Jahrgang Volume 4 (2016)/2: 1-23 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit – Von der Historischen Schule zur Sozialen Marktwirtschaft1 Christian Hecker Zusammenfassung Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit dem Gerechtigkeitsverständnis der Protagonisten der Jüngeren Historischen Schule der deutschsprachigen Nationalökonomie (Gustav Schmoller und Lujo Brentano) insbesondere im Hinblick auf die Verantwortung von Unternehmern und Unternehmen und untersucht dessen Einfluss auf die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland. Dabei wird aufgezeigt, dass wesentliche Aspekte der wirtschaftsethischen Überlegungen Schmollers und Brentanos sowohl bei den akademischen Vordenkern der Sozialen Marktwirtschaft (Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow u.a.) als auch in der praktischen Ausgestaltung des bundesdeutschen Wirtschaftsmodells der Nachkriegszeit wiederzufinden sind. Im Hinblick auf aktuelle Debatten zur Corporate Social Responsibility lassen sich daraus verschiedene Folgerungen für die Verantwortung von Unternehmen im Rahmen der Entgeltpolitik, bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen sowie bei der Durchsetzung von ordnungs- und sozialpolitischen Standards unter den Bedingungen der Globalisierung ableiten. Schlagwörter Soziale Marktwirtschaft, Ordoliberalismus, Historische Schule, CSR, Soziale Gerechtigkeit Abstract This paper deals with the proponents of the Historical School in Germany (Gustav Schmoller, Lujo Brentano) and their concept of justice, especially regarding the responsibility of firms and entrepreneurs for the realization of social norms. Furthermore, it explores the role of this conception for the development of the Social Market Economy in Germany after World War II in theory and in practice. It demonstrates that substantial aspects of Schmoller’s and Brentano’s moral and social ideas lived on in the concepts of ordo-liberal economists (Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow et al.) and post-war economic policy. Regarding current debates on Corporate Social Resposibility, several conclusions can be drawn, especially for remuneration policy, labor conditions and the implementation of social norms against the background of globalization. Keywords Social market economy, Ordo-Liberalism; Historical School, Corporate Social Responsibility, social justice 1 Der vorliegende Beitrag stellt ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors dar und gibt nicht notwendigerweise Positionen der Deutschen Bundesbank wieder. 1 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik 1. Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Einleitung Seit es unternehmerische Freiheit gibt, ist die damit einhergehende Verantwortung von Unternehmern für das Gemeinwesen thematisiert worden. Ein frühes Beispiel dafür bieten die Ermahnungen Martin Luthers an Kaufleute und Investoren, bei ihrer Preisgestaltung und Zinsfestlegung auch Erfordernisse des Gemeinwohls zu berücksichtigen, um ihrer Verantwortung innerhalb der damaligen Standesgesellschaft gerecht zu werden (Hecker 2008, S. 59-62; 2014a). Als dann seit dem beginnenden 19. Jahrhundert mit der Durchsetzung der Gewerbefreiheit, der Aufhebung der Leibeigenschaft und verschiedenen Reformen des Handels- und Wirtschaftsrechts die Freiheit unternehmerischen Handelns neue Dimensionen gewann, nahm auch die kritische Auseinandersetzung mit der Nutzung dieser Freiheitsrechte zu. In diesem Kontext spielten insbesondere in der deutschsprachigen Nationalökonomie ethische bzw. moralphilosophische Argumentationen von Anfang an eine maßgebliche Rolle. Dies spiegelt sich beispielsweise in Johann Gottlieb Fichtes Schrift „Der geschloßne Handelsstaat“ (1800) oder in Adam (von) Müllers Werk „Die Elemente der Staatskunst“ (1809) wider (u.a. Kreis 1999). Einen Höhepunkt erreichte die Einbeziehung ethischer Argumentationsmuster in die ökonomische Argumentation im ausgehenden 19. Jahrhundert im Rahmen der Historischen Schule der Nationalökonomie, deren Protagonisten, insbesondere Gustav (von) Schmoller und Lujo Brentano, auch als „Kathedersozialisten“ bezeichnet wurden. Mit dem Untergang des Kaiserreichs nach dem ersten Weltkrieg verlor diese Denkrichtung schnell an Ansehen, da insbesondere die dabei zugrunde gelegte historistische Methodik sowie der damit verbundene Fortschrittsoptimismus nicht mehr überzeugten. Daher setzten sich auch die Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft aus dem Spektrum des Ordoliberalismus eher kritisch mit der Historischen Schule auseinander. Gleichwohl spielten viele Postulate Schmollers und Brentanos bei der praktischen Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft in der Nachkriegszeit eine zentrale Rolle. Zudem wurde insbesondere die Bedeutung gesellschaftlicher Institutionen, die vor allem Schmoller in zahlreichen Schriften herausgearbeitet hatte, inzwischen von der Neuen Institutionenökonomik wiederentdeckt. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit der Bedeutung der Historischen Schule für die Soziale Marktwirtschaft, wobei vor allem deren Aussagen zur Verantwortung von Unternehmern und Unternehmen analysiert werden (Abschnitt 2). Dabei liegt der Schwerpunkt der Analyse im Werk Gustav Schmollers, da sich dort die fundierteste Einbeziehung ethischer Gesichtspunkte in ökonomische Betrachtungen findet. Vergleichend werden zudem die Schriften Lujo Brentanos herangezogen. Der dritte Abschnitt setzt sich mit dem Verhältnis der Historischen Schule zur Sozialen Marktwirtschaft auseinander, wobei sowohl die akademischen Vordenker dieser Wirtschaftsordnung als auch die praktische Gestaltung der Wirtschaftskultur in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg thematisiert werden. Im letzten Abschnitt werden die Ergebnisse dieser historischen Betrachtungen auf verschiedene aktuelle Herausforderungen angewendet. 2 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit 2. Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Gerechtigkeit und Unternehmensverantwortung bei den Protagonisten der Historischen Schule 2.1. Gustav (von) Schmoller 2.1.1. Der wirtschaftsethische Ansatz Schmollers Gustav (von)2 Schmoller (1838-1917) gilt als zentraler Protagonist der Jüngeren Historischen Schule der deutschsprachigen Nationalökonomie und hat durch seine akademische Tätigkeit und seine Rolle als Mitbegründer des Vereins für Socialpolitik die Volkswirtschaftslehre in Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt. Die Argumentation Schmollers ist gekennzeichnet durch die systematische Einordnung ökonomischer Zusammenhänge in den Kontext von Gerechtigkeitsüberlegungen,3 wobei Schmoller als „Staatswissenschaftler“ philosophische, juristische und ökonomische Gesichtspunkte miteinander verband, die er zugleich als Geschichtswissenschaftler hinsichtlich ihrer historischen Tiefendimensionen untersuchte. Ein zentrales Anliegen war dabei die Integration der Industriearbeiter in die Gesellschaft des Kaiserreichs, d.h. eine friedliche Bewältigung der durch die Industrielle Revolution entstandenen „Sozialen Frage“. Dies konnte nach Überzeugung Schmollers nur durch eine Weiterentwicklung gesellschaftlicher Institutionen geschehen, deren Untersuchung er einen Großteil seiner historischen und nationalökonomischen Forschungsarbeit widmete. Dabei legte er einen Institutionenbegriff zugrunde, der der modernen Definition durch die Neue Institutionenökonomik bereits sehr nahe kommt. So definierte er den Begriff Institution als „eine Summe von Gewohnheiten und Regeln der Moral, der Sitte und des Rechtes, die einen gemeinsamen Mittelpunkt oder Zweck haben“ (Schmoller 1923, Teil 1, S. 61 f.). Mit seiner historisch fundierten Argumentation stand Schmoller zugleich in der Tradition der fortschrittsorientierten liberalen Geschichtsschreibung seiner Zeit, wie sie damals in Deutschland u.a. von Georg Gottfried Gervinus, Heinrich von Sybel und Johann Gustav Droysen propagiert wurde (Koselleck 2010; Demandt 2011, S. 210-116).4 Geschichte wurde dabei als Prozess der Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft gedeutet, wobei der Geschichtswissenschaft als Selbstreflexion dieses Prozesses eine hohe Verantwortung oblag.5 In diesem Sinne sah auch Schmoller die Wissenschaft in der Verantwortung, wenn es um die Weiterentwicklung des Wertebewusstseins in2 3 4 5 Schmoller wurde im Jahre 1908 in den Adelsstand erhoben. Systematische Untersuchungen dazu entfaltete Schmoller vor allem in seiner Schrift „Die Gerechtigkeit in der Volkswirtschaft“ (1881), die er noch im hohen Alter als sein bestes Werk betrachtete (Seifert 1991, S. 85). So sah Gervinus den „Historiker als […] Parteimann des Schicksals“ an, der „ein natürlicher Verfechter des Fortschritts sein“ müsse (zitiert nach Mommsen 2000, S. 98). Auf dem Gebiet der Geschichtsreflexion hat sich Schmoller vor allem mit der Philosophie Johann Gottlieb Fichtes (1806, S. 5-15) befasst, der von einer Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft im Zuge von fünf Zeitaltern ausging, die durch eine zunehmende Verwirklichung der menschlichen Vernunft gekennzeichnet sei (Schmoller 1865, S. 57-61). Eine Betrachtung sozialer Veränderungsprozesse im Sinne einer stufenweisen Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft findet sich insbesondere bei Schmoller (1875). 