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Literatur | 16/17
Obdachlose in Ungarn | 3
Es wird laut | 11
Die Regierung vertreibt sie, andere helfen
Budapests Wohnungslosen
Die neuen Flugrouten für den
Hauptstadtflughafen stehen fest
Spanische Erzählungen
und Erinnerungen an
mutigen jüdischen
Widerstand gegen die
Nazibarbarei
Donnerstag, 26. Januar 2012
67. Jahrgang/Nr. 22 ● Berlinausgabe 1,50 €
*
STANDPUNKT
Also doch: LINKE bespitzelt
Dobrindts
Dilemma
Minister Friedrich log – Sieben Länder beobachten die Partei geheimdienstlich
Razzien gegen
Unterstützer
des Naziterrors
Von Wolfgang Hübner
Vier Männer im Visier
CSU-Generalsekretär
Alexander
Dobrindt, notorischer Lautsprecher der Radikalen Antikommunismus-Fraktion, fordert immer
wieder mal, ein Verbot der Linkspartei zu prüfen. Abgesehen von
der politischen Absurdität dieser
Idee könnte er jetzt ein formalrechtliches Problem haben. Denn
bekanntlich ist es sehr schwierig,
beim
Bundesverfassungsgericht
das Verbot einer Partei durchzusetzen, in der sich V-Leute des
Verfassungsschutzes tummeln.
Bisher ist nicht klar, ob und wie
viele Spitzel der Verfassungsschutz
in der LINKEN beschäftigt. Aber
aus der bunten Werbewelt wissen
wir: Nichts ist unmöglich. Nachdem die Überwachung eines guten
Drittels der Linksfraktion im Bundestag bekannt geworden ist, behaupteten Innenminister und Geheimdienstler zunächst, man werte nur öffentlich zugängliches Material aus. Warum der Geheimdienst tut, was jeder Archivar
kann, ist die eine Frage. Die andere Frage lautet: Stimmt das überhaupt? Offensichtlich nicht, denn
zumindest sieben Landesämter für
Verfassungsschutz gehen mit ihren
ganz speziellen Methoden auf die
LINKE los. Man wüsste gern die
Begründung, denn das Grundgesetz schützt weder die Regierungstätigkeit der etablierten Parteien aus der Alt-BRD noch den
Kapitalismus. Die bisherigen Enthüllungen über das Treiben des
Verfassungsschutzes, der sich aufführt wie ein Staat im Staate,
scheinen erst der Anfang zu sein.
Wen würde es wundern, wenn
demnächst das Thema V-Leute auf
die Tagesordnung käme?
Berlin (nd-Heilig). Nach sich mehrender Kritik an der schleppenden Aufklärung der Verbrechen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) fanden am Mittwoch in Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg
Razzien statt. Über 100 Polizisten der Länder
sowie des Bundeskriminalamtes durchsuchten zwei Geschäftslokale in Sachsen sowie drei
Wohnungen in Thüringen und Baden-Württemberg.
Die vom Generalbundesanwalt angeordneten Aktionen richteten sich nach nd-Informationen gegen vier mutmaßliche Unterstützer der Zwickauer Terrorzelle. Zwei der Beschuldigten sollen den inzwischen getöteten
Mitgliedern der NSU-Terrorzelle, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sowie der in Untersuchungshaft sitzenden Beate Zschäpe bereits
1998 Sprengstoff und eine Schusswaffe besorgt haben. Es bestehe der Anfangsverdacht,
dass sie den »NSU« auch danach unterstützt
haben. Die beiden anderen Beschuldigten sollen den Mitgliedern des »NSU« in den Jahren
2002 und 2003 »in Kenntnis der terroristischen Ziele der Gruppierung« mehrere
Schusswaffen verschafft haben.
Die Orte Laasdorf und Wolfersdorf waren
Ziele der Razzia in Thüringen. Man durchsuchte Wohnungen von Frank L. und Andreas
S. sowie den sogenannten Hasshof. L. ist in
der rechtsextremistischen Szene bekannt, er
war Besitzer eines einschlägigen »Modegeschäfts« in Jena. Auch in Dresden-Gorbitz
rückte die Polizei mit einem Großaufgebot an,
um eventuellen Widerstand zu brechen. Die
Durchsuchungsaktion in Baden-Württemberg
fand in Ludwigsburg statt. Gegen die neu hinzugekommenen Verdächtigen wurden nach
Angaben eines Sprechers keine Haftbefehle
beantragt. Dem »NSU« werden zehn Morde
sowie Bombenanschläge und Banküberfälle
zur Last gelegt. Am heutigen Donnerstag soll
im Bundestag die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Rechtsterrorismus
beschlossen werden.
