Wandel im Journalismus autoritärer Regime - Das

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arbeit (MEZ) bereits eine Antwort gefunden zu haben. Schließlich verfolgt sie das
Ziel, Journalismus in Entwicklungsländern und autoritären Regimen zu einem demokratischen Stützpfeiler bzw. Wandelfaktor zu entwickeln. Für viele Projekte und
Organisationen der MEZ ist die Beeinflussung des einzelnen Journalisten quasi der
Garant für einen Wandel im Journalismus. Professionelle Ausbildung, Sensibilisierung für ihre Rolle in der Gesellschaft und/oder für den demokratischen Wandel
sollen sie in ihrer Funktion als Agenten des Wandels stärken. Dieser, auf journalistische Akteure zentrierte, Ansatz hat seine Wurzeln in einer personenorientierten
Journalismusforschung, die eine Wirkungskette in folgender Weise annimmt: Besser ausgebildete und motivierte Journalisten sollen die Standards in den Redaktionen heben und die Entstehung unabhängiger Mediensysteme befördern. Diese wiederum können dann Informationen für Demokratisierung und eine sich öffnende
Wirtschaft liefern und somit zu einem wichtigen Pfeiler der Zivilgesellschaft werden (vgl. Becker/Vlad 2008; Becker/Lowrey 2000). Dieses Model mutet zwar eher
wie eine nachträgliche Rechtfertigung entwicklungspolitischer Entscheidungen an,
beinhaltet jedoch einige Aspekte, die auch in der wissenschaftlichen Diskussion um
den Wandel im Journalismus lange Zeit vorherrschend waren.
Die seit den 1960er Jahren besonders in den USA und Deutschland stärker werdende personenbezogene, empirische Journalismusforschung5 betrachtete etwa demographische Merkmale von Journalisten, Ausbildungs- und Berufswege im Journalismus, Berufsrollen, Publikumsbilder, Arbeitsbedingungen etc. (vgl. im Überblick Pürer 1997: 94; Böckelmann 1993: 564). Zwar wird eingeräumt, dass Journalisten in redaktionelle Abläufe eingebunden sind, doch die empirische Betrachtung
fokussiert auf individuelle Journalisten. So bestimmt etwa Donsbach in seinem
Model vier »Einflusssphären« auf die journalistische Arbeit (Subjekt-, Professions-,
Institutions- und Gesellschaftssphäre) und versucht damit, die individuellen Handlungsmöglichkeiten von Journalisten auszuloten (Donsbach 1987: 111ff.). Wandel
im Journalismus wird innerhalb der personenorientierten Journalismusforschung als
eine Veränderung »objektiver Dimensionen« wie Arbeitsbedingungen des journalistischen Berufs oder der »subjektiven Dimensionen« wie berufliches Selbstver-
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In Abgrenzung zu der systembezogenen Journalismusforschung existieren weitere Abgrenzungsbegriffe wie »individuumbezogenes« (Klaus/Lünenborg 2000: 188), »subjektbezogenes« (Rühl 2004: 77-89; Klaus 2004: 377ff.) oder »akteursbezogenes« (Neuberger
2004: 287ff.) Forschungsparadigma. Ich habe den Begriff des personenbezogenen Forschungsparadigmas von Raabe übernommen, da die Vertreter des angesprochenen Paradigmas eine »Explikation der wissenschaftlichen Vorstellung von den journalistisch Handelnden in der Regel schuldig bleiben und keine begründete Akteurskonzeption entwickelt haben« (Raabe 2005a: 19).
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ständnis untersucht.6 Die von Weaver in den 1990er Jahren angeleitete internationale Journalistenstudie »The Global Journalist« (Weaver 1998a) und sein auf Wandeltendenzen im 21. Jahrhundert blickender Sammelband (Weaver/Willnat 2012) sowie seine Untersuchungen zum Wandel amerikanischer Journalisten, »The American Journalist«, (Weaver 2007; Weaver/Wilhoit 1996, 1986) stellen gewissermaßen
den Prototyp dieser Forschungsrichtung dar. In ihrer »wirkungsorientierten« Form
(Raabe 2005a: 38ff.) geht die personenbezogene Journalismusforschung über die
reine Beschreibung von Veränderungen von Berufsbedingungen oder beruflichen
Selbstverständnissen noch hinaus. Da die Vertreter dieser Richtung (auch »Mainzer
Schule« genannt) von einem Zusammenhang zwischen Merkmalen von Journalisten
und Arbeitsbedingungen einerseits und spezifischen Folgen für die Medieninhalte
andererseits ausgehen (vgl. ebd.: 38ff.), werden auch Forschungen zum sozialen
Wandel mit individuellen Einstellungsmerkmalen von Journalisten verknüpft (z.B.
