DirectExpert – Teil 2 Strategische Bedeutung des DM Ausgabe Februar 2014 1 Vom Denken in Produkten zum Denken in Beziehungen Das Marketing befindet sich in einer Phase der strategischen Neuorientierung, der ein Wechsel von einer produktorientierten zu einer beziehungsorientierten Ausrichtung der Unternehmen zu Grunde liegt. Von Taktik zu Strategie Von der Masse zum Individuum Wie nie zuvor hat sich in den letzten Jahren die Bedeutung des Direct Marketings gewandelt. Überwog in der klassischen Marketing-Lehre bisher die Ausrichtung auf die Neukundengewinnung, ist heute unbestritten die Wichtigkeit und der Wert einer Beziehung zu bestehenden Kunden der Leitgedanke bei strategischen Unternehmensüberlegungen. Denn die Höhe der Erträge hängt von der Beziehung des einzelnen Käufers zu einem Produkt einer Marke und/oder einem Unternehmen ab. Zur Ertragsoptimierung gilt es deshalb, die Käufer als Individuen mit differenziertem Potenzial und unterschiedlicher Rentabilität zu bewerten. Immer mehr Informationen sind in unternehmens­ eigenen oder extern zugänglichen Datenbanken vorhanden. Dies führt dazu, dass Zielgruppen bis hin zur Einzelperson immer exakter segmentiert, bedeutend genauer bestimmt und angesprochen werden – ob bei der Neukundengewinnung oder dem Kundenbeziehungsmanagement. Der strategische Einsatz von Direct Marketing schafft die Voraussetzung für ein wirksames und erfolgreiches Marketing. «Permission Marketing» Mehr zu diesem Thema in den Kapiteln 4.1.3 und 4.2. Diese gezielte und effektive Ausrichtung auf einzelne Personen und Personengruppen ist die Haupt­ ursache dafür, dass sich das Direct Marketing von einem ausschliesslich taktischen Instrument zu einem Instrument mit strategischer Bedeutung entwickelt hat. Parallel dazu verlagerte sich zudem die Gewichtung vom Einzelverkauf von Produkten zu einem kontinuierlichen Management der Beziehungen zu einzelnen Marktpartnern. Die Wandlung des Direct Marketings vom taktischen zum strategischen Ins­ trument widerspiegelt sich auch in den wichtigsten aktuellen Marketing-Themen: CRM, Loyalty, Database Management u. a. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass diese auf einzelne Marktseg­ mente sowie -partner ausgerichtet sind und dass Direct Marketing dabei eine zentrale Rolle spielt. Von Einzelmassnahmen zu Prozessen Eine Folge der zunehmend strategischen Rolle des Direct Marketings ist, dass Einzelmassnahmen neu zu Einsatzinstrumenten innerhalb von Prozessen werden. Sollte früher ein isoliertes adressiertes Mailing zum Beispiel Probefahrt-Interessenten gewinnen, ist diese Aktion heute Teil eines Programms. Denn nicht nur für die kurzfristige, sondern auch für die strategische Zielerreichung erweist sich die mehr­ stufige, kontinuierliche und direkte Ansprache von einzelnen Personen oder kleinen Clustern als un­ erlässlich. Aber auch die Informationsüberlastung der Zielgruppen, die Vielfalt sowie die Komplexität der Medien und der Angebote zwingen Unternehmen zu einem prozessorientierten Einsatz ihrer Kommunikationsinstrumente. Die Vorteile von Direct-Marketing-Programmen bestehen darin, dass mit der Möglichkeit, einzelne Personen gezielt anzusprechen, klassische Kam­ pagnen unterstützt und in konkrete Resultate umgewandelt werden können. Sowohl qualitativ als auch quantitativ. Denn stimmen Inhalt und Form dieser Ansprache mit dem ZielpersonenSegment genau überein, zeigt eine Kommuni­ka­ tionsmassnahme mit direkter Ansprache im Vergleich zur Massenansprache ein Mehrfaches an Wirkung. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2 Einleitung zum Teil 2 | 2 Von oben nach unten Strategien bauen auf Visionen und sind Aufgabe der Unternehmensführung. Die neue strategische Rolle des Direct Marketings muss demzufolge von der Unternehmensführung innerhalb von Mass­nahmenplänen und Infrastrukturen definiert sowie implementiert werden. Vor allem um­fas­sende strategische Programme wie z. B. das CRM bedürfen einer starken Führung durch das Top-Management. Strategien dienen im taktischen und operativen Bereich als Leitplanken, die helfen, die einzelnen Direct-Marketing-Massnahmen im Sinne der Gesamtziele auszurichten. Da diese DM-Massnahmen durch den Prozessansatz meist mehrere Stellen eines Unternehmens involvieren, wie z.B. IT, Verkauf, Marketing oder Kundendienst, verbessern sie zudem den internen Informationsfluss. Entsprechend der wachsenden strategischen Be­ deutung des Direct Marketings für den gesamten Unternehmenserfolg wird die Fähigkeit, die DM-Instrumente zu beherrschen, über «win or lose» entscheiden. Auf die personellen Marketing gestern Ressourcen wie Know-how und Kapazitäten hat diese Erkenntnis ebenso Auswirkungen wie auf die infrastrukturellen Ressourcen wie Datenbanken, Analysetools, Call Centers, Fulfillment und anderes mehr. Direct Marketing, die strategische Herausforderung für das Management jedes Unternehmens – mehr dazu auf den folgenden Seiten. Direct Marketing – die Definition Die Definition von Dr. Heinz Dallmer (ehemaliger Geschäftsführer Bertelsmann Datenmanagement, Gütersloh), welche in wenigen Worten die strategische Wichtigkeit aufzeigt, bewahrt seit Jahren ihre Gültigkeit: «Direct Marketing umfasst alle marktgerichteten Aktivitäten, die sich der direkten Kommunikation und/oder des Direktvertriebs bzw. Versandhandels bedienen, um ihre Zielgruppe persönlich und indi­ viduell anzusprechen. Ferner schliesst es marktgerichtete Aktivitäten ein, die sich aufgrund der Absicht, einen direkten, individuellen Kontakt herzustellen, der mehrstufigen Kommunikation bedienen.» Marketing morgen Läden und Standorte als wichtigste Aktivposten Kunden als wichtigste Aktivposten Massen-Marketing «One-to-Many» Massen-Treueschaffung «One-to-One» Umsatzerzeugung und Kundendurchsatz gesamter Lebenswert des Kunden Einzelartikel und Produktrentabilität Rentabilität kommt vom Kunden und seinem Einkaufskorb Anbieten eines Sortiments Anbieten von (Problem-) Lösungen und Erfahrungen der Handel als einziger Zugangskanal zu Produkten viele Zugangsmöglichkeiten richtiges Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort alles, überall, zu jeder Zeit monolithisches Angebot für den Kunden Option vielfältiger Beziehungen Verfügung über Artikelumsätze Wissen, was von wemund warum gekauft wurde Marketing als Zusatzleistung Marketing als Kernpotenz des Unternehmens niemand in der Unternehmensorganisation (unterhalb der Chef-Ebene) «besitzt» den Kunden gesamte Organisationsform des Unternehmens stellt den Kunden ins Zentrum Quelle: The Coca-Cola Retail Research Group Europe, Coopers & Lybrand Wie wichtig Direct Marketing ist, zeigt diese Grafik, welche auf die veränderte Marktsituation eingeht. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2 Einleitung zum Teil 2 | 3 Loyalität im Zentrum Der gezielte Dialog mit den Marktteilnehmern ist eine der wichtigsten Grund­lagen für die strategischen Unternehmenserfolge der Gegenwart und der Zukunft. Denn je intensiver die jeweilige Beziehung zum Kunden ist, desto loyaler gibt er sich. So kann das Ertragspotenzial jedes einzelnen Kunden optimiert und ausgeschöpft werden. In der strategischen Unternehmensführung übernimmt Direct Marketing bereits heute verschiedene zentrale Aufgaben und Rollen: DM ermöglicht nicht nur einen direkten Beziehungsaufbau zwischen Unternehmen und Marktpartnern, sondern auch die individuelle Pflege und Be­wirtschaftung der auf­­ge­bauten Beziehungen. Direct Marketing Dank entsprechender Infrastruktur wie Data Warehouse und Analysetools können homogene Kunden- und Interes­ sentengruppen gebildet und selektiert werden. Die einzelnen Segmente bilden – unter Berück­sichtigung ihres Poten­zials und Verhaltens – die Grundlage für eine zielgruppengerichtete Kommunikation. Nur mit DM können Umfang und Inhalt der Kommunikation individuell auf jeden einzelnen Ansprechpartner aus­ gerichtet werden – abgestimmt auf dessen Wünsche