Ein Bypass für ein eigenständiges Leben

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Münchner Merkur Nr. 204 | Montag, 5. September 2011
MEINE SPRECHSTUNDE
Leben
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Ein Bypass für ein eigenständiges Leben
Wenn sich die Gefäße in
den Beinen verengen,
kann das zu Schmerzen
führen. Nehmen die
Durchblutungsstörungen zu, sind oft schwer
heilende
Wunden und
Prof. Dr. Christian Stief
Geschwüre die Folge.
Als Chefarzt im Münchner
Wie bei Mathias Koeber.
Klinikum Großhadern erlebe Mit einem Bypass konnich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Mei- ten Gefäßchirurgen dem
ne Kollegen und ich möchten 89-Jährigen helfen.
den Merkur-Lesern daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist.
Im Zentrum der heutigen
Seite steht die Periphere arterielle Verschlusskrankheit
(pAVK), die oft auch als
Schaufensterkrankheit bezeichnet wird. Der Experte
des Beitrags ist Prof. Thomas
Koeppel. Er ist Chefarzt der
Gefäßchirurgie im Klinikum
Großhadern und im Klinikum Innenstadt der LudwigMaximilians-Universität.
Der Gefäßspezialist erklärt,
wie eine pAVK entsteht und
wie man sie behandeln kann.
Stichwort:
Arteriosklerose
Arterien transportieren das Blut
vom Herzen in den gesamten
Körper. Vor allem in späteren
Jahren können sich in ihnen Ablagerungen bilden. Diese enthalten zum Teil Kalk, weshalb
man umgangssprachlich auch
von Verkalkung spricht. Doch
bestehen die sogenannten
Plaques auch aus Fett und Bindegewebe. Die Ablagerungen
lassen die Gefäße steifer und enger werden. Doch gibt es noch
eine größere Gefahr: Ein Plaque
kann einreißen. An der Stelle
entsteht oft ein Gerinnsel, das
das Gefäß verstopfen kann. Bildet sich ein solcher Thrombus in
einem Herzkranzgefäß, kommt
es zu einem Herzinfarkt. Doch
können Teile der Ablagerungen
auch mit dem Blutstrom in feinere Gefäße wandern und diese
verstopfen, etwa im Gehirn. Als
Risikofaktoren gelten hoher
Blutdruck, erhöhte Blutfett- und
Blutzuckerwerte sowie das Rauchen und zu wenig Bewegung.
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VON SONJA GIBIS
Mathias Koeber liegt in seinem Krankenbett im Klinikum Großhadern, sein linkes
Bein steckt in einem dicken
Verband. In der Hand aber
hält er ein Stück Kuchen.
Denn Mathias Koeber hat an
diesem Tag Geburtstag. Es ist
der 89. „Jetzt wird’s aber Zeit,
dass du wieder heimkommst“,
sagt seine Frau. Sie hat ihm
den Kuchen mitgebracht. Mathias Koeber nickt. „Meinen
90. feiere ich dann daheim“,
versichert der Münchner lächelnd. Auch Gefäß-Experte
Prof. Thomas Koeppel ist zuversichtlich. Die Wunde an
Koebers linkem Fuß, die so
lange nicht hatte heilen wollen, schließt sich.
Was diese Wunde hatte immer schlimmer werden lassen,
war nicht einfach nur eine Infektion: Die linke Oberschenkelarterie hatte sich im Laufe
der Zeit verschlossen, so dass
das Gewebe am Fuß nicht
mehr ausreichend durchblutet wurde. Die Beschwerden
kamen allerdings nicht plötzlich. Die Krankheit hat eine
lange Vorgeschichte – wie bei
allen vergleichbaren Fällen.
Mathias Koeber war 66 Jahre alt und lebte noch in seiner
Heimat in Hermannstadt, als
ihm plötzlich immer öfter die
Beine weh taten. Ein Arzt
stellte fest: Koeber litt an der
peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) –
wie viele Männer. Meist erkranken diese bereits vor dem
55. Lebensjahr. Doch auch
Frauen sind betroffen, wenn
auch oft in etwas späteren Jahren. Raucherinnen erkranken
allerdings so früh wie ihre
männlichen
Leidensgenossen. Denn Tabakkonsum erhöht das Risiko enorm.
Mit einem Bypass im Bein konnten Prof. Thomas Koeppel und sein Team Mathias Koebers Fuß retten.