Seite 5
Verfassungsschutz macht mehr als Presseschau ...
Von Uwe Kalbe
Die LINKE wird in sieben Bundesländern mit
geheimdienstlichen Mitteln überwacht. Damit
hat der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident am Mittwoch die Katze aus dem Sack
gelassen. Bundesinnenminister Friedrich hatte
bisher von Beobachtung allein durch Auswertung offener Quellen gesprochen.
In zwölf Ländern sowie im Bund wird die
Linkspartei vom Verfassungsschutz beobachtet. Und dann: »Sieben Länder beobachten mit nachrichtendienstlichen Mitteln
den ganzen Landesverband oder nur
Splittergruppen wie die Kommunistische
Plattform.« Mit diesem Eingeständnis hat
der oberste Verfassungsschützer in Niedersachsen, Hans-Werner Wargel, am
Mittwoch einen Blick auf das Ausmaß des
Skandals ermöglicht. Und er hat zugleich
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) deutlich korrigiert. Der hatte
bisher gesagt, es gebe keine Überwachung
mit nachrichtendienstlichen Mitteln, allein
offen zugängliche Quellen würden ver-
Unten links
Kurz vor der fünften Jahreszeit macht
sich Tristesse breit. Diverse Karnevalisten haben angekündigt, den
Bundespräsidenten zum Spottobjekt
zu machen. Kein Wunder, dass der
Aachener Karnevalsverein nicht mehr
weiß, wem er den Orden wider den
tierischen Ernst verleihen soll. Wer
macht zu Wulff noch einen Gag,
nachdem dessen Lächerlichkeit in allen Talkshows hoch- und runterbuchstabiert wurde – er sich höchstselbst zur Witzfigur macht? Da droht
Gähnen statt Gelächter. Weil auch
die Guttenberg-Nummer nicht mehr
zieht, sollten die Narren auf den
Bauminister zurückgreifen. Dessen
großer Schrecken samt bayerischem
Beißreflex beim Anblick der beiden
Leibhaftigen in Berlin sorgt garantiert für Riesengaudi. Weil Günstlingswirtschaft und Plagiat olle Kamellen im Kapitalismus sind, wäre
Ramsauers Möchtegern-Denkmalsturm süße Abwechslung. Und in der
CSU wüssten sie womöglich wirklich
nicht, ob Marx und Engels noch oder
schon wieder da sind.
oer
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ISSN 0323-4940
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nd-Foto: Camay Sungu
wendet. Dies wird einer für den heutigen
Donnerstag vorgesehenen Aktuellen Stunde zusätzlichen Zündstoff geben. Und auch
das: Die Verfassungsschutzakte zu Fraktionschef Gregor Gysi enthält nachrichtendienstlich beschaffte Unterlagen. In einem
Schreiben des Bundesinnenministeriums
an das Verwaltungsgericht Köln wird erklärt, warum Gysi Teile der Akten vorenthalten wurden und viele Seiten geschwärzt
sind. »Bei Blatt 18 bis 24 handelt es sich
um eine Übersendung von nachrichtendienstlich beschafften Unterlagen an das
BfV«, zitiert dpa aus dem Schreiben.
Bundesinnenminister Friedrich hatte
bereits begonnen abzuwiegeln, ihm erschien die ganze Debatte »hochgezogen«.
Die Linkspartei, die ja bereits seit 16 Jahren beobachtet werde, sehe offensichtlich
einen günstigen Moment gekommen, um
sich der Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entziehen, sagte er am
Mittwoch im Deutschlandfunk. »Aber das
wird ihr nicht gelingen.« Vorsitzende Gesine Lötzsch nennt die Äußerungen des
Ministers, wohl auch mit Blick auf seinen
vorhergegangenen Vergleich mit der Beobachtung der NPD, »unter der geistigen
Armutsgrenze«. Friedrich sei dabei, mit
dem Holzhammer die Verfassung zu zertrümmern. Immerhin ließ Friedrich am
Mittwoch ein klein wenig Bewegung erkennen. Er kündigte eine Überprüfung der
Liste der 27 beobachteten Abgeordneten
an. Zu den Kriterien für eine Beobachtung
gehöre eine herausgehobene Funktion
oder Mitgliedschaft in einer »offen extremistischen Teilvereinigung«.
