Predigt zu Richard Strauss „Salome“ am 19. 04. 2015 aus Markus 6 und Matthäus 11 Abschnitt über das Ende Johannes des Täufers, worauf sich die Oper „Salome“ bezieht: König Herodes ließ Johannes festnehmen und gefesselt ins Gefängnis werfen. Der Grund dafür war: Herodes hatte seinem Bruder die Frau, Herodias, weggenommen und sie geheiratet. Johannes hatte ihm daraufhin vorgehalten: „Das Gesetz Gottes erlaubt dir nicht, die Frau deines Bruders zu heiraten.“ Herodias war wütend auf Johannes und wollte ihn töten, konnte sich aber nicht durchsetzen. Denn Herodes wusste, dass Johannes ein frommer und heiliger Mann war, darum wagte er nicht, ihn anzutasten. Er hielt ihn zwar in Haft, ließ sich aber gerne etwas von ihm sagen, auch wenn er beim Zuhören jedes Mal in Verlegenheit geriet. – Aber dann kam für Herodias die günstige Gelegenheit: Herodes hatte Geburtstag und veranstaltete ein Festessen für seine hohen Beamten, Offiziere und die angesehensten Bürger von Galiläa. Dabei trat die Tochter von Herodias als Tänzerin auf. Das gefiel Herodes und den Gästen so gut, dass der König zu dem Mädchen sagte: „Wünsche dir, was du willst; du wirst es bekommen!“ Er schwor sogar: „Ich gebe dir alles, was du willst, und wenn es mein halbes Königreich wäre!“ Das Mädchen ging hinaus zu seiner Mutter und fragte: „Was soll ich mir wünschen?" Die Mutter sagte: „Den Kopf des Täufers Johannes!“ Schnell ging das Mädchen wieder hinein zum König und verlangte: „Ich will, dass du mir sofort auf einer Schüssel den Kopf des Johannes überreichst!“ Der König wurde sehr traurig; aber weil er vor allen Gästen einen Schwur geleistet hatte, konnte er die Bitte nicht abschlagen. Er schickte den Henker und befahl ihm, den Kopf von Johannes zu bringen. Der Henker ging ins Gefängnis und enthauptete Johannes. Er brachte den Kopf auf einer Schüssel herein, überreichte ihn dem Mädchen, und das Mädchen gab ihn seiner Mutter. Matthäus berichtet von einem Ereignis noch kurz vor dem Tod des Johannes: Der Täufer hatte im Gefängnis von den Taten Jesu vernommen. Darum schickte er einige seiner Jünger zu ihm. „Bist du wirklich der, der kommen soll“, ließ er fragen, „oder müssen wir auf einen anderen warten?“ Jesus antwortete: „Geht zu Johannes und berichtet ihm, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Gelähmte gehen, Tote stehen auf, und den Armen wird die gute Botschaft verkündet! Freuen darf sich, wer nicht an mir irrewird!“ Liebe Gemeinde! Wer am Freitag die Aufführung von Richard Strauss‘ Oper „Salome“ im Schauspielhaus erlebte oder in den kommenden Wochen noch erleben wird, kann verstehen, dass die Uraufführung vor über 100 Jahren als Skandal empfunden wurde: Soviel Sexualität in Verbindung mit Gewalt, in beeindruckender Bühnenpräsenz gespielt mit der expressiven und verstörenden musikalischen Sprache des Komponisten! Und auch heute, wo Horrorfilme und Pornographie alltäglich sind, zieht uns dieses Stück erschreckend in seinen Bann. Die blutig zelebrierten Enthauptungen des Jochanaan und am Ende der Salome lassen an die gegenwärtig veröffentlichten Enthauptungen durch IS denken. Und bei der angedeuteten inzestuösen Spannung zwischen Herodes und seiner Stieftochter steht die Erinnerung an sexuellem Missbrauch im Raum, mit dem auch Vertrauenspersonen aus Schule und Kirche schuldig wurden. Dabei liegt ein Stoff biblischer Geschichte dieser Oper zugrunde. Herodes war eine historische Persönlichkeit. Sohn des berühmten Herodes des Großen, der in der Weihnachtsgeschichte beim Kindermord in Bethlehem eine unrühmliche Rolle spielte, herrschte er als „Tetrarch“, auf Deutsch als „Viertelsfürst“, über ein Viertel des Reichs seines Vaters. Der Familientradition politischer und auch privater Skrupellosigkeit bleibt auch er nur allzu treu. Zwar ist das Gerücht, er hätte seinen Bruder und Rivalen umbringen lassen, historisch nicht nachzuweisen, immerhin hat er ihn entmachtet und ihm die Ehefrau namens Herodias abspenstig gemacht. Zu dieser Zeit tritt Johannes der Täufer auf, ein Prophet, der durch seinen Ruf zur Umkehr und durch sein eigenes glaubwürdiges Leben Aufsehen erregt. Wie die großen früheren Propheten seines Volkes nimmt er auch gegenüber den Mächtigen seiner Zeit kein Blatt vor den Mund. So kritisiert er auch Herodes wegen seiner Politik und seiner Ehe. Herodes macht ihn im Gefängnis zunächst nur mundtot, aus einer gewissen religiösen Scheu heraus tastet er ihn aber nicht an. Anders Herodias, die ihre Position an der Seite des Königs gefährdet sieht. Als auf einer Feier der wohl nicht mehr ganz nüchterne Herodes, fasziniert von dem Tanz ihrer Tochter, sich zu einem BlankoVersprechen hinreißen lässt, sieht die Mutter ihre Stunde gekommen. Sie flüstert ihrer Tochter die tödliche Bitte ein, und der König ist an seinen Eid gebunden. Soweit die biblische Geschichte. II Es gehört zur künstlerischen Freiheit, Stoffe der Tradition in immer wieder neuem Licht zu zeigen und durch Bearbeitung zur verändern. Oscar Wilde schrieb das Drama Salome, in dem Strauss das Libretto seiner Oper fand. Er macht die Nebenfigur des Mädchens, das von der Mutter instrumentalisiert wurde, zur handelnden Hauptfigur. Und damit verändert er das Mordmotiv: Es ist nun Salomes enttäuschte Liebe, die zerstörerische Gewalt gewinnt. Strauss war von den Möglichkeiten, die das ins Extreme gehende Drama Wildes der Musik bot, fasziniert, und er hat sie in großartiger Weise ausgeschöpft. Er traf, wenn auch als skandalös empfunden, damit durchaus den Geschmack seiner Zeit, teilweise aus heutiger Sicht nur zu sehr. Etwa indem er Salome als eine männermordende femme fatal erscheinen lässt wie in jenen Bildern der Jahrhundertwende, die weibliche Sexualität mit Sünde gleichsetzen. Oder wenn er in dem absurden Religionsstreit der fünf Juden, musikalisch übrigens eine der glänzendsten Passagen der Oper, eine Karikatur jüdischer Lehrgespräche zeichnet, die einem antijüdischen Klischee im damaligen Deutschland und Österreich entsprachen, das später in Schmähpamphleten der Nazis gar nicht mehr harmlos war. Aber über alles Zeitgebundene hinaus fasziniert, wie Strauss gestisch und musikalisch ein Geflecht von zwischenmenschlichen Beziehungen vor Augen führt. Immer wieder das Motiv des Blickes! Der junge syrische Hauptmann Narraboth blickt die Prinzessin schmachtend an, was den Pagen Schlimmes befürchten lässt. Herodes bedrängt seine Stieftochter mit lüsternen Blicken, was sie anwidert und ihre Mutter in Wut versetzt. Salome selber begehrt, Jochanaan zu sehen und widersetzt sich dem königlichen Verbot, als sie es erzwingt. Und als der Prophet sich weigert, sie ihrerseits anzusehen, geschweige denn zu küssen, da lässt sie ihn hinrichten, um mit dem wehrlosen Kopf machen zu können, was sie will – und verzweifelt am Ende doch daran, dass auch der Tote ihr keinen Blick gewährt. In der Inszenierung wird die Dialektik von Liebe und Macht überzeugend herausgearbeitet. Weil Narraboth Salome liebt, kann sie ihn manipulieren, was ihn am Ende sein Leben kostet. Herodes hat Macht über Leben und Tod und gerät doch in klägliche Bedrängnis zwischen seiner religiöser Scheu und seinen Leidenschaften. Salome verweigert sich zunächst