Seelsorge in Palliative Care

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Seelsorge in Palliative Care
Universitätsspital Zürich
4. November 2011
Dr. Thomas Hagen
Prof Dr. Traugott Roser
Definition Palliative Care
„Palliative Care dient der Verbesserung der
Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die
mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert
sind.
Dies geschieht durch Vorbeugung und Linderung von
Leiden mittels frühzeitiger Erkennung,
hochqualifizierter Beurteilung und Behandlung von
Schmerzen und anderen Problemen physischer,
psychosozialer und spiritueller Natur.“
WHO 2002
Was sind spirituelle Nöte ?
Bitte formulieren
Sie ausgehend von
Ihrem Begriff
von
Spiritualität
spirituelle Nöte
eines
Palliativpatienten
03.2010
Hagen Roser - SpirCare
3
Die (spirituellen) Nöte eines
Palliativpatienten
• Endlichkeit des eigenen Lebens
• Veränderungen durch die Krankheit
(Gegenwart)
• Beziehungen und ihre Tragkraft
• Halten die eigenen (Wert-)Vorstellung
dieser Situation stand? (Hoffnung auf
was? - Zukunft)
• Bilanz seines Lebens (Vergangenheit)
Ressourcen Sterbender
Religion, Sinn,
Glaube, Werte,
Rituale
körperlich
spirituell
MENSCH
Umgang mit dem
Körper, Sexualität,
psychisch
Essen,
Krankheitserfahrung ...
Liebe, Familie,
Freundschaften,
Nachbarschaft ...
sozial
Selbstbild,
Kompetenz,
Würde,
Verlusterfahrungen ...
Spiritualität als Ressource?
Spiritualität
als
Ressource?
Der Mensch - ganzheitlich
Anthropologische Basis:
Jeder Mensch ist spirituell
Sterbebegleitung in der pluralen
Gesellschaft
• Multikulturell:
Religionen und Kulturen prägen
Umgang mit Sterben
• Multiprofessionell:
Ausdifferenzierung und
Professionalisierung
• Netzwerk:
Versorgung und Begleitung durch
mehrere Instituionen (z.B. SAPV)
Eigene Einstellung als Basis
• Sich den Fragen des Lebens stellen.
• Nachdenken über die Endlichkeit des Lebens als
persönliches und berufliches Problem.
• Sich seiner Hoffnung (und Motivation zum ärztlichen
Beruf) bewusst werden.
„Lehre uns bedenken,
dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.“
(Psalm 90,12)
Definitionen von Spiritualität in
ausgewählten empirischen Studien (mod.
Anzahl der
Publikationen*
nach Vachon et al.: J Pall Med 2009)
60
50
40
30
20
10
0
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Si
* Zeitraum 1996-2007, N=946, ausgewählt n=71
12
Spiritualitätsdefinition
(AK Seelsorge der DGP)
„Unter Spiritualität kann die innere
Einstellung, der innere Geist wie auch das
persönliche Suchen nach Sinngebung eines
Menschen verstanden werden, mit dem er
Erfahrungen des Lebens und insbesondere
auch existenziellen Bedrohungen zu
begegnen versucht.“
(5.12.2006)
Arbeitsdefinition:
Spiritualität (EAPC)
Spiritualität ist die dynamische Dimension menschlichen
Lebens, die sich darauf bezieht, wie Personen
(individuell und in Gemeinschaft) Sinn, Bedeutung und
Transzendenz erfahren, ausdrücken und / oder suchen,
und wie sie in Verbindung stehen mit dem Moment,
dem eigenen Selbst, mit Anderen/m, mit der Natur, mit
dem Signifikanten und / oder dem Heiligen.
EAPC Task Force, Utrecht Oct 2010
Übersetzung: T Roser
Multidimensional
• Situation: Existenzielle Herausforderung
• Ethik: Werte
• Religion und Religiosität
Bemühungen um eine Defintion
• AutorInnen des Bandes
definieren Spiritualität
ganz eigen...
• Und wie würden Sie
Spiritualität persönlich
definieren?
Was ist Religion?
Religion ist die reflektierte, in einer
Glaubensgemeinschaft (z.B. Kirche) gefundene
Antwort auf die existentiellen Fragen des Einzelnen
im Horizont des Transzendenten (z. B. Gott).
Die „Antwort“ umfasst inhaltliche Aspekte (z.B.
