Kolumbien:neue Kriegsgesetzgebung gegen die Zivilbevölkerung

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No. 345
18.September 2002
Inhaltsverzeichnis:
Zweites nationales Treffen der Vertriebenen: "Um
nie mehr allein zu sein"
1.Frieden und bewaffneter Konflikt:
Kriegsgesetzgebung oder Gesetzgebung gegen
die Zivilbevölkerung?
2.Politik: Budgetkürzungen durch ein
Referendum?
3.Menschenrechte: Ethnospezifische Bildung für
indigene vertriebene Jugendliche
4.Recht auf eine intakte Umwelt: Der
umweltpolitische Rückschritt von Johannesburg
Zweites nationales Treffen der Vertriebenen: "Um
nie mehr allein zu sein?"
In Bogotá fand am 13. und 14. September 02 am nationalen
Institut für soziale Studien das zweite nationale Treffen der
Vertriebenen statt. Daran nahmen 120 Delegierte von
Vertriebenenorganisationen aus den Departementen Cauca,
Valle, Cundinamarca, Caldas, Atlantico, den beiden Santander,
Bolivar, Sucre, Chocó und Antioquia teil. Das Treffen wurde von
der Nationalen Koordination der Vertriebenen CND organisiert
und hatte zum Ziel, die Problematik der Vertriebenen sichtbar zu
machen, die regionalen Organisationen des CND zu stärken und
einen Aktionsplan auszuarbeiten, der zur Schaffung eines
Verhandlungstisches mit der Nationalregierung führen soll.
"Diesen Verhandlungstisch und diese politische Artikulierung der
Vertriebenenorganisationen zu schaffen, ist eine dringliche
Aufgabe, die an diesem 2. Treffen deutlich wurde", meinte Lorelis
Osorio, Führungsmitglied des CND.
Das 2. Nationale Treffen der Vertriebenen hatte auch zum Ziel,
eine politische Lösung des sozialen und bewaffneten Konfliktes
zu suchen, um so die andauernden Verstösse gegen das
humanitäre Völkerrecht zu vermeiden. Weiter hatte das Treffen
zum Ziel, dass die ländlichen Regionen zum sozio-ökonomischen
Notstandsgebiet erklärt werden; weiter sollten die am 1. Treffen
formulierten Forderungen zur Prävention von gewaltsamen
Vertreibungen und für eine Rückkehr mit Garantien und in
Sicherheit; die Bestrafung von Militärs, die
Menschenrechtsverletzungen verübt haben und die Auflösung
der paramilitärischen Gruppen; die wirtschaftliche und soziale
Entschädigung gegenüber allen Betroffenen der politischen
Gewalt eingefordert und die Ablehnung des Plan Colombia zum
Ausdruck gebracht werden.
Aus dem Treffen resultierten folgende Vorschläge: Es soll ein
internationales Beobachtungszentrum über Vertreibung
geschaffen werden, dass die wirklichen Resultate des Gesetzes
387 und dessen Reglementierung evaluiert, eine transparente
und wirkungsvolle Kontrolle der verschiedenen Programme
zugunsten von Vertriebenen ausübt und über die physische und
moralische Integrität der Führungspersonen von
Vertriebenengemeinschaften wacht und ein Kataster erstellt, in
dem der Zustand des Bodens zur Zeit der Vertreibung
festgehalten wird.
Für die rechtliche Vertreterin des Familienverbandes von
Nordsantander und Departementskoordinatorin des CND erlaubte
die Beteiligung am Treffen "gemeinsame regionale Erfahrungen
auszutauschen und die Organisationen intern zu stärken, denn
wir wissen, dass die Massnahmen, welche Präsident Uribe
getroffen hat, auf die Zerstörung der sozialen Organisationen
abzielen. Wenn wir nicht die gleiche Sprache sprechen, dann wird
es sehr schwierig sein, dass diese Vorschläge vorankommen".
Samuel, eine Person der 350 Familien, welche vor sechs Monaten
nach Salado im Dep. Cauca zurückgekehrt sind, meinte: "Die
Beteiligung an diesem Treffen ist sehr wichtig, denn es ist das
Forum der Vertriebenen. So kann man das zerstörte soziale Netz
der Bauerngemeinschaften, die heute vertrieben sind, wieder
neu aufbauen."
Die 120 Delegierten des Treffens sind Teil von 2,7 Millionen
Vertriebenen. Diese Zahl registrierte die Fachstelle für
Menschenrechte und Vertreibung Codhes im letzten Bericht. Die
Delegierten am Treffen erwarten, dass sie durch dieses Treffen
eine Hoffnung dafür finden, um "nie mehr allein zu sein".
