_______________________________________________________________________________ "Und aus des Horizontes Tiefe ..." - Heinrich von Kleist zum 200. Todestag Eine musikalische Annäherung (4) 2 SWR 2 Musikstunde, 17. November 2010 Text 17‘20 "Und aus des Horizontes Tiefe ..." - Heinrich von Kleist zum 200. Todestag Eine musikalische Annäherung (4) Heinrich von Kleist und Johann Wolfgang von Goethe. War der deutsche Dichterfürst Förderer oder Verhinderer – darum geht es in der heutigen SWR 2 Musikstunde, um das Verhältnis zwischen Goethe und dem 28 Jahre jüngeren Kleist, der Goethe als Übervater zutiefst verehrt, ihm nacheifert, an ihn glaubt und an ihm scheitert. (0‘20) Musik 1 Franz Liszt: Der Erlkönig, Jura Margulis, Klavier M0055691 006 OEHMSCLASSICS OC 545 4‘41 „… in seinen Armen das Kind war tot“. Jura Margulis mit dem Erlkönig von Franz Schubert in der Klaviertranskription von Franz Liszt. Für den jungen Kleist ist Goethe ein Abgott, er thront ganz oben auf dem Dichterolymp. Doch im Laufe der Zeit wandelt sich das Verhältnis .Goethe ist in Kleists Leben zwar immer präsent, doch sehr ambivalent, vom Dichtervater, zum Konkurrent, zum Schuldigen am Misserfolg. Goethe und Kleist leben zur selben Zeit, aber in völlig unterschiedlichen Welten. Goethe immer Contenance, etabliert, anerkannt als Politiker, Universalgelehrter, als Weltreisender und vor allem als intellektuelle Größe im deutschen Literaturzentrum Weimar. 2 3 Goethe, Schiller, Wieland und Herder prägen als „Viergestirn“ die Zeit der deutschen Aufklärung, der Weimarer Klassik. Goethe auf dem Höhepunkt seines Ruhms, Kleist ganz am Rande, ein Außenseiter, ein Sonderling, eigenwillig, unkonventionell, zu hitzig für den wohl situierten, eher konservativen Goethe. Ihre Wege kreuzen sich mehrfach, zusammengefunden haben sie nie. Ab 1791 ist Goethe Intendant des Weimarer Hoftheaters, der Beginn einer großen Ära, zum ersten Mal hat Weimar ein eigenes Schauspielensemble. 26 Jahre lang bleibt Goethe Theaterintendant in Weimar, die meisten seiner Werke und die Schillers werden hier uraufgeführt. Der Dichter Jean Paul schreibt begeistert: „Gegen das neue Theater in Weimar sind die anderen deutschen nur Kulissen“. Die großen Dramen und Komödien „zur sittlichen Erziehung“, zur humanistischen Bildung des Publikums, das sind Goethes und Schillers Meriten in Weimar. Die eigenen Werke, aber auch die der populären Dichter der Zeit, Kotzebue und Iffland werden aufgeführt, außerdem ist Goethe ein Freund des Musiktheaters, er liebt Mozart, vor allem die Zauberflöte. Die Ideale der Freimaurerei sprechen ihm aus dem Herzen. 280mal führt er die Zauberlöte während seiner Intendantenzeit in Weimar auf und entwirft dazu sogar ein eigenes Bühnenbild. Zur Zauberflöte ist das Haus regelmäßig ausverkauft, überfüllt, so dass die Türen offen stehen bleiben, weil der Platz nicht ausreicht, das wäre schon ein erster Fall für „Public viewing“ gewesen. (2’10) Musik 2 Mozart; Die Zauberflöte, Arie des Sarastro, In diesen heiligen Hallen, Marcos Fink, Bass Akademie für Alte Musik, René Jacobs M0260469 032 HARMONIA MUNDI FRANCE HMC 902068.70 3‘19 3 4 Marcos Fink mit der Arie des Sarastro aus Mozarts „Zauberflöte“. René Jacobs leitete die Akademie für Alte Musik. Goethe