und dessen aktuelles sowie zukünftiges Potenzial für das Unternehmen. Die Kernaufgabe des strategischen Direct Mar­ ketings liegt zweifellos im Management von Beziehungen – wobei sich eine Beziehung aus vielen Variablen zusam­mensetzt. Einige davon sind z. B.: – Bedürfnisse der Kunden, Interessenten oder Beeinflusser –Potenzial der Kunden oder Interessenten –bisherige Kontakte und Reaktionen auf Dialogmassnahmen –Art und Weise, wie der individuelle Marktpartner die abgegebenen Informationen nutzt Da sich Beziehungen dynamisch entwickeln, müssen die Grundlagen für die jeweiligen Inhalte laufend neu analysiert und definiert werden. Nur so lässt sich eine Lernkurve erzielen. Eine Lernkurve, die auf Kundenseite u. a. eine intensivere Produktkenntnis, eine Vertrautheit mit den Angebotsvorteilen wie auch eine Verankerung des Images mit sich bringt. Und auf Seite des Unternehmens u. a. bedeutet, die Bedürfnisse und Wünsche des Kunden besser zu erfassen, Wissen über die effizientesten Ansprech­ formen zu generieren und in Erfahrung zu bringen, welches beim Kunden die individuellen Handlungsauslöser sind. Eine Kommunikation, welche die verschiedenen Variablen einer Beziehung berücksichtigt, erreicht eine gesteigerte Wahrnehmung der Kommunikationsinhalte und eine unmittelbare Reaktion. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.1 DM als Strategiekonzept | 4 Loyalität – ein Ziel des strategischen Direct Marketings «Treue Kunden» Mehr zum Thema Kundenbindung im Kapitel 2.2.2. Treue Kunden sind für Unternehmen eine wichtige Erfolgsgrösse, denn: – sie kaufen mehr – sie zeichnen sich durch eine höhere Verbun­ denheit aus – sie weisen eine steigende Rentabilität auf – sie sind die besten Botschafter einer Marke – sie verzeihen eher Fehler Loyale Kunden sind gewinnversprechender Loyalität ist keine einheitliche Grösse, sondern entsteht auf verschiedenen Ebenen, deren wichtige Pfeiler «die Marke» und «die Beziehung» sind. Ihre Masseinheit ist im vereinfachten Sinn die Inten­ sität der Kunden- bzw. Interessentenbeziehung zum Unternehmen, zum Produkt oder zur Marke. Zu beachten ist aber, dass absolute Loyalität kaum existiert; die Kunden verhalten sich hybrid und probieren immer wieder neue Marken. Je intensiver aber die Beziehung, desto grösser ist die Loyalität – und desto kleiner die Gefahr, dass sich der Kunde oder Interessent dauerhaft der Konkurrenz zuwendet. Die Pfeiler der Loyalität Loyalität Branding Beziehung Die Gesamtheit der Wahrnehmungen einer Marke ergibt das individuelle Bild (Image) der Marke, welche diese in der Werteskala des einzelnen Marktteilnehmers positioniert. Die Inhalte (primär die inhaltliche Relevanz für den Adressaten) und die In­ten­sität der direkten Kom­munikation zwischen der Marke und dem Kunden, Interessenten oder weiteren Marktpartnern bestimmen die Stärke der Beziehung. Presence Die Marke ist dem Kunden vertraut, er hat sie probiert, kann sie spontan nennen oder kennt deren Leistung. Relevance & Performance Der Konsument ist überzeugt, dass die Marke seine Bedürfnisse decken kann. Advantage Der Konsument stuft die Leistungen der Marke emotional höher ein als jene anderer Marken. Bonding Der Konsument bewertet die Loyalitätsattribute einer Marke im Vergleich zu anderen höher – im Speziellen jene, die für die Wahl der Marke von grosser Wichtigkeit sind. Branding als Aufgabe des Loyalty Managements Nebst der Intensität der Beziehungen bestimmt vor allem auch das Image einer Marke die Loyalität des Marktpartners. Das Image einer Marke wird unter anderem mit kontinuierlichen Branding-Massnahmen (z. B.Imagekampagnen, Public Relations, Social Media Engagement usw.) erreicht. Mit Direct Marketing hingegen lässt sich – aufbauend auf diesem Image – zu jedem Marktteilnehmer eine indi­viduelle und intensive Beziehung schaffen und unterhalten. Diese intensive Beziehung unterstützt den Kunden darin, sich mit der «Persönlichkeit» der Marke zu identifizieren. Was ist eine Marke? Die Marke (Brand) dient zur Identifikation eines Produktes (und einer Dienstleistung) und soll eine klare Differenzierung gegenüber Konkurrenzerzeugnissen ermöglichen (Pflaum/Bäuerle/Laubach: Lexikon der Werbung, verlag moderne industrie AG). Eine Marke kann sowohl für ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Unternehmen stehen. Die Stufen der Loyalität Kundentreue lässt sich in verschiedene Stufen unterteilen, wie z. B. das Loyalty-Ladder-Modell von OgilvyOne worldwide zeigt, welches fünf Loyalitätsstufen definiert: No presence Die Marke ist dem Konsumenten kaum bekannt, er hat sie nie probiert, kann sie nicht spontan nennen oder kennt deren Leistung nicht. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.1 DM als Strategiekonzept | 5 Ohne Kunden kein Erfolg Sowohl die Gewinnung neuer Kunden wie auch die Pflege von bestehenden Kunden müssen in jedem modernen Unternehmen als parallele Prozesse im Zentrum aller wirtschaftlichen Bemühungen stehen. Insbesondere gewerbliche Betriebe kannten früher ihre Kunden genau und standen mit ihnen in direktem Kontakt. Mit der industriellen Massenproduktion verlor sich aber die Orientierung nach dem Kunden: Die Herstellung der Produkte übernahm die zentrale Rolle. Die Hauptaufgaben des Marketings beschränkten sich auf die Vermarktung. Heute besteht eine wichtige Kernkompetenz des modernen, marktfähigen Unternehmens nicht mehr allein darin, die Herstellungsprozesse von Produkten und Dienstleistungen zu beherrschen. Dies ist Voraussetzung. Vielmehr liegt die Aufgabe auch in der Gestaltung der Beziehungen zu den verschiede­ nen Marktteilnehmern. Diese Beziehungen lassen sich grundsätzlich unterteilen in: – Beziehungsaufbau (Kundengewinnung) – Beziehungspflege (Kundenbindung) Beziehungsaufbau – Kundengewinnung «Kundengewinnung» Mehr zu diesem Thema auf den folgenden Seiten im Kapitel 2.2.1. Zum Beziehungsaufbau gehören sämtliche Mass­ nahmen zur Identifikation, Kontaktaufnahme und Gewinnung von Interessenten und Erstkunden (Customer Acquisition). Die Kundengewinnung bildet in der klassischen Marketing-Lehre die Hauptausrichtung des Marketing-Mix. Customer Life Cycle Customer (Re)Acquisition Churn Prevention Kundengewinnung Customer Relation Customer Extension Kundenbindung Parallele Prozesse Mit einer ausschliesslichen Ausrichtung auf Kundengewinnung besteht auf Dauer keine Aussicht auf Erfolg. Ebenso wenig mit einer alleinigen Ausrichtung auf Kundenbindung. Für einen langfristigen Unternehmenserfolg müssen Kundengewinnung und Kundenbindung parallele Prozesse bilden. Nur so ist sichergestellt, dass die trotz bester Kundenbindungsstrategien in jedem Fall erfolgenden Kundenverluste kompensiert werden können. Beziehungspflege – Kundenbindung «Kundenbindung» Mehr zu diesem Thema im Kapitel 2.2.2. Sämtliche Massnahmen, die der Pflege einer Be­­ziehung dienen, werden heute unter dem Begriff Kundenbindung zusammengefasst. Dieser bein­haltet verschiedene Phasen: Customer Relation (die eigent­liche Kundenbindung), Customer Exten­­sion (die Werterhöhung des Kunden) und Churn Prevention (Verhinderung des Kunden­ verlustes). In modernen Unternehmen rückt die Kunden­bindung immer mehr ins Zentrum des Marketings. