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Praxis der Viszeralchirurgie • Onkologische Chirurgie
Bearbeitet von
J. R. Siewert
3. Auflage 2010. Buch. XVI, 944 S. Gebunden
ISBN 978 3 642 03807 5
Format (B x L): 19,3 x 26 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Chirurgie > Onkologische Chirurgie
Zu Inhaltsverzeichnis
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48
48 Rektumkarzinom
S. Willis, V. Schumpelick
48.1
Grundlagen – 714
48.1.1
48.1.2
48.1.3
48.1.4
Chirurgische Anatomie – 714
Histologie – 715
Tumorausbreitung – 715
Tumorklassifikation – 716
48.2
Klinische Symptomatologie – 716
48.3
Diagnostik und Staging – 716
48.4
Therapieziele und Indikationsstellung – 717
48.5
Resektionsstrategien – 719
48.5.1
48.5.2
48.5.3
48.5.4
48.5.5
48.5.6
48.5.7
48.5.8
48.5.9
48.5.10
Totale mesorektale Exzision – 719
Distaler Sicherheitsabstand – 720
Lymphadenektomie – 720
Vermeidung von Implantations­metastasen – 720
Kontinenzerhalt oder abdomino­perineale Rektumexstirpation – 721
Rekonstruktionsformen – 722
Anastomosentechnik – 723
Proktektives Stoma, Drainagen – 724
Lokale Resektion – 724
Laparoskopische Resektion – 725
48.6
Operationstechnik – 725
48.6.1
48.6.2
48.6.3
48.6.4
48.6.5
Perioperatives Management – 725
Tiefe anteriore Resektion und TME – 725
Rekonstruktion – 726
Abdominoperineale Rektum­exstirpation – 727
Transanale lokale Exzision (»disc excision«) – 728
48.7
Postoperative Behandlung – 728
48.8
Intra- und postoperative Komplikationen – 728
48.9
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose – 729
48.10
Adjuvante und neoadjuvante Therapie – 730
48.11
Nachsorge – 731
48.12
Ausblick – 732
Internetadressen – 732
Literatur – 732
714 48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
> Das Rektumkarzinom verhält sich aufgrund seiner lymphatischen Ausbreitungswege anders als das Kolonkarzinom und
hat insbesondere ein höheres lokoregionäres Rezidiv­risiko.
Trotz vieler technischer Variationen ist die En-bloc-Resektion
des Tumors einschließlich der regionalen Gefäß­versorgung
unverändert der zentrale Eckpfeiler der chirurgischen Therapie. Systematische pathoanatomische Erkenntnisse zur perirektalen Tumorausbreitung, ein besseres Verständnis der Kontinenzmechanismen und ein optimiertes Instrumentarium
führten dazu, dass ca. 85% der Rektumkarzinome kontinenz­
erhaltend operiert werden können. Bei Tumoren des oberen
Rektumdrittels stellt das kein Problem dar, die Rekonstruktion
erfolgt durch eine End-zu-End-Deszendorektostomie. Bei Tumoren des mittleren und distalen Rektumdrittels ist die totale
mesorektale Exzision obligat. Hier stellt die Kolonpouch-anale
Anastomose mit vorgeschaltetem Kolon-J-Reservoir die derzeitige Standardrekonstruk­tion dar. Die lokale Exzision (endoskopisch oder chirurgisch transanal) beschränkt sich auf
uT1-Low-risk-Tumoren. Neoadjuvante Therapieansätze haben
einen festen Stellenwert bei extraperitoneal gelegenen wandüberschreitenden oder nodalpositiven Tumoren.
48.1
Grundlagen
48.1.1Chirurgische Anatomie
Als Rektumkarzinome gelten epitheliale Tumoren, deren aboraler Rand bei der Messung mit dem starren Rektoskop
16 cm oder weniger von der Anokutanlinie entfernt ist. Das
Rektum wird eingeteilt in ein unteres Drittel (Linea dentata bis
7 cm), ein mittleres (7–11 cm) und ein oberes (11–16 cm).
Das obere Rektumdrittel liegt intraperitoneal, sodass größere
Tumoren in diesem Bereich noch eine direkte Beziehung zur
freien Bauchhöhle haben. Im Gegensatz dazu neigen Tumoren
des unteren und mittleren Drittels eher zur Infiltration der
Nachbarorgane. Im kleinen Becken wird das Rektum zirkulär
von einem Blut- und Lymphgefäße führenden Fettkörper umgeben, vom Mesorektum. Das untere Viertel des Mastdarms
besitzt kein Mesorektum. Dort verlaufen die Blutgefäße intramural und versorgen den rektalen Schwellkörper.
Endopelvine Faszien
Das Mesorektum ist gegen das Becken durch feine embryonale Bindegewebsschichten abgegrenzt. Diese Grenzlamellen
bilden über lange Zeit eine natürliche Tumorbarriere, die erst
spät bei ausgedehnten Tumorstadien durchbrochen wird. Die
parietale pelvine Faszie (präsakrale Faszie, Fascia diaphragmatica pelvis superior) bedeckt die Beckenhinter- und -seiten­
wand mit den darin enthaltenen Gefäßen und vegetativen
Nerven. Sie ist eine dünne Bindegewebsschicht und erstreckt
sich vom Sakrum bis 3–5 cm oberhalb des anorektalen Übergangs, wo sie in die viszerale Rektalfaszie (Fascia propria recti,
Waldeyer-Faszie) umschlägt. Der dazwischen liegende gefäßfreie retrorektale Raum stellt die Präparationsschicht bei der
dorsalen mesorektalen Mobilisierung dar.
Die vordere Grenzlamelle ist beim Mann die DenonvillierFaszie, eine Bindegewebsschicht zwischen Prostata, Samen­
. Abb. 48.1. Grenzlamellen im kleinen Becken (1 Fascia diaphragmatis pelvis superior, 2 posteriore Fascia propria recti, Waldeyer-
Faszie 3 vordere Grenzlamelle des Urogenitalsystems, 4 anteriore
­Fascia propria recti, 5 Denonvillier-Faszie, 6 Spatium praerectale,
7 Spatium praesacrale). (Stelzner 2003)
blasen und Rektum. Bei der Frau entspricht dieser Faszie das
Septum rectovaginale, das unterschiedlich stark ausgeprägt
sein kann. Die anteriore Fascia propria recti und die davorgelegene Denonvillier-Faszie begrenzen das Spatium praerectale,
das ebenso wie das dorsale Spatium retrorectale eine inter­
fasziale Präparation des tumortragenden Rektums mitsamt
Mesorektum erlaubt. Allerdings begrenzen die beiden Grenzlamellen das Mesorektum nicht zirkulär (. Abb. 48.1).
Anterolateral bestehen beidseits Verankerungspunkte der
Fascia propria recti an die Beckenwand, die lateralen Ligamente, nach deren Durchtrennung das Rektum meist um einige Zentimeter nach kranial gestreckt werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um »Ligamente« im eigentlichen
Sinne, sondern um den Abgangsbereich von feinen Gefäßen
und Nerven zur Versorgung der anterolateralen Rektumwand
aus einer gemeinsamen embryonalen Anlage von Blasen­
hinterwand, Samenbläschen und Prostata bzw. Scheide. Eine
relevante A. rectalis media findet sich nur in 20% aller Fälle
(Höer et al. 2000).
Vegetative Nerven
Von den lateral der Aorta verlaufenden Trunci sympathici
­ziehen sympathische Nervenfasern nach medial zur Vorderfläche der Aorta abdominalis, um sich in Höhe des Abgangs
der A. mesenterica inferior zum Plexus mesentericus inferior
zu vereinigen.
Cave
Die stammnahe Ligatur der A. mesenterica inferior führt
deshalb zwangsweise zu einer Schädigung dieses Plexus,
weshalb die Arterie etwa 2 cm vom Abgang aus der Aorta
freigelegt und abgesetzt werden sollte.
715
48.1 · Grundlagen
. Abb. 48.2. Nerven im kleinen Becken (1 A. iliaca communis,
2 Rektumstumpf, 3 Plexus hypogastricus superior, 4 N. hypogastricus
dexter, 5 Plexus pelvicus). (Höer et al. 2000)
Unterhalb der Aortenbifurkation sammeln sich präsakral in
Höhe des Promontoriums sympathische Nervenfasern zum
­Plexus hypogastricus superior. Er teilt sich in den rechten und
linken N. hypogastricus auf, welche dorsal des Mesorektum entlang der präsakralen Faszie verlaufen. Eine versehentliche
Durchtrennung dieser Nerven führt beim Mann häufig zu retro­
grader Ejakulation. Zusammen mit den parasympathi­schen
N. pelvici bilden die N. hypogastrici dorsolateral der Samenbläschen den Plexus hypogastricus inferior (Plexus ­ pelvicus;
. Abb. 48.2). Von dort verlaufen Nervenfasern für die urogenita­
len Organe am Unterrand der Samenbläschen entlang des latera­
len Randes der Prostata (neurovaskuläre Bündel nach Walsh).
Eine Durchtrennung der Nervenbündel auf dieser Höhe
kann den Patienten impotent machen, da von ihnen die End­
äste der erektilen Nerven zu den Corpora cavernosa ent­
springen. Es ziehen jedoch nur feine Nervenfasern und kleine
Gefäße aus den »lateralen Ligamenten« zur Rektumvorderwand, sodass unter praktischen Gesichtspunkten bei sorg­
fältiger fasziennaher Präparation entlang der Fascia propria
recti die vegetativen Nervenfasern des Beckens weitgehend
geschont werden können. Es ist allerdings nicht klar, welches
Ausmaß der Zerstörung vegetativer Nervenfasern postoperativ eine Beeinträchtigung von Kontinenz und Potenz nach sich
zieht. Einige Autoren gehen davon aus, dass man aufgrund der
paarigen Anlage und der ausgedehnten Kollateralisierung
viele Fasern zerstören muss, um postoperative Ausfälle beobachten zu können (Stelzner 2003).
48.1.2Histologie
Um ein Rektumkarzinom handelt es sich definitionsgemäß,
wenn atypische epitheliale Formationen die Submukosa infiltrieren. Nicht einbezogen sind ausschließlich auf die Schleimhaut begrenzte Malignome ohne Invasion durch die Muscularis mucosae, die sog. Mukosakarzinome oder intraepithelialen
Karzinome (pTis). Diese tragen kein nennenswertes Metas­
tasierungsrisiko. Daher ist der Begriff einer hochgradigen
intraepithelialen Neoplasie geeigneter als der Begriff des
»Carcinoma in situ«.
Rektumkarzinome können exophytisch mit hauptsächlich
intraluminalem Wachstumsmuster, endophytisch mit Ulze­
ration und hauptsächlich intramuralem Wachstum und auch
diffus infiltrierend im Sinne einer Linnitis plastica mit nur
minimalem endophytischen Wachstum auftreten. In der Regel handelt es sich um Adenokarzinome mit glandulären
Strukturen in erheblicher Form- und Größenvariabilität. Werden mehr als 50% der Schnittfläche von Schleim eingenommen, so spricht man von muzinösen Adenokarzinomen. Bei
Siegelringzellkarzinomen haben mehr als 50% der Tumorzellen gut erkennbare intrazytoplasmatische Muzineinschlüsse
mit randständigem Zellkern.
Wie beim Magenkarzinom kann auch im Rektum ein diffuses, von Fibrose und Wandstarre begleitetes Wachstum mit
nur minimaler extrazellulärer Muzinablagerung auftreten.
Die seltenen adenosquamösen Karzinome zeigen Merkmale
sowohl von plattenepithelialen als auch von Adenokarzinomen entweder als gemischte Tumoren oder in getrennten Area­
len innerhalb des Tumors. Reine Plattenepithelkarzinome,
Spindelzellkarzinome und undifferenzierte Karzinome sind
im Rektum eine Rarität.
Histologisch wird differenziert zwischen Low-grade- und
High-grade-Karzinomen: Als High-grade-Karzinome werden
schlecht differenzierte muzinöse und nichtmuzinöse Adenokarzinome, Siegelringzellkarzinome, kleinzellige und undifferenzierte Karzinome klassifiziert (G3).
Cave
Die intratumorale Heterogenität insbesondere größerer
Karzinome kann dazu führen, dass die »High-grade-Quali­
tät« eines Tumors in einer Biopsie nicht erfasst wird.
48.1.3Tumorausbreitung
Direkte Ausbreitung
Das Wachstum des Rektumkarzinoms erfolgt initial auf die
Darmwand begrenzt und hat infolge der ringförmig verlaufenden intramuralen Lymphwege eine radiäre Wachstums­
tendenz. Dies führt dazu, dass die longitudinale Ausbreitung
eher begrenzt und gleichzeitig eine Penetration möglich ist.