als Theaterdirektor in Weimar – wenn man von gelegentlichen Querelen mit Schauspielern und Künstlern absieht, eine erfolgreiche Zeit. Rund 300 Aufführungen bringt Goethe im Jahr auf die Bühne, er ist ein guter Geschäftsmann, ein Funktionär und ein Theaterpädagoge, die Bildung des Publikums liegt ihm am Herzen. Er verfolgt moralische, ästhetische, humanistische Ziele und möchte die Ideale der griechischen Antike, die Würde und Freiheit des Menschen veranschaulichen. Passen Kleists Werke da hinein? Es wird schwierig. Kleists Freiheit des Menschen liegt in seinem Kampf mit sich selbst und der Umwelt, in der Konfrontation mit Krieg, mit Tod, Aufopferung und Gewalt. Seine Figuren begeben sich in emotionale Extreme, sind gescheiterte Helden, Träumer, Schlafwandler im Unbewussten. Diese Diskrepanz erkennt Kleist nicht, er sucht in Goethe einen Vermittler seiner Werke. Ausgerechnet der Goethefreund Christoph Martin Wieland setzt Kleist den Floh in den Kopf, er könne Goethe überflügeln. Das bleibt nicht ohne Folgen, Kleist glaubt größenwahnsinnig, er werde Goethe den Kranz von der Stirn reißen. Es wird ein einseitiger, ein widersprüchlicher Kampf. Einerseits möchte Kleist von Goethe anerkannt werden, andererseits will er ihn vom Dichterthron stoßen. 4 5 Ob es je zu einer Begegnung zwischen Kleist und Goethe gekommen ist, wissen wir nicht. Kleists erster Biograph Eduard von Bülow schreibt von der Reise Kleists nach Jena, wo er von Schiller freundlich empfangen wurde und von der Weiterfahrt nach Weimar zu Goethe. Aber belegt ist das nicht. 1802 wohnt Kleist vier Monate in Weimar. In dieser Zeit verkehrt er oft bei Wieland, über einen Besuch bei Goethe oder im Weimarer Hoftheater schreibt er jedoch kein Wort, das hätte er vermutlich getan, wenn er eines der Werke, die damals auf dem Spielplan standen, gesehen hätte: Goethes Iphigenie, Clavigo, Schillers Wallenstein oder Mozarts Don Giovanni mit dem mächtigen Übervater, dem Komtur. (2’10) Musik 3 Mozart: Don Giovanni, Ouvertüre, Chamber Orchestra of Europe, Claudio Abbado M0057794 001 Deutsche Grammophon 457601-2 5‘50 Mozarts Don Giovanni, die Ouvertüre aus einer Gesamtaufnahme, deswegen ohne Konzertschluss, alles bleibt offen, wie in der Beziehung zwischen Goethe und Kleist, um die es heute in der SWR 2 Musikstunde geht. Claudio Abbado leitete das Chamber Orchestra of Europe. Johann Wolfgang von Goethe und Heinrich von Kleist, ein einziges Mal ist es zu einer künstlerischen Begegnung gekommen. Goethe liest den „Zerbrochnen Krug“ und erwägt eine Aufführung in Weimar, wenngleich er auch die Schwächen des Stücks bemerkt und kritisert: "Könnte er – Kleist - mit ebendem Naturell und Geschick eine wirklich dramatische Aufgabe lösen und eine Handlung vor unseren Augen und Sinnen sich entfalten lassen, wie er hier eine Vergangene sich nach und nach enthüllen lässt, so würde es für das deutsche Theater ein großes 5 6 Geschenk sein. Das Manuskript will ich mit nach Weimar nehmen (...) und sehen, ob etwa ein Versuch der Vorstellung zu machen sei." Goethe entscheidet sich für den „Zerbrochnen Krug“. Die Uraufführung findet am 2. März 1808 am Weimarer Hoftheater statt. Kleist ist nicht mit dabei. Von einem Erfolg kann nicht die Rede sein. Das Stück läuft