Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie Claudia Bader, Wehrda/Marburg, Zur Klause 23 Die Aktualität des gestellten Themas, die Bedeutung des »Wortes Gottes« in Paul Tillichs Theologie zu untersuchen, ist in dreifacher Hinsicht wichtig für unsere gegenwärtige Theologie, deren viele umstrittene Gegensätze und Widersprüche in einer verdunkelten und darum mißverstandenen Interpretation dieses Begriffes gründen. Diese Untersuchung nötigt uns daher: 1. zur Klärung unseres eigenen Verständnisses von »Wort Gottes«, 2. sie kann uns entscheidend zur Klärung helfen bei einem Dialog im theologischen und kirchlichen Bereich (in der Auseinandersetzung mit der Orthodoxie, dem Pietismus, der dialektischen Theologie (Barth) und mit der sogenannten Bewegung »Kein anderes Evangelium«), 3. sie hilft uns bei einem Dialog mit dem Atheismus, etwa seine berechtigte Kritik anzuerkennen, aber zugleich seinen unberechtigten, aus Mißverständnissen folgenden Angriff zu erhellen. Ausführung B I Ehe wir auf die im Thema gestellte Frage im engeren Sinne antworten können, müssen wir einige Vorfragen klären, ohne die Tillichs Begriff »Wort Gottes« nicht gedeutet werden kann. Was bedeutet es, daß Tillich sich einen philosophischen Theologen nennt und damit der Begriff »Wort Gottes« Ausdruck dieser philosophischen Theologie ist? Wie bestimmt Tillich das Verhältnis von Theologie und Philosophie? Schon in seiner Schrift »Die religiöse Verwirklichung« (1930) ist Tillichs unterschiedliche Meinung zur »dialektischen Theologie« über das Verhältnis von Philosophie und Theologie klar zu erkennen in einer seiner kritischen Anmerkungen (S. 300), auf die wir hinweisen. Zu der gleichen Frage über das Verhältnis von Philosophie und Theologie lesen wir in G.W. Bd.V S. 110: »Die Frage nach dem Verhältnis von Philosophie und Theologie ist die Frage nach dem Wesen der Theologie überhaupt.« — Weiter S. 116: »Sowohl Philosophie als auch Theologie werden arm und verzerrt, wenn sie voneinander getrennt werden. Die Philosophie wird zum logischen Positivismus, der es der Philosophie verbietet, irgendein Problem, das uns unbedingt angeht, zu behandeln, sei es ein politisches, anthropologisches oder religiöses, eine sehr bequeme Flucht des philosophischen Denkens vor den erschreckenden Wirklichkeiten unserer Zeit. Oder sie wird zur reinen Erkenntnistheorie, schärft ständig das Messer des N. Zeitschr. f. systemat. Theologie 11 J5 Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 220 Claudia Bader Denkens, aber schneidet niemals, da ein Schnitt auf eine Wahrheit hin, die uns unbedingt angeht, Wagemut und Leidenschaft erfordert... Oder sie wird zur Geschichte der Philosophie, zählt eine Meinung der Vergangenheit nach der anderen auf, hält sich selbst in vornehmer Distanz, glaubenslos und zynisch, — eine Philosophie ohne existentielle Basis, ohne theologischen Grund, ohne theologische Macht. — In der gleichen Weise wird die Theologie, wenn sie ihr philosophisches Anliegen völlig leugnet, ebenso arm und mißgestaltet wie die Philosophie ohne theologischen Impuls. Eine solche Theologie spricht von Gott als einem Wesen neben anderen, der Struktur des Seins unterworfen, wie alles Seiende — Sterne, Tiere, Menschen — er ist das höchste Seiende, aber nicht das Sein selbst, nicht der Sinn des Seins.« Tillich drängt nicht auf eine Verschmelzung von Philosophie und Theologie, sondern auf ihre wechselseitige Ergänzung. Er sagt: »Philosophie und Theologie umfassen sich wechselseitig.« Und dies eben scheint mir, von der Grenze her gesehen, von der sein Denken bestimmt ist, das wirkliche Verhältnis beider zu sein. Denn (G.W. Bd.V S.110) »wenn ein Theologe die Wahrheit über Gott verständlich ausdrücken will, kommt er um die Philosophie nicht herum.« In seiner Schrift »Bibl. Rel.« schreibt er S. 15—16: »Es erfüllt mit Erbitterung, wenn man sieht, wie die Theologen, die die Begriffe der Verfasser des Alten und Neuen Testamentes erklären, sehr viele Ausdrücke gebrauchen, die durch die mühsame Arbeit der Philosophen und die Schöpferkraft des spekulativen Geistes geschaffen wurden, und dann mit billigen Vorwürfen das verwerfen, was ihre Sprache außerordentlich bereichert hat. Kein Theologe als Theologe sollte ernst genommen werden, selbst wenn er ein großer Christ und ein großer Gelehrter ist, wenn seine Arbeit beweist, daß er die Philosophie nicht ernst nimmt.« Was aber versteht Tillich unter »Philosophie«, wenn er seine Theologie eine fkilosophisdoe Theologie nennt? Wiederum in der gleichen Schrift S. 14 lesen wir: »Mir scheint, daß die älteste Definition der Philosophie zugleich die modernste ist, eine Definition, die immer gültig war und glültig bleiben wird: Philosophie ist jenes erkennende Bemühen, in dem es um die Frage nach dem Sein geht. — Die Frage nach dem Sein ist nicht die Frage nach irgend einem einzelnen Seienden, seiner Existenz und seinem Wesen, sondern es ist die Frage danach, was es bedeutet zu sein. Es ist die einfachste, tiefste und absolut unerschöpfliche Frage, die Frage, was es bedeutet, wenn man sagt, daß etwas ist. Dieses Wort >ist< verbirgt das Rätsel aller Rätsel, das Geheimnis, daß überhaupt etwas ist. Jede Philosophie bewegt sich um dieses Geheimnis, ganz gleich, ob sie die Frage offen stellt oder nicht.« Tillich gebraucht das Wort Ontologie für die Philosophie, um die es ihm geht, abgeleitet von dem griechischen to on = das Sein und von dem griechischen Begriff logos = Wort. Für ihn ist also Philosophie das Wort Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Pauil Tülidis Theologie 221 vom Sein, das Wort, das das Sein ergreift, seine Natur offenbar macht, es aus seiner Verborgenheit ins Licht der Erkenntnis führt. Darum ist die Ontotogie das Zentrum aller Philosophie (G. W. Bd. V S. 141). Im Eranos-Jahrbuch (1954 S. 254 ff.) umschreibt er in einem Aufsatz über »Das neue Sein« das Sein folgendermaßen: »Das Sein ist nicht die höchste Art des Seienden, sondern ist das, was Seiendes überhaupt erst möglich macht. Darum kann das Sein nicht definiert, sondern nur umschrieben werden. Und ich umschreibe es als Macht des Seins, als das Urpositive, das dem Negativen, dem möglichen Nichtsein, entgegensteht... Dieser Begriff wird gedacht und erlebt in der Angst möglichen Nichtseins, und das ist derjenige Seinsbegriff, der immer in der klassischen Theologie für das Sein selbst, für das Göttliche, verwendet wurde ... Dieses Sein ist das, was alle abstrakten Begriffe übersteigt.« — Tillich lehnt den Begriff »Metaphysik« ab, »weil dieser Begriff so viel Verwirrung schafft, als ob es dabei um eine Beschäftigung mit überempirischen Wirklichkeiten, mit einer Welt hinter der Welt, ginge.« (Sy. Bd.I S. 28) Er klärt zugleich das Mißverständnis auf, in das das Wort Spekulation geraten ist, führt es auf seine Wurzel zurück, in der speculari bedeutet »auf etwas hinsehen« (Bibl. Rel. S. 15 u. a. O.). »Philosophie als Ontotogie ist also das Auffinden der konsumtiven Prinzipien des Seins selbst« (Bibl. Rel. S. 16), »dessen, was immer gegenwärtig ist, wenn ein Ding Teil hat an der Macht zu sein und an der Macht, dem Nichtsein zu widerstehen ...« Philosophie als Ontologie ist somit »eine Angelegenheit des Menschen als Menschen, denn der Mensch ist das Seiende, das die Frage nach dem Sein stellt«, nicht nur allgemein nach dem in allem Seienden ihm begegnenden Sein, sondern er fragt unerbittlich weiter nach dem Sinn dieses Seins. Wenn also der Mensd) und damit auch der Theologe das Seiende ist, das die Frage nach dem Sein stellt, »so hat er das Sein, nach dem er fragt, und hat es (zugleich) nicht... Er ist von ihm getrennt, obwohl er zu ihm gehört. Unsere Endlichkeit zeigt, daß unsere Macht zu sein, begrenzt ist, denn wir sind eine Mischung aus Sein und Nichtsein und dadurch stets bedroht vom Nichtsein. Wenn der Mensch nur hätte, dann brauchte er nicht zu fragen. Wenn der Mensch nicht hätte, dann könnte er überhaupt nicht fragen.« — Dieser letzte Satz trifft vor allem Barth und die Neuorthodoxie, die meinen, »der Mensch könne sich in Frage gestellt wissen, ohne selbst als Seiendes am Sein teilzuhaben.« (Bibl. Rel. S. 19). In den bisher erörterten Punkten geht es dem Theologen und dem Philosophen um das gleiche. Beide haben es mit dem Sein zu tun. »Aber sie fragen von verschiedenen Ausgangspunkten her. Die Philosophie beschäftigt sich mit den Strukturen der Gestalt des Seins an sich, die Theologie mit dem Sinn des Seins für uns.« (existentiell). (Sy. Bd. I S. 30). Was bedeutet es nun, wenn die Theologie sagt, daß Gott istl Dieses Wörtchen »ist« schließt das ontologische Geheimnis in sich. Und indem 15* Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 222 ClaudiaBader der Theologe und Christ sagt, daß Gott ist (Bibl. Rel. S. 71), wird er zum Ontologen. Da, wie wir sahen, Philosophie und Theologie beide die Frage nach dem Sein stellen, stehen sie in einer Korrelation zueinander. Den Begriff der Korrelation, dem wir bei dem Verhältnis von Philosophie und Theologie eben begegnet sind, wendet Tillich nun auch an auf die Frage der Beziehung zwischen Gott und Mensch, in der traditionellen Sprache der Theologie: auf das Verhältnis von Offenbarung und Glaube. Dabei ist folgendes zu beachten: Der Begriff Korrelation tastet die souveräne Mächtigkeit Gottes, seine Offenbarung, nicht an, sondern er macht deutlich, daß die in dem Off enbarungsereignis liegenden Antworten nur sinnvoll sind als Antwort auf die Frage, die wir selbst sind und stellen. In seiner Sy. Bd. I S. 75 sagt Tillidi gegen Barth dazu: »Obgleich Gott in seinem unergründlichen Wesen vom Menschen in keiner Weise abhängt, ist Gott in seiner Selbstoffenbarung gegenüber dem Menschen abhängig von der Weise, wie der Mensch diese Offenbarung empfängt. — Es gibt eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen »Gott für uns« und »wir für Gott«. Gottes Zorn und Gottes Gnade sind keine Gegensätze im Herzen Gottes (Luther), in der Tiefe seines Seins; sie sind Gegensätze in der Beziehung Gott—Mensch. Die Gott-Mensch-Beziehung ist eine Korrelation.