17.5 Dosierung der Antidepressiva 17.6

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Antidepressiva
Um die pharmakotherapeutischen Möglichkeiten
in der Depressionsbehandlung auszuschöpfen,
muss zunächst eine ausreichend hohe Dosis über
einen ausreichend langen Zeitraum verabreicht
werden. In der ▶ Tab. 17.2 finden sich die jeweiligen Dosierungen einzelner Antidepressiva sowie
die Höchstdosen der Substanzen.
In praxi empfiehlt es sich generell, langsam einschleichend zu dosieren, um die besonders initial
auftretenden Nebenwirkungen in einem überschaubaren Rahmen zu halten. Die so erreichte
Dosis wird über einen Zeitraum von 3 Wochen beibehalten. Sprechen die depressiven Symptome nur
unzureichend an, wird unter Beachtung der individuellen Kontraindikationen über einen weiteren
Zeitraum von 2 Wochen in Höchstdosis weiterbehandelt, bevor gemäß ▶ Abb. 17.1 umgesetzt wird.
Der Patient ist vor Beginn der Pharmakotherapie
unbedingt über die zu erwartenden Nebenwirkungen aufzuklären, da es sonst schnell zu Therapieabbrüchen kommen kann.
Die einzelnen Dosen sind aus der ▶ Tab. 17.2 abzulesen.
▶ Zeitpunkt der Verabreichung. Meist ist es aufgrund der relativ langen Halbwertszeiten ohne
Nachteil möglich, die Gesamtdosis auf nur 2 Einzeldosen (morgens und abends) zu verteilen, bei
einzelnen Antidepressiva (z. B. Fluoxetin) genügt
eine Einmalgabe. Dabei sollte bei den sedierenden
Antidepressiva die Hauptdosis abends eingenommen werden, um die häufig vorhandenen Schlafstörungen günstig zu beeinflussen und den
Schwerpunkt der Nebenwirkungen in die Nacht zu
verlagern. Dadurch erhöht sich die Compliance in
der Mehrzahl der Fälle. Bei nicht sedierenden Antidepressiva sollte die letzte Dosis, insbesondere
wenn Schlafstörungen vorliegen, vor 16 Uhr verabreicht werden.
17.6 Behandlungsstrategie und
Therapieresistenz
▶ Ältere Patienten. Im Alter liegt die Standardtagesdosis wegen geringerer Metabolisierung und
Serumeiweißbindung um bis zu 50 % niedriger (eine Ausnahme hiervon stellt Sertralin dar).
Eine allgemein gültige Definition der Therapieresistenz bei der Behandlung mit Antidepressiva existiert nicht. Es werden im Wesentlichen folgende
Definitionen verwendet (Ananth, 1998; Berlim
und Turecki, [8], [25]):
▶ Absetzen der Medikation. Gravierende Nebenwirkungen, wie sie u. a. bei den TCA vorkommen
Stufe I
serotonerg(es) Antidepressivum)
Stufe Ia
Höchstdosis
noradrenerg
Stufe II
Stufe IIa
Stufe III
17
320
breit
Höchstdosis
(noradrenerg)
dopaminerg
breit
Stufe IIIa
Stufe IV
(noradrenerg)
dopaminerg
Abb. 17.1 Stufenschema der antidepressiven Pharmakotherapie, verdeutlicht anhand des Beginns mit einem
serotonergen Antidepressivum. Die
Therapieschritte gelten entsprechend,
falls mit einem anderen Antidepressivum begonnen wird.
noradrenerg
breit
noradrenerg
(noradrenerg)
dopaminerg
Höchstdosis
breit
(noradrenerg)
dopaminerg
breit
noradrenerg
(noradrenerg)
dopaminerg
noradrenerg
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(z. B. Harnverhalt, Erregungsleitungsstörung am
Herzen oder ein besonders im Alter gehäuft auftretendes Delir), zwingen zum Absetzen der Medikation. Gerade hier liegt, wie schon erwähnt, das
besondere Indikationsgebiet der nicht oder weniger anticholinergen bzw. kardiotoxischen neueren
Antidepressiva.