dem Begehren, im Tanz einer Männerrunde als Lustobjekt vorgeführt zu werden. Als sie aber erkennt, dass sie mit dem Tanz ihre eigenen Ziele durchsetzen kann, da spielt sie die Macht ihrer Sinnlichkeit aus und lässt, jedenfalls in dieser Inszenierung, die Männer wie Puppen nach ihrem Willen tanzen, das macht den Solotanz fast zum Ballett – ein gelungener Einfall der Regie und eine großartige Leistung der Schauspielerin. Der machtlos gefangene Jochanaan schließlich erscheint als der, vor dem der Tetrarch Angst hat. Und er kann sich sogar dem erotischen Zauber Salomes entziehen. Du hast deinen Gott gesehen, Jochanaan, klagt Salome zuletzt, aber mich, mich hast du nie gesehen. Richard Strauss bemerkte zu Oscar Wildes Dichtung: Es sind eigentlich lauter perverse Leute, und der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan. Dieser Prophet zeigt keine Angst und lässt sich auch von der Liebe nicht berühren, und gerade diese Unberührtheit von allem Menschlichen lässt ihn unmenschlich und insofern pervers erscheinen. Ich habe Salome in eine menschliche Gefühlssphäre gehoben, schreibt der Komponist, und Jochanaan auf das Religiöse, Erhabene hin komponiert. In der Tat prägt dieser Gegensatz sein ganzes Werk auch musikalisch: Die extreme Harmonik des übrigen Stückes, bis an die Grenzen der Tonalität und in unruhigen Rhythmen, steht im Kontrast zu den ruhig musizierten klaren Dreiklangsharmonien, die die Auftritte Jochanaans leitmotivisch charakterisieren. III Liebe Gemeinde, bei allem Respekt vor dem Genie von Wilde und Strauss, dieser Gegensatz, in den sie ihre Kunstfigur Jochanaan stellen, ist ein anderer Gegensatz als der, durch den der biblische Johannes sein Leben verlor. Der Jochanaan des Stücks beeindruckt gewiss durch seine Tapferkeit, befremdet aber durch seine Rigorosität, seine finsteren Drohsprüche und seine panische Phobie nicht nur vor Erotik, sondern vor menschlicher Berührung; und die Verfluchung, mit der er Salome zurückweist, ist lieblos und lässt jede Menschlichkeit vermissen. Sollte Wilde und Strauss das Bild einer Religiosität vor Augen stehen, die in ihrem Wesen lustfeindlich und unmenschlich ist und darin in der Tat nicht weniger pervers als das Treiben im Haus des Herodes? Und sollten vielleicht lebensfeindliche Moralpredigten der damaligen Kirche, unter denen Oscar Wilde tatsächlich zu leiden hatte, zu diesem Bild beigetragen haben? Der biblische Johannes aber bevorzugt wohl persönlich einen asketisch-einfachen Lebensstil, ist aber wie alle echten Propheten ein Anwalt für Menschlichkeit und wurde vom Volk auch so verstanden. Er ruft in einer entmutigten Bevölkerung zu einem Aufbruch, bei dem jeder bei sich selbst beginnen kann, und er gibt lebenspraktische Ratschläge für ein Miteinander, das dem Frieden dient. Und trotz der Anfeindungen der Machthaber, die ihn zuletzt sein Leben kosten, bleibt er ungebeugt. Ein Johannes der Gegenwart könnte vielleicht Gesichtszüge wie Mahatma Gandhi, Martin-Luther King oder Dietrich Bonhoeffer tragen. Und nun berührt mich, dass alle diese Anwälte für Menschlichkeit keine unangreifbaren Denkmäler sind, sondern selber durchaus auch menschliche Verletzlichkeit und Schwäche kennen. Johannes verdankte die Kraft für sein mutiges Auftreten der Gewissheit, einer neuen, besseren Zeit den Weg zu bereiten. Und als er Jesus begegnete, sah er mit ihm den Anbruch dieser Zeit gekommen. Stattdessen findet er sich kurz nach dieser Begegnung im Gefängnis, den Tod vor Augen. Da können ihn die Nachrichten über Jesu Wirken, die zu ihm dringen, nur verwirren: Wie passen diese