Verwaltungsgebäude nach Passivhausstandard: Meßtechnische Begleitung und systemtechnische Untersuchungen R. Wagner, K. Vajen, S. Beisel, W. Feist1, K. Schweitzer, U. Rustige2, H. Ackermann Universität Marburg, Fachbereich Physik, D-35032 Marburg Tel.: 06421/28-4131, Fax: -6535, e-mail: [email protected] 1 Passivhaus-Institut, Steubenplatz 12, D-64293 Darmstadt 2 Wagner & Co Solartechnik, Ringstraße 14, D-35091 Cölbe In Cölbe bei Marburg erstellt die Firma Wagner & Co Solartechnik ein Verwaltungsgebäude mit Passivhausstandard, das voraussichtlich im Juli 1998 vollständig bezogen wird. Der Passivhausstandard Sowohl bei der vom Passivhaus-Institut betreuten Planung als auch bei der Bauausführung des Gebäudes wurde auf eine komplett umschließende Dämmhülle, auf die Vermeidung von Wärmebrücken sowie auf eine luftdichte Außenhülle geachtet. Mit Dämmstärken bis zu 40 cm ergeben sich so k-Werte von maximal 0,15 W/m²K für Außenwände, 0,12 W/m²K für Dach und Fußboden, sowie 0,8 W/m²K für die Fenster. Das Gebäude ist mit einer Lüftungsanlage versehen, die auf 1-fachen Luftwechsel ist. Es ausgelegt wird ausgegangen, davon daß der Betrieb überwiegend mit der hygienisch wendigen not- Modellzeichnung des für die Fa. Wagner erstellten Verwaltungsgebäudes nach Passivhausstandard in Süd-West Ansicht. Das Gebäude hat eine Brutto-Nutzfläche von 2180 m² und ein BruttoVolumen von 8533 m³. In das Gebäude integriert ist eine Solaranlage mit Großspeicher. Luftwechsel- rate von 0,3 erfolgen wird. Die Frischluft wird dazu durch ein Register aus 4 Betonrohren DN500 mit einer Gesamtlänge von ca. 160 m unter dem Gebäude angesaugt, zur Wärmerückge- winnung über einen doppelten Kreuzstromwärmeübertrager geführt (η = 0,8) und schließlich im Bereich der Außenwände ins Gebäude eingebracht. An Orten hoher Luftbelastung (Toiletten, aber auch z.B. Kopierer und EDV-Zentrale) wird die Abluft abgesaugt und verläßt nach Passieren der Wärmerückgewinnung das Gebäude. Die Dämmmaßnahmen dieses europaweit ersten Verwaltungsgebäudes nach Passivhausstandard haben in Kombination mit der kontrollierten Lüftung zur Folge, daß der Heizenergiebedarf des Gebäudes bei rund 10 kWh/m²a liegen wird [Rus97] (gerechnet nach dem Nachweisverfahren für den Passivhausstandard auf der Basis von Energiekennwerten [PHPP98]). Ein derart niedriger Heizenergiebedarf erfordert besondere Aufmerksamkeit für Konstruktionsdetails. Die nebenstehende Abbildung zeigt z.B. kritische Punkte auf die besonders geachtet wurde, eine umschließende Dämmhülle zu garantieren: 1) Die Fassadenelemente Anbindung von Dach und Fassade an die Skelett Konstruktion aus Stahlbeton. sind außerhalb der tragenden Bauteile montiert, damit die Zwischendecken keine (linienförmigen) Wärmebrücken nach außen darstellen. 2) Die Fenster sind konsequent in der Dämmebene montiert, um Versprünge der Isothermen zu vermeiden. 3) Beim Dach sind keine Massivhölzer sondern Leichtbauträger eingesetzt, die zusätzlich isoliert sind, um Hohlräume zu vermeiden. Bereitstellung des Restwärmebedarfs Zur Bereitstellung des geringen Heizwärmebedarfs von 10 kWh/m²a kann auf ein herkömmliches Heizsystem verzichtet werden. Die Heizwärme wird mit der ohnehin für Bürogebäude vorgeschriebenen Lüftungsanlage im Gebäude verteilt. Zu diesem Zweck ist hinter der Wärmerückgewinnung ein Vorheizregister vorgesehen, das eine Mindesttemperatur für die Zuluft ga- rantiert. In den insgesamt 9 Zonen des Gebäudes existiert für eine bedarfsgerechte, zonenweise Regelung je ein weiteres Nachheizregister. Sowohl Vorheiz- als auch Nachheizregister werden von einem System bestehend aus Solarkollektoranlage (64 m²; solar roof), BHKW (12,3 kWth, 5 kWel; Fichtel & Sachs) und saisonalem Wärmespeicher (87 m³ Wasser) gespeist. Koll ekto ranl age (e1) Großspeicher Altbau zum Verbraucher (b) (e2) (e2) (b) BHKW vom Verbraucher Solarkollektoranlage mit Großspeicher und BHKW (vereinfachter hydraulischer Schaltplan). Die Beladung durch das BHKW erfolgt in Flußrichtung (b), die Entladung erfolgt in Flußrichtung (e1). Optional kann bei zu geringen Speichertemperaturen eine Entladung in Flußrichtung (e2) erfolgen; das BHKW stellt dabei die notwendige Temperaturerhöhung sicher. Zentrale Einheit ist der Großspeicher, der zur saisonalen Speicherung der solaren Erträge der Kollektoranlage einerseits und zur Verlängerung der Laufzeit des BHKW andererseits genutzt wird. Die Beladung des Speichers durch die Solaranlage sowie die Entladung