« Diese Wechselwirkung zwischen Gott und Mensch besteht sowohl a) nach der Seite des religiösen Erlebens, als auch nach der Seite b) des Erkennens. a) Nach der Seite des religiösen Erlebens richtet Tillich — im Gegensatz zu Barth — keinen absoluten Gegensatz auf zwischen Offenbarung und Religion, sondern er gebraucht das Wort Religion als »Namen für das Empfangen der Offenbarung«. (Bibl. Rel. S. 12—13). Der Akt des Empfangens und Aufnehmens der Offenbarung ist für Tillich ein Teil des Offenbarungsgeschebens selbst. Das objektive Element der Offenbarung Gottes besteht darin, daß Gott sich offenbart, das subjektive, daß der Mensch diese Offenbarung empfängt. (Sy. Bd. I S. 134—135). Schon hier können wir vorwegnehmend sagen: »Wort Gottes« geschieht nur in dieser Korrelation. »Wenn nichts objektiv geschieht, so wird nichts offenbart; wenn niemand das objektiv Geschehene empfängt, so geht die Offenbarung ins Leere und hört auf, Offenbarung zu sein. Gott offenbart sich immer >im Fleisch< (Bibl. Rel. S. 13—14), d.h. in einer physischen und geschichtlichen, d. h. nicht >zeitlosen<, Wirklichkeit, in einer bestimmten geistigen und sozialen Lage. Daher gibt es keine Offenbarung >an sich<, die zeitlos war und gültig ist, sondern immer nur in einer bestimmten Situation, in der sie geschieht und der sie entspricht.« (Sy. Bd. I S. 134— 135). Das drückt Tillichs Begriff kairos im Unterschied zum chronos, der meßbaren Zeit, aus. (Sy. Bd. III S. 419). »kairos« ist die »erfüllte Zeit«, der Augenblick, wenn das Ewige in das Zeitliche einbricht, es erschüttert, umwendet und es bereitet, das Ewige zu empfangen.« Für Tillich ist Religion das Gefäß der Offenbarung. Er sagt: »Jede Stelle des Alten und Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 223 Neuen Testaments ist zugleich Offenbarung und Religion.« — (Bibl. Rel. S. 13). b) Die Beziehung zwischen Gott und dem Menschen ist aber zugleich eine Korrelation nach der Seite des Erkennens. Die Erkenntnisbeziehung im Offenbarungsereignis offenbart in ihrer Bezogenheit sowohl etwas über den Offenbarer als über den Offenbarungsempfänger. Darum kann die Theologie die in der göttlichen Selbstbekundung liegenden Antworten formulieren unter Anleitung der Fragen, die in der menschlichen Existenz liegen. (Sy. Bd. I S. 79). Die Methode der Korrelation Tillichs impliziert schon eine immanente Kritik an zwei unangemessenen Methoden, das christliche Offenbarungsereignis zu interpretieren. Diese Methode richtet sich gegen: 1. die supranaturalistische, bei der die »christliche Botschaft als eine Summe geoffenbarter Wahrheiten wie Fremdkörper in die menschliche Situation fallen«, ohne auf existentielle Fragen des Menschen zu antworten (Barth und die Neuorthodoxie), (Sy. Bd. I S. 79); 2. die naturalistische oder humanistische Methode. Diese »leitet die christliche Botschaft aus dem natürlichen Zustand des Menschen ab, entwickelt die Antworten zwar aus der Existenz des Menschen, vergißt aber dabei, daß der Mensch selbst die Frage ist. »Ein großer Teil der liberalen Theologie der letzten zwei Jahrhunderte war humanistisch in diesem Sinne und vergaß, daß die Offenbarung dem Menschen zugesprochen wird und kein Monolog des Menschen mit sich selbst ist.« (Sy. Bd.I S. 79—80). Gegen diese Methoden wendet sich Tillichs Korrelationsmethode. Sie besagt: Der Mensch stellt in der Existenz die Frage, d. h. er fragt in der ihm als vernunftbegabtem Wesen gegebenen Denkstruktur, also philosophisch. Der Philosoph aber kann ihm die Antwort nicht geben, sondern die Offenbarung gibt ihm die Antwort. »Unsere Endlichkeit in Wechselbeziehung zur Endlichkeit unserer Welt ist es, die zum Suchen nach letzter Wirklichkeit treibt.« (Bibl. Rel. S. 19 und 21). Diese unsere letztgültige Wirklichkeit ist für uns Gott, denn er ist das Sein selbst oder das Unbedingte, d. h. das Sein, das uns unbedingt angeht. Ausführung B II Nachdem wir in Teil I in Kürze und darum unvollkommen die Bedeutung der philosophischen Theologie Tillichs als Ontotogie entwickelt haben und von dem für ihn bedeutsamen Begriff der Korrelation sprachen, müssen wir nun in einem II. Teil die Frage zu beantworten versuchen: Wie ist eine theologische Aussage über Gott als das Sein möglich? Erst von ihrer Beantwortung aus kann in Teil III die explizite Frage nach der Bedeutung des »Wortes Gottes« gestellt werden. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 224 Claudia Bader 1. Fragen wir, wie eine theologische Aussage über Gott als das Sein möglich ist, so muß die in Teil B I entwickelte Korrelation in ihr zur Geltung gebracht werden. Das gilt auch für die einzige direkte Aussage über Gott, die nach Tillich möglich ist: Gott ist das Sein. (Sy. Bd. I S. 273 und S. 277 u. Bd. II S. 15—16). Diese Aussage setzt voraus, daß der Mensch — wie begrenzt und eingeschränkt auch immer — am Sein teilhat. Alle anderen Aussagen über Gott sind indirekt, uneigentlich oder symbolisch. Auch sie stehen in der Form jener geschilderten Korrelation. Die unbedingte Transzendenz oder das Sein selbst ist unanschaubar. Angeschaut werden kann es nur im Symbol, durch das wir Zugang zum Unbedingt-Transzendenten gewinnen. Nichts, was für ein Bedingtes gilt, kann für das Transzendent-Unbedingte im eigentlichen Sinne gelten. Wird Gott als das Sein selbst, d. h. eben nicht als ein — wenn auch höchstes Seiendes — aufgefaßt, dann kann von ihm nur »uneigentlich«, d. h. symbolisch, gesprochen werden. 2. Was aber versteht Tillich unter einem religiösen Symbol? — Das religiöse Symbol vereinigt vier Merkmale des Symbols überhaupt mit den ihm als religiösem Symbol besonders zukommenden Merkmalen. (G. W. Bd. V S. 196). Das 1. grundlegende Merkmal des Symbols ist seine a) Uneigentlicbkeit. Sie besagt, daß der innere Akt, der sich auf das Symbol richtet, nicht das Symbol meint, sondern das in ihm und durch es Symbolisierte. Dabei kann das Symbolisierte selbst wieder Symbol sein für ein Symbolisiertes höheren Ranges. (Das Kreuz z. B. — als Symbol — weist auf den Gekreuzigten, dieser auf das durch ihn transparent werdende Handeln Gottes, das selbst wieder symbolischer Ausdruck ist für eine Erfahrung des Unbedingt-Transzendenten.) Das 2. Merkmal des Symbols ist seine b) Anschaulichkeit. Sie besagt, daß ein dem Wesen nach Unänsehäuliches, Transzendentes zur Anschauung und damit zur Gegenständlichkeit gebracht wird. Die Anschaulichkeit braucht keine sinnliche zu sein, sondern nur eine vorgestellte, wie z. B. beim Kreuz ... als Inhalt des ganzen Kreuzesgeschehens. Das 3. Merkmal des Symbols ist seine c) Selbstmächtigkeit. Sie besagt, daß das Symbol eine ihm innewohnende Macht hat, die jede Vertauschbarkeit ausschließt,... und die es damit von einem bloßen, in sich selbst ohnmächtigen Zeichen unterscheidet. Ein Zeichen (z. B. die Signallampen bei der Bahn) ist stets austauschbar, ein Symbol nicht. Das Symbol hat Notwendigkeit, das Zeichen nicht. Ein Symbol wagt es, als ein Endliches hinzuweisen auf ein Unendliches, für das es transparent Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillidis Theologie 225 wird. Darum sollten wir nie »nur ein Symbol« sagen, sondern »sogar ein Symbol«. Denn ein Symbol hat Teil an der Macht und dem Sinn dessen, worauf es hinweist. (Sy. Bd. I S. 277 und Bd. II S. 15). Das 4. Merkmal des Symbols ist seine d) Anerkannt heity d. h. es ist sozial eingebettet und getragen. Ein Einzelner kann sich Zeichen machen für seine privaten Bedürfnisse, Symbole kann er nicht machen. Der symbolsdiafFende Akt ist ein Sozialakt; auch wenn er in einem Einzelnen zuerst durchbricht, so muß sich doch die Gemeinschaft im Symbol wiedererkennen. Auch »Wort Gottes« wird als Quelle und Mitte neuer Gemeinschaft zu verstehen sein, nicht als Besitz der Einzelseele, um das vorauszusagen. Die religiösen Symbole sind dadurch besonders ausgezeichnet, daß sie das veranschaulichen, was die Sphäre der Anschauung unbedingt übersteigt. Sie sind transparent für das im religiösen Akt letztgemeinte Unbedingt-Transzendente. Damit ist deutlich, daß die religiösen Symbole weder gegenständlich, noch geistig-sinnhaft fundiert sind, sie sind unfundiert, religiös gesprochen: sie sind nur dem Glauben im Sinne existentieller Ergriffenheit zugänglich. Sie haben kein anderes Recht als das der Vertretung des Unanschaubar-Transzendenten, das in ihnen zur Anschauung kommt, das aber über jede Setzung eines Wesens, auch eines höchsten Wesens, hinausgeht. Bei der Frage nach den Kriterien für die Wahrheit der religiösen Symbole nennt Tillich zwei Kriterien: (G. W. Bd. V S. 242) a) Die