Psychische und körperliche Gesundheit bei Kindern und Jugendliche aus alkoholbelasteten Familien: Ergebnisse des Projektes ChAPAPs in Deutschland Diana Moesgen, M.Sc. Prof. Dr. Michael Klein Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung Katholische Hochschule NRW III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Gliederung des Vortrags • • • • • Theoretischer Hintergrund Ziel der Studie Methode Ergebnisse Diskussion III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Prävalenzen • 2,4% der deutschen Bevölkerung (ca. 1,6 Mio. Menschen) sind alkoholabhängig (Pabst & Kraus, 2008) • 3,8% (ca. 2,7 Mio. Menschen) betreiben Alkoholmissbrauch (Pabst & Kraus, 2008) • Zwischen 3 und 5 Mio. Menschen sind als Angehörige mitbetroffen (Schmidt & Schmidt, 2003) • Ca. 2,65 Mio. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben im Laufe ihres Lebens mit einem Elternteil zusammengelebt, der Alkoholprobleme hat jeder 7. Jugendliche (Klein, Kürschner & Ferrari, 2003; Lachner & Wittchen, 1997) • Neuere Schätzungen ergeben eine Prävalenzrate von 5 bis 6 Mio. Kindern in Deutschland, die von einer elterlichen Alkoholproblematik betroffen sind (EMCDDA, 2008) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Was erleben Kinder aus suchtbelasteten Familien? • Das Suchtproblem spielt oft eine zentrale Rolle in der Familie und bringt verschiedene Schwierigkeiten mit sich, z.B.: – Finanzielle Schwierigkeiten durch z.B. Arbeitsplatzverlust – Vernachlässigung des Kindes – Veränderung der Regeln und Abläufe, die innerhalb der Familie gültig waren – Veränderung der Stimmung und des Interaktionsstils innerhalb der Familie – Verhaltensvolatilität des suchtkranken Elternteils – Spannungen und Konflikte zwischen Eltern sowie zwischen Eltern und Kindern, tw. mit häuslicher Gewalt III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Konsequenzen • Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien gelten als größte Risikogruppe für die Entwicklung einer eigenen suchtbezogenen Störung – Von den Kindern alkoholabhängiger Eltern entwickeln ca. 33% bis 40% selbst eine substanzbezogene Abhängigkeitserkrankung (Sher, 1991; Windle & Searles, 1990; Klein, 2005; Zobel, 2006) – Kinder aus alkoholbelasteten Familien weisen insgesamt ein bis zu 6-fach erhöhtes Risiko auf, selbst alkoholbezogene Probleme in Form von Missbrauch oder Abhängigkeit zu entwickeln (Grant, 2000; Klein & Zobel, 1999) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Konsequenzen • Kinder von Eltern mit Alkoholproblemen entwickeln häufig auch andere psychische Störungen mit klinischer Relevanz (Klein, 2008) – Externalisierende Störungen • Störungen des Sozialverhaltens (Elpers & Lenz, 1994; Reich, Earls, Frankel & Shayka, 1993; Furtado, Laucht & Schmidt, 2002) • Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) (Barnow, Fischer & Freyberger, 2001; Diaz et al., 2008; Marmorstein, Iacono & McGue, 2008) – Internalisierende Störungen • Depressionen (Cuijpers, Langendoen & van Bijl; 1999; Hill, Lowers, LockeWellman, Matthews & McDermott , 2008) • Angststörungen (Tubman, 1993; Cuijpers et al., 1999) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Konsequenzen • Wenig Studien zur körperlichen Gesundheit betroffener Kinder – Kinder aus suchtbelasteten Familien zeigen mehr Symptome körperlicher Krankheiten (Klein & Quinten, 2002; Rubio-Stipec, Bird, Canino, Bravo & Alegria, 1991) – Betroffene Kinder haben mehr diagnostizierte körperliche Krankheiten und mehr psychosomatische Probleme (Hart, Fiissell & McAleer, 2003) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ziel der Studie • Identifikation gesundheitlicher Ungleichheiten bei Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien – psychische Gesundheit – körperliche Gesundheit – Risikoverhalten • Aufdeckung familialer Risikofaktoren III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Methodisches Vorgehen A.) Fragebogenuntersuchung a) bei Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien (Alter: 12 – 18 