durch den Verbraucher geschieht in 3 Ebenen, was zum Aufbau bzw. zur Erhaltung der Temperaturschichtung im Speicher beiträgt. Verbraucher sind Vor- und Nachheizregister sowie ein Trinkwasserspeicher (200 l). Optional kann das BHKW in der Übergangszeit einen nebenstehenden Altbau mit Wärme versorgen, um die Laufzeit zu verlängern. Durch eine geeignete Betriebsführung von Großspeicher, BHKW und Solaranlage kann auf einen Spitzenkessel voraussichtlich verzichtet werden. Betriebszustände Heizung im Winter: Ein Heizenergiebedarf tritt nur während dreier Monate im Jahr auf (zwischen Dezember und Februar). In dieser Zeit wird die erforderliche Heizenergie dem solar auf- geheizten Großspeicher entnommen, der ein Temperaturniveau von 90-95 °C bereitstellt. Das Vorheizregister hebt die Temperatur der Frischluft auf etwa 25 °C an. Darüber hinaus können die Nachheizregister in den 9 Zonen des Gebäudes, abhängig von Heizwärmebedarf, eine Zulufttemperatur bis 40 °C garantieren. Sobald unten im Speicher eine Temperatur von 80 °C unterschritten wird, lädt das BHKW den Speicher nach. Kühlung im Sommer: In extremen Situationen gilt es, eine übermäßige Temperaturerhöhung im Gebäude zu vermeiden. Da das Gebäude nicht mit einer Klimaanlage ausgerüstet ist, soll eine Schwerkraft-Nachtauskühlung einer Überhitzung des Gebäudes entgegenwirken. Dazu werden automatisch in der Nacht die Oberlichter geöffnet. Dabei strömt ein durch den Temperaturauftrieb getriebener Luftstrom durch die offenen Großraumbüros über das im Bereich des Großspeichers befindliche Atrium von unten nach oben durch das Gebäude. Die kühle Nachtluft kann dann die Gebäudemassen abkühlen. Forschungsvorhaben Ein begleitendes Forschungsvorhaben (Laufzeit bis Ende 2001) wird im Rahmen des Programms „Solar optimiertes Bauen“ vom BMBF gefördert. Das Forschungsvorhaben gliedert sich in drei Themenschwerpunkte: • Untersuchungen zum Gebäude: Behaglichkeitsbewertungen, bauphysikalische Überprüfungen des Gebäudes als Ganzes sowie einzelner Baudetails bezüglich Funktion und Verbesserungsmöglichkeiten, Gebäudeenergiebilanz (in enger Zusammenarbeit mit dem Passivhaus-Institut, Darmstadt). • Vermessung und Modellierung des Erdreichwärmeübertragersystems: Überprüfung vorhandener und Entwicklung erweiterter Erdreichwärmeübertragermodelle (in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg, und dem Institut für Energietechnik der Technischen Universität Berlin). • Heiz-Lüftungs-Anlage: Untersuchung, Optimierung und ggf. Anpassung der Auslegung und Betriebsführung der installierten Komponenten des solarem Heizsystems. Übertragung der Ergebnisse auf Systemplanungen für typische Mehrfamilienhäuser und Entwicklung geeigneter Planungshilfsmittel. Meßtechnik In einem umfangreichen Meß- und Auswertungsprogramm werden im fertiggestellten Gebäude alle wesentlichen Daten erfaßt. Raumtemperaturen, Luftqualität, Wetterdaten, Elektrizitäts- und Gasverbräuche werden ebenso aufgezeichnet wie die Temperaturen bzw. Volumenströme von Solaranlage, Großspeicher und Wärmeübertragern. Neben den ca. 240 Meßstellen für die wissenschaftliche Begleitung werden auch Meßstellen für Beleuchtungssteuerung, SonnenschutzJalousien, Schließsystem usf. von einer DDC-Anlage verwaltet. Es werden insgesamt 25 DDCStationen durch 2 verschiedene Bussysteme miteinander verbunden. Über mehrere Schnittstellen kann gleichzeitig - nicht nur beobachtend - in das System eingegriffen werden. Mit diesem System können die Anforderungen der BetreiberInnen (Steuerung der HeizLüftungs-Anlage, Jalousie- und Beleuchtungssteuerung, Schließsystem, Bilanzieren von Laufzeiten und Kontrollmechanismen über die Funktion einzelner Meßstellen und Regler) ebenso abgedeckt werden wie die Anforderungen der WissenschaftlerInnen (Protokollieren der Daten mit hoher Zeitauflösung, Eingriffe in die Regelstrategie, Berechnung von verknüpften Größen). Auch Langzeitüberwachungen oder komplizierte Steuer- und Regelalgorithmen zur Betriebsführung sind implementierbar. Literatur [Rus97] Rustige, U.: Projektierung einer Nutzwärmeerzeugungsanlage für das Kundenzentrum der Firma Wagner & Co Solartechnik GmbH. Diplomarbeit, Fachhochschule Gießen 1997. [PHPP] Feist, W. et al: Passivhaus Projektierungs Paket. Anforderungen an qualitätsgeprüfte Passivhäuser. Darmstadt: Passivhaus-Institut (Hrsg.), 1998. Die Forschungsarbeiten werden unterstützt vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (Förderkennzeichen 0335006L).