3 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit nerhalb der Gesellschaft zur Verbesserung der moralischen und praktischen Urteilsfähigkeit ging.6 Im Gegensatz zu vielen liberalen Historikern seiner Zeit, denen es primär auf die Freiheit gegenüber obrigkeitlicher Bevormundung ankam, identifizierte Schmoller gesellschaftlichen Fortschritt ähnlich wie später Rawls (1971, S. 75-83) mit einer Verbesserung der Lage der am schlechtesten gestellten Mitglieder der Gesellschaft.7 Aus wirtschaftsethischer Sicht liegt ein entscheidender Beitrag Schmollers in der Entwicklung eines Gerechtigkeitskonzeptes, das einerseits auf der aristotelischen Tradition der verteilenden Gerechtigkeit aufbaute, aber andererseits über diese hinauswies, indem es auf dem Ziel der Sicherung von Partizipationsmöglichkeiten für alle Gesellschaftsmitglieder beruhte. So formulierte Schmoller (1875, S. 98) seine ethische Motivation mit folgenden Worten: „Mein Glaube geht […] dahin, das Ziel der Geschichte sei, eine sukcessiv steigende Zahl von Menschen zu den höhern [sic!] Gütern der Kultur heranzurufen, das Niveau, auf dem die untersten elendsten Mitglieder der Gesellschaft verharren müssen, sukcessiv zu erhöhen.“ Damit bekannte sich Schmoller zu einem ethischen Postulat, das auf die Befähigung möglichst vieler Bürger zur aktiven Teilnahme am kulturellen und gesellschaftlichen Leben abzielt und daher unmittelbar anschlussfähig ist an moderne Konzepte sozialer Gerechtigkeit. Beispielsweise lassen sich deutliche Analogien zum CapabilitiesApproach von Amartya K. Sen identifizieren, der eine Optimierung der Verwirklichungschancen aller Bürgerinnen und Bürger im Sinne einer Gestaltung selbst gewählter Lebensentwürfe postuliert (Sen 2009). So setzte sich Schmoller ebenso wie später Sen für politische Initiativen zur aktiven Integration bislang benachteiligter Bevölkerungsschichten ein, wobei er insbesondere die Industriearbeiter im Blick hatte. Dabei konstatierte Schmoller (1890, S. 161), dass den Arbeitern nicht nur „formelle Freiheit“ zukomme, sondern auch „materielle Freiheit, die dem Einzelnen sein Fortkommen und Gedeihen sichert, vor Allem die unteren Klassen zu heben, zu fördern, zu bilden sucht.“ An dieser Stelle verweist der Freiheitsbegriff Schmollers unmittelbar auf spätere moralphilosophische und politologische Auseinandersetzungen, beispielsweise Isaiah Berlins Abgrenzung zwischen negativer und positiver Freiheit (Berlin 1969, S. 118-134). Wirtschaftliche Freiheit ohne Schutz der Benachteiligten konnte in den Augen Schmollers nur zu einer „Klassenherrschaft der Besitzenden“ (Schmoller 1875, S. 326) führen und würde durch den damit verbundenen sozialen Sprengstoff letztendlich auch ihre eigenen Grundlagen gefährden. 6 7 An dieser Forderung entzündete sich Anfang des 20. Jahrhunderts ein „Werturteilsstreit“ zwischen Schmoller und Max Weber, der auf beiden Seiten durch Überspitzungen gekennzeichnet war. Vgl. dazu u.a. Weber (1917) sowie Nutzinger (1999, S. 468-470). So entwickelte Schmoller seine ethischen Postulate vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit dem nationalliberalen Historiker und Publizisten Heinrich von Treitschke, der soziale Ungleichheiten als naturgegeben ansah und der Gesellschaft – in ähnlicher Form wie später Hayek – das Recht absprach, in die durch Herkunft, Begabungen und Zufallsfaktoren bestimmte Verteilung von Einkommen und Vermögen einzugreifen; so heißt es bei Treitschke (1874, S. 136): „Die Millionen müssen ackern und schmieden und hobeln, damit einige Tausende forschen, malen und regieren können.“ 4 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik 2.1.2. Unternehmen als Träger gesellschaftlicher Verantwortung Für die Verwirklichung der von ihm herausgearbeiteten ethischen Postulate identifizierte Schmoller verschiedene Gruppen von Verantwortungsträgern, wobei er eine Abstufung der jeweiligen Verantwortung gemäß dem Subsidiaritätsprinzip forderte. Diese Verantwortung begann in Schmollers Augen beim einzelnen Arbeiter und reichte über Unternehmen, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften bis hinauf zum Staat als „oberste(m) Appellhof, an den das sittliche Culturleben appelliert“ (Schmoller 1864, S. 534). Dabei kam dem Staat als „einer weitblickenden Monarchie mit einem gesunden hochstehenden Beamtentum“ (Schmoller 1914, S. 1736) eine Schlüsselfunktion zu, um sämtliche Akteure im Wirtschaftsleben zur Wahrnehmung ihrer individuellen Verantwortung anzuhalten. Auf diese Weise wurden die staatlichen Instanzen zu Verantwortungsträgern letzter Instanz, denen die Aufgabe zukam, die Durchsetzung von Verantwortung innerhalb der Gesellschaft insgesamt zu gewährleisten und gegebenenfalls das Versagen anderer Akteure aufzufangen bzw. zu sanktionieren.8 Innerhalb dieses Gesamtrahmens wies Schmoller insbesondere großen Unternehmen und deren Entscheidungsträgern eine besondere Verantwortung zu, die er aus einem implizit vorliegenden öffentlichen Auftrag ableitete. So wies Schmoller (1889, S. 392) unter Verweis auf Albert Schäffle darauf hin, „jeder Unternehmer höhern Stils müsse seine Tätigkeit als ein von der Gesellschaft übertragenes Amt auffassen.“ Er begründete diese Verpflichtung mit der Einbettung der Unternehmenstätigkeit in staatliche und gesellschaftliche Funktionszusammenhänge, wobei er zum einen auf die Nutzung staatlich bereitgestellter öffentlicher Güter durch die Unternehmen verwies. Darüber hinaus hob er die Machtposition hervor, die großen Unternehmungen durch ihre ökonomische Funktion oftmals zuwachse, „weil sie ganze Thäler und Dörfer, Städte und Gegenden in andere Lage bringen, sie ernähren oder beim Stocken, beim Eingehen in Unglück stürzen“ (Schmoller 1889, S. 392). Daher oblag es in den Augen Schmollers auch der Verantwortung der Unternehmen, die absehbaren Auswirkungen geschäftspolitischer Entscheidungen auf andere Akteure, d.h. insbesondere ihre Beschäftigten sowie gegebenenfalls betroffene weitere gesellschaftliche Funktionsbereiche, zu berücksichtigen. Diese Verpflichtung entsprach in Schmollers Augen zugleich dem wohlverstandenen Eigeninteresse der Unternehmen an der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und Unabhängigkeit. So wies er in vielen seiner Schriften (bspw. 1864, S. 417 f.; 1875, S. 334-336) darauf hin, dass Unternehmen, die ihre moralischen Verpflichtungen versäumten, dadurch die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes provozieren und damit letztendlich ihre eigene Existenz untergraben würden. Als konkrete Träger unternehmerischer Verantwortung sah Schmoller zunächst eigenverantwortlich wirtschaftende Unternehmer an, wobei er sich mit den Maßnahmen verschiedener Unternehmerpersönlichkeiten seiner Zeit detailliert auseinandersetzte.9 So lesen sich viele seiner Schriften auch als Zusammenstellung von Best Practice hinsichtlich der Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung (u.a. Schmoller 1889). 8 9 Vgl. zur Bedeutung des Staates als Verantwortungsträger letzter Instanz im Rahmen eines subsidiaritätsfundierten Ordnungsgefüges Fischer et al. (2008, S. 437) sowie Hecker (2013a, S. 119-121). So bezeichnete er es als „erste sociale Pflicht“ jedes Unternehmers, „gesunde und glückliche Arbeiterverhältnisse in seiner Umgebung zu schaffen“ (Schmoller 1889, S. 396). 