Ende einer unverständlichen Strauss

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Ende einer unverständlichen Strauss-Abstinenz
Die Uraufführung der »Salome« fand am Königlichen Opernhaus Dresden am 9. Dezember
1905 statt. Mit Marie Wittich in der Titelpartie, Irene von Chavanne als Herodias, Karel
Burian als Herodes und Carl Perron als Jochanaan. Die Musikalische Leitung hatte Ernst von
Schuch. Szenenbild »Tanz der Salome«. Quelle: Archiv Staatsoper
Leo Blech (Foto: Fritz Eschen)
Keine Frage, von Dresden aus fanden die Erfolge des vor 150 Jahren geborenen Richard
Strauss sehr schnell ihre Wege auch an die die bedeutenden Opernhäuser östlich von Elbe
und Neiße. Wahre Strauss-Orgien müssen sich einst in Prag, im ehemaligen Neuen
Deutschen Theater, der heutigen Staatsoper, oberhalb des Wenzelsplatzes, neben dem
Museum, abgespielt haben. »Salome« wurde schon im Mai 1906, wenige Monate nach der
Dresdner Uraufführung unter der Leitung von Leo Blech dort mit Erfolg inszeniert; keine
andere Oper von Strauss wurde fortan so oft in Prag aufgeführt. Weitere Einstudierungen
folgten mit dem Dirigenten Alexander Zemlinsky 1913 und 1920. Insgesamt feierte »Salome«
in Prag zehn Premieren, immer prominent besetzt am Pult und in den Hauptpartien, Richard
Strauss selbst dirigierte seinen Welterfolg dort 1922, der junge George Széll stand 1933 am
Pult in Prag.
Anja Silja (Foto: Gustav Hildebrand). Quelle: Deutsche Fotothek
Am erfolgreichsten war bisher die Produktion von 1966: sie wurde 48 Mal gespielt, und so
bekannte und berühmte Sängerinnen wie Anja Silja, Ursula Schröder-Feinen, Colette
Lorand, Margaret Tynes und Felicia Weathers gastierten in der Titelpartie. Bislang letztmals
gab es 2009 konzertante Aufführungen mit Eva Urbanová; der Dirigent war Tomáš
Netopil.
Ähnliche Geschichten ließen sich von weiteren Strauss-Opern berichten. In der
letzten Zeit aber gab es bis auf einen »Rosenkavalier« vor etwa zwanzig Jahren am
Nationaltheater und der erwähnten konzertanten Aufführung keine weiteren Strauss-Opern
an der Moldau.
Strauss an der Weichsel hat dagegen ganz großen Seltenheitswert. Soweit mir bekannt, gab
es lediglich im Oktober 1907 im Warschauer Teatr Wielki die Premiere der »Salome«. Die
Strauss-Tradition blühte hingegen in Wroclaw, am damaligen Stadttheater Breslau, dem
heutigen Opernhaus der Kulturhauptstadt Europas im kommenden Jahr, in dem es auch die
70. Saison der Oper zu feiern gilt. Zehn Premieren der Opern »Salome«, »Elektra«, »Die
Frau ohne Schatten«, »Der Rosenkavalier« und sogar »Intermezzo«, dazu Choreografien
der Ballette »Josephslegende« und »Schlagobers«, zwischen 1906 und 1924. Hier ist es die
musikalische und künstlerische Leiterin des Opernhauses, die Dirigentin Ewa Michnik, die
diese Tradition ihres Theaters wieder beleben möchte.
Die »Frau ohne Schatten« in Wroclaw; Elizabeth Kaczmarzyk-Janczak (Amme), Jacek
Jaskula (Geisterbote). Foto: Mark Grotowski
Der Einstieg war vor zwei Jahren gelungen, trotz aller Skepsis: wer das Megawerk »Die Frau
ohne Schatten« in Dresden vermisst, dem sei eine Fahrt nach Wroclaw empfohlen, wo es
nach über 90 Jahren wieder regelmäßig auf dem Spielplan steht. Zum Ende des StraussJahres 2014, ab 13. Dezember, wird es hier auch wieder einen »Rosenkavalier« geben,
dessen Polnische Erstaufführung 1922 auf eben dieser Bühne stattfand. Am Pult steht
selbstverständlich die Chefin der Oper Wroclaw selbst.
Verblüffende Impulse aus Warschau
Die polnische Hauptstadt knüpft in diesem Jahr da an, wo es mit Strauss vor 107 Jahren
begann. In einer Koproduktion mit dem Prager Nationaltheater in der Staatsoper, dem Ort
der Prager Strauss-Traditionen, hat der künstlerische Leiter der Warschauer Nationaloper,
Mariusz Treliński, mit einem internationalen Team die »Salome« inszeniert. Wer die
polnische Opernszene kennt, weiß, dass vom künstlerischen Direktor der Warschauer
Nationaloper immer wieder ungewöhnliche, am Ende oft verblüffende Impulse ausgehen,
was seine Sicht auf Werke, die man zu kennen meint, angeht. Von seiner Inszenierung der
»Madama Butterfly« war einst Plácido Domingo so begeistert, dass er diese Produktion für
zwei Jahre an die Washington National Opera holte.
Gun-Brit Barkmin als Prager Salome (Foto: Ilona Sochorová)
Jetzt hat er »Salome« als eine Art Kopfkino der traumatisierten Prinzessin inszeniert,
verstörend, rätselhaft, aber letztlich verblüffend logisch mit der Hauptidee, dass es diesen
Propheten Jochanaan gar nicht gibt, dass er eine Schöpfung der Fantasie der Salome ist.
Mit der in Dresden ausgebildeten Sängerin Gun-Brit Barkmin kann man derzeit in Prag eine
vor allem in der Darstellung grandiose Prinzessin von Judäa erleben.
»Salome« in Bratislava (Fotos: Jozef Barinka)
Mit einer Neuinszenierung der »Salome« möchte auch das Nationaltheater in Bratislava, wo
einst auch der Meister selbst im Historischen Theater am Pult stand, seine lange StraussAbstinenz beenden. Die jüngste Premiere im Strauss-Reigen des Jubiläumsjahres und
bislang letzte in Sachen »Salome« führte mich vor wenigen Tagen nach Bratislava. Hier ist
man an eine launige Bemerkung von Strauss selbst erinnert, der das Werk als»Scherzo mit
tödlichem Ausgang« bezeichnete. Irgendwie wird es in der »Salome« immer mehr oder
weniger unfreiwillig komisch. Das muss schon zur Dresdner Uraufführung 1905 so gewesen
sein, denn mit der hochdramatischen Sängerin Marie Wittich war an einen Tanz der sieben
Schleier nicht zu denken. So kam man auf die Idee des Tanzdoubles. Das ist heute selten
geworden; aber auch heutige Salome-Sängerinnen kommen nicht vom Broadway! So sieht
man mitunter bestenfalls lasziv gemeinte Andeutungen bewegter Hüften, mehr nicht. Da
kann auch die neue Inszenierung des Slowakischen Nationaltheaters in Bratislava auf der
großen Bühne des neuen Theaters nicht so recht punkten. Schade eigentlich, denn mit
Jolana Fogašová steht eine Sängerdarstellerin für die Titelpartie auf der Bühne, wie man sie
sich nur wünschen kann. Das tätowierte Früchtchen mit Schmollmund oder Trotzschnute ist
daran gewöhnt, alle Wünsche erfüllt zu bekommen. Weil die verzogene Göre offensichtlich
alles hat, dazu die Nase gestrichen voll vom höfischen Gelaber, ertönt die Stimme des
geheimnisvollen Typen aus der Tiefe dieses Welttheaters auf wackeligen Bühnenbrettern
gerade recht, und schon wittert die Prinzessin ein neues Abenteuer.
Heute würde man meinen, dieser asketische Heilsverkünder Jochanaan ist ein gefährlicher
Systemkritiker; sein religiöser Eifer weist in Richtung Terrorverdacht. Somit ist er für die
einen ein Scheusal aus dem Bilderbuch politischer Nachrichtendienste, für andere ein Objekt
der Begierde. Für einen Regisseur ist es nicht leicht, sich für eine Variante der Erzählung
dieses Stoffes zu entscheiden. Die Exotik flirrender Farben des Nahen Ostens, die zu Beginn
des letzten Jahrhunderts in Mode war, mag heute nicht mehr in gleichem Maße zu
begeistern.