Wilke 1986; Ehmig 2000; Peiser 2003; Pasti 2005). Ehmig stellt beispielsweise für
den deutschen Journalismus fest, dass ein Wandel in der Bedeutung und Interpretation des Objektivitätskonzepts stattgefunden habe (2000: 305). So würde etwa die
jüngere Generation unter Objektivität eher die »Jagd nach harten Fakten« und die
ältere die »faire Wiedergabe verschiedener Standpunkte« verstehen und somit langfristig einen Wandel in der Berichterstattung erwirken (ebd.: 307). Eine Beeinflussung der Entwicklung des Journalismus lässt sich in dieser Tradition über den einzelnen Journalisten ›regeln‹, etwa durch entsprechende Ausbildungsschwerpunkte.
An dieser Stelle knüpft gedanklich die MEZ an, die jedoch im Laufe der Zeit –
wie die Wissenschaft auch – ein zunehmendes Unbehagen darüber entwickelt hat,
dass dem individuellen Journalisten quasi allein die Verantwortung für einen – wie
auch immer gearteten – Wandel des Journalismus auferlegt wird. In der MEZ gelten
die Palästinensischen Autonomiegebiete als ein eindrückliches Beispiel für die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ihres Tuns. Obwohl sie große Geldsummen von internationalen Geldgebern für die Medienentwicklung erhielten, haben sich beispielsweise die Werte in den internationalen Presserankings kontinuierlich verschlechtert (vgl. Fengler et al. 2010). Dies geht vor allem darauf zurück,
dass eine allein akteurszentrierte Sichtweise die Probleme, denen die Akteure in
ihrem alltäglichen Handeln ausgesetzt sind, verdeckt (vgl. Nazzal 2006). Analog zu
dieser in der Praxis der MEZ erwirkten Erkenntnis hat sich auch die Journalismusforschung in Deutschland zunehmend einer Struktur-orientierten Sichtweise zugewandt. Innerhalb der Journalismusforschung wuchs die Kritik an der starken Fokussierung auf Personen und damit auf mikrosoziologische Aspekte des Journalismus
und führte in Deutschland – zunächst bei einzelnen Fachvertretern – zu einer stärke-
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Böckelmann verweist darauf, dass sich bis 1990 allein 160 Studien mit der journalistischen Berufsrolle beschäftigt haben (1993: 557).
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ren Hinwendung zu makrosoziologischen Zusammenhängen. Als Ausgangspunkt
dienten vor allem die von Rühl eingeführte Systemtheorie und der mit ihr verbundene Blick auf den Journalismus als Organisation (vgl. Rühl 1979, 1980). Die Gemeinsamkeit der systemtheoretisch-orientierten Ansätze in der Journalismusforschung besteht in der Akzeptanz eines Ordnungssystem durch ein System/UmweltParadigma und der Identifikation einer Journalismus-spezifischen Funktion (vgl.
Löffelholz 2004: 53), die zunächst von Rühl als die »Herstellung und Bereitstellung
von Themen zur öffentlichen Kommunikation« formuliert wurde (Rühl 1980: 323).
Journalismus kann in einer solchen Sichtweise als »strukturdeterminiertes System
angesehen werden, das sich in der modernen Gesellschaft vor allem durch Differenzierungsprozesse entwickelt hat« (Blöbaum 2005: 50). Wenn Wandel im Journalismus stattfindet, kann er nur über Strukturveränderungen begriffen und empirisch
erfasst werden. Allerdings scheiden sich an der Konzeption der Strukturen des
Journalismus die akademischen Geister. Blöbaum verweist auf drei Strukturelemente, in denen Wandel festgestellt werden kann: der Organisation, der Rollen und der
Programme (vgl. ebd.: 56f.). Altmeppen wiederum, der eine stärker handlungsorientierte Sichtweise einnimmt, sieht in Entscheidungen und Koordinationen die
relevanten Strukturen des Journalismus (vgl. Altmeppen 2004, 1999).