Lehren) und praktische Handlungen (z.B. religiöse
Rituale) der Religionsgemeinschaft.
Ort, Raum und Zeit
für spirituelle Begleitung
im Klinikalltag?
Wo gibt es ihn?
Was wäre sinnvoll?
Spirituelle Aspekte
auf allen Ebenen
Soziales / kulturelles /
Therapeutische
Therapeutisches
Unterstützung
Persönl.
Entscheidung
durch Angehörige
Team
Einrichtung
gesellschaftliches Umfeld
Nach: ROBERT L POTTER,
From Clinical Ethics to Organizational
Ethics, in: Bioethics Forum 12.2 (1996), 3–12
Spirituelle Begleitung als
Aufgabe des Teams
• Erkennen (spirituelle Situation des Kranken)
• Beraten (Hilfe bei Entscheidungen)
• Klären (von Sinnzusammenhängen)
• Begleiten (durch Rituale)
Spirituelle Begleitung
im Klinikalltag
• Kommunikation über die Spiritualität des
Patienten in den Übergaben
• Präsenz dieser Dimension durch die
Klinikseelsorge als Angebot und Hilfe
• Verortung der spirituellen Begleitung als
Ausdruck einer ganzheitlichen Haltung
Beispiel der quantitativen Forschung:
Empirische Erhebung im Hospiz- und
Palliativbereich (Poster: DGPKongress 2008)
Schlussfolgerung
Die Studie zeigt, dass eine Stunde
pro Patient pro Woche für spirituelle
Begleitung ein Mindestmaß an Umsetzung
des ganzheitlichen Ansatzes der
Palliativmedizin darstellt.
Patientin Frau F.
• Alter: 46 Jahre
• Mamma-Ca, exulzerierend, zahlreiche Operationen, seit ca. 8
Monaten in der Klinik, davon 5-6 Monate auf der selben
chirurgischen Station.
• Wenig Kontakt zur Familie. Eine Freundin lebt in der Nähe der
Klinik. Geschieden mit Beginn der Diagnose.
• Aktives Mitglied in einer kirchlichen Gemeinschaft, die sich
nach 2 Monaten Krankenhausaufenthalt von der Patientin
zurückzog, weil die Gebete nicht erhört wurden.
Was ist Seelsorge?
• Seelsorge ist ein von den beiden christlichen
Kirchen (rk und evang.) getragener und
qualifizierter Dienst, der jedem Menschen offen
steht – unabhängig von seiner Konfession,
Religion und Weltanschauung.
• Seelsorge ist ein wesentlicher Teil in der
spirituellen Begleitung von Menschen. Durch
Begegnung, Gespräch und Rituale zielt sie auf die
Befähigung des Einzelnen (z.B. Patient), für die
eigene Seele zu sorgen.
Systemfremd oder -immanent?
• Seelsorge geschieht im
„Zwischenraum“
zwischen Kirche und
Krankenhaus
• Von der Institution
Krankenhaus
unabhängig, doch darin
tätig
• Kirchliche Vorgesetzte
überprüft
Michael Klessmann (Hg.) (1996), Handbuch der
Krankenhausseelsorge, Göttingen
• Eine von vielen
Berufsgruppen
• Seelsorge gehört zu
Qualitäts-Standards
von Kliniken
C. Schneider-Harpprecht:
Vierte Säule
Strukturelle Bedeutung!
Nachbarschaft ‚psychosozialer’ und seelsorglicher
Berufsgruppen.
Aufgaben: Individuelle Krankheitsbewältigung,
adäquate Regularien, Alltagsethik
Beratungskompetenz
Psychosoziale
Dienste
Seelsorge
Verwaltung
Pflege
Medizin
Organigramm eines
Krankenhauses
Lit.: Schneider-Harpprecht, Christoph/ Allwinn, Sabine (Hrsg.),
Psychosoziale Dienste und Seelsorge im Krankenhaus.