im Anschluss an eine einaktige Oper und zieht sich mit Pausen unnötig in die Länge. Ein Zeitungskritiker bemängelt, man wisse zu schnell, dass der Dorfrichter Adam der Schuldige sei. Dass der Reiz des Stückes nicht im „Was“, sondern im „Wie“ liegt, gerade in den Kniffen, mit denen Adam seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen versucht, das vermittelt sich dem Weimarer Publikum nicht. Haben die Schauspieler versagt oder liegt es an der Inszenierung Goethes, der das einaktige Lustspiel auf drei Akte ausdehnt. Das geht auf Kosten von Kleists Sprachwitz. Schon das buchstäblich herausgebrochene „e“ aus „zerbrochne“ spricht für sich. Kleist brilliert mit lebhaften Dialogen und raschen Wortwechseln. Eigentlich ist es ein bühnenwirksames Stück, weitaus mehr als eine volkstümliche Posse, ein Schauspiel, das sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts als Dauerbrenner in der deutschen Theaterlandschaft hält. In Weimar ist von all dem an diesem Uraufführungsabend im März 1808 nichts zu spüren. Der „zerbrochne Krug“ fällt schlicht und ergreifend durch. 6 7 Das Publikum reagiert missmutig, und was für Goethe viel schlimmer wiegt, Herzog Karl August ist verstimmt, das hat er von seinem Theaterintendanten nicht erwartet und eines ist gewiss, so etwas darf sich Goethe nicht noch einmal erlauben. Einer, der Kleists Stück sehr wohl verstanden hat und meines Erachtens eine der besten Kleistvertonungen komponiert hat, ist Viktor Ullmann. (2’30) Musik 4 Viktor Ullmann: „Der zerbrochne Krug“, Ausschnitt aus der Gerichtsstube, Roland Hermann, Dorfrichter Adam, Thomas Dewald, Schreiber Licht Deutsches Symphonieorchester Berlin, Gerd Albrecht M0288112 003 ORFEO C 419981 6‘10 Szene aus dem Beginn der Oper „Der zerbrochne Krug“ von Viktor Ullmann. Roland Hermann und Thomas Dewald als Dorfrichter Adam und Schreiber Licht. Gerd Albrecht leitete das Deutsche Symphonieorchester Berlin. Konsequent folgt Ullmann der Vorlage, lässt das Wort im Vordergrund, unterstreicht Kleists Text und Witz mit lautmalerischen und phonetischen Orchesterstimmen. 1942 hat Ullmann die Oper komponiert, zwei Jahre später wurde er in Ausschwitz ermordet. Erst 1996 fand in Dresden die Uraufführung statt. Ullmann hielt sich übrigens an die einaktige Form, Goethe nicht. Kleist schiebt den Reinfall seines „zerbrochnen Krugs“ in Weimar allein Goethe in die Schuhe. Kurz drauf veröffentlicht er Teile seines Lustspiels und fordert die Leser auf, sich selbst ein Urteil zu bilden. Man munkelt sogar, Kleist habe Goethe zum Duell herausgefordert. 7 8 Verbal tut er es auf jeden Fall, in dem er boshafte Epigramme veröffentlicht, „Herr von Goethe „Siehe das nenn‘ ich nun würdig fürwahr, sich im Alter beschgäft’gen! / Er zerlegt jetzt den Strahl, den seine Jugend sonst warf.“, also etwa Goethe auf deine alten Tage zerlegst du lieber mein Stück, als dass du selbst etwas schaffst.