertschätzen.
Wenn dies der Fall ist, betreiben sie Social Compensation:
Leistungssteigerung in Erwartung schlechter Leistungen anderer
Gruppenmitglieder. Im Gegensatz dazu der Sucker Effect:
Niemand will der Arsch sein, der die ganze Arbeit macht, also
leistet jeder nur einen geringen Beitrag.
88
8.1.3 Facilitation und Faulenzen: Einheitliche Paradigmen
8.1.4 Deindividuation
„Der Verlust der Individualität und der Schranken,
die das Verhalten gegen abweichendes Verhalten
anderer eindämmen. Die Herabsetzung des
Urteilsvermögens des Einzelnen.“
Pioniere: Gustave Le Bon (1895), Gabriel Tarde (1890).
Philip Zimbardo (1969): Faktoren, die zur Deindividuation beitragen sind physiologische
Erregung, Anonymität und reduzierte Gefühle der individuellen Verantwortung.
89
Environmental Cues
2 Typen von Hinweisreizen aus der Umwelt fördern Deindividuation:
(1) Haftungs-/Verantwortlichkeitscues betreffen die Kosten-Nutzen-Rechnungen
des Individuums. Anonymität senkt Kosten (was würdest du tun, wenn du für 24h
unsichtbar wärst? Häufigste Antwort: „Bank ausrauben“, Dodd 1985)
(2) Aufmerksamkeitscues: Wenn das Selbst-Bewusstsein einer Person verringert ist,
wird weniger auf internale Standards Rücksicht genommen.
Feldexperimente von Edward Diener (1976) & Arthur Beaman (1979): Halloween. Setting
wie in Kapitel 3, Kinder werden (1) gefragt, wo sie herkommen und wie sie heißen
(Identifizierung) oder (2) nichts gefragt Bonbonschüssel Ungefragte nehmen mehr
Je größer der Mob, desto mehr Opfer und größere Brutalität und W´keit der Lynchjustiz.
90
Von persönlicher zu sozialer Identität
Verlust der persönlichen Identität ruft nicht immer antisoziales
Verhalten hervor. SIDE-Theorie (Social Identity model of
Deindividuation Effects): Die Normen der Gruppe, in der sich das
Individuum befindet bestimmen, ob sich das Individuum mehr oder
sogar weniger antisozial benimmt. Experiment von Robert Johnson
(1979):
91
8.2 Gruppenprozesse
Gruppenprozesse betonen die Interaktionen zwischen Gruppenmitgliedern, die in
Kollektiven eher wenig zur Geltung kommen (s.o.).
8.2.1 Sich einer Gruppe anschließen
Wofür?
Gründe für den Anschluss:
(1) Erhöhte Chancen für Überleben und Reproduktion
(2) Schutzfunktion der Gruppe
(3) Gruppenziele, die allein nicht zu erreichen sind (Mannschaftssport, Orchester)
(4) Sozialer Status
(5) Soziale Identität
(6) Selbstwerterhöhung
(7) Chance zur Interaktion mit Menschen, die man mag
Freiwilliger Anschluss an eine Gruppe bedeutet immer Profit, eine Ablehnung durch eine
Gruppe gehört zu den schlimmsten Erfahrungen, die Menschen machen.
Gruppenentwicklung
Neue Mitglieder passen sich den Normen der Gruppe an und etablierte Mitglieder ändern ihr
Verhalten dahingehend, dass sie die Newcomer integrieren (= Sozialisation).
Modell der Gruppenentwicklung von Bruce Tuckman (1977):
(1) Forming: Exploration, Höflichkeit. Die Mitglieder orientieren sich
(2) Storming: Die Mitglieder versuchen, die Gruppe nach ihren Vorstellungen zu
beeinflussen. Richtung der Gruppe, eigener Status
(3) Norming: Konflikte werden geschlichtet, gemeinsame Ziele festgelegt, Normen und
Rollen bestimmt, Commitment wächst.
(4) Performing: Die Performance der Gruppe wird über die Einzelleistungen gemäß der
Rollenverteilung maximiert.
(5) Adjourning: Einzelne verlassen die Gruppe (aufgrund von Kosten-NutzenRechnungen)
Modell von Connie Gersick (1994): Gruppenentwicklung nicht graduell, Starts und Stopps,
Perioden von Aktivität und Inaktivität.
92
8.2.2 Rollen, Normen und Zusammenhalt
Rollen:
- Ansammlung von erwarteten Verhaltensweisen einer Person innerhalb der
Gruppe ist eine Rolle.
- Können formell sein (Lehrer, Schüler…) oder informell (instrumentelle Rollen,
die dem Erfolg der Gruppe dienen und expressive Rollen, die Moral
aufrechterhalten und emotionale Unterstützung gewähren).
- In der Regel orientiert sich die Rollenverteilung (formell, informell) an der von
sich selbst wahrgenommenen Kompetenz der Mitglieder.
- Aufhebung/Umstrukturierung von Rollen Stress und verminderte Produktivität
in der Gruppe.
Normen:
Implizite Benimmregeln für Gruppenmitglieder. Wie Rollen formell
(festgeschrieben) oder informell (was ziehe ich an, wie weit kann ich mit
Forderungen gehen?).
Kohäsionskraft (Zusammenhalt):
-
-
-
Beschreibt die Kräfte, die die Gruppe zusammenschweißen.
Positiv (Nutzen durch die Gruppe, Erreichen gemeinsamer Ziele) oder Negativ
(Kosten bei Verlassen der Gruppe).
Faktoren, die zur Kohäsionskraft beitragen: Einsatz für gemeinsame Ziele,
Attraktion zu Mitgliedern, Anzahl der Interaktionen, Intensität der
Interaktionen (interne Faktoren), sowie Bedrohungen durch andere Gruppen,
Bedrohung durch Umwelt. Neid wirkt Kohäsionskraft entgegen.
Kohäsionskraft und Performance sind bidirektional kausal verknüpft. Die
Stärke des Kausalzusammenhangs zwischen K und P ist umso größer, je kleiner
die Gruppe ist (Brian Mullen, 1994).
Performance beeinflusst Kohäsion (und umgekehrt) stärker, wenn es sich um
Ziele handelt, zu deren Erreichen Interdependenz (Kommunikation,
Kooperation und gegenseitige Observation) zwischen den Gruppenmitgliedern
nötig ist.
Der Zusammenhang zwischen K und P hängt von den etablierten Normen der
Gruppe ab. Bsp: Eine Gruppe von Bauarbeitern hat ein niedriges
„Anstrengungsniveau“ und viel Bierkonsum etabliert. Ein Neuling, der viel
arbeitet und wenig trinkt, bekommt Probleme, wenn er sich nicht den Normen
der Gruppe fügt Normen können das Vorzeichen des Zusammenhangs
ausmachen Die Standards der Gruppe entscheiden über Vorzeichen und
Stärke des Kausalzusammenhangs.
93
8.2.3 Gruppenpolarisation: Urteile, Überzeugung, Entscheidung
In einer Gruppe ist die Bandbreite an Meinungen in der Regel dadurch
beschränkt, dass sich Gruppenmitglieder ähnlich sind. Aber nie
identisch.
Risky Shift (Cartwright, 1971): Gruppen sind in ihren Entscheidungen
risikobereiter als Einzelpersonen.
Andererseits sind Gruppen in manchen Entscheidungskategorien eher
vorsichtiger.
Modell der „GROUP POLARIZATION“: Der Effekt besteht darin, dass durch
die Gruppendiskussion die anfänglichen Meinungen übertrieben (polarisiert)
werden.
Der Effekt ist bei wichtigen Entscheidungen größer (Bsp Rassismus).
Gruppenpolarisation wird durch 3 Prozesse hervorgerufen:
(1) Nach der Persuasive Arguments Theorie werden dir Einstellungen der Gruppe
umso extremer, je mehr und überzeugendere Argumente von den Mitgliedern
eingebracht werden (neue Argumente liefern neue Information, die zur Polarisation
führt)
(2) Sozialer Vergleich: Man erfährt mehr Unterstützung für seinen Standpunkt, als
man eigentlich erwartet hat Eine neue, extremere Norm wird etabliert
(3) Soziale Kategorisierung: Die Meinung der Ingroup wird extrem gewählt, um sie
von den Meinungen der Outgroups zu distanzieren.
8.2.4 Gruppendenken: Der Verlust von Perspektiven
Gruppendenken beschreibt eine Art der Entscheidungsfindung in Gruppen, bei der nicht
objektive Informationen, sondern das Verlangen der einzelnen Mitglieder nach
Übereinstimmung die Entscheidungen beeinflusst.
Beispiele: Schweinebucht, Pearl Harbor, Challenger, Watergate
3 Faktoren tragen nach Irving Janis (1982) entscheidend zum Gruppendenken bei:
(1) Hohe Kohäsion der Gruppe: Hoch kohäsive Gruppen schließen eher anders
Denkende aus.
(2) Gruppenstruktur: Je monopolisierter und unsystematischer im
Entscheidungsprozess, desto eher anfällig für Gruppendenken.
(3) Stresshaltige Situationen: In Stresssituationen werden schnelle, unüberlegte
Entscheidungen getroffen und die Unterstützung durch andere Gruppenmitglieder
wird wichtiger.
Verhaltenssymptome:
Nach Janis ist Gruppendenken eine Krankheit mit folgenden Kardinalsymptomen:
(1) Überschätzung der Gruppe („the best and the brightest“)
94
(2) Close-mindedness (Rationalisierung der eigenen Entscheidungen,
Stereotypisierung von Outgroups)
(3) Erhöhter Uniformitätsdruck
Überblick über die Theorie von Janis:
95
Forschung zum Gruppendenken:
Theorie zum Gruppendenken ist sehr einflussreich in Politik, Business,
Kommunikation. Der Term „GROUPTHINK“ ist ein feststehender Begriff.
Dennoch gibt es relativ wenig experimentelle Forschung zum Thema.
In der Geschäftswelt geht der Trend hin zu autonomen teams (4-12 Mitglieder,
die an einem gemeinsamen Projekt arbeiten).
Groupthink verhindern:
Strategien nach Janis:
(1) Um Isolation zu verhindern, sollte eine weitreichende Kommunikation mit
Nicht-Mitgliedern gesucht werden.
(2) Um Konformitätsdruck zu verhindern, sollten die Chefs der Gruppe Kritik
fördern und nicht zu früh einen Standpunkt einnehmen
(3) Um eine „Norm der Kritik“ zu etablieren, sollten Subgruppen gebildet werden,
eine oder mehrere Personen zu „Kritikern“ bestimmt werden und/oder „second
chance“- Meetings eingeführt werden.
Weitere Strategien:
(1) Sobald ein Gruppenmitglied persönlich und exklusiv für eine Entscheidung
verantwortlich gemacht werden kann, wird er mehr Kritik üben.
(2) Jemand, der die Gruppe konstant darauf hinweist, dass groupthink entstehen
kann.
(3) Computerized Group Support Systems: Interaktive Computersysteme bei
Meetings: Anonymität bei Meetings, Gleichberechtigung von dominanten und
weniger dominanten Rednern, Fokus mehr auf der Agenda als auf den
Innergruppenbeziehungen (persönlicher Kontakt vermindert).
8.2.5 Performance: Sind viele Köpfe besser als einer?
Laut Ivan Steiner (1972) muss diese Frage aufgabenabhängig beantwortet werden.
(1) Additive Aufgaben: Das Ergebnis der Gruppe ist die Summe aller Einbringungen der
Mitglieder Die einzelnen Mitglieder leisten zwar weniger, als wenn die allein
wären, aber in der Summe ist die Gruppe besser (Spendenaktion).
(2) Konjunkte Aufgaben: Die schlechteste Leistung ist entscheidend (Bergtour).
(3) Disjunkte Aufgaben: Die beste Leistung ist entscheidend (Problemlösung,
Strategieentwicklung).
„Process loss“: Verschlechterung der Gruppenleistung durch Hindernisse,
die von Gruppenprozessen verursacht werden (Koordinations-,
Motivationsprobleme). Betrifft alle 3 Aufgabentypen. Beispiele:
Faulenzen bei additiven Aufgaben, schwache Mitglieder bei konjunktiven
Aufgaben, falsche Entscheidungen bei disjunktiven Aufgaben.
96
Ziele setzen
Erreichbare, klar definierte Ziele erhöhen die Gruppenleistung.
Generell sind in Gruppen die Ziele niedriger angesetzt als bei Individuen, was zu
schlechteren Leistungen führen kann.
Mit jedem erreichten Ziel steigen in der Regel auch in einer Gruppe die
Ansprüche.
Brainstorming
(1)
(2)
(3)
(4)
In den 1950s entwickelte Technik, um die Produktivität von Problemlösegruppen zu
erhöhen (Alex Osborn, 1953). Beinhaltet:
Alle Ideen sollen von jedem eingebracht werden
Je mehr Ideen, desto besser
Keine unmittelbare Kritik an Ideen erlaubt
Die Ideen werden gepoolt, so dass jeder auf der Idee eines anderen Gruppenmitglieds
aufbauen kann.
Allerdings: „Nominale Gruppen“ (mehrere Individuen brainstormen unabhängig
voneinander dasselbe Thema) bringen mehr und bessere Ideen hervor als
interagierende Gruppen auch wenn das keiner glaubt (Teilnehmer an
Gruppenbrainstormings bewerten ihre eigenen Ideen besser, wie wenn sie allein
arbeiten).