Diese örtliche organüberschreitende Ausbreitung ist beim
Rektumkarzinom nicht mit einer systemischen Erkrankung
gleichzusetzen. Etwa 5–15% der Patienten weisen bei der Erstdiagnose ein lokal fortgeschrittenes Stadium ohne Fernmetastasen auf. Generell zeigen mehr als 50% der lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinome keine lymphatische Ausbreitung, bei
der histologischen Aufarbeitung zeigen sich ca. 50% der Adhäsionen zu Nachbarorganen als rein entzündlich.
Es ist nicht sinnvoll, die Differenzierung zwischen entzündlichen und tumorösen Adhäsionen intraoperativ zu erzwingen, denn eine eindeutige, drastische Verringerung der 5-Jahres-Überlebensrate nach intraoperativer
Tumoreröffnung ist klar nachgewiesen.
48
716 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Ob ergänzende Maßnahmen wie zytotoxische Spülungen oder
eine postoperative Radio-/Chemotherapie diesen Überlebens­
nachteil nach intraoperativer Tumoreröffnung wettmachen
können, kann zum jetzigen Zeitpunkt weder bestätigt noch
ausgeschlossen werden (Kasperk et al. 2001).
Diskontinuierliche Ausbreitung
48
Ein für das chirurgische Vorgehen wichtigeres Problem stellt
die diskontinuierliche Tumorausbreitung dar. Dabei handelt es
sich um sog. Satelliten, nur mikroskopisch sichtbare, isolierte
Tumorknoten außerhalb von Lymphknoten. Solche ­Satelliten
entwickeln sich aus Tumorabsiedlungen innerhalb von Lymphbahnen, kleinen Venen oder Perineuralräumen und können in
histologischen Serienschnitten gefunden werden, manchmal
in der Submukosa, selten in der Muscularis propria und am
häufigsten im Mesorektum. Sie sind meist lateral, in vielen
­Fällen jedoch auch distal des Tumorunterrandes zu finden.
Obwohl bis heute Häufigkeit und Lokalisation der distalen
­Satelliten des Mesorektums nicht syste­matisch an einem größeren Patientenkollektiv untersucht wurden, gibt es genügend
Belege dafür, dass sie häufiger bei High-grade-Tumoren und
ausgedehnter Lymphknotenmetastasierung auftreten. Während die direkte intramurale Ausbreitung am histologischen
Präparat lediglich wenige Millimeter über den makroskopi­
schen Tumorrand hinaus beträgt, können extramurale Satelliten bis zu 4 cm unterhalb des Tumorunterrands (gemessen
am histologischen Präparat) auftreten (Scott et al. 1995).
Lymphatische Ausbreitung
Die lymphatische Drainage des Rektums erfolgt in Anlehnung
an die arterielle Versorgung im oberen und mittleren Abschnitt praktisch ausschließlich entlang der A. rectalis supe­
rior bzw. A. mesenterica inferior. Lediglich im unteren Rektumdrittel gibt es auch eine lymphatische Drainage entlang
der A. rectalis inferior.
Klinische Daten zeigen, dass eine lymphatische Aus­
breitung nach distal, die insgesamt nur in einer Häufigkeit von
ca. 6–8% zu beobachten ist, nur bei fortgeschrittenem bzw.
schlecht differenzierten Tumoren oder blockiertem proximalem Lymphabfluss zu beobachten ist.
Hämatogene Ausbreitung
Ein weiterer Metastasierungsweg liegt in der direkten, venö­
sen Ausbreitung. Die Inzidenz korreliert mit der Penetrationstiefe und dem Differenzierungsgrad des Tumors. Hämatogen
metastasiert das Rektumkarzinom über die Pfortader in die
Leber, in seltenen Fällen bei sehr tiefen Tumoren auch direkt
über die V. cava in die Lungen. Dieser Ausbreitungsweg ­erklärt
frühe Fernmetastasen trotz R0-Resektion nodal-negativer
Primärtumoren. Mit abnehmender Häufigkeit sind bei der
Erstdiagnose eines Rektumkarzinoms folgende Fernmetastasen zu finden: Leber >Lunge >Knochen >Hirn.
48.1.4Tumorklassifikation
Die Stadieneinteilung des Rektumkarzinoms erfolgt entsprechend dem Kolonkarzinom anhand der TNM-Klassifikation
der UICC, gelegentlich findet man auch noch die von Astler
und Coller modifizierte Dukes-Klassifikation (7 Kap. 47). In
der jüngsten Version wurden die Bedingungen für die Angabe
des Nodalstadiums pN0 dahingehend präzisiert, dass hierfür
die Untersuchung von mindestens 12 Lymphknoten gefordert
wird, die sich alle als tumorfrei erweisen müssen. Dabei gelten
perikolische Tumorknötchen von über 3 mm Durchmesser
als Lymphknotenmetastasen im Sinne des pN-Stadiums, während Knötchen unter 3 mm als Ausdruck perirektaler Ausbreitung definiert und dem Stadium pT3 zugeordnet werden.
Bei einem bis 3 befallenen Lymphknoten handelt es sich definitionsgemäß um das Stadium pN1, bei mehr als 3 um pN2
(Wittekind u. Meyer 2010).
48.2
Klinische Symptomatologie
Peranaler Blutabgang ist das häufigste und meist erste
­Symptom eines Rektumkarzinoms. Er kann irrtümlicher­
weise einem Hämorrhoidalleiden zugeschrieben werden,
was zu ­einer wesentlichen Verzögerung der Diagnosestellung
führen kann. Weitere typische Symptome sind Stuhlunre­
gelmäßigkeiten, Bleistiftstühle, fragmentierte oder schmerzhafte Stuhlentleerung, Inkontinenz bei Sphinkterinfiltration
und Gesäßschmerzen beim Sitzen. Luft- und Stuhlentleerung über Scheide und Blase (rektovaginale/rektovesikale
Fisteln) oder Ileus bei kompletter Tumorobstruktion sind
häufig schon Ausdruck eines lokal fortgeschrittenen Tumorstadiums.
48.3
Diagnostik und Staging
Die Verdachtsdiagnose Rektumkarzinom wird mittels digita­
ler Palpation und/oder Rektoskopie gestellt. Beides erlaubt
zudem die Beurteilung von Tumorgröße und -wachstumsform. Mittels klinischem Staging nach Mason kann ein er­
fahrener Untersucher die Penetrationstiefe eines Tumors abschätzen. Bei Fixierung des Tumors auf seiner Unterlage ist
von einem wandüberschreitenden Wachstum (mindestens
T3) auszugehen. Die exakte Höhenlokalisation wird rektos­
kopisch als Abstand des Tumors von der Anokutanlinie gemessen. Die histologische Sicherung der Karzinomdiagnose
ist obligat. Dazu sollten aus verdächtigen Schleimhautläsionen
möglichst mehrere Probeexzisionen aus den Randgebieten
entnommen werden.
Von entscheidender Bedeutung ist die ausführliche Familienanamnese. Anhand der Amsterdam- und Bethesda-Kriterien kann der Verdacht auf ein hereditäres Karzinom (HNPCC)
erhoben werden (7 Kap. 47). Bei entsprechendem Verdacht sollte den Patienten und ihren Angehörigen eine humangenetische
Beratung empfohlen werden.
Zum Ausschluss synchroner Kolonkarzinome (2–8% der
Patienten) oder synchroner Polypen (12–62%) sollte, wenn
technisch durchführbar, präoperativ eine totale Koloskopie
durchgeführt werden. Bei hochgradig stenosierendem Tumor
ist die intraoperative palpatorische Untersuchung ausreichend. Es empfiehlt sich, das Restkolon dann koloskopisch
717
48.4 · Therapieziele und Indikationsstellung
innerhalb von 3 Monaten postoperativ abzuklären (Deutsche
Krebsgesellschaft 2002).
Nach Diagnosesicherung muss der CEA-Wert bestimmt
werden, um einen Ausgangswert für die weitere post­
operative Verlaufskontrolle zu haben. Er sollte sich innerhalb von 4 Wochen postoperativ normalisieren und besitzt einen hohen Stellenwert bezüglich Tumorrezidiv
und Prognose.
Die Sonographie des Abdomens, die Spiralcomputertomo­
graphie des Oberbauchs und eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen dienen der präoperativen Metastasensuche.
Eine Spiralcomputertomographie des Thorax ist indiziert bei
nativradiologischem Verdacht auf Lungenmetastasen.
Die rektale Endosonographie ist Standard beim präoperativen Staging rektaler Karzinome. Die Bestimmung der
Infiltrationstiefe (uT) und des Lymphknotenstatus (uN) beeinflusst vor allem bei frühen Tumorstadien zusammen mit
der Histologie das weitere therapeutische Regime maßgeblich.
In der Beurteilung der Infiltrationstiefe oder Sphinkterinfiltration ist die Endosonographie in erfahrenen Händen der
Multislice-CT oder der hochauflösenden Dünnschicht-MRT
überlegen, während der Lymphknotenstatus in der CT häufiger korrekt eingeschätzt wird als in der Endosonographie
(Langer et al. 2001). Die Vorteile der MRT liegen vor allem
in der korrekten Beurteilung der Infiltration benachbarter
­Organe und der präoperativen Bestimmung des freien zirkum­
ferenziellen Resektionsrandes (Beets-Tan et al. 2001; Mercury
Study Group 2007). Dadurch können evtl. Patienten identifiziert werden, die von einer neoadjuvanten Therapie profitieren (7 Kap. 48.10).
PET-Untersuchungen mit 18F-Fluordeoxyglucose (18FDGPET) haben sich als wertvoll erwiesen sowohl bei der Beurteilung des Ansprechens auf eine neoadjuvante Therapie als
auch in der Rezidivdiagnostik. In der primären Diagnostik
beim Rektumkarzinom haben PET-Untersuchungen bislang
keinen festen Platz.
Geht es bei tiefsitzenden Tumoren um die Frage des
Sphinktererhalts, gibt die digitale Untersuchung des Sphinkters durch einen erfahrenen Arzt zusammen mit der funktionellen Anamnese in der Regel genügend Auskunft über die
Sphinkterreserve. Bei früher stattgehabten Sphinktereingriffen, Geburtstraumata oder Inkontinenzbeschwerden ist zusätzlich eine Sphinktermanometrie erforderlich (. Tab. 48.1).
48.4
Therapieziele und Indikationsstellung
Seit Dukes stellt die Entfernung des tumortragenden Darmabschnitts mitsamt seiner lokalen und regionalen Lymph­
knoten das Grundprinzip der Karzinomchirurgie am Rektum
dar. Entsprechend der potenziellen Ausbreitungswege erfordert dies eine Anpassung der Operationsstrategie und -tech-
. Tab. 48.1. Rektumkarzinom: diagnostisches Vorgehen
Diagnostische Maßnahme
Fragestellung
Obligate Diagnostik
Starre Rektoskopie mit Biopsie
Tumorausbreitung, Höhenlokalisation, histologische Sicherung
Präoperativ wenn möglich totale Koloskopie (bei Stenosierung
3 Monate postoperativ)
Ausschluss synchroner Karzinome oder Polypen
CEA-Konzentration
Ausgangswert für postoperative Kontrollen, Rezidiv, Prognose
Sonographie des Abdomens, Spiral-CT des Oberbauchs,
­ öntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen
R
Metastasensuche
Rektale Endosonographie, CT oder MRT
Staging (Infiltrationstiefe, Lymphknoten), Resektionsgrenzen;
neoadjuvante Therapie
Digitale Untersuchung des Sphinkters und funktionelle
­ namnese (evtl. Sphinktermanometrie, s. unten)
A
Sphinkterreserve, Erhalt des Sphinkters
Zusätzliche Diagnostik in bestimmten Situationen
Spiral-CT des Oberbauchs/des Thorax
Abklärung unklarer Röntgen-Thoraxbefunde
18FDG-PET
Ansprechen auf neoadjuvante Therapie, Rezidivdiagnostik
Sphinktermanometrie
Bei tiefsitzenden Tumoren und Inkontinenzsymptomen und/oder
Zustand nach Geburtstrauma, früheren Sphinktereingriffen:
Sphinktererhalt möglich?
Zystoskopie/Ausscheidungsurographie
Bei Verdacht auf Blaseninfiltration
48
718 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
. Tab. 48.2. Therapeutisches Vorgehen beim Rektum­
karzinom
Klinische Situation
(TNM)
Empfohlene Therapie
Intraperitonealer Tumor
48
uT1 N0 M0
TEM
Alle anderen Stadien
AR ± adjuvante Chemotherapie
Extraperitonealer Tumor
uT1 N0 M0
Lokale transanale Exzision, TEM,
endoskopische Submukosa­
dissektion
Ohne Sphinkterinfiltration
. Abb. 48.3. Multiviszerale Resektion beim Rektumkarzinom,
­Operationspräparat
nik in Abhängigkeit der Tumorklassifikation und -lokalisation
(. Tab. 48.2). Derzeit gilt für Karzinome des oberen Rektumdrittels und des rektosigmoidalen Übergangs die anteriore
Resektion mit proximaler mesorektaler Exzision und kolorektaler Anastomose als chirurgischer Standard. Bei Karzinomen
des mittleren und unteren Drittels erfolgt eine tiefe oder ultratiefe Resektion mit kompletter Entfernung des Mesorektums
und tiefer kolorektaler oder koloanaler Anastomose. Eine abdominoperineale Rektumexstirpation ist bei sehr tiefsitzenden Karzinomen mit Sphinkterinfiltration oder nicht aus­
reichendem Sicherheitsabstand indiziert. Erweiterte Resek­
tionen bei organüberschreitendem Wachstum eines Rektumkarzinoms im Sinne einer multiviszeralen Resektion sind
dann durchaus berechtigt, wenn es gelingt, eine R0-Situation
zu erzielen (. Abb. 48.3).