“ Ein Hitzkopf dieser Kleist. Auch vor Goethes Dichtkunst macht er nicht halt. Goethes berühmtes „Über allen Gipfeln ist Ruh“, parodiert Kleist zu einem Schlaflied. Die letzten Zeilen Goethes „Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur, balde / Ruhest du auch“ werden zu „Die Vögelein schlafen im Walde, Warte nur balde/ schläfst du auch. (1’30) Musik 5: Carl Loewe: Über allen Gipfeln ist Ruh, Lied Brigitte Fassbaender, Cord Garben M0126330 004 Deutsche Grammophon 423680-2 2‘05 „Über allen Gipfeln ist Ruh“, das Original von Goethe, vertont von Carl Loewe. Brigitte Fassbaender sang, am Klavier begleitete Cord Garben. Kleist schleudert Speerspitzen gegen Goethe, bissig, frech, ja schon unverschämt. Das Verhältnis ist - wie der Krug – zerbrochen. Inzwischen wohnt Kleist in Dresden. Umgeben von seinen besten Freunden Rühle und Pfuehl. Hinzu gesellt sich der Jurist und Philosoph Adam Müller, der zur ersten Veröffentlichung von Kleists Amphitryon ein Vorwort schreibt. Amphitryon, ein weiteres Lustspiel Kleists nach einer Komödie von Molière. Kleist entfernt sich von der höfischgesellschaftlichen Vorlage und zeichnet ein Psychogramm der weiblichen Hauptperson Alkmene. 8 9 Sie wird von Jupiter in Gestalt ihres Ehemannes verführt, glaubt aber selbst nach der Enthüllung des Göttervaters nicht an dessen Betrug, setzt Vertrauen in sich und ihren Mann Amphitryon. Am Ende rückt das Ganze in biblische Nähe, wenn Jupiter Amphitryon prophezeit: „Dir wird ein Sohn geboren“. Auf Amphitryons Anruf antwortet Alkmene mit jenem viel zitierten „Ach“ – und der Vorhang fällt. Kleist verzichtet auf einer Bewertung und bietet unendlich viel Raum für Interpretation. Und prompt hat Goethe wieder etwas auszusetzen, Kleist sei es nicht gelungen, „Antikes und Modernes „ zu einer Einheit zu verbinden. Er habe die antike Fabel ins „Christliche, in die Überschattung der Maria vom heiligen Geist umgedeutet“. Diese Kritik trifft Kleist tief, er ist enttäuscht. Amphitryon verschwindet in der Schublade. Erst 90 Jahre später wird das Stück uraufgeführt und zu Kleists 150. Geburtstag äußert kein geringerer als Thomas Mann in einem Vortrag im Münchner Schauspielhaus, Amphitryon sei das „witzig anmutvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspielwerk der Welt.“ Mindestens zweimal wurde Kleists Amphitryon als Oper vertont von Robert Oboussier und Giselher Klebe und Franz Lehar hat eine Parodie geschrieben. „Der Göttergatte“ heißt die Operette und da nimmt so ziemlich jeder die Gestalt eines anderen an, so dass das Chaos perfekt ist und bald keiner mehr weiß, wer wer ist. Jupiter versichert am Ende, sich in Verzicht zu üben, wer‘s glaubt… (2’10) Musik 6 Franz Lehar: Der Göttergatte, Finale 2. Akt Orchester des Wiener Rundfunks / Max Schönherr Cantus LC 03982 5.01285 1‘50 9 10 Würde Kleist darüber schmunzeln? Von einer Identitätskrise ist in Lehars Parodie auf Kleists Amphitryon nichts mehr zu erkennen, das Ganze ist eine Farse. Wir hörten Franz Borsos als Jupiter und Erika ForsellFeichtinger als Juno. Max Schönherr leitete das Orchester des Wiener Rundfunks in einer Aufnahme aus dem Jahr 1959. In Dresden fühlt sich Kleist zum ersten Mal als Schriftsteller. Sein Amphitryon wird veröffentlicht. Er steht in Kontakt mit dem Verlagshaus Cotta in Tübingen, er beendet Penthesilea und schickt Teile des Manuskripts an Maria von Kleist, eine angeheiratete Cousine, Hofdame bei Königin Luise. Sie hat sich schon mehrfach für Kleist eingesetzt und wird in den letzten Lebensjahren zu einer guten Freundin. Sie zeigt Interesse an Penthesilea, da schickt ihr Kleist gleich noch das „Käthchen von Heilbronn“ hinterher und fügt an: „Das ist die Kehrseite der Penthesilea, ihr anderer Pol, ein Wesen, das ebenso mächtig ist durch gänzliche Hingebung als jene durch Handeln.