1.Frieden und bewaffneter Konflikt:
Kriegsgesetzgebung oder Gesetzgebung gegen
die Zivilbevölkerung?
Mit dem Dekret 2002/2002 nehmen die Ankündigungen der
verschiedenen Regierungsfunktionäre von Uribe in Bezug auf die
Notwendigkeit über eine besondere Gesetzgebung im Rahmen
des Zustandes innerer Unruhe zu verfügen, Gestalt an. Diese
Ankündigungen tauchten stets in Reden auf, in denen offen die
Möglichkeit von rechtlichen Kontrollen über die Massnahmen im
Bereich der öffentlichen Ordnung verunglimpft wurden (so durch
Innen- und Justizminister Londoño Hoyos am 22.6.02), die
dringende Notwendigkeit, die fundamentalen Rechte "zeitlich
begrenzt zu beschneiden" (so die kolumbianische Botschafterin
in Kanada, Frau Kertzman am 18.7.02) oder sie gar
uneingeschränkt zu begrenzen (so Londoño) vertreten wurde.
Auffallend ist, dass bei dem Erlass des Dekrets Präsident Uribe,
die Verteidigungsministerin und der Armeekommandant sich
beeilten zu versichern, dass die Ausnahmebestimmungen in
keiner Weise die Gesamtheit der Menschenrechte der
Bevölkerung Kolumbiens bedrohten. Die dissidente Stimme war
jene des Generals i.R.. Adolfo Clavijo, Präsident der Generäle und
Admiräle im Ruhestand, welcher meinte, wenn auch die
Massnahmen die Freiheiten einschränken würden, spiele dies
keine Rolle, denn das Wichtigste sei, über ein effizientes
Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus zu verfügen.
Das Dekret 2002/2002 besteht aus 26 Gesetzesartikeln,
unterteilt in drei Kapitel. Das 1. Kapitel enthält 10 Artikel über
Massnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Ordnung. Darin
werden der Armee richterliche Funktion übergeben, d.h. Armee
und Polizei werden in Zukunft aufgrund von Hinweisen
Verhaftungen und Hausdurchsuchungen durchführen und die
Kommunikation abhören können. Die so ermittelten Daten
können in Gerichtsverfahren als Beweismittel eingebracht
werden. Sie können auch die Ausschaffung von Ausländern
anordnen.
Das 2. Kapitel umfasst 13 Artikel und definiert die
"Rehabilitations- und Konsolidationszonen". Damit werden dem
Gouverneur, mehr aber noch dem Militärkommandanten der
betreffenden Zonen, fast absolute Vollmachten eingeräumt zur
Beschränkung (bis zum Verbot) der Bewegungsfreiheit und der
freien Wohnortwahl, zur Beschaffung von Informationen und um
Private dazu zu zwingen, ihre Dienstleistungen oder ihre Güter
zur Verfügung zu stellen, "um Grundrechte zu schützen".
Das 3. Kapitel umfasst zwei Artikel mit Schlussbestimmungen, in
denen festgehalten wird, dass Funktionäre, welche diese
Befugnisse missbrauchen, zivilrechtlich, disziplinarisch und
strafrechtlich belangt werden können und es wird die Dauer des
neuen Dekrets geregelt.
Im Dekret selber führt die Regierung Uribe zwei grundsätzliche
Argumente für den Erlass des Dekretes an: "Die kriminellen
Gruppen haben ihre Angriffe auf die Infrastruktur multipliziert
und verüben Verbrechen gegen die Menschlichkeit." Als zweiter
Grund wird angegeben, dass die grundlegenden Faktoren,
aufgrund derer "die delinquenten Aktionen" ansteigen,
"einerseits das Verstecken ihrer Mitglieder in der
Zivilbevölkerung und das Verbergen ihrer
Telekommunikationsmittel, Waffen und Munition in den Dörfern
ist, wie auch die andauernde Versorgung, welche in den Orten
funktioniert, in denen sie sich aufhalten".
Das erste Argument besagt nur, dass wir uns im Krieg befinden
und das Panorama bezüglich Menschenrechtsverletzungen und
Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht kritisch ist. Das
zweite Argument sagt etwas aus über die Art des Krieges, in dem
wir uns befinden. Der militärische Vorteil der Delinquenten ist
dabei ihre Fähigkeit, sich als Zivilbevölkerung auszugeben. "Es
scheint daher, dass das Dekret gegen die Zivilbevölkerung
gerichtet ist", kommentierte der Direktor der Kolumbianischen
Juristenkommission.