Authentizität und b) die Angemessenheit. a) Ein Symbol ist authentisch, wenn es eine lebendige religiöse Erfahrung ausdrückt, und ist m'c&f-authentisch, wenn es diese Erfahrungsgrundlage verloren hat und dann sein Weiterbestehen nur noch der Tradition und seiner ästhetischen Wirkung verdankt. (Dies ist eine Erfahrung, die wir z. B. beim Anhören Bachscher Musik machen können, die für viele nur noch eine ästhetische Bedeutung hat.) b) Wichtiger noch als das Kriterium der Authentizität eines Symbols ist für Tillich das Kriterium seiner Angemessenheit. Dabei wird gefragt, ob das Symbol das im Symbol Gemeinte angemessen zum Ausdruck bringt. Die Frage der Angemessenheit muß auf zweierlei Weise beantwortet werden, negativ und positiv. Negativ erweist sich seine Angemessenheit dadurch, daß es sich selbst in seiner Konkretheit negiert und dadurch für das, worauf es hinweist, transparent wird. Bei dieser Frage weist Tillich hin auf die beinahe unvermeidbare Gefahr aller religiösen Symbole, die darin liegt, daß der symbolische Stoff verwechselt wird mit dem, worauf diese Symbole hinweisen. Geschieht das, dann bedeutet das Götzendienst. (G. W. Bd. V S. 243 und Sy. Bd. I S. 160). Die Gefahr dieser Vergötzung des Symbols droht allen Religionen. Selbst das Symbol des Kreuzes, Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 226 ClaudiaBader das die radikalste Kritik allen Götzendienstes darstellt, ist immer wieder und wird immer wieder zum Gegenstand götzendienerischer Verehrung mißbraucht, (cf. Matthäus 19, 17 und Lukas 18, 19, wo Jesus die »Vergötzung« seiner selbst zurückweist mit den Worten: »Was heißest Du mich gut? Niemand ist gut, denn der einige Gott.«) Nach Tillich ist ein religiöses Symbol »um so wahrer, je mehr es der Verabsolutierung und der wörtlichen Interpretation widersteht und je entschiedener es dadurch, daß es sich selbst negiert, über sich hinausweist auf das Heilige selbst, auf die tragende Mächtigkeit des Seins und des Sinnes.« (G. W. Bd. V S. 243 und Sy. Bd. I S. 160) Bei dieser »Vergötzung« des Symbols tritt an die Stelle der Betroffenheit durch das lebendige Geschehen, in dem uns das Ewige ergreift, ein Endliches, das uns versklavt. Dieser Vergötzung erliegt auch der Begriff des »Wortes Gottes«, wenn wir ihn unsymbolisch verstehen, worüber wir im Teil III zu handeln haben. Zu dieser Frage der »Vergötzung« sagt Tillich in einer seiner Predigten (In der Tiefe, 2. Aufl. 1952, S. 122): »Der antwortende Theologe muß die falschen Götter in der Einzelseele und in der Gesellschaft aufdecken. Er muß ihre geheimsten Verstecke ergründen. Er muß sie angreifen durch die Macht des göttlichen Logos, der ihn zum Theologen macht. Theologische Polemik ist keine theoretische Diskussion, sondern ein geistiges Gericht über Götter, die nicht Gott sind, gegen die dämonischen Gestalten, die Verzerrungen Gottes, im Denken und im Handeln. Auf dieser Ebene ist kein Kompromiß, keine Angleichung und kein theologisches Ausweichen erlaubt. Denn der Felsen, auf dem die Theologie steht, ist das erste Gebot. Da ist keine Synthese möglich zwischen Gott und den Götzen. Trotz der Gefahr, die ein solches Urteilen in sich birgt, muß der Theologe zum Instrument des göttlichen Gerichtes gegenüber einer verfallenen Welt werden.« Das positive Kriterium für die Wahrheit eines religiösen Symbols ist bestimmt durch den symbolischen Stoff. Denn, sagt Tillich, »es ist ein Unterschied, ob ein religiöses Symbol seinen Stoff aus der unbelebten Natur, der Pflanzen- und Tierwelt, oder aus dem Bereich des Menschlichen genommen hat. Nur im letzten Fall enthält das Symbol alle Dimensionen der Wirklichkeit, denn nur im Menschen sind diese vereinigt. Deshalb haben alle großen Religionen ihre Symbole auf der Darstellung eines Menschenlebens aufgebaut. In ihm kann die tragende Macht des Seins voll in Erscheinung treten und zugleich über die Grenzen des Menschlidien hinausweisen. Der religiöse Wert eines Symbols hängt davon ab, in welchem Maße es das letzte menschliche Anliegen in einem konkreten Menschenleben zum Ausdruck bringt.« (G. W. Bd. V S. 243—244) Von dieser letzten Aussage her verstehen wir — schon vorwegnehmend —, daß das letztgültige, weil schlechthin umfassendste Symbol Jesus als der Christus das »Wort Gottes« ist. Nachdem wir im Teil II den Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 227 Begriff des religiösen Symbols bei Tillich erläutert haben, wenden wir uns nun im III. Teil unserem eigentlichen Thema zu mit der Frage: Ausführung B III Was bedeutet der terminus »Wort Gottes« in Tillichs Theologie? Tillich sagt, vor allem in seiner Schrift Bibl. Rel. S. 69: »Der Begriff Wort Gottes ist wie alles, was über das Unbedingt-Transzendente ausgesagt werden kann, ein Symbol, und es gilt für dieses »Wort Gottes« alles, was wir über das Symbol ausgesagt haben. Es ist ein höchst mißverständlicher Begriff, der viel Unheil angerichtet hat, da die Kirchen es oft — wörtlich mißverstanden — zu einer Absurdität degradierten. Wenn in der biblischen Religion des Alten und Neuen Testamentes gesagt wird, daß »Gott zum Menschen spricht«, so ist klarzustellen, daß dieses Sprechen nicht im Sinne eines menschlichen Sprechens gemeint ist. »Das menschliche Wort ist zunächst ein Ton oder ein geschriebenes Zeichen. Gottes Wort aber ist ein Geschehen, das durch Seinen Geist im menschlichen Geist bewirkt wird.« — »Wort Gottes erweist sich darin, daß es eine Lebensbewegung in uns auslöst.« (Prof. C. H, Ratschow) »Wort Gottes« ist danach nicht ein göttlicher Redeakt in der Vergangenheit oder Gegenwart, sondern — nach Tillich — »kann für uns jede Wirklichkeit, durch die hindurch das Unbedingte in unsere Gegenwart hereinbricht und uns anspricht, zum >Worte Gottes< werden, sei es eine Person, ein Ding, ein gesprochenes Wort, ein geschriebener Text.« (Sy. Bd. I S. 142) „Das »Wort« Gottes ist Gottes schöpferische Selbstmanifestation, d. h. Offenbarung, und nicht ein Gespräch zwischen zwei Wesen ... Damit ist die Möglichkeit ausgeschlossen, eine »Theologie des Wortes« zu verwechseln mit einer »Theologie des Gesprächs«. (G. W. Bd. V S. 180) Das Symbol »Wort Gottes« weist darauf hin, daß im Sein selbst, d. h. in Gott, ein Element der Selbstmitteilung Gottes enthalten ist. Wenn die Theologie, vor allem Luther, von dem deus äbsconditus im Unterschied zu dem deus revelatus spricht, so ist — ontologisch gesagt — das dasselbe wie: Gott ist Abgrund und Grund des Seins. Tillich sagt: »Es ist der abgründige Charakter des göttlichen Lebens, der die Offenbarung geheimnisvoll macht, und es ist der logische Charakter des göttlichen Lebens, der die Offenbarung des Mysteriums möglich macht." (Sy. Bd. I S. 186) Dieser »logische« Charakter bezeichnet das Logoselement in Gott selbst, das Grund und Möglichkeit der Offenbarung ist. Das Joh. Evgl. und die frühe Kirche verwendeten den griechischen Begriff logos, um der Gefahr des Literalismus, der wörtlichen Interpretation der biblischen Botschaft, zu wehren. (Sy. Bd. II S. 151 und G. W. Bd. V S. 67 und 68) Mit diesem Logosbegriff bekämpften sie den Abfall in die »Vergötzung« der einzelnen Sätze der Bibel. Nach Tillich ist »Logos« der Charakter der göttlichen Selbstmitteilung. Und Logos ist Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 228 Claudia Bader Vernunft, nicht Verstand. Der Verstand analysiert, die Vernunft vernimmt. In dem Augenblick freilich, wo diese Beziehung umgekehrt wird-, wo es der Verstand ist, der durch Argumente an das Göttliche heran will, ist der Sinn des Logos-Gedankens verzerrt.« (In diesem Zusammenhang muß Luthers Ausdruck »Hure Vernunft« geklärt werden.) Theologie ist demnach der Logos der Off enbarung, ist das vernünftige Wort über das, was in der Offenbarung erscheint. Auf die Frage, wie muß das Unendlich-Transzendente beschaffen sein, um für das Endlich-Seiende zugänglich zu sein, antwortet Tillich: »Da das Endliche das Unendliche nicht ergreifen kann, muß das Sein aus seiner Transzendenz, aus seiner Verborgenheit, heraustreten, erscheinen. Das geschieht im Logos. Gott offenbart sich im Wort. Damit ist der Logos das Prinzip der göttlichen Selbstmanifestation. Im Wort, im Logos, hört das Sein auf, verborgen zu sein. In der rationalen Form wird es sinnvoll und verständlich. Das Sein und das Wort, in dem es konzipiert wird, können nicht voneinander getrennt werden.