buddhismus im westen - Tibetisches Zentrum

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BUDDHISMUS IM WESTEN
Interview mit Oliver Petersen, Carola Roloff, Christof Spitz
aus Anlass ihres 30-jährigen Jubiläums im Tibetischen Zentrum Hamburg im
April 2010
von Christine Rackuff und Birgit Stratmann
Frage: Ihr seid jetzt rund 30 Jahre
im Tibetischen Zentrum, das seit 1977
besteht und dass ihr maßgeblich mit aufgebaut habt.Wenn wir heute auf diese
30 Jahre zurückblicken, wo seht Ihr den Erfolg Eurer Arbeit? Was habt Ihr
erreicht?
Christof: Wir haben daran mitgewirkt, den Buddhismus interessierten Menschen hier
zugänglich zu machen. Dazu waren viele Rahmenbedingungen nötig: Theoretische
Grundlagen, es war nötig, die Lehren, die Inhalte aus dem Tibetischen zu übersetzen,
sowie materiellen Bedingungen, dass überhaupt ein Gesche hier unterrichten und
Schülerinnen und Schüler hier leben konnten.
Oliver: Unsere Stärke war sicherlich auch, dass wir diese Aufgabe seriös gemacht haben,
so dass der Buddhismus sich hier nachhaltig verankern konnte. Ich glaube, dieser Erfolg
ist sowohl der langen Zeit zu verdanken, die Geshe Thubten hier gewirkt hat, wie auch
den Schülern, welche die ganze Zeit über dabeigeblieben sind. Es war schon ein
Glücksfall, dass sich über so lange Jahre eine relativ stabile Struktur erhalten hat.
Ich hätte damals nie gedacht, dass der Buddhismus einmal so stark in die
Gesellschaft hineinwirken würde. Dass mittlerweile der Dalai Lama auch bei uns eine
solche Bedeutung erlangt hat und dass der Buddhismus auf alle möglichen Bereiche wie
Naturwissenschaften,
Neurowissenschaften,
Psychotherapie,
Physik
und
Pädagogik
ausstrahlt, hätte ich vor 30 Jahren nicht erwartet.
Christof: Die Tatsache, dass S.H. der Dalai Lama die Schirmherrschaft über das Zentrum
übernommen hat, ist auch ein wichtiger Punkt in unserer Entwicklung. Dadurch ist er
nicht nur mit seinem Namen mit uns verbunden, sondern es zeigt auch, dass wir bei ihm
und den Tibetern im Exil ein hohes Ansehen genießen.
Carola: Ich sehe an erster Stelle das Meditationshaus und das Studienzentrum, diese
beiden Pfeiler, als große Errungenschaft an, aber auch, dass wir von Anfang an ständig in
Kontakt mit der Gesellschaft geblieben sind. Geshe-la hat zur Zeit, als wir noch alle
ordiniert waren, großen Wert darauf gelegt, dass wir die Verbindung zu unseren Familien
halten und dass sie mit einbezogen werden. Ich denke, dass wir auch durch die
Flüchtlingshilfe, durch den direkten Kontakt zu den Tibetern, ein ziemlich realistisches
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Bild davon bekommen haben, dass Tibeter nicht alle Heilige sind, sondern ganz normale
Menschen wie du und ich. Diese Erfahrung hat uns eine gewisse Bodenständigkeit
gegeben.
Frage: Das Tibetische Zentrum hat in den mehr als 30 Jahren seines Bestehens
Wegweisendes geleistet. Gibt es Dinge, die dabei auf der Strecke geblieben sind
bei Euch selbst oder für das Zentrum?
Christof: Mit welchen Maßstäben messe ich Erfolg oder Misserfolg meines Lebens? Das
ist nicht so einfach zu beantworten. Ich bin nach Hamburg gekommen, um an der
Universität zu studieren, habe es aber nie geschafft, einen Abschluss zu machen. Das
könnte ich als mein persönliches Scheitern betrachten. Doch andererseits denke ich, es
war nicht anders möglich, weil ich auch mit den tibetischen Lehrern studieren wollte und
es mir am Herzen lag, das Tibetische Zentrum aufzubauen.
Frage: Vielleicht haben gerade andere davon profitiert, dass Ihr Eure eigenen
Wünsche zurückgestellt habt.
Christof: Das mag so sein. Für mich ist das Tibetische Zentrum immer noch ein Prozess,
der sich ständig weiter entwickelt. Ich habe überhaupt nicht das Gefühl, dass die Arbeit
jetzt erledigt ist. Wenn wir zurückblicken und sehen, wie viel wir schon geleistet haben,
dann könnten wir ja sagen, gut, das reicht jetzt. Aber es gibt so vieles, was man noch
tun könnte, für das Tibetische Zentrum und auch persönlich, dass man denkt, dies oder
jenes möchte ich noch tiefer studieren oder praktizieren, ich möchte noch hinzulernen,
Erfahrungen machen...