Im Gesetzestext und den Erläuterungen wird stets von
"Delinquenten- und Kriminellengruppen" gesprochen, nie wird in
irgendeiner Form der Begriff "Kämpfende" verwendet.
Paradoxerweise führen die Verfechter des Dekrets ein Argument
ins Feld, das in einem kürzlichen Leitartikel der Zeitung El
Tiempo erschienen ist. Darin hiess es: "Die seit der Verfassung
von 1991 gültigen Gesetze, erlassen für eine Situation des
Friedens, haben klar ihre Untauglichkeit gezeigt, um einem
Konflikt mit den Dimensionen und Charakteristiken gegenüber zu
treten, wie wir ihn erleiden." In Friedenszeiten wäre es
angebracht, ein Strafrecht zu erlassen, das gegen Delinquenten
und Kriminelle gerichtet ist. In Zeiten eines bewaffneten Konflikts
könnte man erwarten, dass eine Kriegsgesetzgebung
grundsätzlich gegen den "bewaffneten Feind", der klar definiert
ist, und nur in Ergänzung dazu gegen jene, die mit diesem Feind
kollaborieren, gerichtet ist. Die Lektüre des Dekrets führt zum
völlig gegenteiligen Schluss: Der "Feind" ist der "getarnte
Kollaborateur". Das bedeutet, dass die Friedensgesetzgebung
kritisiert wird, um den Krieg zu führen, doch um den Krieg zu
machen, wird die Friedensgesetzgebung instrumentalisiert. Die
gesamte Zivilbevölkerung wird verdächtigt, mit den
Delinquenten zu kollaborieren.
Das Hauptproblem des Dekrets 2002 besteht daher nicht darin,
dass es für den Krieg konzipiert wurde, sondern für welche Art
des Krieges. In diesem Kontext muss auch die tatsächliche
Diskussion über die Respektierung der Menschenrechte und des
humanitären Völkerrechts gesehen werden. Das zweite Problem
ist, dass die Legalität der Ausnahmebestimmungen (mit einem
mündlichen richterlichen Befehl oder selbst ohne jeglichen
richterlichen Befehl) von den Interpretationen von konkreten
Umständen abhängt, die mit den Begriffen "unüberwindbare
Notwendigkeit" oder "unmittelbare Gefahr" umschrieben werden.
Das dritte Problem liegt darin, dass eine enorme Machtfülle auf
dem Militärkommandanten der Rehabilitations- und
Konsolidationszonen liegt, die keinerlei wirksamer Kontrolle
unterworfen ist.
Besonders zu erwähnen ist der Artikel 23 über den Gebrauch von
Gütern und Dienstleistungen von Privaten. Obwohl vorgesehen
ist, einen Informationsmechanismus gegenüber der
Aufsichtsbehörde einzurichten, worin über den Gebrauch von
privaten Gütern oder die Einforderung einer technischen oder
professionellen Dienstleistung "zum Schutz von Grundrechten
oder wenn dies dringlich ist, um das Leben und die Gesundheit
von Personen zu garantieren" informiert wird, drängt sich die
Frage auf: Verkennt diese Anordnung innerhalb eines Kontextes
des Krieges nicht die wesentliche Unterscheidung zwischen
Kämpfenden und Zivilen und zwischen zivilen und militärischen
Gütern, eine Unterscheidung, welche der kolumbianische Staat
respektieren müsste?
Hoffentlich geschieht in Kolumbien nicht das, wovor die Anwältin
Marie-Claire Chouinard in Bezug auf die Erfahrungen in Kanada
im Jahr 1970 gewarnt hat: "Von den 480 Personen, welche unter
dem Verdacht festgenommen wurden, Verbindungen zur
Befreiungsfront von Quebec zu haben, musste der Staat 435
Personen (90%) ohne Anschuldigung freilassen. 435 waren also
unschuldig. Sie waren willkürlich ihrer Freiheit beraubt worden,
da die richterliche Kontrolle über Verhaftungen suspendiert war."
2.Politik: Budgetkürzungen durch ein
Referendum?
