Der neue Mensch Werke von Oskar Schlemmer auszustellen, war wegen Streitigkeiten unter den Erben stets ein heikles Unterfangen. 70 Jahre nach dem Tod des Bauhauskünstlers ist das ­Urheberrecht erloschen. Die Staatsgalerie Stuttgart hat die Gelegenheit beim Schopfe gepackt und eine fulminante Retrospektive zusammengetragen Text Tanja Scheffler Oskar Schlemmer mit Maske und Metallobjekt, ca. 1931, Oskar Schlemmer Archiv, Staatsgalerie Stuttgart Foto: Staatsgalerie Stuttgart Oskar Schlemmer – Visionen einer neuen Welt Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 30–32, 70173 Stuttgart www.staatsgalerie.de Bis 6. April Der Katalog (Hirmer Verlag) kostet im Museum 29,90 Euro, im Buchhandel 49,90 Euro Maler und Bildhauer, Tänzer, Choreograph, Bühnengestalter: Oskar Schlemmer (1888–1943) war einer der vielseitigsten Künstler der Klassischen Moderne. Als Bauhaus-Meister profilierte er sich mit seinem interdisziplinären Ansatz, Bewegung, Tanz und Theater in die bildende Kunst einzubeziehen. Die Kostüme des Triadischen Balletts und sein Gemälde Bauhaustreppe stehen sinnbildlich für das Kunst- und Architekturverständnis des Bauhauses. Mit rund 270 weiteren Arbeiten sind sie in der opulenten Retrospektive der Staatsgalerie Stuttgart zu sehen, die endlich alle Facetten von Schlemmers Werk – von kubistischen Landschaftsbildern über utopische Wohnmaschinen bis zu grazilen Wandgestaltungen aus Metall – wieder im Zusammenhang zeigt. Zentrales künstlerisches Thema des gebürtigen Stuttgarters war der „neue Mensch“, eine auf elementare Formen reduzierte Idealfigur als Maß aller Dinge, eingefügt in einen klar struk­ turierten Raum. Gropius engagierte Schlemmer 1921 als Formmeister für Wandgestaltung und Bauwelt 1-2.2015 Bildhauerei ans Bauhaus. Er unterrichtete Aktzeichnen, später den Kurs Der Mensch, entwarf das Bauhaus-Logo, leitete die Theaterbühne und organisierte die legendären Bauhaus-Feste. Nach dem linkspolitischen Schwenk der Schule unter Gropius’ Nachfolger Hannes Meyer ging Schlemmer, der sich vor allem für ästhetischkünstlerische Fragen interessierte, 1929 als Professor nach Breslau, später nach Berlin. Oskar Schlemmer fühlte sich zwischen Theater und bildender Kunst hin und her gerissen, „Ich bin zu modern, um Bilder zu malen!“, schrieb er 1925. Beim Triadischen Ballett, einem Dreiklang (Triade) aus Musik, Kostüm und Bewegung mit drei Darstellern, reduzierten die starren Kostüme den Tanz zu marionettenhaften Bewegungen, die Gestaltungsdetails gaben den Figuren gleichzeitig Identität. Sieben Kostüme sind erhalten, sie gehören zum Kern der Schlemmer-Sammlung der Staatsgalerie. Viel Raum schenkt die Retro­ spektive den Entwürfen des Essener FolkwangZyklus (1928–30), riesigen Darstellungen von Figuren, die von Blatt zu Blatt immer athletischer werden. Eine kleine Aquarell-Vorstudie scheint Schlemmers Vorstellung einer neuen, harmo­ nischen Lebensordnung näher zu kommen: eine Garten-Szene, in der die weltverändernde Kraft der Kunst – junge Menschen, die tanzen, Texte rezitieren und ihre Umwelt skizzieren – allgegenwärtig ist. Wochenschau Als Künstler wird man nur wahrgenommen, wenn man seine Werke ungehindert zeigen kann. Das war Schlemmers großes Problem. Nach der Uraufführung des Triadischen Balletts 1922 entbrannte zwischen Schlemmer und seinen beiden Co-Tänzern ein Streit über das Urheberrecht an der Performance, in dessen Folge es zur Aufteilung der Kostüme und zu strikten Regeln für weitere Aufführungen kam. Seine Wandgestaltung im Weimarer Werkstattgebäude gehörte zu den ersten Arbeiten, die die Nazis zerstörten (1930). Eine erste Retrospektive Anfang 1933 im Kunstverein in Stuttgart wurde nach wenigen Tagen geschlossen. Kurz darauf verlor Schlemmer seine Berliner Professur, 1934 wurden