Herodes der Große: Sonderausgabe

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Tanz durch die Rezeptionsgeschichte
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und ihm eine Tochter Salome gebar (AJ 18, 5,4/136). Demnach war Salome, Stieftochter desjenigen Herodes, der im Evangelistenbericht über
Galiläa herrschte, mütterlicherseits eine Urenkelin, väterlicherseits eine
Enkelin des Königs Herodes. Ist auch die weitverzweigte herodianische
Sippe ein vertracktes Thema, soll doch an dieser Stelle der Hinweis genügen, dass der bei Markus genannte König Herodes ein Sohn jenes „großen“ Herodes war und zunächst Antipas hieß. Mit seinem Herrschaftsbeginn in Galiläa nahm er dann den Namen Herodes Antipas an, führte
allerdings nicht den Königstitel, sondern war Tetrarch (Vierfürst), Herrscher über einen Landesteil des Reiches Judäa.
1. Tanz durch die Rezeptionsgeschichte
Warum wir die in den Evangelien namenlos bleibende Tochter der Herodias als Salome kennen, ist damit zwar beantwortet; offen bleibt aber die
Frage, wie sich das Bild der Tänzerin zu dem einer femme fatale entwickelt
hat, als welche Salome gerade auch im 20. Jahrhundert gesehen wird. Werfen wir also einen Blick auf die nachantike Rezeption dieser Figur.1
Da bereits in der theologischen Literatur des 4. Jahrhunderts n. Chr. die
Verwerflichkeit jenes Tanzes thematisiert wurde, erscheint in Darstellungen sowohl der abendländisch-katholischen wie der byzantinisch-orthodoxen Kunst Salome als akrobatisch sich verrenkende Figur. In den mittelalterlichen Darstellungen vom Tod des Johannes übergibt der Henker der
Salome direkt eine Schüssel mit dem Haupt. Die barocke Malerei dagegen
bevorzugte drastischere Themen wie die Enthauptung des Johannes im
Kerker.
Ein Beispiel hierfür ist das monumentale Fresko des Giovanni Battista
Tiepolo in der Capella Colleoni zu Bergamo (von 1732/33) mit einer neuartigen Figurengruppe aus Henker, Rumpf des Täufers, dem Mädchen und
einer Alten. Das vornehme Paar im rechten Vordergrund neben dem
Steinsockel mit dem Geköpften gilt gemeinhin als Salome und Herodes,
doch ist diese herrisch posierende Frau Herodias, die eigentlich Verantwortliche für die grausame Tat. Salome wird hier dagegen marginalisiert,
was ihre Unschuld betont: Sie wendet sich im Hintergrund der linken
Bildhälfte vom Geschehen ab. Dabei verhüllt sie ihre als spezifisch gedachte Nacktheit mit einem weißen lakenartigen Umschlagtuch, ihr linker
Oberschenkel bleibt unbedeckt, was sie als die Tänzerin charakterisiert.
Zum Mittelpunkt der künstlerischen Wahrnehmung wird Salome erst in
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Dort nahm zum
einen der Orientalismus infolge der napoleonischen Feldzüge in der Levante starken Einfluss auf Literatur und Malerei, zum anderen die frühe
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Salome
Abb.1: Die Enthauptung Johannes des Täufers,
Fresko in der Cappella Colleoni, Bergamo, von G. B. Tiepolo.
Fin-de-Siècle-Stimmung. In Paris beschäftigte sich 1875/76 bis 1878 der
Maler Gustave Moreau mit dem Thema Salome in einem allein dieser
Figur gewidmeten Zyklus. Dessen berühmtestes Bild „Die Erscheinung“,
ein großes Aquarell, das im Pariser Salon 1876 ausgestellt wurde, zeigt die
Tanzende im linken Bildfeld. Im Hintergrund sitzen Herodes und Herodias, deren rostrotes Kleid mit dem gleichfarbigen Gewand des Henkers
korrespondiert, welcher sich am rechten Bildrand auf sein langes Schwert
stützt. In der Bildmitte hat sich auf dem Boden des orientalischen Raumes
eine Blutlache gebildet, darüber schwebt der Kopf Johannes’ des Täufers
mit einem edelsteinverzierten Nimbus im Strahlenkranz, in den mit ihrer
linken erhobenen Hand hineingreifend Salome auf ihre Vision verweist.