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung | 6 Neue Kunden: Akquisition und Beziehungsaufbau Trotz den neuesten Entwicklungen im Marketing, welche zunehmend die Kundenbindung ins Zentrum stellen, ist die Kundengewinnung nach wie vor eine Aufgabe mit strategischer Bedeutung. «Dialogmedien» und «adressierte Mailings» Mehr zu diesen Themen in den Kapiteln 3.2.2 und 3.2.9. Das Individuum im Zentrum Jedes Unternehmen ist auf die Gewinnung neuer Kunden angewiesen. Zum einen wollen viele Unternehmen wachsen; zum anderen müssen Kundenverluste ausgeglichen werden. Diese können vielfältige Gründe haben, z. B. Unzufrie­ denheit mit bestehenden Produkten, Verlagerung der Interessen usw. Customer Life Cycle Customer (Re)Acquisition Churn Prevention Customer Relation Customer Extension Die erste Phase jeder zukünftigen Kundenbeziehung: die Kundengewinnung. Bereits hier entscheidet sich durch eine selektive Akquisition die Wirtschaftlichkeit der zukünf­tigen Massnahmen. Kundenbindung muss zunehmend selektiver erfolgen. Dies hat mehrere Gründe: – Die Gewinnung neuer Kunden ist meistens ein Prozess, der je nach Beteiligten unterschiedlich gestaltet werden muss. – Beschränkte Ressourcen (Finanzen, Personal) machen ein selektiveres Vorgehen notwendig. – Nicht alle Neukunden werden gleich profitable Stammkunden; dank neuen Analyse- und Prog­ nosemodellen können zukünftig profitable Kunden bereits in einem frühen Stadium erkannt und bearbeitet werden. Diese Entwicklung hat auch die Rolle der Medien gewandelt, welche zur Kundengewinnung eingesetzt werden. In einer ersten Phase der Kundengewinnung spielen weiterhin breit streuende Medien wie Print­ medien und TV und seit einiger Zeit auch Suchmaschinenmarketing eine zentrale Rolle. Werden diese als Dialogmedien genutzt, gilt es, möglichst rasch Interessenten zu lokalisieren und diese mit Mitteln des Direct Marketings individuell zu bearbeiten. In klar selektierbaren Märkten werden vor allem adressierte Mailings als Erstkontaktmedium eingesetzt. Von der Masse zum einzelnen Kunden «Neukunden­ gewinnungsprozess» Mehr zu diesem Thema im Onlinekurs «Kundengewinnung» auf www.post.ch/ dm-onlinekurse oder www.post.ch/onlinekurskundengewinnung Der Neukundengewinnungsprozess filtert aus der relevanten Grundgesamtheit diejenigen Interessenten und Neukunden heraus, welche für das Unternehmen von Bedeutung sind. Dabei werden Kommunikationsmittel eingesetzt, die von Schritt zu Schritt individuellere Ansprachen ermöglichen. Kommunikationsmittel je unselektierter ein Segment, desto notwendiger sind breiter streuende Kommunikationsmittel; je selektiver und individueller, desto wirksamer sind Kommunikationsmittel mit direkten Ansprachemöglichkeiten (z. B. adressierte Mailings, E-Mailings und Telefon) Grundgesamtheit potenzielle Kunden Kundengewinnungs­prozess von Stufe zu Stufe Ansprache von feiner selektierten Segmenten – bis hin zum einzelnen Neukunden Interessenten gewonnene Neukunden 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.1 Kundengewinnung | 7 Neukunde ist nicht gleich Neukunde «Return-onInvestment» Eine Vorlage zur Rentabi­ litätsbeurteilung finden Sie auf www.post.ch/ directpoint unter Checklisten & Vorlagen -> Checklisten -> Erfolgkon­trolle Die Kundengewinnung muss ein Auswahlprozess sein, denn nicht alle potenziellen Neukunden sind für ein Unternehmen von gleichem Interesse. Manchmal sind es z. B. Imagegründe, die gegen das Gewinnen bestimmter Segmente sprechen, oder zu hohe mögliche Kosten zur Gewinnung bestimmter Kundenkreise. Neu in diesem Zusammenhang sind die Möglichkeiten der Analyse und Prognose von Neukundenprofilen. Durch Vergleiche der Profile von bestehenden (profitablen und unprofitablen) Kunden mit denjenigen potenzieller Neukunden lassen sich erste Rückschlüsse auf ihre wahrscheinliche Profitabilität ziehen. Damit kann erreicht werden, dass bereits in einer sehr frühen Phase des Kundengewinnungsprozesses die Mittel nur für diejenigen identifizierten Neukunden eingesetzt werden, bei denen auch ein positiver Return-on-Investment erwartet werden darf. Prozessbestimmende Einflussfaktoren Je nach Art des Produkts und je nach Positionierung des Unternehmens, dessen Produkten und Marken, benötigt die Kundengewinnung ein einfaches oder mehrstufiges Konzept. Die wichtigsten Faktoren für den Umfang und den Inhalt der einzelnen Stufen: – Die Intensität des Kaufentscheids: Produkte mit Spontankaufcharakter (z. B. Güter des täglichen Bedarfs, tiefpreisige Modeartikel usw.) benötigen keinen mehrstufigen Prozess – im Gegensatz zu Produkten, bei welchen ein intensiver Prozess dem Kaufentscheid vorgelagert ist (z. B. bedingt durch die Höhe des Anschaffungspreises). – Die Persönlichkeit der Marke: Ist sie bekannt und in den Augen des potenziellen Neukunden attraktiv, besteht ein höheres Vertrauen in das Angebot des Unternehmens resp. besteht eine grössere Grundattraktivität des Angebots? – Die Erklärungsbedürftigkeit des Angebots: Ist zu dessen Beurteilung Wissen notwendig, welches einen vorgelagerten, mehrstufigen Lernprozess verlangt? – Die bisherige Beziehung zwischen Unternehmen/Marke und dem potenziellen Neukunden: Hat er sich bereits über das Angebot informiert? Kennt er eine Person in seinem Umfeld, welche die Marke bereits nutzt? Hat er eventuell das Angebot bereits einmal getestet? – Die Kosten der Kundengewinnung: Macht beispielsweise der Einsatz des kostenintensiven Aussendiensts eine sorgfältige Selektion bereits zu einem frühen Zeitpunkt notwendig? Die Phasen des Kundengewinnungsprozesses Grundsätzlich lassen sich mehrstufige Kundenge­ winnungsprozesse aus Sicht des Unternehmens modellhaft in folgende wesentliche Aktivitätsphasen einteilen: Grundvoraussetzung: Bekanntheit/Attraktivität/Image Jedes erfolgreiche Produkt benötigt eine klare Identität als Basis für die Gewinnung von neuen Kunden. Das Schaffen dieser Grundlage ist zentrale Aufgabe der klassischen Kommunikation. Identifikation und Generierung von Interessenten Aus der Grundgesamtheit der potenziellen Kunden werden mit (meist breit streuenden) Werbemitteln, die eine Reaktionsmöglichkeit beinhalten (z. B. Couponinserate, TV-Spot mit Telefonnummer, unadressierte Streuwerbung, Banner-Kampagnen usw.), erste Interessenten gewonnen. Erster Direktkontakt und Folgekontakte Die gewonnenen Interessenten werden mit speziellen Informationen weiter über das Angebot informiert. Dazu werden meistens adressierte Mailings eingesetzt, vermehrt aber auch E-Mails oder Telefonanrufe. Kaufangebot Ein konkretes Angebot soll den Interessenten zu einem Erstkauf bewegen. Das Kaufangebot wird vielfach in den Erstkontakt integriert oder mittels einer separaten Massnahme (beispielsweise auch durch Telefon oder E-Mail und Internet) kommuniziert. Nachfassen Durch konsequentes Nachfassen (z. B. mit adressierten Mailings, per E-Mail und/oder Telefonanrufen) bei Nicht-Reagierern kann die Erfolgsquote wesentlich erhöht werden. After Sales Mit Bestätigungsmassnahmen nach dem Kauf (z. B. durch Überführung in ein Kundenbindungsprogramm oder individuelle Kundenpflegemassnahmen) wird die Beziehung weiter gefestigt. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.1 Kundengewinnung | 8 Kundengewinnungsprozess Identifikation der potenziellen Neukunden und Interessentengenerierung Erster Direktkontakt Kaufangebot Folgekontakt Nachfassen After Sales Kauf Einige modellhafte Beispiele von Kundengewinnungsprozessen Von Stufe zu Stufe fallen Personen weg, welche kein Interesse haben oder kein Potenzial aufweisen. Dadurch weisen die Personen, die übrig bleiben, eine zunehmende Erfolgswahrscheinlichkeit für Verkäufe auf. z. B. für ein Babypflegeprodukt Interessenten­ generierung Erster Direktkontakt, Kaufangebot Nachfassen (Couponinserate in Spe­cialInterest-Medien und Online-Massnahmen sowie Mobile Marketing auf zielgruppenaffinen Websites, in Foren, Blogs usw.) Schaltung von Coupon­ inseraten und Bannern über welche ein Muster bestellt werden kann. (Adressiertes Mailing an Interessentinnen) Die Interessentin erhält das Produktmuster mit einer Vorzugskarte für den Kauf weiterer Produkte im Fachhandel. (Adressiertes Mailing an Nicht-Nutzerinnen des Vorzugsangebots) Nochmalige Zusendung Vorzugskarte und Hinweis auf After-Sales-Vorteile. Interessenten­ generierung Erster Direktkontakt Folgekontakt Kaufangebot (Inserate, adressierte Mailings an Fremd­ adressen, jeweils mit Angabe der Inter­netAdresse, Banner) Der Konsument er­hält das Angebot, Infor­ mationen über die Modelle zu bestellen. (Adressiertes Mailing oder E-Mail an Interes­ senten) Zusendung der bestell­ ten Prospekte phy­sisch oder elektronisch