seine Wand­ bilder im Folkwang-Museum entfernt, 1937 wurde er in der Propagandaschau Entartete Kunst diskreditiert. Schlemmer versuchte zu Anfang der NS-Zeit, mit Auftragsarbeiten wie dekorativen Wand-, Decken- und Schrankbemalungen über die Runden zu kommen, später arbeitete er in einer Wuppertaler Lackfabrik, die verfemte Künstler in der Materialforschung beschäftigte. Parallel dazu entstanden düstere Gemälde und seine 18 Fensterbilder, die das Straßenleben schemenhaft, aus der Sicht des Außenstehenden, darstellen. Oskar Schlemmer starb, nur 54 Jahre alt, im April 1943 in Baden-Baden. Die meisten Schlemmer-Bilder zeigen fiktive Raumstrukturen. Anders die berühmte Bauhaus- 3 Wer Wo Was Wann treppe. 1932 begann Schlemmer als Reaktion auf die Schließung des Dessauer Bauhauses mit der Ausarbeitung seines großformatigen Gemäldes von jungen Menschen, die dem Ungewissen entgegengehen. Als Vorlage diente ihm ein Foto von Studentinnen der Weberklasse auf der Treppe des Bauhaus-Gebäudes. Philip Johnson, mit dem Aufbau der Architekturabteilung des Museum of Modern Art betraut, erwarb Schlemmers Meisterwerk, nachdem er gemeinsamen mit dem späteren MoMA-Direktor Alfred H. Barr die oben erwähnte Schau im Kunstverein besichtigt hatte – mit sicherem Blick für ein Schlüsselwerk der Klassischen Moderne. So entging die Bauhaustreppe dem Schicksal vieler anderer, später als „verschollen“ oder „vernichtet“ geltender Kunstwerke und machte – in New York prominent platziert – ihren Schöpfer, der ab Frühjahr 1933 aus dem deutschen Kunstbetrieb weitgehend ausgeschlossen war, international bekannt. Seit dem Tod von Schlemmers Witwe Tut 1987 lähmten gerichtlich ausgetragene Streitigkeiten zwischen den Erben Ausstellungstätigkeit und Forschung zu Schlemmers Werk. Jetzt, mehr als 70 Jahre nach seinem Tod, sind seine Arbeiten nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Die Staatsgalerie Stuttgart hat mit ihrer großartigen Ausstellung den Startschuss dafür gegeben, sich endlich wieder intensiv und in ganzer Breite mit Oskar Schlemmer zu beschäftigen. Oskar Schlemmer, Bauhaustreppe, 1932, Öl auf Leinwand, MoMA, Schenkung Philip Johnson © 2014 Digital Image, MoMA, New York/Scala, Florenz © Angel Borrego Cubero The Competition Dokumentarfilm über einen Wettbewerb unter Pritzker-Preisträgern Im Jahr 2009 bekam der spanische Architekt Angel Borrego Cubero den Auftrag, einen Film über den Wettbewerb für den Bau des Natio­nalen Kunstmuseums von Andorra zu drehen. Seine Bilder werfen ein Licht auf eines der bestgehü­ teten Geheimnisse der Arbeit von Architekten. Worum es geht Zum Wettbewerb sind ausschließlich Pritzker-Preisträger eingeladen. Sie werden beim Entwerfen und Diskutieren gefilmt. Zum Schluss präsentieren sie vor der Jury. Wer mitspielt Dominique Perrault, Frank Gehry, Jean Nouvel, Norman Foster, Zaha Hadid und ihre Mitarbeiter. Die Mitglieder der Wettbewerbsjury. Was zu sehen ist Wie Stifte über Transparentpapier geschoben werden, welche Fragen sich die Mitarbeiter von Hadid stellen, wie junge Architekten um Modelle stehen, welchen Einfluss die Pritzker-Preisträger auf den Entwurfsprozess nehmen, mit welchen Argumenten sie ihr Projekt der Jury vorstellen, wie viel Arbeit für einen kurzen Blick von Politikern aufgewendet wird. Was nicht gezeigt wird Welchen Entwurf Norman Foster einreicht. Die besten Szenen Dominique Perraults kurzer Auftritt vor der Jury, Jean Nouvels Zwischenkritik mit seinen Mitarbeitern. Wer den Film sehen sollte Alle, die sich schon immer gefragt haben, mit welchen Mitteln und Argumenten weltbekannte Kollegen nicht-anonyme Wettbewerbe gewinnen. Wer nicht Alle, für die Pritzker-Preisträger die Helden der Architektur sind und die das nicht überdenken wollen. Friederike Meyer The