Biased Sampling
Information, die nur wenigen Mitgliedern bekannt ist, wird weniger in die
Diskussion und die Entscheidungsfindung mit aufgenommen als Information, die
vielen Mitgliedern bekannt ist. Sie mag zwar gleich wichtig sein, hat aber geringere
Chancen, in Sample zu kommen. Die Challenger-Tragödie kann auf einen solchen
mangelhaften Informationsaustausch zurückgeführt werden.
Informationsverarbeitung
Gruppen sind anfälliger als Individuen für die Anwendung von kognitiven
Heuristiken aller Art (siehe Kap.4).
Ein weit verbreiteter und kostspieliger information-processing bias ist Entrapment:
Eine Bedingung, in der der Einsatz für einen eingeschlagenen falschen
Handlungskurs erhöht wird, um bereits gemachte Investitionen zu rechtfertigen (=
escalation of commitment).
Gedächtnis: Gruppen erinnern zusammen mehr als ein Einzelner, aber alle
Gruppenmitglieder einzeln zusammengenommen erinnern mehr als im Kollektiv.
97
Computer und Group Support Systems
GSS sollen den Informationsaustausch verbessern und die Diskussionsstrukturen
optimieren.
Vielfältigkeit:
Nachteile:
Heterogene Gruppen sind oft schlechter als homogene Gruppen. Heterogenität
bedingt mangelnde Kommunikation und Missverständnisse und dadurch
schlechtere Koordination, Moral und Einsatz. Cliquenbildung ist
wahrscheinlicher. Die Gruppenmitglieder heterogener Gruppen sehen sich selbst
als weniger effektiv, selbst wenn ihnen von extern ein vergleichbares
Leistungsniveau bescheinigt wird wie homogenen Gruppen.
Vorteile:
Flexibilität, Kreativität, Innovation.
98
8.3 Kooperation, Wettbewerb und Konflikt
8.3.1 Gemischte Motive und Soziale Dilemmata
Gemischte Motive treten zum Beispiel in Entscheidungssituationen auf, in denen
Kooperation und die Verfolgung eigener Interessen abgewogen werden müssen.
Soziales Dilemma = Eine Situation, in der die
Verfolgung eigener Interessen durch jedes einzelne
Gruppenmitglied im Endeffekt einen Nachteil für
alle ergibt.
The Prisoner´s Dilemma
… ist ein Forschungsparadigma. Hier die ursprüngliche Fassung:
In allen Fassungen muss Partei 1 mit Partei 2 entweder kooperieren oder konkurrieren.
Normalerweise kommen beide Parteien besser weg, wenn sie kooperieren. Beispiele aus der
Realität: Schiffbruch, Wettrüsten…
Tit-for-tat ist die von den meisten Leuten angewandte Lösungsstrategie für das PD.
Alternativstrategie: Win-stay, lose-shift
99
Ressourcendilemmata
…sind soziale Dilemmata, in denen es darum geht, wie 2 oder mehr Personen
begrenzte Ressourcen teilen.
Es gibt davon 2 Arten:
(1) Commons Dilemma: Wenn alle von einer Ressource nehmen, bleibt am Ende
für keinen mehr etwas übrig (Öl, Wasser, Fische…)
(2) Public Goods Dilemma: Wenn niemand zu einer Ressource beiträgt, nützt sie
keinem (Blutspenden, Straßenbau, Bildung…) Olson, 1965
Lösung sozialer Dilemmata
Zur Lösung sozialer Dilemmata tragen Psychologische Faktoren
(Individuelle und kulturelle Unterschiede, Situationale Faktoren,
Gruppendynamik) und Strukturelle Gegebenheiten (entsprechende PayoffStruktur, Ressourcenumverteilung hin zu privaten Unternehmen, Autorität)
bei.
Gruppen sind weniger kooperativ als Individuen.
Je größer die Gruppe, desto wahrscheinlicher ist eine unkooperative Lösung
im Commons Dilemma. Die gebräuchlichste Lösung ist hier das Einsetzen
von Autoritäten (Internationale Atomenergiebehörde).
8.3.2 Konflikteskalation
Faktoren, die den Intergruppenkonflikt hervorrufen und aufrechterhalten:
(1) Prozess der Gruppenpolarisation: Einstellungen und Meinungen der Mitglieder
werden extremer
(2) Konformitätsdruck: Kohäsionskraft und Groupthink machen es Individuen schwer,
die Meinung der Gruppe zu hinterfragen.
(3) Entrapment
(4) Beidseitig vorhandene Bedrohungskapazität wird in der Regel wahrgenommen.
(5) Negative Wahrnehmung anderer Gruppen führt zu Akzeptanz von aggressivem
Verhalten gegen andere Gruppen und erhöhter Kohäsion der Ingroup. Mirror Image:
Verfeindete Gruppen bauen ähnliche Feindbilder auf. Double Standard: Identische
Verhaltensweisen beider Gruppen werden unterschiedlich positiv/negativ bewertet –
was wir tun ist gut, was sie tun ist schlecht.
Im schlimmsten Fall führen diese Faktoren zur Dehumanisierung der Mitglieder der anderen
Gruppe, was wiederum den Konflikt rechtfertigt.
100
8.3.3 Konflikte Reduzieren
GRIT
= graduated and reciprocated initiatives in tension-reduction. Eine Strategie für
unilaterale beständige Versuche, Vertrauen und Kooperation zwischen
gegnerischen Parteien herzustellen. (Charles Osgood, 1962).
Funktionsweise: A und B sind in Konflikt. A plant öffentlich Initiativen zur
Konfliktentspannung und lädt B damit ein, reziprok zu handeln. A führt diese
Initiativen aus, damit ist B unter Druck, auch zu kooperieren. Wenn B kooperiert,
kooperiert A mindestens genauso umfangreich. Wenn B angreift, rächt sich A in
demselben Ausmaß.
Verhandlungen
Sind nötig, um Konflikte beizulegen. Fast immer führen Verhandlungen zu
Kompromissen. Bei einer Integrativen Einigung („integrative agreement“)
erhalten beide Parteien Ergebnisse oberhalb 50%. Oder komplizierter, aber genauer: IE
ist eine verhandelte Lösung zu einem Konflikt, bei der alle Parteien Ergebnisse erzielen, die besser
sind als diejenigen, die die Parteien erhalten hätten, wenn sie die vorhandenen Ressourcen
gleichmäßig verteilt hätten.
Teams sind erfolgreicher beim Erzielen von Integrativen Einigungen.
Schlüssel zu erfolgreichen Verhandlungen sind Flexibilität, Kommunikation und
Verständnis für die Perspektive des anderen.
Kommunikations- (Verhandlungs-)Schwierigkeiten sind besonders
wahrscheinlich, wenn Individuen und/oder Gruppen verschiedener Kulturen
miteinander verhandeln.
Eine gemeinsame Basis finden
Eine gemeinsame Basis ist Grundlage aller Verhandlungen. Eine übergeordnete
Identität, die z. B. durch gemeinsame Ziele definiert wird, kann eine solche Basis
sein.
101
9 Attraktion und Enge Beziehung
Gliederung:
9.1 Being with others: A fundamental human motive
9.2 The Initial Attraction
9.3 Close Relationships
In diesem Kapitel geht es darum, wie Menschen Beziehungen eingehen und wie sie damit
umgehen.
9.1 Bei anderen sein: Ein fundamentales menschliches Motiv
Roy Baumeister & Mark Leary (1996): Das Bedürfnis nach Anschluss ist ein Grundbedürfnis
des Menschen.
Menschen mit engen sozialen Bindungen sind glücklicher, gesünder und haben ein geringeres
Risiko, früh zu sterben.
9.1.1 The Thrill of Affiliation
Bedürfnis nach Affiliation = Das Bedürfnis, viele Gewinn bringende
interpersonelle Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
Jeder Mensch will eine optimale Balance zwischen der Zeit, die er mit
anderen verbringt und der Zeit, die er allein verbringt. Individuelle
Unterschiede.
Experiment von Bibb Latané (1978): Ratten gehen eher auf Artgenossen zu, wenn sie
vorher eine Zeit lang isoliert gehalten worden sind und suchen weniger sozialen
Kontakt, wenn sie eine Zeit lang mit anderen Ratten zusammen gehalten wurden.
Experiment von Shawn O´Connor & Lorne Rosenblood (1996): Vpn tragen für 4 Tage
lang einen Beeper und schreiben, sobald er beept auf, ob sie (a) alleine oder in
Gesellschaft sind und ob sie (b) alleine oder in Gesellschaft sein wollen. Ergebnis:
In 2/3 der Zeit sind sie in dem Zustand, den die gerade bevorzugen und Punkt (b) sagt
Punkt (a) zum nächsten Beep-Punkt voraus.
Stress ist ein Auslöser für das Bedürfnis nach Affiliation.
102
Theorie von Yacov Rofé (1984): Ausgehend von den Befunden Schachter´s (1959,
VPn in Erwartung schmerzvoller Elektroschocks gesellen sich zu Leidensgenossen)
und Zimbardo´s (VPn, die peinliches Verhalten ausführen sollen, meiden in der
Warteperiode andere) schlägt er vor, dass Stress nur dann das Bedürfnis nach
Affiliation hervorruft, wenn die Affiliation nützlich ist (Beispielsweise, wie bei
Schachter, um emotionale Reaktionen zu vergleichen).
Erklärung von James Kulik: Menschen wollen sich durch die Affiliation
kognitive Klarheit über eine Bedrohung verschaffen. Experiment (1994):
Vpn, die darauf warten, ihre Hand in Eiswasser zu halten (schmerzhaft), sind vor dem
Experiment lieber mit Leuten zusammen, die diese Erfahrung bereits hinter sich
haben, als mit anderen wartenden VPn.
9.1.2 Die Agonie der Einsamkeit
Schüchternheit/Scheu: Schwierigkeiten beim Aufbau von sozialen
Interaktionen. Oftmals Zurückweisung anderer aus Angst, selbst
zurückgewiesen zu werden. Ergebnis ist oft ein Muster der
Risikovermeidung, das die Betroffenen anfällig macht für
unangenehme und unbefriedigende Interaktionen.
Ursachen:
Persönlichkeit (manche Säuglinge sind sensibler, gehemmter und
vorsichtiger als andere); Gelernte Reaktion auf gescheiterte
Interaktionen. Interpersonelle Probleme in der Vergangenheit
können soziale Ängste betreffend der Zukunft schüren (Leary &
Kowalsky, 1995). Längsschnittstudien: Kontinuität – Kleinkinder,
die scheu und gehemmt sind, zeigen mit größerer W´keit als junge
Erwachsene Soziale Isolation und Depressivität (Caspi, 2000).
Folgen:
Negative Selbstbewertung, Erwartung bei sozialen Interaktionen zu
versagen, erhöhte Konformität aus Angst zurückgewiesen zu werden.
Einsamkeit: Gefühl der Deprivation betreffend soziale Beziehungen;
Diskrepanz zwischen dem Level an sozialem Kontakt, den eine
Person hat und dem Level, das sie will. Am einsamsten fühlen sich
junge Erwachsene (18-30 Jahre).
103
9.2 Anfängliche Attraktion
9.2.1 Vertrautheit
Nähe:
Physische Nähe ist der beste Prädiktor dafür, dass/ob zwei oder mehr Menschen eine
Bindung eingehen. Die W´keit, Freundschaften mit Menschen einzugehen, die in der Nähe
wohnen, ist größer (Festinger, 1950).
Der Mere Exposure Effect:
Allgemein: Je öfter einer Person ein Reiz präsentiert wird, desto positiver bewertet sie ihn
(Zajonc, 1968). Funktioniert auch ohne bewusstes Wahrnehmen der Stimuli (Zajonc, 1980).
Speziell: Je öfter wir jemanden wahrnehmen, desto wahrscheinlicher mögen wir ihn.
Experiment von Scott Beach (1992): Die Porträts von 4 Frauen werden
Studenten zur Bewertung vorgelegt (Aussehen, Freundlichkeit…). Im
Semester zuvor hatten die Frauen an einer von den VP-Studenten
besuchten Vorlesung teilgenommen und zwar (1) 15x, (2) 10x, (3) 5x und
(4) nie. Ergebnis: Je öfter die Frauen (ohne Interaktionen!) die
Vorlesung besuchten, desto positiver wurden sie bewertet.
Vertrautheit kann sogar die Selbstbewertung beeinflussen.
Experiment von Theodore Mita (1977): VPn, von denen Porträtfotos
gemacht wurden, mögen ihre „mirror images“ (so, wie sie sich selbst im
Siegel sehen) lieber, während ihre Freunde die echten Porträts bevorzugen.
Einschränkungen des MEE:
(1) Mag man einen Stimulus von Anfang an nicht, wird er bei vermehrter Darbietung noch
unbeliebter
(2) Wird ein Stimulus zu oft gezeigt, wird er langweilig („overexposition“)
9.2.2 Physische Attraktivität
Experiment von Clifford (1973): Lehrer schätzen attraktive Schüler
als erfolgreicher ein.
Experiment von Chaiken (1979): Männliche und weibliche
Studenten sollen andere auf dem Campus dazu bringen, eine
Petition zu unterschreiben. Je attraktiver die Experimentatoren,
desto mehr Unterschriften sammelten sie.
Studie von Downs (1991): Richter bestrafen attraktive Personen im
Durchschnitt milder.