Eine Metastasierung im Bereich des Ovars tritt bei 3–25%
der Frauen mit Rektumkarzinom auf, dennoch gibt es bislang
keinen gesicherten Nutzen einer prophylaktischen Ovarektomie. Eine pelvine Exenteration stellt einen großen Eingriff mit
beträchtlicher Morbidität und nicht zu vernachlässigender
Morbidität dar, der nur an großen Zentren mit der Möglichkeit eines interdisziplinären operativen Vorgehens durchgeführt werden sollte.
Beim synchron metastasierten Rektumkarzinom gibt es
keine Standardempfehlung zum therapeutischen Vorgehen.
Die Prognose der Erkrankung wird im Regelfall durch die systemische Metastasierung bestimmt. Daher kann bei asymptomatischen Tumoren mit irresektablen Metastasen primär eine
uT2 N? M0
TAR
uT3 N0/u T1–3 N1–2
Neoadjuvante
Radio(chemo)therapie + TAR
uT4 Nx
Neoadjuvante (Langzeit-)Radio-/
Chemotherapie + TAR
uTx Nx M1
TAR ± Metastasenresektion ±
­ alliative Chemotherapie, ggf.
p
palliative Chemotherapie ± Stent
Mit Sphinkterinfiltration
Neoadjuvante (Langzeit-)Radio­
chemotherapie + APR
TEM transanale endoskopische Mikrochirurgie, AR anteriore
Rektum-/Sigmaresektion mit partieller Mesorektumexzision,
TAR tiefe anteriore Rektumresektion mit totaler Mesorektumresektion, APR abdominoperineale Rektumexstirpation
systemische Kombinationschemotherapie eingesetzt werden.
Auf der anderen Seite kann durch die kombinierte Resektion
des Rektumkarzinoms und seiner Metastasen, ggf. konsekutiv
nach systemischer Therapie, eine deutliche Prognoseverbesserung und in einzelnen Fällen sogar eine definitive Heilung
erzielt werden (7 Kap. 44). Bei Belassen des Tumors drohen
dagegen lokale Komplikationen (z. B. Ileus, Blutung, Kloakenbildung, Verjauchung), die Lebensqualität und Überlebenszeit wesentlich verschlechtern. Die palliative Anlage eines
Deviationsstomas, Kryotherapie, Stenteinlage oder Gefäß­
embolisation können diese Komplikationen nur zum Teil verhindern.
Mit einer Häufigkeit von 4–6% kommt es beim Rektumkarzinom zur Notfallsituation einer Obstruktion bzw. eines
Ileus. Hier ist in den meisten Fällen die Notfallsituation durch
Anlage eines doppelläufigen Stomas zu beherrschen. Die Resektion erfolgt bei den meist fortgeschrittenen Tumorstadien
sekundär nach neoadjuvanter Vorbehandlung (7 Kap. 48.10).
Die lokale Resektion ist lediglich bei pT1-Low-risk-Karzinomen in kurativer Zielsetzung vertretbar. Palliativ können
lokaltherapeutische Verfahren jedoch eingesetzt werden, um
eine lokale Kontrolle bei disseminiertem Tumorleiden zu erreichen.
719
48.5 · Resektionsstrategien
. Abb. 48.4. Totale Mesorektumexzision, Präparationsebenen
48.5
Resektionsstrategien
48.5.1Totale mesorektale Exzision
Die totale mesorektale Exzision (TME) stellt eine entscheidende Bereicherung in der chirurgisch-onkologischen Behandlung des Rektumkarzinoms dar. Das Konzept der TME
beruht auf der scharfen Präparation des Mesorektum in der
avaskulären Schicht zwischen viszeraler und parietaler Schicht
der Beckenfaszien, auf die Stelzner bereits vor über 40 Jahren
hingewiesen hat (. Abb. 48.4). Es ist jedoch das Verdienst von
Heald, dieses Konzept in die chirurgische Praxis übertragen
und ihm weltweit zum Durchbruch verholfen zu haben. Die
Existenz mesorektaler Satellitenmetastasen auch distal des
Tumors lässt die totale Entfernung des Mesorektums bei Tumoren des mittleren und unteren Rektumdrittels als zwingend
notwendig erscheinen.
Die Ergebnisse der TME sind zwar nicht in einer pros­
pektiv randomisierten Studie überprüft worden, doch zeigen
zahlreiche Studien aus Europa, USA und Japan eine deutliche
Überlegenheit gegenüber einem konventionellen chirurgi­
schen Vorgehen: die Lokalrezidivrate mit TME beträgt ca.
3–11% gegenüber 14–30% ohne TME. Außerdem scheint die
Anwendung der TME auch zu einer Verbesserung der 5-Jahres-Überlebensrate zu führen: 71% gegenüber 32% ohne TME
(. Tab. 48.3). Es besteht eine hochsignifikante Korrelation
zwischen Lokalrezidivrate nach TME und Tumorbefall des
lateralen Resektionsrandes. Die chirurgische Technik der
TME beeinflusst damit unmittelbar die Prognose des Patien­
ten. Vom Pathologen zu fordern ist folglich auch die komplette
histopathologische Untersuchung des lateralen Resektionsrandes, einerseits als Qualitätskontrolle und andererseits als
Prognosefaktor (Wiggers u. van de Velde 2002). Überraschend
ist dann aber doch, dass in einer aktuellen prospektiven Studie
die Qualität der TME nicht signifikant mit der Lokalrezidivrate korrelierte (Jeyarajah et al. 2007).
Bei vergleichbarer perioperativer Letalität ist die Morbidität nach TME höher im Vergleich zur partiellen Mesorektumexzision bei proximalen Tumoren. Anastomosen nach TME
weisen insgesamt eine höhere Insuffizienzrate als bei anterio­
ren Resektionen ohne TME auf. Da mesorektale Satelliten­
metastasen meist nur bis zu 2 cm, maximal jedoch nur bis zu
4 cm distal des Tumorunterrands auftreten, scheint die TME
beim proximalen Rektumkarzinom die Radikalität im Vergleich zur partiellen Mesorektumexzision nicht zu erhöhen
(Lopez-Kostner et al. 1998). Ein Karzinom im proximalen
. Tab. 48.3. Onkologische Ergebnisse nach totaler mesorektaler Exzision (TME) im Vergleich zur konventionellen Technik (Konv.) der
anterioren Rektumresektion (p<0,05 bei Überlebens- und Lokalrezidivraten in allen aufgeführten Studien)
Autoren
Anzahl der Operationen
Lokalrezidivrate
Kumulative Überlebensrate
TME
Konv.
TME
Konv.
TME
Konv.
Arbmann 1996
120
134
8%
23%
68%
(4 Jahre)
59%
(4 Jahre)
Martling 2000
318
1332
6%
14%
–
–
Bolognese 2000
71
80
13%
41%
71%
(5 Jahre)
32%
(5 Jahre)
Machando 2000
165
62
3%
18%
–
–
Nesbakken 2002
161
217
11%
27%
–
–
Bülow 2003
311
246
11%
30%
77%
(3 Jahre)
62%
(3 Jahre)
48
720 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Rektumdrittel kann deshalb onkologisch adäquat durch eine
anteriore Resektion mit Entfernung von 5 cm Mesorektum
kaudal des Tumors behandelt werden. Damit verbleiben ca.
5–10 cm Restrektum, dies erlaubt eine gute Defäkationskontrolle.
48
Rektumkarzinome des mittleren und unteren Drittels
i­ mmer mit TME!
48.5.2Distaler Sicherheitsabstand
Die direkte intramurale Ausbreitung erfordert die Einhaltung
eines gewissen Resektionsabstands, um den Tumor vollständig
zu entfernen. Dies ist oralwärts unproblematisch, distalwärts
wegen der Nähe zum Sphinkterapparat oft limitierend. Etwa
1,4% der Rektumkarzinome weisen eine distale intra­murale
Ausbreitung von mehr als 1 cm auf, eine distale Ausbreitung
von über 1 cm ist assoziiert mit einem fortgeschrittenen Tumorstadium oder einer besonders aggressiven Tumorcharakteristik. Dementsprechend ist bei tiefsitzenden Kar­zinomen
ein distaler Sicherheitsabstand von 1–2 cm an der nativ gestreckten Rektumwand onkologisch ausreichend, ohne eine
höhere Lokalrezidiv- oder Überlebensrate in Kauf nehmen
zu müssen. Zurzeit wird ein distaler Sicherheitsabstand vom
Tumorunterrand von 1 cm für T1- bis T2-Tumoren und 2 cm
für T3- bis T4-Tumoren und ulzerierende Tumoren gefordert.
Dies eröffnet die Möglichkeit, in etwa 85% der Fälle kontinenzerhaltend zu operieren (Willis u. Schumpelick 2004).
48.5.3Lymphadenektomie
Hinsichtlich des Ausmaßes der Entfernung des Lymphabflussgebiets beim Rektumkarzinom ist die Notwendigkeit der TME
unumstritten. Folgende Punkte werden noch teilweise kontrovers diskutiert:
4 Entfernung lateraler Lymphknoten entlang der Iliakalgefäße,
4 Entfernung der Lymphknoten am Ursprung der A. mesenterica inferior und
4 Bedeutung der Sentinel-Lymphadenektomie.
Laterale Lymphknotenmetastasen entlang der Iliakalgefäße
finden sich beim Rektumkarzinom insgesamt in 9–18%. Unterteilt man noch einmal in Tumoren oberhalb und unterhalb
der peritonealen Umschlagfalte, so finden sich solche bei
den ersten nur in 0–9%, bei den letzteren in 16–28%. Während
dies, wie insbesondere von japanischen Autoren immer ­
wieder betont wird, die Mitentfernung dieser lateralen Lymphknoten notwendig erscheinen lässt, ließ sich in anderen Stu­
dien ein systematischer Vorteil der erweiterten pelvinen
Lymphknotendissektion nicht konstant nachweisen, wohl
aber eine erhöhte Morbidität bezüglich Störungen der Blasenund Sexualfunktion. So beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate
bei Patienten mit Rektumkarzinom im Stadium UICC III
nach TME ohne zusätzliche laterale Lymphadenektomie
64% und mit zusätzlicher lateraler Lymphadenektomie 67%.
Eine erweiterte Lymphadenektomie kann also derzeit beim
Rektumkarzinom nicht routinemäßig empfohlen werden
(Kasperk et al. 2001).
Keine Vorteile der erweiterten Lymphadenektomie bei
korrekt durchgeführter TME!
Die Lymphknoten am Abgang der A. mesenterica inferior
sind in bis zu 10% der Fälle befallen. Allerdings bietet die radi­
kuläre Absetzung dieses Gefäßes (»high tie«) keine gesicherte
Verbesserung der Ergebnisse bezüglich Rezidivraten und
Überleben. Lymphknotenmetastasen unmittelbar am Abgang
der A. mesenterica inferior sind damit prognostisch mit einer
Fernmetastasierung gleichzusetzen (Uehara et al. 2007).
Während die sog. »High-tie-Ligatur« onkologisch nicht
zwingend erforderlich ist, ist sie ggf. zur Mobilisation des linken Hemikolons für die spätere Rekonstruktion
technisch notwendig.
Von den Ergebnissen erster Studien zur Sentinel-Lymphadenektomie (selektive Biopsie des Wächterlymphknotens nach
szintigraphischer Markierung) beim malignen Melanom ermutigt, fand dieses Konzept auch beim kolorektalen Karzinom
Anwendung. Hierbei ließ sich bei bis zu 18% nodär negativer
Fälle eine Mikrometastasierung aufzeigen (Kelder et al. 2007).
Ob diese Patienten eventuell von adjuvanten Therapiemaßnahmen profitieren, ist derzeit noch ungeklärt. Außerdem
ist die Sensitivität der Sentinel-Node-Technik beim Dickdarm
deutlich besser als beim Rektum (75% versus 36%; ­Bilchik et
al. 2007).