5 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Mit Blick auf den im 19. Jahrhundert einsetzenden Prozess der Umwandlung großer Unternehmen in Aktiengesellschaften oder andere Rechtsformen ohne direkte Leitung durch einzelne Unternehmer sah Schmoller auch die neu entstandene Gruppe der angestellten Unternehmenslenker in der Pflicht, zur Verwirklichung der von ihm dargelegten ethischen Postulate beizutragen. Insbesondere im Hinblick auf die neu entstandenen Großunternehmen seiner Zeit identifizierte Schmoller zudem eine institutionelle Verantwortung, die über das soziale Engagement des Einzelnen hinauswies. Unternehmen waren für Schmoller Institutionen mit eigener Verantwortung, deren Organisation so beschaffen sein sollte, dass sie allen Beteiligten die Erfüllung ihrer sittlichen Pflichten ermöglichte. So verwies Schmoller auf die Notwendigkeit, die rechtlichen Rahmenbedingungen, d.h. vor allem das Gesellschaftsrecht, so zu gestalten, dass die Entscheidungsträger von Kapitalgesellschaften zur Wahrnehmung ihrer Verantwortung angehalten werden. Als Mittel dazu schlug er u.a. die teilweise Besetzung von Aufsichtsräten mit unabhängigen Persönlichkeiten vor, die nicht primär die Interessen des Kapitals vertreten sollten. Auf diese Weise sollten „die Aktiengesellschaft mit Gemeingeist erfüllt, der Privategoismus zurückgedrängt (werden) durch staatsmännische und gemeinnützige Gesichtspunkte“ (Schmoller 1909). 2.1.3. Die konkrete Ausgestaltung von Unternehmensverantwortung bei Schmoller Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung der Unternehmensverantwortung heißt es bei Schmoller (1889, S. 408): „Die Leiter der Aktiengesellschaft und anderer Großunternehmen müssten sich nur bewusst werden, dass sie nicht bloß für Produktion und Handel, sondern auch für die sociale Ordnung, für das menschliche und technische Erziehungswesen […] verantwortlich durch ihre Maßnahmen sind.“ In diesem Sinne sollte die staatliche Sozialpolitik, deren erste Ansätze unter Bismarck entwickelt wurden, durch eigenverantwortliche Maßnahmen der Unternehmen zur Förderung und Weiterqualifizierung ihrer Arbeiter ergänzt werden (Schmoller 1889, S. 418). Dabei setzte Schmoller im Gegensatz zu vielen Unternehmern seiner Zeit nicht primär auf unternehmerischen Paternalismus, sondern zugleich auf die partizipatorische Einbindung der Arbeiter durch entsprechende Institutionen, vor allem in Bezug auf Personalangelegenheiten (Schneider 1993). So sollten von den Belegschaften gewählte Arbeiterausschüsse in den Unternehmen einerseits bei der Personalpolitik und der Gestaltung der Arbeitsbedingungen mitentscheiden. Andererseits sollten diese Ausschüsse zugleich im Sinne eines „solidarische(n) genossenschaftliche(n) Standesgefühl(s)“ auf die Lebensführung der Arbeiter einwirken, indem sie diese von Alkoholmissbrauch, Raufereien und anderen Verfehlungen abhielten (Schmoller 1889, S. 429). Hierbei handelte es sich für Schmoller um ein wichtiges Bindeglied zu der von ihm gleichfalls postulierten Eigenverantwortung jedes Arbeiters für die Hebung seines Lebensstandards, insbesondere durch Verbesserung seiner Qualifikation mittels Aus- und Weiterbildung, Sparsamkeit und den Verzicht auf übereilte Familiengründung (Schmoller 1864/65). Auch die Lohnpolitik sollte den Anforderungen der Gerechtigkeit Genüge tun, wobei Schmoller darauf verwies, dass die Förderung der Loyalität und Motivation der Arbeiter 6 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik im wohlverstandenen Eigeninteresse jedes Arbeitgebers liege (Schmoller 1875, S. 61 f.; 1918, S. 309 f.). Dabei hielt er auch eine regelmäßige Beteiligung der Arbeiter am Unternehmensgewinn für ein sinnvolles Instrument zur emanzipatorischen Einbindung der Belegschaften und zur Motivationssteigerung (Schmoller 1890). Zugleich sollten die Unternehmen darauf hinwirken, dass qualifizierten und leistungsbereiten Arbeitern die Möglichkeit eines Aufstiegs in Positionen mit Personalverantwortung und höheren Gehältern geboten wurde. Eine zentrale Bedeutung maß Schmoller sowohl auf unternehmensinterner als auch auf gesellschaftlicher Ebene der Verwirklichung von Leistungsgerechtigkeit bei, denn „der Nagel zum Sarg jeder bestehenden Eigenthumsvertheilung ist der um sich greifende Glaube, […] dass zwischen den verschiedenen Leistungen der Einzelnen und ihren wirtschaftlichen Resultaten – ihrem Einkommen eine zu große, zu ungerechte Disharmonie sei“ (Schmoller 1890, S. 334).10 Daher bezog der von Schmoller angestrebte soziale Ausgleich innerhalb der Gesellschaft die Verbesserung der Lage der Bezieher niedriger Einkünfte ebenso ein wie die weitestmögliche Unterbindung der Selbstbereicherung von Unternehmern und leitenden Angestellten durch den Missbrauch wirtschaftlicher Macht, d.h. ohne Erbringung entsprechender Leistungen (Schmoller 1877, S. 163). Aus diesem Grund sollte die Entgeltpolitik von Unternehmen in ihrer Gesamtheit den Anforderungen der Gerechtigkeit Genüge tun. In diesem Sinne würdigte Schmoller (1906) insbesondere den Jenaer Unternehmer Ernst Abbe, der in dem von ihm erstellten Statut für die Carl-Zeiss-Stiftung aus dem Jahr 1896 festgelegt hatte, dass die Gehälter der Mitglieder der Unternehmensleitung das Zehnfache des Lohnes erfahrener Arbeiter nicht überschreiten durften (Abbe 1935, S. 47, § 94). Dieser Passus wurde jedoch im Rahmen der Umwandlung der ZeissUnternehmen in Aktiengesellschaften im Jahr 2004 gestrichen. 2.2. Zum Vergleich: Lujo Brentano Lujo Brentano (1844-1931), ein weiterer maßgeblicher Protagonist der Jüngeren Historischen Schule und Mitgründer des Vereins für Socialpolitik, teilte die meisten ethischen und sozialpolitischen Anliegen Schmollers. Auch er wies der Nationalökonomie die Aufgabe zu, durch die Erklärung von Wirkungszusammenhängen Unterstützung bei der Durchsetzung sittlicher Ideale im Wirtschaftsleben zu bieten (Brentano 1901, S. 75 f.), wenngleich sich in seinen Schriften nur wenige systematische Überlegungen zur Verankerung wirtschaftspolitischer Überlegungen in moralphilosophisch begründeten Normen finden. Wie Schmoller bekannte sich auch Brentano insbesondere zu dem Ziel einer Beteiligung der Industriearbeiter an den Früchten des ökonomischen und technologischen 10 So sah Schmoller das Volk in seiner Gesamtheit als „sittliche Gemeinschaft“, deren Maßstäbe hinsichtlich der Gerechtigkeit auch im Wirtschaftsleben durchgesetzt werden müssten. Dies galt mit Blick auf die Einkommensverteilung sowohl für die Hebung niedriger als auch für die Begrenzung hoher Einkünfte: „Da entscheidet eben das jeweilige Volksbewußtsein nach der Ordnung der Zwecke, die im Augenblick als die richtige erscheint, und dem folgt das öffentliche Urtheil, das die Dotation eines Generals, den [sic!] Gehalt eines Ministers, die Gage einer Sängerin gerecht oder ungerecht findet“ (Schmoller 1881, S. 28). 7 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Fortschritts (Brentano 1890). Dabei vertrat er im Gegensatz zu Schmollers Vertrauen auf den Staat als Verantwortungsträger letzter Instanz jedoch eine grundsätzlich liberalere Sichtweise, die primär die Selbsthilfe der Betroffenen in den Mittelpunkt stellte. So setzte er zum Zwecke der Verbesserung der Lebensbedingungen der Industriearbeiter vor allem auf deren Befähigung zur Selbstdurchsetzung ihrer Interessen, insbesondere durch Gewerkschaften.11 Dadurch sollte eine tatsächliche Machtgleichheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern hergestellt werden, um die persönliche Freiheit als Kernnorm einer liberalen Gesellschaftsordnung auch bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen zur Geltung zu bringen. Ähnlich wie Schmoller wies Brentano darauf hin, dass es im wohlverstandenen Eigeninteresse jedes Unternehmens liege, das Wohl seiner Beschäftigten zu fördern. Als Begründung legte er in einer breit angelegten Studie dar, dass die Leistungen der Arbeiter in aller Regel positiv mit der Höhe des Lohnes und den sonstigen Arbeitsbedingungen korreliert seien (Brentano 1893), wobei er ausdrücklich an Adam Smith (1961 [1776], Buch 1, Kap. 8, S. 91 f.) anknüpfte. Eine Schlüsselfunktion kam dabei in Brentanos Argumentation dem technischen Fortschritt zu, da innovative Technologien in der Regel nur von Arbeitern eingesetzt werden können, die