Von Marco Romero, Professor für Politikwissenschaften
an der Nationaluniversität
Während der Wahlkampagne versprach Präsident Uribe Vélez
eine politische Reform, um mit der Korruption und der
Politiquería aufzuräumen. Er kündigte eine Reihe von
polemischen Themen an, so u.a. die Durchführung einer Reform
über das Volksreferendum, die Einführung eines
Einkammerparlaments mit 150 Abgeordneten, die Abschaffung
der Kontrollinstanzen, die Aufhebung von Departementen und
die Regionalisierung des Landes. Doch der am 7. August 02 beim
Kongress eingereichte Referendumsvorschlag, liess praktisch die
Territorialreform auf der Seite und schlägt keinerlei Strategie vor,
um die Probleme im Zusammenhang mit den politischen
Parteien, dem Wahlsystem und den Bedingungen zur
Durchführung politischer Kampagnen anzugehen. Die
Abgeordnete Ginna Parody erinnerte kürzlich daran, dass die
Reform nicht die Organisierung der traditionellen politischen
Parteien anstrebe, sondern eine politische Reform zugunsten
neuer Meinungszirkel sei. Uribe sei nicht bereit, sich der Dynamik
der politischen Parteien zu unterwerfen, noch neue Parteien zu
schaffen. Es tauche die Frage auf, ob er versucht ist, eine
plebiszitäre Regierung aufzubauen, welche ihre Legitimität durch
Meinungsmache aufbaut, statt die politische Gesellschaft durch
eine demokratische Organisation in politischen Parteien zu
organisieren und den gleichberechtigten, öffentlichen Zugang zu
den notwendigen Mitteln für die politische Mitbestimmung zu
sichern und die Wahlkampf-Kleinstunternehmen zu kontrollieren.
Tatsache ist, dass die Regierung in vielen ihrer Initiativen den
Rückzug angetreten hat. Es wird kein Einkammerparlament
geben, das Repräsentantenhaus behält seinen territorialen
Ursprung und der Senat wird ein wenig reduziert, wobei die
Sonderwahlbezirke für ethnische Gruppen beibehalten werden.
Die Auflösung des Senats steht nicht unmittelbar bevor,
verschwindet aber auch nicht von der politischen Agenda. Die
Gemeindeombudsstellen werden nur dort aufgehoben, wo die
nationale Ombudsstelle präsent ist. Präsident Uribe widerruft
seine grundlegenden politischen Initiativen, setzt aber mit Kraft
die Budgetkürzungen durch: Einfrieren der Auslagen im
Gesundheits- und Bildungsbereich; Haushaltskürzungen bei
einigen Institutionen und Auflösung des nationalen Fonds für
Abgaben aus der Erdölförderung und dem Bergbau. Die damit
freiwerdenden Mittel sollen u.a. für die Bildung und sanitarische
Infrastruktur bereitgestellt werden.
Bei diesem Stand der Dinge scheint die politische Reform von
Tag zu Tag mehr zu einem Budgetreferendum zu werden. Dies
wirft neue Fragen auf.
Der Miteinbezug von Budgetkürzungen als Teil des Referendums
führt zu einem schwer lösbaren Widerspruch: Es ist sehr
unpopulär, die KolumbianerInnen zu einer Kürzung der
staatlichen Mittel an die Departemente und Gemeinden für die
Bereiche Gesundheit und Bildung zu befragen. Dies zeigt auch
die soziale Mobilisierung gegen die Gesetzesbestimmung 01 von
2001. Damals konnte die Regierung den Kongress in Bezug auf
die Budgetkürzungen überzeugen, obwohl dies die Wahlchancen
der Parlamentarier in ihren Regionen schmälerte. Die Regierung
bediente sich dabei der Geldmittel für Absprachen zwischen den
Ministerien. Aufgrund der Angst und der Unterwürfigkeit, welche
ein Grossteil der jetzigen Abgeordneten zeigen, ist es
wahrscheinlich, dass sich diese Geschichte wiederholt und die
Budgetkürzungen ins Referendum aufgenommen werden. Im
Gegensatz jedoch zum Vorjahr, wo die Regierung Geldmittel zur
Überzeugung der Parlamentarier einsetzte, bietet die jetzige
Regierung drei sehr lukrative Dinge für die regionalen politischen
Strukturen an: Die Absage an die Auflösung des Kongresses als
Belohnung für sein gutes Benehmen; die Verlängerung der
Amtszeit der territorialen Behörden und die Absage an eine
politisch-demokratische Reform. Mit anderen Worten: Eine Form
von zeitlich begrenzter parlamentarischer und regionaler
Unterstützung, um eine unpopuläre Agenda voranzutreiben. Wie
auch früher lässt sich nicht ausschliessen, dass aufgrund des
Fallenlassens der politischen Reform zugunsten von
Budgetkürzungen sich eine Zeit der Flitterwochen zwischen
Regierung und Kongress einstellt.