Sie selbst ist unbekleidet bis auf ihren überaus reichen, mit Edelsteinen
verzierten Schmuck und ein üppig gemustertes, aber dünnes, schleierartiges Tuch hinter ihrem Körper. Mit seiner mystischen Stimmung verleiht
das Bild der Salome eine völlig neue Dimension morbider Erotik.
Gustave Moreau hat unmittelbar Gustave Flaubert zu seiner Novelle
„Hérodias“ inspiriert, die 1877 in seinen „Trois Contes“ erschien und die
Moreau’sche schwüle Mystik ironisiert.
Die Hauptperson der Erzählung ist Herodias, deren Tochter Salome
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zwar überraschend auftritt, deren wahre Identität Herodes unbekannt
bleibt. Der für seine „Salammbô“ berühmte Romancier soll hier seine Inspiration sowohl aus der Darstellung vom Johannestod an der Kathedrale
seiner Heimatstadt Rouen bezogen haben als auch aus einer Orientreise.
Seine dort bei erotischen Tanzdarbietungen gewonnenen Eindrücke fanden ihren Niederschlag in der brillanten Schilderung von Salomes Tanz,
die schließlich Richard Strauss in seiner „Salome“ im Tanz der sieben
Schleier kongenial in Musik umsetzte. Bereits die Oper „Hérodiade“ von
Jules Massenet – 1881 uraufgeführt und von umstrittener musikalischer
Qualität – berief sich auf Flauberts Erzählung. Ihr eigenwilliges Libretto
deformiert die Geschichte vom Tod des Täufers in abstruser Weise: Die
Tänzerin Salome, längst in Johannes verliebt und angesichts des für ihn
beschlossenen Todes verzweifelt, wird von Herodes begehrt; die eifersüchtige Herodias weiß als Einzige um die verwandtschaftliche Identität des
Mädchens. Da in diesem ‘plot’ kein Platz war für den kanonischen Tanz
der Salome, hat der Komponist mit Blick auf die Erwartungen des französischen Publikums als Balletteinlage einen babylonischen Tanz von
Sklavinnen zugefügt. Einmalig ist in der „Hérodiade“ eine große jüdische
Gottesdienst-Szene auf der Opernbühne, die kirchliche Kreise so schockiert hat, dass eine Exkommunikation von Komponist und Librettist bei
Papst Leo XIII. beantragt wurde!
Gleichfalls von Moreau und Flaubert angeregt und gleichfalls von
einem langjährigen Aufführungsverbot – nämlich in London – betroffen
war die in Paris entstandene Tragödie „Salomé“ aus der Feder des englischen Dichters Oscar Wilde. Sie wurde 1893 in französischer, 1894 in englischer Sprache publiziert und schließlich 1896 in Paris uraufgeführt – mit
der berühmten Sarah Bernhardt in der Titelrolle.
Nicht zuletzt wegen der großen Resonanz beim Publikum während der
deutschen Erstaufführung 1901 in Breslau folgte 1905 in Dresden die gefeierte Uraufführung der einaktigen Oper „Salome“ von Richard Strauss,
deren Libretto die gekürzte deutsche Übersetzung jenes Dramas ist. Hier
ist Salome nicht einfach Werkzeug ihrer Mutter, sondern wird von ihrer
eignen Hassliebe zum keuschen Johannes getrieben. Der Komponist, der
durch Klangmagie und raffiniertes musikalisches Farbenspiel eine adäquate Verdichtung der überhitzten Atmosphäre der Wilde’schen Tragödie erreicht, hat mit der musikdramatischen Geschlossenheit dieses Werkes seinen Ruhm als Meister der modernen Oper begründet. Seit 100 Jahren gehört „Salome“ zum Repertoire aller namhaften Opernhäuser – welch ein
globaler Erfolg für eine Story, deren Historizität äußerst fragwürdig ist!