Gysi kann das nicht besänftigen. Kein
Abgeordneter der Fraktion sei als extremistisch einzustufen. Gegenüber dem
Bundesverfassungsgericht will er auf die
Dringlichkeit dort anhängiger Klagen der
LINKEN verweisen. Gysi sieht Grund zur
besonderen Eile. Die Chancengleichheit
der Parteien sei nicht mehr gewahrt, denn
es würden nicht nur Wähler der LINKEN
abgeschreckt, sondern auch potenzielle
Mitglieder, mit Folgen unter anderem für
die Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Diese richtet sich auch nach
der Summe der Mitgliedsbeiträge. Seite 2
.
Freude, Prügel und Protest
Ägypter begehen Jahrestag der Erhebung – auf unterschiedliche Weise
Von Roland Etzel
Mit Demonstrationen und Freudenfeiern erinnerten Hunderttausende Ägypter an den Beginn der
Revolution vor einem Jahr. Doch es
kam vereinzelt auch zu Zusammenstößen zwischen Anhängern
der Militärregierung und denen,
die mit ihr unzufrieden sind.
Sehr viele Ägypter, vor allem
junge Leute in den Metropolen
Kairo und Alexandria, werden
am gestrigen Mittwoch mit sich
im Zwiespalt gewesen sein:
Sollten sie den Beginn der
friedlichen Proteste gegen die
Regierung heute vor einem Jahr
feiern, die zwei Wochen später
mit dem Sturz von Präsident
Husni Mubarak endeten? Oder
doch besser für die Fortsetzung
der von der Militärführung ver-
Für Anhänger der islamischen Parteien ein Freudentag Foto: dpa/ Omar
einnahmten Revolte demonstrieren?
Hunderttausende entschieden sich für beides. Die größte
Manifestation gab es auf dem
Kairoer Tahrir-Platz (Platz der
Befreiung). Dort hatte der Protest, inspiriert vom Umsturz in
Tunesien, vor einem Jahr seinen Ausgang genommen.
Bis zum Nachmittag blieb es
den Berichten zufolge überall
weitgehend friedlich. In bester
Feierlaune waren vor allem die
Anhänger der bei den gerade
abgeschlossenen Parlamentswahlen siegreichen islamisch
geprägten Parteien. Diese waren zu Zeiten der Herrschaft
Mubaraks die meiste Zeit verboten, taten wenig für dessen
Sturz, verfügen aber jetzt dennoch über mehr als zwei Drittel
der Parlamentssitze. Für sie ist
die Revolution abgeschlossen.
Nicht so für die sogenannte
Revolutionsjugend. Ihre Losungen lauteten »Nieder mit der
Militärherrschaft« und eben:
»Die Revolution ist noch nicht
zu Ende.« In Kairo und Alexandria kam es deshalb zu Prügeleien mit Anhängern der
Muslimbruderschaft.
KURZ
Uran in Tschechien entdeckt
Prag (dpa). In Tschechien sind im Bergwerk
Dolni Rozinka Uranvorkommen entdeckt
worden, die den Abbau des radioaktiven Rohstoffs der Atomindustrie für mindestens weitere fünf Jahre sicherstellen. Probebohrungen ließen auf Vorkommen mit einem Wert
von bis zu 100 Millionen Euro schließen, teilte der Chef der staatlichen Fördergesellschaft Diamo am Mittwoch mit.
Russland als Syrien-Vermittler
Moskau (dpa). Im Syrien-Konflikt hat sich
Russland als Gastgeber für einen möglichen
Dialog der Gegner in dem arabischen Land
ins Spiel gebracht. »Es ist wichtig, alle Gruppen an den Verhandlungstisch zu bekommen«, sagte Außenminister Sergej Lawrow
am Mittwoch in Moskau.
Seite 7
Milliardenübernahme in Sicht
Basel (dpa). In der Pharmabranche bahnt
sich eine Milliardenübernahme an: Der
Schweizer Pharmakonzern Roche will den
amerikanischen Gentechnikspezialisten Illumina gegen den Willen der Führungsspitze
des US-Konzerns für 5,7 Milliarden Dollar
kaufen.
Neuer Bankenrettungsfonds
Berlin (dpa). Der zweite staatliche Bankenrettungsfonds kann starten. Der Haushaltsausschuss des Bundestages billigte am Mittwoch in Berlin die Reaktivierung des 2010
ausgelaufenen Hilfsfonds Soffin im Umfang
von 480 Milliarden Euro.
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