Wir haben früher hier in einer Gemeinschaft gelebt, haben jahrelang zusammen
studiert. Dieser Zusammenhalt hat es möglich gemacht, dass wir das Studium entwickeln
und all die verschiedenen Aktivitäten realisieren konnten. Der Buddhismus ist in seiner
Geschichte immer in Klöstern gelehrt, gelernt und praktiziert worden. Die Klöster waren
die Zellen, der Garant für den Bestand des Buddhismus. Können wir das hier im Westen
in der gleichen Form übernehmen? Wollen wir das überhaupt? Oder müssen wir einfach
sagen, das geht nicht und nach anderen Lebensformen suchen? Sollen Menschen
zusammenleben um zu studieren, wie wir das hier eine Zeitlang gemacht haben? Oder
geht es auch „ambulant“ wie bei den Studenten, die zur Universität gehen? Welche
Formen können, ja müssen sich entwickeln, wenn das Erreichte auch in die Zukunft
weiterwirken soll?
Dann ist da die Frage nach der Ausbildung westlicher Buddhismus-Lehrerinnen
und -Lehrer. Wie sieht die Ausbildung von Menschen hier im Westen aus, die den
Buddhismus intensiver studieren? Ein Geshe absolviert sein Studium über zwanzig Jahre
in einem Kloster. Kann man so etwas hier im Westen machen? Hierauf Antworten zu
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finden, halte ich für lebenswichtig für das Tibetische Zentrum wie auch für den
Buddhismus im Westen insgesamt.
Oliver: Dass sich der Buddhismus hier im Westen nicht über Klöster ausbreitet, sondern
über Zentren, ist etwas völlig Neues. So ist es auch nicht überraschend, dass man selbst
nach 30 Jahren immer noch nicht verbindlich sagen kann, welche Auswirkungen das
haben wird.
Je länger ich hier arbeite und den Buddhismus praktiziere, um so häufiger frage
ich mich: Habe ich das innerlich eigentlich schon so realisiert, wie ich es nach außen
trage? Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir noch mehr nach innen gehen. Und
wenn ich etwas vermisst habe, dann längere Perioden, in denen ich nicht ständig auf
andere Leute eingehen und eine Rolle spielen musste.
Wir haben viel Energie und Kraft in das Tibetische Zentrum gesteckt, um
Menschen den Zugang zum Dharma zu ermöglichen und sie zu inspirieren. Ich empfinde
es oft als Druck, morgens aufzustehen und zu wissen: Am Abend ist eine Veranstaltung,
und ich muss topfit sein. Manchmal habe ich das Bedürfnis, den Tag in Ruhe fließen zu
lassen, zu meditieren, einfach zu sein. Aber das geht nicht, weil ich mich schon
konzeptuell mit den Vorbereitungen beschäftigen muss. Was zu kurz kam und wonach ich
ein bisschen Sehnsucht habe, ist das, was viele mit dem Buddhismus verbinden: Stille,
innere Ruhe, Sammlung.
Carola: Ich habe mich manchmal gefragt, ob meine Entscheidung richtig war, nicht mehr
Kraft in den Aufbau einer Ordensgemeinschaft zu stecken. Nicht, dass ich bereue, was ich
gemacht habe, aber ich sehe, einen Nonnenorden aufzubauen, erfordert einfach auch
Präsenz. Das kann man nicht mal so nebenbei machen. Und es ist nicht damit getan,
irgendwo in einem Haus zusammen zu wohnen. Man muss an der Gemeinschaft arbeiten,
und diese Arbeit kostet Zeit.
Wir haben unsere Zeit dem Aufbau des Zentrums gewidmet. Ich hatte immer
geglaubt, dass am Ende auch ein Kloster dabei herauskäme. Das ist halt nicht
geschehen. Da ist schon ein bisschen Wehmut.
Ein anderes Manko sind die Rituale. Geshe Thubten hat immer wieder versucht,
uns Ordinierten die vollständigen Rituale für die verschiedenen Anlässe beizubringen.
Aber das hätte sehr viel Zeit erfordert, und wir waren ständig mit dem wirtschaftlichen
Überleben des Zentrums und den verschiedenen Aktivitäten des Vereins und unseren
Studien beschäftigt. Wenn wir heute gebeten werden, Pūjas für jemanden zu machen,
geben wir diese Bitte oft nach Indien weiter, weil wir sie hier schwer erfüllen können. Das
finde ich schade.
Ich denke auch, dass wir manchmal zu sehr in Richtung Dienstleistungsbetrieb
gegangen sind. Wichtig war nicht in erster Linie, dass alle sich engagieren, sondern der
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Verein erhob Gebühren und die Teilnehmer hatten einen Anspruch auf „Leistungen“. Ich
kann kein anderes Konzept aus dem Ärmel schütteln, aber ideal ist das sicher nicht. Ich
fürchte auch, dass durch die vielen Aktivitäten zu viel Zeit in die Arbeit, in die berufliche
Tätigkeit fließt und für das Miteinander, die Gemeinschaft nicht genug Zeit bleibt.
Frage: Ist das wirklich ein Zeitproblem oder eher ein Problem unserer
westlichen Welt? Wir leben in einer Kultur, in der Individualismus als oberstes
Gebot gilt, jeder will frei sein und selbst bestimmen. Liegt es nicht eher daran,
dass der Buddhismus im Westen einfach andere Züge trägt?
Oliver: Das Problem besteht überall, in den Kirchen ist die Gemeinschaftsbildung
genauso schwer. Selbst in den Sportvereinen ist es so. Alle Institutionen haben diese
Probleme mit echter Gemeinschaftsbildung. Umso größer ist dann das Bedürfnis der
Menschen, die hierher kommen und erwarten, in eine Gemeinschaft aufgenommen zu
werden. Vielleicht sollten wir das noch stärker berücksichtigen.