nicht am Rande des Existenzminimums leben, sondern durch gute Löhne und Arbeitsbedingungen dazu motiviert sind, ihre Fähigkeiten und Erfahrungen weiterzuentwickeln. Technischer Fortschritt und verbesserte Arbeitsbedingungen und Löhne waren für Brentano zwei Seiten der gleichen Medaille. Daher forderte er, dass sich Unternehmen, statt auf möglichst niedrige Löhne zu setzen, um die Förderung des technischen Fortschritts bemühen sollten, um ihren Beschäftigten Lohnsteigerungen bieten zu können und dadurch eine Positiv-Spirale aus steigenden Löhnen und verbesserten Technologien zu ermöglichen (Brentano 1893). Unternehmen kam damit in den Augen Brentanos primär die Verantwortung zu, durch Innovation daran mitzuwirken, dass Win-Win-Situationen entstehen konnten, die zu höherer Produktivität bei höheren Löhnen führten. Zudem sah es Brentano (1892) als Forderung der Gerechtigkeit, d.h. als moralische Verantwortung der Unternehmer, an, sich den Interessen der Arbeiter an einer Anerkennung gewerkschaftlicher Organisationen und kollektiven Aushandlung von Tarifverträgen nicht entgegenzustellen. So bezeichnete er es als Aufgabe der Unternehmer, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, „wie es der rechtlichen und sittlichen Grundanschauung unserer Wirtschaftsordnung entspricht“ (Brentano 1892, S. 5), wozu er insbesondere die Herstellung einer tatsächlichen Gleichberechtigung bei der Aushandlung von Arbeitsverträgen durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen zählte. Die Pionierfunktion, die er dabei weitsichtigen Unternehmern zumaß, beschrieb Brentano (1892, S. 20) mit folgenden, etwas pathetischen Worten: „[…], werden Sie aus bloßen Befehlshabern des Kapitals zu wirklichen Führern Ihrer Arbeiter zu den berechtigten Idealen, welche diese beseelen, […]!“ Als weiteren Verantwortungsbereich der Unternehmer bezeichnete Brentano den Verzicht auf ordnungspolitisch fragwürdige Formen der Gewinnmaximierung, insbe11 Eine anschauliche Darstellung der Übereinstimmungen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Schmoller und Brentano findet sich insbesondere in Brentanos Autobiographie (1931). Vgl. dazu insbesondere im Hinblick auf die Rolle der Werturteile bei beiden Autoren auch Nutzinger (2008). 8 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik sondere durch Kartelle. Vielmehr sei es die Verantwortung der Unternehmer, unter Wettbewerbsbedingungen zur Erfüllung von Bedürfnissen beizutragen und durch die Weiterentwicklung der Produktionsverfahren der Steigerung des Lebensstandards und dem sozialen Fortschritt den Weg zu bahnen (Brentano 1907). 3. Der Weg von der Historischen Schule zur Sozialen Marktwirtschaft 3.1. Die Norm der sozialen Gerechtigkeit bei den akademischen Vordenkern der Sozialen Marktwirtschaft Als in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Grundlagen des Ordoliberalismus erarbeitet wurden und Alfred Müller-Armack den Begriff der „Sozialen Marktwirtschaft“ prägte, war der Fortschrittsoptimismus Schmollers durch die Erfahrungen der Weltkriege und der NS-Herrschaft ebenso fundamental diskreditiert wie sein Vertrauen in den Staat und die Beamtenschaft als Hüter sittlicher Ideale. Vor diesem Hintergrund setzten sich insbesondere die Protagonisten des Ordoliberalismus sehr kritisch mit dem Vermächtnis der Historischen Schule auseinander, deren wissenschaftliche Methodik sie ebenso verwarfen wie den damit verbundenen normativen Orientierungsrahmen (Eucken 1940). So forderte Walter Eucken (1947, S. 30-53; 1950, S. 177 f.) eine Überwindung des Historismus in der Wirtschaftswissenschaft durch eine „Theorie der Wirtschaftsordnungen“, die durch Abstraktion gegenüber rein historischer Forschung unterscheidbare Grundformen von Ordnungen identifizieren sollte (dazu auch Peukert 2000, S. 102-107). Daher hoben sowohl Eucken als auch andere Vordenker des Ordoliberalismus wie Wilhelm Röpke und Alexander Rüstow, die eine stärker soziologisch ausgeprägte Herangehensweise an wirtschaftspolitische Fragen propagierten, die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die Orientierung der Wirtschaft an normativen Zielen hervor. So sollte primär eine angemessene Ordnungspolitik des Staates dafür Sorge tragen, dass Wirtschaftsprozesse den Erfordernissen „sozialer Gerechtigkeit“ Genüge trugen. Alfred Müller-Armack, der sowohl als Nationalökonom als auch in seiner Funktion als Abteilungsleiter und späterer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium eine zentrale Rolle bei der praktischen Verwirklichung der Sozialen Marktwirtschaft spielte, berief sich hingegen ausdrücklich auf das Erbe der Historischen Schule. Dabei betonte er im Rahmen seiner Theorie der Wirtschaftsstile insbesondere die Verdienste Schmollers und seiner Mitstreiter für die interdisziplinäre Erforschung ökonomischer Prozesse im gesellschaftlichen und sozialen Kontext unter Einbeziehung ethischer Gesichtspunkte (Müller-Armack 1973, S. 248). Bei der Betrachtung ökonomischer Fragen im Kontext moralphilosophischer Überlegungen verwendeten die ordoliberalen Wissenschaftler zumeist den Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“, der von den Protagonisten der Historischen Schule noch nicht genutzt worden war. Diese Norm hatte ihren begrifflichen Ursprung in der katholischen Soziallehre und wurde im Laufe der Zeit zu einem Postulat, das die verschiedenen Ideen der Sozialen Marktwirtschaft verband und für die Identifikation breiter gesellschaftli9 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit cher Gruppen mit der Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit von zentraler Bedeutung war (Hecker 2011 und 2013a). Eine Untersuchung der inhaltlichen Ausprägung der Norm der sozialen Gerechtigkeit bei den Vordenkern des Ordoliberalismus zeigt gleichwohl erhebliche Analogien zum Gerechtigkeitsverständnis der Historischen Schule. So bekannten sich die Ordoliberalen zu der normativen Zielsetzung, jedem Bürger sowohl individuelle Freiheitsrechte als auch tatsächliche Möglichkeiten zur eigenverantwortlichen Gestaltung seines Lebens zu sichern, wodurch zugleich Aspekten der Chancengerechtigkeit und der Leistungsgerechtigkeit Rechnung getragen wurde. Zum Ausdruck kam diese Forderung unter anderem in der paradigmatischen Formulierung von Rüstow (1950, S. 97): „Durch solche Verbindung von Startgerechtigkeit mit freier Leistungskonkurrenz wäre ein wirkliches Maximum an wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit erreicht: Jedermann wäre dann wirklich seines Glückes Schmied.“ Zentrales Motiv der Protagonisten des Ordoliberalismus war die Gestaltung der Rahmenordnung der Wirtschaft in dem Sinne, dass allen Beteiligten ein menschenwürdiges Leben, insbesondere ohne entwürdigende Abhängigkeit von der Macht anderer, ermöglicht wird. Dabei sollte die Ordnungspolitik des Staates zugleich dazu beitragen, dass Menschen – im Sinne des Subsidiaritätsprinzips – ihre Verantwortung innerhalb der Gesellschaft wahrnehmen können und sowohl eine moralische Unterforderung als auch eine Überforderung des Einzelnen vermieden werden.12 Als Grundprinzip postulierten die Ordoliberalen, dass jeder zunächst für sich selbst verantwortlich sei, aber darüber hinaus eine Mitverantwortung für diejenigen trage, mit denen er durch regelmäßige Kooperation, insbesondere auf regionaler Ebene, verbunden sei.13 In diesem Zusammenhang verwies Röpke vor allem auf die ordnungspolitische Mitverantwortung der Unternehmer für die Durchsetzung einer funktionsfähigen und unverzerrten Marktwirtschaft, wobei er primär die eigenverantwortliche unternehmerische Tätigkeit unter Verzicht auf Haftungsbeschränkungen, monopolistische Bestrebungen und staatliche Subventionen hervorhob (Röpke 1947; 1997). So war die Verwirklichung einer Sozialen Marktwirtschaft aus Sicht Röpkes auf verantwortungsbewusste Unternehmer angewiesen, zugleich stellte sie jedoch auch eine Voraussetzung dafür dar, dass Unternehmer Verantwortung übernehmen konnten. Auch Müller-Armack (1948, S. 464 f.) wies – insbesondere mit Blick auf das von ihm konstatierte moralische Versagen von Unternehmern in der Vorkriegszeit – allen gesellschaftlichen Kräften die Aufgabe zu, bei der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit mitzuwirken. Eine derartige, subsidiär gestaltete Zuweisung von Verantwortung für die Umsetzung sozialer Gerechtigkeit entsprach zugleich weitgehend der Verwendung dieser Norm in der katholischen Soziallehre der Nachkriegszeit. So spielte das Subsidiaritätsprinzip seit der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) eine entscheidende Rolle in der katholischen Soziallehre und wurde zugleich zum Maßstab für die Durchsetzung sozialer Gerechtig12 13 Eucken beschrieb die Bedeutung der Wirtschaftsordnung für die Verwirklichung von Verantwortung unter dem Begriff "Interdependenz der Ordnungen", vgl. Eucken (1952, S. 180-184). So äußerte sich Röpke (1958, S. 177 f.): „ Aber freilich: richesse oblige. Jedes Privileg, mag es das der Geburt, der Ehre und Achtung oder das des Reichtums sein, hat genau so weit ein Recht, wie es als verpflichtend anerkannt wird. (…) Wenn das vielmißbrauchte Wort von der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ ein Recht hat, so gewiß hier.