Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 204 | Montag, 5. September 2011 MEINE SPRECHSTUNDE Leben ............................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................ Ein Bypass für ein eigenständiges Leben Wenn sich die Gefäße in den Beinen verengen, kann das zu Schmerzen führen. Nehmen die Durchblutungsstörungen zu, sind oft schwer heilende Wunden und Prof. Dr. Christian Stief Geschwüre die Folge. Als Chefarzt im Münchner Wie bei Mathias Koeber. Klinikum Großhadern erlebe Mit einem Bypass konnich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Mei- ten Gefäßchirurgen dem ne Kollegen und ich möchten 89-Jährigen helfen. den Merkur-Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht die Periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK), die oft auch als Schaufensterkrankheit bezeichnet wird. Der Experte des Beitrags ist Prof. Thomas Koeppel. Er ist Chefarzt der Gefäßchirurgie im Klinikum Großhadern und im Klinikum Innenstadt der LudwigMaximilians-Universität. Der Gefäßspezialist erklärt, wie eine pAVK entsteht und wie man sie behandeln kann. Stichwort: Arteriosklerose Arterien transportieren das Blut vom Herzen in den gesamten Körper. Vor allem in späteren Jahren können sich in ihnen Ablagerungen bilden. Diese enthalten zum Teil Kalk, weshalb man umgangssprachlich auch von Verkalkung spricht. Doch bestehen die sogenannten Plaques auch aus Fett und Bindegewebe. Die Ablagerungen lassen die Gefäße steifer und enger werden. Doch gibt es noch eine größere Gefahr: Ein Plaque kann einreißen. An der Stelle entsteht oft ein Gerinnsel, das das Gefäß verstopfen kann. Bildet sich ein solcher Thrombus in einem Herzkranzgefäß, kommt es zu einem Herzinfarkt. Doch können Teile der Ablagerungen auch mit dem Blutstrom in feinere Gefäße wandern und diese verstopfen, etwa im Gehirn. Als Risikofaktoren gelten hoher Blutdruck, erhöhte Blutfett- und Blutzuckerwerte sowie das Rauchen und zu wenig Bewegung. 17 VON SONJA GIBIS Mathias Koeber liegt in seinem Krankenbett im Klinikum Großhadern, sein linkes Bein steckt in einem dicken Verband. In der Hand aber hält er ein Stück Kuchen. Denn Mathias Koeber hat an diesem Tag Geburtstag. Es ist der 89. „Jetzt wird’s aber Zeit, dass du wieder heimkommst“, sagt seine Frau. Sie hat ihm den Kuchen mitgebracht. Mathias Koeber nickt. „Meinen 90. feiere ich dann daheim“, versichert der Münchner lächelnd. Auch Gefäß-Experte Prof. Thomas Koeppel ist zuversichtlich. Die Wunde an Koebers linkem Fuß, die so lange nicht hatte heilen wollen, schließt sich. Was diese Wunde hatte immer schlimmer werden lassen, war nicht einfach nur eine Infektion: Die linke Oberschenkelarterie hatte sich im Laufe der Zeit verschlossen, so dass das Gewebe am Fuß nicht mehr ausreichend durchblutet wurde. Die Beschwerden kamen allerdings nicht plötzlich. Die Krankheit hat eine lange Vorgeschichte – wie bei allen vergleichbaren Fällen. Mathias Koeber war 66 Jahre alt und lebte noch in seiner Heimat in Hermannstadt, als ihm plötzlich immer öfter die Beine weh taten. Ein Arzt stellte fest: Koeber litt an der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) – wie viele Männer. Meist erkranken diese bereits vor dem 55. Lebensjahr. Doch auch Frauen sind betroffen, wenn auch oft in etwas späteren Jahren. Raucherinnen erkranken allerdings so früh wie ihre männlichen Leidensgenossen. Denn Tabakkonsum erhöht das Risiko enorm. Mit einem Bypass im Bein konnten Prof. Thomas Koeppel und sein Team Mathias Koebers Fuß retten. Auch bei Mathias Koeber war die