Christof: An dieser Diskussion sieht man, dass mit der Entwicklung des Buddhismus
hierzulande sehr viele Fragen und unterschiedliche Erwartungen verbunden sind. Einige
Menschen wollen tiefere spirituelle Erfahrungen machen, einzelne sogar als Mönche und
Nonnen oder als Yogi-Anwärter. Andere möchten gerne den Buddhismus positiv in ihr
gesellschaftliches Leben einbringen. Wieder andere wollen den Dharma in Familie und
Alltag integrieren – da gibt es eine riesige Bandbreite von Erwartungen und Bedürfnissen.
Geshe Thubten hatte das Ziel, erst einmal eine stabile Grundlage zu schaffen, um
den Buddhismus in Europa zu verankern. Wenn das von Menschen gemacht wird, die
keine Ahnung vom Buddhismus haben, dann kann das alle möglichen Blüten treiben.
Deshalb war es nötig, zuerst einmal ein gutes Fundament zu legen. Die wesentliche
Aufgabe heute, nach 30 Jahren Grundlagenarbeit, ist nun, wie wir alles in eine Form
bringen und weiterentwickeln können.
Frage: Da drängt sich natürlich die Frage auf, welche Form der westliche
Buddhismus annehmen kann? Welche typischen Ausprägungen zeigt er?
Carola: Gibt es überhaupt einen ‚westlichen Buddhismus’? Gibt es einen ‚Tibetischen
Buddhismus’?
Frage: Der Dalai Lama sagt, der Buddhismus ändere seine Form, je nachdem in welche
Kultur er kommt. In Tibet hat er eine andere Form als in Burma oder im Westen.
Carola: Aber wir müssen uns über den theoretischen Ansatz klar sein. Es ist schon ein
Unterschied, ob man sagt, es gibt mehrere Buddhismen, oder ob man sagt, es handelt
sich um eine einzige Tradition, die, je nach kulturellen Umständen, verschiedene
Ausprägungen entwickelt hat, aber es bleibt trotz aller Verzweigungen immer der eine
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Buddhismus. Vor kurzem sah ich eine Sendung über ein koreanisches Fernsehteam, das
in Europa unterwegs war und eine Reportage über europäischen Buddhismus drehte.
Offenbar geht man in Korea davon aus, dass es das Phänomen ‚Europäischer
Buddhismus’ gibt.
Oliver: Wir sollten generell von ‚Buddhismus im Westen’ sprechen und nicht von
‚westlichem Buddhismus’.
Christof: Ja, ich würde auch nur vom Buddhismus im Westen sprechen. Es gibt ja nur
zwei Möglichkeiten. Entweder es gibt keinen Buddhismus im Westen, und wir waren nur
eine nette Episode von 40 oder 50 Jahren in seiner 2500jährigen Geschichte, oder aber
der Buddhismus wird hier im Westen bestehen bleiben. Und dann wird er irgendeine
Form annehmen, ob ich das nun will oder nicht. Die spannende Frage ist ja: Will ich diese
Entwicklung in eine bestimmte Richtung hin aktiv fördern, oder will ich abwarten und
schauen, was sich von allein entwickelt und mich dann fragen, ob mir das gefällt? Das
Zentrum hat im Rahmen seiner Möglichkeiten versucht mitzugestalten, aber viele Fragen
sind noch lange nicht beantwortet, und es zeichnet sich noch kein klarer Weg ab.
Eine wichtige Frage betrifft die Zusammenarbeit mit der Universität. Wir könnten
uns hier weitgehend auf uns selbst zurückziehen. Wir haben im Tibetischen Buddhismus
genügend Methoden der Geistesschulung. Für die buddhistische Praxis brauchen wir nicht
unbedingt universitäre Forschung. Inwieweit wollen wir aber unsere Praxis und die
Vermittlung des Dharma auf eine Grundlage stellen, die in den akademischen Bereich
hineinreicht? Wollen wir das vom Tibetischen Zentrum aus aktiv betreiben?
Auch die Frage nach dem sozialen Engagement stellt sich für uns. Der Dalai Lama
hat uns zum 30jährigen Jubiläum gesagt, dass wir versuchen sollten, mehr sozial zu
wirken. Das ist eine gewaltige Aufgabe für Buddhisten, die im Westen nur minimal
geleistet wird. Wenn man unser Engagement mit dem christlicher Kirchen vergleicht, wie
der Diakonie zum Beispiel, da geht es bei uns gegen Null.
Carola: Das Problem ist, dass wir die ganze Zeit schon Weichen stellen. Im Sinne von
Ursache und Wirkung ist uns bewusst, dass wir jeden Tag mit Körper, Sprache und Geist
Ursachen für zukünftige Wirkungen setzen, egal wie bewusst oder unbewusst das in
Bezug auf die Etablierung des Buddhismus im Westen ablaufen mag.
