Bernhard Maier Die Kelten Geschichte, Kultur und Sprache Die vorrömischen Kelten Mitteleuropas 13 Ausdehnung jedoch oft übertreffen. Ausschlaggebend für ihre zentralörtliche Funktion war augenscheinlich ihre Lage an Schnittpunkten bedeutender Fernhandelswege, welche die keltischen Regionen Mittel- und Westeuropas mit den Zentren der mediterranen Kulturen in Südfrankreich und Oberitalien verbanden. Neben einer verkehrs- und handelspolitisch beherrschenden Lage sind außerdem in mehreren Fällen die intensive Nutzung eines landwirtschaftlich ertragreichen Hinterlands und der Abbau von Bodenschätzen wie z. B. Salz oder Eisen nachgewiesen, die wiederum die Existenz eines spezialisierten Handwerks nach sich zogen. Eine zweite Welle der Urbanisierung der vorrömischen Kelten ist in der Spätlatènezeit zu beobachten. Charakteristisch dafür sind die so genannten Oppida (Singular: Oppidum). So nennt die moderne Archäologie – im Unterschied zu dem weit weniger spezifischen antiken Sprachgebrauch etwa bei Caesar – die stadtähnlichen Anlagen mittel- und westeuropäischer Kelten des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. Sie wurden wie schon die Mehrzahl der späthallstattzeitlichen Zentralorte zumeist auf Höhenzügen, in Flussbiegungen oder in anderweitig geschützter Lage angelegt, unterscheiden sich jedoch von Anlagen früherer und späterer Jahrhunderte durch ihre gewaltige Ausdehnung, die in einigen Fällen mehrer hundert Hektar beträgt. Teilweise auf bereits in früheren Zeiten befestigtem Gelände errichtet, dienten Oppida in Kriegszeiten als Fluchtburgen für die umliegende Bevölkerung und im Frieden als Zentren für Handwerk und Handel. Bei der Wahl des Standorts spielten daher neben einer zur Verteidigung günstigen Lage auch das Vorkommen von Bodenschätzen sowie die Beherrschung bedeutender Fernhandelswege eine wichtige Rolle. Zu den am besten erforschten Oppida zählen Bibracte ca. 20 km westlich von Autun in Burgund und Manching ca. 8 km südlich von Ingolstadt. Mit dem Ende der Oppida-Kultur im Gefolge der römischen Eroberung Galliens durch Caesar endete die Zeit der keltischen Selbständigkeit in Kontinentaleuropa. Neuere regionale Übersichten zu den archäologischen Funden der Späthallstatt- und Latènekultur bieten François Malrain und Matthieu Poux (Hrsg.), Qui étaient les Gaulois? (Paris 2011), Martin Schönfelder (Hrsg.), Kelten? Kelten! Keltische Spuren in Italien (Mainz 2010), Patrice Brun und Pascal Ruby, L’Age du Fer en France: premières villes, premiers états celtiques (Paris 2008), Felix Müller und Geneviève Lüscher (Hrsg.), Die Kelten in der Schweiz (Stuttgart 2004), Andres Furger, Die Helvetier: Kulturgeschichte eines Keltenvolkes, 6. Aufl. (Zürich 2003), Virginie Defente, Les Celtes en Italie du Nord (Rom 2003) sowie Sabine Rieckhoff und Jörg Biel, Die Kelten in Deutschland (Stuttgart 2001). Eine kurzgefasste Gesamtdarstellung der Latènekunst bietet Felix Müller, Die Kunst der Kelten (München 2012). Ausführlicher Ders., Kunst der Kelten: 700 v. Chr. – 700 n. Chr. (Stuttgart 2009). Vgl. ferner Luc Baray, Les mercenaires 14 Archäologie celtes et la culture de La Tène: critères archéologiques et positions sociologiques (Dijon 2014), Chris Gosden (Hrsg.), Celtic Art in Europe: making connections (Oxford 2014), Duncan Garrow und Chris Gosden, Technologies of Enchantment? Exploring Celtic Art: 400 BC to AD 100 (Oxford 2012), Dennis W. Harding, The Archaeology of Celtic Art (London 2007) sowie Ruth und Vincent Megaw, Celtic Art (London 2001). Neuere zusammenfassende Darstellungen der vorrömischen keltischen Wirtschaftsformen bieten François Malrain, Véronique Matterne u. Patrice Méniel, Les Paysans gaulois (Paris 2002) und Patrice Méniel, Les Gaulois et les animaux (Paris 2001). Vgl. ferner die Beiträge in Claus Dobiat, Susanne Sievers und Thomas Stöllner (Hrsg.), Dürrnberg und Manching: Wirtschaftsarchäologie im ostkeltischen Raum (Bonn 2001). Zur Eisenerzverhüttung vgl. Pierre-Yves Milcent (Hrsg.), L’économie du fer protohistorique (Aquitania Supplément 14/2, 2007) sowie Guntram Gassmann u. a., Forschungen zur keltischen Eisenerzverhüttung in Südwestdeutschland (Stuttgart 2005). Zur Salzgewinnung vgl. Iris Ott u. Egon Wamers (Hrsg.), Das weiße Gold der Kelten (Frankfurt/Main 2008), Marie-Yvane Daire, Le sel des Gaulois (Paris 2003) sowie Thomas Stöllner u. a., Der prähistorische Salzbergbau am Dürrnberg bei Hallein, 2 Bde. (Rahden/ Westf. 