Erkrankung bereits fortgeschritten, als der Arzt die Diagnose stellte. „Zunächst merkt man nichts davon“, erklärt Koeppel, Chefarzt der Gefäßchirurgie des Klinikums der Universität München. Erst wenn sich die Gefäße in den Beinen bereits stark verengt haben, kommt es zu typischen Beschwerden, vor allem belastungsabhängige Wadenschmerzen: Zunächst haben Betroffene nur dann Schmerzen, wenn sie ihre Beine länger belasten, etwa beim Bergaufgehen. Dann kommt der Schmerz immer rascher, schließlich schon, wenn sie kurze Distanzen zurücklegen. Er zwingt die Pa- tienten anzuhalten. Da sie dann beim Stadtbummel oft vor der Auslage eines Geschäfts stehen bleiben, spricht man auch von der sogenannten Schaufensterkrankheit. Die Ursache ist eine Arteriosklerose, auch Arterienverkalkung genannt. Dabei bilden sich Ablagerungen in den Arterien. Die Gefäße werden enger oder verschließen sich sogar. Hierdurch werden betroffene Gließmaßen immer schlechter durchblutet, so dass bei Anstrengung nicht mehr genug Blut zu den Muskeln transportiert werden kann. Es kommt zu Schmerzen – wie bei Mathias Koeber. „Der Arzt hat mir elektrische Bäder verschrieben“, er- zählt er. Diese sogenannte hydroelektrische Therapie schlägt an, die Schmerzen verschwinden. Als das Ehepaar später der Tochter nach Deutschland folgt, hilft Koeber bei einem Förster im Garten aus. „Ich bin viel Rad gefahren“, erzählt er. „Bin ständig hin und her.“ Die Bewegung tut ihm gut. Dann aber macht sich die Arteriosklerose in den Herzkranzgefäßen bemerkbar. Koeber hat Atemnot, schon bei geringer Anstrengung. Die Ärzte legen ihm im Jahr 2000 vier Bypässe am Herzen. „Danach ging es mir wieder sehr gut“, sagt er. Doch auch die verengten Arterien in den Beinen führen mit der Zeit zu ernsten Proble- FOTO: BODMER men: „Wenn es anfängt, in Ruhe zu schmerzen, wird es kritisch“, sagt Koeppel. Dann ist die Durchblutung bereits so star beeinträchtigt, dass das Gewebe schlecht versorgt wird, auch wenn sich der Patient nicht anstrengt. Schreitet die Erkrankung weiter fort, kann es zu Wunden kommen, die nicht mehr heilen. Gewebe stirbt ab, wird nekrotisch, wie Mediziner sagen. Auch bei Koeber passiert das. „Zuerst war’s nur der kleine Zeh“, erzählt er. Vor einigen Monaten bildet sich eine üble Wunde am Fuß. Koeber kann kaum mehr laufen „Nicht mal zum Einkaufen“, sagt er. Im Winter ist auch das Radfahren unmöglich. Sich bei allem helfen zu lassen, fällt dem Mann, der sein Leben lang gearbeitet hat, schwer. Schließlich wird Koeber nach Großhadern überwiesen, wo er von Koeppel und seinem Team betreut wird. Eine wenig invasive Behandlung, etwa eine Ballonerweiterung, kommt bei ihm leider nicht infrage. Die Gefäßerkrankung ist zu weit fortgeschritten. Um eine Amputation des Beins zu verhindern, ist eine Operation nötig. Die Ärzte raten zu einem Bypass. Zunächst müssen die Mediziner aber Koebers Gesundheitszustand stabilisieren, um das Risiko für den Eingriff zu minimieren. Sein Herzmuskel ist schwach, eine Niere funktioniert nicht. Um das Herz zu schonen, wird der Eingriff ohne Vollnarkose durchgeführt. Die Gefäßchirurgen setzen eine Gefäßprothese aus Kunststoff in den Oberschenkel ein, damit auch die unteren Bereiche wieder ausreichend mit Blut versorgt werden. Der Eingriff kann die Gefäßverkalkung am Bein nicht rückgängig machen. „Doch er kann seine Eigenständigkeit behalten“, sagt Koeppel. Ohne Bypass hätte die gestörte Durchblutung schon sehr bald eine Amputation des Unterschenkels nötig gemacht. Die Sterblichkeit bei solchen Eingriffen ist hoch. Auch müssen die Patienten