Die historischen Anklänge in Anlehnung an die biblischen Motive im Hinblick auf die
verschwimmenden Situationen einer weltgeschichtlichen Zeit des Umbruchs verblassen
angesichts der noch immer virulenten Umbrüche und deren Nachwirkungen aus dem 20.
Jahrhundert. Offensichtlich stehen wir am Beginn des 21. Jahrhunderts erneut vor den
Herausforderungen einander sich bekämpfender religiöser und ethischer Unvereinbarkeiten.
Die Flunkerei von Richard Strauss mit dem tödlichen „Scherzo“ im Hinblick auf seine
»Salome« hat neuen Ernst bekommen. Das Drama vollzieht sich ganz vorn, ganz nahe an
der Rampe des Welttheaters, die Protagonisten stehen schon mit einem Bein über dem
Abgrund, überm garstigen Graben der Geschichte, aus dem jene Musik aufsteigt deren
trügerische Verführungsmelodik nichts an Kraft verloren hat, deren kleingeistiges Gemecker
nicht den Rausch der Überwältigung aufhalten kann und deren klagende Töne der
Einsamkeit am Ende wieder mal ein Kind zurück lassen, das trägt die Schuld, das muss
geschlachtet werden, dieses Tier, dieses Ungeheuer, namens Salome.
Unbedingt nötige Erweiterung des Repertoires
Gegen die Klangpräsenz dieser Aufführung unter der Leitung von Friedrich Haider mit dem
Orchester des Slowakischen Nationaltheaters, das sich während der Aufführung deutlich
steigerte, kommen die szenischen Ideen des Regisseurs Hans-Joachim Ruckhäberle nur
bedingt an. Mitunter beschränkt er sich auf die Organisation von Anordnungen der Solisten,
als wohnte man einer konzertanten Aufführung bei. Zum anderen kann er mit konzentrierten
Szenen Akzente setzten, die sonst oft verloren gehen. So sind in Ruckhäberles Sicht die fünf
diskutierenden Juden keine gefährlichen oder gar albernen Karikaturen, sondern
ernstzunehmende, diskutierende Menschen. Mit einem Sänger wie Jan Vacík in der Rolle
des Herodes lässt sich ein so verschlagener wie gewiefter König inszenieren, der seine
Märchenbuchkrone
mit
der
absurden
Verschmitztheit
eines
Lustspiel-Königs Peter von Georg Büchners Gnaden trägt. Machtgier, Egoismus und
Berechnungskunst zeichnen Denisa Hamarová als Herodias aus; Tochter Salome, als
Früchtchen wahrlich nicht weit vom Stamm gefallen, dürfte ihre wirkliche Konkurrenz
sein. Wie ernst ein Prophet mit den oratorischen Tönen eines Jochanaan wirklich zu nehmen
ist, kann diese Inszenierung auch nicht eindeutig klären.
Mit Anton Kermidtchiev erlebt man hier einen Charakterbariton mit heldischen Tönen.
Für den Tenor Tomáš Juhás mit seiner zu Herzen gehenden Liebesverzweiflung als
Narraboth ist kein Platz in dieser Opernwelt.
Und eigentlich ist hier ja auch kein Platz für die Salome der Jolana Fogašová mit ihrem
erstaunlichen Rollendebüt. An dramatischer Kraft fehlt es ebenso wenig wie an lyrischer
Feinheit. Gelegentliche Ausflüge in die leichteren Gefilde des Klanges der Soubrette
kommen
der
charakterlichen
Differenzierung
dieser
Partie
sehr
zugute.
So klingt in Bratislava das Richard-Strauss-Jahr aus mit einer Neuproduktion der »Salome«,
die ganz im Sinne des Operndirektors und Chefdirigenten des Slowakischen
Nationaltheaters, Friedrich Haider, einmal im Sinne einer unbedingt nötigen Erweiterung des
Repertoires zu sehen ist, zum anderen aber auch als längst überfällige Beendigung einer
unverständlichen Strauss-Abstinenz in Bratislava. In diesem Sinne darf man sich auf eine
weitere Entdeckung zum Ende der aktuellen Saison freuen, wenn Haider Ermanno WolfFerraris ganz selten zu erlebende Oper »I gioielli della Madonna« auf die Bühne bringen
wird.
19.11.2014 ▪ Boris Gruhl ▪ Features (http://www.musik-in-dresden.de/2014/11/19/ende-einerunverstaendlichen-strauss-abstinenz/
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