Eine neue Perspektive der Alltagsethik, Göttingen 2005
Bestimmte Spiritualität
Haltung (personal)
• „Palliative Haltung“
• Präsenz des Themas durch Seelsorge-Person
Strukturen
• multiprofessionelle Team-Sitzungen
• Dokumentieren aller Berufsgruppen
• Initiative zu rituellen Handlungen auch durch ‚andere
Berufsgruppen‘ (z.B. Pflege)
• Ausbildungskonzepte schließen Spiritualität ein
Konzepte
• Relativierung des Hoheitsanspruchs der Medizin
• Spiritualität als Teil des ganzheitlichen Ansatzes
(Scheider 2007)
Aufgaben und Grenzen
• Wahrnehmen der Bedürfnisse
• Keine mitgebrachten Antworten
• Offen sein für das spirituelle Gespräch
• Reflexion über die eigenen Erfahrungen und
Hoffnungen
• Unterstützung und Begleitung in Anspruch
nehmen
Spirituelle Betreuer
bei schwerer Krankheit
7%
7%
40%
17%
29%
Familie/Freunde
Gesundheitsberufe
Seelsorge
Gott/höheres Wesen
andere
Hanson et al (2008) J Pall Med
Aufgabe der Seelsorge
„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort
zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die
euch erfüllt.“
(1 Petrusbrief 3,15)
Auf die eigenen Kraftquellen achten
und mit ihnen in Beziehung bleiben.
SPIR-Studie (LMU)
• S[piritualität]: Betrachten Sie sich im weitesten Sinne
•
•
•
als gläubigen Menschen?
P[latz im Leben]: Sind die Überzeugungen, von
denen Sie gesprochen haben, wichtig für ihr Leben?
I[ntegration]: Gehören Sie zu einer spirituellen oder
religiösen Gemeinschaft?
R[olle]: Wie soll Ihr Arzt/ Ihr Seelsorger mit diesen
Fragen umgehen?
SPIR: Ergebnisse
Borasio GD, Biechele I, Frör P, Riedner C, Frick E 2005
•
•
•
Der SPIR ist eine valide Methode zur
Erhebung spiritueller Bedürfnisse bei
palliativmedizinischen Patienten.
Die Patienten bewerten die SPIRBefragung durch Ärzte als hilfreich
und nicht belastend.
Die Erhebung der Bedürfnisse nach
spiritueller Begleitung ist eine
wichtige und lohnende Aufgabe für
Ärzte.
10
"Do you consider
the SPIR as being..."
8
6
4
2
0
helpful
Physicians' group
distressing
Chaplains' group
Dokumentation seelsorglicher
Rufbereitschaft 2006 (n=818)
Angaben zu Einsatzdauer,
Patient,
gesundheitlicher
Situation, gefordertem
und erbrachtem Dienst.
56,2% perimortale
Situation
Gespräche über Situation
(71,3%) Biographie
(21,8%) Glauben
(14,5%)
Partnersegnung 1%
Segen 22%
Andere 1%
Taufe 1%
Beichte 1%
Krankenabendmahl 4%
Aussegnung 14%
Krankensalbung
16%
Sterbeliturgie 20%
Gebet 20%
Roser, Hagen, Kammerer, 2007
Eur J Palliative Care
Sterbefälle im Klinikum Großhadern
(gesamt vs. seelsorgliche Beteiligung)
1000
900
865
867
909
823
800
700
600
Gesamt
500
mit Seelsorge
400
300
473
403
474
418
200
2007: 54,6 %
2008: 52,1 %
100
0
2005
2006
2007
2008
Roser, Hagen, Kammerer, 2007
Eur J Palliative Care
Rufe initiiert durch…
Andere 4%
Patienten 4%
Angehörige 21%
Behandlungsteam 71%
Roser, Hagen, Kammerer, 2007
Eur J Palliative Care
Seelsorge an 8 Hospizen und
Palliativstationen (n=250)
Indikation
100
tatsächlich erbracht
90
Dokumentation aller
Einsätze konsekutiv
über 30 Tage
Kontaktdauer: 36 min,
Range 25-52 min
80
70
60
50
40
30
20
10
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0
Hagen, Roser, Forster, Borasio, 2008
Palliativmedizin
Seelsorgekontakt nach Konfession des
Patienten
Religion / Konfession
Patient
Allgemeine Bevölkerung
Römisch - Katholisch
64.4%
69.5%
Evangelisch
12.4%
16.6%
Ausgetreten R-K und Ev.