Die Prämisse der systemtheoretischen Forschung, dass – eine wie auch immer
definierte – Struktur in irgendeiner Form verändert oder zerstört werden muss,
wenn wir von einem Wandel sprechen wollen, erlaubt eine klarere Abgrenzung des
Wandels von rein oberflächlichen Veränderungen. Allerdings bleibt die Frage, wer
für diesen Wandel von Struktur sorgt, in der System-fokussierten Forschung unbeantwortet (vgl. Raabe/Behmer 2003: 255). In der Untersuchung des Wandels im
Journalismus zeigt sich deshalb in besonderer Weise eine Problematik, die die
grundsätzliche, theoretische Konzeption von Struktur und Handeln berührt. Die
Systemtheorie bleibt eine Antwort darauf schuldig, wie Akteure zu einem Wandel
im System beitragen können. »Einem System ist man […] ausgeliefert, es läßt sich
kaum oder gar nicht vom Einzelnen beeinflussen, sondern wird allenfalls von der
Umwelt und von sich selbst in einem Prozeß wechselseitiger Rückkopplung und
Anpassung gesteuert.« (Fengler/Russ-Mohl 2005: 34)
Die Kluft zwischen strukturalistischen und handlungsorientierten Theoriemodellen, deren künstliche Trennung auch in der Forschung zunehmend als Problem
angesehen wird, zeigt sich also besonders plastisch in der Frage nach einem Wandel
im Journalismus. Sogenannte integrative Theoriekonzepte versuchen genau diese
Beziehung zwischen Akteurshandeln und Strukturen aufzugreifen. Sie erweitern
systemtheoretische Ansätze um den Konstruktivismus (vgl. Weischenberg 2004:
61ff.; 1994), um Elemente der Rational-Choice-Theorie (vgl. Neuberger 2004) oder
um strukturationstheoretische Überlegungen, vor allem nach Giddens (vgl. Altmeppen 2004, 1999; Quandt 2001). Andere Ansätze haben sich von der Systemtheorie
verabschiedet und stützen sich auf eine Chaostheorie (vgl. Frerichs 2004), die Cul-
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tural Studies (vgl. Renger 2004), eine ökonomische Theorie (Fengler/Russ-Mohl
2005) oder die Gesellschaftstheorie Bourdieus (vgl. Schäfer 2004, Raabe 2005a,
2005b, 2004).
Für die Erforschung des arabischen Journalismus sehen Mellor und Sakr dieselbe Problematik, die auch die deutsche Journalismusforschung beschäftig. So kritisiert Mellor die derzeitige Forschung zum arabischen Journalismus, die vor allem
auf »Strukturen« fokussiere und damit das Wandlungspotential der Akteure selbst
negiere. Anstatt allein auf Strukturen zu blicken schlägt sie vor, den handelnden
Akteur in zukünftige Analysen des arabischen Journalismus mit einfließen zu lassen
(Mellor 2007: 43). Als Beispiel führt Mellor die Journalistin Rana Husseini von der
jordanischen Tageszeitung Jordan Times an, die nach langer, intensiver Recherche
ein Tabu in der jordanischen Berichterstattung brach, indem sie die in Jordanien
häufig verwandte Praxis des Ehrenmordes als unislamisch und als ein gesellschaftliches Problem anprangerte (vgl. ebd.: 62). Andere Journalisten in der arabischen
Welt, die mit ihrem Leben oder ihrer Freiheit bezahlten, weil sie die Grenzen der
Meinungsfreiheit weiter setzten als die jeweiligen Regime und damit zugleich
»Vorbilder« ihres Berufes wurden (z.B. Samir Kassir oder Ghassan Tweini im Libanon), können als weitere Beispiele für die Bedeutung einzelner Akteure für den
Wandel im Journalismus gelten. Das gleiche gilt jedoch auch für Medienorganisationen, die neue Wege in der Programmgestaltung einschlagen, wie die Medienorganisation AmmanNet, die sich eine konsequente Nutzereinbindung zur Aufgabe
gemacht haben (vgl. Pies/Madanat 2011a). Die Impulse, die von Medienorganisationen ausgehen, verdeutlichen, dass eine Rückkehr zur ›klassischen‹ personenbezogenen Journalismusforschung keine Alternative darstellt. Mellor schlägt deshalb
als Lösung eine theoretische Orientierung an Bourdieu vor, da sie Akteurshandeln
und Struktur versöhne (Mellor 2007: 43ff.). Auch Naomi Sakr kommt in ihrem
Überblick über die Entwicklungsdynamiken im arabischen Journalismus zu einem
ähnlichen Schluss:
»Zwar ist die Analyse von Strukturen unerlässlich für das Verständnis von Trends im arabischen Journalismus. Ebenso wichtig ist es jedoch, die individuellen Beiträge von Journalisten
zu betrachten, die, indem sie die Strukturen herausfordern, sie zugleich auch verändern. Journalisten passen ihren Output den existierenden Bedingungen der organisierten Produktion an,
aber es wäre irreführend davon auszugehen, dass sie sich nicht auch manchmal dagegen wehren.« (Sakr 2005: 142, Übersetzung J.P.)