104
Studie von Hamermesh (1994): Attraktive verdienen mehr Geld als
in sonst allen Belangen vergleichbare unattraktive Menschen.
Was ist „Schönheit“?
Attraktivität ist objektiv.
„Belege“:
(1) Bei Ratings von Gesichtern herrscht große kulturübergreifende Übereinstimmung.
Ebenso bei Körperproportionen (Waist-to-hip-Ratio, Körpergröße bei Männern)
(2) Bestimmte Gesichtsfeatures werden bevorzugt: bei Frauen große Augen, kleine Nase,
breites Lächeln…; bei Männern breiter Kiefer. „Gemittelte“ Composites werden als
attraktiv beurteilt. Je mehr Gesichter für das Composite verwendet werden, desto
attraktiver wird es eingeschätzt (wegen Vertrautheit, Symmetrie)
(3) Bereits Säuglinge zeigen Präferenzen für attraktive Gesichter. Paradigma der
Betrachtungszeit, Judith Langlois (1991).
Attraktivität ist subjektiv.
„Belege“:
(1) Die Mittel, Attraktivität zu erhöhen, sind kulturell sehr verschieden. Was einige
Kulturen anziehend finden, finden andere abstoßend.
(2) Auch die Attraktivität von Körperproportionen wird unterschiedlich bewertet.
(3) Die Attraktivitätsstandards ändern sich von Generation zu Generation.
(4) Menschen werden umso attraktiver bewertet, je mehr sie vom Bewerter gemocht
werden. Je mehr man den eigenen Partner liebt, desto weniger attraktiv sind die
Alternativen.
(5) Kontrasteffekte: Wird man längere Zeit attraktiven Mitgliedern des anderen
Geschlechts ausgesetzt (Playboyexperiment), evaluiert man den Durchschnitt weniger
positiv. Wird man längere Zeit attraktiven Mitgliedern des eigenen Geschlechts
ausgesetzt, bewertet man sich selbst als weniger attraktiv.
Warum werden wir von Schönheit geblendet?
1) Es ist vorteilhaft, in Gesellschaft attraktiver Menschen zu sein, weil a) das
Anschauen Spaß macht und b) man selbst attraktiver beurteilt wird, wenn man
sich in Gesellschaft atrraktiver Menschen befindet (Geiselman, 1964).
2) Weil man implizit annimmt, dass Menschen, die schön sind auch andere
wünschenswerte Persönlichkeitseigenschaften besitzen („what-is-beautiful-isgood-streotype“). Die Erziehung (auch durch die Medien) trägt entscheidend zu
diesem Stereotyp bei Schneewittchen ist schön und gutmütig, die Hexe ist
hässlich und böse.
Schöne Menschen werden eingeschätzt als
Schöne Menschen haben mehr Freunde,
105
klug, erfolgreich, glücklich, sozial
kompetent, angepasst und selbstsicher, aber
eitel.
bessere soziale Fertigkeiten und eine regeres
Sexualleben.
Schönheit steht in keiner Beziehung mit
Intelligenz, Persönlichkeit, Integration,
Selbstbewusstsein.
Verantwortlich für diesen Stereotyp sind höchstwahrscheinlich Self-fulfillingprophecies:
Experiment von Mark Snyder (1977): Je eine weibliche und eine männliche VP. Sie sitzen in
separaten Räumen. Jede Vp bekommt eine Biographie ihres Partners. Die Männer bekommen
zusätzlich ein (1) attraktives oder (2) unattraktives Photo von ihrer „Partnerin“. Gegenseitiges
Rating der VPn Die VPn unterhalten sich über Kopfhörer Ergebnisse: 1) Die Männer, die
attraktive Photos bekamen, hatten bessere Eindrücke von ihren Partnerinnen und waren
freundlicher zu ihnen. 2) Die Partnerinnen von Männern, denen attraktive Photos gezeigt worden
waren, wurden von EXTERNEN, OBJEKTIVEN Zuhörern positiver bewertet.
Schönheit des Gegenübers „erzeugt“ andere positive Eigenschaften.
Kosten und Nutzen der Schönheit
Attraktive Menschen haben mehr Freunde,
bessere soziale Fertigkeiten und eine regeres
Sexualleben.
Problem 1: Schöne Menschen können sich
nicht sicher sein, ob sie die Anerkennung, die
sie erhalten, auf ihre Arbeit/Charakter oder
ihre Schönheit beziehen sollen. Siehe
Experiment von Brenda Major (1984).
Problem 2: Schöne Menschen sehen sich
unter Druck gesetzt, ihre Schönheit zu
erhalten (mit oft dramatischen Folgen:
Bulimie, Anorexia Nervosa)
Langzeiteffekte: Ellen Berscheid (1972): Attraktive College-Studenten sind später
mit größerer W´keit verheiratet, aber nicht glücklicher mit ihrer Ehe und mit dem
Leben an sich.
106
9.2.3 Erste Bekanntschaft
Ähnlichkeit
Theorie 1:
Wir mögen Menschen, die uns ähnlich sind.
Experiment von Theodore Newcomb (1961): Baut ein experimentelles
Studentenwohnheim auf Personen mit ähnlichen Biographien mögen sich mit
größerer W´keit. Personen, die sich von Anfang an mögen, nehmen auch eine
Ähnlichkeit ihrer Freunde in Bezug auf Meinungen, Interessen und Werten an.
Einstellungsähnlichkeit, die erst im Verlauf des Kennenlernprozesses festgestellt
werden kann, bestimmt die Dauer und Kompatibilität der Beziehung(steilnehmer).
107
Theorie 2:
Wir mögen keine Menschen, die uns unähnlich sind und wählen dann unter den
Übriggebliebenen die Ähnlichsten aus:
Matching-Hypothese: Menschen werden von anderen angezogen, die ähnlich physisch
attraktiv sind. Paare, die ähnlich attraktiv sind, bleiben eher zusammen. Stimmt.
Komplimentaritätshypothese: Menschen werden von Gegensätzen angezogen Nein,
werden sie nicht!
Andere mögen, die einen selbst mögen
Fritz Heider (1958): Menschen präferieren „psychologisch balancierte“
Beziehungen. Der Partner sollte uns selbst sowie unsere Freunde mögen.
Balance zwischen 2 Menschen existiert, wenn Reziprozität (z.B. gegenseitige
Wertschätzung) besteht.
Experiment von Rebecca Curtis (1986): Je 2 Vpn führen ein
Gespräch In der Halbzeitpause wird einem
Gesprächsteilnehmer gesagt, dass der andere ihn mag/nicht mag.
in der 2. Halbzeit ist die Person netter/reservierter als in der 1.
Halbzeit.
Elliot Aronson (1965): Wir mögen Menschen eher, wenn eine
Einstellungsänderung uns gegenüber vom Negativen zum Positiven hin
stattgefunden hat, als wenn die Einstellung immer positiv war.
Hard-To-Get-Phänomen
Die Präferenz für Menschen, die in der Wahl ihres Umgangs hoch selektiv sind.
Selektivität sollte allerdings nicht zu hoch sein („Arroganz“).
Reaktanztheorie Teil 1: Verhindern externe Ursachen eine romantische
Partnerschaft, ist das Interesse umso höher („Romeo und Julia Effekt“,
„Closing-Time-Phänomen“).
108
Reaktanztheorie Teil 2: Die Attraktivität geheimer Beziehungen wie im
„bridge-Experiment“ von Daniel Wegner (1994).
Reaktanztheorie Teil 3: Menschen finden sich gegenseitig weniger attraktiv,
wenn sie in eine Beziehung gedrängt werden (z.B. von kuppelnden Freunden,
Eltern…).
9.2.4 Partnerwahl: Die Evolution des Verlangens?
Männer sind laut übereinstimmenden Selbstberichten promiskuitiver als Frauen, genießen mit
höherer W´keit Sex ohne emotionale Bindung, lassen eher Sex zu und haben mit höherer
W´keit Fantasien von Sex mit mehreren Partnern.
Die evolutionäre Perspektive
Männer und Frauen unterscheiden sich von Natur aus in ihren sexuellen Verhaltensweisen:
Frauen
Männer
Hohe Selektivität, weil biologische Grenze
Eigentlich unbegrenzte Anzahl an Kindern
der Anzahl der Kinder
möglich
Interessiert an Männern mit ökonomischen
Mangelnde Fähigkeit, fruchtbare
Ressourcen und dem Willen, diese auf die
Partnerinnen anzuziehen;
Frau zu verwenden.
Vaterschaftsunsicherheit
interessiert an Männern, die älter und
Interessiert an jungen, attraktiven Frauen
finanziell abgesichert sind oder an Männern, (Signale von Gesundheit und Fruchtbarkeit);
die Ambitionen, Intelligenz, Stabilität oder
interessiert an Treue.
andere Zeichen von zukünftigem Erfolg
zeigen.
Überprüfung der Theorie durch David Buss (1989) mittels Fragebögen,
kulturübergreifend.
Die Vorhersagen werden in der Regel bestätigt, Männer suchen durchschnittlich
2.7 Jahre jüngere Frauen, Frauen dagegen 3.4 Jahre ältere Männer.
Davis (1990): Bei der Partnerwahl werden „Männer als Erfolgsobjekte, Frauen als
Sexobjekte“ angesehen.
Forschung zur Eifersucht:
„Eifersucht“ ist ein negativer emotionaler Zustand, der auf Grund einer
wahrgenommen Bedrohung einer Beziehung entsteht.
Nach der Evolutionären Perspektive sollten Männer eher sexuell eifersüchtig sein
(Vaterschaftsunsicherheit), während Frauen eher emotional eifersüchtig sein
sollten (Ressourcenentzug).
109
Männer sind eifersüchtiger, wenn sie ihrer Partnerin beim Flirten mit dominanten
Männern zusehen; Frauen dagegen sind eifersüchtiger, wenn ihr Partner mit
attraktiven Frauen flirtet.
Soziokulturelle Perspektiven
Kritik evolutionspsychologischer Ansätze:
1) Zur „Ressourcengeilheit“: Steven Gangestad´s (1993) Hypothese: Frauen
bieten ihre Jugend und Schönheit nur dann, wenn sie keinen direkten
Zugang zu Ressourcen haben. Überprüfung von Buss´s Studie. Es ist
möglich, dass der niedrige sozioökonomische Status Frauen weniger
wählerisch werden lässt Frauen mit hohem Status legen mehr Wert auf
Attraktivität.
2) Zur „Eifersucht“: Nicht Vaterschaftsunsicherheit ist für sexuelle Eifersucht bei
Männern verantwortlich, sondern die Annahme, dass sexuelle Untreue auch
mit emotionaler Untreue verbunden ist.
3) Zum „Attraktivitätsrating“: Die Unterschiede sind gering; Frauen legen
genauso viel Wert auf Attraktivität, wenn es um kurzfristige Affären geht
(Regan & Berscheid, 1997).
4) Die Geschlechtsunterschiede sind weder universell noch vorhersagbar.
110
9.3 Enge Beziehungen
„Intime Beziehung“ = Eine enge Beziehung zwischen zwei Erwachsenen, die emotionale
Bindung, Erfüllung psychologischer Bedürfnisse und gegenseitige Abhängigkeit beinhaltet.
Für die Beschreibung des Verlaufes einer Beziehung gibt es Stufenmodelle
(Bsp. Bernard Murstein, 1986: Reizstufe Wertstufe Rollenstufe). Aber
bei weitem nicht alle Beziehungen durchlaufen alle Stufen in derselben
Reihenfolge.
Eine beliebte Theorie ist, dass Belohnungen aller Art der „Treibstoff“ einer Beziehung sind.
9.3.1 The Intimate Marketplace: Tracking the Gains and Losses
Hier 2 “quantitative” Beziehungstheorien:
Theorie des Sozialen Austauschs
...behauptet, dass Menschen in ihren Beziehungen mit anderen dazu motiviert sind, die
Kosten zu minimieren und die Gewinne zu maximieren (John Thibaut & Harold Kelley,
1959).
Paare, die zu Beginn der Beziehung viele lohnenswerte Interaktionen haben und deren
lohnenswerte Interaktionen stark zunehmen, trennen sich später mit geringerer W´keit.
Comparison Level (CL) ist das durchschnittlich von einer Beziehung erwartete Ergebnis.
(Hoher CL Hohe Erwartungen an den Wert der Beziehung, d.h. eine miserable Beziehung
kann für Menschen mit einem niedrigen CL trotzdem lohnenswert erscheinen). Der CL wird
mit dem CLalt (comparison level for alternatives) verglichen, der Vergleich entscheidet über
den Verbleib in der Beziehung. Beide Vergleichslevels werden von unterschiedlichen
Faktoren beeinflusst.
Investment (Die Leistungen, die in eine Beziehung gesteckt wurden und an einem
potentiellen Beziehungsende nicht mehr kompensiert werden können – Bsp. Zeit) steigert
Commitment.
111
Zusammenfassung:
Equity-Theorie
(„Equity Theory“): Menschen sind dann am zufriedensten mit einer Beziehung, wenn das
Verhältnis von Lohn und Aufwand für beide Partner gleich ist.
Als Formel:
Lohn von A / Aufwand von A = Lohn von B / Aufwand von B
In Frage gestellt durch eine Studie von Rodney Cate (1988): Nicht die relativen, sondern die
absoluten Vorteile sind entscheidend für den Erfolg einer Beziehung.