Doch eine Sache ist die Abstimmung im Kongress, eine andere
aber die Budgetkürzungen im Gesundheits- und Bildungsbereich
dem Volk zu unterbreiten, das bereits durch solche Massnahmen
geschädigt ist. Die KolumbianerInnen verteidigen die
Dezentralisierung, trotz des Modells über staatliche
Subventionierungen, das von der Verfassung von 1991
gutgeheissen wurde, und eine fortschreitende Kürzung der
staatlichen Subventionierung vorsieht. Haupteinnahmequelle der
staatlichen Mittel bildet dabei die Mehrwertsteuer. Die Regierung
hat zudem ein Massnahmenpaket angekündigt - abgesehen vom
Referendum - das eine Steuerreform vorsieht, die
Mehrwertsteuer auf weitere Produkte ausdehnt und Steuern
festschreibt, die im Rahmen des Zustandes innerer Unruhe zur
Finanzierung des Krieges erlassen wurden. Der nationale Fonds
für Abgaben aus der Erdölförderung und dem Bergbau soll in ein
präsidiales Konto umgewandelt werden, das für Investitionen im
Bildungsbereich und für sanitarische Infrastruktur genutzt
werden soll. Auf regionaler Ebene sollen Kontrollinstanzen
reduziert werden, ohne dass eine ernsthafte Analyse über die
Kostenfolgen und die Funktionsweise alternativer Modelle, d.h.
zentralisierter und privater Modelle, gemacht worden ist.
Stimmt das kolumbianische Volk dieser Art von Reformen zu, so
würden wir einmal mehr zu einem lateinamerikanischen
Sonderfall, denn wir wären das einzige Land, das neoliberale
Strukturanpassungen im neuen Jahrtausend mittels eines
Referendums gutheissen würde. In den 90er Jahren war dies im
Fall Menem, Collor de Melo, Salinas de Gortari, Carlos Andrés
Pérez (mit dem Aufstand von Caracas) oder im Fall von Cesar
Gaviria in Kolumbien häufig der Fall. Doch im heutigen
Argentinien, ganz zu schweigen von Uruguay und Brasilien,
haben sich die Dinge drastisch verändert und obwohl in
Kolumbien die Wirtschaft in den Händen von Rudolf Hommes und
seinen Leuten bleibt, ist es unwahrscheinlich - jedoch nicht
unmöglich - , dass in einem Land mit 64% der Bevölkerung unter
der Armutsgrenze einem derartigen Paket zugestimmt wird.
Am 7. August 02 wurden wir uns bewusst, dass das Referendum
von Präsident Uribe darauf ausgelegt ist, den Kongress unter
dem Damoklesschwert der Androhung seiner Auflösung zu halten
und das Referendum kein grösseres Interesse an den Inhalten
zeigte, welche das Land während zehn Jahren in Bezug auf
politische und territoriale Reformen diskutiert hat. Die Drohung
gegenüber dem Kongress hat Wirkung gezeigt und es ist zu
beobachten, dass einige Initiativen Uribes an Kraft verlieren und
neue Vorschläge an die erste Stelle treten, womit dem
Referendum ein wesentlicher wirtschaftlicher und regressiver
Inhalt gegeben wird. Das Referendum ist Anlass für Verwirrung
und vor allem eine Wundertüte im Dienste der Umorientierung
der öffentlichen Mittel zugunsten der Sicherheit, dies auf Kosten
sozialer Investitionen.
Doch das Referendum verliert auch als politische Initiative selbst
bei der Wahlgemeinde von Uribe an Bedeutung. Ex-Präsident
Lopez Michelsen beeilte sich daher auf das Spannungsverhältnis
aufmerksam zu machen, sich auf die Forderungen der
Verfassung über die Volksabstimmung zu berufen und dem
zwiespältigen Charakter des Referendums selber. Je konfuser,
polemischer und widersprüchlicher die Inhalte des Referendums
den BürgerInnen erscheinen, desto stärker wird die Opposition
oder die Apathie gegenüber dem Referendum sein.
3.Menschenrechte:
Ethnospezifische Bildung für indigene
vertriebene Jugendliche
In den letzten drei Jahren sind 36 indigene Führungspersonen aus
scheinbar unbekannten Gründen und von angeblich unbekannten
Tätern ermordet worden. In diesem Zeitraum mussten mehr als
10'000 Indigene verschiedener Ethnien - u.a. Emberá, Katío,
Chamí, Wounaan, Tule, Paez und der Gemeindschaften von
Caldono - ihre angestammten Gebiete verlassen und in nahe
gelegene Städte fliehen.
Als Vertriebene werden sie gleich wie alle anderen behandelt,
ohne dabei ihre ethnische Herkunft, ihre kulturelle
Verschiedenheit, ihre andere Kosmovision und Sprache zu
berücksichtigen. Damit übergeht man nationale wie
internationale Rechtsnormen, zumal die Beziehung zum Boden
und das Konzept der Territorialität der Indigenen anders sind, wie
bei den übrigen Vertriebenen, da die Verankerung in der
Territorialität für sie wesentlicher Bestandteil ihres sozialen
Netzes ist.