sowie einer Einladung zur Probefahrt (ver­bun­ denmit Wettbe­werb). (Telefon) Interessenten, welche keine Probefahrt un­ternommen haben, werden nochmals dazu eingeladen (Hinweis auf Wett­bewerb). (Adressiertes Mailing oder E-Mail an Probefahrer) Abfrage der Probe­ fahrteindrücke mittels Fragebogen (inkl. Modell­präferenz und voraussichtlichem Zeitpunkt Neukauf); Angebot für eine Kaufofferte inkl. Eintausch­offerte für aktuelles Fahrzeug. After Sales Kauf (Adressiertes Mailing an alle Neukundinnen) Angebot von kosten­ losem Beratungstelefon für Kinder­ pflegefragen und Möglichkeit, E-MailNewsletter zu abon­ nieren. z. B. für Personenwagen 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.1 Kundengewinnung | 9 Nachfassen After Sales After Sales (Telefon oder E-Mail an Nicht-Reagierer) Abfrage Eindrücke Probefahrt und Zeitpunkt Neukauf; Angebot für Kauf- und/ oder Eintauschofferte für aktuelles Fahrzeug. (Adressiertes Mailing an Käufer) Dankesbrief unmittelbar nach Kauf; Zusendung kleines Geschenk. (Adressiertes Mailing oder E-Mail an Käufer) Frage­bogen bzgl. Zufriedenheit Auto und Service, 60 Tage nach Kauf. An­gebot, E-MailNewsletter zu abonnieren. Kauf z. B. computergesteuerter Webstuhl Interessentengenerierung Erster Direktkontakt Kaufangebot Nachfassen (Adressiertes Mailing) Der zuständige technische Leiter erhält die Möglichkeit, einen Aussendienst­ besuch anzufordern. (Aussendienst) Die Fachperson wird persönlich über die Leistungen/Vorteile der Produkte informiert. (Aussendienst) Der tech­nische Leiter kann sich ein technisches Konzept und eine Offerte für eine individuelle Lösung erstellen lassen. (Adressiertes Mailing oder E-Mail) Einladung an den tech­ni­ schen Leiter, zusammen mit anderen Entscheidern eine vergleichbare Instal­ lation zu besichtigen. Nachfassen Nachfassen Nachfassen (Aussendienst) Telefonisches Nachfassen wegen der Besichti­gungs­ einladung inkl. Abfrage Zwischenstand Offerte. (Adressiertes Mailing oder E-Mail) Zusendung von ent­ sprechenden Fachzeit­­­schrif­­­ten-Beiträgen über die relevanten Webstühle an techni­schen Leiter und Ent­scheider. (Aussendienst) Übergabe der nach Verhandlungen überarbeiteten Offerte. After Sales After Sales (Telefon) Der CEO bedankt sich beim technischen Leiter für den Kauf des Webstuhls. (Adressiertes Mailing oder E-Mail) Der technische Leiter und die anderen Entscheider erhalten eine Einladung zum Start der Installationsarbeiten. Kauf/ Abschluss 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.1 Kundengewinnung | 10 Bestehende Kunden: Geschäftserfolg durch Beziehungspflege «Bestehende Kunden» Mehr zu diesem Thema im Onlinekurs «Kundenbindung» auf www.post.ch/ dm-onlinekurse oder www.post.ch/ onlinekurs-kundenbindung Die Pflege bestehender Kunden sollte im Marketing erste Priorität geniessen. Denn es ist im Hinblick auf die Marketing- und Werbeinvestitionen wesentlich günstiger, mit bestehenden Kunden den Umsatz zu steigern als neue Kunden zu gewinnen. Die aktive Gestaltung der Beziehung zu bestehenden Kunden rückt damit in den Vordergrund des modernen Marketings. Im letzten Jahrzehnt haben sich die Parameter der Wirtschaft deutlich verändert. In der Vergangenheit waren viele Märkte von einem Nachfrageüberhang geprägt. Dementsprechend konnten sich die Unter­ nehmen auf die Produktion, das Abwickeln von Be­stellungen und Lieferungen konzentrieren. Heute präsentiert sich die Situation unter umgekehrten Vor­zeichen. Die Anbieter und Angebote haben sich vervielfacht, die Produkte und Dienstleistungen sind zunehmend austauschbar und im digitalen Zeit­alter für jeden jederzeit vergleichbar geworden. Der Konsument hat die Wahl. Er wird massiv um­ worben und kann sich vor jeder Kaufentscheidung dank dem Internet anonym informieren und für einen anderen Anbieter entscheiden, ohne dadurch Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Eine Folge davon ist in den meisten Märkten eine tendenziell abnehmende Kun­dentreue. Nicht alle Kunden sind gleich profitabel Aufgrund der permanent angespannten Wett­­be­werbs­situation muss deshalb der Bindung beste­­hen­der Kunden durch eine systematische und kontinu­ier­liche Pflege der Kundenbeziehung ein hoher Stel­lenwert eingeräumt werden. Denn bestehende Kunden repräsentieren ein permanent vorhan­denes Potenzial. Dieses kann durch geeignete Marketingmassnahmen mit vergleichsweise geringem Aufwand genutzt werden. Das Fazit: Treue Kun­den sind rentab­lere Kunden. Selektion nach Kaufintensität: – E inmalkunden – u nregelmässige Kunden – r egelmässige Kunden – S tammkunden Bestehende Kunden sind dem Unternehmen bekannt. In der Regel stehen Informationen über Bedürfnisse, Einkaufsverhalten und Entwicklungspotenzial des einzelnen Kunden zur Verfügung. Die Ausgangslage für den Aufbau eines Dialogs ist somit gegeben. Mit Direct Marketing als idealem Instrument kann der Dialog aufrechterhalten und intensiviert werden. Da die Gesamtheit der Kunden eines Unternehmens keine homogene Masse darstellt, muss die Pflege bestehender Kunden differenziert erfolgen. Umsatz­ volumen, Informations-, Bestell- oder Einkaufsver­ halten, Reklama­tionsverhalten und vor allem die Rentabilität sind von Kunde zu Kunde unterschiedlich und bilden somit wichtige Kriterien für eine Selektion. Jeder Kundenstamm lässt sich in Segmente untertei­ len, die im Rahmen von Kundenbindungsprogram­men mit unterschiedlichen Massnahmen bearbeitet werden müssen. Beispiele möglicher Selektierung: Grobselektion: – a ktive Kunden – inaktive (oder ehemalige) Kunden Die Quantifizierung des Umsatzes und des Ertrags der einzelnen Kunden ist bei der Selektion und bei der Beurteilung der Potenziale von entscheidender Bedeutung. Hier ist ein Phänomen angesprochen, das sich in praktisch allen Märkten und Branchen zeigt: Fast immer erbringt ein relativ kleiner Teil des Kundenstamms einen grossen Teil des Um­satzes und Ertrags. Diese Gesetzmässigkeit ist im Pareto-Prinzip (auch als 20/80-Prozentregel bekannt) dargestellt: Die Praxis macht deutlich, wie wichtig es ist, die guten, profitablen Kunden zu identifizieren und die Marketingmassnahmen dementsprechend zu gewichten. Werden die verfügbaren Mittel gleichmässig auf alle Kunden verteilt, entsteht bei den wichtigsten Segmenten eine ungenügende, nicht deren Bedeu­tung reflektierende Wirkung, während Segmente mit wenig Potenzial über Gebühr bewirtschaftet werden. Das heisst, die bereitzustellenden 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.2 Kundenbindung | 11 Budgetmittel und Massnahmen für die Bear­bei­ tung beste­hender Kunden müssen je nach Bedeutung des Kunden gesplittet und gewichtet werden. hoch mittel niedrig Das Pareto-Prinzip: Ein verhältnismässig kleiner Teil der Kunden erbringt einen grossen Teil des Umsatzes und Ertrags. Kundenbindung – auch für B2B ein Thema Kundenbindungskonzepte werden oft in Verbindung mit der Bearbeitung von B2C-Märkten beschrieben und wahrgenommen. Kundenbindung ist jedoch auch ein zentrales Thema für Business-to-Business­ Märkte. In beiden Fällen ist ein selektives Vorgehen der Schlüssel zum Erfolg. Die Zielgruppen werden grundsätzlich im Hinblick auf ihr Potenzial bearbeitet. Dennoch gibt es für Kundenbindungsprogramme in B2B-Märkten spezielle Voraussetzungen. Zum Bei­spiel ist ein B2C-Kunde stets eine einzelne Person. Hinter dem B2B-Kunden steckt hingegen in der Regel ein Entscheidungsgremium, das aus mehreren ein­­­zel­ nen Ansprechpartnern in unterschiedlichen Funktio­nen besteht. Dies bedingt, dass B2B-Kundenbindungs­konzepte mit einer (Software-)Infrastruktur hinterlegt werden müssen, welche die Entscheidungshierarchien abbildet. So können die einzelnen Funktions- und Entscheidungsträger analog ihren Einflussmöglichkei­ ten und Befugnissen selektiv angesprochen werden. Durch Kundenbindung Abgänge verhindern «Kunden­kapitalwert» Ein Berechnungsmodell für den Kundenkapitalwert finden Sie unter den