Wer kümmert sich um die Klosterfrage? Wer darum, ob man den Tibetischen
Kanon Kangyur [die Worte des Buddha] und Tangyur [die Kommentare indischer
Meister] ins Deutsche übersetzt oder sich damit zufrieden gibt, dass er im Laufe der
nächsten hundert Jahre ins Englische übersetzt wird? Wer stellt eine Auswahl von Texten
zusammen, die wir auf jeden Fall ins Deutsche übertragen sollten? Wer kümmert sich
darum? Und wer macht es dann? Den Pālikanon zum Beispiel gibt es auf Deutsch, ins
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Tibetische aber ist er nie übersetzt worden. Dass wir diese Schriften haben, prägt
natürlich unseren Buddhismus hier im Westen. Auch der tibetische Buddhismus verändert
sich dadurch.
Im Moment läuft es so, dass es mit Zielsprache Englisch schon Riesenprojekte
gibt, in die wir überhaupt nicht eingebunden sind. Das hat Auswirkungen. Es gibt große
Verlagshäuser wie Wisdom Publications, die Klassiker übersetzen, Kommentare großer
Meister. Aber natürlich findet dort eine Selektion statt. Uns wann immer man selektiert,
wird auch die Interpretation des Buddhismus selektiv ausfallen.
Dafür werden jetzt die Weichen gestellt. Welche Autoren lesen wir? Mit welchen
beschäftigen wir uns näher? In welcher Form gehen wir sie an? Wie gehen wir mit den
verschiedenen Schulen des Buddhismus um? Wo wollen wir hin? Welche Zielsetzung
haben wir? Ich würde mir im Rahmen des Zentrums eine Konferenz wünschen, auf der
sich fähige Leute, die entsprechendes Wissen mitbringen, zusammensetzen und sich
gemeinsam Gedanken über solche Fragen machen. Direkt auf das Zentrum bezogen
müssen wir uns fragen, inwieweit wir zum Erhalt des Buddhismus beitragen wollen, und
was wir überhaupt einbringen können?
Oliver: Grundsätzlich finde ich es beachtenswert, dass wir uns überhaupt diese Fragen
stellen. Das Tibetische Zentrum war in seinen Anfängen meiner Wahrnehmung nach eher
orthodox ausgerichtet, man stellte sich gar nicht die Frage, ob der Buddhismus im
Westen irgendwie anders sein sollte. Es hieß gewöhnlich: Hass, Gier und Unwissenheit
sind immer die gleichen. Der Buddhismus hat Mittel, diese zu bekämpfen.
Und auch wir als junge Leute, wir mussten zuerst lernen, was überhaupt
Tibetischer Buddhismus ist. jetzt stellen wir uns Fragen, die weiter reichen. Einerseits
verbindet uns alle ein großer Respekt vor der Tradition, andererseits finde ich, dass es
durchaus eine heilsame Entwicklung ist, dass wir das Thema West-Ost und die Frage ‚Ist
der Buddhismus ein kulturelles Phänomen?’ jetzt stärker fokussieren.
Zum Thema Buddhismus im Westen denke ich zum Beispiel an die viel größere
Rolle, die Frauen im Buddhismus einnehmen. Auch die Rolle der Laien ist eine andere, die
Entwicklung läuft nicht ausschließlich über Ordinierte. Hier gibt es westliche Lehrerinnen
und Lehrer, die keine Mönche oder Nonnen sind und Seite an Seite mit asiatischen
Lehrern leben. Das ist auch eine neue Entwicklung.
Der Austausch mit der Wissenschaft, den der Dalai Lama ja stark vorantreibt,
wurde schon genannt. Speziell in den Neurowissenschaften hat sich in letzter Zeit ja
einiges getan. Vor zehn Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass sich ein
ernsthafter Wissenschaftler mit einem buddhistischen Mönch beschäftigt und Geist und
Gehirn vergleicht. Weiter arbeiten wir zurzeit an der Verbesserung unserer Didaktik.
Dabei versuchen wir, die Inhalte des Studiums so aufzubereiten, dass wir traditionelle
Elemente und westliche Methoden miteinander verbinden.
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Wir müssen aber auch über die Gefahren sprechen. Eine Gefahr ist, dass der
Buddhismus zu einer Art Wellness wird. Der Buddhismus als Erlösungsreligion ist in
Gefahr! Allein das Daseinsrad zu erklären, braucht schon Mut. Es ist viel einfacher,
allgemein über Geistesschulung, Meditation und Achtsamkeit zu reden, als den
Erlösungshintergrund zu erläutern. Über Karma und Wiedergeburt zu sprechen ist meiner
Erfahrung nach leichter, viele können damit etwas anfangen, weil sie sich diese
existenziellen Fragen selbst stellen. Aber wenn man Nirvana und die Befreiung vom
Leiden anspricht, womit ja unser gesamtes weltliches Leben in Frage gestellt wird, dann
kann das schon große Befremdung auslösen.
Dann werden heute in Wirtschaft und Werbung Buddha-Statuen verwendet. Das
ist eine Art Degeneration, auch wenn man sich eigentlich darüber freuen könnte. Es ist
ein schleichender Prozess im Gange, den wir zumindest beobachten müssen. Der
Buddhismus wird in einen Kontext gestellt, als ob es sich dabei um eine Art Wellness, um
ein bloßes Sich-Wohlfühlen handelte. Ich habe persönlich nichts gegen Wohlfühlen, aber
es kann den Buddhismus als Erlösungsreligion in seinen Grundfesten unterspülen. DEr
Ursprung des Buddhismus ist eindeutig auf Erlösung gerichtet. Die Mönche und Nonnen
haben sich nur mit Erlösung beschäftigt, noch nicht einmal mit Karma. Das hat sich doch
sehr gewandelt hier.