Auch bei Mathias Koeber
war die Erkrankung bereits
fortgeschritten, als der Arzt
die Diagnose stellte. „Zunächst merkt man nichts davon“, erklärt Koeppel, Chefarzt der Gefäßchirurgie des
Klinikums der Universität
München. Erst wenn sich die
Gefäße in den Beinen bereits
stark verengt haben, kommt
es zu typischen Beschwerden,
vor allem belastungsabhängige Wadenschmerzen: Zunächst haben Betroffene nur
dann Schmerzen, wenn sie ihre Beine länger belasten, etwa
beim Bergaufgehen. Dann
kommt der Schmerz immer
rascher, schließlich schon,
wenn sie kurze Distanzen zurücklegen. Er zwingt die Pa-
tienten anzuhalten. Da sie
dann beim Stadtbummel oft
vor der Auslage eines Geschäfts stehen bleiben, spricht
man auch von der sogenannten Schaufensterkrankheit.
Die Ursache ist eine Arteriosklerose, auch Arterienverkalkung genannt. Dabei bilden sich Ablagerungen in den
Arterien. Die Gefäße werden
enger oder verschließen sich
sogar. Hierdurch werden betroffene Gließmaßen immer
schlechter durchblutet, so
dass bei Anstrengung nicht
mehr genug Blut zu den Muskeln transportiert werden
kann. Es kommt zu Schmerzen – wie bei Mathias Koeber.
„Der Arzt hat mir elektrische Bäder verschrieben“, er-
zählt er. Diese sogenannte hydroelektrische
Therapie
schlägt an, die Schmerzen verschwinden. Als das Ehepaar
später der Tochter nach
Deutschland folgt, hilft Koeber bei einem Förster im Garten aus. „Ich bin viel Rad gefahren“, erzählt er. „Bin ständig hin und her.“ Die Bewegung tut ihm gut. Dann aber
macht sich die Arteriosklerose in den Herzkranzgefäßen
bemerkbar. Koeber hat Atemnot, schon bei geringer Anstrengung. Die Ärzte legen
ihm im Jahr 2000 vier Bypässe
am Herzen. „Danach ging es
mir wieder sehr gut“, sagt er.
Doch auch die verengten
Arterien in den Beinen führen
mit der Zeit zu ernsten Proble-
FOTO: BODMER
men: „Wenn es anfängt, in Ruhe zu schmerzen, wird es kritisch“, sagt Koeppel. Dann ist
die Durchblutung bereits so
star beeinträchtigt, dass das
Gewebe schlecht versorgt
wird, auch wenn sich der Patient nicht anstrengt. Schreitet
die Erkrankung weiter fort,
kann es zu Wunden kommen,
die nicht mehr heilen. Gewebe stirbt ab, wird nekrotisch,
wie Mediziner sagen.
Auch bei Koeber passiert
das. „Zuerst war’s nur der
kleine Zeh“, erzählt er. Vor einigen Monaten bildet sich eine üble Wunde am Fuß. Koeber kann kaum mehr laufen
„Nicht mal zum Einkaufen“,
sagt er. Im Winter ist auch das
Radfahren unmöglich. Sich
bei allem helfen zu lassen, fällt
dem Mann, der sein Leben
lang gearbeitet hat, schwer.
Schließlich wird Koeber
nach Großhadern überwiesen, wo er von Koeppel und
seinem Team betreut wird. Eine wenig invasive Behandlung, etwa eine Ballonerweiterung, kommt bei ihm leider
nicht infrage. Die Gefäßerkrankung ist zu weit fortgeschritten. Um eine Amputation des Beins zu verhindern,
ist eine Operation nötig. Die
Ärzte raten zu einem Bypass.
Zunächst müssen die Mediziner aber Koebers Gesundheitszustand stabilisieren, um
das Risiko für den Eingriff zu
minimieren. Sein Herzmuskel
ist schwach, eine Niere funktioniert nicht. Um das Herz zu
schonen, wird der Eingriff ohne Vollnarkose durchgeführt.
Die Gefäßchirurgen setzen eine Gefäßprothese aus Kunststoff in den Oberschenkel ein,
damit auch die unteren Bereiche wieder ausreichend mit
Blut versorgt werden.
Der Eingriff kann die Gefäßverkalkung am Bein nicht
rückgängig machen. „Doch er
kann seine Eigenständigkeit
behalten“, sagt Koeppel. Ohne Bypass hätte die gestörte
Durchblutung schon sehr
bald eine Amputation des Unterschenkels nötig gemacht.