48.5.4Vermeidung von Implantations­
metastasen
Bereits 1951 gab Goligher an, dass es nach Rektumexstirpa­
tion in 0,15% der Fälle im Bereich des Kolostomas zur Implantation von luminal abgeschilferten Tumorzellen und damit
zur Tumorbildung kam. Basierend auf einer retrospektiven
Analyse beschrieb Turnbull dann 1967 die Vorteile der sog.
»No-touch-isolation-Technik«. Erst 10 Jahre später wurde
eine randomisierte Studie zu dieser Fragestellung publi­
ziert. Diese belegte zwar eine tendenzielle Überlegenheit der
No-touch-Technik, jedoch keine signifikanten Vorteile in der
Überlebenszeit.
Die No-touch-Technik ist nicht zwingend erforderlich,
sollte jedoch angewendet werden, wenn es technisch
problemlos möglich erscheint.
721
48.5 · Resektionsstrategien
. Abb. 48.5a,b. Onkologische Ergebnisse
nach tiefer anteriorer Resektion (TAR) und
­abdominoperinealer Resektion (APR) beim
tiefsitzenden Rektumkarzinom. a Gesamt­
überleben (Kaplan-Meier-Kalkulation RWTH
Aachen), b Lokalrezidive
a
b
Nach den zurzeit verfügbaren Daten lässt sich die Tumorzellimplantation auch bei Anwendung der No-touch-isola­
tion-Technik nicht ganz ausschließen. Diese Gefahr kann
möglicherweise durch eine intraoperative Spülung des Rektums mit zytotoxischen Substanzen (z. B. Polyvidon-Jod-Lösung) weiter verringert werden. Gerade bei Einsatz von Klammernahtgeräten könnten ohne Lavage des Rektum nach oralseitiger Tumorexklusion Karzinomzellen direkt in die Klammernaht eingebracht werden und ein Anastomosenrezidiv
induzieren.
zugunsten der Kontinenzresektion. Die Indikation zur Rektumexstirpation ist daher nur bei Tumorinfiltration des Sphinkters oder des Beckenbodens und bei einem Sicherheitsabstand
von <1,5–2 cm von der Linea dentata zu stellen.
48.5.5Kontinenzerhalt oder abdomino­
Bei nicht ulzerierten, endosonographisch nicht wandüberschreitenden Tumoren kann im Einzelfall und nach Absprache
mit dem Patienten die Kontinenzresektion bis zu einem Sicherheitsabstand von 1 cm ab Linea dentata durchgeführt werden.
Im Rahmen der Entscheidung ist neben dem korrekten
Staging sowie der exakten Bestimmung der Tumorhöhe und
-ausdehnung eine präoperative Beurteilung der Sphinkterfunktion unerlässlich. Bei manifester Stuhlinkontinenz ist
eine Kontinenzresektion kontraindiziert. Bei ausreichendem
Sicherheitsabstand kann hier die Morbidität der perinealen
perineale Rektumexstirpation
Grundsätzlich ist bei allen Patienten mit Tumoren des mitt­
leren und unteren Rektumdrittels die kontinenzerhaltende
Operation anzustreben. Sowohl Lokalrezidive als auch das
Langzeitüberleben sind nach kontinenzerhaltender Resektion
mit der Rektumexstirpation vergleichbar (. Abb. 48.5). Bezüglich der postoperativen sexuellen Funktion und der Lebensqualität sind die Ergebnisse uneinheitlich mit Vorteilen
Cave
Die endgültige Entscheidung für oder gegen die Rektum­
exstirpation fällt intraoperativ, wobei die onkologische
Radikalität niemals zugunsten der Kontinenz geopfert
werden darf!
48
722 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
imperativen Stuhldrangs im Vergleich zur geraden Anasto­
mose.
Wird der Kolonpouch allerdings zu groß gewählt, so ist
mit einer deutlich erschwerten Stuhlentleerung zu rechnen,
die den funktionellen Vorteil wieder zunichte machen würde.
Szintigraphisch konnte bei großen Pouches (8 cm) eine unvollständige Entleerung mit erhöhter Entleerungshalbwertszeit nachgewiesen werden, was sich klinisch in fragmentierter
und verzögerter Entleerung äußert (»stooling sessions«). Bei
Pouches, die 8 cm und größer waren, müssen deshalb zwischen 25 und 60% der Patienten Klysmen oder Suppositorien
anwenden. Demgegenüber hatten Patienten mit End-zu-SeitAnastomose (als Extremvariante eines sehr kleinen Pouches)
eine höhere Stuhlfrequenz und ein niedrigeres Schwellen- und
Maximalvolumen als Patienten mit einem 6-cm-Pouch. ­Heute
werden deshalb kleine J-Pouches mit 5–6 cm Schenkellänge
favorisiert.
Nach einer Literaturrecherche erreichten 61% der Patien­
ten mit Pouch und 55% der Patienten mit gerader Anastomose eine akzeptable Kontinenz ohne signifikante Unterschiede
bezüglich des Rekonstruktionsverfahrens. Auch nach Resektion der proximalen Anteile des inneren Schließmuskels bei
der intersphinktären Anastomose resultiert in der Regel eine
ausreichende postoperative Kontinenz (Willis u. Schumpelick
2004). Ein Jahr nach Ileostomieverschluss waren 79% unserer
Patienten mit Kolon-J-Pouch und 78% mit gerader koloanaler
Anastomose vollständig kontinent. In manometrischen Unter­
suchungen konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen gerader und pouch-analer Anastomose hinsichtlich
Sphinkterruhe- und Maximaldruck nachgewiesen werden
(Willis et al. 2001). Das Kontinenzverhalten stand hierbei in
direkter Korrelation zur lokalen Komplikationsrate. Lang­
streckige Strikturen als Folge pelviner septischer Komplika­
tionen schränken die Kontinenz nach tiefer anteriorer Rektumresektion erheblich ein.
Wunde evtl. durch eine sehr tiefe Hartmann-Resektion vermieden werden.
48.5.6Rekonstruktionsformen
48
Der Erhalt der Kontinenz mit störungsfreier Stuhlentleerung
ist das Ziel einer optimalen Rekonstruktionstechnik. Nach
tiefer anteriorer Resektion mit TME muss das Kolon descendens unmittelbar oberhalb oder innerhalb des Analkanals
anastomosiert werden (intersphinktäre Resektion mit kolo­
analer Anastomose). Viele Patienten mit dieser Rekonstruk­
tion leiden an hoher Stuhlfrequenz, imperativem Stuhldrang
und Stuhlschmieren (»anterior resection syndrome«). Während das Stuhlschmieren auf die direkte Sphinkterschädigung
zurückgeführt wird, stehen die mittlere Stuhlfrequenz und der
imperative Stuhldrang in umgekehrter Korrelation zur Reservoirkapazität des belassenen Rektumstumpfes und der Höhe
der Anastomose (Rasmussen et al. 2003). Unter der Vorstellung, durch die Schaffung eines künstlichen Stuhlreservoirs
die funktionellen Ergebnisse nach tiefer Rektumresektion zu
verbessern, ergänzten Lazorthes und Parc 1986 die koloanale
Rekonstruktion mit einem vorgeschalteten Kolon-J-Reservoir, dem Kolonpouch (. Abb. 48.6).
Funktionelle Ergebnisse
Die Pouchrekonstruktion führt im Vergleich zur geraden koloanalen Anastomose zu einer signifikanten Reduktion der
täglichen und nächtlichen Stuhlgänge. Dieser positive Effekt
ist während der ersten postoperativen Monate maximal und
nimmt im weiteren Verlauf aufgrund der Adaptation nach
­koloanaler Anastomose vergleichsweise ab, ist jedoch in mehreren Studien auch noch bis zu 9 Jahre nachweisbar (Willis u.
Schumpelick 2004; Fazio et al. 2007). Ein weiterer Vorteil
der Pouchrekonstruktion ist die teilweise Verminderung des
a
b
. Abb. 48.6a–d. Rekonstruktionsformen nach tiefer anteriorer Resektion und totaler mesorektaler Exzision. a koloanale End-zu-End-
c
d
Anastomose, b Kolon-J-Pouch, c transverser Koloplastik-Pouch,
d Zökumreservoir
723
48.5 · Resektionsstrategien
Es ist bislang ungeklärt, ob die Verbesserung der funktionellen Ergebnisse nach Pouchrekonstruktion auch zu einer
Verbesserung der Lebensqualität führt. Obwohl Kontinenz
und Stuhlentleerung bei Pouchrekonstruktion signifikant besser sind als bei anderen Rekonstruktionsformen, ergibt sich
bei der Lebensqualitätsanalyse kein signifikanter Unterschied
(Fazio et al. 2007). Möglicherweise wird dies aber auch durch
die verwendeten Fragebögen nicht adäquat abgebildet.
Bei tiefsitzenden Rektumkarzinomen kann auch das
­Colon sigmoideum zur Pouchbildung herangezogen werden,
ohne die onkologischen Ergebnisse zu beeinträchtigen. Die
Befürchtung, dass Pouches, die aus dem dickwandigeren
und spastischeren Colon sigmoideum gebildet werden, eine
schlechtere Compliance und Entleerungsfunktion besitzen als
Descendens-Pouches konnte in einer prospektiv randomisierten Studie widerlegt werden (Heah et al. 2002).
Aufgrund der schlechteren Durchblutung nach stamm­
naher A.-mesenterica-inferior-Ligatur und der hohen Prävalenz der Sigmadivertikulose ist jedoch weiterhin die
Rekonstruktion mit Colon-descendens-Pouches zu empfehlen.
Neben Art und Größe des Pouches wird die Entleerung wesentlich von der Lokalisation der Anastomose bestimmt. In
einer retrospektiven Studie zeigten Hida et al., dass die Pouchrekonstruktion der geraden Anastomosierung bei einer Anastomosenhöhe bis zu 4 cm ab ano signifikant überlegen ist. Bei
einer Anastomosierung zwischen 4 und 8 cm waren beide
Verfahren gleichwertig, während oberhalb von 8 cm die ge­
rade der pouch-analen Anastomose vorzuziehen ist (Hida et
al. 1998). Durch die Präparation und Durchtrennung intrinsischer Nervenbahnen ist der belassene Rektumstumpf durch
eine eingeschränkte propulsive Motilität charakterisiert:
­Kleine Stuhlmengen verbleiben im atonischen Rektumstumpf
und lösen dadurch quälenden Stuhldrang aus. Abhilfe können
nur Klysmen bringen.
Alternative Verfahren
Beim Zökumreservoir wird das resezierte Rektum ersetzt
durch ein ileozökales Segment, das an seinem mesenterialen
Gefäßstiel verbleibt und um 180° gegen den Uhrzeigersinn
gedreht wird (. Abb. 48.6). Der prinzipielle Vorteil gegenüber
den anderen Rekonstruktionsformen soll der Erhalt der
­extrinsischen und intrinsischen Innervation sein. Maximal
tolerables Volumen, Compliance und Dickdarmtransitzeit
waren vergleichbar mit den Ergebnissen bei gesunden Probanden. Aufgrund der Komplexität des Eingriffs und fehlen­
der Vorteile gegenüber der Pouchrekonstruktion konnte sich
dieses Verfahren nicht allgemein durchsetzen.
Beim Koloplastik-Pouch wird 4–6 cm proximal des abgesetzten Kolonendes eine 8–10 cm lange Kolotomie zwischen
den Tänien angelegt, die dann wie bei der Pyloroplastik oder
der Strikturoplastik quer verschlossen wird. Die Darmkontinuität wird mittels koloanaler End-zu-End-Anastomose
­wiederhergestellt (. Abb. 48.6). Der Koloplastik-Pouch be­
nötigt weniger Darmstrecke und ist technisch einfacher als
andere Pouchformen. Das Pouchvolumen ist geringer als beim
J-Pouch, gegenüber der geraden Anastomose jedoch um 40%
vergrößert. Funktionsstörungen, die nach gerader koloanaler
Anastomose auftreten, sollen dadurch verbessert und gleichzeitig die Entleerungsprobleme großer J-Pouches vermieden
werden. Bei gleicher Komplikationsrate wiesen Koloplastikund J-Pouch-Rekonstruktionen signifikant bessere Ergebnisse
als die geraden Anastomosen hinsichtlich Stuhlfrequenz,
Compliance und Kapazität des Neorektums auf. Die mittlere
Stuhlfrequenz betrug 2,6/Tag und 3,1/Tag für J-Pouch und
Koloplastik im Vergleich zu 4,1/Tag bei der geraden kolo­
analen Anastomose (Mantyh et al. 2001; Ho et al. 2002).
In einer prospektiv-randomisierten Multicenterstudie
wurden unterschiedliche Rekonstruktionsformen hinsichtlich Komplikationen, Stuhlentleerungsfunktion und Blasenund Sexualfunktion verglichen. In der Gruppe, in der eine
Pouchbildung möglich war, waren Stuhl- und Sexualfunktion
in der J-Pouch-Gruppe signifikant besser als in der Kolo­
plastie-Gruppe. War keine Pouchbildung möglich, bestand
kein ­ Unterschied zwischen Koloplastie und End-zu-EndAnastomosierung. Hinsichtlich der Komplikationen konnten
in Bezug auf die vier Rekonstruktionsformen keine signi­
fikanten Unterschiede nachgewiesen werden (Fazio et al.