Carola: Ich finde einen Blick in die Geschichte hilfreich. Früher sind in Tibet
buddhistische Zentren oder Klöster dort entstanden, wo starke Lehrer und gute
Übersetzer wirkten. Wenn jemand Experte für Erkenntnistheorie war, sind alle dort hin
gegangen, wo diese Person Unterweisungen gegeben hat. Für andere Themen ging man
zu jemand anderem. Erst im 14. und 15. Jahrhundert haben sich einzelne Schulen
herausgebildet und voneinander abgegrenzt.
Oliver: Das Merkmal der Moderne ist doch, dass wir nicht in einer einzigen Tradition
aufwachsen, sondern dass wir einen kulturellen Hintergrund von auch relativierenden
Vorstellungen haben. Aus meiner Sicht ist es aber auch eine Entwicklung des
Bewusstseins, dass man erkennt, dass eine Religion selber ein kulturelles Konstrukt ist,
was nicht gegen die Tradition spricht.
Der Buddha hat selber gesagt: „Meine Lehre ist ein Floß zum anderen Ufer.“ Es ist
nicht etwas von oben Herabgesenktes, das fertig ist und unveränderlich, sondern es
entwickelt sich mit der kulturellen Entwicklung und mit dem Bewusstsein der Menschen,
ja sogar mit seinem Gehirn. Das können wir heute erkennen. Das schafft aber
gleichzeitig eine Verunsicherung, denn wir wachsen nicht in einer uns vertrauten,
angestammten Tradition auf, die wir von der Wiege bis zur Bahre kennen und pflegen.
Das muss man zu ertragen lernen.
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Andererseits ist es eine große Chance, den Buddhismus im Zusammenhang mit all
diesen anderen, auch konkurrierenden Weltbildern zu sehen. Hier eine Synthese
herbeizuführen, das ist heute sehr wichtig. Es ist ein Merkmal des modernen
Buddhismus, dass sich jeder Buddhist mit dem Wissen auseinandersetzen muss, dass es
auch anderes gibt, das seine Lehre relativiert.
Carola: Das geschieht überall. In Ländern wie Korea, Taiwan und Thailand kommen
plötzlich Bücher vom Dalai Lama oder von Tenzin Palmo auf den Markt. Das heißt, der
Buddhismus verändert sich auch global.
Ein Beispiel dafür ist die Frauenfrage. Wenn sich der Westen jetzt positioniert und
diese Art chauvinistischen Umgang mit Frauen ablehnt, wie er damals vielleicht im
Frühbuddhismus vor dem sozialen und politischen Hintergrund in Indien nachvollziehbar
war, dann finde ich das richtig. In dieser Hinsicht kann man heute deutliche Signale
setzen und sagen: Diskriminierung passt nicht mehr in unsere Zeit und Gesellschaft.
Dann würden die Errungenschaften, die wir hier im Westen haben, auch in die Art und
Weise einfließen, wie wir Buddhismus üben, so dass eine gegenseitige Bereicherung
stattfinden kann.
Frage: Wenn Ihr ein Bild des Buddhismus im Westen malen solltet, dann gibt es
Inhalte und Formen. Wie sähe dieses Bild aus? Wären die Inhalte die gleichen,
die wir im Tibetischen Buddhismus lernen? Gäbe es eine andere Form?
Oliver: Die Organisationen, die den Buddhismus weitertragen, müssen nach westlichen
Maßstäben organisiert werden. Westliche Zentren wird man nicht mehr so führen
können, wie es bei Klöstern traditionell üblich war.
Dabei wird es nach wie vor eine enge Beziehung zwischen Lehrer und Schüler
geben müssen, wenn man sich geistig entwickeln möchte. Aber die Beziehung muss
mehr in Richtung Freundschaft gehen, nicht so sehr äußerlich praktizierte Hierarchie sein,
die fast schon mit Machtstrukturen einherkommt.
Was die Struktur westlicher Menschen angeht – jetzt gehen wir mehr ins
Psychologische – so glaube ich, dass sie psychisch so instabil sind, dass die traditionelle
Form der Lehrer-Schüler-Beziehung hier nicht funktionieren kann, dass also die Schüler
nie gelobt werden, fast gar keine Unterstützung erfahren, dass immer nur etwas von
ihnen erwartet wird. Ob einem das gefällt oder nicht, die Menschen hier brauchen sehr
viel psychische Unterstützung, auch in Form von Therapie.
Christof: Der Dalai Lama sagt immer wieder, das der Begriff ‚Buddhismus’ viele
verschiedene Aspekte hat: Buddhismus als Wissenschaft, Buddhismus als Konzept oder
Weltanschauung, als Religion oder als Philosophie.
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Nehmen wir die Neurowissenschaften Auf den Mind & Life-Konferenzen, wo
Wissenschaftler und Buddhisten sich ausauschen, wird nicht über Wiedergeburt, Karma
oder Nirvana gesprochen. Das ist überhaupt kein Thema, weil es hier um ganze andere
Gebiete geht wie die Verbindung zwischen Gehirn und Bewusstsein. Hier kann der
Buddhismus als Gesprächspartner für die Wissenschaften.