Zu den wichtigsten Ursachen der Vertreibung indigener
Volksgruppen gehört die Absicht, in deren Territorium
Megaprojekte zu realisieren. Damit werden sie zu Kriegszielen
und zu einem Teil der militärischen Konfrontation zwischen den
verschiedenen legalen und illegalen Kriegsakteuren. Von den
illegalen Kriegsakteuren verfolgt, informieren viele Betroffene
nicht über die Vorfälle, nehmen die Unterstützung des Sozialen
Sicherheitsnetzes nicht in Anspruch und lassen sich nicht als
Vertriebene registrieren. Andere wiederum suchen Unterschlupf
bei anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft und einige wenige
ziehen bettelnd durch die Strassen.
Vor ihrer Vertreibung besuchten die Kinder und Jugendliche der
indigenen Gemeinschaften in ihren Weilern die Schule, andere
wiederum hatten in ihren Gemeinschaften ihre eigenen
Lehrpersonen, die sie in den Traditionen, der Sprache und der
Arbeit zur Erhaltung der Umwelt und der eigenen Kultur
unterrichteten. Nach Angaben der nationalen
Indigenenorganisation ONIC haben rund 150 Gemeinschaften
keinen Zugang zu ethnospezifischer Bildung und besuchen nur
die traditionelle Schule. Eine Schule, die ihnen nicht mehr als
Mathematik, offizielle Geschichte, Englisch und Geografie bietet,
jedoch nichts über ihre Traditionen und ihre Vorfahren lehrt.
Zudem werden sie damit in ihrem Muttersprachgebrauch und in
der Ausübung ihrer Gebräuche geschwächt, was dazu führt, dass
sie sich ihrer Herkunft schämen. Glücklicherweise bleiben viele
indigene Kinder und Jugendliche ihrer Herkunft treu und fordern
früher oder später ihre Rechte ein und kehren zu ihren Wurzeln
zurück, dies trotz des kulturellen Drucks oder der Assimilation,
der sie durch die westliche Welt ausgesetzt sind.
"Ich besuche die 7. Klasse in der Schule Kanada. Sie behandeln
mich dort normal. Ich bin die einzige Indigene in meiner Klasse
und in der ganzen Schule sind wir bloss zu zweit. Eigentlich
werde ich normal behandelt, doch manchmal, wenn ich ihnen
Geschichten erzähle, wie sie mir meine Eltern erzählen, schauen
sie mich komisch an, glauben mir nicht oder machen sich über
mich lustig. In meiner Schule wird nichts über die Indigenen
gelehrt. Manchmal machen sich meine Kolleginnen über meine
Namen lustig, geben mir Übernamen oder sprechen meine
Namen schlecht aus. Dann möchte ich ganz normale Namen
haben, wie Rodriguez oder Fernandez. Wenn ich dann nach
Hause komme, schimpft mein Vater mit mir und sagt mir, statt
mich zu schämen sollte ich stolz auf meine Namen sein."
Die vertriebenen indigenen Jugendlichen üben verschiedene
Arbeiten aus, die Teil ihrer Kultur sind, so stellen sie traditionelles
Kunsthandwerk her oder Goldschmuck. Andere arbeiten aufgrund
der wirtschaftlichen Situation ihrer Familie u.a. als Botengänger,
als Bürohilfskräfte, Bäcker und Tellerwäscher. Einige studieren in
staatlichen Schulen. Von 100 indigenen Kindern gehen 20 zur
Schule, nur 7 beenden das Bachillerato (gilt als
Mittelschulabschluss) und nur 2 beginnen ein
Universitätsstudium.
"Ich heisse Jeraldinn und gehöre der Ethnie der Huitoto an, die im
Amazonasgebiet lebt. Ich bin 14 Jahre alt, habe lange, glatte
Haare und eine eher dunkle Haut. Ich weiss nicht viel über das
Amazonasgebiet, denn ich war sehr klein, als wir von dort
weggingen und ich bin nie mehr dorthin zurückgekehrt. Meine
Mutter arbeitet als Schneiderin, mein Vater als Händler und wir
leben seit acht Jahren in Bogotá. Zuhause haben die Eltern viele
Sachen aus dem Amazonasgebiet: Halsschmuck, Schüsseln,
Taschen. An der Wand hängt eine Landkarte von Kolumbien. Der
Vater zeigt mir, wie weit weg der Ort liegt, wo er wohnte. Er sagt,
dort zu leben wäre gut, denn es sei eine saubere Umwelt und es
gäbe keinen Grund herumzuhetzen und sich um die Zeit zu
sorgen."