nach der Operation lange in stationärer Behandlung bleiben. Gerade ältere Patienten kommen nach einer Amputation überhaupt nicht mehr auf die Beine. Sie werden pflegebedürftig, landen oft im Heim. Dieses Schicksal konnte der Bypass Koeber erstmal ersparen. Um das abgestorbene Gewebe zu entfernen, war es zudem nötig, die fünfte Zehe abzunehmen. Den Eingriff hat Koeber gut überstanden. Doch musste er noch ein zweites Mal in die Klinik. An der Stelle der Amputation hatt sich der Knochen entzündet. Erst als der betroffene Anteil entfernt worden war, heilte die Wunde. Koeber freut sich, wieder zu Hause zu sein. Ob er wieder mit dem Rad durch München fahren will? Koebers Frau schüttelt den Kopf. Viel zu gefährlich! Doch ihr Mann lächelt verschmitzt. Was tun, wenn es in den Gefäßen zu eng wird? VON SONJA GIBIS Zuerst treten die Schmerzen in den Beinen erst nach längeren Gehstrecken auf, meist in den Waden. Doch mit der Zeit kommen das Ziehen und die Krämpfe häufig immer rascher, bald schon nach wenigen hundert Metern. Die Betroffenen leiden an der sogenannten Schaufensterkrankheit, im Fachjargon periphere arterielle Verschlusskrankheit, kurz pAVK, genannt. In Deutschland leiden etwa 4,5 Millionen Menschen an dieser Durchblutungsstörung. Die Ursache der pAVK ist Arteriosklerose, welche die Arterien in den Beinen, bei etwa zehn Prozent der Betroffenen auch in den Armen, verengt. Doch viele wissen gar nicht, dass sie eine pAVK im frühen oder sogar fortgeschrittenen Stadium haben. Durch die Gefäße gelangt immer weniger Blut und damit auch weniger Sauerstoff und Nährstoffe in das Gewebe. Die Folge sind Schmerzen, zunächst vor allem bei Anstrengung. Ist die Oberschenkelarterie verengt, haben die Patienten vor allem Probleme in den Waden. Ist auch die Beckenarterie betroffen, treten Schmerzen auch im Oberschenkel und der Gesäßmuskulatur auf. Viele nehmen die Beschwerden jedoch nicht ernst oder vermuten dahinter ein orthopädisches Problem. Man unterscheidet verschiedene Stadien der pAVK. Im ersten liegen Veränderungen der Gefäßwand, etwa Verkalkungen, vor, die aber noch keine Beschwerden bereiten. Erst im Stadium II sind diese so ausgeprägt, dass sie zu Durchblutungsstörungen führen und beim Gehen Schmerzen in den Waden, im Gesäß oder den Oberschenkeln auftreten können. Im dritten Stadium schmerzen Füße und Zehen bereits in Ruhe. Die 60 000 Amputationen pro Jahr infolge von Diabetes und pAVK Haut ist blass und kalt. Im Stadium IV führt die geringe Durchblutung dann zu Schäden. Wunden heilen nicht mehr, Geschwüre treten auf, Gewebe beginnt abzusterben. In den Stadien III/IV spricht man von einer „kritischen Durchblutungsstörung“ (Ischämie): Die betroffene Extremität ist bedroht. Unbehandelt steigt das Risiko für eine Amputation stark an. So verlieren in Deutschland etwa 60 000 Patienten pro Jahr in Folge der pAVK ein Teil des Beines. Gefährdet sind vor allem Patienten mit Diabetes. Eine Behandlung der pAVK ist bereits in einem frühen Stadium wichtig: Denn die Arteriosklerose betrifft meist verschiedene Bereiche des Körpers. Oft sind auch die Herzkranzgefäße oder die Halsschlagader verengt. Das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall ist hoch. Mehr als Dreiviertel der pAVK-Patienten stirbt daran. Die Risikofaktoren für pAVK sind dabei dieselben wie für die meisten HerzKreislauf-Erkrankungen: So schadet ein zu hoher Blutdruck, ein gestörter Fettstoffwechsel sowie die Zuckerkrankheit den Gefäßen. Einer der größten und zudem vermeidbaren Gefäßkiller ist das Rauchen: Das sogenannte Raucherbein