Laryng.-Rhinol. 60 (1981) 275 Laryng.-Rhinol. 60 (1981) 275—277 1981 Georg Thieme Verlag Stuttgart New York Zur Methodik der intraarteriellen Chemotherapie maligner Tumoren im Kopf -HatsBereich Zusammenfassung Den bisher angewandten Methoden der intraarteriellen Applikation von zytostatischen Substanzen wird em neuartiges Verfahren gegenubergestellt. Dieses besteht darin, irn Rahmen einer Neck dissection das GefaLsy- stern des Halses so vorzubereiten, daf der operativ nicht angegangene Primãrtumor iiber em perkutan Wochen bzw. Monate leicht punktierbares Gefag fortlaufend oder wiederholt intraarteriell mit zytostatischen Substanzen perfundiert werden kann. Die extrem selektive intraarterielle Perfusion des Tumors mit Zytostatika scheint nach den bisherigen Ergebnissen neue Aspekte in der Tumorbehandlung zu eröffnen. Universitäts-Hals-Nasen-Ohren-Klinik des Klinikums Charlotrenburg Berlin (Direktor: Professor Dr. E. R. Kastenbauer) Die Behandlung maligner Tumoren im Kopf- und Haisbe- reich mit Zytostatika gewann in den letzten Jahren in zunehmendem Umfang an Bedeutung. Da durch die intravenöse Chernotherapie meist kein kurativer Dauereffekt erzielt werden kann, wird sie in der Regel mit der Hochvolttherapie oder der operativen Behandlung kombiniert. (4, 8, 9, 11, 13, 14, 15) Durch intraarterielle Applikation konnte die Wirksamkeit der Zytostatika zum Teil so gesteigert werden, daL die Rate kompletter Rernissionen bis zu 70 % betragt (1, 3, 5, 6, 7, 10, 12). Die erhöhte Effektivitãt beruht auf einer gröeren Konzentration des Zytostatikums irn Tumor, die dabei Ca. sechsmal höher als bei der intravenösen Therapieform sein kann (2). Voraussetzung für einen soichen Effekt ist jedoch die selektive Injektion des Wirkstoffes in die Arterie, in deren Versorgungsbereich der Tumor liegt. Das Kriterium der Selektivität ist bei den bisher bekannten Methoden der intraarteriellen Chemotherapie nicht ausreichend gewahrleistet. Hierbei handelt es sich urn: Kanulierung der Arteria temporalis superficialis oder der Arteria thyreoidea superior. Seldinger-Technik (Punktion der A. fermoralis mit einem Katheter, der in die A. carotis externa vorgeschoben wird). Selektive Kanulierung der Arterie, in deren Versorgungsgebiet der Tumor Iiegt. Direkte Punktion der A. carotis externa. Die Erfahrung aus der Anwendung dieser Methoden hat gezeigt, daf die den Tumor versorgende Arterie ungehindert durchblutet sein muf und nicht unterbunden werden darf, da ansonsten das Zielorgan durch em Netz von Kollateralen versorgt wird, wodurch das Zytostatikum präkapilIãr abflieI?en kann. Em weiterer Nachteil der bisher geübten intraarteriellen Techniken liegt in der moglichen Entstehung von arteriellen Blutungen bzw. Aneurysmen, wie sie vor allem bei der direkten Punktion der A. carotis externa zu befürchten ist. Von gröter Bedeutung für eine erfolgreiche zytostatische Therapie ist die Moglichkeit einer kontieinen langeren Zeitraum und nuierlichen Behandlung ihre Wiederholbarkeit. Allen erwähnten Katheterrnethoden sind jedoch in dieser Hinsicht Grenzen gesetzt, da bei längerer Verweildauer des Katheters Infektionen, Thrombosen oder eine Kathetersepsis entstehen können. Im Folgenden wird eine Methode beschrieben, die die erwhnten Methodical Aspects of Intra-arterial Chemotherapy of Malignant Head and Neck Tumors A new method of intra-arterial (i. a.) chemotherapy of malignant head and neck tumors based on a vascularsurgical procedure is described. In combination with radical neck dissection the external carotid artery is prolonged end-to-end by an autogeneic saphenal vein graft and anastomosed with the common carotid artery end-to-side more proximally. After wound healing the transplant is well palpable and can easily be cannulated percutaneously, thus facilitating continuous or repeated i. a. chemotherapy