Die Sterblichkeit bei solchen
Eingriffen ist hoch. Auch
müssen die Patienten nach
der Operation lange in stationärer Behandlung bleiben.
Gerade ältere Patienten kommen nach einer Amputation
überhaupt nicht mehr auf die
Beine. Sie werden pflegebedürftig, landen oft im Heim.
Dieses Schicksal konnte
der Bypass Koeber erstmal ersparen. Um das abgestorbene
Gewebe zu entfernen, war es
zudem nötig, die fünfte Zehe
abzunehmen. Den Eingriff hat
Koeber gut überstanden.
Doch musste er noch ein
zweites Mal in die Klinik. An
der Stelle der Amputation hatt
sich der Knochen entzündet.
Erst als der betroffene Anteil
entfernt worden war, heilte
die Wunde. Koeber freut sich,
wieder zu Hause zu sein. Ob
er wieder mit dem Rad durch
München fahren will? Koebers Frau schüttelt den Kopf.
Viel zu gefährlich! Doch ihr
Mann lächelt verschmitzt.
Was tun, wenn es in den Gefäßen zu eng wird?
VON SONJA GIBIS
Zuerst treten die Schmerzen
in den Beinen erst nach längeren Gehstrecken auf, meist in
den Waden. Doch mit der Zeit
kommen das Ziehen und die
Krämpfe häufig immer rascher, bald schon nach wenigen hundert Metern. Die Betroffenen leiden an der sogenannten Schaufensterkrankheit, im Fachjargon periphere
arterielle
Verschlusskrankheit, kurz pAVK, genannt.
In Deutschland leiden etwa
4,5 Millionen Menschen an
dieser Durchblutungsstörung.
Die Ursache der pAVK ist Arteriosklerose, welche die Arterien in den Beinen, bei etwa
zehn Prozent der Betroffenen
auch in den Armen, verengt.
Doch viele wissen gar nicht,
dass sie eine pAVK im frühen
oder sogar fortgeschrittenen
Stadium haben. Durch die
Gefäße gelangt immer weniger Blut und damit auch weniger Sauerstoff und Nährstoffe in das Gewebe. Die Folge sind Schmerzen, zunächst
vor allem bei Anstrengung. Ist
die Oberschenkelarterie verengt, haben die Patienten vor
allem Probleme in den Waden. Ist auch die Beckenarterie betroffen, treten Schmerzen auch im Oberschenkel
und der Gesäßmuskulatur
auf. Viele nehmen die Beschwerden jedoch nicht ernst
oder vermuten dahinter ein
orthopädisches Problem.
Man unterscheidet verschiedene Stadien der pAVK.
Im ersten liegen Veränderungen der Gefäßwand, etwa Verkalkungen, vor, die aber noch
keine Beschwerden bereiten.
Erst im Stadium II sind diese
so ausgeprägt, dass sie zu
Durchblutungsstörungen führen und beim Gehen Schmerzen in den Waden, im Gesäß
oder den Oberschenkeln auftreten können. Im dritten Stadium schmerzen Füße und
Zehen bereits in Ruhe. Die
60 000 Amputationen
pro Jahr infolge von
Diabetes und pAVK
Haut ist blass und kalt. Im Stadium IV führt die geringe
Durchblutung dann zu Schäden. Wunden heilen nicht
mehr, Geschwüre treten auf,
Gewebe beginnt abzusterben.
In den Stadien III/IV spricht
man von einer „kritischen
Durchblutungsstörung“
(Ischämie): Die betroffene Extremität ist bedroht. Unbehandelt steigt das Risiko für
eine Amputation stark an. So
verlieren in Deutschland etwa
60 000 Patienten pro Jahr in
Folge der pAVK ein Teil des
Beines. Gefährdet sind vor allem Patienten mit Diabetes.
Eine
Behandlung
der
pAVK ist bereits in einem frühen Stadium wichtig: Denn
die Arteriosklerose betrifft
meist verschiedene Bereiche
des Körpers. Oft sind auch die
Herzkranzgefäße oder die
Halsschlagader verengt. Das
Risiko für Herzinfarkt oder
Schlaganfall ist hoch. Mehr
als Dreiviertel der pAVK-Patienten stirbt daran.
Die Risikofaktoren für
pAVK sind dabei dieselben
wie für die meisten HerzKreislauf-Erkrankungen: So
schadet ein zu hoher Blutdruck, ein gestörter Fettstoffwechsel sowie die Zuckerkrankheit den Gefäßen. Einer
der größten und zudem vermeidbaren Gefäßkiller ist das
Rauchen: Das sogenannte
Raucherbein ist nichts anderes als eine durch Tabakkonsum ausgelöste Verschlusskrankheit im Bein.