1999–2002). Neuere regionale Studien zum Siedlungswesen der Kelten Mitteleuropas bieten Patrice Brun u. Pascal Ruby, L’age du fer en France: premières villes, premiers états celtiques (Paris 2008) und Miloslav Chytráček u. Milan Metlička, Die Höhensiedlungen der Hallstatt-, und Latènezeit in Westböhmen (Prag 2004). Die späthallstattzeitlichen Zentralorte behandeln die Beiträge in Dirk Krausse (Hrsg.), „Fürstensitze“ und Zentralorte der frühen Kelten, 2 Bde. (Stuttgart 2010). Zum Ipf vgl. Rüdiger Krause (Hrsg.), Neue Forschungen zum frühkeltischen Fürstensitz auf dem Ipf (Bonn 2014). Zum Glauberg vgl. Holger Baitinger, Der Glauberg: ein Fürstensitz- der Späthallstatt- / Frühlatènezeit in Hessen (Wiesbaden 2010) und den Sammelband Der Glauberg in keltischer Zeit (Wiesbaden 2008). Zu den Oppida vgl. Irena Benková (Hrsg.), Gestion et présentation des oppida (Glux-en-Glenne 2008) und Stephan Fichtl, La ville celtique, 2. überarbeitete u. erweiterte Aufl. (Paris 2005). Zu Bibracte bzw. Manching vgl. Anne-Marie Romero u. Antoine Maillier, Bibracte (Glux-en-Glenne 2006) und Susanne Sievers, Manching, 2. aktualisierte Aufl. (Stuttgart 2007). 1.2 Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln Im Unterschied zu Mittel- und Westeuropa, Oberitalien, der Iberischen Halbinsel und Kleinasien gelten die Britischen Inseln nicht schon in der Antike als Siedlungsgebiete der Kelten, da antike Autoren die Bezeichnung Keltoi / Celtae grundsätzlich nicht auf diese Inseln anwenden. Als „keltisch“ gelten die betref- Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln 15 fenden Länder daher erst seit dem 18. Jahrhundert, und zwar zunächst im Hinblick auf ihre Sprache. Wann und unter welchen Umständen das Keltische nach Britannien und Irland gelangte und alle vorher dort verbreiteten Sprachen verdrängte, ist jedoch bis heute ungeklärt. Dass eine oder mehrere Wellen von Einwanderern aus dem europäischen Festland dafür verantwortlich sein müssten, galt bis in die 1960er Jahre als ausgemacht, wird seitdem jedoch zunehmend in Zweifel gezogen, da man keine eindeutigen archäologischen Hinweise auf solche Wanderungsbewegungen hat und man auf den Britischen Inseln wie auch in Irland eine ausgeprägte Kontinuität von der Bronze- zur Eisenzeit feststellen kann. Archäologische Hinweise auf die Einwanderung geschlossener Gruppen bieten lediglich die Gräber der nach dem Gräberfeld von Arras in East Yorkshire so genannten Arras-Kultur aus der Mittleren Latènezeit, deren einzige Parallelen nicht in Britannien, sondern in Nordgallien zu finden sind. Selbst in diesem Fall ist es jedoch umstritten, ob die Übereinstimmungen im Bestattungsbrauch auf den Zustrom größerer Bevölkerungsteile, auf die Einwanderung einer kleinen Elite oder gar überhaupt nur auf kulturelle Konvergenzen ohne eine wirkliche Migration zurückzuführen sind. Die Anfänge der Bronzeverarbeitung in Britannien fallen in die Zeit um 2100 v. Chr. Zwischen 2100 und 1500 v. Chr. datiert man die Frühe Bronzezeit, zwischen 1500 und 1100 v. Chr. die Mittlere und zwischen 1100 und 800 v. Chr. die Späten Bronzezeit, die jeweils anhand charakteristischer Fundgruppen in weitere Phasen unterteilt werden. Aus dem 8./7. Jahrhundert v. Chr. stammen die ältesten Funde eiserner Waffen und Werkzeuge vom Typ Hallstatt C, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts im See von Llyn Fawr in Südwales sowie seither auch an anderen Fundorten vor allem im Südwesten Britanniens gefunden wurden. Die darauf folgende Periode Hallstatt D, aus der man auf dem europäischen Festland die gemeinhin als frühkeltisch angesehenen Fürstengräber kennt, ist in Britannien ebenfalls durch einzelne Funde vertreten, wobei einige davon importiert, andere dagegen vor Ort hergestellt worden sein dürften und jedenfalls die Kontinuität der kulturellen Beziehungen zwischen Britannien und dem europäischen Festland bezeugen. Im Hinblick auf die Wirtschaftsformen der britannischen Kelten ist davon auszugehen, dass die Insel im ersten Jahrtausend v. Chr. keine naturräumliche Einheit darstellte, sondern ganz im Gegenteil große, durch Relief, geographische Lage und Klima bedingte Unterschiede aufwies. Entsprechend unterschiedlich sind in den einzelnen Regionen das Ausmaß der landwirtschaftlichen Nutzung des Bodens und der jeweilige Anteil des Ackerbaus und der Viehzucht. Insgesamt ist die Eisenzeit in Britannien durch eine Intensivierung der Landwirtschaft gekennzeichnet. Stark ausgeprägte Unterschiede in der Häufigkeit des Vorkommens von Keramik lassen darauf schließen, dass in einigen Regionen Britanniens (wie auch ganz allgemein in Irland) Gefäße und Behälter vielfach aus Holz oder anderen organischen Materialen gefertigt wurden, jedoch nur ausnahmsweise erhalten blieben. 16 Archäologie Während Siedlungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert nur selten ausgegraben wurden, hat ihre archäologische Untersuchung in den vergangenen 50 Jahren so stark zugenommen, dass für das Siedlungswesen im eisenzeitlichen Britannien mehr Daten zur Verfügung stehen als in allen anderen von den Kelten bewohnten Gebieten. Gleichwohl ist die Quellenlage sehr unterschiedlich, da sich die weitaus meisten gut erforschten Anlagen in Süd- und Südostengland befinden, während das Siedlungswesen in Wales, Nordengland und auf dem Schottischen Festland (im Unterschied zu den in dieser Hinsicht wiederum besser erforschten Hebriden sowie Orkney- und Shetland-Inseln) sehr viel unzureichender erschlossen ist. Darüber hinaus bringen es die große Menge der vorhandenen Daten, aber auch die großen naturräumlich bedingten Unterschiede mit sich, dass man nur wenige allgemein gültige Aussagen treffen kann. So etwa kennt man viele Hundert kleine, teils offene und teils leicht befestigte Siedlungen oder Gehöfte sowohl aus dem Südwesten (Cornwall) als auch aus dem Süden und Südosten Britanniens. Große Hügelfestungen mit einer Fläche über 6 ha sind jedoch in Cornwall sehr viel seltener als in den weiter östlich gelegenen Regionen. Es steht zu vermuten, dass das Fehlen großer Hügelfestungen in vielen Gegenden Cornwalls einen geringeren Grad der politischen Zentralisierung widerspiegelt. Dies wiederum könnte mit den insgesamt weniger günstigen Umweltbedingungen und der relativ größeren Bedeutung der Viehzucht gegenüber dem Ackerbau zusammenhängen, da die geringere Mobilität von Ackerbauern die Etablierung ortsfester politischer Zentren begünstigt haben dürfte. Dazu passt der Umstand, dass man über 6 ha große Hügelfestungen in Wales vor allem im Osten entlang der späteren walisisch-englischen Grenze findet, während der Südwesten nur relativ kleine Hügelfestungen und der Nordwesten überhaupt nur wenige solcher Anlagen aufweist. Ein augenfälliges Kennzeichen der kleineren Siedlungen im Westen von Wales ist andererseits ihre lange Nutzungsdauer, da kleinere Gehöfte und Siedlungen in Westwales allem Anschein nach oft sehr viel länger bewohnt waren, als dies in dem durch gesellschaftliche Umbrüche und Umschichtungen gekennzeichneten Verhältnissen im Südosten Britanniens der Fall war. Wiederum andere Bedingungen findet man in Schottland, wo insbesondere