« (G. W. Bd. V S. 117) Offenbarung trägt Begegnungscharakter. Enthielte das Sein oder die Transzendenz nicht das Prinzip seiner Selbstmanifestation, so wäre das Sein unzugänglich und unsere rationalen Bemühungen blieben vergeblich. Dadurch aber, daß das Sein das Prinzip seiner Selbstmitteilung enthält, und das endliche Leben ein Prinzip seiner Selbsttranszendierung, ist Offenbarung möglich. Gott offenbart sich in ekstatischen Erfahrungen und diejenigen, denen solche Erfahrungen zuteil werden, drücken sie in Worten aus. Die göttliche Selbstmanifestation und das Zeugnis der von ihr Ergriffenen in ihrer korrelativen Einheit ist »Wort Gottes«. Der Ausdruck »Wort Gottes« will also symbolisch aussagen, daß der Grund unseres Seins nicht stumm ist, sondern sich uns Menschen mitteilt, d. h. erkennbar ist. Der hochsymbolische Ausdruck »Wort Gottes« kann im parmenideischen Sinn als das »innere Wort«, der »innere Logos« verstanden werden, mit anderen Worten heißt das, daß das Sein notwendigerweise seine eigene Selbstmanifestation enthält. Wo es Sein gibt, gibt es auch Seinsmitteilung, Entbergung des Seinsgeheimnisses. Dies ist die Aussage des trinitarisdien Gedankens, daß der Semsgrund keine tote Identität ist, sondern ein dynamischer Prozeß, Aktualisierung, verborgen und offenbar zugleich. Symbolisch gesprochen heißt das: Gott trennt sich von sich selbst in seinem Sohn (logos) und vereinigt sich mit sich selbst durch Geist. Schon lange vor der christlichen Zeitrechnung — in gewisser Hinsicht schon bei Heraklit — erhielt Logos die Wortbedeutung von Letzthinnigkeit und von Sinn des Seins als Sein. Nach Parmenides können Sein und Logos des Seins nicht getrennt werden. Der Logos enthüllt den göttlichen Grund, seine Unendlichkeit und Dunkelheit, er macht seine Fülle unterscheidbar, begrenzt, endlich. Der Logos ist der Spiegel der göttlichen Tiefe genannt worden. Im Logos spricht Gott sein »Wort«, sowohl in sich selbst, wie über sich selbst hinaus. Ohne das zweite Prinzip, den Logos, wäre das erste Prinzip Chaos und ein brennendes Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 229 Feuer, nicht aber der schöpferische Grund. Ohne das zweite Prinzip ist Gott dämonisch, absolut verborgen, das »nackte Absolute« wie Luther sagt. (Sy. Bd. I S. 289) Dies Wort, das Gott mit sich selbst und über sich hinaus spricht, wird uns in einem Luther-Zitat großartig anschaulich gemacht: In der Auslegung des ersten und zweiten Kap. im Joh. Evgl. 1537 W. 46, 544 und E = 45, 300 sagt Luther: »Denn wie ich bei mir selber ein Wort rede oder Gespräch halte, das niemand hört, niemand davon weiß, denn ich allein, und beschließe in meinem Herzen, was ich tun will, und dasselbe heimliche inwendige Wort des Herzens ist doch ein so stark gewaltig Gespräch, da ich umhergehe und mit mir selber fechte, das, wenn idi's herausredete, wie ich's gedenke, etliche tausend Menschen genug daran zu hören hätten, ja, solch Wort alle Ohren und Häuser erfüllet. Man kann's auch nicht alles aussprechen, was einer im Sinne gedenket, und was er im Herzen vor hat, sonderlich, wenn das Herz mit Liebe oder Zorn, Freude oder Leid, entbrannt ist... Diesem Bilde nach gehet Gott auch in seiner Majestät, in seiner Natur, schwanger mit einem Wort oder Gespräch, das Gott in seinem göttlichen Wesen mit sich selbst hat und seines Herzens Gedanken ist. Dasselbe ist so erfüllet und groß und vollkommen als Gott selber. Niemand sieht, hört noch begreift dasselbe Gespräch, denn er allein. Er hat ein unsichtbar und unbegreiflich Gespräch. Das Wort ist vor allen Engeln und vor allen Kreaturen gewesen, denn hernach hat er durch dies Gespräch und Wort allen Kreaturen das Wesen gegeben. In diesem Gespräch, Wort oder Gedanken ist Gott gar brünstig, daß er sonst nicht anderes dafür gedenket.« — In solchem »Reden Gottes« symbolisiert sich zugleich die Gewalt und die Klarheit der Gottheit. (Luther sagt: »Ihre Gedanken sind so urgewaltig wie das Wort, das im Herzen glüht, und was im Herzen glüht, ist so klar, wie ein ins Wort gefaßter Gedanke.«) Im Logos als ewiger Klarheit, in der Gott, der Abgrund und Grund, sich selbst anschaut und gegenwärtig wird, ist die Dynamik in Gott selbst ausgesprochen. In dieser Selbstvergegenwärtigung, in diesem Gespräch Gottes mit sich selbst, wie es Luther ausdrückt, ist Gott der schaffende Gott und spricht zugleich das Wort der Schöpfung im Sohn. Dieser ewige Logos ist zugleich das Prinzip des kreatürlichen Seins. Denn nun »bricht dieses Reden Gottes heraus (Tillich: Logos als Selbstmitteilung Gottes), und Gott sdiafft die Kreaturen, die sind wie Gedanken und Worte, wie Silben und Buchstaben, die Gott ausspricht.« So heißt es in einer Genesis-Auslegung Luthers 1535 W. 42, 17: »Gott nämlich ruft das, was nicht ist, auf daß es sei, und er spricht nicht grammatische Vokabeln, sondern wahrhafte und bestehende Dinge... So sind Sonne, Mond, Himmel, Erde, Peter, Paul, ich, du ... die Vokabeln Gottes oder eine Silbe oder ein Buchstabe, Verse seiner Dichtung im Vergleich zu seiner ganzen Schöpfung ... Wir reden auch, aber nur grammatisch, d. h. den schon geschaffenen Dingen geben wir Namen. Aber die göttliche Grammatik ist anders. Nämlich, wenn sie sagt, Sonne leuchte, so ist sofort Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 230 ClaudiaBader die Sonne da und leuchtet. So sind die Worte Gottes die Dinge, nicht leere Vokabeln ...« Dieses kreatürliche, vom Logos getragene Sein, ist, wie Gott Person ist, in seiner Spitze, im Menschen freies Sein. Er kann sich in dieser Freiheit losreißen ... Wird er in diesem Sidilosreißen seiner Entfremdung und Sonderung (Sünde) bewußt und ruft nach seiner essentiellen Einheit, dann begegnet er dem Logos in der Totalität des Seins, der ihn und die Schöpfung heilt, heimruft und heimholt im Pneuma (Hl. Geist), der der Geist dieses Logos ist, in dem der Einzelne und die ganze Menschheit mit Gott versöhnt wird. Wir können nach dieser Konzeption des Logos nicht von mehreren Worten Gottes reden, sondern es ist nur dies eine Wort, das die Welt trägt und zu Gott heimholt. Tillich bejaht das theologische Problem der Trinität als der adäquaten Interpretation des »exklusiven Monotheismus« (Sy. Bd. I S. 263 u. 265), 1. weil diese trinitarische Interpretation der Dreizahl (die nicht eine Bestätigung des logischen Unsinns ist, daß 3 = 1 und 1 = 3 ist), in dialektischen Begriffen die innere Bewegung des göttlichen Lebens als ein ewiges Trennen von sich selbst und ein Zurück-Kehren zu sich selbst erläutert wird, 2. weil dieser exklusive Monotheismus, der — gegen allen dämonischen Anspruch protestierend — das Endliche ausschließt, aber dennoch einen Ausdruck braucht für das konkrete Element dessen, was den Menschen letztlich angeht. Der trinitarische Monotheismus ist daher eine qualitative, keine quantitative Charakteristik Gottes. Er ist ein Versuch, vom lebendigen Gott zu reden, von dem Gott, in dem das Letztgültig-Unbedingte und das Konkrete geeint sind. (Sy. Bd. I S. 265 ff.) Solche trinitarische Konzeption ist nur möglich aus der Offenbarung der Versöhnung in Christo, der »Mitte der Geschichte«. Von dieser Mitte aus erleuchtet sich uns der Umkreis der Schöpfung und der Weg in die Zukunft. Tillich sagt dazu (Sy. Bd. III S. 326): »In der dreifachen Manifestation des göttlichen Seinsgrundes ist es die göttliche Manifestation in der Erscheinung Jesu als des Christus, die für die Entwicklung der Lehre von der Trinität innerhalb der christlichen Theologie ausschlaggebend war. Mit der Aussage, daß der historische Jesus der Christus ist, wurde das trinitarische Problem ein Bestandteil des christologischen Problems, ja sein erstes und grundlegendes Element.« In diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf Luthers materiales Schriftprinzip »Alles, was Christum treibet«. Ohne die ewige Dynamik in Gott, d. h. im Inneren des Seins selbst, und ihrer trinitarisdien Interpretation wäre Leben und Geschichte nicht möglich. Tillich sagt in Sy. Bd. I S. 187: »Die Lehre von der Offenbarung wird in der Tradition gewöhnlich als Lehre vom »Wort Gottes« entwickelt. Das ist möglich, wenn »Wort Gottes« als das Logoselement im Grund des Seins verstanden wird. Das ist die Interpretation, welche die klassische Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 231 Logoslehre ihm gegeben hat. Aber »Wort Gottes« wird oft halb wörtlich, halb symbolisch als ein gesprochenes Wort verstanden und eine »Theologie des Wortes« wird als eine »Theologie des gesprochenen Wortes« dargeboten. Diese Intellektualisierung der Offenbarung widerspricht dem Sinn der Logos-Christologie. Die Logos-Christologie war nicht über-intellektualistisch, in Wirklichkeit war sie sogar eine Waffe gegen diese Gefahr. Wenn Jesus als der Christus der Logos genannt wird, meint Logos eine Offenbzrungs-Wirklichkeit, nicht Oifenbarungs-Worte. Wenn die Logoslehre ernst genommen wird, verhindert sie die Entwicklung einer »Theologie des gesprochenen oder geschriebenen Wortes, die die Schwäche des Protestantismus ist.« (Sy. Bd. I S. 187) Dieses Mißverständnis charakterisiert sowohl die orthodoxe wie die pietistische Interpretation von »Wort Gottes«. Von dieser mißverstandenen Logos-Interpretation her ist der atbeistisdne Protest berechtigt, da durch dies Mißverständnis ein Endliches zum Unbedingten erhoben wird, d. h. nicht symbolisch interpretiert wird, (cf. Tillichs Predigt »In der Tiefe« 1952 S. 49—52) Tillich unterscheidet in Sy. Bd. I S. 187 ff. verschiedene Bedeutungen von »Wort Gottes«, wobei »Won Gottes« stets in Anführungszeichen zu setzen ist: 1. Wort ist vor allem anderen, wie schon ausgeführt, das Prinzip der Selbstoffenbarung im Grunde des Seins selbst. Der Grund ist nicht nur ein Abgrund, in dem jede Form verschwindet, er ist auch die Quelle, aus der jede Form entspringt. Der Grund des Seins hat den Charakter der Selbstoffenbarung, er hat Logoscharakter. Der Logos kommt nicht zum göttlichen Leben hinzu, er ist das göttliche Leben selbst. Trotz seines abgründigen Charakters ist der Seinsgrund logisch (logicos), er schließt seinen eigenen Logos in sich. Theologisch ist das die Möglichkeit, die christliche Offenbarung trinitarisch zu interpretieren, wie oben kurz ausgeführt. 