9.3.2 Beziehungstypen
Und hier einige „qualitative“ Kategorien von Beziehungen (nach Clark):
(1) Austausch – Beziehungen: Die Teilnehmer erwarten und wünschen unbedingte
Reziprozität. Geschäftliche Beziehungen.
(2) Gemeinschaftsbeziehungen: Die Teilnehmer erwarten und wünschen gegenseitige
Verantwortlichkeit für Bedürfnisse. Begrenzt auf enge Freundschaften, romantische
Beziehungen, Verwandtschaft. Funktioniert, indem irgendwann im Verlauf der
Beziehung eine kommunale Norm etabliert wird, die die Motivation, auf die
Bedürfnisse des anderen zu reagieren automatisiert.
Sichere und unsichere Bindungsstile (-typen):
112
Bindungsstil = Die Art, auf die eine Person typischer Weise mit für sie wichtigen
anderen Personen interagiert.
Nach John Bowlby (1988) formen Kinder in ihren ersten Lebensjahren
Bindungsstile, mit denen ihre Interaktionen im späteren Leben vorhergesagt
werden können.
Feststellung des Bindungsstils bei Kindern (Ainsworth, 1978): Mutter spielt im Labor mit ihrem
Kind Mutte verlässt Kind Mutter kommt wieder Ergebnis: sichere Bindungstypen
weinen, wenn die Mutter geht und strahlen, wenn sie wiederkommt. Ängstlich unsichere weinen,
wenn sie geht und reagieren mit Wut oder Meidung, wenn sie wieder kommt. Meidend unsichere
zeigen keine großen Emotionen.
Entgegen der Auffassung Bowlby´s fand Lee Kirkpatrick (1994), dass sich die
Bindungsstile mit der Zeit verändern.
9.3.3 How Do I Love Thee? Counting the Ways
Es geht um die Klassifikation der “Liebe”.
1. Theorie: John Alan Lee (1988):
Primäre Liebesarten:
Erotische Liebe:
Freundschaftliche Liebe:
Spielerische Liebe:
Sekundäre Liebesarten:
Pragmatische Liebe:
Altruistische Liebe:
Besitzergreifende Liebe:
sexuelles Interesse (EROS)
lange Freundschaft, Interesse (STORGE)
Verführung, Sex, Hier und Jetzt (LUDUS)
Nutzen einer Partnerschaft (PRAGMA)
Bedürfnisse des Anderen, Opferbereitschaft (AGAPE)
Exklusivität, Fokussierung, Eifersucht (MANIA)
113
2. Theorie: Robert Sternberg (1986):
„Trianguläre Theorie der Liebe“: Liebe hat 3 Basiskomponenten (Intimität, Leidenschaft und
Commitment), die zu 8 Subtypen kombiniert werden können. Schema:
Intimität ist die emotionale Komponente der Liebe. Beinhaltet Gefühle des Mögens und der
Verbundenheit.
Leidenschaft ist die motivationale Komponente der Liebe. Beinhaltet Triebe, die Attraktion,
Romantik und sexuelles Verlangen auslösen.
Commitment ist die kognitive Komponente der Liebe. Zeigt die Entscheidung, eine
längerfristige Beziehung einzugehen.
In allen Liebestheorien wird „Mögen“ (liking) von „Lieben“ (loving)
unterschieden. Nach Zick Rubin (1973) stellen liking und loving zwei
unterschiedliche Reaktionen auf intime Beziehungen dar. Aber der Übergang
zwischen beiden ist unscharf.
114
Alternative von Elaine Hatfield (1988): Unterscheidung zwischen „Passionate Love“
und „Companionate Love“. Im Einzelnen:
„Passionate Love“ :
Leidenschaftliche Liebe. Eine romantische Liebe, die durch hohe Erregung, intensive
Attraktion und Angst vor Zurückweisung gekennzeichnet ist.
Nach Ellen Berscheid (1974) ist leidenschaftliche Liebe eine Emotion und kann gemäß der 2Faktoren-Theorie von Schachter in einen Zustand erhöhter physiologischer Erregung und der
Attribution der Erregung auf die in Frage kommende Person analysiert werden. Dabei kann
es auch zu Missattributionen durch „Excitation Transfer“ kommen:
Experiment von Dutton & Aron (1974): Männliche (freiwillige?) VPn gehen
über eine von 2 Brücken. Eine Brücke ist schmal und 60m hoch, die andere
breit und nur 3m hoch. Am Ende der Brücke treffen sie eine attraktive
Forschungsassistentin, die die Vpn bittet, einen Fragebogen auszufüllen und
ihnen anschließend ihre Telefonnummer gibt für den Fall, dass sie noch Fragen
zu dem Forschungsprojekt haben Männer, die die 60m-Brücke überquert
hatten, riefen öfter an, wahrscheinlich weil sie ihre physiologische Erregung
fehlattribuiert hatten.
In einem Review kommt Craig Foster (1998) zu dem Schluss, dass der Effekt des
ET selbst dann auftritt, wenn die Vpn die Quelle ihrer physiologischen Erregung
kennen Auch ohne Fehlattribution. Wenn man erregt ist, werden gut
aussehende Menschen anderen Geschlechts (oder halt einfach das, auf was man so
steht) als noch besser aussehend bewertet, während hässliche Leute noch
hässlicher werden. Automatische Reaktion
Nach Pamela Regan und Ellen Berscheid (1998) ist sexuelles Verlangen für viele
ein wichtiger Teil leidenschaftlicher Liebe (wer hätte das gedacht!?).
Interessante Befragung: „Wenn jemand alle Qualitäten hätte, die du schätzt, aber du liebst ihn/sie
nicht, würdest du ihn/sie trotzdem heiraten?“
1967: 35% der Männer und 76% der Frauen sagen „ja“
1986: 14% der Männer und 20% der Frauen sagen „ja“
Interpretation: - Der große Unterschied bei der Frauengeneration reflektiert die Tatsache, dass eine
Ehe aus Liebe einen ökonomischen Luxus darstellt, den sich früher nicht viele Frauen leisten
konnten (Simpson, 1986).
- Es gibt große kulturelle Unterschiede (4% in USA, 49% in Indien) Individualismus vs. Kollektivismus (kleine Repräsentativitätsheuristik: wann hast du zum
letzten mal im Radio einen „westlichen“ Lovesong gehört, in dem die Zeilen „Ich mache deine
Familie glücklich“ oder „Baby, sei für meine Freunde da“ vorkamen?)
115
„Companionate Love“:
Freundschaftliche Liebe. Sowohl zwischen engen Freunden, als auch bei Liebenden.
Grundlagen sind Vertrauen, Fürsorge, Respekt, Freundschaft und längerfristiges
Commitment. In der Regel länger andauernd als PL.
Wichtigstes Charakteristikum ist Self-Disclosure („Selbstoffenbarung“?): Offenbarungen
über intime Gefühle und Fakten von sich selbst vor anderen.
Je größer die emotionale Involviertheit in einer Beziehung, desto
wahrscheinlicher wird die Selbstoffenbarung. Laut Nancy Collins (1994) gibt
es dafür 3 Gründe:
(1) Wir offenbaren uns Leuten, die wir mögen
(2) Wir mögen Leute, die sich uns offenbaren
(3) Wir mögen Leute, denen wir uns anvertraut haben.
Irving Altman´s (1973) „Social Penetration Theory“ :
Lügen und Täuschungen werden umso weniger verwendet, je enger die Beziehung ist.
Zu Beginn einer Beziehung offenbart man sich nur so weit, wie es der Partner tut
(Reziprozitätsprinzip).
Selbstoffenbarung ist zwischen Frauen häufiger und Frauen gegenüber offenbaren sich
Angehörige beider Geschlechter häufiger.
116
9.3.4 Beziehungsthemen: Die „Verbindung“ Mann-Frau
Sexualität
In den 1940ern führten Alfred Kinsey und Kollegen den berühmt gewordenen Report über
die sexuellen Aktivitäten und Praktiken der Nordamerikaner durch. Ergebnisse: Sexuelle
Aktivität und Varietät waren ausgeprägter, als damals vermutet. Bis heute untersuchen die
Kinsey Institute Sexualverhalten.
In den allermeisten Fällen basieren die Untersuchungen zum Sexualverhalten auf
Selbstberichten. Entsprechend kritisch sind die Resultate zu bewerten. Einige Befunde sind
jedoch sehr konsistent:
(1) Männer beschreiben sich als offener und aktiver in Bezug auf Sex (Simpson, 1992).
(2) Die sexuellen Rollen unterscheiden sich (Männer sind eher „Eroberer“, Frauen eher
„Torwächter“)
(3) Männer sehen die Welt mehr „sexualisiert“ als Frauen. Experiment von Antonia Abbey
(1982): Paare von männlichen und weiblichen Studenten unterhalten sich, einige andere werten das
Gespräch hinsichtlich sexueller Andeutungen und Gesten aus Ergebnis: Männer fühlen sich mehr
sexuell angezogen als Frauen; Frauen werden von männlichen Beobachtern als verführerischer und
flirtgeiler dargestellt, als sie sich selbst bewerten.
Eifersucht
Nochmal: Eifersucht ist die wahrgenommene Bedrohung für eine Beziehung.
Dabei muss weder die Bedrohung noch die Beziehung real existieren (Stalking).
Eifersucht tritt vermehrt dann auf, wenn die Beziehung neu ist und/oder ein
Partner sehr von der Beziehung abhängt und/oder sich ein Beziehungspartner
unsicher ist.
Nach David Buss (2000) ist Eifersucht eine adaptive Emotion, die Paare
zusammenhält, jedoch auch die gefährliche Seite der Aggressivität (insbesondere
bei Männern) hat.
Das Verhalten, das Eifersucht auslöst (Anschauen, Flirten, Küssen, Sex) ist
kulturell verschieden, ebenso die Verhaltensreaktionen, die von Eifersucht
ausgelöst werden (Meidung, körperliche Bestrafung).
Ehe
73% aller amerikanischen (!) College-Studenten geben an, die meisten ihrer
Lebensziele für eine lebenslange Beziehung zu opfern. Dennoch liegt die
Scheidungsrate in den USA bei 50-60% bei den ersten Ehen und noch höher bei
den folgenden.
Die Zufriedenheit in der Ehe nimmt bei den meisten Paaren in den ersten 10
Jahren schrittweise ab mit zwei gravierenden Einschnitten nach 1 (Wegfall der
117
Idealisierung) und nach 8 Jahren. Der Stress durch Kindererziehung kann
teilweise dafür verantwortlich gemacht werden.
Eine Lösung für Eheprobleme können nach Arthur Aron (2000) gemeinsame
Aktivitäten sein.
Kommunikation und Konflikt
Kommunikationsprobleme gehören zu den am meisten genannten Ehe/Beziehungsproblemen und sind für die meisten Scheidungen mitverantwortlich.
Negative Affektreziprozität (ein „tit-for-tat“-Austausch negativer Gefühle) ist
dabei ein häufiges Muster.
In Konfliktsituationen haben Männer und Frauen unterschiedliche Strategien,
die oft selbst die Konflikte verschärfen: Männer ziehen sich eher zurück, während
Frauen eher fordernd und offen (re-)agieren. Je größer die Diskrepanz im Muster
der Konfliktbewältigung und Kommunikation, desto wahrscheinlicher sind
Probleme und Scheidung.
Lösungen:
(1) Wenn bei einem Thema Konflikt herrscht, sollten sich beide Partner auch der
anderen Themen, in denen kein Konflikt herrscht, gewahr bleiben.
(2) Beide Partner sollten versuchen, zunächst einmal den Standpunkt des anderen
zu verstehen.
Der von den Partnern gewählte Attributionsstil entscheidet häufig über das
Überleben der Beziehung. Beziehungsfördernde Attribution (schlechte Stimmung
wird als vorübergehend, gute Stimmung als Persönlichkeitsmerkmal interpretiert)
vs. Streiterhaltende Attribution.
Trennung
Die Enge der Beziehung und die Stärke der Interdependenz zwischen den
Partnern korreliert sowohl mit der Länge der Beziehung als auch mit dem
Eindruck, den eine Trennung hinterlässt.
118
10 Helping Others
Gliederung:
10.1 Evolutionäre und Motivationale Faktoren:
10.2 Situationale Einflüsse:
10.3 Persönlichkeitseinflüsse:
10.4 Interpersonale Einflüsse:
10.5 Reaktionen auf Hilfeleistung
10.6 „Hilfsverbindungen“
„Warum?“:
„Wann?“:
„Wer?“:
„Wem?“
In diesem Kapitel geht es um Hilfeleistung und Hilfeempfang.
10.1 Evolutionäre und Motivationale Faktoren der Hilfeleistung
10.1.1 Evolutionäre Faktoren
Das egoistische Gen
Die evolutionäre Perspektive geht nicht vom Überleben des fittesten
Individuums aus, sondern von Überleben der fittesten Gene des Individuums.
Dementsprechend sollte menschliches Verhalten unter dem Gesichtspunkt
betrachtet werden, welchen Beitrag es zum Reproduktionserfolg (in
natürlichen, steinzeitlichen Umgebungen) hat: Empfang, Geburt und Überleben
des Nachwuchses über viele Generationen. Erhöht ein bestimmtes soziales
Verhalten den Reproduktionserfolg wird es wahrscheinlich an kommende
Generationen weitergegeben.