Die indigenen Gemeinschaften befinden sich heute in einer
schweren kulturellen, sozialen und politischen Krise. Vom Staat
und der Gesellschaft ist verlangt, dass die Indigenen als sozialer
Akteur anerkannt werden, vor allem aber, dass der Heiligkeit
ihres ursprünglichen Territoriums Rechnung getragen und ihr
Land respektiert wird. Die neoliberale Politik muss gestoppt und
die Respektierung und Garantierung ihrer Menschenrechte
gewährleistet werden; das aktuelle Entwicklungsmodell, das
ausgrenzend, gleichmacherisch und umweltzerstörend ist, muss
grundlegend überarbeitet werden. Dieses Entwicklungsmodell
entspricht in keiner Weise den Absichten und Interessen der
indigenen Völker und führt im Gegenteil zu einem Ethnozid und
einem Ökozid. (Treffen der indigenen Völker im Jahr 2001)
Im Bildungsbereich werden die indigenen Kinder in der Regel in
die vorhandenen Schulen in Bogotá verwiesen. Es gibt kein
spezielles Schulungszentrum für indigene Kinder und
Jugendliche. Der Besuch von Schulen, die kein besonderes
ethnisches Curriculum haben, schwächt die kulturelle Identität
der indigenen Schülerschaft sehr. Ein indigenes Kind oder ein
indigener Jugendlicher sieht sich in Bogotá einer völlig fremden
Welt gegenüber und es werden an alle SchülerInnen die gleichen
Anforderungen - die nicht gerade indigenen Vorstellungen
entsprechen - gestellt. "Die rechtliche Regelung ist klar: Wir
haben das Recht auf eine ethnospezifische Bildung, also eine
eigene, uns angepasste Bildung mit einem eigenen Curriculum,
eigenen Programmen und Inhalten. Die verschiedenen
Bevölkerungsgruppen nicht differenziert zu behandeln, ist
rassistisch, verstösst gegen die Menschenrechte und das Recht
auf eine differenzierte Behandlung und selbst gegen die
politischen und rechtlichen Pflichten des kolumbianischen
Staates selber", meinte Gabriel Muyui, Delegierter für Indigene
und ethnische Minderheiten bei der Ombudsstelle.
"Mit meiner Mutter habe ich manchmal Probleme, denn mir
gefällt es, Jeans zu tragen und mit meinen KollegInnen am Abend
auszugehen. Sie sagt dann, ich hätte alles vergessen, ich würde
glauben, ich sei eine Weisse. In Wirklichkeit fühle ich mich wie
geteilt, ich fühle mich dort und hier zugehörig. Manchmal möchte
ich, dass wir in das Amazonasgebiet zurückkehren würden, doch
mein Vater sagt, dass dies im Moment nicht möglich sei.
Manchmal gefällt es mir auch hier zu leben, mit dem Lärm, den
Autos, dem Fernsehen und den FreundInnen. Ich fühle mich dann
schlecht, wie gespalten, weder von hier noch von dort."
Jeraldinn ist eine von Tausenden von vertriebenen indigenen
Jugendlichen, die ihre kulturellen Referenzpunkte verlieren, weil
sie gezwungen sind, von ihrem Land zu fliehen und ihre Bräuche,
Traditionen und Rituale hinter sich zu lassen. Zudem konzentriert
sich der Staat auf die unmittelbare Hilfe, die er halbwegs leistet,
zur Befriedigung der Grundbedürfnisse und zieht das
Bildungsproblem der ethnischen Minderheiten nicht in Betracht.
4.Recht auf eine intakte Umwelt:
Der umweltpolitische Rückschritt von Johannesburg
Die Diskussion über das Umweltmanifest aus der Sicht
des Südens ist in Lateinamerika eröffnet
Rio +10, diese Formel, mit der der Umweltgipfel von
Johannesburg in Südafrika umschrieben wurde, blieb ohne Inhalt.
Bei Abschluss des Gipfeltreffens am 6. September 02 waren sich
alle VertreterInnen einig, dass es richtigerweise eher Rio -10
heissen sollte. Regierungen, NGO, UmweltaktivistInnen,
Delegierte verschiedener internationaler Wirtschaftsverbände,
ethnische VertreterInnen und andere Teilnehmende geben
übereinstimmend zu, dass seit dem letzten Umweltgipfel in Rio
de Janeiro sich die Umweltsituation verschlechtert hat.