ist nichts anderes als eine durch Tabakkonsum ausgelöste Verschlusskrankheit im Bein. Besteht der Verdacht auf pAVK, kann eine körperliche Untersuchung und eine Dopplersonografie die Diagnose sichern. Diese Untersuchungen, die vom Hausarzt durchgeführt werden können, sind auch zur Vorsorge geeignet. Mit Hilfe einer sogenannten Dopplersonde misst der Arzt den Blutdruck am Oberarm und an den Fußknöcheln. Indem er den Wert am Knöchel durch den am Oberarm teilt, erhält er den Knöchel- Die Dopplersonografie macht verengte Arterien sichtbar. Arm-Index. Anhand dieses Werts lässt sich rasch erkennen, ob und wie schwer die Durchblutung gestört ist. Werte zwischen 0,9 und 1,2 gelten als normal. Je kleiner der Wert, desto stärker sind die Beingefäße verengt. In frühen Stadien versucht man, durch intensives Gehtraining die Durchblutung zu verbessern. Kleine Gefäße lassen sich dadurch weiten. Der Patient kann wieder länger FKN ohne Schmerzen gehen. Damit sich die pAVK nicht verschlechtert, ist es zudem wichtig, die Risikofaktoren so gut wie möglich auszuschalten. Blutdruck und Blutzucker müssen gut eingestellt, die Blutfettwerte reguliert werden. Betroffene sollten unbedingt auf das Rauchen verzichten. Die Patienten erhalten zudem Medikamente, die die Blutgerinnung hemmen und die Gefäße weiten. Bei fortgeschrittener Erkrankung kann aber nur ein Eingriff die Beschwerden verringern: Um diesen genau zu planen, müssen die Gefäßexperten die Größe und Lage der Verengungen exakt bestimmen. Dazu nützt man heute vor allem moderne bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT), die Computertomografie (CT) und die Gefäßangiografie, die das Gefäßsystem im Detail abbilden können. Bei der Gefäßangiografie wird per Katheter Kontrastmittel direkt in die Gefäße gespritzt, um diese exakt abzubilden. Vorteil der Methode: Man kann sie nicht nur zur Diagnostik nutzen, sondern auch gleichzeitig eine Behandlung durchführen. Neben der Gefäßaufdehnung mit einem Ballon können so auch Gefäßstützen (Stents) eingesetzt werden. „Meinen hochspezialisierten Kollegen aus dem Gefäßzentrum ist es sogar teilweise möglich, mit speziellen Instrumentarien komplett verschlossene Gefäßbezirke zu rekanalisieren, also wieder zu eröffnen“, sagt Gefäßspezialist Prof. Thomas Koeppel. Vorteil dieser Methoden: sie sind „minimal-invasiv“, das heißt eine Operation kann vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Versprechen diese Methoden kei- nen Erfolg, hilft in der Regel nur eine Operation. „Wenn die richtige Methode zur richtigen Zeit angewendet wird, kann das viele Patienten dauerhaft vor einer Amputation bewahren“, sagt Koeppel. Die Durchblutung lässt sich zudem durch eine Kalkausschälung oder durch einen Bypass verbessern. Letzterer ist vor allem geeignet, wenn die Schlagader über eine längere Strecke verschlossen ist. Als Bypass nützt man vor allem körpereigene Venen, insbesondere wenn der Bypass das Kniegelenk überschreitet und kleinste Unterschenkelschlagadern angeschlossen werden müssen. Aber auch Gefäßprothesen aus Kunststoff werden eingesetzt, vor allem bei großen Gefäßen oder wenn keine körpereigenen Gefäße zur Verfügung stehen. Die Behandlung von Gefäßpatienten ist sehr komplex. Für die bestmögliche Behandlung ist ein Expertenteam aus Fachärzten unterschiedlicher Disziplinen nötig. Betroffene sollten sich daher in einem Gefäßzentrum behandeln lassen, wo Gefäßspezialisten unterschiedlicher Fachabteilungen eng zusammenarbeiten und alle modernen Behandlungsmethoden anbieten. Leserfragen an den Experten: [email protected]