Der Dalai Lama betont, wie wichtig es ist, philosophische Werke zu übersetzen
und allgemein zugänglich zu machen, um zum Beispiel mit westlichen Philosophen
sprechen zu können. Da geht es nicht um die religiöse Praxis. Darüber hinaus wissen wir
auch, dass der Buddhismus, wenn er in seiner Spiritualität erhalten werden soll,
spirituelle Erfahrungen braucht. Dafür muss es Menschen geben, die vielleicht in einer
Gemeinschaft gemeinsam praktizieren, eventuell auch Klostergemeinschaften. Es braucht
Menschen, die sich ins Retreat zurückziehen und Erfahrungen machen. Natürlich wollen
wir auch den Menschen hier helfen, sei es durch soziales Engagement auf der Grundlage
buddhistischer Werte, oder durch Lebenshilfe wie Seelsorge, wenn es sich nicht um
Buddhisten handelt.
Dann gibt es die Fragen, die sich aus der buddhistischen Sichtweise der
Wirklichkeit ergeben: Wie ich sie auf die Geistesschulung anwende, was sie für meine
Lebensführung bedeutet. Mein Ziel wäre, diese verschiedenen Bereiche weiter zu
verfolgen. Ich glaube, das stimmt auch mit der ursprünglichen Zielsetzung bei der
Gründung des Zentrums überein – und es war das Ziel von Geshe Thubten.
Frage: Was kann speziell das Tibetische Zentrum Hamburg dazu beitragen,
diese Fülle von Ideen und Anregungen, die gerade angesprochen wurden, zu
bündeln und zu konkretisieren?
Christof: Geshe Thubten hatte die klare Ausrichtung, dass es dem Zentrum nicht nur
darum geht, die Theorie zu vermitteln, sondern auch Menschen zu ermöglichen, den
Buddhismus zu praktizieren. Er hat immer gesagt, in dieser Komplexität sei es schwer
alle diese Bereiche abzudecken und zu bewältigen. Deshalb hat er vorgeschlagen, dass es
im Tibetischen Zentrum verschiedene Aufgabenbereiche mit jeweils unteschiedlichen
Schwerpunkten geben soll – Meditationspraxis, Orden, Austausch usw.
Viele, die zu uns kommen, suchen Orientierung. Sie sind kaum daran interessiert
zu diskutieren, wie sich der Buddhismus hier im Westen präsentiert. Deshalb finde ich es
wichtig, die Spiritualität auf eine praktische Art und Weise aufrecht zu erhalten, deshalb
wollen wir auch diese Retreathäuser bauen als spirituellen Kern. Aber wir versuchen
auch, Angebote für Menschen zu machen, die mehr Lebenshilfe suchen, oder Angebote
für einen Austausch auf akademischer Basis – wir haben in diesem Jahr zum Beispiel Jay
Garfield eingeladen. Das ist für mich kein Beiwerk, sondern es sind Meilensteine in
unserer Entwicklung.
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Carola: Ich meine, dass es auch im Westen die vier Gemeinschaften von Nachfolgern
des Buddha geben sollte – die vollordinierten Mönche und Nonnen sowie die männlichen
und weiblichen Laien – auch wenn im Westen wenige den zölibatären Weg als Mönch
oder Nonne gehen werden. Das theoretische Fundament für die Gleichstellung der
Geschlechter ist jedenfalls gegeben. Es muss nur stärker an die Oberfläche geholt
werden. Wir dürfen uns nicht so sehr von kulturellen Prägungen beeinflussen lassen, wir
müssen wieder zurück zu den Quellen gehen.
Zu den Inhalten klang vorhin an, dass wir auf der einen Seite die Erlösungslehre
haben. Da gebe ich Oliver Recht, dass der ursprüngliche Sinn des Buddhismus darin
besteht, dem Menschen einen Weg zur Erlösung aus dem Daseinskreislauf aufzuzeigen.
Auf der anderen Seite gibt es – und es hat sie in der Geschichte des Buddhismus immer
gegeben – die konkreten menschlichen Bedürfnisse. Darauf muss man auch eingehen
und den Menscchen auf den verschiedenen Stationen seines Lebens, Heirat, Krankheit,
Alter, Tod, begleiten.
Wir als Westler neigen eher dazu, chronologisch vorzugehen und zu schauen, was
der Buddha selbst dazu gesagt hat. Das heißt aber nicht, dass alle späteren Aussagen
bedeutungslos wären, denn es ist ja eine Weiterentwicklung, die auch zum besseren
Verständnis beitragen kann. Ich denke, wenn wir zum Erhalt der Lehre beitragen wollen,
ist es unabdingbar, dass wir an die Quellen gehen und prüfen, was steht dort wirklich,
und dann schauen, wie es später interpretiert worden ist.
Frage: Es geht also einerseits darum, den Buddhismus möglichst authentisch zu
erhalten, ihn auf der anderen Seite aber auch den Bedürfnissen zu öffnen, die heute an
ihn herangetragen werden.
Oliver: Die Frage ist, ob es so etwas wie einen authentischen Buddhismus überhaupt
gibt. Schon der erste Schüler, der den Buddha gehört hat, hat ihn auf seine Weise
ausgelegt. Es ist im Buddhismus eigentlich auch nicht das Prinzipzu sagen, was am
Anfang war, das ist perfekt und seit dem ist es eher schlechter geworden.