Es sind selbstverständlich nicht allein einzelne Journalisten, die Strukturen verändern, sondern Akteure, die gesellschaftlich und im System Journalismus verankert
sind. Aufgrund sich öffnender Möglichkeiten können sie Veränderungen herbeiführen. Mit dem Einbezug von handelnden Akteuren wird die Journalismusforschung
auch anschlussfähig an politikwissenschaftliche Theorien, die Akteuren außerhalb
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der autokratischen Regime-Eliten ein Wandelpotential einräumen. Aus der SocialMovement-Theorie gibt es etwa den Begriff der »political opportunity structures«
(Tarrow 2011: 32f.), der darauf verweist, dass für eine Protestbewegung bestimmte
Bedingungen gegeben sein müssen, d.h. der Zugriff auf bestimmte Ressourcen gewährleistet sein muss, um als soziale Bewegung agieren zu können und politische
Gegebenheiten zu verändern. Regime sind in den wenigsten Ländern so autoritär
und stabil, dass sich keine Bedingungen für (demokratischen) Wandel herausbilden
könnten (vgl. Hafez 2009: 109ff.). Selbst in Tunesien, das lange Zeit als die härteste
Autokratie der Region galt, konnten sich Proteste Bahn brechen. Gleichzeitig gibt
es autoritäre Regime wie Marokko und Jordanien, die schon seit Jahren mit einer
sanften Reform von oben versuchen, das politische System wie auch das Mediensystem zu verändern, ohne ihre eigenen Machtansprüche vollständig aufzugeben.
Zusammenfassend lassen sich für eine Untersuchung des Journalismus in autoritären Regimen deshalb einige grundlegende Aspekte herausstellen, die es bei der
Auswahl eines theoretischen Rahmens zu berücksichtigen gilt: Die oben dargestellte Interdependenz gesellschaftlicher Entwicklungen zwingt eine Studie über den
Wandel des Journalismus erstens zu einem Konzept, das der gesellschaftlichen
Verankerung des Journalismus Rechnung trägt. Dazu gehört auch, dass Journalisten
nicht als homogene, vom Rest der Gesellschaft getrennte Gruppe angesehen werden, sondern als soziale Akteure. Um die Potentiale eines Wandels in autoritären
Regimen auszuloten, bedarf es darüber hinaus eines Ansatzes, der beidem, Handlungspotential der Akteure und Begrenzungen des Handelns durch gesellschaftliche
Strukturen, gerecht wird. Denn sonst könnten Veränderungen trotzt restriktiver
Rahmenbedingungen nicht erklärt werden. Somit muss gewährleistet sein, dass
Strukturen als restringierend und ermöglichend von Handlungen konzipiert werden.
Infolge dieser Überlegungen muss eine theoretische Rahmung schließlich auch berücksichtigen, dass Strukturen nicht nur Bedingungen für Handeln, sondern auch
Folge von Handeln sind. Damit wird indirekt eine dritte Forderung an einen theoretischen Rahmen gesetzt, nämlich, dass Struktur nicht als Fixum, sondern als kulturelle Dimension sozialer Wirklichkeit betrachtet wird. »Schließlich kann Wandel
auch eintreten, wenn die gesellschaftlichen Akteure objektiv unveränderte Lagen in
einem neuen Licht zu sehen beginnen.« (Raabe/Behmer 2003: 257) Dazu bedarf es
einer Erfassung der Wahrnehmungen und Bedeutungszuweisungen der potentiell
relevanten Akteure. Diese Forderung wird schließlich viertens unterstrichen durch
die Notwendigkeit, einen theoretischen Rahmen zu finden, der eine offene, empirische Untersuchung zulässt, um nicht mit zu vielen Vorabannahmen die kontexttypischen Wandelpotentiale im Vorfeld einzuschränken.
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