8.4%
Christlich-Orthodox
0.8%
Andere / keine
13.6%
13.9%
Roser, Hagen, Forster, Borasio 2009
Eur J Palliative Care
Kontakte mit ritueller Handlung
80
gesamt
70
72%
Patient allein
60
Patient und Angehörige
50
55,2%
55%
Angehörige allein
40
30
20
10
0%
0
Hagen, Roser, Forster, Borasio, 2008
Palliativmedizin
HOPE 2009
• Spirituelle Begleitung im Rahmen von Palliative Care
muss zwingend überkonfessionell erfolgen, anders
könnte etwa ein Viertel der Patienten nicht erreicht
werden.
• Spirituelle Begleitung erfolgt häufig auf Initiative des
Teams; allg. Gesprächsbedarf und Glaubens-gespräch
werden als häufigste Indikation genannt, rituelle
Handlungen seltener - im Unterschied zur geleisteten
Begleitung.
• Insgesamt übernehmen die Seelsorger/innen ein breites
Spektrum unterschiedlicher Aufgaben mit einer hohen
Schnittmenge zu anderen Professionen, die es durch
weitere Forschungen zu präzisieren gilt.
Spiritualität ist Bildungsaufgabe
• Reflexion der eigenen Spiritualität
• Differenzierung
zwischen eigener
Spiritualität und der
des Gegenübers
• Gebot der
Subjektorientierung
• Wissen, Haltung,
Fertigkeiten
Schulung von Mitarbeitern der
Palliativmedizin in Spiritual Care:
Ergebnisse einer Studie am IZP
• Anhaltende Verbesserung im spirituellen
Wohlbefinden
• Reduzierung von arbeitsbezogenem Stress
• Höhere Arbeitszufriedenheit
• Bedarf an weitergehender Forschung
(Wasner M et al. Palliative Medicine 2005; 19: 99-104)
• Spiritual Care ist eine Aufgabe, die von allen
Professionen anerkannt und mitgetragen
wird,
• in einem systemischen Sinn, der den
Organisationskontext einer klinischen
Einrichtung berücksichtigt.
Bevor Sie einen assistierten Suizid wünschen,
geben Sie doch Aspirin eine Chance !
Ethik in medizinethischen
Konfliktbereichen ist ...
besser ...
•
kohärente Vernetzung der verschiedenen
Gesichtspunkte, die im Gespräch zwischen allen
an einem ethischen Konflikt Beteiligten wichtig
werden.
•
Dazu bedarf es der Schulung der
Wahrnehmungskompetenz
4.11.2011
Prof. Dr. Traugott Roser / Dr. Thomas Hagen
Entstehung von Ethischen
Konflikten
Autonomie
Gerechtigkeit
Fürsorge
Nicht-Schaden
Prinzipienethik nach Beauchamp / Childress
4.11.2011
Prof. Dr. Traugott Roser / Dr. Thomas Hagen
Ethische Beratung
»Ethische Fragen sind Lebensfragen, *…+ zu
denen er in der Realität des eigenen Lebens
Stellung nehmen muß.«
Trutz Rendtorff: Ethik I (1990)
Ethikberatung zielt auf
Befähigung
zur Stellungnahme
Spiritualität in medizin- und pflegeethischen
Konfliktsituationen ist
• im Blick auf den Einzelnen (unit of care)
• auf das behandelnde Team
• auf der Ebene der Organisation (en)
zu berücksichtigen.
Individual- und Organisationsethik!
Aufgabe der Seelsorge ist es, die Erfahrungen in
den Diskurs (z.B. mit der Schrift, der Lehre etc.)
einzubringen und daraus Orientierung zu
generieren und nicht, die „reine Lehre“
umzusetzen.
Schicksal als Thema einer
(spirituellen) Ethik
„Die Neuzeit kann nicht die Augen vor der
Neuzeit verschließen, daß der Mensch
auch nicht Herr des Schicksals ist.
Ethik und Theologie haben daher das
Schicksal wiederzuentdecken.
Schicksal ist das, was uns als Menschen
unverfügbar vorgegeben und als zu
achten aufgegeben ist, was Grenzen
unserer Aktivität setzt und dennoch
unser Dasein als menschliches formt.“
Martin Honecker
Einführung in die theologische
Ethik, S. 359
Spiritualität verbürgt Individualität
• Ein Moment menschlichen Seins
• Verbürgt Individualität …
• … in einem Umfeld, das
Vergleichbares sucht …
• … um nach den Regeln
der Kunst zu diagnostizieren und zu behandeln
Spiritualität garantiert symbolisch Individualität
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