entlang der Westküste, auf den Hebriden, im äußersten Norden sowie auf den Orkney- und Shetland-Inseln kleinere Siedlungen und Gehöfte in massiver Trockensteinbauweise, die so genannten brochs und duns, begegnen. Charakteristisch für den Westen Schottlands sind ferner die so genannten crannogs, die auf künstlichen Inseln in der Nähe von Seeufern angelegt wurden. Großflächige Hügelfestungen, die einen fortgeschrittenen Grad der Zentralisierung widerspiegeln, findet man demgegenüber vor allem in der Osthälfte Schottlands. Über die großen Hügelfestungen (hillforts) mit mutmaßlich zentralörtlicher Funktion liegt eine umfangreiche Literatur vor, die sich jedoch nur auf relativ wenige großflächige Grabungen stützen kann und daher teilweise spe- Die vorrömischen Kelten der Britischen Inseln 17 kulativ bleibt. Klar ist, dass die großen eisenzeitlichen Hügelfestungen in einer längeren, bis in die Bronzezeit zurückreichenden Tradition stehen und trotz oberflächlicher Ähnlichkeiten im Hinblick auf ihre topographische Lage und Befestigungsweise durchaus unterschiedlichen Zwecken gedient haben können, die sich erst bei großflächigen Ausgrabungen erschließen würden. Klar ist auch, dass jede Anlage eine individuelle Geschichte hat, die sich nicht zuletzt in ihrer Nutzungsdauer und im Verhältnis zu benachbarten Anlagen widerspiegelt. Namentlich in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. ist dabei mit einer Hierarchie von Anlagen zu rechnen, deren relative Bedeutung man nicht nur aus Unterschieden der Größe und Besiedlungsdichte, sondern auch solchen des Aufwands beim Bau repräsentativer Wall- und Toranlagen erschließen kann. Zu den am intensivsten erforschten eisenzeitlichen Hügelfestungen Englands gehört Danebury ca. 20 km nordwestlich von Winchester. Im 7./6. Jahrhundert v. Chr. angelegt und um 100 v. Chr. aufgegeben, wurde der Ort von 1969 bis 1988 in zwanzig Grabungskampagnen erforscht, wobei man knapp über die Hälfte der Fläche freilegte. Wie sich dabei herausstellte, wurden die Befestigungs- und Toranlagen mehrfach erweitert, während gleichzeitig die Besiedlungsdichte im Innern beständig zunahm. Die Aufgabe der Siedlung erfolgte wohl im Zusammenhang mit Kampfhandlungen, wie die Zerstörung des Haupttors durch Feuer und Funde zahlreicher Skelette mit Hieb- und Stichverletzungen vermuten lassen. Ungefähr zur gleichen Zeit wie Danebury entstand auch die Hügelfestung Maiden Castle ca. 2,5 km südwestlich von Dorchester. Mit einer Fläche von ca. 6,4 ha nahm sie in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens noch keine herausragende Stellung ein, doch wurden die Befestigungen zwischen 400 und 300 v. Chr. erheblich verstärkt und die befestigte Fläche auf 19 ha ausgedehnt. Im Gefolge dieser Erweiterung nahm auch die Besiedlungsdichte im Innern der Anlage zu, während gleichzeitig zwei deutlich kleinere Hügelfestungen in der näheren Umgebung aufgegeben wurden. Im 2. Jahrhundert v. Chr. erreichte die Anlage ihre größte Blüte, verlor bald darauf jedoch zunehmend an Bedeutung und wurde im Gefolge der Römischen Invasion des Jahres 43 ganz aufgegeben. Die Archäologie der Kelten Britanniens und Irlands im Rahmen einer umfassenden Geschichte vom Spätpaläolithikum bis zur Ankunft der Normannen schildert Barry Cunliffe, Britain Begins (Oxford 2012). Neuere Gesamtdarstellungen bieten ferner Richard Bradley, The Prehistory of Britain and Ireland (Cambridge 2007) und Barry Cunliffe, Iron Age Communities in Britain, 4. Aufl. (London 2005). Zu neueren Forschungsansätzen vgl. ferner die Beiträge in Niall M. Sharples, Oliver Davis u. Kate Waddington (Hrsg.), Changing Perspectives on the First Millennium BC (Oxford 2008), Colin Haselgrove u. Rachel Pope (Hrsg.), The Earlier Iron Age in Britain and in the near Continent (Oxford 2007) sowie Colin Haselgrove u. Tom Moore (Hrsg.), The Later Iron