Die Umweltaktivistin der kolumbianischen Organisation Censat
Agua Viva, Tatiana Roa, meinte denn auch: "Selbst die
Regierungen ziehen eine negative Bilanz, denn die Ziele über
nachhaltige Entwicklung wurden nicht erfüllt in Bezug auf die
Zerstörung der Wälder, die Wasserqualität und den Klimawandel.
Die Überschwemmungen in Europa sind die Folge davon."
Die Spezialistin hebt drei Aspekte des Umweltgipfels hervor: In
den letzten 10 Jahren verschlechterte sich der Zustand der
Umwelt und die Lebensbedingungen der Menschen; der
Umweltgipfel stärkte die Wirtschaftsverbände und
multinationalen Unternehmen und es gab eine interessante
Dynamik bei den sozialen Organisationen.
In Bezug auf den ersten Punkt wurde klar, dass die 1992
festgelegten Ziele nicht erreicht wurden. Bezüglich des zweiten
Punktes, erklärt Roa, hätten die Regierungen und die UNO den
Schluss gezogen, dass sie allein die Umwelt nicht zu schützen
vermögen, weshalb sie die Gruppe "Partnership-Tipp 2" schufen.
Darin vereinigt sind internationale Wirtschaftsverbände und
multinationale Unternehmen mit dem Ziel, bis 2015 50% mehr
Menschen mit Wasser zu versorgen. Die Wirtschaftsverbände
übten Druck aus, damit keine konkreten Ziele über die
Verminderung des Verbrauchs an umweltverschmutzenden
Energien vereinbart wurden.
Drittens entwickelten die sozialen Organisationen eine
interessante Dynamik, denn trotz der Differenzen zeigte der
Marsch vom 31. August 02, an dem alle teilnahmen, dass der
Wille da ist, sich zu stärken. In diesem Sinne wird es wichtig sein,
was am Weltsozialforum gemacht werden wird.
In diesem Panorama spielte das Umweltmanifest des Südens, das
in Kolumbien während sechs Monaten unter den verschiedenen
Organisationen und sozialen Sektoren diskutiert worden war mit
dem Ziel, einen lateinamerikanischen Vorschlag am Gipfeltreffen
zu präsentieren, eine bescheidene Rolle. Doch zirkuliert es jetzt
unter den lateinamerikanischen Organisationen mit dem Ziel,
weiter diskutiert und vertieft zu werden.
Das Manifest macht folgende Vorschläge:
Der Aufbau einer alternativen Globalisierung, die auf
Ausgewogenheit, sozialer Gerechtigkeit und der Solidarität unter
den Völkern beruht. Es sollen multilaterale alternative Szenarien
unterstützt werden, welche zur Entwicklung des ökologischen
Landbaus, zur Verteidigung der Artenvielfalt, zum Widerstand
gegen die sozialen und ökologischen Folgen der Erdölförderung
und der Megaprojekte allgemein, zur Einforderung der
ökologischen Schuld, zur gemeinschaftlichen Nutzung der Wälder
und Flüsse und zur Hinterfragung der Rolle des Finanzkapitals
beitragen.
Zur Lösung der Umweltkrise wird ein holistischer Ansatz
vorgeschlagen, welcher politische, wirtschaftliche, kulturelle,
technologische und ökosystemische Aspekte umfasst und auf die
Wiederherstellung der Ernährungssicherheit ausgerichtet ist.
Der wirkliche Friede geht über die Abwesenheit von Krieg hinaus
und regelt die sozialen Beziehungen und die Beziehungen zur
Umwelt neu.
Das Manifest empfiehlt auch die völlige Streichung der
Auslandschulden der Länder des Südens und schlägt vor, dass
die biologische und kulturelle Artenvielfalt von den Völkern und
lokalen Gemeinschaften in Übereinstimmung mit ihrem
kulturellen Kontext selber verwaltet werden soll. Es wird darauf
insistiert, dass der Planet frei von genveränderten Lebewesen
sein soll.
Es wird ein neues Entwicklungsmodell vorgeschlagen, das die
Rückkehr auf das Land ermöglichen und das Entstehen neuer
Megastädte verhindern soll, welche die noch vorhandenen
natürlichen Rohstoffe dahinraffen werden. Die auf militärischen
Mitteln beruhende Sicherheit soll durch ein Sicherheitskonzept
ersetzt werden, das eine umweltrelevante, soziale,
ernährungssichernde und kulturelle Dimension in sich vereint.
Zuletzt schlägt das Manifest vor, einen Übergang zur Produktion
und dem Konsum von Energie aus sauberen, angepassten,
demokratischen und souveränen Energiequellen zu beginnen.
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