Besteht der Verdacht auf
pAVK, kann eine körperliche
Untersuchung
und
eine
Dopplersonografie die Diagnose sichern. Diese Untersuchungen, die vom Hausarzt
durchgeführt werden können,
sind auch zur Vorsorge geeignet. Mit Hilfe einer sogenannten Dopplersonde misst der
Arzt den Blutdruck am Oberarm und an den Fußknöcheln.
Indem er den Wert am Knöchel durch den am Oberarm
teilt, erhält er den Knöchel-
Die Dopplersonografie macht verengte Arterien sichtbar.
Arm-Index. Anhand dieses
Werts lässt sich rasch erkennen, ob und wie schwer die
Durchblutung gestört ist.
Werte zwischen 0,9 und 1,2
gelten als normal. Je kleiner
der Wert, desto stärker sind
die Beingefäße verengt.
In frühen Stadien versucht
man, durch intensives Gehtraining die Durchblutung zu
verbessern. Kleine Gefäße lassen sich dadurch weiten. Der
Patient kann wieder länger
FKN
ohne Schmerzen gehen. Damit sich die pAVK nicht verschlechtert, ist es zudem
wichtig, die Risikofaktoren so
gut wie möglich auszuschalten. Blutdruck und Blutzucker müssen gut eingestellt,
die Blutfettwerte reguliert
werden. Betroffene sollten
unbedingt auf das Rauchen
verzichten. Die Patienten erhalten zudem Medikamente,
die die Blutgerinnung hemmen und die Gefäße weiten.
Bei fortgeschrittener Erkrankung kann aber nur ein
Eingriff die Beschwerden verringern: Um diesen genau zu
planen, müssen die Gefäßexperten die Größe und Lage
der Verengungen exakt bestimmen. Dazu nützt man
heute vor allem moderne bildgebende Verfahren wie die
Magnetresonanztomografie
(MRT), die Computertomografie (CT) und die Gefäßangiografie, die das Gefäßsystem
im Detail abbilden können.
Bei der Gefäßangiografie wird
per Katheter Kontrastmittel
direkt in die Gefäße gespritzt,
um diese exakt abzubilden.
Vorteil der Methode: Man
kann sie nicht nur zur Diagnostik nutzen, sondern auch
gleichzeitig eine Behandlung
durchführen. Neben der Gefäßaufdehnung mit einem
Ballon können so auch Gefäßstützen (Stents) eingesetzt
werden. „Meinen hochspezialisierten Kollegen aus dem
Gefäßzentrum ist es sogar teilweise möglich, mit speziellen
Instrumentarien
komplett
verschlossene Gefäßbezirke
zu rekanalisieren, also wieder
zu eröffnen“, sagt Gefäßspezialist Prof. Thomas Koeppel.
Vorteil dieser Methoden: sie
sind „minimal-invasiv“, das
heißt eine Operation kann
vermieden oder zumindest hinausgezögert werden. Versprechen diese Methoden kei-
nen Erfolg, hilft in der Regel
nur eine Operation. „Wenn
die richtige Methode zur richtigen Zeit angewendet wird,
kann das viele Patienten dauerhaft vor einer Amputation
bewahren“, sagt Koeppel.
Die Durchblutung lässt sich
zudem durch eine Kalkausschälung oder durch einen
Bypass verbessern. Letzterer
ist vor allem geeignet, wenn
die Schlagader über eine längere Strecke verschlossen ist.
Als Bypass nützt man vor allem körpereigene Venen, insbesondere wenn der Bypass
das Kniegelenk überschreitet
und kleinste Unterschenkelschlagadern
angeschlossen
werden müssen. Aber auch
Gefäßprothesen aus Kunststoff werden eingesetzt, vor allem bei großen Gefäßen oder
wenn keine körpereigenen
Gefäße zur Verfügung stehen.
Die Behandlung von Gefäßpatienten ist sehr komplex.
Für die bestmögliche Behandlung ist ein Expertenteam aus
Fachärzten unterschiedlicher
Disziplinen nötig. Betroffene
sollten sich daher in einem
Gefäßzentrum behandeln lassen, wo Gefäßspezialisten unterschiedlicher Fachabteilungen eng zusammenarbeiten
und alle modernen Behandlungsmethoden anbieten.
Leserfragen an den Experten:
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