2. Ein zweites Symbol für die göttliche Selbstmanifestation ist der biblische Ausdruck vom Sd)öpfung$-Wörty Wort als Medium der Schöpfung. Im Prolog des Joh. Evgl. heißt es: »Im Anfang (d. h. im Prinzip) war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dasselbige war im Anfang zu Gott hin. Alles ist durch dasselbe gemacht und ohne dasselbe ist nichts, was gemacht ist.« (choris = außerhalb). Durch seinen logos, d. h. sein »Wort«, erschuf Gott die Welt. Dieses Symbol bedeutet, daß die Welt keine natürliche Emanation (Ausstrahlung) des Göttlichen ist — im Gegensatz zum neuplatonischen Emanationsprozeß —, sondern in einem geistigen Zusammenhang mit ihrem schöpferischen Grund steht. Damit ist die menschliche Freiheit, ihre Entscheidungsmöglichkeit für den Fall und die Erlösung, impliziert oder gesetzt. Im Symbol des Wortes als Medium der Schöpfung ist die Grundlage des historischen Denkens des christlichen Abendlandes zu finden. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 232 Claudia Bader 3. Der dritte Gebrauch von »Wort Gottes« ist Folge dieser historischen Interpretation des Universums und ist die Manifestation des göttlichen Lebens in der Gesdnidnte. Das »Wort« als Logos, durch das die Welt erschaffen ist, erscheint in der Geschichte als Inspiration der Propheten, Apostel, der Bibel und aller Gläubigen, die von der göttlichen Offenbarung ergriffen sind. Als solche Inspiration ist das Wort nid)t göttliches Diktat (als Mißverständnis ihrer Worte), sondern Einbruch einer ekstatischen Erfahrung in ihr menschliches Alltagsbewußtsein, ohne seine natürliche Struktur zu zerstören. Es ist nicht nur das Wort der Propheten und Apostel, sondern das Wort, das von all denen empfangen wird, die in dieser Offenbarungskorrelation stehen. Dies Wort wendet sich an das Zentrum des Selbst und muß Logoscharakter haben, um von ihm empfangen zu werden. Die Ekstase ist daher nicht alogos, obwohl sie nicht von der menschlichen Vernunft geschaffen ist. Sie ist eingegeben, ist Geist und vereinigt den Abgrund und die Logoselemente in der Manifestation des Seinsgeheimnisses. (Sy. Bd. I S. 188) 4. Die vierte Form der Selbstmanifestation Gottes, die »Wort« genannt wird, ist seine Inkarnation in einem personhaften Leben. Die symbolische Bedeutung des Wortes Gottes ist die Manifestation des göttlichen Lebens in der letztgültigen Offenbarung, denn nur in einem personhaften Leben sind alle Schichten und Dimensionen des Seienden enthalten. »Das Wort ist ein Name für Jesus als den Christus. Der Logos, das Prinzip aller göttlichen Manifestation, wird in Jesus zu einem Seienden in der Gesd)id)te unter den Bedingungen der Existenz.« Der christliche Glaube sieht in Jesus von Nazareth das inkarnierte Wort Gottes. »Jesus als der Christus ist der Träger des Neuen Seins in der Totalität des Seins, nicht in einzelnen seiner Äußerungen. Es ist sein Sein, das ihn zum Christus macht... Daraus folgt, daß weder seine Worte, noch seine Taten, noch sein Leiden und Kreuzestod, noch was man sein »inneres Leben« (W. Herrmann) nennt, ihn zum Christus machen. Sein Sein geht allen Manifestationen voraus und tränszendiert sie. Seine Worte, seine Lehre, sein Händeln, sein Leiden und Kreuzestod sind Teil seines Wesens, das als Ganzes »Wort Gottes« ist. Alles zusammen, Worte, Tun, Leiden und Tod, weist auf ein personhaftes Zentrum hin, das völlig bestimmt ist durch die Gegenwart Gottes, durch den >Geist ohne Grenzen<.« (Sy. Bd. II S. 132 ff. u. Bibl. Rel. S. 38) Das macht Jesus zu dem Christus. Das Wort ersdieint in ihm als Person und erst in zweiter Linie in den Worten einer Person: »Das bedeutet, daß Gott so sehr Person ist, daß wir Ihn nur in einem personhaften Leben erkennen können... Nur in diesem personhaften Leben erkennen wir, wer er ist. Gott kann Mensch werden, weil der Mensdn Person ist und weil Gott Person ist. Und andererseits wird erst offenbar, was Person sein soll, wenn Gott in einer Person erscheint.« (Bibl. Rel. S. 38) Allen Mißverständnissen entgegen sei betont, daß Gottes Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillidis Theologie 233 Personsein so von Tillich umschrieben wird, daß es eine Begegnungsqualität ist. »Unsere Begegnung mit dem Gott, der Person ist, ist zugleich eine Begegnung mit dem Gott, der der Grund alles Personhaften und als solcher keine Person ist.« (Bibl. Rel. S. 72) Die bisher genannten symbolischen Ausdrücke des »Wortes Gottes« bilden eine innere Einheit. Es gibt aber noch drei andere, mehr abgeleitete, also sekundäre Symbole für das »Wort Gottes«: 1. Das Symbol »Wort Gottes« wird angewandt auf die Bibel, 2. auf die Lehre (Tradition), 3. auf die Predigt (kerygma), die Verkündigung. Daß Jesus als der Christus »das Wort Gottes« ist, das ist die Voraussetzung dieser drei Bedeutungen von »Wort Gottes« als Bibel, Lehre und Predigt. Das sei noch einmal unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. In Ihm ist, wie das Joh. Evgl. sagt, der Logos »im Fleisch« erschienen, d. h. in ihm ist das Neue Sein (Tillidis Zentralbegriff) Wirklichkeit geworden. Er ist als das »Wort Gottes« das schlechthin letztgültige Unbedingte im mich betreffenden Offenbarungsereignis. Damit ist gesagt, daß dies unbedingte Angehen mit keinem anderen zweitrangigeren Symbol gleichgesetzt oder verwechselt werden darf, weder mit den Texten oder Worten der Bibel, noch mit einer dogmatischen Lehre aus Vergangenheit oder Gegenwart, noch mit der Predigt als solcher. Für alle drei genannten Größen: Bibel, Lehre und Predigt gilt grundsätzlich, daß die göttliche Selbstmanifestation sich im menschlichen Wort ereignen kann. Von der menschlichen Rezeptivität aus betrachtet kann jedes menschliche Wort »Wort Gottes« werden in einer bestimmten Situation, denn das Wort Gottes ist als Bibel kein Diktat, das von sich aus immer »Wort Gottes« ist. Wie wir schon früher sagten, ist die Bibel das Dokument ekstatischer Erfahrung ihrer Verfasser. Die Worte der Bibel werden Gottes Wort, wenn Menschen durch sie getroffen, die Selbstmanifestation Gottes erfahren. Der Inhalt der Bibel, nämlich das Zeugnis von dem Ereignis des Jesus als des Christus, macht die Bibel zum »Worte Gottes«, nicht ein göttliches Diktat, wie es die heutige orthodoxe und pietistische Theologie in der Inspirationslehre meint. Entgegen dem Literalismus dieser Orthodoxie und entgegen dem Pietismus, der sich an die Unzahl einzelner Textworte klammert und dabei doch nicht Halt und Stand findet, gilt von dem Neuen Testament: Es ist Zeugnis von dem Durchbruch des »Neuen Seins« und ruft uns hinein in die Realität und Macht dieses »Neuen Seins«. Auch an dieser Stelle gilt darum, daß Theologie Ontologie ist. Sie weist auf ein Sein, das uns ergreift, das sich uns schenkt, an dem wir teilnehmen dürfen. 2. Kor. 5, 17: »Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur.« Wenn dies lebendige Wort selbst eine Macht, ein machtvoll Seiendes, ein Sein ist, das den Menschen ergreift, erschüttert und wandelt, so gilt hier zugleich: in diesem Wort dokumenUnauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 234 ClaudiaBader tiert sich das »Neue Sein«, das uns Christen geschenkt ist. Diese neue Schöpfung, dieses »Neue Sein«, nennt Tillich »Wiedervereinigung unzweideutigen Lebens, Wiedervereinigung von essentiellem und existentiellem Sein, in dem das zweideutige Leben aus seiner Entfremdung hinausgehoben wird zu seiner transzendenten Einheit, die es aus eigener Kraft nicht hätte erreichen können.« (Sy. Bd. III S. 154) Diese »transzendente Einheit erscheint im menschlichen Geist als das ekstatische Erlebnis, das von der einen Seite gesehen Glaube, von der anderen Seite gesehen Liebe genannt wird. Glaube und Liebe können in folgender Weise unterschieden, nicht geschieden werden: Glaube ist der Zustand des Ergriffenseins von der transzendenten Einheit, Liebe ist der Zustand des Hineingenommenseins in diese transzendente Einheit... Rein logisch gesehen ist der Glaube das Primäre und die Liebe das Sekundäre, aber in der Wirklichkeit ist das eine nie ohne das andere vorhanden. Denn Glaube ohne Liebe hebt den Zustand der Entfremdung nicht auf, er bleibt in der Zweideutigkeit der Selbsttranszendierung des Lebens. Liebe ohne Glaube ist eine zweideutige Wiedervereinigung von Getrenntem, d. h. ohne das letzte Kriterium der transzendenten Einheit. Weder Glaube allein — noch Liebe allein — ist eine Schöpfung des göttlichen Geistes, sondern Ausdruck zweideutiger Religiosität.« (Sy. Bd. III S. 154) (cf. Tillichs Schriften »Liebe, Macht und Gerechtigkeit« und »Vom Wesen und Wandel des Glaubens«) In dieser Einheit von Glauben und Liebe, die das Wesen des »Neuen Seins« bestimmt, wird deutlich, daß »Wort« nie intellektualistisch als »geredete Wörter« verstanden werden kann, sondern daß wir im »Wort« in einen Seinszusammenhang hineingenommen sind. So sicher dieser Seinszusammenhang nur in der existentiellen Ergriffenheit sich aktualisiert, so sicher ist der Ausdruck des Seins der Gemeinde, die Tillich im III. Band der Systematik »Geistgemeinschaft« statt Kirche nennt, um allen Mißverständnissen dieses Begriffs zu wehren. In dieser »Geistgemeinschaft des Neuen Seins« liegt das Prinzip der Weltversöhnung. Der Seinszusämmenhäng von Glaube und Liebe, der existentiell ergriffen wird, transzendiert dieses existentiell ergriffene Selbst nicht nur, sondern impliziert zugleich die Bindung an den Nächsten und damit an die Welt. Ein Wort von Theodor Siegfried aus dem 3. Band seines Buches »Das Wort und die Existenz« S. 149 macht diesen Gedanken deutlich: »Das Sein der Gemeinde ist das Heilsgeschehen, in welchem der Einzelne und die Einzelnen zusammengeschlossen sind. Dieser Zusammenschluß als Gemeinde des >Neuen Seins< stiftet die Weltversöhnung.