“ 10 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik keit. Dementsprechend bezeichnete der katholische Sozialethiker Oswald von NellBreuning (1985, S. 358-363) die Norm der sozialen Gerechtigkeit als Verpflichtung jedes Wirtschaftssubjektes, sich im Rahmen seiner Handlungsspielräume eigenverantwortlich für eine Ausrichtung der Wirtschaft am Postulat der Lebensdienlichkeit einzusetzen. Dabei müssten die Verpflichtungen der iustitia legalis zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben eigenständig um die Befolgung weiterer Regeln des Gemeinwohls ergänzt werden. Als Beispiel nannte Nell-Breuning die moralische Pflicht, im Falle unzureichender gesetzlicher Regelungen durch eine konstruktive und nicht nur durch Lobbyismus geprägte Mitwirkung am Gesetzgebungsprozess auf eine angemessene Regulierung hinzuwirken. So bietet die vergleichende Betrachtung des Ordoliberalismus und der katholischen Soziallehre der Nachkriegszeit eine Vielzahl von Belegen dafür, dass beide Denkrichtungen Anregungen aus der Historischen Schule empfingen.14 3.2. Soziale Marktwirtschaft in der Praxis: Die Wirtschaftsstruktur der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg Die praktische Umsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg war einerseits geprägt durch wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen des Staates. Dazu zählten sowohl ordnungspolitische Ansätze zur Bekämpfung von Marktmacht und zur Verbesserung der Situation der Arbeitnehmer in größeren Unternehmen als auch Reformen zur Verbesserung der sozialen Absicherung breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere durch den Ausbau der Arbeitslosenversicherung und die Dynamisierung der Renten. Andererseits kam bei der Gestaltung der Wirtschaftsordnung der Nachkriegszeit auch der Eigeninitiative von Unternehmern bzw. Unternehmen von Anfang an eine zentrale Bedeutung zu (Hecker 2011). So wurde es zum Selbstverständnis großer Unternehmen, dass alle Beschäftigtengruppen am Unternehmenserfolg profitierten und Entlassungen auch im Falle kurzfristiger Schwankungen der Geschäftsauslastung weitgehend unterblieben. Auf diese Weise wurden Unternehmen neben dem Staat zu maßgeblichen sozialpolitischen Akteuren, die ihren Beschäftigten außer regelmäßigen Lohnsteigerungen zugleich ein hohes Maß an sozialer Absicherung boten. Gerade in Großunternehmen entwickelte sich oftmals ein firmeninternes Gemeinschaftsverständnis, das an historische Traditionen, bis hin zur frühneuzeitlichen Konzeption des „Ganzen Hauses“, anknüpfen konnte und diese mit emanzipatorischen Impulsen der Arbeiterbewegung verband (Hecker 2014b).15 In diesem Kontext wurden sinkende Einkommensdifferenzen innerhalb der Firmen zugleich als Ausdruck des sozialen Fortschritts gewürdigt.16 Die Akzeptanz dieser Verantwortung seitens der Unternehmen war indes kein Automatismus, sondern erfolgte unter vielfältigem gesellschaftlichen Druck, der insbesonde14 15 16 Zum (durchaus ambivalenten!) Verhältnis der neu entstehenden katholischen Soziallehre zur Historischen Schule vgl. bspw. die Darstellung des Jesuiten Heinrich Pesch (1924, S. 515-522). Vgl. zur Konzeption des „Ganzen Hauses“ im Sinne einer Eingliederung der Mitarbeiter in eine auf Dauer angelegte, sozial untergliederte Hauswirtschaft bspw. Blickle (2008, S. 19-38). So teilte der damalige Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, in einem Interview aus dem Jahr 1964 mit, dass er stärkere Einkommenszuwächse in den unteren Gehaltsgruppen seiner Bank im Vergleich zu den Bezügen der Führungskräfte und Vorstände als Fortschritt im Sinne der Gerechtigkeit ansehe (Härtel 2004, S. 348 f.). 11 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit re von Politikern und Gewerkschaften, aber auch von anderen gesellschaftlichen Kräften wie den beiden Volkskirchen ausging. Als Beispiel dafür kann die Aufforderung Ludwig Erhards (1964, S. 208-220) genannt werden, Unternehmen sollten ihre Beschäftigten von sich aus durch Lohnsteigerungen in Höhe des Produktivitätsfortschritts an ihrem wirtschaftlichen Erfolg beteiligen. Diese vielfältigen Einflussnahmen konnten damals eine vergleichsweise hohe Wirkung entfalten, da ein weit reichender gesellschaftlicher Konsens dahingehend bestand, dass die sozialen Polarisierungen der Vorkriegszeit, die man für das Erstarken radikaler politischer Kräfte und damit den Untergang der Weimarer Demokratie verantwortlich machte, in Zukunft vermieden werden sollten. Hinzu kam in vielen Fällen auch das Eigeninteresse der Firmen, die auf diese Weise auf qualifizierte und loyale Stammbelegschaften zurückgreifen konnten, um die hohe Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Industriegütern an den internationalen Märkten zu bedienen. Der insbesondere von Schmoller postulierte öffentliche Auftrag an Unternehmen fand sich damals auch im Aktiengesetz wieder. So hieß es in § 70 Abs. 1 des Aktiengesetzes in der Fassung von 1937, dass der Vorstand bei unternehmerischen Entscheidungen an den „gemeinen Nutzen von Volk und Reich“ gebunden sei. Dieser in der Terminologie des Nationalsozialismus verfasste Artikel blieb bis 1965 in Kraft, wobei der „gemeine Nutzen“ nunmehr im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft interpretiert wurde (Meyer-Landrut und Schmidt 1961, S. 430-439). Bei der Reform des Aktiengesetzes im Jahre 1965 wurde dieser Passus gestrichen, da er nach damaliger Ansicht des Gesetzgebers als selbstverständlich anzusehen war (Spindler 2010, S. 79-81). Eine detaillierte Betrachtung der verschiedenen Gestaltungsmerkmale der Sozialen Marktwirtschaft der Nachkriegszeit macht deutlich, dass viele der verwirklichten Instrumente und Maßnahmen auf Überlegungen der Vordenker der Historischen Schule zurückgehen. So hat die betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer durch Betriebsräte und Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten ihren Ursprung in der Forderung Schmollers nach Einrichtung von Arbeiterausschüssen in Unternehmen (Schneider 1993, S. 255). Auch die Förderung der Fachkompetenz und damit auch der Einkommensperspektiven von Mitarbeitern durch innerbetriebliche Weiterbildung hatte bereits bei Schmoller und Brentano eine zentrale Rolle gespielt. In diesem Sinne trugen viele der Gestaltungsmerkmale der bundesdeutschen Wirtschaftsordnung zugleich zur Verwirklichung ethischer Zielsetzungen bei, die den normativen Postulaten der Protagonisten der Historischen Schule sehr nahekamen. Ein wesentliches Ergebnis dieser Entwicklung war die Emanzipation der Arbeitnehmer von Proletariern zu anspruchsberechtigten Mitwirkenden im Produktionsprozess, die sich vor allem in der Auflösung der proletarischen Milieus der Vor- und Zwischenkriegszeit zeigte. So kam es dazu, dass die soziale Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland trotz weiterhin bestehender Einkommens- und Vermögensunterschiede zugleich durch eine Vielzahl neuer Gleichheitserfahrungen gekennzeichnet war, die sich vor allem in der Teilhabe nahezu aller Bevölkerungsschichten an den gestiegenen Konsummöglichkeiten äußerte. Diese Wahrnehmung kam unter anderem in dem von Schelsky (1961) geprägten, wenn auch sehr umstrittenen Begriff der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ zum Ausdruck. 12 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit 4. Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Zwischenfazit: Das Vermächtnis der Historischen Schule für die soziale Marktwirtschaft Die Analyse der normativen Grundlagen der akademischen Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft und der Wirtschaftskultur der Nachkriegszeit in Deutschland hat gezeigt, dass die Gerechtigkeitsvorstellungen der Historischen Schule sowohl in der ökonomischen Theorie als auch in der Wirtschaftspraxis ein langes Nachleben entfalten konnten. So geht die Idee der sozialen Gerechtigkeit sowohl in ihrer theoretischen Ausprägung als auch mit Blick auf ihre praktische Umsetzung auf Vorüberlegungen der Protagonisten der Historischen Schule zurück. Dazu gehörte insbesondere das Ziel, die proletarische Lebensweise der Industriearbeiter mit ihren regelmäßigen existentiellen Risiken zu überwinden und Arbeitsbedingungen zu verwirklichen, die der Menschenwürde aller Beteiligten Rechnung tragen. Von zentraler Bedeutung war dabei der Grundsatz, dass neben dem Staat auch Unternehmer und Unternehmen für die Verwirklichung dieser Norm verantwortlich sind. Aus wirtschaftsethischer Sicht liegt daher ein zentrales Vermächtnis der Historischen Schule für die Soziale Marktwirtschaft in der Erkenntnis, dass Unternehmen eine (Mit-) Verantwortung tragen für die Schaffung bzw. Erhaltung einer Wirtschafts- und Sozialordnung, die ihnen ihre Existenz und Handlungsfreiheit ermöglicht. Daraus ergibt sich zum einen eine ordnungspolitische Mitverantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen des Wirtschaftslebens, die im Sinne des kategorischen Imperativs die Forderung einschließt, freiwillig auf Geschäftspraktiken zu verzichten, die das Funktionieren der marktwirtschaftlichen Ordnung gefährden. Darüber hinaus erstreckt sich Unternehmensverantwortung in dieser Tradition auf die Mitgestaltung der sozialen Struktur der Gesellschaft in den Bereichen, die dem Einfluss des Unternehmens unterliegen. Dazu zählt insbesondere die Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Abbildung 1 – Unternehmensverantwortung in der Tradition der Historischen Schule Unternehmensverantwortung im Sinne sozialer Gerechtigkeit Ordnungspolitische Mitverantwortung Sozialpolitische Mitverantwortung Quelle: Eigene Darstellung. Ein Blick in die Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft in Deutschland bietet jedoch nicht nur Möglichkeiten zur Untermauerung ethischer Postulate aus ideengeschichtlicher Perspektive. Vielmehr hat gerade die historisch orientierte Methodik 13 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Schmollers und Brentanos gezeigt, wie die Einbeziehung der Geschichte den Raum der Lösungsmöglichkeiten für gesellschaftliche Probleme erweitern kann, indem der Behauptung einer Alternativlosigkeit bestimmter Vorfindlichkeiten, also einem Absolutheitsanspruch des Status Quo, entgegenwirkt wird. So kann eine Betrachtung ökonomischer Herausforderungen im historischen Kontext dazu beitragen, polit-ökonomische Narrative wie (damals) die vermeintliche Notwendigkeit schlechter Arbeitsbedingungen oder (heute) die Alternativlosigkeit der Shareholder Value-Orientierung als das zu entlarven, was sie oftmals sind, nämlich Ausdrucksformen mächtiger ökonomischer Interessen. In diesem Sinne kann die reflektierende Aneignung der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaft bundesdeutscher Prägung aufzeigen, wie die institutionelle Umsetzung ethischer Postulate in der Wirtschaftspraxis gelingen kann. Dabei wird zugleich die Missbrauchsgefahr deutlich, die sich vor allem durch eine inflationäre Nutzung des Begriffs der sozialen Gerechtigkeit ergeben kann, wenn Partikularinteressen einzelner Branchen oder Arbeitnehmergruppen ethisch verbrämt als Forderungen des Gemeinwohls dargestellt werden.17 5. Aktuelle Herausforderungen im Spiegel der dargelegten Denkansätze 5.1. Soziale Gerechtigkeit als Norm der Unternehmenspolitik Fragt man nach der Relevanz des dargelegten Konzeptes sozialer Gerechtigkeit in der heutigen Zeit, so ist zunächst festzustellen, dass dessen normative Kerninhalte, d.h. die Verantwortung von Unternehmen für die Sicherung der Menschenwürde im Arbeitsprozess und die Teilhabe der Beschäftigten am wirtschaftlichen Erfolg, unverändert relevant sind. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht bringt daher ein Rückblick auf die Entstehungsbedingungen der Sozialen Marktwirtschaft vor allem eine Fokussierung auf Gesichtspunkte, die in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge des Shareholder Value-Denkens oftmals systematisch ausgeblendet wurden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Vergegenwärtigung der Wechselwirkungen ökonomischer und ethischer Dimensionen, die von Schmoller und Brentano exemplarisch herausgearbeitet wurden. Aus volkswirtschaftlicher Perspektive verweist eine Rückbesinnung auf die Denkansätze der Protagonisten der Historischen Schule unmittelbar auf die Frage, wie in einer Welt unvollkommener sozialer Institutionen die Voraussetzungen für das menschenwürdige Funktionieren von Märkten gewährleistet werden können und welche Rolle Unternehmen dabei ausfüllen sollten. Hierbei geht es zugleich um die Schaffung von 17 So beklagte sich Ludwig Erhard (1988, S. 862) in einer Gedenkrede auf seinen akademischen Lehrer Franz Oppenheimer im Jahr 1964: „Ich habe es mir angewöhnt, das Wort Gerechtigkeit fast immer nur in Anführungszeichen auszusprechen, weil ich erfahren habe, dass mit keinem Wort mehr Missbrauch getrieben wird, als gerade mit diesem höchsten Wert.“ Vor dieser Gefahr hatte bereits Brentano (1901, S. 72) eindringlich gewarnt; dabei sprach er von „Machiavellisten, die einen Ausflug ins Sittliche machen, um zugunsten mächtiger Sonderinteressen Forderungen zu vertreten.“ 14 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik gesellschaftlichem Sozialkapital als Grundlage für Kooperation zum gegenseitigen Vorteil (Putnam 1993). Vor dem Hintergrund laufender technologischer und ökonomischer Veränderungsprozesse verweist die Norm der sozialen Gerechtigkeit insbesondere auf die Herausforderung, die Teilhabe von Menschen am Erwerbsleben laufend zu ermöglichen und Exklusionsrisiken entgegen zu wirken (Dabrock 2012, S. 197-215). Dies gilt umso mehr aufgrund der Gefahr von „Exklusionsverstärkungen“ in dem Sinne, dass ein Ausschluss von Menschen aus dem Berufsleben unter anderem durch den Verlust von Sozialkompetenzen auch zu einer Exklusion aus weiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen führen kann (Luhmann 1995). Zur Konkretisierung der Norm der sozialen Gerechtigkeit bietet sich daher im Sinne von A. Sen (2009, S. 15-27) oftmals eine negative Herangehensweise an, die – anstelle der illusionären Suche nach absolut gerechten Ergebnissen – darauf abzielt, objektiven Verletzungen von Gerechtigkeitspostulaten entgegenzuwirken. Von bleibender Aktualität ist gleichfalls die Forderung nach einer Umsetzung dieser Postulate gemäß dem Subsidiaritätsprinzip unter Mitwirkung verschiedener staatlicher und nicht-staatlicher Akteure, wobei Unternehmen eine maßgebliche Bedeutung zukommt. Diese Verantwortung von Unternehmen gilt umso mehr vor dem Hintergrund eines beständigen ökonomischen Wandels, der es erschwert bzw. unmöglich macht, neue Herausforderungen umgehend adäquat in gesetzliche Normen zu fassen. Daher ergibt sich ein gewisses Maß an Unternehmensverantwortung bereits aus dem Eigeninteresse jedes Unternehmens an einer Vermeidung staatlicher Eingriffe, die in der Regel mit größeren Nebenwirkungen bzw. Ineffizienzen verbunden sind als eine direkte und eigeninitiierte Lösung von Problemen durch die betroffenen Unternehmen. Ein weiterer Katalysator unternehmerischer Verantwortung ist die Tatsache, dass jedes Unternehmen für seinen wirtschaftlichen Erfolg auf ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz angewiesen ist. In der Literatur zur Corporate Social Responsibility findet sich dafür auch der Begriff „License to Operate“ (Kraemer und van Tulder 2012; Nicholls 2013), der unmittelbar an das Postulat Schmollers erinnert, dass Unternehmen neben der Gewinnerzielung auch einen gesellschaftlichen Auftrag wahrzunehmen hätten. 