Checklisten & Vorlagen auf www.post.ch/directpoint Das zentrale Ziel von Kundenbindungsmassnahmen ist es, Kundenverluste zu vermeiden. Tatsächlich steht die Kundenverlustquote in engem Zusammenhang mit dem gesamten Unternehmenserfolg. Diese Erkenntnis wird durch eine Studie von Frederick F. Reichheld belegt. Ergebnisse aus dieser Studie be­sa­ gen, dass je nach Branche 5% weniger Kunden­­ verluste pro Jahr eine Erhöhung des gesamten Kundenkapitalwerts (Life Time Value) um bis zu 95% bewirken (Kundenkapitalwert: Ertrag, der aus einem einzelnen Kunden im Laufe seiner Beziehung zum Unternehmen erwirtschaftet werden kann). Zunahme Kundenkapitalwert aller Kunden eines Unternehmens bei 5% weniger Kundenverlusten nach Branche: Software Büro-/Bauunternehmung Grosshandel Industriewäschereien Kreditkarten Autoversicherungen Verlage Depositenbanken Lebensversicherungen Werbeagenturen +35% +40% +45% +45% +75% +84% +85% +85% +90% +95% Quelle: Frederick F. Reichheld, Der Loyalitäts-Effekt, Bain & Company, Campus Verlag Frankfurt/Main Kundenbindung – was heisst das? Kundenbindung ist eng mit der Loyalität des Kunden gegenüber dem Unternehmen verknüpft und zielt darauf ab, diese Loyalität langfristig zu stärken. Der Kunde muss durch eine entsprechende Pflege der Be­ziehung immer wieder zu loyalem Verhalten ermun­tert und motiviert werden. Dabei ist zu berück­ sichtigen, dass Loyalität ein sehr sensibler Wert ist. Kunden reagieren empfindlich und unmittelbar. Das heisst, der Zufriedenheitsgrad kann rasch wech­ seln. Ein einziges Erlebnis – positiv oder negativ – kann enorme Aus­wir­kungen haben: nicht nur auf die Beziehung zum betreffenden Kunden. Im Zeitalter der sozialen Netzwerke und Communities, von Blogs und Foren werden sowohl positive wie negative Marken- und Produkterlebnisse ausgetauscht und somit öffentlich gemacht. Es ist deshalb unumgänglich, den Grad der Loyalität sowie allfällige Veränderungen permanent zu beobachten. Ebenso wichtig ist die Konsistenz in der Kommu­nikation. Der Kunde soll das Unternehmen bei jedem Kontakt als homogene Persönlichkeit erleben. Dies bedingt eine Konsequenz bei Inhalten, Auftritt und Ansprache, die sich durch die gesamte Kommunikation zieht (Werbemassnahmen, Kundendienstgespräche, Aussendienstberatung, Korrespondenz usw.). Der Aufbau und die Sicherung von Kundenloyalität haben einen hohen strategischen Stellenwert und bringen einen langfristigen Return-on-Investment. Das Thema Kundenloyalität muss in der Unter­ nehmensführung verankert sein und bildet ein integriertes Element der Unternehmenskultur. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.2 Kundenbindung | 12 Die Bewirtschaftung der Kundenbeziehung Kundenbindungsmassnahmen zielen dar­auf ab, die Kundenbeziehung optimal zu bewirtschaften und auf dieser den höchst­möglichen Ertrag zu generieren. Dabei weist jeder Kunde für das Unternehmen einen unterschiedlichen Wert auf. Dieser ergibt sich aus verschiedenen Parametern wie dem effektiven und dem potenziellen Einkaufsvolumen, der Preissensitivität, dem Akquisitions- und Betreuungsauf­wand, der Bereitschaft und Fähigkeit, das Unternehmen im persönlichen Umfeld und in sozialen Netzwerken, Communities, Blogs und Foren weiter zu empfehlen (Stichwort Member-getMember) und anderen mehr. Kunden, die ein entsprechendes Potenzial aufweisen, werden gezielt entwickelt. Dies geschieht durch die Vermittlung von Anstössen für zusätzliche Käufe (Volumen erhöhen), durch Cross-Selling-Massnah­ men, durch Member-get-Member-Kon­zepte und weitere Aktivitäten. Ziel dieser Phase ist es, das Potenzial eines Kunden auszuschöpfen und weiter zu entwickeln. Der Life Cycle unter dem Aspekt Churn Prevention Customer Life Cycle Customer (Re)Acquisition Customer Relation Der Life Cycle unter dem Aspekt Customer Relation Customer Life Cycle Customer (Re)Acquisition Churn Prevention Customer Relation Customer Extension Der erste Schritt eines Kundenbindungs­programms besteht in der Identifikation und Selektion des Kundenstamms. Darauf aufbauend lassen sich die konkreten, segmentspezifischen Massnahmen (Infor­ mationen, News, Dankesschreiben usw.) in Bezug auf die Kundenpflege und -entwicklung definieren. Im Vordergrund steht immer der Anspruch, den Kunden für das Unternehmen und seine Markt­leis­ tungen zu motivieren. Ziel dieser Phase ist es, dem Kunden die Bestätigung zu geben, dass er den richtigen Anbieter gewählt hat. Der Life Cycle unter dem Aspekt Customer Extension Customer Life Cycle Customer (Re)Acquisition Churn Prevention Customer Relation Customer Extension Churn Prevention Customer Extension Jede Beziehung durchläuft Perioden, in denen sie gefährdet ist. Dies ist beispiels­weise der Fall, wenn ein regelmässiges Bestellvolumen plötzlich eine rückläufige Tendenz aufweist oder wenn Reklama­­tio­nen zunehmen. Diese kritischen Momente gilt es, rechtzeitig zu erkennen. Voraus­setzung dazu ist eine permanente Über­wachung der Kundenbe­ ziehung und eine sofortige Analyse von kritischen Verhal­tensweisen des Kunden. Bei High-Profit­Kunden erfordert die Kontrolle der Kundenbeziehung neben systematischen Massnahmen (Analysen des Anfrage-, Bestell- und Reklamationsverhaltens) auch Gespür für den Kunden und seine Befind­lichkeit. Ein regelmässiger persönlicher Kontakt ist dazu unabdingbar. Ziel dieser Phase ist es, den Absprung von Kunden zu verhindern und die Kundenbeziehung wieder zu festigen. Die Konsequenzen Erfolgreiches Management von Kunden­beziehungen im Rahmen des dargestell­ten Life Cycles setzt den Unterhalt und die Pflege von Datenbanken wie auch das Know-how für den Umgang und den richtigen Einsatz von Daten und Informa­tionen voraus. Sämtliche relevanten Kun­deninformationen müssen zentral erfasst, mutiert und ausgewertet werden. Nur so ist es möglich, von den einzelnen Kunden ein objektives, verbindliches Profil zu er­stellen, das als Rahmen für die Entwick­lung von Massnahmen und den Kommu­ nikationsinhalten dient. Grundsätzlich werden Kommunikations­konzepte auf die unterschiedlichen Profile der Kundensegmente zugeschnitten. Sie finden ihre Umsetzung in einem 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.2 Kundenbindung | 13 «Kundenclubs, Kundenkarten, Kundenpublikationen, Kundenevents» Mehr zu diesen Themen in den Kapi­teln 3.4.2, 3.4.3 und 3.4.5. sinnvol­len Mix von einzelnen Massnahmen, die auf ein gemeinsames strategisches Ziel ausgerichtet sind (z. B. maximale Aus­schöpfung des Kundenpotenzials). Warum werden Kunden untreu? –68% wegen schlechtem Service / schlechter Bedienung –14% wegen schlechter Produkte­qualität oder einer vergeblichen Beschwerde –9% wegen zu hohen Preisen –5% wegen geänderten Kaufgewohnheiten –3% wegen eines Umzugs –1% durch Tod Quelle: Jerry Wilson, Mund-zu-Mund-Marketing, verlag moderne industrie Die Rahmenbedingungen für Kundenbindung Die Voraussetzungen für Kundenbindungsmarketing sind einem konstanten Wandel unterworfen. Grund­sätzlich kann festgestellt werden, dass die Kunden­treue tendenziell abnimmt. Viele Menschen unterhalten beispielsweise mehrere Bankbezie­ hungen, sie wechseln laufend ihren Tour Operator oder sie nutzen heute das Telecom-Angebot A und morgen die Dienstleistungen von B. Damit Kundenbindungsprogramme ihre Wirkung entfalten können, müssen sie konsequent auf die einzelnen Kundensegmente abgestimmt werden. Idealerweise stehen Zusatznutzen, die in der Regel mit solchen Programmen verknüpft sind (Added Values), im Einklang mit dem Basisangebot oder leiten sich direkt daraus ab. – Kundenclubs Clubs für Zielpersonen mit gemeinsamen Inte­­res­sen. Ziel: kontinuierliche Kontaktpflege und per­manen­ ter Dialog. Man kann zwischen offenen, jedermann frei und kostenlos zugänglichen Clubs und geschlossenen Clubs unterscheiden. Bei letzt­genannten ist der Eintritt an bestimmte Kriterien (u. a. Mitgliederbeitrag) geknüpft. Solche Clubs können auch für Interessenten ins Leben gerufen