Jahre) ( = Untersuchungsgruppe UG) postalische Befragung b) bei Kindern und Jugendlichen aus unbelasteten Familien (Alter: 12 – 18 Jahre) ( = Kontollgruppe KG) Schülerbefragung im Klassensetting B.) Telefoninterviews mit den Eltern a) mit dem erkrankten Elternteil (UG) b) mit dem nicht-alkoholabhängigen Elternteil (UG & KG) es sollten beide Elternteile befragt werden - soweit möglich III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Einschlusskriterien • Elternteil hatte die Hauptdiagnose Alkoholabhängigkeit (ICD: F10.2) oder schädlicher Gebrauch von Alkohol (ICD: F10.1) – Es konnten weitere Diagnosen als Zusatz- oder Nebendiagnosen vorliegen, sie durften jedoch nicht im Vordergrund stehen • Elternteil hatte mind. ein Kind im Alter von 12-18 Jahren. – Hierzu zählten auch: Stief-, Pflege-, Adoptivkind oder Kind von LebensgefährtIn • Elternteil hat in den letzten 2 Jahren mindestens 6 Monate mit dem Jugendlichen im selben Haushalt gelebt • Elternteil und Kind waren in der Lage an der Untersuchung teilzunehmen (ausreichende Sprachkenntnisse, keine geistige Behinderung) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Erhebungsinstrumente Fragebogen für Jugendliche Soziodemografische Angaben (z.B. Interviewleitfaden für Eltern Soziodemografische Angaben (z.B. Alter, Geschlecht, Schule) Gesundheitsverhalten (z.B. Ernährung, Sport) Substanzkonsum (z.B. Erfahrungen mit Alkohol, Zigaretten) SDQ - Psychische Gesundheit (emot. Probleme, Verhaltensprobleme, Hyperaktivität, Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen, prosoziales Verhalten) Alter, Geschlecht, Beruf, Ausbildung) Eigene Gesundheit (z.B. Alkoholprobleme (AUDIT), körperliche und psychische Erkrankungen (GHQ-12)) YSR – Skala Körperliche Beschwerden (z.B. Bauch, Kopf, Augen) FAM-III und FBS - Familienvariablen Gesundheitsverhalten des Kindes Substanzkonsum des Kindes CBCL – Skala Körperliche Beschwerden des Kindes SDQ - Psychische Gesundheit des Kindes FAM-III und FBS - Familienvariablen (z.B. Verlässlichkeit der Eltern, Investment, Kommunikation, Kontrolle durch Eltern, Übereinstimmung bzgl. Werten und Normen, emotionale Ambivalenz) Elterngesundheit (z.B. Alkoholprobleme) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Rekrutierung der Stichprobe • • UG: in Kooperation mit Einrichtungen, die uns über alkoholabhängige Patienten (Eltern) Zugang zu deren Familien ermöglichen konnten – Stationäre Entwöhnungskliniken* – Ambulante Einrichtungen** KG: über weiterführende Schulen*** Mit besonderem Dank an (in jeweils alphabetischer Reihenfolge): * AHG Klinik Tönisstein, Fachklinik Fredeburg, Fachklinik Gut Zissendorf, Fachkrankenhaus Hansenbarg, Fontane-Klinik Motzen, Klinik Schloss Falkenhof, Kliniken Wied, Psychosomatische Klinik Bergisch-Gladbach, Fachklinik Kamillushaus, salus klinik Friedrichsdorf, salus klinik Lindow ** Caritas Kleve, Caritas/Diakonie Bonn, Diakonie Düsseldorf, Kreuzbund Diözesanverband Aachen *** Konrad-Adenauer-Gymnasium, Kleve; Leni-Valk-Realschule, Goch III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Beschreibung der Stichprobe – Kinder und Jugendliche • 74 Kinder und Jugendliche aus der UG: – 44 (59.5%) Mädchen und 30 (40.5%) Jungen – Alter: M = 15.15 Jahre (SD = 2.03; Range: 11 - 19 Jahre) ►41 (55.4%) haben eine alkoholabhängige Mutter, 33 (44.6%) einen alkoholabhängigen Vater • 109 Kinder und Jugendliche aus der KG: – 56 (51.4%) Mädchen und 53 (48.6%) Jungen – Alter: M = 15.07 Jahre (SD = 1.56; Range: 11 - 19 Jahre) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Beschreibung der Stichprobe - Eltern • 57 alkoholabhängige Eltern aus der UG: – 32 (56.1%) Mütter und 25 (43.9%) Väter – Alter: M = 46.95 Jahre (SD = 5.80; Range: 35 - 61 Jahre) • 46 nicht-abhängige Eltern aus der UG: – 21 (72.2%) Mütter und 25 (27.6%) Väter – Alter: M = 46.52 Jahre (SD = 4.70; Range: 40 - 67 Jahre) • 30 nicht-abhängige Eltern aus KG: – 22 (73.3%) Mütter und 8 (26.7%) Väter – Alter: M = 44.83 Jahre (SD = 4.94; Range: 35 - 61 Jahre) III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Körperliche