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Salome
2. Herodes Antipas
Wie hat die Geschichtswissenschaft die herodianischen Protagonisten des
Salome-Mythos in ihren Ereignis- und Interpretationszusammenhang einordnet?2
Aus der Auflistung der Nachfahren Herodes’ des Großen bei Flavius Josephus kennen wir den Namen der fatalen Tänzerin: Salome. Sie war die
offenbar einzige Tochter der Herodias; ihr Vater war nach derselben Quelle Herodes, ein Sohn des Königs Herodes von seiner dritten Gattin Mariamne, einer Tochter des Hohepriesters Simon. Somit stammte Salome
aus einer sowohl königlichen als auch priesterlichen Familie. Außerdem
erfahren wir, dass Herodias nach der Geburt des Kindes „Herodes, den
Tetrarchen und Stiefbruder ihres Gatten heiratete … Ihre Tochter Salome
war zunächst mit Herodes’ Sohn Philippus, dem Tetrarchen von Trachonitis, vermählt, und als dieser ohne Kinder starb, heiratete sie Aristobulus,
den Sohn von Agrippas Bruder Herodes und gebar ihm drei Söhne“
(AJ 18,5,4/137).
Der heutige Historiker, der überlieferte Ereignisse und somit auch Heiraten und Geburten in Herrscherfamilien zumindest ungefähr zeitlich zuordnet, fragt hier: Wann hat Herodias die Tochter geboren, wann ist sie
eine neue Ehe eingegangen? Als gesichert kann gelten, dass Herodias
selbst um 15/14 v. Chr. geboren wurde, so dass ihre Verheiratung respektive die Geburt der Tochter nicht vor den ersten Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. erfolgt sein dürfte. Da sie Flavius Josephus zufolge bald nach
der Geburt des Kindes den Tetrarchen Herodes heiratete, wäre nun zu erwarten, dass sich der Tod des Johannes um 15 bis 20 n. Chr. ereignete, als
Salome – bei den Evangelisten als „Mädchen“ (korasion) bezeichnet –
höchstens 16 Jahre alt war. Aufgrund anderer Evidenzen ist ein Todesdatum Johannes’ des Täufers vor dem Jahr 20 n. Chr. nicht denkbar, so
dass die besondere Bedeutung der genauen Chronologie jener Hinrichtung auf der Hand liegt. Nun berichtet gleichfalls Flavius Josephus von
diesem Ereignis, wenn auch in einem anderen Zusammenhang als die
Evangelisten: „Herodes … kehrte … bei seinem Stiefbruder Herodes ein.
Hier fasste er eine so heftige Neigung zu dessen Gattin Herodias, die ihres
gemeinschaftlichen Bruders Aristobul Tochter … war, dass er mit dem Plan
umging, sie zur Ehe zu nehmen. Herodias war damit einverstanden, … jedoch unter der Bedingung, dass er des Aretas Tochter verstoße. Herodes
sagte (ihr) das zu“ (AJ 18,5,1/110). Tatsächlich kehrte Herodes’ erste Gattin zu ihrem Vater, dem Nabatäerkönig Aretas, zurück; daraufhin brachen
massive Feindseligkeiten aus, in deren Verlauf „des Herodes ganzes Heer
aufgerieben (wurde) … Manche Juden waren übrigens der Ansicht, der
Untergang der Streitmacht des Herodes sei nur dem Zorne Gottes zuzu-
Herodes Antipas
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Antipatros
Mariamne Herodes Malthake
Salome
Berenike Aristobul
Herodes
Herodias Herodes
H. Philippus
H. Antipas
Agrippa
Archelaos
Aristobul Salome
Herodes’ Ehefrauen und Söhne
A) ca. 45–28 v. Chr.
Alexander Jannai
Antipas
Aristobulus
Antipatros
Alexander
Salome Joseph
2.
3.
Mariamne Herodes ª
1.
Doris
Alexander
Aristobul
N.N.
Antipater
B) ca. 28–20 v. Chr.
Boëthus
Eleazar
5.
Joazar
Simon
4.
Malthake Herodes Mariamne
6.
Kleopatra
Archelaos
Herodes
Antipas
Philippus
Herodes
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