Competition Dokumentarfilm, Spanien 2013, 100 min, Originalfassung mit englischen Untertiteln, Regie: Angel Borrego Cubero www.thecompetitionmovie.com Deutschlandpremiere: 12. Januar, 19 Uhr, RWTH Aachen, Lehr- und Forschungsgebiet Architekturtheorie im Rahmen der Montagabendgespräche Ein Jahr in Rom Architekten, Schriftsteller, bildende Künstler und Komponisten können sich noch bis 15. Januar für einen Studienaufenthalt in Italien im Jahr 2016 bewerben. Die Stipendien des Bundes ermöglichen es je acht Aus­ gewählten, ein Jahr in der Villa Massimo in Rom oder drei Monate in der Casa Baldi in Olevano Romano, einem Bergort in der Nähe von Rom, zu verbringen – um ohne finanzielle Sorgen Inspiration und künstlerische Orientierung zu finden. Bewerbungen sind bei der für die Kunstförderung zuständigen Behörde des jeweiligen Bundeslandes einzu­ reichen. Ausführliche Informationen und Formblätter unter www.villamassimo.de Ruine heißt das Thema der neunten Ausgabe von „Horizonte“, der Zeitschrift für Architekturdiskurs der Studenten­ initiative horizonte der Bauhaus-Universität Weimar. Auf 223 Seiten, etwa im Format DIN A5, versuchen die Macher, der Faszination des Verfalls auf die Spur zu kommen: „Die Ruine ist ein unbestimmbares Fragment, schwankend zwischen Todessehnsucht und Dauerhaftigkeit, entzieht sich unserem Verständnis“. Die Beiträge befassen sich mit Abriss, Transformation, Weiterbau, dem Nichtstun und der Ruine als Symbol einer politischen und wirtschaftlichen Situation. 11 Euro, Lucia-Verlag. Zu bestellen über m18.uni-weimar.de/horizonte Rudolf Schwarz und Robert Adams In der Kölner Galerie Thomas Zander sind bis 14. Februar zwei Ausstellungen zu Gast. „Three Churches, 1929–1964“ ist eine vom Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt kuratierte Schau über den Architekten Rudolf Schwarz (1897–1961), einen der bedeutendsten Kirchenbauer des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen die Kirchen St. Fronleichnam (1930) in Aachen-Rothe Erde, St. Bonifatius (1959–1964) in Aachen und St. Christophorus (1954–1959) in Köln. Gezeigt werden Skizzen von Schwarz und Fotos seiner Bauten, die Albert Renger-Patzsch 1928 bis 1930 anfertigte. Der ame­r ikanische Fotograf Robert Adams (Jahrgang 1937) wiederum ließ sich bei einer Europareise 1968 von Schwarz’ reduzierter Ästhetik inspirieren. Unter dem Titel „Buildings in Colorado, 1964–1980“ (Foto: Robert Adams) stellt er seine Fotografien bei Zander aus. www.galeriezander.com Jacob von Rijs von MVRDV ist am 15. Januar ab 18.30 Uhr im Oskar-von-Miller-Forum in München zu Gast. „Happy Houses – zwischen Individuum und Gemeinschaft“ heißt sein Vortrag; es wird um Entwürfe gehen, die das Rotterdamer Büro als Antwort auf die Wohnungsbaukrise in Holland und den Trend zur privaten Projektentwicklung er­ arbeitet hat (Foto vom „Barcode House“: Rob’t Hart). Wie kann individuelle Planung bei einem Gemeinschaftsprojekt berücksichtigt werden, um Hauskäufer aller Budgetklassen anzusprechen? Weitere Infos zur Veranstaltung auf www.oskarvonmillerforum.de Planetary Urbanism – Critique of the present Die Zeitschrift ARCH+ und das Auswärtige Amt loben anlässlich der UN-Habitat III Konferenz im Jahr 2016 einen Informa­ tionsdesign-Wettbewerb aus. Gestalter und Wissenschaftler der verschiedensten Disziplinen (auch Studenten) sind aufgerufen, die globalen Urbanisierungsprozesses zu visualisieren; auf hochformatigen A2-Plakaten sollen die Probleme der Urbanisierung, aktuelle Strategien und weiterführende Konzepte dargestellt werden. Registrierung bis zum 30. April. Einsendeschluss ist der 31. Mai. Die Auslobungsunterlagen und eine Online-Partnerbörse gibt es auf www.archplus.net/planetaryurbanism theorie.arch.rwth-aachen.de 4 Wochenschau Bauwelt 1-2.2015