Kinship Selection = Die Präferenz, genetisch Verwandten zu helfen, wodurch
die gemeinsamen Gene überleben. Angeborenes Verhalten bei vielen Arten.
Befragungen von Eugene Burnstein (1994): Hilfeleistung ist wahrscheinlicher
bei nahen Verwandten vs. entfernten Verwandten (mehr identische Gene) und
bei jüngeren Verwandten vs. älteren (größere Reproduktionsw´keit).
119
Reziproker Altruismus
Hilfeleistung erhöht die W´keit, dass einem geholfen wird. Wenn A hilft B und
B hilft A in einem reziproken Akt, erhöht sich die Überlebenschance beider
Individuen. Im Laufe der Evolution sollten diese „reziproken Gene“
florieren.
Kommt im Tierreich auch zwischen Spezies vor: Symbiose.
Experiment von Robert Seyfarth (1984): Hilferufe von Affenweibchen werden aufgenommen
und einer Gruppe von anderen Affenweibchen vorgespielt. Die eine Hälfte der Gruppe wurde
vorher von dem Affenweibchen gelaust, die andere nicht Ergebnis: Die Aufmerksamkeit
gegenüber den Hilferufen ist bei den zuvor gelausten Tieren höher.
Kooperative Gruppen
Viele Hilfeleistungen können weder durch egoistische Gene, noch durch
reziproken Altruismus erklärt werden (Bsp.: Man hilft einem Verwundeten
ohne viele Chancen, dass er sich jemals revanchieren kann).
Das Modell der Gruppenselektion von Elliot Sober und David Wilson (1998)
bietet eine Erklärung: Der Reproduktionserfolg ist abhängig vom Schutz der
eigenen Interessen relativ zu den Interessen anderer (= Egoismus), aber er ist
auch abhängig vom Schutz der eigenen Gruppe relativ zu anderen Gruppen.
Im Tierreich gibt es viele Beispiele, in denen Mitgliedern der eigenen Ingroup
(Herde, Spezies…) ohne direkte Reproduktionsvorteile geholfen wird.
10.1.2 Der Lohn der Hilfeleistung
Hilfeleistung ist umso wahrscheinlicher, je höher der potentielle
Nutzen der Aktion in Relation zu den potentiellen Kosten scheint
(Beispiel Blutspende: Niedrige Kosten gegenüber Anerkennung
anderer, Sicherung des eigenen Überlebens - )
Das Arousal: Cost-Reward-Model besagt, dass Menschen in
Notsituationen zunächst mit physiologischer Erregung reagieren. Die
entstehenden unangenehmen Emotionen sollen möglichst kosteneffektiv
abgebaut werden Abwägung der Kosten einer Hilfeleistung und des
möglichen Nutzens Hilfeleistung(?)
Sich gut fühlen
Selbstwertgefühl
Hilfeleistung
bedroht,
Schuldgefühle
120
Selbsthilfe
durch
Hilfeleistung erhöht das Selbstwertgefühl und mindert Schuldgefühle, die
durch eigene Fehler entstanden sind. Studie von Carolyn Schwartz (1999): Pfleger
von Patienten mit MS zeigen über die Jahre einen deutlichen Anstieg des
Selbstwertgefühls.
Entwicklungsmäßig lernen Kinder zunächst die unmittelbaren positiven
Folgen der Hilfeleistung (Lob von den Eltern, kleine Aufmerksamkeiten).
Als Erwachsener belohnt man sich dann oft selbst, indem man Stolz
empfindet.
Gut Sein (oder so erscheinen…)
„Man tut das Richtige“: D.h. die Hilfeleistung basiert auf der Motivation, gemäß
moralischen Prinzipien zu handeln. Die Bestätigung der eigenen Moral führt
wiederum dazu, dass man sich gut fühlt.
Moralische Heuchelei: Der Versuch, andere und sich selbst davon zu
überzeugen, dass man moralisch handelt, obwohl man in Wahrheit motiviert ist,
moralisch zu erscheinen. Beispiel: Du willst dir mit 3 Freunden das WM-Spiel Costa-Rica
gegen Polen anschauen, erhältst aber nur 2 Restkarten. Weil du ein moralischer Heuchler bist,
bietest du an, die 2 Karten unter euch zu verlosen. Du manipulierst die Auslosung und gehst mit
deinem besten Freund zum Spiel.
Overhelping: Die Motivation, anderen zu schaden, indem man vorgibt, ihnen zu
helfen. Beispiel: Ein(e) KollegIn steht kurz vor Abschluss eines bedeutenden Projektes. Weil du
ein moralischer Heuchler bist, hilfst du ihm/ihr, obwohl du weißt, dass er/sie eigentlich keine Hilfe
braucht. Anschließend erbst du einen Teil des Lohns und die anderen Leute denken sich: Ok, XY
hat gute Arbeit geleistet, aber ob er/sie es ohne DEINE Hilfe geschafft hätte?
121
Kosten der Hilfe/Nicht-Hilfe
Erziehung, Bildung und Erfahrung scheinen eine Rolle bei der KostenNutzen-Analyse und damit bei der Entscheidung für oder gegen eine
Hilfeleistung zu spielen:
Experiment von Robert Frank (1993):
Manche Gruppen etablieren (formelle oder informelle) Gesetze und
Normen, die die Kosten von unterlassener Hilfeleistung erhöhen.
(Bsp.: In Deutschland gesetzlich geregelt).
122
10.1.3 Altruismus oder Egoismus: Die Große Debatte
Definitionen der Autoren: Altruistisches Handeln ist vom Wunsch motiviert, das
Wohlergehen anderer zu fördern, während Egoistisches Handeln vom Wunsch motiviert ist,
das eigene Wohlergehen zu fördern.
Die Empathie-Altruismus-Hypothese
Modell des Altruismus von Daniel Batson (1991): Es gibt eine tatsächliche
altruistische Motivation, die eine Konsequenz von Empathie ist.
Empathie hat eine kognitive Komponente (Perspektivübernahme) und
zwei emotionale Komponenten: Persönliches Leiden („personal distress“
das man empfindet, wenn man eine Person in Not beobachtet) +
Empathische Fürsorge („empathic concern“)
In Bildern:
123
Nach Batson kann man Altruismus von Egoismus folgender Maßen
trennen: Man gibt einer Gruppe von VPn eine hohe Chance, der
Hilfeleistung zu „entkommen“, für die andere Gruppe macht man das
Entkommen schwierig. Altruisten erkennt man daran, dass sie helfen,
egal was passiert (auch wenn sie nicht helfen müssten).
Bemerkenswerter Befund: Man handelt meist „altruistisch“, wenn
Einstellungsähnlichkeit zwischen dem Helfenden und dem Geholfenen
herrscht. Beispielexperiment von Batson (1981):
124
Egoistische Alternativen
1) Empathie fördert Hilfeleistung nicht wegen der Sorge um andere, sondern
der Sorge über die Kosten, die für das Selbst entstehen, wenn man nicht
hilft.
2) Negative State Relief Model (Cialdini, 1987) Empathie betont den
potentiellen Nutzen der Hilfeleistung. Prinzip: Empathie steigert Gefühle
der Traurigkeit, das Verlangen nach Aufheiterung wächst, Hilfeleistung zur
Stimmungsaufheiterung.
3) Empathic Concern erhöht die Sensibilität des Helfers für die positiven
Gefühle, die die Hilfe erhaltende Person empfindet und bewirkt, dass der
Helfer Empathic Joy empfindet.
Forschung unterstützt beide Seiten (Altruismus – Egoismus). Keine klare
Lösung, keine Tendenz erkennbar.
Altruismus vs. Egoismus: Grenzen und Konvergenz
-
Jede Hilfeleistung könnte aus einem Mix von altruistischen und egoistischen Motiven
entstehen.
Motive garantieren nicht Verhalten altruistische Motive können durch hohe Kosten
der Hilfeleistung in den Hintergrund gedrängt werden.
Und um alles in Frage zu stellen: Verschmelzen Egoismus und Altruismus vielleicht
genau an dem Punkt, an dem die Empathie, das Hineinversetzen in den anderen, das
Mit-Leiden und die Fürsorge ansetzt: Verwechselt der Helfer das „Ich“ mit einem
„Wir“?
10.1.4 Warum die Unterscheidung zwischen den Motivationen zur Hilfeleistung?
Die oben stehende Debatte markiert den Übergang von Psychologie zu Philosophie. Aber ist
es in Notsituationen wirklich relevant, welches Motiv der Helfende hat? Ist es nicht
scheißegal, ob der Kerl, der mich aus dem brennenden Auto zieht, sein Ich mit dem Wir
verwechselt, ein Verlangen nach Aufheiterung hat oder seinen Genpool vergrößern will?
Nein. Es ist wichtig, die Motive zu trennen, um Vorhersagen treffen zu können, wer in
welcher Situation am wahrscheinlichsten hilft. An dem Punkt darf noch viel geforscht
werden…
125
10.2 Situationale Einflüsse
10.2.1 Die Nicht Hilfsbereite Menge
Der „Bystander-Effekt“:
Die Anwesenheit anderer hemmt Hilfeleistung.
1964 wird Kitty Genovese auf offener Straße mit dem Messer
angegriffen und sexuell belästigt. 38 ihrer Nachbarn beobachten den
Angriff, erst nach 45 Minuten ruft jemand die Polizei. Kitty stirbt.
Experiment von Bibb Latané (1970): VPn werden in Paaren oder in Gruppen von 3-6
Leuten zu einer Diskussion eingeladen, die sie vertraulich über Intercom führen
sollten. Während der Diskussion gibt einer der Teilnehmer (ein Konföderierter) vor,
einen Anfall zu erleiden, er fleht die anderen um Hilfe an und verstummt schließlich
Ergebnis: Hilfeleistung ist abhängig von der Gruppengröße. In den 2er-Gruppen
leisteten alle Hilfe (da sie annahmen, dass sie die einzigen waren, die den Anfall
mitbekamen), während in den 6er-Gruppen nur in 38% der Fälle geholfen wurde.
Theorie der Hilfeleistung in Notfällen nach Latané und John Darley (1970):
126
Wichtig: Der Theorie nach genügt 1 ausgelassener Schritt, damit die Hilfeleistung nicht
zustande kommt.
Im Einzelnen:
Schritt 1: Bemerken.
Schritt 2: Interpretieren. Pluralistische Ignoranz ist der Zustand, in dem die Umstehenden
fälschlicherweise annehmen, dass ihre eigenen Gefühle und Gedanken sich von denen der
anderen Umstehenden unterscheiden, obwohl alle sich gleich verhalten. Nicht auf
Hilfeleistung beschränkt (Bsp. Schule: keiner versteht den Stoff, aber jeder denkt, alle
anderen tun es). Experiment von Latané (1968): VPn sitzen allein oder mit 2 anderen in einem Raum über
einem Fragebogen. Plötzlich kommt unter der Tür Rauch durch. Wenn sie allein sind, melden 75% der VPn
den Rauch, wenn sie zu dritt sind, fast niemand, weil sich jeder mit einem kurzen Blick auf seinen Nachbarn
von dessen „Sorglosigkeit“ überzeugt und die Situation falsch interpretiert.
Schritt 3: Verantwortung übernehmen. Diffusion der Verantwortung ist der Glaube, dass
andere die Verantwortung für die Hilfeleistung übernehmen werden/sollten. Verstärkt bei
Anonymität (Kitty Genovese). Bestimmte Rollen bringen jedoch Verantwortung mit sich:
Ärzte, Psychologen, Securities, Anführer von Gruppen…
Schritt 4: Entscheiden, wie man hilft. Wegen mangelnder Kenntnisse wird meist auf
indirekte Hilfeleistung zurückgegriffen.
Schritt 5: Hilfe leisten. Audience inhibition ist die Zurückhaltung Hilfe zu leisten aus Angst,
dass man auf die Beobachter einen schlechten Eindruck macht.
Wie in einer Menge Hilfe erhalten?
(1) Ambiguität verhindern: Hilfsbedürftigkeit klar und unmissverständlich ausdrücken.
(2) Diffusion der Verantwortung verhindern: Einzelne gezielt ansprechen.
10.2.2 The Place We Live
In ländlichen Gegenden wird mehr geholfen als in urbanen Gegenden.
Mögliche Gründe:
- Reizüberflutung
- Heterogenität der Bevölkerung
- Anonymität und geringere Verantwortung
In dicht besiedelten Gebieten ist die W´keit für Hilfeleistung geringer, ebenso in Gegenden
mit hohen Lebenshaltungskosten. Annahme: Höherer Stress weniger Hilfsbereitschaft.
127
10.2.3 Zeitdruck
Verursacht:
- Nichtbeachten von Notsituationen
- Weniger Verantwortungsbewusstsein
- Höhere Kosten durch verlorene Zeit
Experiment von John Darley & David Batson (1973):
“Der gute Samariter”. Labor 1. Manipulation 2er Uvs: (a) Die folgende Diskussion geht über die Parabel vom
guten Samariter / Die folgende Diskussion geht über Studentenjobs (b) Den Vpn wird gesagt, dass sie in Labor
2 gehen sollen und dass sie noch viel Zeit dazu haben / genau im Zeitplan liegen / spät dran sind Auf dem
Weg zu Labor 2 treffen sie auf eine Hilfe suchende Person UV (a) hat keine Auswirkung auf die
Hilfeleistung; UV (b): nur 10% der Vpn, die zu spät dran sind, helfen gegenüber 45% (im Zeitplan) und 63%
(viel Zeit).