5.2. Aktuelle Herausforderungen sozialer Gerechtigkeit 5.2.1. Die Verantwortung von Unternehmen für die Durchsetzung ethischer Normen in einer globalisierten Welt Im Rahmen der Globalisierung haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Herausforderungen für Unternehmen ergeben, die an die dargelegte Konzeption sozialer Gerechtigkeit anschließen. So hat die Entstehung weltweiter Wertschöpfungsund Zuliefererketten dazu geführt, dass die Verantwortung von Unternehmen für die Durchsetzung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen neue Dimensionen gewonnen hat. In diesem Kontext verweist ein Rückblick auf die normativen Grundlagen der Historischen Schule darauf, dass wirtschaftliche Interaktion, wenn sie auf Dauer angelegt 15 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit sein soll, ein gemeinsames normatives Fundament benötigt.18 Dieses Fundament muss sich in Institutionen, d.h. formellen und informellen Regeln, niederschlagen, die dafür Sorge tragen, dass auch die Beteiligten mit dem prekärsten sozialen Status von der Kooperation profitieren. Da gesetzlich fixierte Arbeits- und Sozialstandards nach wie vor vielfach an nationalen Grenzen enden, ähneln die aktuellen Herausforderungen in mancherlei Hinsicht den Vorfindlichkeiten, mit denen sich die „Kathedersozialisten“ des 19. Jahrhunderts innerhalb Deutschlands auseinandersetzen mussten, als Regelungen zum Arbeiterschutz oftmals von einzelnen fortschrittlichen Unternehmen eigenverantwortlich erprobt wurden, bevor sie dann auch mittels staatlichen Drucks allgemeinverbindlich durchgesetzt werden konnten. Hier zeigt sich also auch heute die Notwendigkeit eines hohen Maßes an Eigenverantwortung von Unternehmen bei der Durchsetzung von Standards auf globaler Ebene. Das aktive Vorpreschen einzelner Unternehmen kann hier unersetzbare Pionierarbeit darstellen, von der mittelfristig alle Seiten, d.h. Unternehmen, Beschäftigte und die betroffenen Staaten, profitieren können. Neben die Durchsetzung menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse tritt zudem eine ordnungspolitische Mitverantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung weiterer ethischer Normen. Ein wichtiges Beispiel ist die Bekämpfung von Korruption auf globaler Ebene. Hier haben in den letzten Jahren auf verschiedenen Ebenen Veränderungsprozesse eingesetzt, die veranschaulichen, wie die Umsetzung ethischer Postulate unter den Bedingungen der Globalisierung erfolgen kann. So kam es zunächst zu einer Internationalisierung des öffentlichen Problembewusstseins unter maßgeblichem Einfluss von Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Institutionen wie Transparency International (Elshorst 2005), worin sich durchaus eine Weiterentwicklung des Werteverständnisses unter Mitwirkung der Wissenschaft im Sinne der Ideen Schmollers erkennen lässt (siehe Abschnitt 2.1.1.). Diese normative Entwicklung hatte zur Folge, dass Bestechungen ausländischer Amtsträger, die in Deutschland bis 1999 sogar steuerlich begünstigt waren, inzwischen fast überall als kriminell eingestuft werden, so dass für global agierende Unternehmen nunmehr einheitliche Spielregeln bestehen, die es grundsätzlich ermöglichen sollen, ohne Bestechung erfolgreich zu sein. Diese gesetzlichen Vorschriften erscheinen jedoch nur dann Erfolg versprechend, wenn sie durch entsprechende Maßnahmen global agierender Unternehmen begleitet werden. Hieran wird deutlich, wie staatliches Handeln durch andere Verantwortungsträger, d.h. zivilgesellschaftliche Institutionen und Unternehmen, ergänzt werden muss. Als grundsätzliche Orientierung für multinationale Unternehmen kann dabei die Norm ISO 26000 dienen (ISO 2010). Dort wird unternehmerische Verantwortung anhand von sieben Prinzipien konkretisiert: Rechenschaftspflicht, Transparenz, ethisches Verhalten, Achtung der Interessen der Stakeholder, Achtung der Rechtsstaatlichkeit, Achtung internationaler Verhaltensstandards sowie Achtung der Menschenrechte. Diese Prinzipien werden für verschiedene Kernthemen entfaltet: Organisationsführung, Menschenrechte, Arbeitspraktiken, Umwelt, faire Betriebs- und Geschäftspraktiken, Konsumentenanliegen sowie Einbindung gesellschaftlicher Anliegen. 18 Schmoller hätte hierbei etwas pathetisch davon gesprochen, dass alle Beteiligten eine „sittliche Gemeinschaft“ bilden müssten. 16 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik 5.2.2. Implikationen für die Personalpolitik Was die Situation in Deutschland anbelangt, so haben seit dem 19. Jahrhundert hierzulande viele Regeln zum Schutz von Arbeitnehmern und zur Sicherung menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse Eingang in gesetzliche Normen gefunden. Beispiele dafür sind das Betriebsverfassungsgesetz oder das Kündigungsschutzgesetz. Daher erstreckt sich die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit zum einen auf die Einhaltung dieser Bestimmungen und den Verzicht auf Umgehungstatbestände zur Aushebelung dieser Normen, bspw. durch Aufspaltung von Unternehmen zur Umgehung der Einrichtung von Betriebsräten. Darüber hinaus ergibt sich in der Tradition des Gerechtigkeitsverständnisses der Historischen Schule jedoch ein normativer Überhang, der nach einer eigenverantwortlichen Umsetzung von Seiten der Unternehmen verlangt.19 Hierzu zählt insbesondere eine Personalpolitik, die die Menschenwürde sämtlicher Beschäftigten respektiert, auskömmliche Löhne sichert und Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung bietet. Niedrige Löhne sind dabei nicht per se kritikanfällig, insbesondere dann nicht, wenn sie sich aus der geringeren Produktivität der jeweiligen Beschäftigten ergeben und unter Umständen dazu beitragen, dass diesen Personen überhaupt eine Arbeitsmöglichkeit eröffnet wird. Problematisch erscheinen Niedriglöhne jedoch dann, wenn sie mit einem Mangel an Weiterqualifizierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten verbunden sind und für die Betroffenen in einer Sackgasse in Form eines Ausschlusses von der Teilhabe an der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung münden. Ein Blick auf die Verteilung der Einkommen in deutschen Unternehmen zeigt, dass die Entwicklungen der vergangenen Jahre an verschiedenen Stellen Anlass zur Kritik bieten. So lässt sich in vielen Fällen eine Tendenz zur Desintegration von Belegschaften feststellen, insbesondere durch Leiharbeit, Werkverträge oder Auslagerung von Geschäftsbereichen auf Firmen mit niedrigerem Lohnniveau oder schlechteren Arbeitsbedingungen (Beutler und Klein-Schneider 2013). Dadurch standen steigenden Bezügen des Managements oftmals stagnierende oder rückläufige Einkommen großer Teile der Belegschaften gegenüber. Natürlich kann in diesem Zusammenhang nicht ausgeblendet werden, dass Unternehmen, die unter Wettbewerbsdruck stehen, auch mit der Notwendigkeit von Kostensenkungen zu Lasten ihrer Mitarbeiter konfrontiert sein können. Auch in diesem Falle obliegt es jedoch der unternehmerischen Verantwortung, nach Lösungen zu suchen, die neben Gewinninteressen auch den Belangen der Mitarbeitenden gerecht werden und damit Win-Win-Situationen im Sinne Brentanos entsprechen. Oftmals genügt bereits ein hinreichend langfristiger Zeithorizont, um eine Annäherung von Gewinn- und Belegschaftsinteressen zu ermöglichen, da sich auch heute genügend Beispiele für Unternehmen finden, denen es gelingt, ihre Marktposition durch langfristige Qualitätssicherung mithilfe qualifizierter Stammbelegschaften anstelle kurzfristiger Kostensenkungen zu erhalten. So zeigen Untersuchungen für den deutschen Mittelstand, dass insbesondere inhabergeführte Familienunternehmen weiterhin stärker auf eigene Ausbildung, qualifi19 Schmoller hätte hierbei die Notwendigkeit einer Ergänzung des Rechtes durch „freie Sittlichkeit“ betont (Schmoller 1864/65, S. 416 f.). 