of the malignant tumor. During therapy intervals the cannula should be removed. In this way, it is possible to perform i. a. cytostatic therapy over several weeks or months. All the branches of the external carotid artery not directly contributing to the blood supply of the tumor region have to be ligated during the neck dissection, in order to maintain the necessary high concentration of the drugs at the tumor site. First clinical results obtained with this method demonstrate the safety of the procedure and suggest new aspects of chemotherapy in head and neck cancer. Verfahren der intraarteriellen Nachteile der bisher Applikation zytostatischer Substanzen nicht zu besitzen scheint. Methodik Das Wesen dieser Methode besteht darin, dali durch gefachirurgische MaInahmen em direkt subkutan gelegenes, arteriell durchströmtes Gefäf am Hals geschaffen wird, das sich leicht punktieren lä&. Der Primrtumor selbst bleibt bei diesem Eingriff unberührt. Seine Behandlung erfolgt zunàchst allein durch die perkutane, intraarterielle Applidas subkutan liegende Gefagkation zytostatischer Substanzen transpiantat. Operative Technik Im Rahmen einer radikalen Neck dissection wjrd die A. carotis externa bis den Abgang der den Tumor versorgenden Hauptarterie dargesteilt (Abb. 1). Die A. carotis externa wird direkt an ihrer Abzweigung von der A. carotis communis abgesetzt. Die A. carotis communis wird an dieser Stelle vernäht, oder der Stumpf der A. carotis externa wird unterbunden, wenn genOgend Platz dafür vorhanden ist. An die A. carotis externa wird nach proximal cm Ca. 6—8 cm langes venöses Gefa1transplantat End-zu-End anastomosiert, dessen proximales Ende in die A. carotis communis End-zu-Seit eingearbeitet wird (Abb. 2). Als Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. J. v. Scheel 276 J. v. Scheel Laryng.-Rhinol. 60 (1981) • Occipitalis A. faciaht — • carotis interna A. IingcaIt A. werden. Bei Wiederbeginn der Behandlung wird das Transpiantat an anderer Stelle erneut punktiert. Solange es nicht zur Thrombosierung des Gefltes kommt, kann somit die zytostatische Therapie in Form einer Erhaltungsdosis intermittierend Monate auf intraarteriellem Wege fortgefiihrt werden, sofern nicht im Anschluf an die primare zytostatische Behandlung eine Bestrahiung oder Operation des Primärtumors durchgefuhrt werden mug. Diskussion Bei der Indikation zu der hier beschriebenen Methode der intraarteriellen Chemotherapie maligner Tumoren im Kopf-Hals-Bereich soliten folgende Prinzipien beachtet werden: 1. Es soil sich urn Tumoren der Kategorie T3 bis T4 mit N0 Abb. 1 Darstellung des präoperativen Situs links erheblichen Beeintrachtigung des Patienten führt oder deren primare chirurgische Behandlung wenig aussichtsreich erscheint. Es handelt sich somit urn schädelbasisnahe Tumoren, urn ausgedehnte Karzinome des Mundbodens, der Zunge, des Hypopharynx und des Gaumens. Kleine OipitaIis A. facislis - A. lirgualis Tumoren mit besserer Prognose müssen selbstverständlich weiterhin primàr operativ oder radiotherapeutisch behandelt werden. Die Behandlung des Larynxkarzinoms wird in diese Behandlung nicht mit einbezogen. 2. Das Alter der Patienten solite 65 Jahre nicht ten haben, da die Problematik von GefàIoperationen ab A. thyrsoidea sop. distale Anastornose - carotis communis diesem Alter zunimmt. 