werden, z. B. im Vorfeld der Markteinführung eines höherpreisigen Produkts (Autos, Uhren usw.). – Kundenkarten Dient zur Identifikation des jeweiligen Kunden (oder Interessenten). Sie kann mit oder ohne Zah­lungsfunktion eingesetzt werden. Der Kunde wird belohnt, wenn er die Karte möglichst oft einsetzt. Vielfach sind Kundenkarten mit Verkaufsförderungsprogrammen gekoppelt. Mit der Karte erhält der Inhaber zusätzliche Leistungen und Vorteile gegenüber Nicht-Inhabern (z.B. Spezial­ konditionen, Exklusivangebote etc.). – Kundenpublikationen Kundenpublikationen können als isolierte Mass­­­nah­ me eingesetzt werden oder als Bestandteil eines Gesamtkonzepts (z.B. Club). Eine regel­mässige Erscheinungsweise ist notwendig, damit diese als Periodika wahrgenommen werden. – Kundenevents Regelmässig oder unregelmässig stattfindende An­lässe im Rahmen eines längeren Zeitraums. Events können inhaltlich im Freizeitbereich (z. B. Golf, Oper usw.) oder im Business-Bereich (z. B. Fach­referate, Expertenrunden) angesiedelt werden. Vielfalt der Kundenbindungsprogramme Das Feld möglicher Kundenbindungsprogramme ist weit gesteckt. Neben unzähligen isolierten Einzel­ massnahmen wie Dankesschreiben, telefonischen Rückfragen, kleinen Kundengeschenken (Give Aways) usw. gibt es Konzepte, die auf bewährten Mechanismen beruhen und bei deren Umsetzung Massnahmen verschiedenster Art sinnvoll zusammen­spielen. Nachfolgend sind vier Typen von Kundenbindungsprogram­ men beispielhaft aufgeführt, wobei vielfach auch Kombinationen angewendet werden: 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.2 Kundengewinnung/Kundenbindung – 2.2.2 Kundenbindung | 14 CRM – Beziehungsmanagement in neuer Form Das nach wie vor aktuelle Marketingthema heisst CRM – Customer Relationship Management. Eigentlich nichts Neues, steht doch im Zentrum dieser Philosophie die klassische Aufgabe, bestehende Kundenbeziehungen optimal zu managen. Doch gibt es überhaupt Unterschiede zwischen CRM und Kundenbindung? Und was sind die Grundlagen für einen Erfolg mit diesem Marketingansatz? Ein Begriff mit vielen Facetten … und die Hürden Kein anderes Thema hat in den letzten Jahren die Fachpresse so dominiert wie CRM. Viele Unternehmen haben dank dieser Entwicklung erstmals die gesamte Bedeutung und die strategische Wichtigkeit von Kundenbeziehungen erkannt. Im Gegensatz zu anderen Marketingtrends ist CRM aber keine Mode­ erscheinung: das Thema wird immer wichtiger. Viele realisierte CRM- und Kundenbindungskonzepte führen trotz grossen Investitionen jedoch nicht zum gewünschten Erfolg. Hier die wichtigsten Gründe: CRM wurde als Begriff vor allem aus dem IT-Bereich heraus entwickelt und steht in einer logischen Reihe mit Begriffen wie zum Beispiel Database Manage­ment und Data Warehouse. Er ist primär die Reaktion von Softwareanbietern auf die zunehmende Bedeu­tung des Themas Kundenbindung innerhalb des Marketings. Während der Begriff Kundenbindung bisher hauptsächlich Kommunikationsthemen umfasste, wurde durch den Begriff CRM eine neue entsprechen­de Angebotspalette im Hard- und vor allem Software­ bereich geschaffen. Heute steht CRM ganzheitlich für Kundenbezie­ hungs­management und wird häufig als Synonym für Kun­denbindung genutzt. Mit CRM hat diese zentrale Marketingaufgabe eine wesentliche Dynamik und Aktualität erhalten. Trotzdem ist festzuhalten, dass die unter Kundenbindung subsummierten Zielsetzun­gen dieselben sind wie für CRM. Zusammengefasst lassen sich diese auf folgenden Nenner bringen: Steigern des Kundenwerts durch bessere Bewirtschaftung. Die Chancen von CRM … CRM ist ein strategisches Thema, welches auf Geschäftsleitungsebene behandelt und von dieser mit­getragen werden sollte. Solange das Thema Kunden­bindung primär als Marketingkommuni­ka­tionsauf­gabe angesehen wird, ist dies nicht der Fall. Damit kann die Grundvoraussetzung einer Unternehmens­kultur, welche eine starke Kunden­ fokussierung ins Zentrum stellt und die Basis für ein erfolgreiches Beziehungsmarketing ist, kaum geschaffen werden. – Da CRM-Erfolge nicht kurzfristig erkennbar sind, sondern erst mittel- und langfristig Wirkung zeigen, wird das Projekt häufig zu schnell abge­ brochen. – CRM wird immer noch vielfach als IT-Thema verstanden und ausschliesslich als solches behandelt; dadurch wer­den zu wenig Ressourcen für die eigentliche Um­setzung vorgesehen. Ohne diese Umsetzung je­doch entstehen keine oder nur ungenügende Wir­kungen beim Kunden. – Das Management von CRM-Projekten ist durch die vielen Schnittstellen aufwändig; dies wird zu Beginn häufig unterschätzt und führt zu einer un­genügenden Koordination und zu einem mangel­haften Controlling. – Die Idee von CRM wird nicht in der Unterneh­mens­kultur verankert. Dadurch entsteht keine durch­gehende Kundenfokussierung und nicht die entsprechende Dienstleistungsqualität. Komplexe Zusammenhänge Im Zentrum von CRM steht die ganzheitliche Kunden­­ sicht. Nicht nur einzelne Aspekte der Beziehung sollen isoliert behandelt werden; vielmehr strebt ein CRM-Konzept an, den Kunden in all seinen Facetten und über alle möglichen Kontaktpunkte gemäss seinem Wert für das Unternehmen umfassend zu be­wirtschaften. Dazu sind unterschiedliche Teilauf­ gaben notwendig; die nachfolgende Übersicht bietet einen ersten Überblick. Die wichtigste infrastrukturelle CRM-Aufgabe ist das Schaffen einer zentralen Datenbank. Darin müssen sämtliche Kundeninformationen in verknüpfter, leicht nutzbarer Form abgespeichert sein. Nur damit kann 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.3 CRM – 2.3.1 Die Grundlagen | 15 CRM-Controlling – CRM-Analytics – Kundenbasisanalyse – Beziehungs-Scorecard – Potenzialanalyse – Data Mining – Predictive Modelling – Data-Warehouse-Design CRM-Strategie – CRM-Assessment: Kunden/Portfolio/Selektion – Ressourcen-/Organisationsentwicklung – Allianz-/Partnerstrategie – IT-Vision CRM-Experience-Design – Vision und Branding – Experience Design – CRM-Loyalitätsprogramm – Kundenlernen – Content Design – Campaign Management – Personalisierung CRM-Konzepte – Kundentypologisierungen – Kundenkonzept/Angebotsdesign – Beziehungsprozessgestaltung – CRM-Account-Management Operatives CRM – IT-Systemintegration – Front-end Application Design und Implementierung Die verschiedenen Teilaufgaben eines CRM-Konzepts: jede für sich ein eigenes ganzheitliches Teilkonzept. Quelle: CRM Group München/Prof. Reinhold Rapp ein einheitliches Bild des einzelnen Kunden herge­ stellt werden – ohne welches CRM nicht möglich ist. Die Beziehungsebenen von CRM CRM als umfassende Kundenbindungsstrategie führt dazu, dass innerhalb eines CRM-Konzepts verschie­ dene Beziehungsebenen integriert werden, z. B.: – allgemeine Kommunikationsmassnahmen gegenüber Individuen – Verkaufsmassnahmen: am POS, im Versandhandel, virtuell oder persönlich (zum Beispiel durch Key Account Management) – Social Media Aktivitäten – After-Sales-Massnahmen – Member-get-Member-Massnahmen – Kundendienst/Reklamationsbearbeitung (Complaint Management) – dezidierte Massnahmen zur Verhinderung von Kundenverlusten (Churn Prevention) – Rückgewinnungsmassnahmen von abgesprungenen Kunden (Re-Acquisition) CRM – eine Definition CRM optimiert die Beziehung zwischen Unterneh­ men resp. deren Produkten und Marken sowie dem Kunden – emotional und funktional, an jedem Be­rüh­rungs­punkt, zur Steigerung des Kundenwerts. Resultate dank Nutzung der Informationen Die Nutzung der auf Basis der gespeicherten Daten analytisch generierten Informationen für die Be­stim­mung der Kommunikationsstrategie wie auch der Inhalte der einzelnen Kommunikationsmass­ nahmen sichert den Return-on-Investment jedes CRM-Kon­zepts – und nicht die Investition in Hard- und Soft­ware. Die beste, ausgeklügeltste und fortschrittlichste CRM-Infrastruktur bleibt erfolglos, wenn damit nicht ge­arbeitet wird. Erst mit der Nutzung der dank CRM-­IT-Instrumenten gewonnenen Informationen für mass­geschneiderte Kommunikationsmassnahmen ent­stehen konkrete Wirkungen. Deshalb ist es notwen­dig, die CRM-Diskussion und die daraus entstehen­den Konzepte nicht nur auf die Infrastrukturebene zu beschränken. Ein Klavierkonzert und CRM – die Analogie Zur Verdeutlichung der Wirkung von CRM eine kleine Analogie aus dem Musikbereich. Was in einem Klavierkonzert der Konzertflügel, ist bei einem CRM­ Konzept die Infrastruktur (Hard- und Software). Doch wurde schon mal einem alleine auf der Bühne ste­ henden Flügel applaudiert? Erst durch den meister­ haften Umgang mit diesem Instrument kann ein Musikerlebnis entstehen. So auch im CRM: Erst mit dem professionellen Umsetzen der Daten in einzelne Massnahmen kann Wirkung entstehen. Und der «Applaus» der zufriedenen Kunden möglich werden. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.3 CRM – 2.3.1 Die Grundlagen | 16 CRM – die infrastrukturelle Basis Ohne eine spezifische Infrastruktur ist der ganzheitliche Kunden­bewirt­­schaftungs-Ansatz von CRM nicht realisierbar. Diese be­steht aus Hardwareund Software-Komponenten und vernetzt sämtliche Kundenkontaktstellen innerhalb eines Unternehmens. Im Zentrum die Daten «Database Marketing» Mehr zu diesem Thema im Kapitel 3.3. Mit seinem ganzheitlichen Ansatz der Kundenbindung, bei der sämtliche Kundenkon­takte für die Ausgestaltung der individuellen Kommunikation zentral abgespeichert werden müssen, stellt CRM enorme Anforderungen an die Infrastruktur. Dabei steht vor allem die zentrale Ablage sämtlicher Daten im Mittelpunkt. Dies deshalb, da in beinahe allen Unternehmen eine vielfach unüberschaubare Anzahl an isolierten Da­tenbanken in unterschiedlichen Formaten und Qualitäten vorhanden sind. Quelldateien: sämtliche proprietären (exklusive) und nichtproprietären (gemeinsam genutzte) Datenquellen, welche für die ganzheitliche Kundenbetrachtung rele­vante Daten beinhalten. Quelldateien Produkt- und Back­ Office-Daten KundenStammdaten Vertriebsdaten Externe Daten u.a.m. Analytisches CRM Data Warehouse Data Mart für Controlling Extraktion Data Mart für Marketing, Vertrieb und Service CRM-Analyse: OLAP und Data Mining Operatives CRM Campaign Management Kontaktmanagement-Software Call Center Website/E-Commerce Aussendienst/Verkauf Mailing adressiert E-Mail Analytisches CRM: Das analytische CRM verfolgt das Ziel, aus Daten Wissen zu machen. Der entscheidende Punkt ist, dass Daten aus unterschiedlichen Quellda­teien in einer einzigen Datenbank, dem Data Ware­house (zentrales «Daten-Lagerhaus»), zusammenge­führt werden. Damit ist die Voraus­ setzung für eine Kundengesamtsicht gegeben. Da verschiedene Stellen innerhalb des Unternehmens Auswertungen vorneh­men wollen, ist es insbesondere in grossen Firmen sinnvoll, dem Data Warehouse spezifische Data Marts anzugliedern. Ein Data Warehouse ist eine umfassende Datenbank, in der alle CRM-relevanten Informationen aus den Quelldateien einheitlich gespeichert sind. Sämtliche Erkenntnisse und Bewegungen aus einzelnen Aktivitäten werden im Data Warehouse aufgenommen und fliessen von hier aus zurück in die Quelldateien. Ein Data Mart ist ein kleineres Data Warehouse, das auf spezifische Bedürfnisse (z.B. die speziellen Anforde­rungen einer Abteilung) zugeschnitten ist. Es kann mit anderen Data Marts verknüpft und an ein zentrales Data Warehouse angebunden werden. Die Auswer­tung der Daten erfolgt im Rahmen der CRM-Analyse resp. des Data Mining. Die aufbereiteten Daten brin­gen wichtige Erkenntnisse für die Entscheidungsfin­dung und machen verdeckte Zusammenhänge sichtbar. Operatives CRM: Auf der operativen Ebene des CRM werden die aus der CRM-Analyse gewonnenen Erkenntnisse in Marketing-Massnahmen umgesetzt und fliessen in konkrete DM-Konzepte ein. Auch für diese Funktionen gibt es verschiedene Software-Module. Für die Bearbeitung von eher persönlichen Kontakten kommt eine Kontaktmanagement-Soft­ware zum Einsatz. Für mehrstufige Kontakt­kam­pagnen sind eher Campaign-Management-Programme geeignet. Es werden auch operative CRM-Programme angeboten, die alle erforderlichen Funktionen integrieren. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.3 CRM – 2.3.2 Die Infrastruktur | 17 Das richtige IT-Tool für CRM: Ein komplexer Entscheidungsprozess Gezielte Evaluation aufgrund spezifischer Anforderungskriterien Die Frage nach dem «besten» IT-Tool für CRM lässt sich allein aufgrund der Eigenschaften und Fähigkeiten der verschiedenen Programme so nicht beantwor­ten. Das beste CRM-Tool ist dasjenige, das die unter­nehmensspezifischen Anforderungen optimal erfüllt. Für die Bereitstellung einer IT-Infrastruktur für CRM gibt es verschiedene Optionen. In Frage kommt bei­spielsweise die Implementierung ein­zelner Programme für verschiedene Funktionen. Es gibt aber auch inte­grierte CRM-Lösungen, die die gewünschten Funk­tionen wie operatives CRM (einschliesslich Kontakt­- und Kampagnen­mana­ gement) sowie analytisches CRM mit einem einzigen Programm abdecken (z. B. von Siebel (Oracle), SAP und anderen Anbietern). Die Beschaffung einer IT-Infrastruktur für CRM ist für ein Unternehmen von grosser Tragweite. Tatsächlich muss die Wahl des geeigneten CRM-Tools vor dem Hintergrund der individuellen strategischen und orga­ nisatorischen Rahmenbedingungen getroffen werden. Die Einführung und Implementierung einer CRMSoft­ware haben für das Unternehmen weit reichende Konsequenzen. Es geht hier um einen strategischen Entscheid, dem ein entsprechend sorgfältiger Evalua­ tionsprozess vorauszugehen hat. Das Unternehmen muss wissen, wo es steht und was es will. Nur so kann die Lösung gefunden werden, die auf allen Ebe­nen den erwünschten Nutzen bringt. Auf die Integrationsfähigkeit kommt es an In jedem CRM-System ist grundsätzlich ein möglichst hoher Integrationsgrad anzustreben. Nur durch Zusammenführung aller Dateien und Stellen ist es mög­lich, Verhaltensprofile von Kunden gesamthaft abzu­bilden und zu steuern. Diese so genannte Kundenge­samtsicht bildet die Voraussetzung für analytisches CRM und erfordert eine integrierte Verwaltung von Kunden-, Produkt- und Interaktionsdaten. Die volle Integration innerhalb des gesamten CRM-Systems ist auch notwendig, um auf der Ebene des operativen CRM Feedback-Loops zu implemen­ tieren. Feedback-Loops stellen zum Beispiel sicher, dass im Falle einer Reklamation, die an irgendeiner Stelle eingegangen ist, auch das Key-Account-Mana­ gement informiert wird. Dieses erhält auf diesem Weg automatisch alle relevanten Informationen über Art, Häufigkeit und den Bearbeitungsstatus der Rekla­mationen. Umfassende Angaben zu SoftwareAnbietern und Programmen in verschiedenen Berei­chen sind auf der Internetseite www.schwetz.de unter der Rubrik CRMMarktstudien zu fin­ den. Empfehlenswert: «CRM-Marktspiegel» Marktübersicht über CRM-Software, 650 Seiten. Breites Software-Angebot Zur Unterstützung des analytischen CRM steht heute eine grosse Auswahl von speziellen Programmen zur Verfügung. Das Angebot reicht von den einfachen OLAP-Tools (Online Analytical Processing) bis hin zu anspruchsvollen Programmen und massgeschneiderten Lösungen, die komplexe statisti­sche Auswertungen ermöglichen und verdeckte Zu­sammenhänge offen legen (Data Mining). Zu beach­ten ist, dass auch das intelligenteste Programm nicht den erhofften Nutzen bringt, wenn die Datenqualität zu wünschen übrig lässt. Läuft der Evaluationsprozess in Richtung einzelner Programme, wird zwischen operativen und analytischen CRM-Programmen unterschieden. Auf ope­rati­ver Ebene gliedert sich das Angebot in Software für das Kontaktmanagement und solche für das Kampa­gnenmanagement. Die Anfor­derungen an Ausprägung und Komplexität dieser Funktionen leiten sich aus mehreren Kriterien ab. Zu den wichtigsten zählen zum Beispiel: – Anzahl der zu unterstützenden aktuellen und zukünftigen Kontakt-/Vertriebskanäle Wird zum Beispiel das Call Center als wichtiger Kontaktkanal eingestuft, muss die Software die zur Integration des Call Centers notwendigen Funktio­nalitäten bereitstellen. – Einsatz im B2C- oder B2B-Bereich Zum Beispiel benötigen CRM-Systeme, die vorwie­ gend im B2C-Bereich eingesetzt werden, in der Regel keine sehr ausgeprägte Unterstützung bei der Produktkonfiguration. Demgegenüber spielen im B2B-Bereich die Anforderungen an Funktionen für das Projektmanagement und an die Produktkonfi­ guration oft eine bedeutende Rolle. – Anzahl der zu verwaltenden Kunden Zum Beispiel stellen Unternehmen mit einem sehr grossen zu verwaltenden Kundenstamm wesentlich höhere Anforderungen an Funktionen zur Unter­ stützung der Kundenqualifizierung als Unterneh­men mit einem überschaubaren Kundenstamm. – Integration aktuelle technologische Trends (Mobile CRM) Neue Technologien, Smartphones und Tablets bieten neue Möglichkeiten als Informationsquellen und der Kundenkommunikation. Es gilt deshalb, frühzeitig zu entscheiden, ob diese in die zukünftige CRM-Lösung miteinzubeziehen sind. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.3 CRM – 2.3.2 Die Infrastruktur | 18 Strategisches Direct Marketing – die Chancen für zukünftigen Unternehmenserfolg Direct Marketing beschränkt sich heute nicht mehr nur auf die Durchführung einzelner Massnahmen und deren Zielerreichung. Es gehört als integrierter Be­standteil in jede Marketingstrategie, bei umfassenden CRM-Projekten gar in jede Unternehmensstrategie. Mit Direct Marketing können nicht nur bestehende Kunden informiert und gepflegt und neue Kunden gewonnen werden. Auch als Distributionsinstrument spielt DM eine grosse Rolle. Als Konklusion aus sämtlichen Beiträgen im Teil 2 kann ein zentraler Paradigmenwechsel festgestellt werden: Das Massenmarketing in herkömmlicher Form hat wesentlich an Bedeutung verloren. Der individuelle Marktpartner ist in den Mittelpunkt des Marketings, ja des ganzen Unternehmens gerückt, und mit ihm eine völlig neue Marktbearbeitungs­ Philosophie. Anstatt sich nahezu ausschliesslich nach dem Absatz zu orientieren, richtet sich das heutige Unternehmen darauf aus, die Beziehungen zu seinen Marktpartnern (Kunden, Interessenten, Beeinflussern, Lieferanten usw.) gewinnbringend zu gestalten – durch möglichst massgeschneiderte Lösungen. Dieser Wandel vom Massen- zum Individualmarketing führt zu einer Verlagerung der Kommunikationsinstru­mente: Während die Bedeutung breit streuender Massenmedien – wie Printmedien, TV usw. – in­nerhalb einer Marketing-Kommunikations-Strategie abnimmt, steigen die Wichtigkeit und die Nutzungs­intensität der Dialogmarketing-Instrumente. Direct Marketing ist das zentrale Mittel zur Bewirt­schaftung der Beziehungsinhalte für den Aufbau und die Pflege von Beziehungen. Die DM-spezifische Marktstrukturierung Mit Direct Marketing steht den Unternehmen ein Instrument zur Verfügung, mit dem die aus der klas­sischen Marketinglehre bekannte Segmentierung weiter verfeinert werden kann. Die Individualisie­ rungstechniken des Direct Marketings erlauben eine fokussierte Ausrichtung auf die Marktsegmente, wie sie sonst nur im persönlichen Gespräch möglich ist. Durch diese erweiterten Kenntnisse über die einzel­nen Marktteilnehmer können die Marktleistungen spezifisch auf die verschiedenen Segmente zuge­schnitten werden. Bestehende Kunden als grösstes Potenzial Je länger, desto mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die bestehenden Kunden zu den zentralen Unternehmenswerten gehören. Dadurch wird heute der Fokus vermehrt auf die Pflege bestehender Kunden gerichtet, wodurch die traditionell stark ge­wichtete Kundengewinnung an Bedeutung verliert. Bei der Pflege der bestehenden Kunden gilt es, ein differenziertes Bild des Kundenstamms zu schaffen, um die einzelnen Segmente analog ihres Potenzials behandeln und bewirtschaften zu können. Nicht der einzelne Verkauf ist das Ziel des strategischen Direct Marketings. Im Zentrum steht vielmehr das Resultat einer individuell gestalteten und gepflegten Bezie­hung über einen längeren Zeitraum. Demnach ist im heutigen Marketing jede Beziehung zu ein­ zelnen Marktpartnern – vor allem zu bestehenden Kunden – unter dem Gesichtspunkt des langfristigen Werts für das Unternehmen zu betrachten. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.4 Fazit | 19 Weitere Informationen zu CRM finden Sie in den Expertenbeiträgen auf www.post.ch/ dm-expertenbeitraege Digitale Gegenwart und Zukunft Das moderne DM ist zunehmend von den Verände­ rungen in der elektronischen und digitalen Welt geprägt. Die Ent­wicklungen – vor allem im Bereich der Datenbanken und im Umgang mit den darin gespeicherten Infor­mationen – stellen im Marketing grundsätzlich einen Quantensprung dar. Sie ermöglichen einerseits die One-to-One-Kommunikation mit einer Vielzahl von Individuen zum gleichen Zeitpunkt. Dank Datenbank­lösungen sind andererseits auch umfassende Analysen des Verhaltens und weiterer Kriterien eines einzelnen Marktpartners möglich. Diese Daten wiederum er­möglichen eine Segmentierung der Zielgruppen und eine optimale Definition der Kommunikationsinhalte. Die strategische Bedeutung des Direct Marketings wächst durch die Möglichkeiten des Internets, durch neue Tech­ nologien in der Mobile Kommunikation, durch die sozialen Netzwerke. Durch die Möglichkeiten von Internet, Mobile und Social Media Marketing – gewinnt Direct Marketing noch mehr an Bedeutung. Mit dem Instrument Internet zum Beispiel lässt sich die Kosteneffizienz von Kundenbindungs­konzepten wesentlich steigern: E-Mails erlauben individuelle Einzelkontakte zu relativ tiefen Kosten, mit E-Mail-Newslettern können Kunden laufend und schnell über Aktuelles informiert werden usw. Zu diesen neuen Programmansätzen gehört auch Customer Relationship Management. Grundsätzlich ist das Ziel von CRM nichts Neues: Die Bewirtschaf­tung von Kundenbeziehungen ist im vergangenen Jahrzehnt bereits mehr und mehr in den Marketingmittelpunkt gerückt. Mit CRM als Philosophie gelangt nun aber die ganzheitliche Betrachtung des Kunden ins Zentrum des Marketings, ja des gesamten Unter­nehmens. Integriert statt isoliert Der Erfolg von Loyalitätsstrategien entsteht durch das Zusammenspiel von direkten Leistungen gegen­ über einzelnen Marktpartnern und generellen, in­ direkten Leistungen, die sich durch die Marke resp. deren Wahrnehmung und Positionierung ergeben (Branding). Die Intensität und der Inhalt der Bezie­hung entwickeln sich aus der wechselseitigen Wir­kung dieser beiden Bereiche. Modernes Direct Mar­keting beinhaltet sowohl quantitative Leistungen als auch qualitative Wirkungen. Erfolgreiches strategisches Direct Marketing ist vor allem auch das Resultat einer darauf ausge­richteten Unternehmenskultur. Nur wenn sich das gesamte Unternehmen diesem Dialog­ ansatz verbindlich verpflichtet und ihn umsetzt, ist eine nachhaltige Beziehungswirkung zu erzie­len. Entsprechend lautet das Fazit dieses Teils: Strategisches Direct Marketing ist ein unver­zichtbares Instrument für Unternehmen, weil damit der individuelle Kundenertrag gesteigert werden kann. Das Direct Marketing muss des­halb Teil der Unternehmenskultur und dessen Einbindung in die Strategie Aufgabe der Ge­schäftsleitung sein. Programme ersetzen Einzelmassnahmen «MarketingProgramm» Mehr zu diesem Thema im Kapitel 3.4. Viele Marketing- und Marketingkommunikations-Ziele sind strategischer Natur. Sie lassen sich nicht nur mit einzelnen taktischen Massnahmen erreichen. Be­reits die Gewinnung eines neuen Kunden ist ein Pro­zess, dem ein planmässiges Vorgehen in mehreren Stufen zu Grunde liegt. Besonders bedeutend ist dieser Aspekt, wenn man das Thema Kundenbindung fokussiert. Kundenbindung ist eine permanente Auf­gabe. Daraus entsteht die Notwendigkeit, eine Vorgehensweise zu wählen, bei der die einzelnen Mass­nahmen Teile eines ganzen Marketing-Programms mit Ausrichtung auf das strategische Ziel sind. 2 Strategische Bedeutung des DM – 2.4 Fazit | 20