17.5 Dosierung der
Antidepressiva
17.6 Behandlungsstrategie und Therapieresistenz
●
●
●
Nichtansprechen auf die Behandlung mit dem
ersten Antidepressivum ohne weitere Festlegung
über die Adäquatheit der bisherigen Behandlung
oder
Nichtansprechen auf die erste adäquate Behandlung, die bezüglich Dosis und Dauer näher definiert wird (z. B. 150 mg Imipramin/d über 4–6
Wochen) oder
Nichtansprechen auf das 2. Antidepressivum
Nichtansprechen auf 2 monotherapeutische Behandlungsversuche mit pharmakologisch verschiedenen Antidepressiva in ausreichender Dosierung für einen ausreichend langen Behandlungszeitraum
▶ Pseudotherapieresistenz. Grundsätzlich ist zu
bedenken, dass bei vielen als therapieresistent eingestuften Patienten keine echte Therapieresistenz
vorliegt, sondern nur eine sog. Pseudotherapieresistenz, z. B. bei unzureichender medikamentöser
Behandlung mit Antidepressiva (zu niedrige Dosis,
zu kurze Therapiedauer), diagnostischen Besonderheiten (z. B. hirnorganische Krankheitsprozesse, neurologische und internistische Erkrankungen, pharmakogene Depression u. a.) oder – ganz
besonders wichtig – bei eingeschränkter oder fehlender Adhärenz. Letztere ist wahrscheinlich im
ambulanten Bereich die häufigste Ursache für
Pseudotherapieresistenz. Bekanntlich nehmen bis
zu 50 % der depressiven Patienten ihre Antidepressiva nicht oder in zu geringen Dosen ein. Deshalb
sollte von Anfang an versucht werden, die Adhärenz durch Aufklärung über die Art der Erkrankung sowie über die Wirkung der Antidepressiva
(Wirklatenz und Nebenwirkungen) zu fördern.
▶ Vorgehen nach gezieltem Behandlungsplan.
Da die Therapieresistenz – insbesondere im klinischen Bereich – von großer Bedeutung ist, empfiehlt es sich, von vornherein nach einem gezielten
Behandlungsplan (ein Beispiel ist in ▶ Abb. 17.1
angegeben) vorzugehen. Dieser Behandlungsplan
muss entsprechend der Nebenwirkungsproblematik (Kap. 17.4: „Auswahlkriterien für Antidepressiva“) modifiziert werden. In diesem Zusammen-
hang ist es sinnvoll, den biochemischen Schwerpunkt der Antidepressiva sowie die jeweiligen Dosierungen zu berücksichtigen.
Beim Durchschreiten dieser Therapiestrecke werden zunächst die tatsächlich therapieresistenten
Fälle minimiert, vorausgesetzt, die einzelnen Stufen
werden adäquat, d. h. mit ausreichend hohen Dosen
und ausreichend lange durchgeführt. Die biochemischen Wirkschwerpunkte der Antidepressiva sind
bereits in ▶ Tab. 17.1 dargestellt worden.
▶ Plasmaspiegel und Mindestwerteinstellung.
Im Rahmen der Behandlung therapieresistenter
Patienten gewinnt auch die Bestimmung des Plasmaspiegels Bedeutung. Zum einen kann sie die Adhärenz erhöhen, da der betreffende Patient weiß,
dass die Medikamentenkonzentration im Plasma
überprüft wird, zum anderen gibt es zumindest
für Imipramin und Nortriptylin Zusammenhänge
zwischen der Höhe des Plasmaspiegels und dem
Grad der Response. Aus diesem Grund sollten therapieresistente Patienten auf einen Mindestwert
eingestellt werden, d. h. die Dosis des entsprechenden Antidepressivums wird solange unter fortwährender Plasmaspiegelkontrolle erhöht, bis dieser Mindestwert (für die einzelnen Substanzen unterschiedlich) erreicht ist.
Falls bei diesem Vorgehen kein Therapieerfolg erzielt wird, sollten gezielte Maßnahmen zur Beseitigung einer wahrscheinlichen bzw. gesicherten Therapieresistenz ergriffen werden, wie sie in den Stufen V–VII der ▶ Tab. 17.5 zusammengefasst sind.
Für die Stufe V (▶ Tab. 17.5) stehen verschiedene
Augmentierungsstrategien zur Verfügung:
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▶ Atypika in niedriger Dosierung. Hier liegt die
beste Evidenz für retardiertes Quetiapin (150–
300 mg/d) vor, diese Substanz ist für die Indikation
Augmentierung in Deutschland auch zugelassen.
Aber auch für andere Atypika wie Olanzapin, Risperidon und Aripiprazol liegen gute Daten vor.
▶ Lithium. Lithium gilt als Adjuvans der 1. Wahl
zu einer bestehenden Antidepressivatherapie ([3],
[6], [35]), wenngleich eine Metaanalyse [10] kei-
17
Tab. 17.5 Stufenschema bei Therapieresistenz (zu verstehen im Anschluss an ▶ Tab. 17.7).
Stufe V
Stufe VI
Stufe VII
Antidepressivum
+ Augmentierung (2–4 Wochen)
traditioneller MAOI
EKT (TMS)
EKT = Elektrokrampftherapie; MAOI = Monoaminoxidasehemmer; TMS = transkranielle Magnetstimulation
321
Antidepressiva
▶ Schilddrüsenhormone. Schilddrüsenhormone
wurden in kleinen Dosen (25–50 μg Trijodthyronin
[T3]) als Zusatzmedikation empfohlen ([3], [22]),
allerdings scheinen Untersuchungen zur Augmentierung mit supraphysiologischen Dosen (250–
400 μg/d) überzeugendere Effekte zu zeigen [33],
wobei der Symptomrückgang mit regionalen Veränderungen des Hirnstoffwechsels korreliert [4].