Beschwerden (aus Sicht der Kinder): YSR Skala körperliche Beschwerden 3,6 3,53 3,5 3,4 3,3 UG 3,2 3,13 KG 3,1 3 2,9 1 t = 1.02, df = 170, p = .31 ► n.s. III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Psychische Probleme – Symptome (aus Sicht der Kinder): SDQ Skalenwerte 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 3,36 2,73 2,39 1,81 UG KG Emotionale Probleme Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen Emotionale Probleme: t = 1.83, df = 180, p = .07; Verhaltensprobleme mit Gleichaltrigen: t = 2.35, df = 180, p = .02 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Psychische Probleme – Gesamtproblemwert (aus Sicht der Kinder): SDQ Gesamtproblemwert 11,5 11,32 11 10,5 UG 9,92 10 KG 9,5 9 1 t = 1.85, df = 180, p = .07 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Psychische Probleme – Gesamtproblemwert (aus Sicht der Eltern): SDQ Eltern Gesamtproblemwert 12 10,84 11,11 10 7,4 8 Alkoholabhängige Eltern (UG) Nicht-abhängige Eltern (UG) 6 4 Nicht-abhängige Eltern (KG) 2 0 1 F (2, 132) = 3.81, p = .03 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Alkoholkonsum der Kinder: Lebenszeitprävalenz Gruppe * Alkoholkonsum Lebenszeitprävalenz Kreuztabelle Alkoholkonsum Lebenszeitprävalenz Nein, nie Gruppe Ja Total UG 11 (15.1%) 62 (84.9%) 73 KG 7 (6.5%) 101 (93.5%) 108 chi2 = 3.59, df = 1, p = .06 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Alkoholkonsum der Kinder: Binge Drinking im letzten Monat Gruppe * Binge Drinking im letzten Monat Kreuztabelle Binge drinking im letzten Monat Nein Gruppe Mind. einmal Total UG 19 (41.3%) 27 (58.7%) 46 KG 21 (25.6%) 61 (74.4%) 82 chi2 = 3.38, df = 1, p = .07 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Korrelationen zwischen psychischen Beschwerden und Familienvariablen: Kind-Mutter-Beziehung: Werte und Normen SDQ Gesamtproblemwert X -,59** Kontrolle ,21x Investment -,24* Verlässlichkeit -,28* Emotionale Ambivalenz Kommunikation ,43** -,52** p < .10, * p < .05, ** p < .01 III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Ergebnisse Korrelationen zwischen psychischen Beschwerden und Familienvariablen: Kind-Vater-Beziehung: Werte und Normen SDQ Gesamtproblemwert X -,47** Kontrolle ,33** Investment -,37** Verlässlichkeit -,24x Emotionale Ambivalenz Kommunikation ,55** -,34** p < .10, * p < .05, ** p < .01 Derartige signifikante Korrelationen finden sich ebenso innerhalb der KG! III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Diskussion • Kinder aus suchtbelasteten Familien und Kinder aus unbelasteten Familien unterscheiden sich nicht in Hinblick auf körperliche Symptome • Betroffene Kinder konsumieren (derzeit) weniger Alkohol als nicht-betroffene Altersgenossen - Eltern als schlechtes Modell? • Psychische Beschwerden scheinen die größere Herausforderung darzustellen • Psychische Beschwerden liegen nicht nur in der elterlichen Alkoholproblematik begründet, sondern auch in anderen familiären Faktoren ► diese Aspekte sollten in der Präventionsarbeit dringend berücksichtigt werden, Einbezug der Eltern! III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Diskussion Allerdings… • UG ist in dieser Studie proportional nicht mehr von psychischen Symptomen betroffen als Kinder aus der Normalbevölkerung (z.B. nur 24% der UG liegen im grenzwertigen oder auffälligen Bereich, im Vergleich zu 20% der Normalbevölkerung) ►Selektionsbias! • Psychische Symptombelastung hängt auch in der KG mit Familienvariablen zusammen ►Universelles Phänomen: Familienaspekte sollten auch in Präventionsprogrammen für andere Zielgruppen berücksichtigt werden III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010 Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit ☺! Kontakt: Diana Moesgen, M.Sc. Psychologin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin Deutsches Institut für Sucht- und Präventionsforschung Katholische Hochschule NRW Tel.: +49 (0)221 7757-173 E-Mail: [email protected] III. ENCARE-Symposium, Bad Honnef 10. – 11. Juni 2010