Freudenberichte mit seiner elenden Situation zusammen? Hat er sich geirrt, war die Grundlage seines Wirkens Illusion? Und so gibt er seinem sehr menschlichen Zweifel Ausdruck und lässt Jesus fragen: Bist du wirklich der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten? Diese Frage des Täufers ist eine offene Frage, und sie ist bis heute offen geblieben. Denn was ist nach 2000 Jahren Christentum aus Gottes Verheißungen geworden? Bis heute sind Beziehungen zwischen Menschen vergiftet, bis heute wird Liebe durch Macht korrumpiert, bis heute geschieht Missbrauch. Bis heute lassen die Herodesse Kinder von mehr als einem Dorf umbringen und beseitigen die Wahrheitszeugen. Bis heute werden Tränen geweint wie über die Opfer des Flugzeugabsturzes, deren Angehörige am Freitag nach Köln kamen, oder über die im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlinge, deren Namen wir kaum kennen und kaum abschätzen können, wie viele Kerzen wir anzünden sollten. Kann Jesus der verheißene Helfer sein – in einer so unerlösten Welt? Bist du es? Das ist eine Lebensfrage, die sich mit neuen Erfahrungen immer wieder neu stellt und die auch für uns offen bleiben wird, so lange wir leben. Jesus nimmt die Frage des Johannes nicht übel, sondern ernst. Aber seine Antwort ist eigenartig. Er antwortet nicht mit Ja oder Nein, ob er es sei, er erklärt auch nicht, warum Johannes trotzdem im Gefängnis sitzt oder warum wir mit so viel Rätseln leben müssen. Er gibt die Frage zurück: Nimm wahr, was in meiner Nähe geschieht, trotz aller noch bestehenden Dunkelheiten, und bilde dir dann dein eigenes Urteil! Und er ruft ihm in die Finsternis des Kerkers zu: Freuen darf sich, wer nicht an mir irrewird! Die Antwort an Johannes ist auch die Antwort an uns: Nehmt die Bewegung wahr, die Jesus ausgelöst hat, der Liebe nicht durch Macht korrumpieren ließ, sondern unbeirrt der Macht der Liebe traute. Nehmt wahr, wo Menschen durch die Macht der Liebe an Leib und Seele heil werden und wo ihnen Gottes Botschaft neue Horizonte öffnet, wo sie von dieser empfangenen Liebe weitergeben und Gottes Schalom in Dorf und Stadt verbreiten. Schließt euch ihnen an, vertraut der zarten und zugleich starken Macht dieser Liebe! Verwechselt sie nicht mit einer verlogenen Harmonisierung aller Gegensätze, sondern entdeckt ihre kritische Kraft, habt den Mut zur konstruktiven Schärfe dieser Kritik! Werdet nicht irre an den Widerständen, denen ihr begegnet, sondern schwimmt gegen den Strom! Was auch geschieht, ihr werdet erfahren: Freuen darf sich, wer nicht an mir irrewird! Liebe Gemeinde, deshalb hat diese schlimme biblische Geschichte eine Hoffnung weckende Botschaft, die ich mit einem Satz zusammenfassen möchte: Der tote Täufer bleibt am Zug. Es ist die Schlusszeile eines Gedichtes, das wir am Ende des Gottesdienstes noch hören werden. Was Johannes begann, setzte Jesus fort, so bleibt der tote Täufer weiter am Zug. Jesus hat später ein ähnliches Schicksal wie der Täufer erlitten, aber Gott hat ihn nicht im Tod gelassen, sondern zum neuen Leben erweckt: So bleibt er am Zug. Und so hat die Macht der Liebe Zukunft, bis heute, allen Widerständen zum Trotz. Amen. der täufer tot schön tanzt salome schön wie shiva schöner als die diva zur musik von strauss im opernhaus salome tanzt strip salome tanzt tease wie sie süß und freier ihre schleier fallen ließ fällt im köpfchen von herodias auch etwas fällt ein haupt das unbewegt henker in die schüssel legt schön tanzt salome und herodias trippelt über rote läufer triumphierend klug doch umsonst: der tote täufer bleibt am zug kurt marti