Manche denken, authentisch sei die Basis einer Lehre, die an sich perfekt ist. Aber
eigentlich alle Theologen, auch im Islam und im Christentum, lehnen ab, dass eine Art
Urlehre existiert, die perfekt ist. Das ist krasser Fundamentalismus. Das größte Gut, das
wir als Buddhisten unserer Gesellschaft offenbar überliefern können, ist momentan
Meditationsschulung. Da müssen wir vielleicht auch einen Rückzug machen, es geht eben
nicht immer gleich um buddhistische Erlösungslehre.
Wir sehen: Das, was die Menschen im Westen brauchen, sind Methoden, wie sie
den Geist führen und mehr inneres Glück verwirklichen können. Das kann man sogar mit
Inhalten üben, die nicht speziell buddhistisch sind, wie Mitgefühl. Ich glaube, das ist der
größte Schatz, den wir der Gesellschaft momentan geben können. Darüber hinaus
versuchen wir auf all den anderen Ebenen, das Traditionelle zu erhalten.
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Frage: Was möchtet Ihr für Euch persönlich in den nächsten zwanzig, dreißig
Jahren erreichen?
Carola: Ich würde gern meine Nachforschungen zur Nonnenordination zu Ende bringen,
zumindest ein theoretisches Fundament legen für zukünftige Generationen, wenn man
wirklich einmal einen Orden oder ein Kloster hier in Deutschland gründen wollte. Dann
würde ich gern meine eigene Praxis stabilisieren, mehr Zeit der Meditation widmen. Ich
möchte auch konkret einen Beitrag leisten zum Thema der Rezeption des Buddhismus im
Westen, wie man ihn, ohne die Tiefe der Lehre zu verlieren, unseren Bedürfnissen
entsprechend am besten vermitteln kann.
Dabei ist es wichtig, über das Vokabular des Buddhismus nachzudenken, ein
‚Buddhistisches Wörterbuch’ zu erstellen zum Beispiel. Wenn ich Bücher zur Hand nehme
von Übersetzern, die weitgehend unbekannt sind, fällt auf: Sie jonglieren mit Begriffen,
so dass ich immer überlegen muss, was denn eigentlich gemeint ist. Für ein und
denselben buddhistischen Begriff benutzt jeder eine andere Übersetzung. Da brauchen
wir dringend einen einheitlichen Sprachgebrauch. Aber das würde erfordern, dass man
sich mit anderen Buddhisten zusammen tut, sich koordiniert und solche Projekte
gemeinsam angeht. Deshalb glaube ich, dass eine Zusammenarbeit zwischen den
Traditionen sehr hilfreich sein könnte. Ich denke, dass in dieser Richtung noch viel zu tun
ist.
Christof: Mein Ziel von Anfang an war es – deshalb ich zum Buddhismus und schließlich
hierher gekommen –, buddhistische Themen für mich zu begreifen, damit ich die Dinge
besser verstehe, die mein eigenes Leben und die Fragen des Lebens allgemein betreffen,
und dass ich besser damit umgehen kann.
Eine Tradition zu bewahren, muss nicht unbedingt heißen, einen authentischen
Buddhismus zu finden, sondern die Einsichten, die der Buddha und die die großen Meister
nach dem Buddha hatten, nachvollziehbar zu machen. Ich habe versucht, einen großen
Teil daran mitzuwirken, indem ich mit meinen bescheidenen Fähigkeiten versucht habe
zu übersetzen.
Für mich bedeutet das auch den Vergleich mit westlicher Philosophie, mit
westlichen Theorien; Vergleichsmöglichkeiten sind für mich immer ein gutes Mittel, um
das besser zu verstehen, mit dem ich mich beschäftige.
Ich möchte etwas lernen, mich anderen Wissensgebieten öffnen. Ein Bedürfnis,
das ich immer schon hatte, war zu schauen, ob es in den westlichen Traditionen Begriffe
gibt, um die buddhistischen Inhalte zu beschreiben. Meine Übersetzungen – ich nenne sie
meistens „Hopkinesisch“, es sind oft meine persönlichen Wortschöpfungen. Ich hege
große Bewunderung für Jeffrey Hopkins – seine Übersetzungen sind relativ wörtliche
Übertragungen des Tibetischen. Man müsste schauen, welche Konzepte es in der
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westlichen Philosophie gibt, die adäquat sind, um den Buddhismus auch in dieser
Sprache verständlich zu machen. Das ist etwas, was mich sehr interessiert.
Und natürlich möchte ich mehr Selbsterfahrungen machen und Selbsterkenntnisse
erlangen. Das ist ja das Ziel des Buddhismus. Und vielleicht ein bisschen mehr
meditieren können. Ich merke, dass ich jetzt nach 30 Jahren mit der Übersetzung an
einen Punkt gekommen bin, wo ich ein bisschen ermüdet bin. Leider ist das
Nachwuchsproblem noch nicht gelöst. Ich wünsche mir natürlich auch, dass wir Leute
finden, die das Zentrum in Zukunft mittragen, so dass es ein bisschen weniger Druck für
uns alle gibt gibt und ein bisschen mehr eigene Freiheit.
Oliver: Ich liebe meinen Beruf, und wenn ich die Kraft dazu habe, weiter den Dharma zu
vermitteln und Meditationskurse zu geben, dann würde mich das sehr befriedigen.