10.2.4 Helfen und Stimmung
Good-Mood-Effect: Gute Stimmung erhöht W´keit für Hilfeverhalten.
Experiment von Michael Cunningham (1979): An sonnigen Tagen geben die Menschen
mehr Trinkgeld.
Experiment von Robert Baron (1997): In einer Mall wechseln die Leute 1$ an gut
riechenden Plätzen (Bäckerei, Kaffeeladen) eher als an neutral riechenden Plätzen
(Bekleidungsgeschäft); wahrscheinlich deshalb, weil sie dort bessere Laune haben.
Schlechte Stimmung
Schuld bezeichnet unangenehme bis leidvolle Gefühle, die durch den
Glauben entstehen, dass man seine eigenen Standards verletzt hat oder
durch den Glauben, dass andere die Verletzung des eigenen Standards
wahrnehmen. Funktion (nach Roy Baumeister, 1994): verbessert,
erhält und repariert existierende Beziehungen.
Schuldgefühle können übertragen werden, d.h. Schuld motiviert uns,
die nächstbeste soziale Beziehung zu retten W´keit für Hilfeleistung
erhöht.
Allgemein: Negative Stimmungen können Hilfeleistung fördern.
Erklärung durch das Negative State Relief Model (Cialdini, 1987):
Helfen fühlt sich gut an Stimmungsaufbesserung.
Wichtige Variablen:
(1) Verantwortung: Nur bei Verantwortungsübernahme für die schlechte
Stimmung entsteht Schuld und damit eine höhere W´keit für
Hilfeleistung.
(2) Selbstfokus: Mindert Chance auf Hilfeleistung gegenüber anderen
(3) Reflexion über persönliche Werte (na ja, wenn man dagegen das
„Samariterexperiment“ anschaut…)
128
10.2.5 Role Models und Soziale Normen
Vorbilder („Role models“) können real oder imaginär (TV) sein.
Warum regen uns Modelle anderer zum Helfen an?
(1) Vorbilder zeigen Verhalten, das direkt imitiert werden kann.
(2) Vorbilder werden belohnt
(3) Lernen Sozialer Normen.
Soziale Norm = Allgemeine Verhaltensregel, die Standards für erwünschtes und
unerwünschtes Verhalten reflektiert.
Unmittelbar anwendbare Normen:
(1) Norm der Reziprozität (s.o.)
(2)Norm der Gleichheit/Gerechtigkeit („norm of equity“): In Situationen, in denen man sich
übermäßig begünstigt sieht tendiert man dazu, anderen weniger Begünstigten zu helfen.
Norm der Sozialen Verantwortung: Ein moralischer Standard, der besagt, dass man denen
helfen soll, die Unterstützung brauchen. D.h. es wird denen gegeben, die es am meisten
brauchen und nicht denen, die es am meisten verdienen (Gerechtigkeitsnorm).
Probleme:
- Normen meist sehr allgemein und abstrakt
- Menschen haben unterschiedlichen Vorstellungen (z.B. von Fairness) und
unterschiedliche Wahrnehmungen in vergleichbaren Situationen
Kulturelle Unterschiede
Bsp.: Inder sehen Reziprozität als moralische Verpflichtung an, US-Amerikaner betonen die
Wahlfreiheit, reziprok zu handeln oder nicht.
Zu kulturellen Unterschieden bei der Norm der Sozialen Verantwortung:
129
10.3 Persönlichkeitseinflüsse
10.3.1 Die Altruistische Persönlichkeit
Situationale Faktoren dominieren individuelle Differenzen.
Individuelle Differenzen existieren aber und sind über die Lebensspanne
relativ stabil.
Genetische Komponente? Monozygote Zwillinge ähneln sich in ihrem
Hilfeverhalten stärker als dizygote Zwillinge.
Verbindung: Altruismus – andere Persönlichkeitseigenschaften:
Vorhersagen auf Grund der Persönlichkeit des potentiellen Helfers können
nur situationsspezifisch getroffen werden.
Einige Persönlichkeitsvariablen, die in bestimmten Kontexten mit größerer
Hilfsbereitschaft korrelieren: Empathie, Attribution von Ereignisursachen
auf die eigene Kontrolle, kollektivistische Orientierung, Extraversion,
Offenheit, Kompromissbereitschaft
„In sum, research provides some insight into the traits and characteristics that may be
associated with helpful behavioral tendencies, but more research is needed before a
conclusion can be reached about the make-up of the altruistic personality. The research
thus far does point to two qualities that seem essential for such a personality: Empathy
and Advanced Moral Reasoning.”
10.3.2 Individuelle Differenzen bei Empathie und moralisch-logischem Denken
Empathie: Obwohl Empathie allein noch nichts über die Motivation
zu helfen aussagt, ist sie ein guter Prädiktor für jegliches prosoziales
Verhalten (also auch Hilfeleistung).
Moralisch-logisches Denken („moral reasoning“): Korreliert positiv
mit Hilfeverhalten. MR beinhaltet, dass man die Bedürfnisse anderer
bei der Handlungsplanung berücksichtigt.
130
Paul Miller (1996): Die Kombination aus E und MR ist entscheidend für Hilfeverhalten.
Experiment:
10.3.3 Elterliche und familiäre Einflüsse
… tragen entscheidend zur Entwicklung von Empathie und MR bei. Mit
prosozialem Verhalten assoziierte Eigenschaften des familiären Umfeldes
sind (nach Ma & Leung, 1995): Zusammenhalt; Harmonie; wenig
Ausdruck von Ärger, Aggression, Konflikt; Intellektuelle und Kulturelle
Aktivitäten
Identifikation mit wenigstens einem Elternteil (der dann als Role Model
dient) scheint mit altruistischem Verhalten verbunden zu sein.
Sätze wie „Die anderen Kinder werden unglücklich sein, wenn du sie nicht
mit deinem Bagger spielen lässt“ anstatt „Ich werde unglücklich sein,
wenn du die anderen Kinder nicht mit deinem Bagger spielen lässt“
fördern Perspektivübernahme und Empathie.
131
10.4 Interpersonale Einflüsse
Wem hilft man? Gibt es Personen(-gruppen), denen eher geholfen wird?
10.4.1 Wahrgenommene Charakteristika der Hilfe suchenden Person
(1) Attraktivität: Experiment von Peter Benson (1976): K lässt in einer Telefonzelle eine
Bewerbungsmappe, ein Foto (attraktiv vs. unattraktiv!) und einen adressierten Briefumschlag zurück.
Die Sachen werden bei Attraktiven häufiger zurückgeschickt. Umfasst neben physischer
Attraktivität auch Freundlichkeit, Charisma und andere Eigenschaften, die die
Tendenz zur Affiliation erhöhen.
(2) Attributionen auf Verantwortlichkeit: AAA-Theorie („attribution-affect-action“,
Weiner): Wenn Personen nicht für ihre Notsituation verantwortlich gemacht werden
(attribution), erregen sie Sympathie (affect) und ihnen wird geholfen (action). Wird
den Notleidenden dagegen persönliche Kontrolle über die Ursachen bescheinigt,
empfindet man eher Ärger oder Unverständnis. Die Tendenz, persönlich oder external
zu attribuieren, ist von Beobachter zu Beobachter verschieden (siehe Kap. 4).
10.4.2 The Fit between Giver and Receiver
Hilfeverhalten hängt oft davon ab, ob Hilfeleistender und –
empfänger in irgendeiner Weise „zusammenpassen“.
Ähnlichkeit:
Ähnlichkeit erhöht die Empathie; Empathie erhöht die W´keit der
Hilfeleistung.
Enge der Beziehung:
Menschen, die in einer „communal relationship“ (siehe Kap. 9)
zueinander stehen (Freunde, Paare) fühlen gegenseitige Verantwortung für
die Bedürfnisse des anderen.
Menschen, die in einer „exchange relationship“ (siehe Kap. 9)
zueinander stehen (Bekannte, Geschäftspartner) helfen im Sinne der
Reziprozitätsnorm.
Menschen in CR´s helfen mehr und bereitwilliger. Ausnahme: Bei für
das Selbstwertgefühl wichtigen Aufgaben wird Freunden weniger
geholfen als Fremden Sozialer Vergleich.
132
Geschlecht:
Situationsabhängig: Männer helfen eher in Situationen, in denen sie
positive Selbstpräsentation betreiben können (als „Retter“ erscheinen
können). Frauen betreiben mehr „social support“.
10.5 Reaktionen auf den Empfang von Hilfe
Theorie von Jeffrey Fisher & Arie Nadler:
„Threat-to-Self-Esteem-Model“ Die Reaktionen auf Hilfeleistung hängen
davon ab, ob Hilfe als Unterstützung oder Bedrohung wahrgenommen wird.
Hilfe ist dabei unterstützend, wenn sich der Empfänger geschätzt und umsorgt
fühlt.
Hilfe ist bedrohlich, wenn sich der Empfänger minderwertig und abhängig fühlt.
(1)
(2)
(3)
Bedingungen, unter denen Hilfe als bedrohlich empfunden wird:
Empfänger mit hohem Selbstwertgefühl reagieren negativer
Wenn sich Empfänger und Hilfeleistender ähnlich sind
Wenn es sich um eine Selbstrelevante Aufgabe handelt
Ähnlichkeitseffekte sind geringer in engen Beziehungen (in denen sowohl
Ähnlichkeit als auch gegenseitige Hilfe erwartet wird).
Alter: Kinder reagieren weniger negativ auf Hilfe.
Stigmatisierte Personen sind anfälliger für negative Reaktionen auf empfangene
Hilfe.
10.6 The Helping Connection (Zusammenfassung)
Soziale Verbindungen sind in verschiedenen Kulturen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die
allgemeine „Tiefe“ der Verbindungen korreliert positiv mit dem Hilfeverhalten.
Verbindungen sind ein zentrales Thema in der sozialpsychologischen Hilfe-Forschung.
Beispiele (Zusammenfassung des Kapitels):
(1) Die Evolutionspsychologie betont die genetische Verbindung bei der Reziprozität, bei
Hilfeleistungen unter Verwandten und Hilfeverhalten innerhalb der Ingroup.
133
(2) Zwei Arten von Verbindungen sind zentral für die Empathie-Altruismus-Hypothese:
Die kognitive Verbindung der Perspektivübernahme und die emotionale Verbindung
der empathischen Fürsorge.
(3) Bei einem Notfall helfen Anwesende eher, wenn sie mit dem Opfer irgendwie
verbunden sind (oder sich so fühlen).
(4) Menschen, die mit Empathie auf das Leiden anderer reagieren und deren Notlage im
Licht ihres eigenen moral reasoning überdenken, helfen eher als andere.
(5) Wahrgenommene Verbindung durch Ähnlichkeit fördert Hilfeleistung.
(6) In einer engen Beziehung fällt es leichter, zu geben und Hilfe zu empfangen.
Vermutung: Die genannten Theorien legen die Vermutung nahe, dass eine wichtige
Voraussetzung für Hilfeverhalten das Erkennen von anderen Individuen, mit denen wir eine
bedeutsame Verbindung haben, ist. Diese Verbindung kann sehr eng gesehen werden
(Ehepartner) oder im weitest möglichen Rahmen interpretiert werden (Bsp.: Oskar Schindler)
134
11 Agression
Gliederung:
11.1 Was ist „Aggression“
11.2 Kulturelle und Geschlechtsunterschiede
11.3 Ursprünge der Aggression
11.4 Situationale Einflüsse auf Aggressionen
11.5 Medien: Gewaltszenen
11.6 Private, Intime Gewalt
11.7 Gewalt reduzieren
In diesem Kapitel geht es um die Aggression, die von Individuen ausgeht. Zur
Gruppenaggression siehe Kap. 8.
11.1 Was ist „Aggression“?
Definition der Autoren:
„Aggression bezeichnet Verhalten
zum Zweck der Verletzung einer
anderen Person, die nicht verletzt
werden will.“
Ausprägungen aggressiven Verhaltens:
Allein die Absicht, jemanden zu verletzen, wird als aggressives Verhalten
verstanden. Aggression kann physisch oder verbal sein. Einzelne, extrem
aggressive Verhaltensweisen werden in der Sozialpsychologie als Gewalt
bezeichnet, während unter Wut/Zorn starke Unmutsgefühle als Antwort
auf wahrgenommene Verletzungen verstanden werden. Feindseligkeit
schließlich ist eine negative, antagonistische Einstellung gegen über einer
anderen Person/Gruppe, die aber ebenso wie Wut nicht zwangsläufig mit
Aggression verbunden sein muss.
135
Instrumentelle Aggression = Gewaltanwendung zur Erreichung von Zielen.
Emotionale Aggression = Gewalt um ihrer selbst Willen. Kann impulsiv oder berechnend
sein.
Die Grenze zwischen IA und EA ist nicht klar. Existiert nur IA allein oder lässt sich die
Gewalt als Kontinuum mit den Endpunkten IA und EA darstellen?
11.2 Kulturelle und Geschlechtsunterschiede
11.2.1 Kulturelle Schwankungen
Kulturelle Unterschiede gibt es sowohl in der qualitativen und quantitativen Ausprägung der
Aggression, als auch in den Definitionen von Gewalt und Aggression, die von den
gesellschaftlichen Normen geprägt werden. Besonders breit ist der Grenzbereich von
Erziehung und Gewalt.