2007). Daher sollte auf der Basis der vorliegenden Daten
die J-Pouch-anale Rekonstruktion die Standardrekonstruk­
tion nach tiefer anteriorer Resektion bleiben. Bei bis zu 30%
der Patienten ist dies wegen fehlender Darmlänge, verdicktem, adipösem Mesenterium oder engem Becken nicht möglich, in diesen Fällen ist der Koloplastik-Pouch eine gute
­Alternative.
48.5.7Anastomosentechnik
Die koloanale Anastomosierung kann unabhängig vom Rekonstruktionsverfahren von Hand oder mit zirkulären Klammernahtgeräten durchgeführt werden. Die Handnaht kann
transanal als »Sleeve-Anastomose« oder von abdominell her
in Liftnahttechnik durchgeführt werden. Die Stapleranastomosen werden am proximalen Analkanal (»high anal«) oder
nach intersphinktärer Resektion unmittelbar an der Linea
dentata angelegt (»low anal«).
Die für die transanale Handnaht erforderliche Dilatation
des Analkanals führt zu einer stärkeren Schließmuskelschädigung als die, die bei den technisch einfacheren Klammernahtanastomosen entsteht, weshalb letztere deutlich häufiger zur
Anwendung kommen (Takase et al. 2002).
Randomisierte Daten zu Handnaht versus Klammernaht
bei transanalen bzw. intersphinktären Anastomosen sind
nicht verfügbar. Für die extraperitonealen kolorektalen Anastomosen hingegen gibt es randomisierte Vergleiche. Eine umfassende Metaanalyse zeigte zwei Probleme der Maschinennaht, nämlich ein signifikant höheres Auftreten von intra­
operativen technischen Problemen und von Strikturen bei
Stapleranastomosen. Diese Strikturen waren jedoch in der
­Regel asymptomatisch oder durch eine einmalige Dilatation
therapierbar. Bezüglich Mortalität, Insuffizienz- und Lokal­
48
724 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
rezidivrate waren keine signifikanten Unterschiede erkennbar
(MacRae u. McLeod 1998).
48.5.8Proktektives Stoma, Drainagen
48
Unabhängig vom Rekonstruktions- und Anastomosierungsverfahren sind Leckagen nach TME mit koloanaler Anastomosierung signifikant häufiger als nach anterioren Resek­
tionen mit kolorektalen Anastomosen (Kasperk et al. 2001;
Willis u. Schumpelick 2004). In vielen Fällen wird deshalb
die Anlage eines protektiven Ileo- oder Transversostomas
propagiert.
Die Anlage eines Deviationsstomas führt zwar nicht zu
einer Verhinderung der Anastomoseninsuffizienz per se,
­allerdings aber zu einer Verringerung von symptomatischen
Leckagen, die der operativen Revision bedürfen (Marusch et
al. 2002). Dies konnte in einer großen monozentrischen pros­
pektiv-randomisierten Studie aus Schweden belegt werden.
Die symptomatische Insuffizienzrate war in der Ileostoma­
gruppe mit 10% signifikant niedriger als in der Nicht-Ileo­
stomagruppe mit 28% (Matthiesen et al. 2007).
Die Frage der Wertigkeit der protektiven Ileostomie bei
tiefer anteriorer Rektumresektion war auch Gegenstand einer
aktuellen Metaanalyse. Auf der Basis retrospektiver und prospektiver Studien, veröffentlicht zwischen 1966 und 2007,
bestätigt diese den Nutzen der Stuhlableitung. Die Wahrscheinlichkeiot einer Reoperation wegen einer Anastomoseninsuffizienz lag mit einer Odds-Ratio von 0,27 bei signifikant
weniger Revisionen bei Patienten mit protektivem Ileostoma
(Hüser et al. 2008). Auch in Anbetracht der Verschlechterung
der funktionellen und onkologischen Ergebnisse nach septi­
schen pelvinen Komplikationen (Kressner et al. 2002) wird die
routinemäßige Anlage eines protektives Stomas empfohlen,
das nach 6 bis 8 Wochen wieder verschlossen werden kann.
Die protektiven Ileostomien scheinen beim späteren Verschluss weniger komplikationsträchtig zu sein als protektive
Kolostomien (Guenaga et al. 2007).
Immer wieder diskutiert wird die Anwendung von Drainagen. Da es zahlreiche Studien mit exzellenten Ergebnissen
unter Drainage gibt und da die Rektumresektion zu einer
großen, nicht peritonealisierten, sezernierenden und nicht
kollapsfähigen Wundhöhle führt, scheint eine Drainage bei
allen Resektionen, die die peritoneale Umschlagfalte eröffnen,
empfehlenswert. Sie kann zudem als früher Indikator für eine
Anastomoseninsuffizienz dienen und möglicherweise Reoperationen vermeiden (Kasperk et al. 2001). Diese weitverbreitete Meinung konnte jedoch bislang durch prospektive, randomisierte Studien nicht belegt werden (Jesus et al. 2004).
Ultratiefe anteriore Rektumresektionen mit TME am
­ esten mit protektivem Ileostoma!
b
48.5.9Lokale Resektion
Hinsichtlich der Indikationsstellung zur lokalen Therapie des
Rektumkarzinoms sind drei Situationen zu differenzieren:
4 Kurativer Ansatz bei frühinvasiven Malignomen
4 Palliativer Ansatz bei disseminiertem Tumorleiden
4 Kompromisslösung (z. B. bei allgemeinmedizinisch bedingten Kontraindikationen gegen einen größeren operativen Eingriff oder bei fehlender Einwilligung für eine
ausgedehnte Resektion)
Grundsätzlich muss zwischen lokaler Exzision und Ablation
unterschieden werden. Unter kurativer Intention sind die ablativen Verfahren (z. B. Elektrokauter, Kryotherapie, Laser­
koagulation, endokavitäre Bestrahlung) obsolet, da sie keine
histologische Aufarbeitung des Präparats ermöglichen. Die
lokale Exzision kann als transanale Vollwandexzision, als endoskopische Mukosektomie oder – bei weiter proximal liegenden Tumoren – als TEM (transanale endoskopische Mikrochirurgie) über ein Operationsrektoskop durchgeführt werden. Wegen des relativ hohen Schwierigkeitsgrades und des
eher schmalen Indikationsspektrums sollte die TEM nur von
denjenigen angewendet werden, die sie häufig praktizieren.
Posteriore Zugänge wie den transsakralen oder transsphinktären Zugang hat man praktisch vollständig verlassen. Diese
Verfahren haben eine hohe Komplikationsrate und zeigen
eine schlechte postoperative Funktion.
Bei allen lokalen Verfahren besteht das Risiko, potenziell
befallene Lymphknoten in situ zu belassen. Die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen von Lymphknotenmetastasen liegt
bei einem T1-Tumor zwischen 3 und 20%, bei einem T2-Tumor zwischen 12 und 38% und bei einem T3-Tumor zwischen
36 und 61%. Ein höheres Risiko besteht außerdem bei einer
G3- oder G4-Differenzierung, bei einer Tumorgröße >3 cm,
bei histologisch gesicherter Schleimbildung und bei Invasion
von Blut- oder Lymphgefäßen (Hassan et al. 2005, Okabe et al.
2004, Yamamoto et al. 2004). Die derzeit akzeptierten Selek­
tionskriterien zur lokalen Exzision betreffen deshalb ausschließlich sog. Low-risk-Karzinome (G1,2, kein Lymphgefäßeinbruch). Die Überlebensrate nach lokaler Vollwandexzision solcher T1-Tumoren liegt bei 98% im Gegensatz zu 89%
bei T2-Tumoren nach 54 Monaten.
In einer Metaanalyse von 41 Studien ergab sich eine durchschnittliche Lokalrezidivrate nach lokaler Exzision von 9,7% bei
T1-Karzinomen, 25% bei T2- und 38% bei T3-Karzinomen.
Diese Daten belegen, dass die lokale Exzision im Stadium T1
eine befriedigende lokale Kontrolle des Tumors liefert (Sen­
gupta u. Tjandra 2001). Es gibt jedoch Studien, die deutlich
höhere Rezidivraten aufweisen. So beschrieben Garcia-Aguilar
et al. eine Lokalrezidivrate von 18% bei Patienten mit T1-Tumoren und 37% bei Patienten mit T2-Tumoren (Garcia-Aguilar et
al. 2000). Im direkten Vergleich ermittelten Bentrem et al. eine
5-Jahres-Lokalrezidivrate von 15% und eine 5-Jahres-Überlebensrate con 93% nach lokaler Exzision verglichen mit 3% und
97% nach tiefer anteriorer Resektion (Bentrem et al. 2005).
In letzter Zeit wurde deshalb dazu übergegangen, die Submukosaschicht in drei Drittel aufzuteilen. Die sog. frühinvasiven Formen (sm1, sm2 bzw. Submukosainvasion <1000 µm)
725
48.6 · Operationstechnik
haben mit 0–6% ein geringeres N+-Risiko. Bei sm3 beträgt das
Lymphknotenmetastasierungsrisiko dagegen fast 20% (Seitz
et al. 2004). Ergibt die histologische Untersuchung eines endoskopische R0-entfernten Polypen ein pT1-Karzinom, soll
auf eine onkologische Nachresektion verzichtet werden, wenn
es sich um eine Low-risk-Situation bei histologisch karzinomfreier Polypenbasis handelt. In der High-risk-Situation ist die
radikale Operation angezeigt, auch wenn die Läsion komplett
entfernt wurde (Schmiegel et al. 2008).
Ungeklärt ist derzeit noch die Rolle einer adjuvanten
­Therapie nach lokaler Exzision. In einer Metaanalyse ergab die
lokale Exzision mit anschließender adjuvanter Radio-/Chemotherapie eine Rezidivrate von 9,5% bei T1-, 13,6% bei T2- und
13,8% bei T3-Karzinomen (Sengupta u. Tjandra 2001). Randomisierte, kontrollierte Studien zum Vergleich der onkologischen Resektion mit der lokalen Exzision und adjuvanter
Therapie sind deshalb zu fordern. Die sog. Salvage-Resektion
bei einem aufgetretenen Lokalrezidiv kann nicht als eine der
konventionellen radikalen Resektion gleichwertige Alternative
angesehen werden. Insofern ist die strikte Einhaltung der oben
aufgeführten Selektionskriterien obligat (Kim et al. 2008).
Lokale Exzision nur bei T1-Low-risk-Karzinomen!
48.5.10
Laparoskopische Resektion
Die Vorteile der laparoskopischen Operationstechnik wurden
in früheren Studien auch beim Rektumkarzinom festgestellt,
das Zugangstrauma ist vermindert und die Genesung verläuft
schneller. Unabhängig voneinander konnte von verschiedenen
Studiengruppen die Beobachtung gemacht werden, dass bei
der laparoskopischen Rektumresektion in kurativer Intention
keine ungünstigeren Ergebnisse als bei der konventionellen
Operation zu verzeichnen waren. Onkologische Langzeit­
ergebnisse sind derzeit jedoch noch rar. Eine separate Auswertung der Patienten mit Rektumkarzinom im Rahmen der
CLASSICC-Studie zeigte, dass in der Gruppe der laparoskopisch operierten Patienten signifikant häufiger der zirkumferenzielle Resektionsrand tumorbefallen war. Dennoch waren
bislang keine Unterschiede in der Lymphknotenausbeute, der
Lokalrezidivrate oder der 3-Jahresüberlebensrate nachweisbar
(Jayne et al. 2007).
In einer aktuellen Metaanalyse finden die Autoren auf der
Basis der bisher veröffentlichten Studien keine Unterschiede
zwischen laparoskopischer und offener Rektumresektion. Sie
kamen jedoch zu dem Schluss, dass aufgrund der quantitativ
und qualitativ limitierten Studien- und Patientenanzahl eine
Gleichwertigkeit des laparoskopischen Vorgehens derzeit
noch nicht belegt werden kann (Kuhry et al. 2008).
Laparoskopische tiefe anteriore Rektumresektionen
s­ ollten deshalb in kurativer Absicht möglichst im Rahmen
kontrollierter Studien durchgeführt werden.
Die bisherigen Ergebnisse nach laparoskopisch assistierter
Rektumexstirpation sind mit denen nach offenem Verfahren
vergleichbar (Anthuber et al. 2003; Scheidbach et al. 2002),
aber auch hier fehlen kontrollierte Studien bezüglich der onkologischen Langzeitergebnisse.