17 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit zierte Stammbelegschaften anstelle von Leiharbeit sowie qualitätsorientierte Wertschöpfungsstrategien, insbesondere durch eine hohe hausinterne Fertigungstiefe, setzen und dadurch nach wie vor Erfolge erzielen können (Kinkel und Lay 2012). Auch für US-amerikanische Familienunternehmen ließ sich feststellen, dass dort im Vergleich zu anderen Firmen eine stärkere Langfristorientierung, gemessen an höherer Forschungsintensität und größerer Belegschaftskontinuität, mit einem höheren wirtschaftlichen Erfolg einhergeht (Block 2009). Damit zeigt sich, dass eine Orientierung der Unternehmenspolitik an der Norm der sozialen Gerechtigkeit in der dargelegten Tradition unverändert Chancen zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolgs bietet. Eine Verletzung der Norm der sozialen Gerechtigkeit ergibt sich zudem, wenn Beschäftigten oder Beschäftigtengruppen eine leistungsgerechte Bezahlung vorenthalten wird. Ein aktuelles Beispiel von großer wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Relevanz findet sich bei der Entlohnung von Männern und Frauen. Hier zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass in Deutschland weiterhin ein erheblicher Unterschied zwischen den Vergütungen (gender pay gap) besteht, der nicht durch nachvollziehbare Faktoren, wie die jeweilige Berufserfahrung, erklärt werden kann (Gallego Granados und Geyer 2013). Weitere Aspekte dieses Problems sind unzureichende Aufstiegsmöglichkeiten sowie eine nach wie vor bestehende Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen, insbesondere auf Vorstandsebene (Holst und Kirsch 2014). Vor diesem Hintergrund sollte ein Rückbezug auf das Konzept der sozialen Gerechtigkeit in der dargelegten Tradition Unternehmen in die Pflicht nehmen, sich eigenverantwortlich um die Durchsetzung von Leistungsgerechtigkeit zu bemühen. So erscheint es unter diesem Gesichtspunkt entlarvend, wenn erst der Gesetzgeber, beispielsweise durch Quotenregelungen, aktiv werden muss, um Unternehmen zu einem Umdenken zu veranlassen. Unternehmerische Eigenverantwortung wäre hier umso mehr angebracht, als sich vielfach Indizien dafür finden lassen, dass staatliches Eingreifen in Form von Quotenvorschriften im Einzelfall zu Unflexibilität führen kann, die Unternehmen in ihrem eigenen Interesse vermeiden sollten (Rüb und Teichmann 2015). 5.2.3. Die Debatten zur Höhe von Managergehältern Kollisionen mit der Norm der sozialen Gerechtigkeit ergeben sich jedoch nicht nur im Falle von Niedriglöhnen, sondern auch im Bereich von Spitzenverdiensten, insbesondere dann, wenn das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit verletzt ist. So zeigt ein Rückblick auf die Entstehungsbedingungen der Sozialen Marktwirtschaft, dass Unternehmen eine Mitverantwortung für die Einkommensverteilung in ihrer Gesamtheit tragen, da ein nicht durch die jeweiligen Leistungen legitimiertes Auseinanderdriften der Verdienste mittelfristig die Akzeptanz der marktwirtschaftlichen Ordnung und damit die Existenzbedingungen der Unternehmen gefährdet (siehe dazu insbesondere die Warnungen Schmollers in Abschnitt 2.1.3.). Beispiele für Fehlentwicklungen im Bereich von Spitzenbezügen finden sich seit dem Ende der neunziger Jahre in großer Zahl. So entwickelte sich das Verhältnis von Managerbezügen zu den Verdiensten durchschnittlicher Arbeitnehmer innerhalb weni- 18 Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik ger Jahre von maximal 30:1 auf bis zu 200:1.20 Ökonometrische Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass dieses Auseinanderdriften regelmäßig nicht mit entsprechend höheren Leistungen der Spitzenverdiener erklärt werden kann. So ließ sich im Regelfall kein Zusammenhang zwischen den Managerbezügen und dem Unternehmenserfolg aufzeigen, der – zumindest unter der Annahme effizienter Märkte – als Schätzwert für die Leistung des Managements herangezogen werden könnte (Rapp und Wolff 2010; Bebchuk et. al. 2011). Stattdessen lassen sich die gestiegenen Bezüge von Topmanagern in aller Regel durch persönliche Einflussnahmen erklären, da Managementpositionen im Normalfall nicht durch offene Ausschreibungsverfahren, sondern nach diskreten Sondierungen durch Absprache zwischen dem bisherigen Vorstand und dem Aufsichtsrat besetzt werden. Dies hat zur Folge, dass sich bei den Gehaltsverhandlungen auf beiden Seiten Manager gegenüberstehen, von denen niemand ein echtes Interesse an der Durchsetzung möglichst niedriger Bezüge hat. Die Konsequenz ist, dass es rasch zu einem gegenseitigen „Hochschaukeln“ der Managergehälter in Großkonzernen kommen kann, wenn allgemein akzeptierte Richtgrößen, wie die jahrzehntelang praktizierte Relation von etwa 20:1 bis 30:1, einmal aufgegeben wurden. Vor diesem Hintergrund kann das Argument, Spitzengehälter für Manager seien das Ergebnis von Marktprozessen und müssten daher als leistungsgerecht angesehen werden, nicht ernsthaft überzeugen. Bei der Frage, wie Exzesse im Bereich der Managementvergütungen vermieden werden können, kommt der Eigenverantwortung von Unternehmen eine maßgebliche Rolle zu. Dies gilt umso mehr, als es nicht im Interesse von Unternehmen liegen kann, dass sich der Staat, beispielsweise durch die Festlegung verbindlicher Gehaltsobergrenzen, in die Gestaltung von Vorstandsbezügen einmischt. Daher erscheint es geboten, die staatliche Ordnungspolitik, die sich insbesondere auf die Wiederherstellung des Haftungsprinzips konzentrieren sollte (Hecker 2013b), auch auf dem Gebiet der Managergehälter durch Eigenverantwortung von Unternehmen zu ergänzen. Deutlich wird diese Notwendigkeit auch aus Unternehmenssicht spätestens dann, wenn Kostensenkungen erforderlich sind, die anderen Beschäftigten Einbußen abverlangen. So können Spitzenmanager, die ihre eigenen Bezüge ohne nachvollziehbare Legitimation steigern, nicht damit rechnen, dass ihre Belegschaften bzw. deren Gewerkschaften sich von der Notwendigkeit finanzieller Zugeständnisse überzeugen lassen. Die Arbeitskämpfe, die in diesen Fällen oftmals geführt werden, bieten dafür anschauliche Belege (Rudzio und Tatje 2014). 6. Fazit Ein Blick in die unternehmerische Praxis zeigt, dass es nach wie vor viele Bereiche gibt, in denen die eigenverantwortliche Verwirklichung von Gesichtspunkten sozialer Gerechtigkeit in der Tradition der Historischen Schule und des Ordoliberalismus als Gebot der Stunde erscheint, da Unternehmen als Teil der Gesellschaft Mitverantwortung für die Gestaltung einer sich wandelnden Geschäftswelt tragen. Die Verantwortung von Unternehmen ergibt sich dabei zum einen im Bereich der unmittelbaren operativen Tätigkeit entlang ihrer Wertschöpfungskette, wobei insbeson20 Aktuelle Informationen dazu finden sich beispielsweise auf der Homepage der Hans-Böckler-Stiftung: http://www.boeckler.de/themen_35606.htm (Zugriff vom 11.06.2016). 19 Journal for Markets and Ethics Zeitschrift für Marktwirtschaft und Ethik Die Verantwortung von Unternehmen für die Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit dere die Personalpolitik und die Beziehungen zu Kunden und Zulieferfirmen eine entscheidende Rolle spielen. Mit Blick auf die Personalpolitik zeigt sich eine Verletzung der Norm der sozialen Gerechtigkeit insbesondere dann, wenn Unternehmen dazu beitragen, dass die Einkommensverteilung innerhalb der Gesellschaft auseinanderdriftet, vor allem durch problematische Gehaltsentwicklungen an den Rändern der Verteilungskurve, beispielsweise indem ein Anstieg der Bezüge des Managements mit stagnierenden bzw. rückläufigen Gehältern bei anderen Beschäftigtengruppen einhergeht. Zum anderen erstreckt sich der Verantwortungsbereich von Unternehmen auf die ordnungspolitische Mitgestaltung der Rahmenbedingungen des Wirtschaftens, v.a. bei der Festlegung von Regulierungsmaßnahmen und deren Durchsetzung im Wirtschaftsleben. In allen genannten Bereichen erscheint es schon im Hinblick auf die Erhaltung unternehmerischer Freiheit angebracht, dass Unternehmen von sich aus Verantwortung übernehmen. So provozieren Firmen, die sich den Grundmaximen sozialer Gerechtigkeit widersetzen, zumindest in demokratisch strukturierten Gemeinwesen regelmäßig staatliche Eingriffe, die ihre Freiheit beschneiden und im Endeffekt mit höheren Kosten verbunden sind, als eine freiwillige Wahrnehmung unternehmerischer Verantwortung mit sich gebracht hätte. Literaturverzeichnis Abbe, Ernst (1935), Statut der Carl-Zeiss-Stiftung zu Jena, errichtet von Ernst Abbe. Bebchuk, Lucian A., Martijen Cremers und Urs Peyer (2011), The CEO Pay Slice, Journal of Financial Economics, 102. Jg., S. 199–221. Berlin, Isaiah (1969), Four essays on liberty, Oxford. Beutler, Kai und Hartmut Klein-Schneider (2013), Werkvertragsunternehmen: Outsourcing auf dem Betriebsgelände, WSI-Mitteilungen, S. 149-159. Blickle, Peter (2008), Das Alte Europa: Vom Hochmittelalter bis zur Moderne, München. Block, Joern H. (2009), Long-term Orientation of Family Firms. 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