Ansonsten weiß ich, das Tibetische Zentrum zu erhalten und weiterzuentwickeln, ist dicke
Bretter bohren, ein Prozess, dessen Ende nicht abzusehen ist.
Ich erwarte nicht, dass es irgendwann mal perfekt wird. Ich erwarte auch keine
vollendete Harmonie unter allen Beteiligten oder dass wir in allen Bereichen alles richtig
machen. Solange dieses Schiff weiter fährt und leisten kann, was es die letzten mehr als
30 Jahre geleistet hat, dann wäre ich sehr zufrieden, wenn es so weiterginge.
Und für mich persönlich: Glück und innerer Frieden ist natürlich immer ein Ziel,
mehr von Organisatorischem befreit zu werden, das auch andere leisten können ohne
meinen Hintergrund, allgemein auch ein bisschen weniger konzeptuell eingespannt zu
sein. Man hat immer so viel im Kopf, was auch damit zusammenhängt, dass all diese
Projekte hier parallel laufen. Ich würde schon ganz gerne mal all diese Sachen für ein
paar Wochen völlig vergessen, aber das ist kaum möglich. Jede Woche, jedes
Wochenende bringt neue Kurse, neue Herausforderungen, neue Texte, neue Vorträge.
Das kann manchmal auch ein Gift sein für eine Vertiefung der Meditation, wenn man
nicht gerade im tibetischen Umland lebt, wo rundherum völlige Stille herrscht.
Ende des Interviews
Wie kamen sie ins Tibetische Zentrum
Carola Roloff:
Der stärkste Impuls kam von der Lektüre eines Buches über die Vier Wahrheiten. Schon
lange hatte ich mich gefragt, wie Leiden entsteht. Als Jugendliche war ich eine engagierte
Christin in einer protestantischen Gemeinde, fand darauf aber keine Antwort. Durch
dieses Buch über die Vier Wahrheiten stieß ich auf die Lehre von Karma – dass Leiden
nicht allein aus diesem Leben stammt, sondern auch aus früheren Leben herrühren kann.
Das war für mich die Entscheidung: Ich wollte Buddhistin werden! Ein Freund hat mich
1
dann mit ins Tibetische Zentrum genommen, damals noch in der Caprivistraße in
Hamburg-Blankenese. Dort bin ich Geshe Thubten Ngawang begegnet und habe am 8.
Juni 1980 Zuflucht genommen.
Christof Spitz:
Ich bin im Herbst 1979 nach Hamburg gekommen, um Tibetologie zu studieren. Ich hatte
schon länger Interesse am Tibetischen Buddhismus. Wie viele Westler damals war auch
ich auf der Suche nach nach Sinn, Orientierung, Bewusstseinserweiterung und neuen
Erfahrungen.
Ich weiß noch, dass ich einen Fernsehbericht über Tibet gesehen hatte, in dem der
Dalai Lama zu Wort kam. Er sagte, unsere Feinde seien unsere besten Freunde, weil sie
die einzigen seien, die uns Geduld lehren könnten. Das hat mich sehr berührt. Ich hatte
auch
das
Gefühl,
dass
es
keine
leeren
Worte
waren,
sondern
wirklich
seine
Lebenseinstellung.
Dann habe ich ein paar Bücher zum Buddhismus gelesen, über Lamrim zum
Beispiel, und schließlich kam der Wunsch auf, Tibetisch zu lernen. Da kamen nur die
Universitäten Hamburg oder Bonn in Frage. Da in Hamburg der Schwerpunkt auf
buddhistischer Philosophie lag, bin ich hierher gekommen.
In dem Jahr meiner Ankunft verstarb der damalige tibetische Lehrer, Geshe
Gendün Lodrö, der gerade eine Professur an der Hamburger Universität bekommen
sollte. Für ihn wurde im Tibetischen Zentrum ein Puja gemacht. Dadurch kam ich ins
Tibetische Zentrum und habe dann angefangen, mit Geshe Thubten Ngawang zu
studieren und bei ihm Tibetische zu lernen.
Oliver Petersen
Ich bin nicht sehr religiös erzogen worden. Doch als ich erwachsen wurde, kamen die
entsprechenden Bedürfnisse auf. Da ich mit einem persönlichen Gott nicht so viel
anfangen konnte, ging die Suche dann in Richtung
Buddhismus. Hinzu kamen
Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Geshe Thubten Ngawang. Er war für mich sehr
überzeugend, überhaupt faszinierte mich am Buddhismus, dass er kritische Überprüfung
zulässt..
Das stärkste Erlebnis war eine tiefe innere Freude, die ich verspürte, als ich
einfach mal ins Tibetische Zentrum in der Caprivistraße reingeschneit bin und
Unterweisungen gehört habe. Ich fühlte mich einfach zu Hause.
Bei der ersten Unterweisung damals habe ich nicht gleich alles verstanden. Doch
als ich danach nach Hause fuhr, fühlte ich eine starke Inspiration und Begeisterung.
Vielleicht hat es damit zu tun, dass etwas in einem ausgelöst wird, was tiefer liegt. Ich
kann es rational nicht erklären. Ich kann nur sagen, dass eine große Freude in mir war,
ich fuhr wie von Engelsschwingen getragen.
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