« (2. Kor. 5, 19: »Denn Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selbst.«) Indem die Orthodoxie in der Gegenwart das »Wort« vergegenständlicht, stellt sie es als ein zweites neben die Welt. Das gleiche tut derjenige Pietismus, der Erweckung und Bekehrung in Korrelation zur reinen supranaturalen Lehre zum Besitz des Einzelnen macht. Beide trennen Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 235 damit den Raum der Kirche vom Raum der Welt und lassen diese wie sie ist — meist als die böse — stehen, ihr unverändertes So-Sein verneinend oder vergleichgültigend. Das Wort als Durchbruch des »Neuen Seins« bei Tillich dagegen hilft dem Menschen in seinem welthaften Sein und in seinem welthaften menschlichen Miteinander. Diese Ablehnung der zwei Räume gehört seit je zu der grundlegenden Einsicht, die Tillich im »Religiösen Sozialismus« zur Geltung brachte, und die bis zuletzt für ihn konstitutiv geblieben ist. Diese Position steht in der echten lutherischen Tradition, bei der das Wort »in der Welt im Schwange geht und damit dem Schall der Glocke gleicht, der Straßen und Häuser erfüllet«. Bei Luther und bei Tillich hat die Verkündigung das Ziel, dieses eine Wort, Jesus Christus, hörbar zu machen, wie es in Luthers Weihnachtslied heißt: »Das Ew'ge Licht geht da herein, gibt der Welt einen neuen Schein.« Da nun — nach Tillich — zusammenfassend gesagt werden kann: »Das Sein geht dem Reden voraus« (Sy. Bd. I S. 150), muß diese Interpretation des »Wortes Gottes« als Interpretation des Neuen Seins verstanden werden. Und jede theologische Interpretation hat auszugehen von dieser Aussage hinsichtlich aller im Schwange gehenden mißverständlichen Bestimmungen des Begriffs »Wort Gottes«. Das »Neue Sein« in Jesus als dem Christus ist das, was uns in der heutigen Theologie letztlich angeht. Es ist die materiale Norm der heutigen systematischen Theologie und damit das Kriterium für die Handhabung aller Quellen der systematischen Theologie. Von dieser Norm aus ist zu fragen, in welcher Beziehung sie steht zur grundlegenden Quelle, zur Bibel. (Hier ist die Nähe zu Luther erkennbar, der sagt: »Alles, was Christum treibet,« ist Inhalt der biblischen Botschaft.) Die Bibel ist eine Sammlung religiöser Schriften, die im Laufe der Jahrhunderte zusammengetragen und redigiert wurden. Wenn die Bibel Norm der systematischen Theologie genannt wird, so nur deshalb, weil die Norm aus ihr selbst stammt. Die Bibel ist die Quelle oder älteste Urkunde von den Ereignissen, auf denen der christliche Glaube beruht, Der dokumentarische Charakter der Bibel beruht auf der Tatsache, daß sie das ursprüngliche Zeugnis derer enthält, die am Offenbarungsgeschehen teilhatten. Ihre Inspiration ist ihre Annahme Jesu als des Christus und mit ihm des »Neuen Seins« ... Damit ist die Bibel beides: ursprüngliches Ereignis und älteste Urkunde; sie bezeugt das, von dem sie ein Teil ist. (Sy. Bd. I S. 62 ff. u. Bd. I S. 45) Was fordert Tillich nun von der Auslegung der Bibel? Da der Bibeltheologe uns keine reinen Fakten, sondern schon theologisch gedeutete Fakten bietet, ist seine Exegese, wie wir heute sagen, existentiell. Denn er spricht von den Resultaten seiner Interpretation M. Zeitschr. f. systemat. Theologie 11 J£ Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 236 Claudia Bader philosophisch-theologisch in der Weise äußersten Getroffenseins. In seiner Arbeit an den biblischen Texten verbindet er die Philologie mit seiner Ehrfurcht vor dem Gegenstand. Wir brauchen eine Theologie, die ohne Einschränkung historisdn-kritisd) ist und doch zugleich echt theologische Auslegung, der es um das Letzte geht. Das ist möglich, denn, was uns unbedingt angeht, hängt nicht an einem besonderen Ergebnis der historischen und philologischen Forschung. Es geht darum nicht an, der forschenden Bibelkritik diktatorisd) oder auch nur teilweise Einhalt zu gebieten. (Sy. Bd. I S. 46) »Je nüchterner, klarer und unbeirrter die Exegese ist, desto mehr muß die Kraft des Ewigen aus der Bibel hervorleuchten,« sagt Tillich. In diesem Punkte wußte sich Tillich mit seinem Hallenser Lehrer Martin Kahler und dem Marburger W. Herrmann tief verbunden in der Gewißheit, daß die sogenannte Bibelkritik, wenn in der Bibel eine Substanz des letzthin Gültigen ist, d. h. wenn sie selbst am Offenbarungsereignis partizipiert, ihren Inhalt nicht zersetzen kann, sondern ihren Gebalt nur heller ans Licht bringen wird. Sagen wir es noch anders: Wenn das »Neue Sein« durch die Worte und Texte der Bibel durchscheinend werden soll, so müssen diese Worte sauber und klar erfaßt werden. Ihre Interpretation ist selbstverständlich nicht zeitlos, sondern sie muß sich bemühen, die Worte der Bibel aus unserer Situation zu verstehen und von ihr her zu durchleuchten, d. h. ihren Sinn und ihre verbindende Gültigkeit für uns herauszustellen. Nennen wir die Schrift »Wort Gottes«, so heißt das: wir sind nicht Hörer von Menschenworten, sondern wir erschließen uns dem lebendigen, lebenschaffenden Gott, der uns durch das Medium der Worte ergreift und uns immer wieder zu dem Bekenntnis zwingt, daß all unser Reden nur ein gebrochenes Stammeln, Hinweis, tastender Versuch, ist, aber nicht eine selbstsichere »Lehre«. Keine Lehre der Vergangenheit, weder aus der Tradition, noch eine Lehre der Gegenwart, hat unbedingte Gültigkeit für den christlichen Glauben. Wird das Symbol »Wort Gottes« auf die Lehre oder das Bekenntnis angewandt, so lehnt Tillich solch einen Gebrauch ab, da es dem »protestantischen Prinzip« des unendlichen Abständes zwischen dem Göttlichen und Menschlichen widerspricht, das »Neue Sein« mit irgendeiner formulierten Lehre gleichzusetzen. Zwar ist es nötig, daß jede Kirche ihr Predigen und Lehren auf eine spezielle Lehrtradition und auf eine spezielle Formulierung des Bekenntnisses gründet, wenn aber damit der Anspruch verbunden wird, daß diese Formulierungen die einzig möglichen sind, dann ist das »protestantische Prinzip« verletzt. Nach Tillich »rechtfertigt« uns kein konfessioneller, durch den Denkakt gewonnener Lehrsatz vor Gott. Denn »die Rechtfertigung des Sünders« umfaßt auch das ganze Gebiet des Denkens. Kein Denkakt ist von ihr ausgeschlossen. Damit hat Tillich die Interpretation der »Rechtfertigung« ausgeweitet über das nur ethische Gebiet hinaus. (Sy. Bd. III S. 207 und »Rechtfertigung und Zweifel«, 1924) Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 237 Tillich übersieht und negiert keineswegs die positive Seite der kirchlich-konfessionellen Tradition, denn er sagt in »Protestantische Vision« S. 17: »Wir können nicht aus der Tradition heraus. Wir leben ständig aus ihr, und auch der Protestantismus lebt aus der Substanz der katholischen Tradition. Ich möchte meinen protestantischen Freunden immer wieder als Protestant sagen, wir sollten nicht glauben, daß man über die Jahrtausende springen kann, daß wir hier sind und da die Bibel ist und nichts dazwischen. Solch ein Sprung über die Jahrtausende ist eine Selbsttäuschung. Zwischen der Bibel und zwischen dem Ereignis des Christus und uns liegt die Tradition, von der wir abhängig sind. Das sollten wir begreifen; darum sollten wir als Protestanten der großen Tradition der Kirche mehr Aufmerksamkeit schenken, als wir es für gewöhnlich tun.« In Sy. Bd. I S. 48 schreibt Tillich: »Der Theologe, aber nicht nur er, begegnet im konkreten Leben seiner Kirche in ihrer Liturgie, ihren Liedern, Predigten und Sakramenten dem, was ihn unbedingt angeht, dem >Neuen Sein< in Jesus als dem Christus. Deshalb ist die konfessionelle Tradition eine entscheidende Quelle, so ökumenisch er sie auch handhaben kann.« Was über die Anwendung des Symbols »Wort Gottes« auf Bibel und Tradition gesagt wurde, gilt auch für die symbolische Anwendung auf Predigt und kirchliche Unterweisung: »Sofern Wort die aktuelle Predigt der Kirche meint, können es nur Worte sein und alles andere als das Wort, bloße menschliche Rede ohne göttliche Offenbarung in ihr. Das Wort hängt nicht allein von der Bedeutung der Predigtworte ab, sondern von der inneren Mächtigkeit, mit der sie gesprochen werden. Und es hängt nicht nur vom Verständnis des Hörers allein ab, sondern auch davon, ob er den Inhalt existentiell aufnimmt. Das Wort hängt also ab von der Korrelation zwischen Prediger und Hörer... Diese Faktoren und ihre gegenseitige Abhängigkeit schaffen die Konstellation, in der menschliche Worte das Wort, die göttliche Selbstkundgabe, werden können. Sie können, aber sie brauchen es nicht zu werden. Für keine kirchliche Tätigkeit gibt es eine Gewißheit, daß sie Ausdruck des Wortes ist. Jeder Geistliche sollte nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, als die Absicht, in seiner Predigt das Wort sprechen zu wollen, aber niemals den Anspruch erheben, das Wort gesprochen zu haben oder es in Zukunft sprechen zu können, denn da er keine Macht hat über die OffenbarungsKonstellation, hat er auch nicht die Macht, das Wort zu predigen. Es kann sein, daß er bloße Worte spricht, obwohl sie theologisch korrekt sein können. Und es kann sein, daß er das Wort spricht, obwohl seine Formulierungen theologisch unkorrekt sind. Schließlich braucht der Vermittler der Offenbarung gar kein Pfarrer oder religiöser Lehrer zu sein, sondern einfach irgendein Mensch, dem wir begegnen und dessen Worte für uns in einer besonderen Konstellation das Wort für uns werden.