48.6
Operationstechnik
48.6.1Perioperatives Management
Eine orthograde Reinigung des Darms durch Trinken von
3–4 Litern einer Darmspüllösung (z. B. Cleanprep) ist, obwohl noch häufig durchgeführt, nicht erforderlich (Guenaga
et al. 2009). Die Thromboembolieprophylaxe erfolgt durch
subkutane Applikation eines niedermolekularen Heparins
­beginnend am Vorabend der Operation. Eine perioperative
Antibiotikaprophylaxe bestehend aus einer CephalosporinMetronidazol-Kombination wird präoperativ bei Narkoseeinleitung appliziert und ggf. intraoperativ einmalig nach 4 Stunden wiederholt. Die Anlage eines Blasenkatheters ist obligat,
dieser wird intraoperativ meist durch einen suprapubischen
Katheter ersetzt. Gerade bei Männern hat dies zu einer Re­
duktion der postoperativen Komplikationen von Seiten der
ableitenden Harnwege (Harnwegsinfekte, Restharn, Überlaufblase) geführt. Die präoperative Schienung der Ureteren ist
in der Regel nicht erforderlich.
Die Patienten werden in modifizierter TrendelenburgSteinschnitt-Position gelagert, die Beine werden dabei in
Lloyd-Davies-Halterungen fixiert. Diese Lagerung erlaubt
den gleichzeitigen abdominellen und perinealen Zugang.
48.6.2Tiefe anteriore Resektion und TME
Der abdominelle Zugang erfolgt über eine mediane
­Unterbauchlaparotomie mit Linksumschneidung des
­Nabels. Von hier aus kann der Schnitt in den Oberbauch
oder schräg nach links bis unter den Rippenbogen erweitert werden, falls die intraoperative Situation dies erfordert.
Nach der Exploration des Abdomens wird das Peritoneum
lateral des Sigmas inzidiert, entlang der »white line of
Toldt«, die den fetalen Verklebungen des Sigmas mit der
lateralen Bauchwand entspricht. Bei der weiteren Dissektion gelangt man so in das lockere, weitgehend avas­
kuläre Bindegewebe zwischen Mesosigma und GerotaFaszie ventral der Niere.
Der linke Ureter wird identifiziert und das gesamte Sigma
und Kolon descendens nach medial hin bis zur Aorta freipräpariert. Im Regelfall muss die linke Kolonflexur vollständig mobilisiert werden, damit das proximale Kolon
zur spannungsfreien Anastomosierung ins kleine Becken
verlagert werden kann. Dies erfolgt am besten scharf und
darmwandnah unter Zug des Colon transversum und
­descendens nach medial und kaudal. Eine spannungsfreie Anastomose ist zu erwarten, wenn sich das distale
6
48
726 48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Kolonende mindestens 4–5 cm distal der unteren Symphysenbegrenzung verlagern lässt.
Zur Präparation des lymphovaskulären Stiels wird das
proximale Rektum in Höhe des Promontoriums von der
präsakralen Faszie abgelöst. Der Zugang hierzu erfolgt
durch eine Peritonealinzision pararektal rechts.
Durch Zug des Rektums nach ventral und links eröffnet
sich das avaskuläre, spinngewebige Spatium retrorectale
fast von selbst. In dieser Schicht erfolgt die Präparation
nach proximal bis zum Abgang der A. mesenterica inferior,
die etwa 2 cm nach ihrem Abgang aus der Aorta freigelegt
und abgesetzt wird.
Anschließend wird das Mesosigma in Richtung der
­geplanten Absetzungsstelle durchtrennt, wobei die
V. mesenterica inferior gesondert am Pankreasunterrand
dargestellt und ligiert wird. Dies hat zur Folge, dass bei späterer Manipulation am Rektum der Einstrom von
Tumorzellen in die Blutbahn vermindert wird.
Am gewählten Transsektionspunkt in Höhe des descendosigmoidalen Übergangs wird das Kolon kurzstreckig
skelettiert und mit einem GIA-Klammernahtapparat
durchtrennt.
Für die pelvine Dissektion wird die peritoneale Inzision
des Mesosigmas beidseits des Rektums nach kaudal hin
verlängert. Das Douglas-Peritoneum und das subperitoneale Fettgewebe werden knapp oberhalb des peritonealen Umschlags umschnitten. Danach erfolgt die dorsale
und laterale Präparation unter Mitnahme des gesamten
Mesorektums im Spatium fibrosum retrorectale, bevorzugt mit Elektrokoagulation. Durch subtile Präparation
werden die Nn. hypogastrici geschont und bleiben von
einer feinen Bindegewegsschicht bedeckt. Kaudal der
Steißbeinspitze sind die Faszienblätter miteinander ver­
lötet und müssen quer zur Organachse durchtrennt werden. Hier endet auch das Mesorektum und das Rektum
taucht nach anterokaudal in den Levatorentrichter ein.
Danach erfolgt die schwierigere anteriore Dissektion des
Rektums. Die Präparation erfolgt hier entlang der Denovillier-Faszie, wodurch Samenbläschen, die dorsale Prostata und der Plexus prostaticus geschont werden. Bei
ventraler Tumorlokalisation können diese Strukturen aus
Radikalitätsgründen nicht immer erhalten werden. Bei
der Frau ist das Mesorektum oft sehr dünn, sodass häufig
ein unmittelbarer Kontakt der Rektumvorderwand mit
der Scheidenhinterwand besteht.
Nach vollständiger Mobilisierung auch des mesorektumfreien Anteil des Rektums kann das Präparat abgesetzt
werden. Nach makroskopischer Kontrolle auf Intaktheit
des Mesorektum (. Abb. 48.7) wird das Präparat im Saal
aufgeschnitten und auf einen ausreichenden distalen
­Sicherheitsabstand kontrolliert (. Abb. 48.8).
. Abb. 48.7. Totale Mesorektumresektion, Operationspräparat
. Abb. 48.8. Tiefe anteriore Resektion, Operationspräparat
48.6.3Rekonstruktion
Bei ausreichendem Sicherheitsabstand wird die Anastomose am Oberrand des Analkanals gefertigt. Dazu wird
das Rektum in Höhe der Levatoren über eine Tabaksbeutelklemme abgesetzt. Zur Pouchbildung wird das verschlossene distale Ende des Colon descendens in Form
eines J gelegt und mit einem linearen Schneideklammergerät (GIA 60) werden beide Schenkel zu einem gemeinsamen Lumen vereinigt.
Die Wiederherstellung der Kontinuität erfolgt durch Seitzu-End-Kolonpouch anale Anastomose mit einem zirkulären Klammernahtgerät (CEEA 31) wenige Millimeter
oberhalb der Linea dentata. Hierfür wird das zirkuläre
Klammernahtgerät von transanal her in das kleine Becken
vorgeschoben und der Pouch mit der Andruckplatte
­armiert. Nach Verschluss des Gerätes unter digitaler Kontrolle lässt sich die Anastomose mühelos und sicher
durchführen.
Cave
Bei Frauen ist immer transvaginal zu kontrollieren, dass
die Scheidenhinterwand nicht mitgefasst ist. Ansonsten
drohen schwer therapierbare rektovaginale Fisteln.
727
48.6 · Operationstechnik
. Abb. 48.9a–c. Techniken der kolo­
analen Anastomosierung: a transanale
Handnaht, b intersphinktäre StaplerAnastomose, c Double-stapling-Anastomose
a
Zwei intakte Anastomosenringe belegen die technisch einwandfreie Durchführung der Anastomosierung. Zusätzlich
erfolgt eine Kontrolle auf Dichtigkeit durch transanale Luft­
insufflation oder rektoskopische Kontrolle der Anastomose. Die Kreuzbeinhöhle wird anschließend mit zwei parakolisch gelegenen Easy-flow-Drainagen drainiert.
Eine technische Alternative ist die Anastomosierung in
der Double-stapling-Technik: Dabei wird das Rektum in
Höhe des Beckenbodens mit einem linearen Stapler verschlossen und abgesetzt. Zur Anastomosenbildung wird
der Dorn des transanal eingeführten Anastomosengeräts
in der Mitte durch den mittels Klammernahtreihe verschlossenen Rektumstumpf oder unmittelbar daneben
durchstoßen und sodann mit dem im Scheitelpunkt des
Pouches eingeknoteten Kopfteil konnektiert. Die Anastomose kommt so ebenfalls am Oberrand des Analkanals
wenige Millimeter oberhalb der Linea dentata zu liegen.
Bei der intersphinktären Resektion wird das Rektum vom
Abdomen her bis in den intersphinktären Raum zwischen
Sphincter ani externus und internus mobilisiert.
Danach wird es unter digitaler Kontrolle eines Assistenten
in Höhe des anorektalen Übergangs offen abgesetzt. Der
abgesetzte Rektumstumpf ist von abdominal nicht mehr
anastomosierungsfähig. Er wird vorsichtig transanal evertiert, und eine allschichtige Tabaksbeutelnaht wird in
Höhe der Linea dentata angelegt.
Das zirkuläre Klammernahtgerät wird dann von transanal
her eingeführt, die anale Tabaksbeutelnaht von perineal
her geknotet, anschließend von abdominell mit dem mit
der Andruckplatte armierten Pouch konnektiert und unter
digitaler Kontrolle ausgelöst. Die vom Abdomen aus nicht
mehr sichtbare Klammernahtreihe kommt dadurch in
Höhe der Linea dentata (»low anal«) zu liegen. Die inter­
sphinktäre Resektion erlaubt somit ausgedehntere Resek6
b
c
tionen als das Double-stapling (Willis u. Schumpelick 2004;
. Abb. 48.9). Alternativ kann die Anastomose auch von
transanal genäht werden. Hierfür wird der Anus mit einem
Lonestar-Retraktor aufgespannt und das offen abgesetzte
Kolon in Höhe der Linea dentata mit allschichtigen Einzelknopfnähten an den Rand des Analkanals anastomosiert.
48.6.4Abdominoperineale Rektum­exstirpation
Der abdominelle Teil der Operation entspricht dem Vorgehen
bei der tiefen anterioren Resektion mit TME, wobei eine Mobilisierung der linken Kolonflexur nicht erforderlich ist.
Das blind verschlossene proximale Kolonende wird nach
kreuzförmiger Inzision des vorderen und hinteren Rektusscheidenblattes an einer bereits präoperativ markierten
Stelle im linken Unterbauch als endständiges Descendo­
stoma ausgeleitet. Der präsakrale Raum kann fakultativ
mit einer gestielten Omentum-majus-Plombe ausgefüllt
werden. Bei Operation durch ein Team wird das Abdomen
vor der perinealen Operationsphase verschlossen. Der
perineale Akt kann auch parallel durch ein zweites Team
begonnen werden.
Der Anus wird mit einer kräftigen Tabaksbeutelnaht verschlossen und spindelförmig in einem Abstand von etwa
3 cm umschnitten. Die Subkutis wird mit Diathermie zirkulär bis auf das Levatorendiaphragma durchtrennt.
Danach wird das anokokzygeale Ligament identifiziert
und mit dem Elektrokauter quer durchtrennt. Man gelangt so in den präsakralen Raum und kann unter digitaler Kontrolle von dorsal nach lateral die Levatoren und
die Puborektalisschlinge auf beiden Seiten durchtrennen.
48
728 Kapitel 48 · Rektumkarzinom
Cave
Bei der anschließenden anterioren Dissektion ist beim
Mann auf die Gefahr einer Urethraverletzung zu achten.
Nach Entfernung des Präparats wird der präsakrale Raum
durch zwei dicke Redons drainiert und das posteriore Levatorendiaphragma soweit möglich rekonstruiert.
sigkeit. Je nach Ausprägung der postoperativen Atonie kann
der Nahrungsaufbau unter Schutz des Kolostomas entsprechend eines adaptierten Fast-Track-Schemas zügig gesteigert
werden (Kehlet 2008). Falls vorhanden werden die Drainagen
im kleinen Becken in der Regel am 7. postoperativen Tag gezogen. Eine postoperative adjuvante Chemotherapie kann ab
dem 12. postoperativen Tag beginnen, eine adjuvante Radiatio
in der Regel 4–6 Wochen postoperativ.
48
Alternativ wurde von Holm et al. eine radikalere posteriore
zylindrische Exstirpation mit plastischer Deckung durch
­einen M.-gluteus-maximus-Lappen beschrieben. Bei diesem
Verfahren erfolgt die abdominelle Präparation nur bis an die
laterale Beckenwand, danach wird der Patient in Bauchlage
umgelagert und der gesamte muskuläre Beckenboden inklusive des ischiorektalen Fetts reseziert. Durch die Vermeidung
der Taillierung des Präparats im Bereich des Beckenbodens
scheint die Lokalrezidivrate im Vergleich zur konventionellen
Exstripation vermindert zu sein (Holm et al. 2007). Eine Bestätigung dieser erfolgversprechenden Ergebnisse durch prospektiv-randomisierte Studien steht derzeit noch aus.