3. Die Patienten soliten nach Mogiichkeit nicht chirurgisch oder radiotherapeutisch vorbehandelt sein. 4. Typische Kontraindikationen der Chemotherapie müssen beachtet werden. Bei Beachtung dieser Kriterien hat der operative Teil der hier beschriebenen Methode nahezu das gleiche Risiko wie die klassische Neck dissection allein. Die Entnahme des Venentranspiantates aus dem Oberschenkel und seine Interposition zwischen der A. carotis communis und der A. carotis externa durch den Gefãfchirurgen bedingt einen Abb. 2 Situation nach Absetzen der A. carotis ext. direkt an der Teilungssteile der A. carotis communis, Anastomosierung eines GefaBtransplantates mit der A. carotis ext. End-zu-End und mit der A. carotis comm. End-zu-Seit. Dargesteut ist die selektive Durchblutung der A. lingualis nach Unterbindung der A. thyreoidea sup. und der A. carotis ext. kranial der A. lingualis und vor der Abzweigung der A. facialis. Transpiantatmaterial wird die V. saphena magna vom Oberschenkel verwendet. Alle Aste der A. carotis externa, die nicht direkt an der Versorgung des Tumors teilnehmen, werden ligiert. Hierfür sind zum Beispiel bei etnem Zungenkarzinom lediglich zwei Unterbindungen erforderlich (Abb. 2). Durchfuhrung der zytostatischen Therapie Am 7. Tage nach der Neck dissection werden die Fãden entfernt. Am 10. postoperativen Tag kann die intraarterielle zytostatische Therapie begonnen werden. Das durch die Haur aufgrund seiner Pulsation gut tastbare Venentranspianrat wjrd mit einer dünnen Plastikkanülec punktiert und em Perfusor angeschlossen. Der richtige Sitz der Kaniile kann fluoroskopisch oder durch Injektion von Patentblau kontrolliert werden. Antikoagulantien-Therapie (Cumarin, Heparin) ist unbedingt erforderlich. Im behandlungsfreien Intervall kann die Kaniile entfernt zeitlichen Mehraufwand von etwa einer Stunde. Dieses neue Verfahren hat gegenuber den herkömm!ichen Methoden der intraarteriellen Chemotherapie im KopfHals-Bereich folgende Vorzüge: 1. Die Behandiung kann einen làngeren Zeitraurn durchgefiihrt werden, wenn dies aufgrund klinischer oder pharmakokinetischer Uberlegungen als besonders giinstig erscheint. Die an manchen Kliniken geiibte Seldinger-Technik (Punktion der A. fernoralis) erlaubt dagegen nur eine Verweiidauer des Katheters von rnehreren Stunden (3). 2. Nach einem therapiefreien Interval! kann erneut auf gleichem Wege intraarteriell behandek werden, im Gegensatz zum Beispiel zu der Kathetermethode die A. temporalis superficialis. Letztere kann nur limitiert angewendet werden, da es nach Entfernung des Katheters zu einer Thrombosierung der kanülierten Arterie kommen kann. 3. Die hier beschriebene Methode er!aubt zuverlässig die se!ektive Zufuhr des Medikaments die Arterie, in deren Versorgungsgebiet der Tumor !iegt. Nur wenn dies gewährleistet ist, wird die beabsichtigte Erhöhung der Wirkstoffkonzentration im Tumor erzie!t (2). 4. Mit arterielien Biutungen oder Aneurysmen, wie z. B. bei direkter Punktion der A. carotis communis oder der A. Abbocath® Nr. 22, Fa. Abbott, Frankfurt. carotis externa, muf. nicht gerechnet werden (10). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. bis N1 handein. Diese Tumoren sollen ihren Sita in einer Region haben, deren chirurgische Destruktion und mange!hafte Rekonstruktionsmöglichkeit zu einer funktionell Zur Met hodik der intraarteriellen Chemotherapie benszeit sind die zur Zeit vorliegenden Ergebnisse noch nicht ausreichend und die Beobachtungszeit zu kurz. Die bisher vorliegenden ermutigenden Ergebnisse lassen jedoch die Veroffentlichung dieser neuen Applikationsart zytostatischer Substanzen als begrundet erscheinen. Literatur (1) Bitter, K.: Relations between Histology, TNM-Category and Results of Treatment with MethotrexateBleomycin-Combination in Squamous Cell Carcinomas of the oral Cavity. J. max.-fac. Surg. 1(1973)113 (2) Bitter, K., S. 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Die Methode erlaubt die Umstellung auf andere Zytostatika, wenn durch em bestimmtes Behandlungsschema bei einem Patienten kein ausreichendes Resultat erzielt wurde. Die alternative Therapie erfolgt ebenfalls intraarteriell auf dem gleichen Wege. Für eine statistische Auswertung des Einflusses dieser Therapie auf Remissionsrate, Remissionsdauer bzw. Oberle- Laryng.-Rhinol. 60 (1981) 277