« (Sy. Bd. I S. 188—189) Zu dieser Frage sei hingewiesen auf Tillichs Predigt »Ein Wort vom Herrn?« im Predigtband »Das Neue Sein« 16* Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 238 Claudia Bader S. 110—119. Eingehend behandelt Tillich diesen ganzen Fragenkomplex in G. W. Bd. IV S. 104—105. Die mannigfachen Bedeutungen des Ausdrucks »Wort Gottes« sind — nach Tillich — alle eins in der einen Bedeutung: »Gott ist offenbar,« — offenbar in ihm selbst, in der Schöpfung, in der Offenbarungsgeschichte, in der Bibel, in den Worten der Kirche und ihrer Glieder. Gott ist offenbar', — das Geheimnis des göttlichen Abgrundes, das sich ausdrückt im göttlichen Logos, — das ist der Sinn des Symbols »Wort Gottes«. (Sy. Bd. I S. 189) Wenden wir uns nun noch in Kürze von diesem Verständnis des »Wortes Gottes« der Orthodoxie, dem Pietismus und dem Problem des Atheismus zu. Mit der Orthodoxie sagen wir: Es geht um die Macht des Wortes. Aber wir müssen ablehnen, anstelle dieser Macht des Einen Wortes des Heiles, das sich kund tut in Jesus, dem Christus, als das »Neue Sein«, die Ohnmacht zu setzen, die in einer Zitation und Summierung, Isolierung und Verabsolutierung einzelner Worte und Sätze der Schrift oder in tradierten Glaubensbekenntnissen oder der Bibel als eines »papierenen Papstes« eine Sicherung sucht. Mit dem Pietismus sagen wir, daß das Entscheidende die persönliche Ergriffenheit ist. Aber wir müssen ablehnen, daß hier die eigene Existenz sich in der »Wiedergeburt« an ihrer Selbstgenügsamkeit weidet und dadurch zum »Pharisäer« wird, statt in jener paulinisdi-biblischen Haltung zu leben: »Nicht, daß ichs schon ergriffen habe oder vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, nachdem ich von Jesus Christus ergriffen bin.« (Phil. 3, 12) Mit dieser existentiellen Ergriffenheit lehnen wir ab die pietistische Individualisierung und Einengung des »Wortes Gottes« als »Heil der Einzelseele«, weil das »Wort Gottes«, der Logos, auf die ganze Welt, auf das ganze Universum, gerichtet ist. Dieser kosmisch-ökumenische Aspekt durchzieht das Alte und Neue Testament. Es ist ein unglückseliges Bündnis, daß der Pietismus im 19. Jahrhundert, und wie es heute geschieht, in der sogenannten Bewegung »Kein anderes Evangelium« mit der Orthodoxie geschlossen hat, um damit einzustimmen in das Trumpfen auf die »reine Lehre«. »Glaube als Ergriffensein des ganzen Menschen ist nicht das Fürwahrhalten von Sätzen, sondern die Annahme von Symbolen als Ausdruck letzter Wirklichkeit, ist das Wiedererkennen des Unbedingten in der bedingten Wirklichkeit.« (Wesen und Wandel des Glaubens S. 60) Die Einbeziehung des Denkens in die »Rechtfertigung des Sünders«, die Tillich in seiner Theologie vollzogen hat, besagt, daß wir uns auch durch keine noch so korrekte Bekenntnisformulierung, durch kein Dogma, vor Gott ausweisen können, weil auch unser Denken in der Zweideutigkeit steht und der heilenden Erlösung, der göttlichen Rechtfertigung, bedarf. Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 239 Orthodoxie und Pietismus sollten sich freimachen von der Angst, ohne biblizistische Krücken ins Bodenlose zu fallen. Die Bibel als Geschenk ist Wort des Lebens und bedarf der Sicherung durch Verabsolutierung ihrer Sätze nicht. Oder wollen Pietismus und Orthodoxie wirklich statt Leben aus der Bibel zu schöpfen und weiter zu schenken — wie ein zynischer Gegner es genannt hat — sie zu »gesammelten Werken Jahwes« degradieren? — Die falsche Gleichsetzung von Wort und Bibel im Protestantismus hat nicht nur zu all den Mißdeutungen der biblischen Lehre vom »Wort« beigetragen, sondern auch den berechtigten Protest und Angriff der Atheisten hervorgerufen. Durch diese V ergötzung der Bibel und des Bibelwortes wurde das eigentliche Anliegen des christlichen Glaubens verdunkelt und unzugänglich gemacht. Das Verharren auf Buchstaben und Theoremen macht die christliche Offenbarung unglaubwürdig, so daß sie keine Antwort geben kann auf die Not und die jeweiligen existentiellen Fragen des Menschen, d. h. auf seine gegenwärtige Situation. Wir sagten, daß das Unbedingt-Transzendente über jede Setzung eines bedingten Wesens, auch eines höchsten Wesens, hinausgeht. Insofern es gesetzt ist, ist es im religiösen Akt auch wieder aufgehoben. Diese Aufhebung, diesen dem religiösen Akt immanenten Atheismus, nennt Tillich »die Tiefe des religiösen Aktes«. »Wo sie verloren geht, entsteht eine Vergegenständlichung des Unbedingten, nie Gegenständlichen, die zerstörend ist für das religiöse Leben. Es entsteht ein >Ding< mit widerspruchsvollen Merkmalen, das in Wahrheit ein >Unding< ist und dessen Setzung zu einem religiösen Werk, zu einem Opfer, zu einer Askese und Selbstzerstörung des Geistes wird.« (Sy. Bd. V S. 207) Darum gehen wir in diesem Punkte mit dem Atheismus konform, denn »es ist die religiöse Funktion des Atheismus, immer wieder daran zu erinnern, daß es im religiösen Akt um das Unbedingt-Transzendente geht, und daß die Vertretungen, also die Symbole des Unbedingten, nicht Gegenstände sind, über deren Dasein oder Nichtdasein eine Diskussion möglich wäre.« (G. W. Bd. V S. 207) In dem Augenblick also, wenn der symbolische Stoff verwechselt wird mit dem, worauf er hinweist, ist die Gefahr der Vergötzung da. Gegen diesen Götzendienst kämpfen wir gemeinsam mit dem Atheismus. Denn es geht um das erste Gebot: »Du sollst Dir kein Bildnis noch Gleichnis machen.« Dieser atheistische Angriff auf die Vergötzung eines Endlichen ist, gerade auch da, wo er sich als »antichristlich« versteht, dennoch christlich, weil er seine Abhängigkeit vom Christentum innerhalb der abendländisch-christlichen Kultur nicht leugnen kann.« (Sy. Bd. I S. 36) Die Ablehnung der christlichen Offenbarung durch den Atheismus beruht meist auf den Mißverständnissen und nicht geklärten Schwierigkeiten, die im Wort »persönlicher Gott« enthalten sind. Schon als wir Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 240 Claudia Bader über die letztgültige Offenbarung in Jesus als dem Christus sprachen., berührten wir dieses Problem. »Persönlicher Gott« bedeutet nicht, daß Gott eine Person ist. Es bedeutet, daß Gott der Grund alles Personhaften ist und in sich die ontologische Macht des Personhaften trägt. Es ist nicht eine Person, aber er ist auch nicht weniger als eine Person. Die klassische Theologie gebrauchte den Begriff persona für die trinitarischen Hypostasen, nicht aber für Gott selbst. Religiös gesprochen bedeutet das, daß unsere Begegnung mit dem Gott, der Person ist, zugleich eine Begegnung ist mit dem Gott, der der Grund alles Personhaften ist und als solcher keine Person ist.« Von hier aus ist Tillichs Formulierung »von dem Gott über Gott« in seiner Schrift »Der Mut zum Sein« zu verstehen, der gegen den Theismus gerichtet ist. (Sy. Bd. III S. 283, Bibl. Rel. S. 72 und »Der Mut zum Sein« 1953). Wenn uns der Protest gegen die V ergötzung eines Endlichen mit dem Atheismus verbindet, was trennt uns von ihm? — Atheist sein würde voraussetzen, daß die Vernunft keine »Tiefe« hat. Diese Tiefendimension der Vernunft, (nicht der ratio), ist das Essentielle aller menschlich-endlichen Vernunftfunktionen. Diese Anerkennung des unbedingten Elementes in der Struktur von Vernunft und Wirklichkeit bedeutet, daß zwar die Endlichkeit der erkennenden Vernunft unfähig ist, ihren unendlichen Grund zu erkennen, sie aber gerade in dieser Situation des Unendlichen gewahr wird, das in allen Strukturen des Endlichen gegenwärtig ist, obwohl es dieses unendlich transzendiert. Tillich sagt im Zusammenhang (Sy. Bd. I S. 238 ff.), indem er über die verschiedenen Gottesbeweise spricht —, daß sie darin irren, zu beweisen, daß »Gott existiert«, denn »beweisen wollen, daß Gott existiert, heißt, ihn leugnen«. Diese Beweisführungen für die Existenz Gottes sind keine Beweise, sondern Ausdruck der frage nach Gott, die in der menschlichen Existenz beschlossen liegt. »Denn die Frage nach Gott kann gestellt werden, weil im Akt des Fragens ein unbedingtes Element enthalten ist. Die Frage nach Gott muß gestellt werden, weil die Drohung des Nichtseins, die der Mensch in seiner Endlichkeit erfährt, ihn zu der Frage nach dem Sein treibt, daß das Nichtsein besiegt.