48.6.5Transanale lokale Exzision (»disc excision«)
Analkanal und distales Rektum werden mittels eines Retraktors exponiert. Mehrere Haltefäden werden zirkulär
peritumoral tief in der gesunden Darmwand verankert.
Dadurch können höhergelegene Tumoren nach kaudal in
Richtung Analkanal verzogen werden.
Die Dissektion erfolgt als Vollwandexzision in einem Abstand von 1 cm vom Tumor mit dem Elektrokauter. Die
vorherige Infiltration mit verdünnter Adrenalin-Lösung
erleichtern Resektion und Hämostase.
Das Präparat wird auf einer Korkplatte fixiert, um dem
­Pathologen die Beurteilung der Resektionsränder zu erleichtern. Anschließend wird der Defekt quer mit allschichtigen 3/0-PDS-Einzelknopfnähten verschlossen.
48.7
Postoperative Behandlung
Die meisten Patienten können im Operationssaal extubiert
werden. Bei zusätzlicher Komorbidität erfolgt während der
ersten Nacht meistens eine Überwachung auf der chirurgi­
schen Intensiv- oder Wachstation. Zur Schmerztherapie bekommen bei fehlenden Kontraindikationen alle Patienten
­einen präoperativ gelegten Periduralkatheter (PDK). Dieser
kann frühzeitig auf Normalstation entfernt werden, um nicht
die zügige Mobilisation der Patienten zu behindern. Als zusätzliche Schmerzmittel eignen sich Nicht-Opiat-Analgetika
oder eine Kombination von Opiaten und Nicht-Opiat-Analgetika.
Der Kostaufbau beginnt bei Wunsch des Patienten bereits
am Tag der Operation mit schluckweise aufgenommener Flüs-
48.8
Intra- und postoperative Komplikationen
Bei hochsitzenden Rektumkarzinomen kann es intraoperativ
zu einer akzidentellen Verletzung des linksseitigen Ureters
kommen. Diese kann durch direkte Ureterennaht über einer
Doppel-J-Schiene behandelt werden. Eine akzidentelle Blasen­
eröffnung wird durch zweireihige Naht mit resorbierbarem
Fadenmaterial verschlossen. Postoperativ sollte der Blasen­
katheter dann 10 Tage belassen werden. Venöse Blutungen aus
dem Plexus sacralis können in der Regel allein durch Kompression gestillt werden. Eine gezielte Umstechung der Blutungsquelle ist meist nicht möglich. Akzidentelle Verletzungen
der A. und V. iliaca interna oder ihrer Äste bedürfen keiner
Gefäßrekonstruktion und können durch Umstechungsligaturen einfach gestillt werden.
Die Anastomoseninsuffizienz als relevanteste postoperative Komplikation ist unter Stomaschutz häufig nicht symp­
tomatisch und wird meist erst im Rahmen der radiologischen
Diagnostik vor Ileostomieverschluss evident. Eine frühe Insuffizienz bei noch liegenden pelvinen Drainagen manifestiert
sich durch trübes und übelriechendes Sekret. Ein Einlauf mit
wasserlöslichem Kontrastmittel kann die Leckage röntgenologisch darstellen. Extraperitoneal gelegene, tiefe Rektumanastomosen können auch endoskopisch beurteilt werden. Kleine,
gut drainierte Insuffizienzen der tiefen Rektumanastomose
können bei fehlenden Entzündungszeichen unter sorgfältiger
Überwachung konservativ mit i.v. Antibiose ausbehandelt
werden. Auch größere Insuffizienzen im kleinen Becken heilen sekundär, sofern der Anastomosenbereich aus der Darmpassage ausgeschaltet ist (Willis u. Stumpf 2004). Als neue
Option steht die Behandlung größerer extraperitonealer Insuffizienzhöhlen mittels endoluminaler Vakuumtherapie zur
Verfügung. Bisherige Ergebnisse sprechen für einen deutlich
beschleunigten Heilungsverlauf im Vergleich zur alleinigen
rektoskopischen Spülung (Weidenhagen et al. 2008)
Cave
Sollte initial kein Stoma angelegt worden sein, so muss
dies bei größeren Insuffizienzen und Peritonitis umgehend erfolgen.
Bei bereits bestehender Peritonitis und einer Anastomose im
mittleren Rektum ist die Herstellung einer Hartmann-Situa­
tion das Verfahren mit dem geringsten Risiko. Bei sehr tief im
kleinen Becken gelegenen Anastomosen erfolgt in der Regel
eine komplette Abklebung gegenüber der Umgebung, sodass
729
48.9 · Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
. Tab. 48.4. Letalität und Morbidität nach Rektumresek­
tionen (Kasperk et al. 2001)
(%)
protektiven Stomas behandelt werden. Restenosierungen unter anschließender Stuhlpassage sind eher selten.
48.9
Tiefe anteriore Resektion und abdominoperineale Rektum­
exstirpation
Letalität
5
Intraoperative Blutung
4
Blasenentleerungsstörung
20
Sexualfunktionsstörung
10–60
Harnwegsinfekt
6–16
Tiefe anteriore Resektion
Anastomoseninsuffizienz
5–20
Anastomosenstenose
6–10
Geringgradige Inkontinenz
44–64
Abdominoperineale Rektumexstirpation
Perineale Wundheilungsstörung
14–23
Stomakomplikationen
21–70
lokale Abszesse häufiger als eine diffuse Peritonitis sind. Sie
können durch endosonographisch oder CT-gezielte Einlage
einer Drainage zur definitiven Ausheilung gebracht werden.
Anastomosenstenosen können durch einmalige digitale
oder endoskopische Dilatation vor Zurückverlagerung des
Ergebnisse der chirurgischen Therapie und Prognose
Zusammenfassend stellt sich die Prognose der Patienten mit
Rektumkarzinom heute so dar, dass eine 5-Jahres-Überlebensrate von 50–80% für das Gesamtkollektiv erreicht werden
kann. Bei 24–40% der Patienten ist keine kurative Resektion
möglich, da entweder der Tumor lokal fortgeschritten ist,
Fernmetastasen vorhanden sind oder allgemeine Kontraindikationen bestehen. Die chirurgische Letalität der elektiven
Rektumkarzinomresektion liegt heute bei oder unter 5%. Die
Eingriffe sind mit einer gewissen Morbidität verbunden, die
in . Tab. 48.4 differenziert dargestellt ist.
Die Prognose eines einzelnen Patienten mit Rektumkarzinom ist abhängig von:
4 tumorspezifische Faktoren,
4 Qualität der chirurgischen Resektion und
4 adjuvanten Therapiemaßnahmen.
Die Penetrationstiefe des Tumors und das Ausmaß der extrarektalen Ausbreitung beeinflussen direkt die Rezidiv- und
Überlebensraten. Allein anhand des TN-Stadiums lassen sich
vier unterschiedliche prognostische Risikogruppen definieren
(Gunderson et al. 2002; . Tab. 48.5). Die Anzahl betroffener
Lymphknoten ist unabhängig von der Invasionstiefe des Primärtumors prognostisch relevant. Bei Vorliegen von Leber­
metastasen liegt die 5-Jahres-Überlebensrate ohne Behandlung unter 2%, nach kurativer Metastasenresektion bei 20–40%
. Tab. 48.5. Einfluss von T- und N-Stadium auf die Prognose beim Rektumkarzinom (gepoolte Analyse, 2551 Patienten; Gunderson et
al. 2002)
Rezidivrisiko
Niedrig
Mäßig
Erhöht
Hoch
a
TNM-Stadium
5-Jahres-Überlebensrate
Lokalrezidivrate
Fernmetastasen
(%)a
(%)b
(%)b
T1 N0
>90
<5
10
IA
T2 N0
>90
<5
10
IB
T1–2 N1
81
6
15
IIIA
T3 N0
74
8
19
IIA
T1–2 N2
69
8
26
IIIC
T4 N0
65
15
28
IIB
T3 N1
61
11
34
IIIB
T3 N2
48
15
45
IIIC
T4 N1
33
22
39
IIIB
T4 N2
38
19
50
IIIC
Kaplan-Meier-Kalkulation
Inzidenzrate
b Kumulative
UICC-Stadium
48
730 48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
(7 Kap. 44). Auch der Differenzierungsgrad eines Tumors ist
für das Behandlungsresultat von entscheidender Bedeutung.
Auch wenn die tumorspezifischen Faktoren durch den
Chirurgen nicht beeinflussbar sind, so spielt der Operateur
doch eine eminent wichtige Rolle als eigenständiger prognostischer Faktor bei der Resektion kolorektaler Karzinome. Es
existieren mehrere Studien, die belegen, dass bei spezieller
Ausbildung des Operateurs in kolorektaler Chirurgie die Lokalrezidivrate um mehr als die Hälfte niedriger liegt als die
nicht speziell ausgebildeter Chirurgen. Neben der Ausbildung
ist auch die Eingriffshäufigkeit von Bedeutung: Je mehr Rektumkarzinome ein Chirurg pro Jahr operiert und je länger er
chirurgisch tätig ist, umso niedriger liegt die Lokalrezidivrate.
Eine geringere Rezidivrate wurde auch berichtet, wenn die
Patienten in speziellen Zentren operiert wurden (Renzulli u.
Laffer 2005; Iversen et al. 2007).
48.10
Adjuvante und neoadjuvante Therapie
Rektumkarzinome im UICC Stadium I (pT1/2 N0) haben bei
radikaler Operation niedrige Lokalrezidiv- und Fernmetastasierungsraten und bedürfen keiner adjuvanten oder neoadjuvanten Therapie (Peeters et al. 2007). Im UICC-Stadium II
und III ist die neoadjuvante Radio- oder Radiochemotherapie
indiziert (Schmiegel et al. 2008).
Die Nachteile der bis vor kurzem noch empfohlenen adjuvanten Radiochemotherapie können durch eine neoadjuvante
Radiochemotherapie vermieden werden, da präoperativ
­weniger Dünndarmschlingen im kleinen Becken lokalisiert
sind und auch keine Bestrahlung des Neorektums erfolgt. Die
onkologischen Ergebnisse sind dabei genauso gut oder sogar
besser als nach adjuvanter Bestrahlung (Camma et al. 2000).
Die neoadjuvante Radiatio kann grundsätzlich mit niedriger
(bis 25 Gy) oder mit moderater Gesamtdosis (25–50 Gy)
durchgeführt werden. Die Kurzzeitbestrahlung mit hohen
­Einzeldosen (5×5 Gy) zielt auf die Devitalisierung von Tu­
morzellen in peripheren Tumoranteilen, sodass während der
Operation, die direkt im Anschluss stattfinden muss, eine Tumorzellverschleppung verhindert wird. In einer niederländischen Multicenterstudie konnte durch dieses Regime eine
signifikante Reduktion der Lokalrezidivrate von 8,2 auf 2,4%
nach zwei Jahren mit nur minimaler Zunahme der Morbidität
erzielt werden. Die Überlebensrate in beiden Gruppen unterschied sich jedoch nicht, was die Autoren mit der noch kurzen
Nachbeobachtungszeit und der insgesamt niedrigen Rezidivrate begründeten (Kapiteijn et al. 2001; Peeters et al. 2007).
Kritisch anzumerken ist, dass aufgrund des kurzen Zeitintervalls zwischen Radiatio und Operation keine Tumorverklei­
nerung erzielt wird und damit die Zahl sphinktererhalten­
der Resek­tionen nicht gesteigert werden kann. Weiterhin ist
aus strahlenbiologischer Sicht eine hohe Spättoxizität zu befürchten.
Alternativ wird deswegen zunehmend die neoadjuvante
Langzeitbestrahlung mit 45—50,4 Gy in Kombination mit
Chemotherapie durchgeführt (fraktioniert 1,8 Gy über 5–6
Wochen, kombiniert mit 2 Zyklen 5-Fluorouracil während der
1. und 5. Bestrahlungswoche). Die Operation wird dann nach
weiteren 4–6 Wochen durchgeführt, da erst dann ein Down­
staging des Tumors zu erwarten ist. Fast 90% aller primär
nicht-resektabel erscheinenden Tumoren können so reseziert
werden. Postoperativ werden weitere 4 Zyklen Monochemotherapie mit 5-Fluorouracil mit oder ohne Folinsäure durchgeführt.
Die deutsche CAO/ARO/AIO-94-Studie verglich prospektiv randomisiert die präoperative Langzeit- mit der postoperativen Radio-/Chemotherapie mit jeweils 50,4 Gy Gesamtdosis. Bei gleicher postoperativer Morbidität war die
Lokalrezidivrate nach 5 Jahren unter dem neoadjuvanten Ansatz vermindert (6 versus 12%). Die Fernmetastasierungs­
rate war mit 32% nach 5 Jahren in beiden Gruppen gleich.