Bruce Bonta (1997) nennt in einem weltweiten Kulturvergleich 25 Kulturen, die nahezu
gewaltfrei sind. Gemeinsam ist diesen Kulturen, dass sie Kooperation fördern und
Wettbewerb zwischen Gruppenmitgliedern vermeiden.
Innerhalb einer Kultur hängt Aggression oft von Variablen wie Alter, Rasse, soziale Klasse
und Religion ab.
Die aggressivste Gruppe (die auch am meisten unter aggressivem Verhalten leidet) sind –
zumindest in den USA – die 14-24jährigen.
11.2.2 Geschlechtsunterschiede
Gewalt: Männer sind gewalttätiger als Frauen. In den USA sind 90% der Mörder
und 76% der Mordopfer Männer.
Aggression: Hängt von der Aggressionsdefinition ab. Männer zeigen mehr
physische Aggression. Nimmt man aber verbale und indirekte (soziale
Verletzung) Aggression in den Gewaltbegriff auf, gleicht sich die
136
Aggressionshäufigkeit beider Geschlechter an. Die verbale Aggression ist bei
beiden Geschlechtern relativ konstant und ähnlich stark ausgeprägt.
Nikki Crick (1999) vermutet, dass indirekte Gewalt bei Frauen häufiger ist, weil sie
mehr Wert auf soziale Beziehungen legen und soziale Verletzung dem entsprechend
effektiv ist.
11.3 Ursprünge der Aggression (Anlage-Umwelt-Problematik)
11.3.1 Ist Aggression angeboren?
Die Entwicklung angeborener Verhaltensweisen ist nicht von Lernvorgängen abhängig, sie
kann aber durch diese, sowie durch kulturelle und andere Faktoren beeinflusst werden.
Instinkttheorien
Sigmund Freud (1918) postuliert nach dem I. Weltkrieg den „Todesinstinkt“, der ein tiefes
unbewusstes Verlangen darstellt, den Spannungen des Lebens zu entkommen. Ihm gegenüber
stellt er den „Lebensinstinkt“, der uns motiviert, uns selbst zu erhalten und uns zu
reproduzieren. Aggression stellt einen Sieg des Lebensinstinkts dar, da sie die momentane
Kraft des Todesinstinkts nach außen, zu anderen hin, kehrt.
Auch Konrad Lorenz (1966) sieht Aggression als angeborenen Instinkt, der das eigene
Überleben sichert (Aus Tierbeobachtungen, Lorenz war Anthropologe). Die natürliche
Selektion würde die Bildung eines Aggressionsinstinkts dadurch fördern, dass die
Aggressoren an mehr Ressourcen und Geschlechtspartner kommen und so einen
reproduktiven Vorteil haben.
Leider stellen diese interessanten Theorien Zirkelschlüsse dar (Argumentation mal selbst
ausprobieren) und haben deshalb keinen Einfluss mehr auf die gegenwärtige Forschung.
Evolutionäre Ansätze
Die Theorie von John Tooby und Leda Cosmides (1988)
betont im Unterschied zur Instinkttheorie Konrad Lorenz´ das Überleben der
Gene und nicht des Individuums. Aggression ist nicht primär auf irgendwelche
Ressourcen ausgerichtet, sondern ganz konkret auf den Zugang zu potentiellen
Geschlechtspartnern. Da das Überleben der Gene betont wird, lässt sich durch
diese Theorie auch erklären, warum die Aggression gegenüber Verwandten und
InGroup-Mitgliedern gehemmt ist.
Untersuchung von Martin Daly (1996): Kindesmord
durch Missbrauch ist bei Stiefeltern 70-100mal höher
als bei biologischen Eltern.
137
Geschlechtsunterschiede:
Männliche Aggression entsteht durch den Kampf um weibliche Ressourcen
(zwischenmännliche Aggression) und durch Sexuelle Eifersucht (Vaterschaftsunsicherheit,
Aggression eher gegen Frauen).
Weibliche Aggression entspringt der Tatsache, dass die Anzahl der Kinder einer Frau
begrenzt ist Evolution bevorzugt diejenigen Frauen, die ihre Kinder effektiv schützen
können (maternale Aggression). Da das Risiko, das eigene Leben zu verlieren möglichst
gering gehalten werden soll, sind die Formen der Aggressivität eher indirekt und relational,
anstatt offen (und gefährlich).
Kritik:
Historische und kulturelle Diversität der Aggression ist so
einfach nicht erklärbar (Ruback und Weiner, 1995). Überwiegen sozialer Faktoren?! Antwort: Evolutionäre und
soziale Faktoren sollten als komplementär angesehen werden.
Psychologische Mechanismen entwickeln sich als Antwort auf
bestimmte Umweltkontexte. Und auch die sozialen Faktoren
selbst können evolvierte Mechanismen darstellen.
Verhaltensgenetik
Betonung der Verbindung Genetische Übertragung  Verhalten. Gene bestimmen den
„Aggressiven Persönlichkeitstyp“. Einige Zwillingsstudien unterstützen die Annahme, dass
Aggression vererbt wird. Überblick über Adoptionsstudien zeigt inkonsistente Ergebnisse.
Forschungsbedarf.
Testosteron
Korrelation Testosteron x Aggression existiert und kann Geschlechtsunterschiede sowie
innergeschlechtliche Unterschiede erklären. Aber besteht ein kausaler Zusammenhang?
Alternativerklärungen: Aggression steigert Testosteronausschüttung (kurzfristig, belegt).
Stress führt zu Testosteronausschüttung führt zu Aggression (belegt) Theorie: Individuen
mit niedrigem sozioökonomischem Status sind vulnerabler für die Aggressionswirkung von
Stress (kann bei ihnen auch besser vorausgesagt werden).
Studie von Stephanie Van Goozen (1995): Transsexuelle Männer zeigen
nach der Geschlechtsumwandlung mit Testosteronpräparaten mehr
aggressives Verhalten als transsexuelle Frauen mit entsprechender
Hormonbehandlung (Vorsicht 3.-Variablen: Reaktionen anderer, eigene
Erwartungen)
138
Serotonin
Serotonin wirkt aggressionshemmend. Niedriger Serotoninlevel ist mit hoher Aggression
assoziiert. Serotoninagonisten hemmen aggressives Verhalten. Aber: Auch hier kann keine
Kausalität isoliert werden. Serotonin kann sowohl Ursache als auch Folge von Verhalten
sein, das Status- und Dominanzrelevant ist. Man muss auch hier eine Interaktion von
biologischen und sozialen Faktoren annehmen.
11.3.2 Wird Aggression gelernt?
Aggression wird stark durch Lernvorgänge beeinflusst.
Sowohl durch Positive Verstärkung (Belohnungen aggressiven Verhaltens verstärken
dessen Auftretensw´keit) als auch Negative Verstärkung (Aggression verhindert
unerwünschte Ausgänge und damit steigt die Auftretensw´keit).
Bestrafung für aggressives Verhalten verhindert AV am effektivsten, wenn sie
(1) Unmittelbar nach dem Verhalten erteilt wird
(2) Stark genug ist, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen
(3) Sie konsistent angebracht wird und
(4) Vom Bestraften als fair betrachtet wird
Die Gewissheit der Bestrafung ist wichtiger als die Härte der Bestrafung.
Körperliche Bestrafung korreliert positiv mit aggressivem Verhalten. (Achtung,
Kausalität?). Untersuchungen zeigen eine langzeitige Zunahme der Aggression
von Kindern, die oft physisch bestraft wurden. 3.-Variablen wie Familienumfeld
und Emotionales Umfeld sind wichtig.
Soziale Lerntheorie
Alfred Bandura (1977): Verhalten wird durch die Beobachtung anderer sowie durch die
direkte Erfahrung mit Strafen und Belohnungen gelernt.
Experiment (1961): Kinder die ein aggressives
erwachsenes Modell beobachten (ist wütend, tritt Puppe)
zeigen im Experiment mehr aggressives Verhalten.
Diese Modelle können real oder imaginär sein.
Modelle, die für aggressives Verhalten belohnt werden und nicht bestraft werden, sind
besonders aggressionsfördernd.
Der Lernvorgang im Zuge des Sozialen Lernens schließt auch das Lernen von Einstellungen
und Scripts ein, die aggressives Verhalten fördern und in bestimmten situativen Kontexten
automatisch aktiviert werden.
139
Sozialisierung und Geschlechtsunterschiede
[Tipp: Vergleiche mit angeborenen Perspektiven.]
Jungen und Mädchen wird Aggression unterschiedlich gelernt.
Soziale Rollen haben einen großen Einfluss auf Geschlechtsunterschiede: Offene, physische
Aggression wird in stereotypisierten männlichen Rollen eher akzeptiert. Zudem werden
Jungen eher sozial akzeptiert (belohnt!), wenn sie sich mit Gewalt durchsetzen. Mädchen
dagegen werden oft mit einem besseren sozialen Status in ihrer Gruppe belohnt, wenn sie
relationale Aggression einsetzen.
Sozialisierung und Kulturelle Unterschiede
Interkulturell gibt es Unterschiede in der Akzeptanz von Aggressivem Verhalten (sowohl bei
Kindern, als auch bei Erwachsenen).
„Kultur der Ehre“ (Machismo, culture of honor): In Kulturen, in denen Jungen auf ihre
dominante Rolle vorbereitet werden und früh lernen, ihre Argumente mit physischer Gewalt
zu unterstützen, ist männliche Aggression weitaus verbreiteter. Forschung von Dov Cohen
und Richard Nisbett.
Untersuchung von Cohen (1996):
140
11.3.3 Kritische Reflexion der Debatte
Sicher ist, dass biologische und soziale Faktoren interagierend zur Aggressionsentstehung
beitragen. Die Rolle von Lernvorgängen ist ebenso unumstritten.
Aber es ist nach wie vor unsicher, inwieweit die einzelnen Faktoren allein zur
Aggressionsentstehung beitragen. Dementsprechend kontrovers werden alle möglichen
Trainings- und Präventionsprogramme sowie verschiedene Forschungsinteressen in dieser
Richtung betrachtet.
11.4 Situationale Einflüsse auf Aggressionen
Etliche situationale Faktoren können aggressive Gedanken und Verhaltensweisen inhibieren
oder fördern. Im Einzelnen:
11.4.1 Frustration: Aggression als Trieb
John Dollard (1939):
Frustrations-Aggressions-Hypothese: Die Idee, dass
(1) Frustration immer das Motiv auslöst, aggressiv zu handeln und
(2) jegliche Aggression durch Frustration verursacht wird.
Das Motiv der Aggression soll demnach ein psychologischer Trieb sein, der analog
physiologischen Trieben wie Hunger betrachtet werden kann (Deprivation Hunger Essen; Frustration Aggression Verletzung).
Wenn keine Aggression möglich ist (aus Angst oder fehlendem
Zugang), äußert sich der Trieb in Form von Displacement
(Triebverlagerung?): Aggression gegen ein substituentes Ziel.
Displacement schafft in vielen Fällen Katharsis: Ein
Nachlassen des Aggressionsmotivs.
FAH - Belege/Kritik:
- Frustration bedingt nicht immer Aggression
- Aggression wird auch durch andere Faktoren ausgelöst (s.u.)
- Das Konzept eines „Sündenbocks“ passt zum Konzept des Displacements (Bsp.: Holocaust, Rückgang der
Kriminalität in den USA auf Grund besserer wirtschaftlicher Bedingungen, Metaanalyse von Marcus-Newhall,
2000 zeigt positive Korrelation)
- Katharsis umfasst 2 hintereinander geschaltete Prozesse: a) Zunächst reduziert Aggression das Level
physiologischer Erregung b) sobald die Erregung weg ist, ist man weniger wütend und die W´keit für
aggressives Verhalten sinkt. Stimmt leider nicht. Gründe:
(1) Vorgestellte Aggressionen oder die Beobachtung von Aggression erhöhen die Auftretensw´keit von
aggressivem Verhalten (siehe soziale Lerntheorie)
141
(2) Auch „kalte“ Aggression kommt vor.
(3) Wird durch aggressives Verhalten physiologische Erregung reduziert und ist diese Reduktion
wünschenswert, steigt die W´keit für aggressives Verhalten in ähnlichen Situationen (operantes Konditionieren)
(4) Auch wenn sich die Gewaltbereitschaft senkt, bleiben Gefühle von Feindschaft und Ärger (erhöhen sich
sogar häufig)
Katharsis = gefährlich, weil sie weitere Aggression provoziert
11.4.2 Negative Affect
Eine Vielzahl unterschiedlicher gesundheitsschädlicher Stimuli ist neben der Frustration zur
Provokation von negativen Gefühlen und damit Aggression fähig.
Hitze und Aggression
Craig Anderson (2000): Heiße Temperaturen fördern aggressives Verhalten. Die aus
statistischen Daten gewonnenen Erkenntnisse (siehe Figure 11.5) konnten auch experimentell
bestätigt werden.
Auch sehr kalte Temperaturen fördern Aggression.
Positive Gefühle
(Direkte) Provokation erzeugt Vergeltungs-Aggression, die höchstwahrscheinlich durch die
zwischengeschalteten negativen Gefühle ausgelöst wird. Positive Gefühle sollten demnach
die Vergeltung verhindern.