« (Sy. Bd. I S. 243) Die traditionellen Beweise für die Existenz Gottes enthüllen: 1. daß die menschliche Vernunft die Frage nach Gott stellt, 2. aber zugleich zeigen sie, daß sie als Beweise unfähig sind, diese Frage nach Gott zu beantworten. Sie analysieren nur die menschliche Situation, beantworten aber nicht die Frage nach der Offenbarung. (Sy. Bd. I S. 245) Wenn wir mit dem Atheisten sagen, daß der Grund des Seins nicht innerhalb der Totalität des Seienden gefunden werden kaiin, so sagen wir im Gegensatz zu ihm, daß im Gewahrwerden unserer Endlichkeit yn$ere potentielle Unendlichkeit mit beschlossen ist. — Kann der Atheist Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 241 das leugnen? — Muß er nicht mit uns die Gegenwärtigkeit eines Elementes ianerhalb der Wirklichkeit, das sie transzendiert, anerkennen? — Wenn er sie leugnet, hätte weder die Gottesfrage gestellt werden können, noch auch könnte er sie leugnen. Gegen den Atheisten sagen wir: das Endliche hat eine Struktur, die des Unendlichen gewahr werden kann. Der Logos als die »Selbstbekundung des göttlichen Geheimnisses« ist die Voraussetzung ihrer Aufnahme, d. h. daß in der Offenbarungskorrelation die Vernunft sich selbst transzendiert. Zusammenfassend sagt Tillich in einer seiner Predigten aus dem Predigtband »In der Tiefe« S. 142 über den Atheismus: »Wirklicher Atheismus ist keine menschliche Möglichkeit, denn Gott ist dem Menschen näher als der Mensch sich selbst.« Im Begriff der Tiefe der Vernunft, d. h. wo immer das ontologische Verständnis der Vernunft angenommen ist, zerstört die Offenbarung die Vernunft nicht, vielmehr stellt die Vernunft selbst die Frage nach der Offenbarung. In seiner Predigt »Von der Tiefe« im gleichen Predigtband S. 70, 71: »Und wie es in unserem Leben ist, so ist es auch in unserem Denken. Von der Tiefe aus gesehen, scheint alles auf den Kopf gestellt zu sein. Oft hat man darum der Religion und dem Christentum ihren irrationalen und paradoxen Charakter vorgeworfen. Sicher haben sich Dummheit, Aberglaube und Fanatismus darauf berufen, und sicher ist die Forderung, die Vernunft zu opfern, mehr dämonisch als göttlich, denn der Mensch hört auf, ein Mensch zu sein, wenn er aufhört, ein Vernunftwesen zu sein. Und doch ist es richtig, daß auch von unserem Denken die Tiefe des Opfers, des Leidens und des Kreuzes verlangt wird. Jeder Schritt in die Tiefe des Denkens ist ein Abwenden von der Oberfläche früheren Denkens. Als diese Abwendung sich in Männern wie Paulus, Augustin und Luther vollzog, erlebten sie ein solches Maß an Leiden, daß sie es als Tod und Hölle erfuhren. Aber sie bejahten dieses Leiden als Weg zu der Tiefe Gottes, als geistlichen Weg, als Weg zur Wahrheit. Und sie brachten die Wahrheit, der sie begegneten, in geistlichen Worten zum Ausdruck, in Worten, die das Gegenteil alles oberflächlichen Vernunftgebrauchs zeigten, nämlich die Übereinstimmung mit der Vernunft, die göttlich ist. Die paradoxe Sprache der Religion enthüllt den Weg der Wahrheit als einen Weg zur Tiefe und daher als einen Weg des Leidens und des Opfers. Nur wer bereit ist, diesen Weg zu gehen, dem erschließen sich die Paradoxe der Religion.« (Sy. Bd. I S. 159—161) Das eigentliche Paradox des christlichen Glaubens ist Jesus als der Christus. In ihm ist für den Christen die letztgültige Offenbarung erschienen, weil er als das Medium der Offenbarung seine endlichen Bedingungen überwindet, indem er sie und sich selbst opfert. »Als Träger dieser letztgültigen Offenbarung muß er seine Endlichkeit aufgeben, nicht nur sein Leben, sondern auch seine endgültige Macht, Erkenntnis und Vollkommenheit. Indem er das tut, erweist er sich als Träger der letztgültigen Offenbarung, klassisch-theologisch ausgedrückt: als der >Sohn Gottes<. Er Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 242 ClaudiaBader wird völlig transparent für das Geheimnis, das er offenbart. Aber um sich völlig aufgeben zu können, muß er sich völlig besitzen. Und nur der kann sich völlig besitzen und deshalb sich völlig aufgeben, der mit dem Grund des Seins und Sinns ohne Entfremdung und ohne Entstellung verbunden ist. Im Bilde Jesu als des Christus sehen wir das Bild eines Menschen, der diese Eigenschaften besitzt, eines Menschen, der deshalb als das Medium der normgebenden Offenbarung bezeichnet werden kann.« — »Im Kreuze Christi sind die dämonisch-götzendienerischen Mächte, die die Welt regieren und die Religion entstellen, überwunden. Durch sein Kreuz opferte Jesus sich selbst als Medium der Offenbarung, nämlich als Messias, so wie die Jünger das Wort verstanden. Für uns bedeutet dies, daß, wenn wir ihm nachfolgen, wir frei sind von der Autorität alles Endlichen in ihm, von seiner besonderen Tradition, von seiner individuellen Frömmigkeit, von seiner vielfach bedingten Weltanschauung, von jedem gesetzlichen Verständnis seiner Ethik. Nur als der Gekreuzigte ist er >voll der Gnade und Wahrheit< und kein >Gesetz<. Nur als der, der sein Fleisch, d. h. seine historische Existenz, geopfert hat, ist er der Träger des göttlichen Geistes oder die neue Kreatur ... Selbst Christus ist nur darum Christus, weil er nicht auf seiner Gottgleichheit bestand, sondern darauf verzichtete, sie als persönlichen Besitz zu haben.« (Phil. 2, 6) »Jesus blieb transparant für das göttliche Geheimnis bis zu seinem Tode, der die letztgültige Offenbarung seiner Transparenz war.« Damit wird einer Theologie und Religion das Urteil gesprochen, die in Jesus ihr Zentrum sieht. Jesus ist als »das Wort Gottes« das religiöse und theologische Objekt als der Christus und nur als der Christus. Und »er ist der Christus als der, der alles, was nur Jesus an ihm ist, zum Opfer bringt. Der entscheidende Zug seines Bildes ist die ständige Selbstpreisgabe des Jesus, der Jesus ist, an den Jesus, der der Christus ist.« (Sy. Bd. I S. 161) Damit ist über jede Jesulogie und jede unparadoxe Christologie, wie z.B. die der Christengemeinschaft, das theologisdie Urteil gefällt. Und damit ist für uns die Möglichkeit jeder Selbsterlösung unmöglich gemacht. Die »Lehren Jesu« erfordern von uns keine imitatio, denn wir vermögen in der sogenannten Nachfolge keine imitatio seines historischen Lebens zu vollziehen. Fassen wir das paradoxe Symbol des »Wortes Gottes«, das das letztgültige unseres christlichen Glaubens ist, noch einmal kurz zusammen: Das »Neue Sein« in Jesus, der der Christus ist, besagt, daß das Sein stets dem Reden vorausgeht. Nur darum konnte er und kann er das »Wort Gottes« sein. Und nur deshalb haben auch die Worte Jesu, sein Handeln, sein Leiden und sein Kreuzestod die Macht, in uns das »Neue Sein« zu schaffen, weil er in diesem Sinne das »Wort« isty und nur in der Macht des »Neuen Seins« können seine Worte in die Wirklichkeit umgesetzt werden in dem Sinne, in dem er im Gespräch mit Pilatus im Joh. Evgl. die Frage nach der Wahrheit der Offenbarung beantwortet, die nur existenUnauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM Das »Wort Gottes« in Paul Tillichs Theologie 243 tiell ergriffen werden kann: »Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.« Damit leuchtet auch der Horizont auf, in dem heute die Frage der Mission uns gestellt ist im Blick auf den Dialog mit den Hochreligionen in Ostasien, (cf. »Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen« 1964) Schon in den 20er Jahren beschäftigte sich Paul Tillich in seinen systematischen Vorlesungen in Marburg mit dieser Frage. Ich möchte schließen mit einigen Sätzen aus meinem Kollegheft aus dem Jahre 1924, als Paul Tillich hier über die uns alle angehende Frage nach der Gewißheit und Universalität unseres christlichen Glaubens las: »Das Christentum mit allen übrigen Religionen ist Voraussetzung der Gemeinde Christi, soweit sie den Protest gegen sich in sich aufnimmt. Alle empirischen Religionen stehen unter dem Nein, aber auch unter dem Ja, sofern sie unter dem Protest gegen die Dämonie, d. h. die Vergötzung ihrer Symbole, stehen. Von der existentiellen Ergriffenheit her, die in der Offenbarungskorrelation steht, gibt es keine naive Absolutheit, sondern nur eine erschütterte kann es geben, denn sofern wir die Erschütterung haben, stehen wir im Lebensprozeß. In der Frage nach der Wahrheit des Glaubens in seiner Universalität ist ein Punkt erreicht, wo alles Hinausgehen über mein eigenes konkretes Dasein schlechterdings sinnlos wird, denn die Sache, die hier verhandelt wird, ist ja das Nein alles theoretischen aus mir Heraustretens, weil sie das schlechthin Konkrete ist. Der Sieg des Christentums und seiner Universalität wird praktisch entschieden. Eine allgemein ruhende Gewißheit der Absolutheit des Christentums gibt es nicht. Der christliche Universalismus ist Frage christlichen Schicksals und unserer Freiheit, aber kein Satz fixierter Deposition und theoretischen Nachweises. Durch Taten, durch Entscheidung, durch Opfer, d. h. durch lieben, wird die Realisierung und damit der Sieg des Christentums begründet und auch so nur sein Universalismus.« Literaturhinweise Evangelisches Verlagswerk Stuttgart Systematische Theologie Bd. I, 2. Aufl., 1956 Bd. II, 1. Aufl., 1958 Bd. 111,1. Aufl., 1966 Abkürzungen Sy. Bd. I S., Bd. II S., Bd. III S. G.'sammelte Werke Bd. IV, Bd. V Abkürzungen G. W. Bd. IV S., Bd. V S. »Liblische Religion und die Frage nach dem Sein«, ersch. 1958 »Das Christentum und die Begegnung der Weltreligionen«, ersch. 1964 Religiöse Reden 1. Folge, 2. Aufl., 1952 2. Folge, 2. Aufl., 1959 3. Folge, 1964 Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM 244 ClaudiaBader Furche-Verlag »Religiöse Verwirklichung«, ersch. 1930 Evgl. Arbeitsausschuß Düsseldorf »Protestantische Vision«, ersch. 1951 Steingrüben-V'erlag, Stuttgart »Der Mut zum Sein«, 1953 Verlag von Alfred Töpelmann, Gießen »Rechtfertigung und Zweifel«, 1924 Ullstein-Verlagf Frankfurt—Berlin »Wesen und Wandel des Glaubens«, ersch. 1961 Unauthenticated Download Date | 5/12/16 1:57 AM