Es wird mit 100 mg/d Levothyroxin (Tetrajodthyronin [T4]) begonnen, die Zieldosis liegt bei 250 bis
400 mg/d nach 2 Monaten. Auf die kardiovaskuläre
Situation ist hier besonders zu achten.
▶ Schlafentzug. Die (partielle) Schlafentzugsbehandlung ist ein weitgehend nebenwirkungsfreies und einfach durchzuführendes Behandlungsverfahren, das in Kombination mit einer Antidepressivabehandlung die Responderquote erhöht. Bei der
Schlafentzugsbehandlung werden die Patienten
(1- bis) 2-mal pro Woche eine Nacht (bzw. die
zweite Nachthälfte) unter Aufsicht von geschultem
Pflegepersonal wach gehalten. Hierbei ist darauf
zu achten, dass bis zum darauffolgenden Abend
keine Schlafperiode eintritt. Der Therapieerfolg
dauert meist wenige Tage an.
▶ Ersatzpräparate. Ersatzpräparate zur Augmentierung sind der 5-HT1A-Agonist Buspiron (15–
30 mg) und der β-Blocker Pindolol (5–15 mg) bei
primärer SSRI- oder SNRI-Gabe.
▶ Stufe VI, MAO-Hemmer. Für den Einsatz von
MAO-Hemmern bei therapieresistenten Depressionen liegen Erfahrungen nur für die traditionellen,
nicht reversiblen und nicht selektiven MAOI, wie
etwa Tranylcypromin, vor [37]. Für die Besonderheiten, die es bei dem Einsatz dieser Substanz zu
beachten gilt, siehe Kap. 17.3.10.
17
322
17.7 Sonderfälle
17.7.1 Schwere depressive
Störung mit psychotischen
Symptomen
Klassische depressive Wahnformen sind der Verarmungswahn, der Schuldwahn, der hypochondrische Wahn und der Beziehungswahn, sofern dessen Inhalte zu der depressiven Verstimmung passen (sog. synthymer Wahn).
In zahlreichen, wenngleich häufig unkontrollierten Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass
bei wahnhaft depressiven Patienten die sonst anzustrebende Monotherapie mit Antidepressiva der
Kombinationsbehandlung von Antidepressiva mit
Antipsychotika unterlegen ist [17]. Früher kamen
in erster Linie trizyklische Antidepressiva (z. B.
Amitriptylin, Imipramin, Clomipramin) in Kombination mit hochpotenten (z. B. Haloperidol 5–
10 mg/d) oder mittelpotenten (z. B. Perazin 100–
300 mg/d) Antipsychotika zum Einsatz. Die Gabe
von niederpotenten Antipsychotika ist zu vermeiden, da deren Nebenwirkungen die der trizyklischen Antidepressiva wesentlich verstärken können.
Heute werden verstärkt moderne Antidepressiva in Kombination mit atypischen Antipsychotika
eingesetzt, z. B. Citalopram (40–60 mg/d; Escitalopram 20–30 mg/d) oder Venlafaxin (150–300 mg/
d) in Kombination mit Olanzapin (10–15 mg/d),
Risperidon (2–4 mg/d) oder Quetiapin (150–
600 mg/d). Die Datenlage über die Frage, ob die Rezidivprophylaxe in Form einer Kombinationsbehandlung (Antidepressivum und Antipsychotikum) oder nach einer Konsolidierungsphase monotherapeutisch antidepressiv erfolgen soll, ist gegenwärtig noch unzureichend [12], sodass im Einzelfall individuell entschieden werden muss.
Nur die Elektrokrampftherapie (EKT) ist bei
wahnhaften Depressionen der Kombinationsbehandlung mit Antipsychotika überlegen [17].
17.7.2 Dysthymia
Während traditionelle Konzepte zur Behandlung
der Dysthymia hauptsächlich auf psychotherapeutischen Verfahren basieren, konnten klinische Studien der vergangenen 2 Jahrzehnte eine Wirksamkeit von Antidepressiva zeigen. Trotz einer Reihe
von Kritikpunkten, die u. a. methodische Gesichtspunkte, den chronischen Verlauf der Erkrankung
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nen signifikanten Unterschied zu Plazebo fand.
Fast alle Untersucher betonen den raschen, häufig
schon innerhalb der ersten 48 h feststellbaren therapeutischen Effekt der Lithiumzugabe. Meist wird
mit einer Dosis von 450 mg Lithiumcarbonat begonnen. Nach einer Serumspiegelbestimmung am
4. Behandlungstag erfolgt eine Dosisanpassung (linearer Zusammenhang), wobei der für die Rezidivprophylaxe übliche Serumspiegel von 0,6–
0,8 mmol/l angestrebt wird. Wenn nach 2–4 Wochen keine eindeutige Besserung feststellbar ist,
kann die Behandlung abgebrochen werden, da
nach diesem Zeitpunkt wahrscheinlich kein Effekt
mehr zu erwarten ist.
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