Experiment von Baron (1974): VPn werden von einem K
provoziert, anschließend werden ihnen (1) neutrale Bilder oder (2)
lustige Cartoons gezeigt. Vpn dürfen anschließend dem K in
einem Lernexperiment als Strafe Elektroschocks verabreichen. Die Vpn in (2) geben weniger Schocks.
142
Auch empathische Gefühle, die während oder unmittelbar nach der Provokation auftreten,
verhindern vergeltende Aggression.
11.4.3 Erregung
Sowohl Richtung (positiv/negativ), als auch Intensität von Emotionen sind entscheidend für
die Ausprägung der Aggressionen.
Dolf Zillmann (1983): physiologische Erregung wirkt positiv auf die Aggressionsentstehung
(vergleiche excitation transfer, Kap. 9).
Ebenso Lärm, Gewaltszenen in Videos, entsprechende Musik.
Arousal-Affect-Model:
Aggression wird sowohl von der Intensität der Erregung als auch vom Typ der von einem
Reiz hervorgerufen Emotion beeinflusst.
(Gezielte) Erregungsabnahme reduziert auch die Aggressionsw´keit. Interessant in Figure
11.7 sind die Kombinationen neutral-high (Erregung fördert auch ohne messbare
Emotionsqualität Aggression) und positive-high (Aggressionsentstehung hängt auch von den
gerade präsenten Kognitionen ab).
143
11.4.4 Gedanken: Automatisch vs. Überlegt
(Zur Rolle der Kognition bei der Aggressionsentstehung)
Theorie von Leonard Berkowitz (1993):
Cognitive Neoassociation Analysis: Unerwünschte Erfahrungen bewirken negative
Emotionen, die wiederum Assoziationen mit Angst und Wut hervorrufen. Mit Hilfe
Kognitiver Prozesse bewertet man diese automatischen Prozesse und führt auf Grund dieser
Analyse dann entsprechendes Verhalten aus.
Kurz:
Erfahrung Emotion Assoziation Kognitive Prozesse Verhalten
Situative Hinweisreize…
…(wie Waffen) können Aggression vergrößern.
Experiment von Berkowitz (1967): Vpn geben mehr
Elektroschocks in Anwesenheit von Waffen, als in
Anwesenheit von Sportgeräten.
Der sogenannte „Waffeneffekt“ ist die Tendenz, dass Aggression durch das bloße
Vorhandensein von Waffen erhöht ist (Berkowitz: „[…] but the trigger may also
pull the finger.“).
Das Vorhandensein von Waffen aktiviert automatisch aggressionsverwandte
Kognitionen. Nach einem Wort-Assoziations-Experiment von Craig Anderson
(1996).
Allgemein gilt: Jedes Objekt oder externes Charakteristikum, das (1) mit
erfolgreicher Aggression und/oder (2) der negativen Emotion Schmerz oder Leid
assoziiert wird, kann als aggressionsfördernder situationaler Cue dienen.
Persönlichkeitsmerkmale entscheiden über die W´keit und Intensität der von den
Instrumenten aktivierten Aggressionen.
Kognitive Kontrolle…
beschreibt die Kognitionen höherer Art, die den automatischen Prozessen
nachgeschaltet sind und modulierend auf das Verhalten wirken.
Lernprozesse wie Modelllernen sind Determinanten für kognitive Kontrolle (wenn
sich mehrere Modelle aggressiv verhalten….)
„Mitigating Information“ über die Situation, in der sich eine Person befindet zeigt
an, ob diese Person für die aggressives Verhalten verantwortlich gemacht werden
sollte („Sorry, war keine Absicht!“ Kognition Vergeltungs-Aggression?!)
Individuelle Unterschiede in der Neigung, aggressionsfördernd zu interpretieren wird
durch den „hostile attribution bias“ beschrieben.
Alkohol…
und andere Drogen können höhere kognitive Prozesse hemmen. Alkohol erhöht
aggressives Verhalten, indem er Angst reduziert, was wiederum
Aggressionshemmung unterdrückt. Außerdem führt Alkohol zu
144
Aufmerksamkeitsdefiziten Damit wird der ersten automatischen (meist
aggressionssteigernden) Information mehr Beachtung geschenkt, als der
nachfolgenden kognitiven (meist hemmenden) = „Alkohol-Kurzsichtigkeit“
11.4.5 Zusammenfassung
145
11.5 Medieneffekte: Gewaltszenen
11.5.1 Gewalt
Review von Brad Bushman & Rowell Huesmann (2001): „Hat Gewalt im Fernsehen
irgendwelche Effekte auf aggressives und gewalttätiges Verhalten von Kindern?
Die Antwort ist Ja! „Die wissenschaftlichen Beweise sind […] überwältigend, was das
angeht. Die Beziehung zwischen Fernsehgewalt und Aggression ist ungefähr so stark wie die
Korrelation zwischen Rauchen und Krebs.“ (0,31 vs. 0,38).
Für die Effekte scheint es eine interindividuell unterschiedliche Vulnerabilität zu geben.
Man unterschiedet zwischen unmittelbaren Effekten und Langzeiteffekten:
Unmittelbare Effekte
Aggressive Modelle fördern Aggressivität insbesondere bei Kindern (Modelllernen,
Bandura). Wegen der (teils berechtigten) Kritik am „mundane realism“ der
Laborexperimente wird in dieser Forschungssparte häufig auf Feldexperimente
(beispielsweise in Schulen) zurückgegriffen.
Wendy Wood (1991): Im Labor zeigen sich deutlichere Effekte als außerhalb, aber in beiden
settings sind die Effekte reliabel.
Videospiele: Experiment von Craig Anderson
(2001):
Vpn, die aggressive und sexistische
Videospiele zocken, zeigen einen Anstieg
aggressiver und sexistischer Gedanken,
Verhaltensweisen und Einstellungen.
Langzeiteffekte
Eine Langzeitstudie von Huesmann ergibt, dass Gewalttätigkeit (Aggression, Gedanken…)
im Alter von 30 Jahren bei Männern (nicht bei Frauen) positiv mit der Exposition an
Gewaltfilme im Alter von 8 Jahren korreliert.
Entstehung von Langzeiteffekten:
(1) Beeinflussung der Werte, Erhöhung der Akzeptanz von Aggression zur
Konfliktlösung
(2) Habituation bewirkt Desensitivierung steigert Akzeptanz.
(3) Kultivierung (die Macht der Massenmedien, eine soziale „Realität“ zu erschaffen)
der Gewalt kann dazu führen, dass die Menschen ängstlicher und damit
gegebenenfalls aggressiver in bestimmten sozialen Situationen reagieren.
146
11.5.2 Pornografie
Metaanalyse von Elizabeth Oddone-Polucci (2000): Exposition an
pornografisches Material korreliert mit sexuell aggressiven Verhaltensweisen
und Einstellungen.
Da Begriffe wie Obszönität, Erotik, Pornografie…. sehr unterschiedlich
definiert und operationalisiert werden, definieren Brehm & Co. den Begriff
„Pornografie“ sehr weit gefasst als „explizites sexuelles Material“,
unterscheiden aber zwischen
gewaltfreier Pornografie und
Pornografie mit gewaltverherrlichenden Inhalten.
Nonviolent Pornography
Wie im Arousal-Affect-Model beschrieben ist sowohl Emotionstyp als auch
Intensität der Erregung für Aggressionen bestimmend.
Die Verhaltensantwort hängt damit sowohl von der Persönlichkeit als auch
vom dargebotenen Material ab, die Reaktion kann entweder positiv oder
negativ ausfallen: Beim Umgang mit gleichgeschlechtlichen
Interaktionspartnern kann je nach Interpretation eine
Verminderung/Steigerung aggressiven Verhaltens auftreten.
Werden heterosexuelle Männer
gewaltloser Pornografie
ausgesetzt und interagieren
anschließend mit Frauen, ist
die Aggression nur dann
erhöht, wenn aggressive
Verhaltensweisen wiederholt
gefördert werden.
Originalartikel von
Donnerstein & Hallam, 1978.
Allerdings gibt es auch in der Kategorie gewaltfreie Pornografie so genannte
„dehumanisierende Pornographie“, die beispielsweise Frauen
depersonalisiert. Werden Männer dem ausgesetzt, zeigen sich in
Einstellungsinterviews Tendenzen zu ebensolchem Verhalten (höhere
Gewaltbereitschaft bis hin zu Vergewaltigung, wenn diese nicht sanktioniert
werden würde).
Gewalt verherrlichende Pornografie
Dreifache Bedrohung: Kombiniert
(1) hohe physiologische Erregung mit
(2) negativen emotionalen Antworten (Schock, Ekel…) mit
(3) aggressiven Gedanken.
147
GVP hat einen geschlechtsspezifischen Effekt: nur die Aggression von Männern
gegenüber Frauen wird erhöht. Die Erhöhung der Aggression ist stärker als bei
allen anderen Formen von in den Medien präsentierter Gewalt.
Neil Malamuth: „The Rapist´s Profile“ ist ein Fragebogen, der das Potential
heterosexueller Männer betreffend Akten sexueller Gewalt misst. Der beste
Prädiktor für sexuell aggressives Verhalten ist Konsum von Gewalt
verherrlichenden pornografischen Inhalten gepaart mit entsprechenden, via RP
o.ä. gemessenen Einstellungen.
11.6 Private, Intime Gewalt
11.6.1 Sexuelle Aggression zwischen College-Studenten
Phänomen „Date Rape“: 25% aller amerikanischen Collegestudentinnen berichten über
versuchte oder ausgeführte Vergewaltigung seit ihrem 14. Lebensjahr, wobei über 50% dieser
Vergewaltigungen während Dates geschahen.
Faktoren:
Geschlecht: Männer wenden häufiger psychische/physische Gewalt an, um Sex
zu erzwingen.
Alkohol: Allein der Glaube an Alkoholkonsum lässt Opfer und Täter
„willenloser“ erscheinen und erhöht die Auftretensw´keit sexueller Übergriffe.
Einstellungen: siehe oben Malamuth.
148
11.6.2 Physische Aggression zwischen Partnern
Evolutionäre Sozialpsychologie: Vaterschaftsunsicherheit Eifersucht &
Misstrauen Gewalt.
Forschungen in den 70ern und 80ern: Gewalt von Ehefrauen gegenüber
Männern ist ebenso häufig wie Gewalt von Ehemännern gegenüber
Ehefrauen. Allerdings benutzen Frauen Gewalt in der Mehrheit der Fälle zur
Selbstverteidigung und im Großen und Ganzen ist eheliche Gewalt für Frauen
weitaus schädlicher („men strike harder“, Barbara Morse).
Faktoren: Persönlichkeit, Alter, Drogen, Sozioökonomischer Status,
Konflikt, Stress, Soziale Isolation, gewalttätige Familiengeschichte
11.6.3 Kindesmissbrauch
In den USA werden jährlich 1Mio Kinder
physisch und 150.000 sexuell missbraucht,
2.000 Kinder sterben an den Folgen elterlicher
Aggression. Jungen sind stärker von
physischer Gewalt betroffen. Mütter neigen
mehr zu physischem Missbrauch als Väter.
Faktoren wie unter 11.6.2.
Zyklus der familiären Gewalt: Die Übertragung häuslicher Gewalt über Generationen Stellt eine Tendenz dar, die mit Hilfe des Modelllernens plausibel erklärt werden kann.
149
11.7 Gewalt reduzieren
11.7.1 Viele Gründe, viele Heilmittel
Die meisten Aggressionstherapien berücksichtigen, dass Aggression von vielen Faktoren
beeinflusst wird und arbeiten dem entsprechend mit verschiedensten Mitteln. Bsp:
„Multisystematic Therapy“.
Situationale und Sozialkulturelle Faktoren
- Allgemein sollte die Reduzierung von Stressoren wie Frustration oder
Provokation Aggression abschwächen. Ökonomische
Verbesserungen, gesündere Lebensbedingungen, soziale Unterstützung,
Waffenverbot.
- Modelllernen ist sehr effektiv.
- Etablierung eines kooperativen Umfeldes (insbesondere zur
Vermeidung von Intergruppen-Aggression).
- Änderung der „payoff-Matrix“ (höhere Belohnungen für prosoziales
Verhalten)
Effekte der Medien
- Erziehungsprogramme, die Eltern die Auswahl von modellhaft
prosozialen Sendungen erleichtern.
- Kritische Gespräche Eltern-Kinder über die dargestellte Gewalt (verlangt
leider viel Zeit…)
- Debriefing, das z.B. nach psychologischen Experimenten mit Gewalt
und Pornographie angewandt wird, zeigt Langzeiteffekte und könnte ein
Modell für breitere Anwendung sein.
Intime Gewalt
- Sexuelle Aggression kann durch bestimmte Erziehungsprogramme
reduziert werden, die sich vor allem auf Einstellungen und Meinungen
konzentrieren und einen respektvolleren und sensibleren Umgang mit dem
Thema fördern.
- Da Alkoholmissbrauch ein großer Faktor bei sexuell motivierter Gewalt
ist, können Alkoholpräventionsprogramme die Situation verbessern.
150
- Familiäre Gewalt ist nur schwer einzudämmen, weil Armut der größte
Risikofaktor ist. Trotzdem können Erziehungsprogramme helfen.
- Erster Schritt zur Verminderung häuslicher Gewalt ist eine bessere
Kommunikation zwischen den Partnern untereinander und den Kindern.
11.7.2 Folgerungen
151
Herunterladen