Der wesentliche Nachteil des neoadjuvanten Regimes war die
Übertherapie bei 18% der Patienten, bei denen die präoperative Diagnostik zu einem Overstaging geführt hatte (Sauer et
al. 2003). Bujko et al. verglichen in einer prospektiv randomisierten Studie Kurzzeit- und Langzeitradiatio miteinander
und konnten keine signifikanten Verbesserungen durch die
zusätzliche Chemotherapie nachweisen (Bujko et al. 2006).
Durch das fehlende Down-Staging eignet sich die Kurzzeitradiatio allerdings weniger für Tumoren des distalen Rektumdrittels (Kapiteijn et al. 2001; Schmiegel et al. 2008).
Der Stellenwert der Strahlentherapie im oberen Rek­
tumdrittel wird kontrovers diskutiert. Es kann eine adju­
vante Chemotherapie analog zum Kolonkarzinom oder eine
Radio(chemo)therapie wie beim tiefsitzenden Rektumkar­
zinom durchgeführt werden. Für die Behandlung wie ein
­Kolonkarzinom sprechen die Daten der amerikanischen Adjuvanzstudien, die sich ausschließlich auf Rektumtumoren
unterhalb 12 cm ab ano bezogen (Wolmark et al. 2000) und
die Tatsache, dass in der holländischen TME-Studie keine
­signifikante Verbesserung der Lokalrezidivrate im proximalen
Rektumdrittel durch die zusätzliche Radiotherapie nachgewiesen werden konnte (Peeters et al. 2007). Im Gegensatz dazu
wurden in der deutschen CAO/ARO/AIO-Studie in einer
Subgruppenanalyse keine signifikanten Unterschiede der Lokalrezidivraten zwischen Tumoren des mittleren und oberen
Drittels nachgewiesen. Daher ist das gegenwärtig verbreitete
Vorgehen, Tumoren des proximalen Rektumdrittels wie Kolonkarzinome zu behandeln gerechtfertigt.
Eine Sondersituation besteht bei cT1/2-Karzinomen mit
fraglichem Lymphknotenbefall. Da die Sensitivität und
­Spezifität der Beurteilung des Lymphknotenbefalls in der
MRT wie auch der Endosonographie eingeschränkt ist, ist die
primäre Operation (mit ggf. adjuvanter Radiochemotherapie
bei pN+) eine ebenfalls mögliche Behandlungsoption. Im
­Gegensatz dazu kann die MRT präoperativ eine sichere Aussage über die Tumorinfiltration und den zu erwartenden zirkumferentiellen Resektionsrand machen. Dementsprechend
wurde von einigen Zentren im Hinblick auf die mit der Radio­
therapie assoziierten Nebenwirkungen ausschließlich die lokale Tumorinfiltration in der MRT als Selektionskriterium für
eine neoadjuvante Therapie definiert: Bei T3-Tumoren mit
einer Infiltration ins mesorektale Fettgewebe von unter 5 mm
oder mit einem Abstand zur mesorektalen Resektionslinie von
mehr als 1 mm wurde auf eine neoadjuvante Vorbehandlung
48
731
48.11 · Nachsorge
verzichtet und in 99% der Fälle eine R0-Resektion erreicht
(Strassburg et al. 2008). Dieses Vorgehen muss in Studien weiter geprüft werden und kann derzeit (noch) nicht empfohlen
werden.
Eine heftige Diskussion wird derzeit über das Resektions­
ausmaß nach neoadjuvanter Therapie geführt. Unklar ist zum
einen, ob es nicht eine Patientengruppe gibt, bei der nach
kompletter pathologischer Remission nach Radiochemo­
therapie gänzlich auf die Resektion verzichtet werden kann
(Habr-Gama u. Perez 2009) oder ob eine lokale Resektion
nach Downsizing ausreichend ist (Bujko et al. 2007). Entsprechend der derzeit gültigen Leitlinien ist unabhängig vom postoperativen Stadium, also auch bei kompletter Remission, nach
neoadjuvanter Radiochemotherapie die radikale Resektion
und Komplettierung der adjuvanten Chemotherapie erforderlich (Schmiegel et al. 2008).
Für intraperitoneal gelegene Tumoren, die radikal mit
­ iner anterioren Resektion operiert werden können, ist
e
primär die Operation anzustreben. Bei allen extraperitoneal gelegenen T3,4-Tumoren ist die neoadjuvante
Radio(chemo)therapie indiziert.
Sollte die histopathologische Aufarbeitung entgegen der präoperativen Diagnostik ein UICC-Stadium II/III ergeben, ist
eine adjuvante Strahlentherapie in Kombination mit einer
5-FU-Montherapie indiziert. Diese sollte 4—6 Wochen nach
der Operation beginnen. Aufgrund des hohen Lokalrezidiv­
risikos sollte auch bei R1-Resektionen oder intraoperativem
Tumoreinriss eine postoperative Radiochemotherapie erfolgen (Schmiegel et al. 2008).
Cave
Auf keinen Fall kann eine unsachgemäß durchgeführte
Operation durch die postoperative Radiochemotherapie
kompensiert werden. Bei nachgewiesenen positiven lateralen Resektionsrändern kann auch durch die postoperative Bestrahlung das erhöhte Rezidivrisiko nicht mehr gesenkt werden (Sebag-Montefiori et al. 2006).
48.11
Nachsorge
Lokoregionäre Rezidive sind beim Rektumkarzinom häufiger
als beim Kolonkarzinom, bei dem eher die Fernmetastasierung im Vordergrund steht. Regelmäßige Nachkontrollen zur
präsymptomatischen Früherfassung von Rezidiven sind deshalb nachgewiesenermaßen sinnvoll in Hinblick auf das Gesamtüberleben (Jeffery et al. 2003). Bei frühem Tumorstadium
(UICC I) ist nach radikaler R0-Resektion in Anbetracht des
geringen Rezidivrisikos und der günstigen Prognose von regelmäßigen Nachsorgeuntersuchungen kein Gewinn zu erwarten. Die rektal-digitale Untersuchung und eine Koloskopie
nach 2 und 5 Jahren und anschließend alle 3 Jahre dienen der
Früherkennung von Zweittumoren.
Nach lokaler Exzision sollten wegen des möglicherweise
höheren lokoregionären Lokalrezidivrisikos zusätzlich rekto­
skopische Untersuchungen evtl. mit rektaler Endosonographie
in 6-monatigen Abständen bis zum zweiten Jahr erfolgen. Bei
Patienten mit Rektumkarzinomen im Stadium UICC II und
III sollten zusätzlich CT, Abdomen-Sonographie und Röntgen-Thorax durchgeführt werden (. Tab. 48.6). Die zusätzliche Bestimmung des karzinoembryonalen Antigens (CEA)
hat eine hohe Sensitivität bezüglich Lokalrezidive und Leber-
. Tab. 48.6. Nachsorgeempfehlungen beim Rektumkarzinoma: UICC-Stadium I + II + III (Schmiegel et al. 2008)
Untersuchung
Anamnese, körperliche Untersuchung,
Monate
CEAb
Abdomen-Sonographie
6
12
18
24
36
48
60
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
+
Röntgen-Thorax (in 2 Ebenen)
Nach Rektumresektion: Rektoskopie oder
Sigmoidoskopiec
Koloskopied
CT-Becken (Axialverfahren)
a
+
3 Monate nach Abschluss der tumorspezifischen Therapie
Tumoren, die nicht eindeutig dem Rektum oder Sigma zuzuordnen sind (Rektosigmoidkarzinome) werden in der Tumornachsorge
wie Rektumkarzinome behandelt
b Die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat 1996 die CEA-Bestimmung bei kolorektalen Karzinomen des Stadiums II und III
alle 2–3 Monate für 2 Jahre empfohlen, allerdings nur für Patienten, die willens und in der Lage sind, sich bei Auftreten von Metastasen einer Leberresektion zu unterziehen
c Nur beim Rektumkarzinom ohne neoadjuvante oder adjuvante Radiochemotherapie
d 6 Monate postoperativ, wenn präoperativ Abklärung des gesamten Kolons nicht möglich. Nach dem 3. Jahr alle 5 Jahre Koloskopie
732 48
Kapitel 48 · Rektumkarzinom
metastasen. Nach palliativer Resektion von Rektumkarzinomen sollte die Nachbetreuung symptomorientiert erfolgen
(Deutsche Krebsgesellschaft 2002).
85% der Lokalrezidive treten innerhalb der ersten 30 postoperativen Monate auf. Während Anastomosenrezidive durch
die endoskopische Diagnostik leicht entdeckt und durch
­Biopsie gesichert werden können, erfordern extraluminäre Rezidive einen erheblich größeren diagnostischen Aufwand.
Trotz hoher Spezifität und Sensibilität von CT und MRT ist die
Differenzierung von einer postoperativen Narbe häufig schwierig. Die FDG-PET als funktionell bildgebendes Ver­fahren
kann hier wertvolle Hilfe geben. Gerade weil operative Eingriffe zur radikalen Entfernung eines Lokalrezidivs eine hohe
Morbidität und oft auch erhebliche funktionelle Ein­bußen mit
sich bringen, ist die histologische Sicherung des Lokalrezidivs
wichtig. Aus diesem Grund sollte die histo­logische Untersuchung z. B. durch CT-gesteuerte Punktion angestrebt werden.
Doch auch bei negativer Biopsie und sicherer Befundkonstellation (Nachweis einer extraluminären Raumforderung im
kleinen Becken, positives PET und CEA-Anstieg) sollte unseres Erachtens die chirurgische Exploration erfolgen.
Auch das lokale Rezidiv eines Rektumkarzinoms hat eine
Aussicht auf definitive Heilung, sofern es komplett entfernt
werden kann. Reine Anastomosenrezidive können prinzipiell
nach den gleichen Kriterien behandelt werden wie primäre
Tumoren. Bei den extraluminären Rezidiven bringt ein multi­
modales Therapiekonzept mit Induktionsradio- und Chemotherapie und evtl. auch intraoperativer Bestrahlung bislang
die besten Ergebnisse. Bei R0-Resektionen können 5-JahresÜberlebensraten von etwa 25% erreicht werden, die perioperative Letalität ist mit ca. 3% akzeptabel. Die radikale pelvine
Exenteration mit Sakrumteilresektion kommt nur in wenigen
ausgewählten Fällen mit Tumorlokalisation unterhalb S2 und
gutem Allgemeinzustand des Patienten infrage. In der Palliativsituation besteht die Möglichkeit der Radiotherapie zur
Tumor- und vor allem Schmerzreduktion.
48.12
Ausblick
Die Prognose von Patienten mit einem Rektumkarzinom
konnte in den letzten Jahren durch die Verbesserung der
­chi­rurgischen Technik und neoadjuvante Therapieansätze
verbessert werden. Verschiedene Bestrahlungsmodalitäten
und -dosen werden derzeit ebenso intensiv untersucht wie
eine Optimierung der Chemotherapie durch neue Substanzen
oder Substanzkombinationen. Es wird in Zukunft aber auch
wesentlich darauf ankommen, neben immer aggressiveren
Therapiemaßnahmen weitere tumorbezogene Risiko- und
Prognoseparameter zu identifizieren, um die verfügbaren
­adjuvanten Maßnahmen gezielter einsetzen zu können und
den davon nicht profitierenden Patienten deren Nebenwirkungen ersparen zu können.
Trotz aller Fortschritte der (neo-)adjuvanten Therapie
ist die chirurgische Resektion unverzichtbarer und zentraler
­Anker aller multimodalen Therapiekonzepte. Deshalb muss
vor der Forderung nach multimodalen Therapien als verbindlichem Standard die hohe Qualität der Operation flächen­
deckend sichergestellt sein. Davon ist aufgrund der bislang
vorliegenden Ergebnisse noch nicht auszugehen (Hermanek
et al. 2000; Jeyarajah et al. 2007). Ob dies durch die geplante
Einführung von Mindestoperationen pro Operateur und Zentrum im Rahmen der Zertifizierung für Darmkrebszentren
verbessert wird bleibt abzuwarten.
Tatsache ist, dass die Operation umso erfolgreicher und
die Prognose von Patienten umso günstiger ist, je früher der
Tumor diagnostiziert wird. Es muss daher in Zukunft ge­
steigerter Wert auf die frühzeitige Diagnose kolorektaler Karzinome gelegt werden. Dies beinhaltet nicht nur die Weiterentwicklung der technisch-apparativen Diagnostik, sondern
auch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zur Wahrnehmung
der kostenlosen Vorsorgeuntersuchung. Die hohe Rate prognostisch ungünstiger Tumorstadien und damit auch die Notwendigkeit für aufwändige, belastende und kostenintensive
Behandlungen könnte dadurch nachhaltig gesenkt werden.
Internetadressen
Leitlinien: <url>http://www.AWMF.de</url>
Cochrane-Reviews: <url>http://www.update-software.com</url>
Selbsthilfegruppen: <url>http://www.krebshilfe.de</url>
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Kapitel 48 · Rektumkarzinom
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