“ Beide Frauen fühlen sich von einem Mann angezogen und verstehen dieses Begehren nicht. Käthchen folgt dem Grafen in blindem Vertrauen, Penthesilea begegnet Achill mit blindwütiger Raserei. „Sie sind ein und dasselbe Wesen, nur unter entgegensetzen Beziehungen gedacht“, erklärt Kleist und gesteht, dass in der Penthesilea der ganze Schmutz zugleich und Glanz seiner Seele liege.“ (1’25) Musik 7 Othmar Schoeck: Penthesilea, Bin ich im Elysium. Penthesileas Schlussgesang, Yvonne Naef, Sinfonieorchester Basel, Patrick Furrer M0289335 028 SAS 510118-2 3‘00 10 11 „Ja das fragst du noch“, sie tat es selbst. Penthesilea, Yvonne Naef im Live Mitschnitt von Othmar Schoecks selten aufgeführter Oper Penthesilea von den Luzerner Festwochen 1999, vor kurzem war sie auch in der Frankfurter Oper zu sehen. Ein überzeugendes Bühnenwerk um die Problematik einer äußerst schwierigen Beziehung. In der Penthesilea liege der ganze Schmutz zugleich und Glanz seiner Seele, schreibt Kleist. „Zugleich“ Kleists Lieblingswort, Penthesilea ist eine seiner Kippfiguren, die alle Extreme in sich vereinen, sie liebt und hasst, ebenso Michael Kohlhaas mit dem berühmten ersten Satz: „An den Ufern der Havel lebte, um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, ein Rosshändler, namens Michael Kohlhaas, Sohn eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit.“ Kleist trennt nicht zwischen Gut und Böse, er entlarvt die Menschen mit allen ihren Gegensätzen und Widersprüchen, letztlich immer auch ein Porträt seiner selbst, wie Eusebius und Florestan. (1’10) Musik 8 Robert Schumann: Carneval, Eusebius und Florestan Michael Korstick M0032155 007 und 008 ARS MUSICI AM 1248-2 3‘00 Michael Korstick spielte Eusebius und Florestan, zwei unterschiedliche Charaktere aus der inneren Widersprüchlichkeit Robert Schumanns. In Dresden fühlt sich Kleist voller Tatendrang. Zusammen mit den Freunden Rühle, Pfuehl und Müller möchte er eine Buchhandlung eröffnen, dann ein monatliches Kunstjournal herausgeben mit dem Namen Phöbus, Beiname des griechischen Gottes Apoll, der Gott der 11 12 Künste, vor allem der Dichtkunst. Vorbild dieses Journals sind die Horen, die Literaturzeitschrift, die Schiller einst herausgegeben hat. Kleist verkehrt im Hause Körner, dem guten Freund Schillers. Hier wird viel über Kunst debattiert und Kleist liest aus seinen neusten Werken vor. An seine Schwester Ulrike berichtet er: „Zwei meiner Lustspiele sind schon mehrere Male in öffentlichen Gesellschaften, und immer mit wiederholtem Beifall, vorgelesen worden“. Nur Goethe stimmt in diesen Beifall nicht mit ein. Kleist gehöre zu dem von ihm bekämpften Lager der Romantiker mit ihrer ästhetisierenden religiösen Schwärmerei. Goethe empfindet „Schauder und Abscheu“. Nein, er zeigt keinerlei Verständnis für den jungen Dichter, Kleist passt nicht in Goethes Theaterwelt. Doch noch gibt Kleist nicht auf. Ende Januar 1808 erscheint das groß angekündigte erste Heft des Phöbus mit Auszügen der Penthesilea. Kleist schickt Goethe das erste Heft mit dem Hinweis: „Es ist auf den Knien meines Herzens, dass ich damit vor Ihnen erscheine.“ Im gleichen Schreiben versäumt Kleist es nicht, mit Blick auf Penthesilea hinzuzufügen, dass seine Stücke nicht für das Theater der Gegenwart bestimmt seien, ein bisschen arrogant zugleich und ungeschickt, einem Theater-Intendanten so etwas zu sagen. Prompt schreibt Goethe zurück, dass er die Aufsätze im ersten Phöbus mit Vergnügen gelesen habe, aber mit der Penthesilea könne er sich nicht anfreunden. Auch erlauben Sie mir zu sagen, dass es mich immer betrübt und bekümmert, wenn ich junge Männer von Geist und Talent sehe, die auf ein Theater warten, welches da kommen soll. Man müsse 12 13 es verstehen, der „gebildeten und ungebildeten Masse das höchste Vergnügen zu machen.“ (2’10) Musik 8 Ludwig van Beethoven: Egmont, Siegessinfonie, Finale Bruno Ganz, Egmont / Berliner Philharmoniker / Claudio Abbado M0019411 012 Deutsche Grammophon 453713-2 1‘48 Bruno Ganz als Egmont im Finale aus Goethes Trauerspiel mit Musik von Ludwig van Beethoven. Claudio Abbado leitete die Berliner Philharmoniker. Nun hat in Dresden für Kleist alles so gut angefangen, die Veröffentlichung des Amphitryon, die Herausgabe des Phöbus, Hoffnung auf Aufführungen, Zukunftspläne. Doch dann bröckelt die Zuversicht. Phöbus wird kein Kassenschlager, die meisten Hefte muss Kleist ganz alleine mit seinen Beiträgen füllen, er veröffentlicht Teile seiner Dramen „Robert Guiskard“, „Käthchen“ und den Anfang der Erzählung „Michael Kohlhas“. Aber wer soll diese Texte verstehen. Schiller Freund Körner berichtet einem Freund sorgenvoll: „Kleistern gebe ich noch nicht auf, nur wünschte ich ihn aus seiner Umgebung herausreißen zu können. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass man ihm viel sagen kann, und dass er von Natur nichts weniger als anmaßend ist. Aber er lebt unter Menschen, die ihn gerade in seinen Fehlern bewundern.“ Die Körners schätzen den Menschen Kleist, hadern aber mit dem Schriftsteller. Körners Schwägerin Dora Stock zählt auf: „Seine Penthesilea ist ein Ungeheuer, sein zerbrochner Krug ist eine Schenkenszene, die zu lange dauert, seine Geschichte der Marquisin 13 14 von O kann kein Frauenzimmer ohne Erröten lesen. Wozu soll dieser Thon führen“. Was bleibt, ist ein Scherbenhaufen. Gut ein Jahr nach dem hoffnungsfrohen Beginn erscheint die letzte Ausgabe des Phöbus aus der Hand Müllers und Kleists. Sie verkaufen die Zeitschrift an den Buchhändler Walther und erst später bekommt Kleist mit, dass Müller finanziellen Gewinn daraus geschlagen hat. Er reagiert heftig, schmeißt Müller Beleidigungen an den Kopf, woraufhin Müller Kleist zum Duell herausfordert. Es ist allein der Umsicht der beiden Freunde Rühle und Pfuehl zu verdanken, dass es nicht zum Äußersten kommt. (1’50) Musik 9 Richard Wetz: Kleist Ouvertüre op. 16 Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz / Werner Andreas Albert M0288113 005 cpo 999695-2 5’50 auf Zeit Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielte unter der Leitung von Werner Andreas Albert die Kleist-Ouvertüre op.16 des deutschen Kompositen und Musikpädagogen Richard Wetz. Das war in SWR 2 die Musikstunde mit Ulla Zierau: Eine musikalische Annäherung an Heinrich von Kleist zum 200. Todestag. 14